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«Albert Ayler oder Die Zukunft der Schönheit» ist eine Erzählung des Büchner-Preis-Trägers Friedrich Christian Delius. Am Abend des 1. Mai 1966 betritt ein junger Deutscher Slug's Saloon in New York, den legendären Club der Jazz-Avantgarde. Auf der Bühne steht der Tenorsaxophonist Albert Ayler und spielt eine Musik, die anders ist als alles, was sein deutscher Gast je zuvor gehört hat. Aylers Improvisationsräusche ziehen den jungen Mann in den Sog des Free Jazz, lösen einen hellsichtigen Assoziationstaumel aus, öffnen ihm Ohren und Augen: Er hört darin die wütende Anklage gegen den Vietnamkrieg, denkt an den eigenen Protest, seine Jugend im kleinstädtischen Hessen und einen Jazzabend, der zum Zerwürfnis mit dem kranken Vater führte. Schließlich erkennt der angehende Dichter, wie der Zersetzungskraft der Musik eine andere, neue Schönheit und Wahrheit entspringt. Eine autobiographische Geschichte und ein virtuoses literarisches Tondokument, das nicht nur ein großes Jazzerlebnis festhält, sondern auch die befreiende Kraft und den Aufbruchsgeist einer neuen Epoche, einer neuen, unerhörten Kunst.
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Seitenzahl: 39
Veröffentlichungsjahr: 2017
Friedrich Christian Delius
Erzählung
«Albert Ayler oder Die Zukunft der Schönheit» ist eine Erzählung des Büchner-Preis-Trägers Friedrich Christian Delius.
Am Abend des 1. Mai 1966 betritt ein junger Deutscher Slug’s Saloon in New York, den legendären Club der Jazz-Avantgarde. Auf der Bühne steht der Tenorsaxophonist Albert Ayler und spielt eine Musik, die anders ist als alles, was sein deutscher Gast je zuvor gehört hat. Aylers Improvisationsräusche ziehen den jungen Mann in den Sog des Free Jazz, lösen einen hellsichtigen Assoziationstaumel aus, öffnen ihm Ohren und Augen: Er hört darin die wütende Anklage gegen den Vietnamkrieg, denkt an den eigenen Protest, seine Jugend im kleinstädtischen Hessen und einen Jazzabend, der zum Zerwürfnis mit dem kranken Vater führte. Schließlich erkennt der angehende Dichter, wie der Zersetzungskraft der Musik eine andere, neue Schönheit und Wahrheit entspringt.
Eine autobiographische Geschichte und ein virtuoses literarisches Tondokument, das nicht nur ein großes Jazzerlebnis festhält, sondern auch die befreiende Kraft und den Aufbruchsgeist einer neuen Epoche, einer neuen, unerhörten Kunst.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Februar 2017
Copyright © 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Umschlaggestaltung Frank Ortmann
Umschlagabbildung Pavel K/shutterstock.com
Konvertierung Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
ISBN 978-3-644-10022-0
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Für Marcel Beyer
Das Taxi hatte länger gebraucht als erwartet bis in die abgelegene, finstere Ecke der unteren Lower East Side an der 3. Straße, wo zwischen den üblichen Feuerleitern der Eingang zu Slug’s Saloon nicht schwer zu finden war. In dem Augenblick, als wir den Saal betraten, wurden die Lichter ausgeschaltet, legten die Musiker los mit kreischenden, klagenden, schrillen Tönen, nur die schwachen Bühnenscheinwerfer halfen uns, in dem nicht sehr großen Kneipenraum den letzten oder vorletzten freien Tisch in den hinteren Reihen anzusteuern, während die Ohren beschossen wurden von Getröte, Gezirpe, Gehämmer, Gejaule, als sollten wir mit dieser Folge von Dissonanzen gleich abgeschreckt, des Saales verwiesen und wieder zurück Richtung Exit getrieben werden –
Das musst du jetzt aushalten, das wirst du aushalten, sagte ich mir, als wir uns gesetzt hatten, mach gute Miene, lehn dich zurück und hör einfach zu oder hör weg, das hältst du jetzt aus. Fünf Musiker auf der schmalen Bühne, einer mit Saxophon, einer als Trompeter, einer hinter dem Schlagzeug, ein Bassist und ein Geiger, fünf Männer prügelten mit ihren Instrumenten auf meine Hörnerven ein, und ich dachte nur, lehn dich zurück und hör einfach zu oder hör weg –
Musik war das nicht, aber was sollte das sein, wenn es keine Katzenmusik war, das erste, das naheliegende Wort, das einem Laien und einfallsarmen Zuhörer wie mir bei den ersten Takten in den Kopf rutschte, eine böse, vielleicht doch treffende, nicht so schnell zu bestreitende Bezeichnung für die verstörenden Töne, für die schrille Verweigerung von Harmonien und Melodien, für den Schock, den ich fühlte, die Schockwellen, den Schallüberfall. Ich sah, wahrscheinlich mit fragenden und, wie ich hoffte, nicht allzu schülerhaft hilfesuchenden Augen, auf die beiden Freunde neben mir, die mich ermutigten mit lechzender Aufmerksamkeit und mit dem rhythmischen Wippen der Köpfe, die Freunde hatten mich gewarnt –