Die Birnen von Ribbeck - Friedrich Christian Delius - E-Book

Die Birnen von Ribbeck E-Book

Friedrich Christian Delius

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Beschreibung

Fontanes Ballade hat das Dorf Ribbeck, vierzig Kilometer von Berlin gelegen, berühmt gemacht. Nach Öffnung der Mauer kommen Westberliner nach Ribbeck, um den Ribbeckern einen Birnbaum zu schenken und mit ihnen die deutsche Einheit zu feiern. Sie pflanzen den Baum wie eine Standarte in besetztes Gebiet neben das Schloss, das jetzt ein Pflegeheim ist, und fragen nicht nach der Vergangenheit. Auf dem Volksfest, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr stattfand, mit Erbsensuppe, Freibier und Birnenschnaps aus dem Westen, verschafft sich ein Ribbecker Bauer Gehör. Zögernd zuerst erzählt er die Geschichte des Dorfes an der alten Heerstraße, erzählt von Feudalherren, Nazis und Soldaten im Zweiten Weltkrieg, den Etappen des Sozialismus bis zum Niedergang der Landwirtschaft. Er erzählt von den Herren im Dorf, dem letzten Ribbeck, der in das KZ Sachsenhausen kam, von der Roten Armee, den Parteibonzen und den Erben, die jetzt wieder das Dorf mit herrischen Schritten vermessen. Ein «Festredner», der gehört werden will und anerzählt gegen den Geschichts- und Gedächtnisverlust in sich selbst, seinem Dorf, seinem Land.

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Seitenzahl: 82

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Friedrich Christian Delius

Die Birnen von Ribbeck

Erzählung

Über dieses Buch

Fontanes Ballade hat das Dorf Ribbeck, vierzig Kilometer von Berlin gelegen, berühmt gemacht. Nach Öffnung der Mauer kommen Westberliner nach Ribbeck, um den Ribbeckern einen Birnbaum zu schenken und mit ihnen die deutsche Einheit zu feiern. Sie pflanzen den Baum wie eine Standarte in besetztes Gebiet neben das Schloss, das jetzt ein Pflegeheim ist, und fragen nicht nach der Vergangenheit.

Auf dem Volksfest, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr stattfand, mit Erbsensuppe, Freibier und Birnenschnaps aus dem Westen, verschafft sich ein Ribbecker Bauer Gehör. Zögernd zuerst erzählt er die Geschichte des Dorfes an der alten Heerstraße, erzählt von Feudalherren, Nazis und Soldaten im Zweiten Weltkrieg, den Etappen des Sozialismus bis zum Niedergang der Landwirtschaft. Er erzählt von den Herren im Dorf, dem letzten Ribbeck, der in das KZ Sachsenhausen kam, von der Roten Armee, den Parteibonzen und den Erben, die jetzt wieder das Dorf mit herrischen Schritten vermessen. Ein «Festredner», der gehört werden will und anerzählt gegen den Geschichts- und Gedächtnisverlust in sich selbst, seinem Dorf, seinem Land.

Vita

Friedrich Christian Delius, geboren 1943 in Rom, in Hessen aufgewachsen, lebt seit 1963 in Berlin. Seine Erzählungen und Romane machen ihn zu einem der bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Friedrich Christian Delius wurde unter anderem mit dem Fontane-Preis, dem Joseph-Breitbach-Preis und dem Georg-Büchner-Preis geehrt.

Theodor Fontane

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

Ein Birnbaum in seinem Garten stand,

Und kam die goldene Herbsteszeit

Und die Birnen leuchteten weit und breit,

Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,

Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,

Und kam in Pantinen ein Junge daher,

So rief er: «Junge, wiste ’ne Beer?»

Und kam ein Mädel, so rief er: «Lütt Dirn,

Komm man röwer, ick hebb ’ne Birn.»

 

So ging es viel Jahre, bis lobesam

Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.

Er fühlte sein Ende. ’s war Herbsteszeit,

Wieder lachten die Birnen weit und breit,

Da sagte von Ribbeck: «Ich scheide nun ab.

Legt mir eine Birne mit ins Grab.»

Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,

Trugen von Ribbeck sie hinaus,

Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht

Sangen «Jesus meine Zuversicht»,

Und die Kinder klagten, das Herze schwer:

«He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?»

So klagten die Kinder. Das war nicht recht,

Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht,

Der neue freilich, der knausert und spart,

Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.

Aber der alte, vorahnend schon

Und voll Misstrauen gegen den eigenen Sohn,

Der wusste genau, was damals er tat,

Als um eine Birn’ ins Grab er bat,

Und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus

Ein Birnbaumsprössling sproßt heraus.

 

Und die Jahre gehen wohl auf und ab,

Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,

Und in der goldenen Herbsteszeit

Leuchtet’s wieder weit und breit.

Und kommt ein Jung’ übern Kirchhof her,

So flüstert’s im Baume: «Wist ’ne Beer?»

Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: «Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick gew di ’ne Birn.»

 

So spendet Segen noch immer die Hand

Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Der Autor dankt Manfred Klawitter und

den anderen Ribbeckern

Als sie anrückten von Osten aus dem westlichen Berlin mit drei Omnibussen und rot und weiß und blau lackierten Autos, aus denen Musik hämmerte, lauter als die starken Motoren, und mit den breitachsigen, herrischen Fahrzeugen das Dorf besetzten, wie es seit den russischen Panzern, dem Luftwaffengebell und den Ribbeck’schen Jagdfesten nicht mehr besetzt war, fünfzig oder sechzig glänzende, frisch gewaschene Autos auf den drei Straßen, und ausstiegen wie Millionäre mit Hallo und Fotoapparaten und Sonnenschirmen und zuerst die Kinder, dann uns nach und nach aus Stuben und Gärten lockten und Bier und Fassbrause, Birnenschnaps, Würstchen und Luftballons, Kugelschreiber und Erbsensuppe verschenkten und einen Tanz machten um einen jungen Birnbaum, den sie mitgebracht hatten und nach einer kurzen Rede, die der Bürgermeister wie gewohnt mit schafsäugigem Nicken begleitete, in den Vorgarten des Altenpflegeheims, das früher das Schloss war, einpflanzten und dabei mehr auf die Videokameras als auf den Baum schielten und sich selber Beifall klatschten und uns auf die Schultern hieben, als hätten sie ein großes Spiel gewonnen oder ihre Fahne in erobertes Gebiet gesteckt, und lauter wurden, Bierbecher herumreichten und uns Birnengeist probieren ließen und schnell ihr sagten und du,

 

haben wir auf die Frage gewartet, was wir zu dem neuen Birnbaum zu sagen hätten, denn immerhin war das Dorf einmal berühmt wegen der Birnen, und ob der Platz seitlich vom Altersheim der richtige wäre, denn wenn schon Tradition, wie sie Fontane der Dichter aufgeschrieben hat, dann richtig, ein Birnbaum in seinem Garten stand, wer das Gedicht nicht flüssig hersagen konnte, bekam in der Schule, wo jetzt der Konsum ist, vom Lehrer für jedes Stocken und jedes falsche Wort mit dem Rohrstock eins auf die flache Hand, also auf der Gartenseite oder, längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab, auf den schattigen Wiesen vor der Kirche, wo die Gräber seit langem geschleift sind,

 

aber sie fragten nicht, und ehe wir den Mut fanden zu reden, war der Stützpflock schon eingerammt, das Bäumchen angebunden, die Erde festgetreten, die Männer mit Baum und Spaten hundertmal fotografiert und die Gießkanne dreimal geleert, auch die hatten sie mitgebracht, sogar Zeitungsleute hatten sie mitgebracht, die dauernd fragten: Wie finden Sie das alles?, und wenn wir nicht gleich einen brauchbaren Satz ausstießen, fragten sie: Finden Sie das nicht toll?, sodass wir nur sagen konnten: Ja, und ihnen auswichen, weil sie unseren Zeitungsleuten so ähnlich waren, die niemals ein Nein hören wollten und nur Antworten, die sie schon kannten,

 

ich aber wollte ja sagen, auf andere Weise ja, denn ich konnte die Freude nicht fassen und hatte zu viele unbrauchbare Wörter im Kopf und feierte mit ihnen allen, das Bier und die neue Freiheit, zu feiern mit wem wir wollten und zu jeder Zeit, und die Einheit, die her muss, weil alles keinen Zweck hat, und wir feierten den Birnenschnaps und die kurzen Wege nach Berlin, denn noch Monate vorher war ihnen verboten, anzuhalten und das Dorf zu betreten, war uns verboten zu reden mit den Fremden, die eine fünffach bestempelte Genehmigung hatten und sich dem Pflegeheim, das früher das Schloss war, und der Kirche und den Ruinen der Ribbeck’schen Ställe näherten,

 

und feierten, weil wir im Dorf seit Jahrzehnten kein Schützenfest, keine Kirmes, kein Sängerfest, keine großen Hochzeiten mehr gefeiert hatten, nur die Jägergruppe, die Kleintierzüchter unter sich und belauscht, kein Verein ohne Spitzel, wie soll man da feiern, die Disco alle paar Wochen und Kinderfest einmal im Jahr, und liefen herbei, weil es Würste und Suppe und Bier und Schnaps und Kaffee umsonst gab und weil die düsteren Verbote auf dem Müll gelandet waren und wir nun losgekettet für die Einheit und bestaunt wurden wie Eingeborene und weil alles drunter und drüber ging und ein neuer Baum dastand und weil wir uns gewöhnen mussten und gewöhnen wollten an etwas, das wir nicht kannten, denn alles brach zusammen hoch,

 

auf einmal war alles so einfach und es stimmte überhaupt nichts mehr, die Sprache kam wieder und mit der Sprache das Stottern, und ich wusste nicht, was mir alles durchs Hirn fegte, und atmete auf und wurde von Bier und Schnaps und Ballons, die vor den stumpfgrauen Hauswänden zappelten, auf ungewohnte Weise benebelt,

 

gelernt, den Blick zu senken, versuchte ich, den Gästen, die die Gastgeber waren, in die Augen zu sehen durch teure Doktorbrillen, schwankend und misstrauisch und stolz unter Sonnenschirmen im März, bis ich mir nackt vorkam und arm und betrogen vor den schnellen Küssen und den Birnengeistflaschen mit leuchtenden Etiketten, und trotzdem erhoben und frei, und ermuntert von euch: kommt her und lasst den Kopf nicht hängen,

 

so fingen wir langsam zu reden an und wurden lauter und sangen und tranken, weil das Redeverbot und das Schreiverbot und hundert andere Verbote weggeweht waren und die Verbrecher endlich aus dem Amt gejagt und die Unfähigen und die Stasi und die Gauner, und ließen hochleben den Ribbeck und seinen Birnbaum und den Fontane, der das Dorf zum berühmtesten Dorf im Havelland gemacht hat und plötzlich wieder zum Anziehungspunkt erweckt für wildfremde Menschen, die Würstchen und Birnenschnaps und Kugelschreiber mitbringen, so spendet Segen noch immer

 

die Hand, die hundert Hände, als gäbe es nur den Birnbaum hier und als wären wir die Statisten zum Birnbaum, Bauern und Büdner mit Feiergesicht, und trauerten dem Ribbeck nach wie Knechte, wie Kinder, und als wolltet ihr nicht merken, dass wir längst nicht mehr Knechte sind, so wenig wie Herren, sondern bleiben wollten im Dorf und geblieben sind als Arbeiter und uns haben anschnauzen und drücken lassen und trotzdem das Land bewirtschaftet wie Bauern und hoch auf den Treckern morgens halb fünf durchs Havelland und die Äcker gepflügt, unsere Äcker und nicht die eines der Herren von Ribbeck auf Ribbeck, deren Erben den Namen Ribbeck schon wieder vor sich hertragen wie einen Freibrief und die Scheunen betreten und das Dorf vermessen mit herrischen Schritten, unter denen das Land bebt,

 

wie andere, die sich in Bügelfaltenhosen und hellen Mänteln breitbeinig vor die Häuser stellen, mit gierigem Blick und blitzendem Zollstock über den Putz fahren und mit Videokamera aufzeichnen und mitnehmen, was wir hergerichtet haben zwanzig Jahre lang, für ein Brett eine Stunde angestanden, jeder Wasserhahn ertauscht, die Rohre über Beziehungen, die jahrelange Rennerei um Dachziegel, jedes Wochenende gehämmert, gebessert, gestrichen, und Geld hineingesteckt, was nun gerissen taxiert wird von Anwälten oder denen, die Eigentümer sind oder waren oder sein wollen, drunter und drüber,