All die brennenden Fragen - Henri Maximilian Jakobs - E-Book

All die brennenden Fragen E-Book

Henri Maximilian Jakobs

0,0

Beschreibung

"All die brennenden Fragen" ist ein Buch über trans Realitäten. Offen, sachlich, verletzlich und klar spricht Henri Maximilian Jakobs mit Christina Wolf darüber, was es bedeutet, trans zu sein, und gibt Antworten auf all die brennenden Fragen rund um das Thema. Dabei erzählt Henri persönliche Anekdoten aus seinem Leben und seiner Transition und gibt Einblick in die Gefühlswelt von trans Menschen. Henri spricht über den kafkaesken Spießrutenlauf, den trans Menschen bewältigen müssen, um ihre Identität rechtlich und medizinisch angleichen zu können und lässt auch andere trans und nichtbinäre Menschen zu Wort kommen. "All die brennenden Fragen" ist ein Gespräch unter besten Freund*innen, bei dem die Leser*innen mit am Tisch sitzen: authentisch, eindringlich und kurzweilig.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 147

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Henri Maximilian Jakobs mit Christina Wolf

ALL DIE BRENNENDEN FRAGEN

Text © 2023 Henri Maximilian Jakobs und Christina Wolf

Alle Rechte, auch die der Bearbeitung oder auszugsweisen Vervielfältigung, gleich durch welche Medien, vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwas Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- und strafrechtlich verfolgt werden.

© 2023 Katalyst Verlag

ISBN 978-3-949315-49-7 | Katalyst #002

Katalyst Verlag ist eine Marke der

Luna Ventures GmbH | Prenzlauer Allee 186 | D-10405 Berlin

www.katalystverlag.de

Lektorat: Katja Korintenberg

Sensitivity Reading: Valo Christiansen

Korrektorat: Sophie Niemann

Satz: Julius Thesing

E-Book-Umsetzung: Arnold & Domnick, Leipzig

Coverfotografie: Urban Zintel

Vermittelt durch die Literaturagentur Arteaga

Verleger*innen: Anna & Lukas Kampfmann

Hinweis: Die Webseiten, die in diesem Buch aufgeführt sind, sind das Eigentum der jeweiligen Besitzer*innen. Der Katalyst Verlag hat keinen Einfluss auf die Webseiten, die in diesem Buch genannt werden, und trägt keine Verantwortung für die Inhalte, Genauigkeit oder die Produkte und Dienstleistungen, die auf diesen Webseiten angeboten werden. Eine Inanspruchnahme der Dienstleistungen, die auf diesen Webseiten angeboten werden, erfolgt auf eigene Gefahr. Daher empfehlen wir, die allgemeinen Geschäftsbedingungen, Datenschutzerklärung und sonstige Hinweise der Webseiten zu lesen, bevor diese benutzt werden. Dieses Buch ist eine Veröffentlichung des Katalyst Verlags und wurde von keiner anderen Person oder Körperschaft genehmigt, empfohlen oder lizenziert.

Menü

Buch lesen

Innentitel

Inhaltsverzeichnis

Informationen zum Buch

Impressum

INHALT

WAS DICH IN DIESEM BUCH ERWARTET

VORWORT

1 - LOST IN TRANSLATION

2 - DIE TÜCKEN DES SMALL TALKS

3 - ALLY, WER? ALLY, WIE?

4 - BEYOND THE BINARY

5 - KOMMST DU MIT?

INTERVIEWS MIT DER COMMUNITY

GLOSSAR

HIER FINDEST DU UNTERSTÜTZUNG

VORWORT

LASST UNS REDEN

Mein Name ist Henri Maximilian Jakobs und ich bin hingerissen, dass du dieses Buch einem Katzenvideo vorziehst. Was nicht heißt, dass ich deine Passion für selbige Videos nicht teile. In diesem Fall freut es mich allerdings, dass du lieber liest, danke also.

Was hat es mit diesem Buch auf sich und wer bin ich überhaupt? Ich bin Musiker, Autor und mache gelegentlich künstlerische Ausflüge ins Theater. Das ist sehr schön. Doch um all das, was ich so beruflich treibe, soll es hier nicht gehen. Das Buch handelt davon, wer ich jetzt bin und warum die aktuelle Version von mir erst ein paar Jahre alt ist. Extrem kryptisch?

Also, mein Name war nicht immer Henri und meine Frisur sah auch mal deutlich verwegener aus. Um es einfacher und weniger sagenumwoben auszudrücken: Ich bin trans. Das ist der Inhalt dieses Buches. Transsein. Es geht darum, was trans an sich, was Transsein bedeutet. Für mich. Für dich. Für andere. Auf allen Ebenen, die es so gibt.

Ich erzähle von den brennenden Fragen, die ich hatte, zum Teil noch habe, und den brennenden Fragen, die andere umtreiben.

Und was es mit einem macht, wenn man irgendwann nur noch über brennende Fragen diskutiert und gar nicht mehr darüber, wie wohl das Wetter wird. Oder was es sonst noch für alltagstaugliche Themen gibt.

Die aktuelle Zeit ist angeraut und laut, unser Buch ein Gespräch, mit dem wir um mehr Verständnis und Akzeptanz werben und einige Schieflagen geraderücken wollen.

Moment mal, unser Buch? Richtig. Ich bin nicht allein, sondern habe Verstärkung durch meine BFF Christina Wolf, sie ist Journalistin und sehr gut im Zubereiten eines überdimensional starken Kaffees. Wir unterhalten uns, um zu zeigen, dass genau das möglich ist: reden, Fragen stellen, verstehen. Klingt jetzt ein bisschen wie der Titel eines deutschen Popsongs, aber egal, darum geht es uns.

Die Anfangszeit von Henri vor einer gefühlten und, wenn ich ehrlich sein soll, irgendwie auch einer tatsächlichen Ewigkeit, hat Christina mit dem Mikrofon begleitet. Daraus entstand der Podcast „Transformer“. Den Namen habe ich mir nicht ausgedacht, das war irgendein findiger Redakteur – nur, um es mal erwähnt zu haben. Viele Menschen haben diesen Podcast damals gehört, einigen hat er geholfen und manche begleitet. Dieses Buch ist eine Art Fortsetzung unserer Unterhaltung, die wir damals geführt haben. Mit Perspektiven, die gewachsen sind, sich gewandelt haben oder bestätigt wurden.

Weil Gefühle eine komplizierte Sprache, aber bisweilen hilfreich dabei sind, das ein oder andere nachvollziehbarer zu machen, gibt es zu Beginn eines jeden Kapitels eine Anekdote aus meinem Leben. Weil das Abstrakte greifbarer wird, wenn es ein echtes Leben hinter sich herzieht und nicht nur im theoretischen, luftleeren Raum hängt.

Da trans Menschen bei jeglicher Äußerung gerne eine Agenda zum Umsturz unterstellt wird, möchte ich meine eigene transparent machen. An einem Umsturz oder der Weltherrschaft ist mir nicht im Geringsten gelegen. Auf meiner Agenda steht vielmehr, dass ich irgendwann meine Ruhe haben möchte. Ich nicht mehr mit wagenradgroßen Augen angeschaut werde, als wäre ich ein Zauberwesen, wenn ich sage, dass ich trans bin. Es vielleicht gar nicht mehr groß erwähnen muss, dass ich das bin, und in den Interviews, die ich bisweilen gebe, Fragen zu meiner Kunst oder meinem Faible für Backwaren gestellt bekomme und mich nicht dauernd und ausschließlich zum Thema Transsein äußern muss.

Ich möchte mich in allen Räumen bewegen dürfen und nicht bloß in den Nischen, die man uns um des guten Gewissen willens freiräumt. Ich wünsche mir, dass sich eine Selbstverständlichkeit entwickelt und etabliert. In der Öffentlichkeit und im Umgang miteinander. Einer Debatte oder einem Austausch bin ich nicht abgeneigt, solange nicht schrill und mit zugehaltenen Ohren gesprochen wird. Sondern auf Augenhöhe, mit der Bereitschaft zuzuhören und verstehen zu wollen. Nur so geht es voran. Mit und für uns alle.

Genug geredet. Lasst uns reden!

LOST INTRANSLATION

DIESER NEUE NAME

„Wie heißt du?“

Vorstellungsrunde für ein neues Projekt. Vorstellungsrunden ... ein schlimmes Konzept, das in den katastrophalsten Momenten darin gipfelt, dass sich Erwachsene mit Wollknäueln bewerfen und Anekdoten aus ihrer Kindheit erzählen, um sich gegenseitig besser kennenzulernen. Ich wollte noch nie jemanden so gut kennenlernen, dass ich etwas auf die Person geworfen hätte. Eigentlich werfe ich Dinge auf Menschen, damit ich sie nicht näher kennenlernen muss.

Heute bleibt mir der Wollknäuelwurf erspart, meinen Namen muss ich trotzdem sagen. So überschaubar die Aufgabe auch ist, ich kriege sie nicht gerade glanzvoll hin.

Ich murmle: „Henri.“

Genauso gut hätte ich meinen Kopf auf einen Rasensprenger legen können in der Hoffnung, die Buchstaben würden sich so besser und weiter im Raum verteilen.

„Könntest du das noch mal wiederholen? Das war ein bisschen leise.“

Ein einfacher und gerechtfertigter Wunsch. Aber mein Gaumen scheint entzündet und der Name, den ich so frisch und schimmernd in mir trage, gefriert zu Eiswürfeln – die ihn kühlen könnten. Ich lasse sie langsam zergehen, gurgle mit dem Schmelzwasser und verschütte dabei keinen Tropfen. Henri. Der Name ist schön. Ich mag ihn. Aber wir fremdeln. Ich stoße mich an ihm wie an noch nicht eingelaufenen neuen Schuhen. Noch. Hoffentlich gewöhne ich mich schneller an „Henri“ als an meine Doc Martens. Mein Name soll nicht mit offenen Fersen hinken müssen, um dann irgendwann in der Ecke zu landen und voller Groll vergessen zu werden.

Dieser neue Name und ich sind wie zwei Bilder, die übereinandergelegt die Schwächen des flüchtigen Abpausens offenbaren.

Das Ungewohnte ist das eine. Hinzu kommt, dass ich mich nicht traue, offen zu dieser neuen Existenz zu stehen. Sie für mich zu beanspruchen und sie mir zu eigen zu machen. Eins mit ihr zu werden und nicht zwei unverbundene Punkte auf dieser Welt.

Bin ich schon männlich genug? Merkt man mir irgendetwas an? Meine Stimme ist eine holprige Landstraße, auf der man nicht allzu schnell vorankommt und nach kurzer Strecke in der Ödnis landet. Mein Gesicht hat die Form eines erstaunten Mundes und Kanten finden sich höchstens in meinen Versuchen, einen Small Talk aufrechtzuerhalten. Ab wann darf ich voller Überzeugung und mit Schwurhand als „er“ von mir sprechen, kernig „Henri“ hervorstoßen, wenn ich nach meinem Namen gefragt werde, ohne weiter darüber nachdenken zu müssen?

Ich weiß es nicht. Gerade ist allerdings auch nicht der richtige Zeitpunkt, um ein inneres Plenum abzuhalten. Die Gruppe erwartet eine Zusammenfassung der eigenen Existenz, kurzum: meinen verdammten Namen. Ich verdränge Luft in diesem Raum, also bin ich wohl.

„Henri“, sage ich minimal intensiver, aber zumindest laut genug, um die Runde zu befriedigen. Sie wendet sich der nächsten Person und dann Themen zu, die vorgeben, Weltgeschehen zu sein. Ich zupfe an meinem Pullover und versuche, etwas Luft unter all den Kleidungsstücken zirkulieren zu lassen. Mittlerweile habe ich eine eigene Klimazone entwickelt, so sehr bin ich mein eigenes Weltgeschehen und so heiß ist mir.

Ich sitze in einem geschlossenen Raum, in dem kein Schneesturm herrscht, und verbreite Winter. Ich trage eine dicke Jacke sowie Mütze, T-Shirt, Pulli. Eine Hose natürlich auch. Allerdings nur eine. In Berlin muss man das bisweilen dazusagen. Mein Rücken tut weh wegen des nicht nur wenig schicken, sondern auch massiv zu engen Sport-BHs, der die vermaledeite Brust an die Wirbelsäule nageln soll, und ich schwitze ganze Baggerseen. Hauptsache nicht zu viel Form enthüllen. Unplakatierte Litfaßsäule, die keinerlei Informationen bietet.

Ich kann der Diskussion nicht folgen, weil ich zum einen einem Kreislaufkollaps nahe bin und zum anderen, weil ich eigentlich nur darüber nachdenke, ob jemand ahnt, dass ich trans bin. Mir auf die Schliche kommt. Es wäre einfach schön, ohne Holpern in einer Gruppe aufgenommen zu werden.

Um mich als interessierten Teil des Kapitalismus und meiner Arbeit zu zeigen, nicke ich in regelmäßigen Abständen wie ein irgendwann angestoßenes Perpetuum Mobile des Wohlwollens.

Die einzige relevante Frage ist, wie meine neue Existenz und ich keinen Schatten auf diese sonnige Debatte werfen und bald an die frische Luft können, bevor uns eine Ohnmacht ereilt.

Christina: Vielleicht sollten wir mal mit einer ganz schnöden Begriffsklärung anfangen, Henri. Es gibt ja viele Wörter, mit denen trans Menschen sich beschreiben oder sie beschrieben werden: transsexuell, transgender, trans oder transident zum Beispiel. Welche Bezeichnung verwendest du? Und warum die anderen nicht?

Henri: Okay, sehr gut, ich packe all mein Wissen aus. Trans und transgender sind Überbegriffe für Menschen, die sich nicht oder nur teilweise mit dem bei ihrer Geburt eingetragenen Geschlecht identifizieren. Du kommst auf die Welt, in deiner Geburtsurkunde steht zum Beispiel „weiblich“, aber das deckt sich nicht mit dem, was du fühlst.

Transident ist mal als Alternative zu transsexuell eingeführt worden, weil man klarmachen wollte, dass Transsein eben nichts mit der sexuellen Orientierung zu tun hat, sondern mit der Identität.

Es gibt trans Personen, die für sich selbst trotzdem noch das Wort transsexuell benutzen, ich tue das nicht. Ich finde den Begriff veraltet und schwierig, auch, weil er sehr mit Krankheit, einer Pathologisierung und Stigmatisierung verbunden ist. Man denke nur an das in Deutschland geltende, unsägliche „Transsexuellengesetz“ von 1981, das hoffentlich bald durch das Selbstbestimmungsgesetz abgelöst wird. Im TSG, kurz für Transsexuellengesetz, steht, dass man zwei Gutachten einreichen muss, in denen bestätigt wird, dass man trans ist und sich das auf keinen Fall jemals ändern wird.

Trans als Adjektiv ist mein Favorit. Warum? Mir wäre es am liebsten, wenn trans ein Aspekt wäre, der mich beschreibt. Wie die Tatsache, dass ich blaue Augen habe, meine Haare größtenteils braun sind, ich irgendwo in besagten Haaren einen Wirbel habe, der jegliche sinnvolle Frisur unmöglich macht, laute Geräusche mich erschrecken, mein Blick immer etwas bewölkt aussieht und, und, und. Eine Eigenart von vielen anderen, auf die ich keinen Einfluss hatte. Die da ist. Keine Lücke, in die andere ihr Mitleid, ihren Hass oder ihre Faszination pflastern können. Nichts Defizitäres. Eine Ergänzung zu dem, wer ich bin. Geschlechterklischees finde ich zwar etwas fad, aber wenn man in dieser Kiste kramen will: Ich hatte keine Puppen, habe mich geweigert, Kleider zu tragen, und alles Weibliche an mir verachtet. Und eigentlich auch überhaupt nicht in Betracht gezogen. Das war von Anfang an so. Ganz gleich, ob es jetzt um Äußerlichkeiten oder Verhaltensweisen ging. Weiblichkeit war mir fremd, eine vernuschelte Sprache, die ich überhaupt nicht verstanden habe, egal wie sehr ich zuhörte.

Ich erinnere mich an einige Momente, in denen du lost in translation warst – zum Beispiel, wenn es um so klischeehaft weiblich konnotierte Dinge ging wie Schminken –, und ich kurz befürchten musste, du würdest dir mit meiner Wimperntusche die Zähne putzen wollen.

Macht man das nicht so?

Genug der Albernheiten! Wir klären hier wichtige Begrifflichkeiten! Trans also: Manche Menschen schreiben trans, andere bevorzugen die Schreibweise trans*, also mit einem Sternchen am Ende. Das Sternchen schreibe ich – aber sprechen tu ich’s nicht, oder? Beim Gendern macht man da diese kurze Pause.

Korrekt. Wenn das Sternchen als Platzhalter für alle Geschlechter fungiert, nicht nur für binäre, und du danach noch etwas dranhängst – nehmen wir als Beispiel das Wort „Bäcker*in“ –, machst du beim Sprechen nach dem Sternchen eine kurze Pause. Um es mal zu versinnbildlichen: Bäcker(Pause)in. Nicht sehr verzwickt, oder? Man macht keine Klick- oder Knarzgeräusche, um das Sternchen darzustellen. Nur für den Fall, dass das irgendwer behauptet.

So ist es beim Gendern. Jetzt zu meiner Disziplin. Auch beim Wort trans* wird das Sternchen nicht laut mitgesprochen. Du sagst also nicht extra „Sternchen“. Ich möchte noch erwähnen, dass nicht alle trans Menschen das Sternchen verwenden, weil sie es als Selbstbezeichnung für sich nicht passend finden. Ich verwende es zum Beispiel nicht, weil ich das Sternchen als Platzhalter sehe. In meinem Fall für männlich, also transmännlich.

Du hast vorhin gesagt: „Das war von Anfang an so“, dass du nichts Weibliches für dich in Betracht gezogen hast. Trotzdem hat es ein Weilchen gedauert, bis dir klar wurde, dass du trans bist. Wann und wie kam es schließlich dazu?

Ich habe irgendwo einen Artikel zum Thema gelesen, wo genau, erinnere ich nicht mehr. Irgendwas hat in mir danach angefangen zu klingen und ich musste wissen, warum mich dieser Artikel so berührt hatte. Eine unbestimmte Resonanz auf das Gelesene war da. Ich habe das komplette Netz durchgraben, YouTube-Videos geschaut, mich bei Instagram informiert, alles aufgesogen, was ich finden konnte. Und, kurzer Einschub, nein, das Internet hat mich nicht trans gemacht, es hat schlicht gar nichts damit zu tun.

Wann habe ich es kapiert? Es gab nicht diesen einen erleuchtenden Moment, in dem mir auf einmal klar wurde, was Fakt ist. Vielmehr war es ein Freilegen und Abschälen von Zweifeln, Ängsten und Sorgen, bis irgendwann die Gewissheit da war, dass all der Hass und die Wut auf mich und meinen Körper vom Transsein rührten. Vieles hat auf einmal Sinn ergeben, die ganzen Kämpfe, die Verzweiflung, das Falsch-Fühlen. Natürlich gab es vorher ab und an das Aufflackern einer Ahnung, sie ist jahrelang um mich herumgeschlichen, aber ich habe sie immer wieder weggedrückt, weil ich sie nicht verstanden habe. Weil ich Angst hatte. Weil ich todunglücklich war, dieses Unglück mir aber zumindest vertraut war und mir eine Art Sicherheit gegeben hat. An wen sollte ich mich wenden? Wie könnte das alles funktionieren mit der Transition? Selbst als ich eigentlich schon wusste, dass es für mich nur eine sinnvolle und wahre Richtung geben kann, habe ich mich noch gesträubt. Aber es gibt halt nur eine Wahrheit, die man leben kann, in meinem Fall war und ist es die, trans zu sein.

Und dann hast du es irgendwann uns, deinen Freund*innen mitgeteilt. Da hast du dir wieder ziemlich viele Gedanken gemacht, oder?

Du kennst mich, soziale Interaktion ist oftmals etwas sperrig und unhandlich für mich …Wie viele Gedanken über Gespräche ich mir im Vorfeld gemacht habe! Wären sie aus Stoff gewesen, hätte ich ganz Deutschland einen schönen Wintermantel nähen können. Ich erinnere mich, wie lange es in den ersten persönlichen Gesprächen gedauert hat, bis ich mein Anliegen über die Lippen gebracht habe. Zu sagen: Ich bin trans und das heißt das und das. Ein einziges Herumgedruckse und Gestotter. Ein Fehlen von Worten. Sehr anstrengend. Ich hatte wirklich überhaupt keinen Wortschatz, keine Werkzeuge, um zu sagen, was los ist. Um es mir und allen Beteiligten etwas weniger qualvoll zu machen, habe ich einen Post für Facebook verfasst. Ich habe ein Bild von mir mit gephotoshopptem Schnurrbart hochgeladen und gesagt, dass mir nicht deswegen ein stolzer Schnurri wächst, weil das Berliner Trinkwasser verseucht ist, sondern weil ich trans bin. Und noch ein paar erklärende Zeilen. Das habe ich auf der Seite meiner Band und bei mir privat gepostet. Danach habe ich mein Handy ausgeschaltet, weil ich mich gefürchtet habe. Nach einem Tag habe ich den Mut aufgebracht, es wieder anzumachen. Entgegen meiner Erwartungen, war die Welt nicht untergegangen. Ganz im Gegenteil, die Reaktionen waren immens freundlich. Danach habe ich mir das Stammeln gespart und immer nur den Link zum Post geschickt, wenn ich es jemandem sagen musste. Ob das Berliner Trinkwasser wirklich okay ist, weiß ich tatsächlich gar nicht.

Was mir in der Rückschau auffällt: Eigentlich hast du es erst gesagt, als du diese Wahrheit für dich sicher wusstest. Weil dir klar war, dass wir dir vorher keine Hilfe sein würden, oder warum?

Ich wusste selbst nicht, was ich machen soll oder wie eine Hilfe hätte aussehen können. Vermutlich habe ich es aufgrund meiner Angst, wie ihr reagieren oder was ihr davon halten würdet, hinausgezögert. Woher sollte ich wissen, was ihr denkt, was ihr erwidert? Es stimmt, dass ich zu Katastrophenszenarien neige, aber dennoch: Was, wenn sich alle von mir abgewendet hätten? Wenn mein Leben sich komplett verkantet und ich schlussendlich ganz alleine dagestanden hätte? Ohne Freund*innen, Arbeit, irgendeine Form des Zusammenhalts? Es hat mich maximale Überwindung gekostet, es den Leuten zu sagen, mich mit den Reaktionen auseinanderzusetzen und letztlich auch einzelne Personen oder Umstände zurückzulassen. Aber es ging nicht anders. Und ich möchte noch etwas anmerken: Die Gewinne übersteigen heute die Verluste bei Weitem.