Alles außer Tanzen - Bernhard Brink - E-Book

Alles außer Tanzen E-Book

Bernhard Brink

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Beschreibung

Mit gut fünfzig Albumveröffentlichungen und doppelt so vielen Singles ist er einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Schlagerstars – und ein Tausendsassa. Seit Anfang der 1990er Jahre moderiert Bernhard Brink auch im Radio und Fernsehen, seine MDR-Show »Schlager des Monats« ist ein Quotenbringer. Nur als Promitänzer bei »Let's Dance« gab er keine so gute Figur bei der Jury ab ... Privat erweist sich der grundsympathische Sänger als absolut geerdet. Seit 1981 ist er mit seiner Frau Ute zusammen. Daneben engagiert er sich für Dinge, die ihm wichtig sind: Er teilt seine Erfahrungen in Sachen Demenz, an der sein Vater litt, unterstützt sozialschwache Kids in Berlin sowie José Carreras' Leukämie-Stiftung und positioniert sich öffentlich gegen Rechts. Heute ist Bernhard Brink so präsent wie nie. Anlässlich seines 50. Bühnenjubiläums und seines 70. Geburtstags am 17. Mai '22 blickt Bernhard Brink auf sein beachtliches Leben zurück, erinnert sich an die Hochs und Tiefs seiner Karriere und beschenkt sich und seine Fans mit einer bemerkenswert lebensbejahenden und unterhaltsamen Auto - biografie.

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Bernhard Brink

mit Tomas de Niero

Alles außer Tanzen

Die Autobiografie

Bild und Heimat

Prolog

Ich habe mir lange Gedanken darüber gemacht, wie solch ein Buch zu meinem siebzigsten Geburtstag und darüber hinaus zu meinem fünfzigsten Bühnenjubiläum wohl aussehen könnte.

Ein komplettes Künstlerleben zu erzählen ist eh unmöglich und so kann hier nur ein Bruchteil davon berichtet werden.

Ich habe mich dazu entschlossen, meine Erinnerungen in diesem Buch frei von Abrechnungen und gefühltem Nachtreten zu gestalten. Zu schnell gerät man in den Ruf, auf Kosten anderer einen Erfolg erzielen zu wollen. In der Rückschau zwingt man sich, über vieles nachzudenken, und beginnt Dinge noch einmal ganz anders aufzuarbeiten. Das ist ein aufregender Prozess.

Ich möchte die Leserinnen und Leser an die Hand nehmen und sie mit Hilfe von unumstößlichen Fakten wie Zeit und Ort meiner Geburt, aber auch anhand von Anekdoten und persönlichen Geschichten durch mein buntes Leben führen. Es sind schwierige Zeiten, in denen wir uns befinden, geprägt von überwiegend schlechten Nachrichten, deshalb erzähle ich hier heiter und unterhaltsam aus meinem Leben, so wie ich nun einmal bin.

Viel Spaß

Ihr/Euer Bernhard

1 – Der Junge aus Nordhorn

Es geht immer weiter, ja, aber wie fing alles an? Am 15. April 1972, im zarten Alter von neunzehn Jahren, tauchte in der »ZDF-Hitparade« ein neues Gesicht auf – meins. Von Kult-Schnellsprecher Dieter Thomas Heck in unnachahmlicher Weise, mit geübter Geste und wehendem Goldarmband am Handgelenk präsentiert:

»… hier ist die Startnummer sieben, Bernhard Brink: ›Bombenfest‹ …«

Für mich war das quasi der Sprung von der Straße direkt ins damals eiskalte Wasser des Showgeschäfts. Der Anfang meiner musikalischen Reise, die bis heute andauert und immer weitergeht. Aber wie war ich bis dorthin, in die bedeutendste Musiksendung für deutschsprachiges Liedgut zu jener Zeit, gekommen?

Nun, als ich geboren wurde, war ich noch sehr jung! Der geneigte Leser merkt hier schon, ich bin ein humorvoller Zeitgenosse, der schon als Kind den Schalk im Nacken hatte.

Im Mai 1952, in der Zeit des aufblühenden Wirtschaftswunders in Deutschland, nur sieben Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, standen Neuaufbau und wirtschaftlicher Aufschwung auf dem To-do-Zettel der Bundesrepublik – und für meine Eltern zusätzlich noch meine Geburt!

Ich hatte eine wirklich sehr schöne Kindheit und Jugend, wuchs in einem wunderbaren bürgerlichen Elternhaus mit meiner älteren Schwester Sonja auf. Und das geschah im niedersächsischen Nordhorn, wo meine Eltern Evert und Gerda Brink lebten.

Ein paar beispielhafte Schritte des kleinen Bernhard durch eine wirklich idyllische Kindheit und Jugend sollen dies vorführen:

Im Alter von sechs Jahren sollte ich in die Schule kommen, aber meine Eltern waren der Meinung, ich wäre noch etwas zu unreif, und ließen mich ein weiteres Jahr zu Hause. Das bescherte mir im Nachhinein betrachtet ein unbeschwertes Kindheitsjahr mehr.

Schließlich wurde ich mit sieben Jahren eingeschult und ging dann vier Jahre in die Schule, mit elf bestand ich das Abitur, hätte ich beinahe gesagt, nein, ich meine, mit elf Jahren kam ich ins Gymnasium, und auch da verlebte ich wunderbare Jahre.

Mit meiner Schwester Sonja bei meiner Einschulung 1959

Da es meinen Eltern wirtschaftlich immer gut ging, wir waren, glaube ich, eine der ersten Familien, die einen Fernseher besaßen, und auch sonst fehlte es mir in meiner Kindheit an nichts. Ich kann mich noch gut erinnern, Mitte der Sechzigerjahre Boxkämpfe wie Sonny Liston gegen Muhammad Ali, der bei seinem ersten Sieg gegen den amtierenden Weltmeister im Schwergewicht Liston noch unter seinem Geburtsnamen Cassius Clay antrat, gesehen zu haben. In Nordhorn machte ich dann meinen Schulabschluss, wobei man mich die zwölfte Klasse zweimal absolvieren ließ, wahrscheinlich weil ich immer nur auf dem Tennisplatz zu finden war … Hatten sich meine Eltern etwa mit der Schule abgesprochen? Tennis war von klein auf meine favorisierte Sportart, ich liebe und lebe diesen herrlichen Sport bis heute. Im Nachhinein betrachtet verlor ich durch das Wiederholen der zwölften Klasse ein ganzes Jahr, danach aber wurde ich sehr ehrgeizig und schaffte die zwölfte Klasse schließlich problemlos.

Durch das neugewonnene Selbstbewusstsein, alles packen zu können, wenn auch manches Mal im Leben erst beim zweiten Anlauf, durchlief ich eine unglaublich ruhige dreizehnte Klasse. Das Abitur war okay, mit einem Durchschnitt von drei Komma null. Ich verspürte eine innere Gelassenheit, empfand wenig Stress und war von den sechzehn Jungs im naturwissenschaftlichen und mathematischen Zweig die Nummer neun, also nicht Champions League, nicht Europa League, aber auch kein Abstiegskandidat, gesichertes Mittelfeld sozusagen. Kleine Hürden sind immer zu meistern, nicht jeder mag mich gleich auf Anhieb, kaum zu glauben, aber wahr, so wie beispielsweise mein damaliger Physiklehrer, der hatte mich auf dem Kieker. Aber als ich dann im ersten Halbjahr von Klasse dreizehn in der Physikarbeit eine Drei plus schrieb, weil ich voll darauf gesetzt hatte, mit einem Freund Induktion/Selbstinduktion zu üben und das Thema dann auch tatsächlich kam, war das mein großes Glück. Mein Lehrer sagte, er wisse, dass ein Schummeln unmöglich gewesen sei und er keine Ahnung habe, wie ich das hinbekommen hätte, aber von da an hatte ich Ruhe, auch vor ihm. So erlangte ich schlussendlich mein Abi.

Es gab eine Phase, so mit sechzehn, siebzehn Jahren, in der ich alles nachsang, was in der damaligen Schlagerwelt zu hören war. Bei uns in Nordhorn lief das Radio­programm des Norddeutschen Rundfunks, meine Mutter hatte das immer an, ich hörte Heintje singen, und irgendwann sah ich die auf Anhieb erfolgreiche »ZDF-Hitparade« zum allerersten Mal im Fernsehen. Ein Schlüsselerlebnis, ich war sofort fasziniert. 1969 fing es an, in diesem Studio der Berliner Union Film in der Oberlandstraße, wo der Kontakt zwischen Publikum und Sängern und Sängerinnen so hautnah war, so intim, und man seine Stars hätte mit der ausgestreckten Hand berühren können.

Diese Stimmung und diese Stimmen fand ich derart toll, dass ich wieder und wieder die Künstler nachahmte. Beispielsweise einen Ulli Martin mit seinem Hit »Monika«. Der Bäcker im Haus gegenüber von unserem sagte oft: »Ich kann es nicht mehr hören, immer singt der Bernhard ›Monika‹.«

Das heißt, ich habe es immer und überall geübt, vor seinem Laden, in seinem Laden und wahrscheinlich habe ich ihn damit auch noch bis in seine Träume verfolgt! Der arme Kerl war völlig fertig, völlig genervt.

Meine Mutter hingegen hat sich toll verhalten und mich einfach gewähren lassen. Ich bin dann des Öfteren heimlich mit meinem Solex-Mofa nach Schüttorf gefahren, was sechzehn Kilometer von Nordhorn entfernt liegt, zum Gesangsunterricht bei einer Opernsängerin. Und da absolvierte ich – für mich damals – blöde Gesangsübungen. Aber ganz umsonst war das nicht. Es gab mir auf eine unterbewusste Art eine gehörige Portion weiteres Selbstvertrauen. Mit seiner eigenen Stimme konzentriert zu arbeiten ist schon ein wesentlicher Schritt in Richtung Erfolg.

In dieser Zeit wuchs in mir der Glaube, ich könnte das, was die Stars da in der »Hitparade« sangen, selbst genauso gut singen. Und diese Überzeugung erzählte ich meinem Onkel, Heinz Bettelmann. Dieser wiederum hatte eine Band, die Original Teddys, welche auf Hochzeiten und bei verschiedenen Abendveranstaltungen in großen Tanzsälen spielten. Und dabei sangen sie all die bekannten Schlager nach. Da brachte ich mich selbst ins Spiel und sagte, dass ich das auch könnte, worauf er mir freundlicherweise anbot, es doch einfach mal zu probieren.

Also ging es zu uns ins Schwimmbad. Meine Eltern waren derart gut situiert, weil mein Vater nach seiner Rückkehr aus russischer Gefangenschaft als Architekt in Nordhorn die kleinen Einfamilienhäuser erbaute, dass wir uns sogar ein eigenes Schwimmbad leisten konnten.

Ich war also beneidenswert privilegiert, um es noch mal deutlich zu sagen, durch die Gunst einer wohlhabenden Geburt, ich musste, anders als meine Eltern, keinen Krieg erleben, sondern erst jetzt, seit 2020, befinde ich mich in meiner persönlich größten Krise, und das ist ohne jeden Zweifel die Corona-Pandemie …

Zurück zu meinen ersten Schritten als Sänger. Mein Onkel hatte zwei, drei Songs vorbereitet und wir sind also ins Schwimmbad. Das Ganze wurde dann mit einem Uher-Tonbandgerät aufgenommen. Wenn ich mich recht erinnere, war »Silvermoon Baby« von Randolph Rose einer der Songs, und mein Onkel hörte sich alles an und sagte schließlich zu meiner Mutter, dass ich tatsächlich toll singen könne. Am liebsten würde er mich mal abends zu einer Veranstaltung mitnehmen, um auszuprobieren, ob und wie ich auf die Leuten wirke.

»Von nix kommt nix«, meinte meine Mutter aufgeregt.

Und die unglaubliche Geschichte, die nun folgt, hat sich genau so zugetragen.

Ich hatte ja das Band und dachte, dass ich das mal irgendwohin schicke. Oder was sonst sollte ich damit machen?

Es war die Zeit des Vorabiturs, noch in der zwölften Klasse, als wir zur Klassenfahrt auf Skifreizeit nach Tirol reisten, eine Gruppe von zehn, zwölf Schülern und ein paar Lehrern. Mein Band hatte ich immer im Schlepptau. Wir waren quasi miteinander verwachsen. Einen Radio­empfänger schleppte ich damals auch ständig mit mir herum und hörte alles, was es an Musik gab. Beispielsweise Lynn Anderson mit dem Titel »Rose Garden«. Diese Sängerin hat einen besonderen Platz in meinem Herzen. Denn später lernte ich eine Austauschschülerin kennen, die auch Lynn Anderson hieß. So weit, so schön. Das war der erste sexuelle Kontakt, den ich in meinem damals noch kurzen Leben hatte. Musik verbindet, wie man sieht!

Ich hatte während dieser Tirol-Reise also stets die Tonbandaufnahme dabei und kam in ein Kaffeehaus. Oben an einer Zwischenstation des Skigebiets. Da war so ein Typ und ich sah zufällig, dass er ein Tonbandgerät dort stehen hatte und fragte höflich, ob er nicht mal mein Band abspielen könne. Drum herum standen ein paar meiner Mitschüler und wollten das Band natürlich auch hören. Ja, was für ein Band denn überhaupt, was denn auf dem Band wäre. Ja, ich würde da selbst singen. Der Typ guckte etwas verstört, murmelte »Gott o Gott«, sagte dann aber, im Moment wären eh keine Gäste da und so könnte man das ruhig mal anhören. Der Typ, das war der Josef Kurz, der leider vor kurzem verstorben ist. Er hat in dieser Zeit auch ab und zu bei einem prominenten Gastronomen in Berlin, bei Neffi Neumann, gearbeitet. Sonst half Josef des Öfteren seiner Schwester in Tirol aus.

Josef Kurz hörte das Band dann gemeinsam mit uns Schülern an und sagte plötzlich: »Das ist ja richtig gut. Bist du das wirklich? Das hört sich echt gut an. Ich kenne da in Berlin den Dieter Behlinda, den Manager von Michael Holm und Christian Anders.« Der verkehrte natürlich wie alle anderen Promis bei Neffi. Und Josef sagte weiter: »Pass mal auf, Jungchen, lass mal das Band hier bei mir, ich guck mal, was sich da machen lässt.«

Wie ich heute weiß, war der gute Josef eher dem männlichen Geschlecht zugetan, und so war er vielleicht hilfsbereit, weil er sich in Anbetracht meines damals süßen Popöchens Chancen ausrechnete. Wer weiß …

Damals war ich wirklich noch sehr naiv. Ich fand es erst einmal enorm gut, wie einer sich um meine Wünsche kümmerte, und überließ ihm das Band. Später dachte ich: Das Ding siehst du nie wieder, da hörst du nie wieder etwas von, bist du denn bescheuert! Es gab ja keine weitere Kopie.

Ja, und da saß ich nun in Nordhorn, das war 1971, und irgendwann flatterte eine Postkarte ins Haus. Moment, das muss man jungen Leuten erklären, die wissen womöglich gar nicht mehr, was das ist. Also, eine Postkarte war ein Stück beschriebener Karton mit einer Briefmarke darauf. Die steckte man dann in einen der gelben Briefkästen der Post oder gab sie in einer Postfiliale ab. Und auf ebendieser Postkarte, die dann in unserem Briefkasten landete, stand wirklich eine Einladung nach Berlin zu einem Vorsingen. Man unterbreitete mir zwei Vorschläge, Titel, die ich vorsingen sollte. Natürlich war ich in heller Aufregung, wie man sich denken kann, und verfiel in eine nie gekannte Betriebsamkeit, schrieb zurück und vereinbarte einen Termin.

Meine Eltern waren überraschenderweise überhaupt nicht dagegen, hofften sie doch, dass ich nach einer professionellen Beurteilung meiner Sangeskünste endlich aufhören würde, der Idee nachzujagen, ein Schlagerstar in der »Hitparade« werden zu wollen. So brachen Vater und Sohn zuerst nach Hannover auf, um dann mit einer Maschine der Pan Am über das Hoheitsgebiet der DDR hinweg nach Westberlin zu fliegen, ab in ein Hotel der großen Stadt.

In einem Restaurant sorgte dann eine Mischung aus kulinarischer Unkenntnis und Aufgeregtheit für das erste Highlight. Ich verwechselte eine Bohne mit einer scharfen Peperoni. So saß ich im Zlatá Praha, einem angesagten Lokal in der Meinekestraße am Ku’damm, und hatte Schnappatmung. Weltgewandt geht anders.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war der Tag der Tage gekommen, mein großes Vorsingen. Freund Josef hatte Wort gehalten und diesen Termin ermöglicht. Neben besagtem Manager Dieter Behlinda war noch Pit Manikowski anwesend, ein erfahrener Tontechniker. Natürlich war ich sehr nervös, doch meine Aufregung legte sich nach und nach beim Singen.

»Guck mal, jetzt wird er ruhiger«, kommentierten die Herren, und weiter: »Der kann ja richtig singen.« So weit, so gut. Der große Behlinda schnappte sich das Band, Pit bearbeitete es noch ein bisschen im hauseigenen Studio, und damit wollten sie zu Peter Meisel, einem der beiden Chefs der Meisel Musikverlage. Da der wohl keine Zeit hatte oder nicht da war, ging es zu Bruder Thomas Meisel. Erst einmal hörte er sich in aller Ruhe das Band an. Dann bestellte er einen Fotografen, um Fotos von mir machen. In meiner Naivität dachte ich anfangs, wir würden ein paar nette Bilder am Ku’damm und um die Gedächtniskirche herum knipsen … Gott muss der als Fotograf aber schlecht sein, ging es mir dann beim Shooting durch den Kopf, der trifft mich ja nie richtig mit seiner Kamera, der macht ja über zweihundert Fotos!

Damals hatte ich keine blasse Ahnung. Man muss sich vorstellen, ich aus Nordhorn mit gerade mal siebzehn, achtzehn Jahren hatte ja den geschätzten Wissensstand eines fünfzehnjährigen Berliner Görs! In Nordhorn lebten wir hinter dem Mond. Auch wollte ich immer jünger sein, weil ich so im Tennisclub bei den Fünfzehnjährigen spielen konnte, die Sechzehnjährigen waren da schon schwerer zu schlagen … Alle anderen wollten älter sein, wollten ins Kino, wollten schon ausgehen. Mich interessierte das noch nicht, ich war eher ein Spätzünder. Trotzdem kamen langsam, aber sicher die Gefühle zwischen meine Beine, was die Mädels anging, und da war ich auch sehr einseitig belichtet. Lange Rede, totaler Unsinn. Abends kehrten wir bei Neffi Neumann ein und ich sog genüsslich die Atmosphäre des nach Prominenz riechenden Ladens ein, stellte mir vor, dass irgendwann ich hier sitzen würde, als großer Schlagerstar, nach einem Platz 1 in der »Hitparade«, und andere würden mich bewundernd ansehen.

Am nächsten Tag flogen wir nach Hause, über Hannover zurück nach Nordhorn. Meine Eltern meinten einhellig, dass es das wohl gewesen wäre. Nix Schlagerstar, schön studieren und dann als Juniorchef ab in die väterliche Firma.

Am darauffolgenden Montag kam meine Mutter in ihrem Auto ganz aufgeregt zu meinem heißgeliebten Tennisplatz angerast und sagte:

»Bernhard, Bernhard, die haben aus Berlin angerufen. Sollst da mal zurückrufen.«

Damals war das ja alles etwas komplizierter. Mal eben das Handy zücken ging noch nicht. Man hatte idealerweise ein Telefon zu Hause, das an eine Leine gekettet war, die schnurlosen Apparate gab es erst ab 1987. Unterwegs telefonieren war nur in einer Telefonzelle möglich, wenn man denn eine fand.

Zurück zum Anruf aus Berlin. Ich war natürlich hochaufgeregt, mein Solex-Mofa konnte gar nicht so schnell fahren, wie ich in die Pedale trat, um so schnell wie irgend möglich nach Hause zu gelangen. Zu Hause angekommen, rief ich die Berliner Nummer an und man verband mich mit Thomas Meisel.

»Mein Lieber«, sagte er, »du singst sehr gut. Ich möchte mit deinen Eltern reden, um mit ihnen einen Vertrag für dich zu besprechen.« Aus diesem Gespräch ist dann gleich ein Zweijahresvertrag mit vier Singles entstanden. Das war ja damals so, es gab jedes halbe Jahr eine Single.

Meine Eltern fielen erst einmal aus allen Wolken. Was war denn nun passiert?

Jetzt, so kurz vor dem Abitur und auf dem Wege in ein Studium, dieser Umbruch? Ein Jahr später wollte ich Abi machen und überlegte natürlich hin und her. Eigentlich wollte ich Jura studieren, das Architekturbüro meines Vaters wollte ich nicht übernehmen. Meine Gedanken wirbelten in meinem Kopf. In Münster studieren, wo meine Mutter mich wahrscheinlich oft besuchen würde, um zu gucken, was denn der Junge so treibt, das wollte ich ebenso wenig.

Ich mochte Berlin. Für meine Eltern war ein Umzug ihres neunzehnjährigen Sohnes nach Berlin indiskutabel, weil ich, wie gesagt, noch sehr unerfahren war und auch von einer Liebespartnerin keine Unterstützung zu erwarten war. Aus Mangel, weit und breit war da noch keine in Sicht.

Nach vielem Hin und Her war es eines Tages doch so weit. Wild entschlossen stieg ich in meinen Ford Capri und fuhr los, den Vertrag hatte ich bereits unterschrieben. Das war ein Riesenschritt für mich und auch für meine Mutter, die noch lange auf der Straße vor dem Haus stand und mir nachschaute. Dieses Bild sehe ich noch heute klar und deutlich vor meinem geistigen Auge. Der Abschied fiel uns beiden sehr schwer, aber ich wollte es unbedingt wissen, ich wollte auf die Bühne! Auf die Bühne der »ZDF-Hitparade«.

Und so fuhr ich 1971 in einer herrlichen Aufbruchsstimmung gen Berlin. Ein Jahr zuvor hatte ich bereits einen Song aufgenommen, eine von Gunter Gabriel geschriebene Nummer: »Alles, was ich habe«. Das fand ich immer noch unglaublich. Aber das hatte Thomas Meisel nicht gereicht. Und so hatten wir bereits ebenfalls den Titel »Bombenfest« aufgenommen.

Die Songs gefielen den Leuten in meiner ersten Plattenfirma ganz gut. Auf einer der berühmten Meisel-Partys stand ich in der Gegend herum und es lief ständig mein Lied. Dieter Weber, Redakteur der »Hitparade«, war ebenfalls auf der Fete.

»Was ist das? Das Lied habe ich schon zweimal in Folge gehört!«

Das ergab sich, weil die Bänder, wenn sie durchgespielt waren, wieder von vorn liefen. Michael Kudritzki vom Musikverlag erzählte dann ein wenig von mir, neuer Sänger, tolle Stimme …

»Mensch, das ist ein schönes Lied, biete das doch mal für die ›Hitparade‹ an«, war der schöne Kommentar des Herrn Weber.

Es kam, wie es kommen musste. Im April 1972, und daher fällt mein fünfzigstes Bühnenjubiläum ins Jahr 2022, stand ich wirklich und wahrhaftig das erste Mal in der »Hitparade« auf der Bühne. Erstaunlich, was ein Wille für Berge zu versetzen mag! Das muss man sich mal vorstellen. Ich war jung und ahnungslos, hatte keinerlei Erfahrung, und so war es mehr oder weniger ein Start von null auf hundert …

»Ein neues Gesicht …« Dieter Thomas Heck moderierte mich in seiner unnachahmlichen Art an.

Bei der Fernsehübertragung lief meine Mutter vor lauter Aufregung aus dem Haus, sie konnte das Zusehen nicht ertragen. In ganz Nordhorn wurde es still, und man könnte sagen: In meiner Heimatstadt wurde ich über Nacht zum Star. Es war unbeschreiblich. Ich hatte Blut geleckt und war wild entschlossen, diesen Weg weiterzugehen!

Und so ging ich konsequenterweise im Herbst fest nach Berlin und schrieb mich auch an der Uni ein. Mein Vater kaufte mich unterstützend ein kleines Apartment in der Margaretenstraße in Lankwitz, in dem ich von 1972 bis Herbst ’74 wohnte. Dann wurde die Wohnung in der Herthastraße erworben und mit Hilfe der Handwerker meines Vaters aus Nordhorn ausgebaut.

Langsam kommt nun Gerhard Kämpfe, mein erster Manager, ins Spiel. Ich war ein ganz normaler Jurastudent, war viel unterwegs, tat, was junge Leute in einer so faszinierenden Stadt wie Berlin so tun, besuchte viele Partys, und dort sah ich zum ersten Mal G. G. Anderson, der damals aber noch nicht so hieß, das kam erst 1980, da wurde er für den Schlager entdeckt. Er spielte Schlagzeug in der Band Love and Tears am Fehrbelliner Platz, im Riverboat, und sang auch all die großen Hits von Smokie und anderen angesagten Bands nach, ganz hervorragend, muss ich sagen.

G. G. Anderson und ich im Jahr 2009, als ich ihm in der MDR-Show »Die Schlager des Jahres« mit einer überdimensionalen Torte zum sechzigsten Geburtstag gratulierte

Nun, ich hatte meinen ersten »Hitparaden«-Auftritt hinter mir, der, im Nachhinein betrachtet, noch nicht das Gelbe vom Ei war, aber es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ich war unwissend, da sind die Anfänger bei DSDS heute besser vorbereitet, als ich es damals war. Die bekommen Gesangslehrer, Stylisten, Tanzlehrer und noch vieles mehr …

Von der Straße direkt in die »Hitparade«. Du wurdest ja nicht wirklich vorbereitet. Vielmehr wurde ich da hineingeschmissen und habe es ja auch überlebt … Auf meinen Auftritt hin kamen beispielsweise, nur um die damaligen Verhältnisse mal etwas eingehender zu beleuchten, allein für mich dreißigtausend Fanbriefe. Inhaltlich war so ziemlich alles dabei, von Schwulen, die mich anhimmelten, von vielen Frauen, die schockverliebt in den kleinen Bernhard waren, aber durchaus auch Kritisches, um es höflich zu sagen. Ich erinnere mich an einen Brief mit einem unmissverständlichen Wortlaut. So scheiße hatte ich nun auch nicht gesungen.

Die Briefträger in Nordhorn hatten bislang immer mit dem Fahrrad die Post zugestellt, jetzt kamen sie im Auto. Irgendwie war das großartig! Nur ein Jahr, nachdem ich meinen ersten Vertrag unterschrieben hatte, war ich schon am Zielort meiner Begierde.

Zur »Hitparade« im April 1972 war bereits im Januar das Lied »Bombenfest« herausgekommen. Ende des Jahres stand bereits die nächste Single an. Natürlich hatte ich noch viel zu lernen, war noch sehr unsicher und nervös. Aber der Gesang war gut. Auch in der »Hitparade«, die Stimme war da und so hatte ich den zweiten »Hitparaden«-Auftritt im Dezember 1972, mit »Be My Baby«, die deutsche Version lautet: »Wo steht das geschrieben?«

Meine Veröffentlichungen haben sich von Anfang an für die Plattenfirma gerechnet, da wir die Musikautomaten in den Gaststätten und Bars auf unserer Seite hatten. Damals waren die Automatenaufsteller ein wichtiger Vertriebs- und auch Verkaufsweg. Die Aufstellerfirmen kauften zwanzigtausend, manchmal dreißigtausend Singles auf einen Schlag für ihre Automaten, und das in meinem Fall bislang nur, weil ich in der »Hitparade« auftrat. Unter uns, meine beiden ersten Auftritte bezeichne ich heute durchaus als schlecht. Da war noch viel Luft nach oben, und ich habe im Laufe der Jahre immer freier geatmet!

Dann kam die dritte Single »Bist du einsam und allein«. Und in dieser Zeit, vor meinem dritten Auftritt in der »Hitparade« im Sommer 1973, trat Gerd Kämpfe in mein Leben.

Jux mit Gerd Kämpfe, meinem ersten Manager

Im Laufe des Jahres 1973 fand ein erstes Gespräch zwischen Gerd Kämpfe und Thomas Meisel statt, in dem es um meine Wenigkeit ging. Der dem Hause Meisel sehr verbundene Manager Dieter Behlinda hatte in meinem Fall abgelehnt, und das ziemlich ehrlich mit der Bemerkung, er könne keine Newcomer aufbauen, das wäre nicht sein Ding, er wäre nur gut bei bereits etablierten Künstlern. Und das traf das, was Dieter machte, auf den Punkt. Und so kam Gerd ins Spiel.

»Wen meinst du denn? Wen soll ich managen? Den Neuen aus der ›Hitparade‹, ach du Scheiße«, meinte der am Anfang wenig begeistert. Gerd Kämpfe weiter:

»Ich ging damals durch die Räume in der Wittelsbacherstraße, dem berühmten Sitz der Hansa Musik Produktion und der Meisel Verlage, hatte ja das Management vom Sänger Randolph Rose, der ebenfalls dort unter Vertrag stand, und hörte aus einem der Büros einen Titel. Da sang eine mir unbekannt vorkommende männliche Stimme ›Bist du einsam und allein‹.

So blieb ich stehen und fragte: ›Sag mal, wer ist denn das?‹

›Na, der Bernhard Brink!‹

›Ach du Scheiße‹, sagte ich. ›Der mit diesem grenzwertigen Bombenfest-Auftritt? Der hat ja eine tolle Stimme, aber wie der auftritt, wie ein Sandsack! Völlig verklemmt! Wie ist denn der so?‹

Mir wurde gesagt, er wäre irre sympathisch, auch intelligent, lernfähig … okay, kurzum, den wollte ich gern kennenlernen. Das geschah auch wenig später, da kam dieser Junge aus Nordhorn auf mich zu, und es stellte sich heraus, dass Bernhard ziemlich locker war, auch easy im Umgang mit den Menschen, im Prinzip also überhaupt nicht so wie sein Erscheinungsbild während seines ersten TV-Auftritts. Man müsste im eigentlich nur beibringen, wie man sich auf der Bühne zu bewegen hat und wie man zwischendurch auch mal was sagt. Dann ist der ein Knaller.

So ging es mit Bernhard und mir los.

Ich ging dann mit Bernhard ins Wu Wu, eine damals bekannte Diskothek am Nollendorfplatz in Berlin-Schöneberg. Ich kannte die beiden Besitzer sehr gut, und so sagte ich:

›Ich habe hier einen tollen Sänger, ich brauche eure Tanzfläche, damit der hier herumlaufen und seinen Auftritt üben kann.‹ Dann legte ich den Titel auf und nahm einen Glasaschenbecher, der für Bernhard die Fernsehkamera darstellen sollte. Vorher hatten wir uns ein Repertoire erarbeitet, wir hatten zwar noch nicht so viele eigene Titel, nur sechs Lieder, drei A- und drei sogenannte B-Seiten. Früher, um das den jungen Leuten mal zu erklären, gab es auf einer Single immer eine A- und eine B-Seite. Vornedrauf war meist der Hit oder der Song, der einer werden sollte, und hintendrauf eben die vermeintlich schlechtere Nummer.

Bernhard war immer schnell von Begriff, hatte dazu eine Kodderschnauze, wie man in Berlin sagt, und sorgte stets für Heiterkeit. Die hat er heute noch, die Kodderschnauze. Und die Heiterkeit.

Das ist ja so eine Art Markenzeichen von ihm geworden, was gut ist, bedeutet es nicht zuletzt Authentizität. Das hätte man ihm damals nicht wegnehmen dürfen, denn das war und ist seine Art, durch die er hochgradig glaubwürdig wirkt. Es macht, denke ich, diese unendlich lange Karriere, die hoffentlich noch viel länger andauert, aus, dass die Leute ihm geglaubt haben und nach wie vor glauben, wenn er auf eine Bühne geht und etwas sagt, denn dann meint er es so. Ob das jetzt immer so richtig ist oder nicht sei mal dahingestellt. Aber ich hatte einen ehrlichen Typen auf der Bühne und ich halte das für das Geheimnis von Bernhards großem Erfolg. Die ersten Auftritte waren noch weit weg vom Optimum, da gab es Gigs beispielsweise im Ferienzentrum Holm an der holsteinischen Ostsee, eine ziemlich große Show mit diversen Künstlern. Meine Firma produzierte die damals auch, und ich hatte den Redakteur der ›Hitparade‹, Dieter Weber, dazu eingeladen, denn wir wollten ja, dass Bernhard weiterhin in der Sendung auftreten kann. Dieter saß an einem Tisch, selbstverständlich vorn in der ersten Reihe und lauschte.

Bernhard sang unter anderem auch ein paar internationale Titel, ›Let’s Dance‹ von The Cats beispielsweise. Mein Künstler hatte den Text eines Songs erst am Vormittag desselben Tages gelernt und erschien deshalb mit einem Zettel mit dem Text darauf auf der Bühne, was allein schon einer gewissen Komik nicht entbehrte. Aber es sollte schlimmer kommen. Denn dann schleuderte er einer für uns anderen nicht vollziehbaren Eingebung folgend generös den Zettel mal eben fort. Es war mit diesem Wurf nicht nur der Zettel weggeflogen, sondern auch der gesamte Text aus seinem Kopf. Das sind Momente, die jeder Künstler auf dem Weg nach oben wegzustecken lernt.

Der Auftritt in Holm, um das abzuschließen, war gelinde gesagt grauenhaft. Bernhard wollte irre locker sein und sagte zu einer Dame im Publikum, sie sähe aus wie der erste Waggon einer Geisterbahn. Ich brach hinter der Bühne zusammen vor Scham. Der Veranstalter kam nach dem Auftritt zu mir und stellte mich vor die folgende Wahl:

›Gerd, entweder du verbietest deinem Künstler das Sprechen zwischen den Liedern oder du bringst es ihm richtig bei!‹

Nach dem Debakel dachten wir natürlich, eine weitere ›Hitparade‹ könnten wir nun vergessen. Aber Dieter Weber meinte nur, dass da jeder durchmüsse. Er war ja mit dem Hause Meisel eng verbunden und kannte die Anfangsschwächen diverser Künstler. Aber er machte auch diese entscheidende Bemerkung:

›Da ist eine Qualität beim Jungen aus Nordhorn, aber den Rest muss er schon noch raffen.‹

Befreiend kam hinzu, dass Bernhard in der ›Hitparade‹ nicht sprechen musste, das tat ja da meist nur einer, Schnellsprecher Heck …«

Ja, als Manager muss man anfangs eine Menge in den Künstler investieren: Zeit, Erfahrung und Geduld, jede Menge Geduld. Gerd und ich haben einen sehr ähnlichen Humor, können über dieselben Sachen zusammen lachen, was auch ein wichtiger Punkt für eine gute Zusammenarbeit ist.

Schließlich war ich trotz aller Hürden, die andere, aber auch manchmal ich selbst, aufstellten, stets gern gesehener Gast in der »ZDF-Hitparade«, war von 1972 bis 2000 über sechzig Mal, bei denen ich neben vielen guten anderen Platzierungen einige Male die Nummer 1 erreichen konnte, in dieser für meinen Lebensweg so wichtigen Sendung dabei.

Und Glück gehört auch immer dazu! Ich hatte es.

Eines Tages war ich mit meinem Produzenten Thomas Meisel essen, als einer seiner Mitarbeiter dazukam und erzählte, dass der Sänger Lars »Lasse« Berghagen krankheitsbedingt ausgefallen sei und ich als Ersatzmann in die »Hitparade« nachrücken könne.

So trat ich am darauffolgenden Samstag mal wieder in der Sendung auf. Erneut in der »Hitparade« zu sein war natürlich der Hammer, eine große Chance, der Startschuss. Das war am 22. November 1975. Mit dem Titel »Ich bin noch zu haben« wurde ich Vierter von fünf, und dann aber am 17. Januar 1976 die Nummer 1! Meine erste Nummer 1!

Daraufhin ging es mit mir märchenhaft bergauf, die Zusammenarbeit von Gerd und mir verlief von 1975 bis 1982 für beide Seiten sehr erfolgreich. Meine sich steigernde Fernsehpräsenz war unbezahlbar und in der Folge konnten wir viele Auftritte hinlegen. Eine wirklich geile Zeit!

23. Februar 1974: Mein vierter »Hitparaden«-Auftritt mit »Ich hör’ ein Lied«