14,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 13,99 €
Shari und André Dietz haben auf den ersten Blick das Glück gepachtet: Er ist bekannter Schauspieler, sie erfolgreiche Bloggerin und Hausfrau. Sie haben vier Kinder, einen Hund und ein Haus mit Garten. Doch ihr gemeinsamer Weg ist steinig. Bei zwei Geburten gab es Komplikationen, Tochter Mari wird mit einem seltenen Gendefekt geboren, dem Angelman-Syndrom: eine unheilbare Behinderung, die das Familienleben entscheidend beeinflusst. Wie das Paar sein Schicksal als Chance gesehen und trotzdem das große Glück gefunden hat, wie es den kleinen und großen Katastrophen des Alltags trotzt, wie die Familie gelernt hat, das Leben zu genießen - davon erzählt dieses Buch. Shari und André Dietz wollen Mut machen, aufklären, Berührungsängste abbauen. Gegenüber Behinderungen, aber auch in Familien- und Paarangelegenheiten. Und das ohne erhobenen Zeigefinger, dafür mit viel Optimismus und Lebensfreude.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2019
Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall.
Friedrich Dürrenmatt, Schweizer Schriftsteller (1921–1990)
PROLOG
»SOLL ICH MORGEN ARBEITEN GEHEN?«
ICH BIN DIE, DIE UNTERGEHT . . .
IN KREISCHWEITE
IM HIER UND JETZT
EINE LIEBESGESCHICHTE
»ICH STEHE NUR AUF ÄLTERE MÄNNER.«
LIEBE AUF DEN ERSTEN KLICK
ICH WILL NUR DICH
AUSNAHMEZUSTAND EINS
WIE IN EINEM FILM
ANDRÉ-NALIN & LÄHMUNG
BEREIT FÜR DEN TRAUMPARTNER?
»DAS IST SIE!«
»HAST DU KEINEN BOCK AUF MICH?«
AUSNAHMEZUSTAND ZWEI
GEWITTER IM KOPF
»WIE MACHT IHR DAS NUR?«
DIE SHANDRÉ-(R)EVOLUTION
»WENN, DANN FLIEGEN WIR GEMEINSAM ZUM MOND«
AUSNAHMEZUSTAND DREI
DAS WIRD-SCHON-GEN
DIE AUSNAHMESITUATION BESTÄTIGT DIE REGEL
WOHER WIR KAMEN
JEDER MANN WEISS DAS ÜBER MICH
»DANN ZIEH DIR DOCH ERST MAL ’NE HOSE AN«
KEINE LIEBE
»WHERE DO YOU LIVE?«
REGEN
»KANNST DU DIR VORSTELLEN, MIT MIR IN DIESER WOHNUNG ZU LEBEN?«
DAS ERSTE KIND, DIE ERSTE DIAGNOSE
AUSGERECHNET UNSER SOHN SOLL NICHT FURZEN KÖNNEN?!?
»VERDAMMTE KACKSCHEISSE, TUT DAS WEH!«
UNSERE KRISEN UND DER STAFFELSTAB
MARI
LIEBER NICHT NOCH EIN KIND?
EINE GANZ NORMALE GEBURT
»KANN EURE MAUS AUCH NOCH NICHT KRABBELN?«
ALLER GUTEN KINDER SIND DREI
»WIR HABEN EBEN SEKT GETRUNKEN . . .«
DIE GEBURT – EINE (W)HITZIGE ANGELEGENHEIT
DER TORNADO, DER SIE SEIN SOLL
»DIE MARI HATTE EIN ABFALL!«
DIAGNOSE
»UND WENN MIT MARI DOCH WAS SCHLIMMES IST?«
DIE ZUKUNFT BLEIBT DIE ZUKUNFT
WAS IST EIGENTLICH GLÜCK?
»CUT!«
»KÖNNTE DAS EIN IMPFSCHADEN SEIN?«
ICH GLAUB NUR AN DIE LIEBE
AM ANSCHLAG
»BRING MIR DAS VALIUM!«
»MAMA, WAS IST MIT DIR?«
WER SCHNELLER LACHT, HAT SCHNELLER PAUSE
»WÄRE ES BESSER, EIN ANFALL WÜRDE SIE MITNEHMEN?«
ÄRZTE MIT GRENZEN
»SIE HABEN DOCH KEINE AHNUNG!«
DIE FANTASTISCHE VIER
»UM VERHÜTUNG MÜSSEN SIE SICH ERST MAL KEINE GEDANKEN MEHR MACHEN!«
»DREI KINDER SIND GENUG, LASS UNS EIN VIERTES BEKOMMEN.«
»HAST DU DAS LICHT GESEHEN?«
»ICH HABE DAS LICHT GESEHEN!«
ANGELMAN RELOADED?
EPILOG
»JE BESSER DER PLAN, DESTO HÄRTER TRIFFT EINEN DAS SCHICKSAL.«
DER KURZE DIETZ-WEG
EIN RATGEBER, DER KEINER SEIN WILL
EINLEITUNG (MIT DEM ULTIMATIVEN TIPP)
MARI UND WIE SIE DIE WELT SIEHT
EIERTÄNZE
FRAGEN IST BESSER ALS GLOTZEN
WIE SICH DAS FAMILIENLEBEN VERÄNDERT
WAS MARI ALLES KANN
DAS HANDYULTIMATUM
SHARI SHARI LADY
FUN FACT
»WAS SOLL DIESER ESO-QUATSCH?«
AUCH PROMIS MÜSSEN MAL AUFS KLO
AN DEN GRENZEN DER PRÄNATALDIAGNOSTIK
UMGANG MIT BERÜHRUNGSÄNGSTEN
»DASS SO ETWAS AUCH PROMIS TREFFEN KANN«
INKLUSION: ILLUSION?
DER HELIKOPTER BLEIBT IM HANGAR
ZORNIGE FRÜCHTCHEN
FRÜCHTE DES ZORNS
POSITIV SEIN STATT HADERN
»ICH KANN IHR KIND HEILEN.«
WIR WAREN ZUERST DA
»WER IST HIER BEHINDERT?«
WARUM DIESES BUCH?
DIE KOPENHAGEN-ARSCHHAAR-GESCHICHTE
DANKSAGUNG
OKTOBER 2015
ANDRÉ»Wollen Sie eine vorläufige Diagnose? Die hundertprozentige wird Ihnen ein Gentest bringen, aber ich habe eine Vermutung. Ich bin mir ziemlich sicher. Also, wollen Sie es wissen?«
Na klar wollten wir. Was sollte denn schon ein einziger Satz aus dem Mund eines fremden Mannes an unserem Leben ändern. Mari bleibt doch Mari. Wir sind doch wir!
Dieses WIR ahnte nicht, was nur Stunden später in unseren Köpfen passieren würde. Und dass dieser eine Satz sehr wohl unser bisheriges Leben und alles, was wir uns bis dahin vorgestellt hatten, komplett auf den Kopf stellen würde. Ein Satz, der uns in ein tiefes Loch stürzen ließ.
Mari war zu diesem Zeitpunkt fast zwei Jahre alt. Seit einem Jahr gärte in uns der Gedanke, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Wir waren bei mindestens 20 Ärzten. Doch keiner hatte sich zu einer Diagnose hinreißen lassen. Alle lavierten herum, händerringend darum bemüht, ihre Unwissenheit nicht zu offenbaren. Einzig unsere Freundin Isa, selbst Kinderärztin, stellte aus der Ferne, nach vielen Telefonaten, die richtige Diagnose. Es war natürlich nur eine Vermutung, die ich damals nicht wahrhaben wollte. Doch irgendwo in den hinteren Hirnregionen speicherte ich diesen prägnanten Namen des Gendefekts ab. Soweit hinten, dass mir erst viele Tage nach der Diagnose wieder einfallen sollte, dass ich ihn schon einmal gehört hatte.
Wir hatten zwei Jahre voller nicht greifbarer Furcht hinter uns – und der Hoffnung, wir seien nur die üblichen übereifrigen Eltern, die einfach nicht verstehen wollen, dass jedes Kind sein eigenes Tempo hat.
Heute wissen wir: Ja, jedes Kind hat sein eigenes Tempo. Maris Tempo ist besonders eigen. Und eigentlich: besonders.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, was Shari für Klamotten trug und welche Farbe die Wand hinter der Liege hatte, auf der Mari herumkrabbelte. Aber ich kann mich noch an das Wetter erinnern. Es war sonnig und für einen Tag im späten Oktober ganz schön warm.
Irgendwo zwischen Köln und Bergisch Gladbach nimmt meine Erinnerung wieder Fahrt auf. Ich kann mich an den Klang von Sharis Stimme erinnern, an meine Gedanken, die vermeintlich geschärft, klar und rational um die nächsten Tage kreisten. Unterbewusst war ich wohl darauf bedacht, Shari und die Kinder zu schützen, indem ich versuchte, mich an der vermeintlichen Normalität festzuklammern. Unser Sohn, 20 Monate älter als Mari, wartete schließlich mit Sharis Mutter zu Hause auf uns, und unsere damals jüngste Tochter, 18 Monate jünger als Mari (ja, wir haben uns echt beeilt!), schlief in ihrem Autositz.
Shari saß mit den Mädels hinten im Auto.
»Soll ich morgen arbeiten gehen?«, fragte ich.
»Hä? Klar! Warum denn nicht?« antwortete Shari.
Ich erinnere mich daran, über die Tatsache nachgedacht zu haben, dass »Mari« im Japanischen »Wahrheit« bedeutet – und dass ich mich fragte, ob der Arzt eben tatsächlich die Wahrheit ausgesprochen hatte.
»Ihre Tochter hat mit großer Wahrscheinlichkeit einen Gendefekt namens Angelman-Syndrom.«
»Aha. Und was … bedeutet das?«
»Sie wird auf dem Entwicklungsstand eines Kleinkinds bleiben. Sie wird Schwierigkeiten haben, laufen zu lernen; viele lernen es gar nicht. Und sie wird im Laufe ihres Lebens nur höchstens zehn bis zwölf Wörter lernen«, sagte er. Sein Ton: halbtrocken mit einer Note von Einfühlsamkeit.
»Dann schaffen wir 20!«, verließen vier Wörter den Mund eines unbelehrbaren Optimisten.
Wie wir zum Auto gekommen, eingestiegen und losgefahren sind … Ich erinnere mich nicht.
»Soll ich morgen arbeiten gehen?«
Ab da ist alles wieder da. Die Fahrt und das Nach-Hause-Kommen werden mir wahrscheinlich wie ein sehr bewusster Rauschzustand für ewig im Gedächtnis bleiben. Ähnlich wie dieser eine Tag 1999, als ich durch die sonnigen Straßen meines Heimatdorfs hinter dem Sarg meiner Mutter hergehe und mich dabei erwische, wie ich neben mir selbst herlaufe und denke: Das passiert doch gerade nicht wirklich. Und wenn doch, dann hör endlich auf, dich zusammenzureißen!
Shari vergleicht den Moment der Diagnose oft mit der Nachricht vom Tod eines nahestehenden Menschen. Ich habe lange gesagt, dass man das nicht vergleichen kann. Aber sie hat recht.
Heute sehe ich den Moment, die Nachbereitung und die Verarbeitung der Diagnose im selben klaren und zugleich unwirklichen Licht wie die Tage nach dem Tod meiner Mutter.
Dabei war unsere Tochter auf dem Rückweg doch dasselbe fröhliche süße kleine Ding wie auf dem Hinweg.
»Soll ich morgen arbeiten gehen?«
Wie viel Wahrheit, Abstrusität, Klarheit, Verklärung, Traurigkeit, Humor stecken in diesem Satz?
»Warum denn nicht?«
Und wie viel von alledem steckt auch in dieser Antwort?
Dieser kurze Dialog zwischen Shari und mir spricht Bände über uns, unser Leben, unsere Liebe, unsere Sicht auf die Welt und unsere Art, Dinge anzugehen. Und genau davon erzählt dieses Buch. Und zwar so, wie Erinnerung funktioniert. Nicht streng chronologisch. Denn das Leben ist eben kein Protokoll.
OKTOBER 2018
SHARIMari ist in einem Pflegeheim. Ich bin bei ihr, und wir verbringen unsere gemeinsame Zeit in einem cafeteriaähnlichen Gebäude. Es ist unglaublich laut. Um uns herum klirren Teller, viele Menschen laufen durcheinander. Erwachsene, Jugendliche, Kinder. Menschen mit Behinderung, Menschen ohne Behinderung. sichtbare und unsichtbare Probleme. Eine beklemmende Situation.
Mari sitzt in ihrem Reha-Buggy und wirkt teilnahmslos, starrt Löcher in die Luft. Es macht mich traurig, sie so zu sehen. Ihr echtes, herzliches und unbekümmertes Lachen fehlt. Mein Kind ist nur noch eine leere Hülle. Ganz nah bei mir und trotzdem so weit weg. Ich versuche sie zu füttern, sie abzulenken. Nichts hilft.
Verzweifelt hoffe ich darauf, dass André endlich kommt. Mich unterstützt, mir hilft. In solchen Situationen ist er es, der einen klaren Kopf behält. Der weiterhin positiv denken kann. Wo ist er nur? Ich schiebe Mari durch den Raum und laufe mir Blasen an die Füße. Sie schmerzen. Von André fehlt weiterhin jede Spur. Ich brauche Hilfe, möchte Mari endlich wieder glücklich sehen.
Warum ist sie überhaupt hier? Ihre Geschwister und ihr Zuhause würden sie jetzt wieder lebendiger machen.
Nachmittags machen Mari und ich einen Ausflug mit einer Gruppe aus dem Heim. Betreuer und auch andere Kinder sind dabei. Ein kurzer Moment des Glücks. Es geht mit einem Boot übers Wasser. Wasser ist Maris Element. Neben ihren Geschwistern, ihrem Papa und ihrer Mama hat Wasser die größte heilende Wirkung auf sie.
Plötzlich kentert das Boot, es geht unter. Ich habe Angst um meine kleine Mari. Sie darf nicht untergehen! Doch ich bin es, die mit dem Boot untergeht. Ich bin Mari. Ich blicke durch ihre Augen und versuche, das Boot nach oben zu ziehen und alle anderen Kinder zu retten. Ein kurzer Gedanke geht auch an mein Handy und dass es nicht nass werden darf. Habe ich es vielleicht gar nicht dabei? Und wenn doch, ist es dann für immer verloren? Ich sehe die Sonne durch die Wasseroberfläche über mir leuchten. Ich versuche, nach oben zu schwimmen. Ich kann nicht mehr atmen und muss nach oben. Ich schaffe es nicht. Ich bin hilflos.
OKTOBER 2018
ANDRÉ»Mein Gott, was für eine ätzende Nacht!«
»Allerdings …«
»Wo ist Mari?«
»Sie schaukelt im Spielekeller.«
Unsere Kleinste ist um vier Uhr wach geworden und nicht mehr ruhig zu kriegen. Gegen sechs ist sie endlich wieder eingeschlafen. Prompt kam unsere zweitälteste Tochter und machte aus unerfindlichen Gründen einen Riesenalarm, so dass sie damit unseren Sohn weckte, der um 6 Uhr 15 fertig angezogen in unserem Schlafzimmer stand und in die Schule wollte.
Es ist übrigens Sonntag.
Nur eine schläft. Mari! Ich wecke sie um acht, und sie begrüßt mich und den Tag mit einem Lachen. Während wir unser sonntägliches Ritual mit ausgiebigem Frühstück vorbereiten, obwohl unsere Nerven wegen der Eskapaden ihrer Geschwister blank liegen, schaukelt Mari im Spielekeller und freut sich ihres Lebens. Vor drei Wochen war es noch undenkbar, sie so lange unbeaufsichtigt zu lassen – und unvorstellbar, dass sie diese Fröhlichkeit an den Tag legte. Diese Fröhlichkeit, die sie so ausmacht und die während der Epilepsiephase fast komplett verschwunden war. Mit ihrer Behinderung zu leben ist für uns inzwischen ein Klacks. Nur die verdammte Epilepsie bricht uns regelmäßig das Genick. Aber eins nach dem anderen … Fangen wir mit Maris Eltern an und wie sie sich kennenlernten.
DEZEMBER 2009
SHARI»Da kenne ich einen.«
»Ach ja?«
Und selbstlos hat er mich weitergereicht. Ich gebe zu: Das Ganze war kein Zufall. Mir war durchaus klar, dass Niklas sehr gut mit André befreundet ist. Und dass André Single ist. Der Weg über Niklas war mein strategischer Zug, um nicht allzu offensiv mit meinen Annäherungsversuchen anzurücken. Denn ja, ich war Fan. Ich bin Fan. Von André und von dem, was er macht. Ingo aus Alles was zählt ist mein Held, ich liebe seine Musik. Und so ein Serienstar bekommt ja bekanntlich des Öfteren nette Angebote, im besten Fall von schönen, jungen Damen. Da wollte ich mich nicht einreihen, also musste jeder Schritt gut durchdacht sein. André passte genau in mein Beuteschema: smarter Typ Mitte 30, wesentlich älter als ich. Lustig und nicht auf den Mund gefallen. Intelligent, attraktiv und charismatisch. Und obwohl ich ihn persönlich nicht kannte, hat er mir sehr gefallen. Eine Schwärmerei. Und dank der modernen Welt des Internets, ein paar Fotos von einem uns beiden bekannten Fotografen und einem Wink von Niklas musste glücklicherweise auch André feststellen, dass wir uns zwingend treffen sollten. Beste Voraussetzungen also für die große Liebe. Love at First Sight, arrangiert über Fotos auf Facebook. Klingt großspurig, gebe ich zu. Besser könnten es sich die Autoren einer Daily Soap nicht ausdenken. Aber es war real. Wir waren damals vielleicht beide genau am richtigen Punkt in unserem Leben, um die große Liebe kennenzulernen.
Ich hatte gerade eine aufregende Zeit in Hamburg hinter mir: ein Praktikum bei einem Online-Magazin. Gleichzeitig mein erster Sprung ins kalte Wasser. Erwachsenwerden. Und das, was andere Mädels in zehn Jahren testen, habe ich kurzerhand in sechs Monaten abgearbeitet. Eine für mich aufreibende und emotionale Zeit. Ich habe das erste Mal alleine gewohnt. In einer fremden Stadt. Ich war das erste Mal komplett auf mich alleine gestellt, hatte meinen ersten richtigen Job. Eine Zeit des Umbruchs. Affären mit vergebenen Männern, One-Night-Stands, ich habe meine Grenzen ausgetestet. Einzelheiten erspare ich euch, schon aus Rücksicht auf meine Mutter.
Und wann genau ist man bereit für den Traummann oder die Traumfrau? So viel kann ich sagen: Zurück in Köln war ich nicht mehr dieselbe Shari. Erwachsener, freier und bestimmt auch etwas entspannter. Ich war fest entschlossen, mich erst mal auf mich und mein Studium zu konzentrieren. Wahrscheinlich die beste Voraussetzung für ein Treffen mit dem Traummann. Für ein Treffen mit André.
Und André? Ich bin mir sicher, er hat alles bis zum Maximum ausgereizt in seinem Leben. Feiern, Alkohol, Frauen und Beziehungen. Ich kenne ein paar Details. Bei vielen Dingen habe ich meine Zweifel, dass diese Erfahrungen für seine Entwicklung wirklich nötig waren. Sie haben ihn allerdings zu dem Mann gemacht, den ich heute so sehr liebe.
Einen Tag nach unserem Kennenlernen hat er E-Mails an ein paar Damen verschickt. »Ich habe jemanden kennengelernt, wir können uns nicht weiter treffen.« Er hat mir das ein paar Monate später erzählt, als ich kurzzeitig mal Angst vor dem Moment hatte, an dem er mich doch »zum Mond schießt«.
Wir beide sind traurig über jedes Jahr, das wir ohneeinander verbracht haben, weil wir uns noch nicht kannten. Unglaublich, dass es überhaupt eine Shari ohne André gegeben hat. Wie gerne hätten wir uns schon früher getroffen. Ich mit 14, André mit 25. Okay, das wäre verwerflich gewesen. Wir waren an diesem Tag, zu dieser Zeit, bereit und offen füreinander. Wir waren frei. Wer weiß, ob es zu einem anderen Zeitpunkt so gut gepasst hätte. Nicht nur wegen des Altersunterschieds. Wir beide hatten unsere Geschichte, die uns an diesem Tag zusammengebracht hat.
Und ja, Liebe muss sich entwickeln. Zuneigung, Vertrauen, Intimität, Fürsorge – so was braucht Zeit. Aber der bekannte Blitz ist damals direkt bei uns eingeschlagen. Wir haben uns stundenlang unterhalten und die Leute um uns herum komplett ausgeblendet. Wir konnten und können die Hände nicht voneinander lassen.
Und wir haben direkt am ersten Abend auf den Tisch gebracht, was uns wichtig ist. Inklusive Themen wie Heiraten und Kinder. Was wir erwarten von unserem Partner, von einer Beziehung, von unserem Leben.
Liebe auf den ersten Blick? Wir sind reflektiert genug, um zu wissen, dass das vielleicht eine von uns konstruierte Illusion ist. Etwas, das wir im Nachhinein auf unseren ersten gemeinsamen Moment projizieren, weil er für uns so einzigartig und besonders war. Aber wir haben uns tatsächlich von der ersten Sekunde an mehr als gut verstanden. Der gleiche Humor, der gleiche Musikgeschmack, ähnliche Ansichten über Glauben und Medizin, über Politik und Menschen. Es hat einfach gepasst. Wir haben eine ganze Nacht, unsere erste Nacht, in Andrés Küche gesessen, um am nächsten Tag zu verkünden, dass es uns beiden sehr ernst ist. Am vierten. Tag hat André seinen halben Kleiderschrank freigeräumt und mich gebeten, bei ihm einzuziehen. Seit diesem ersten Abend haben wir nur wenige Nächte nicht miteinander verbracht. Weil André arbeiten musste, wir diverse Junggesellenabschiede gefeiert haben oder ich aufgrund der Geburten unserer vier Kinder im Krankenhaus gelegen habe.
Jede Sekunde, die wir nicht miteinander verbringen, ist mit Sehnsucht gefüllt. Wir sind verrückt nacheinander, heute mehr als früher, jeden Tag ein bisschen mehr.
DEZEMBER 2009
ICH WILL NUR DICH
WENN ES NICHT ROCKT
DANN MUSS ES ROLLEN
WAS ICH NICHT WILL
MUSS AUCH KEINER FÜR MICH WOLLEN
DOCH WENN AUS NACHLÄSSIGKEIT
LÄSSIGKEIT GEWORDEN IST
BLEIB NICHT WIE DU BIST
BLEIB NICHT WO DU BIST
DANN KAMST DU
DURCH MEINE TÜR
UND PLÖTZLICH WEISS ICH WAS ICH WILL
MIT WEM UND WOFÜR
UND WENN DIE NACHT DANN WIEDER
ZUM TAG GEWORDEN IST
BLEIB, WO DU BIST
UND BLEIB, WIE DU BIST
ICH WILL NUR DICH
ICH STEH AUF DICH
SEIT ICH WEISS DASS ES DICH GIBT
BEI ALLEM WAS MIR HEILIG IST
ICH HAB NOCH NIEMALS SO GELIEBT
UND WENN AUS LUFTSCHLÖSSERN
EIN PALAST GEWORDEN IST
BLEIB WO DU BIST UND BLEIB WIE DU BIST
ICH WILL NUR DICH
ANDRÉAlles, was in diesem Songtext steht, ist wahr. Und alles, was ich jetzt erzähle, ist auch wahr. Und ja, ich weiß, wie unglaubwürdig, verträumt und realitätsfern es klingt. Ich selbst hätte es vor diesem Tag im Dezember 2009 genauso wie die meisten von euch als die völlig verballerte, romantisierte Schmonzette eines liebestrunkenen Vollidioten beziehungsweise die in der Nachbereitung aufgehübschte Story eines frustrierten Mittvierzigers gesehen.
Aber es ist so wahr wie die Tatsache, dass wir immer noch ein Paar sind, obwohl wir dieses Buch gemeinsam geschrieben haben.