Altbau-Leben - Kurt Schreiner - E-Book

Altbau-Leben E-Book

Kurt Schreiner

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Beschreibung

Ein Altbau mit Garten fordert seinen Besitzer heraus - jedoch mit Heimwerken und Gärtnern lässt sich der graue Alltag sinnvoll und viel erfüllter verbringen. Das ist das Credo des Buchautors Kurt Schreiner, der mit seiner jungen Kleinfamilie unter rätselhaften Umständen 1966 eine zauberhafte Altbauwohnung neben dem Lüchbaum am Rodenkirchener Rheinufer bezog. Als er nach etwa einem Jahrzehnt die Wohnung unfreiwillig räumte, schwor er, nie wieder abhängig in Miete wohnen zu wollen. Eine kleine Zeitungsannonce führte ihn nach Sürth und zu einem für die Gegend typischen, giebelständigen Häuschen in der Nachbarschaft des verwahrlost dahin dämmernden Falderhofs. Er ging das Wagnis ein, das heruntergekommene Anwesen auf Rentenbasis zu erwerben. Zeitgleich mit dem historischen Falderhof beginnt 1982 ein jahrelanger nicht enden wollender Prozess von Sanierungsarbeiten, die sich der wechselnden, familiären Situation anpassen. Er lebt mit seiner Patchwork-Familie auf einer Dauerbaustelle, verrückte Pannen und unliebsame Überraschungen mit eingeschlossen. Nach dem Ableben des Vorbesitzers und Verkäufers des Hauses übernimmt er um 2000 dessen Hinterlassenschaften: einen Bungalow-Anbau und ein Gartengelände. Damit entwickelt sich aus dem unansehnlich-kleinen Haus ein recht geräumiges Anwesen. Und mit dem FalderKunstRaum bietet er bis 2010 öffentliche Ausstellungen und Veranstaltungen an. Das Buch versteht sich als ein Plädoyer für ein Altbau-Leben und vermittelt zugleich ein lebendiges Bild der Rheinanlieger-Orte im Kölner Süden.

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Seitenzahl: 185

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Katzenbesuch am Abend (Montage)

Inhalt

Impressum

Rhein-Impressionen (1966 - 1976)

„Ich habe einfach am Rhein gesessen…“

Rhein-Piraterie

Hier will ich wohnen!

Rheinwohnung im Altbau

Achtung Hochwasser!

Altbau Falderstraße (1982)

Interregnum „Neubauwohnung“ (1976 - 1982)

„Hausmanns-Häuser“ im Blick

Haus- und Ortsbesichtigung (1982)

Original mit Behinderung und Schrullen

Grund-Sanierung (1982 - 1988)

Einzug der Patchwork-Familie

Alltag auf der Baustelle

Der „Große Bruder“ von nebenan

Falderhof-Geschichte(n)

Der 1. Mai und „Langer Tisch“

Dachausbau

Zimmer mit Ausguck

Wohn- und Gartenidylle (um 2000)

Die Übernahme

Mit viel Weiß die Vergangenheit getilgt

Rodung eines Urwaldes

Klein aber Garten

Garten-Besuche

Der Nackedei im Garten

Vom Kultur-Raum zu „möbliert“ (ab 2003)

Der FalderKunstRaum

Kost für Augen, Ohren und Magen

Der Altbau passt sich an

Das russische Zimmer

Möbliert vermietet

I

Rhein-Impressionen (1966 - 1976)

Angler am Sürther Bootshaus mit Jungschwan „ Toni “ (2020)

„Ich habe einfach am Rhein gesessen…“

Nicht nur der Kölner Nachkriegs-Autor Heinrich Böll fühlte sich vom Rhein angezogen, auch ich entwickelte ein besonderes Faible für den Rhein. Und das schon von Jugend an.

Aber auch später als Erwachsener zog es mich zum Wohnen bevorzugt in die Nachbarschaft von Deutschlands größtem und wasserreichstem Fluss. Ich wohnte in Rheinanliegerorten im Süden von Köln, in den Stadtteilen Rodenkirchen und heute in Sürth. Warum der Rhein eine so enorme Anziehungskraft auf mich ausübte, lag an der Weite und Offenheit des Himmels, der den langestreckten Horizont des anderen Ufers überspannt. Ich fühlte mich bei diesem Anblick stets einbezogen in das natürliche Wechselspiel der Tages- und Jahresabläufe mit ihren unterschiedlichen Wetter- und Lichtverhältnissen. So wie die geheimnisvollen Morgendunst-Schleier an Wintertagen. Oder ein blaublanker Himmel über dem Wasser, der mir ein wenig Mittelmeerflair vermittelte.

Spannend für mich auch der rege Schiffsverkehr auf dem Wasser. Das mag den Kölner Schriftsteller und Nobelpreisträger Heinrich Böll 1977 im Rückblick auf seine Jugend zu dem Ausspruch bewogen haben: „Ich habe einfach am Rhein gesessen, den Schiffen zugeguckt und dieses – sagen wir: das Weltoffene hat mich wahrscheinlich sehr beeindruckt und geprägt.“

Heute lebe ich in einem Altbau des Rheinanliegerorts Sürth vor den Toren von Köln. Das Haus ist beileibe kein Prunkbau mit parkähnlichem Garten, wie man ihn häufig in den benachbarten Villenvororten Hahnwald und Marienburg antrifft. Es ist ein einfaches, kleines, eher schüchtern zu nennendes Anwesen. Gelegen an der historischen Falderstraße wirkt es schon fast peinlich zwischen den frisch aufgemotzten Mietshäusern in unmittelbarer Straßen-Nachbarschaft. Aber ich liebe meinen Altbau. Ich liebe ihn trotz seiner Unansehnlichkeit. Ich liebe ihn schon allein wegen seiner Atmosphäre, die allen Altbauten innewohnt, und die schwer in Worten zu fassen ist. Man muss sie erleben.

Die intime Beziehung zwischen mir und Altbauten blickt zurück auf eine lange Geschichte. Oder besser: Baugeschichte. Gewissermaßen bestand eine beständige Wechselwirkung zwischen mir und meinem Altbau. Ging es ihm gut, war auch ich gut drauf.

Denn in jedem Altbau steckt ein Stück persönlicher Lebensgeschichte seiner Bewohner: das Älterwerden, die Partnerbeziehungen, soziale Kontakte, selbst die Eigenheiten des Wohnorts wie hier im Süden der Großstadt Köln. Das alles spiegelt der Altbau, in dem ich heute lebe, und der irgendwann so um die Wende zum 20. Jahrhundert errichtet wurde.

Vor dem Aufkommen industrieller Produktionsstätten war Sürth noch ein unbedeutender Ort, mehrheitlich bewohnt von Kleinbauern und Rheinfischern. Die Klöster hatten bis zur Säkularisation um das Jahr 1800 hier das Sagen auf dem Lande. Ihnen gehörten als Grundherren die großen Hofanlagen mit ihrem reichlich bemessenem Kulturland. Ansässige Kleinbauern und Landarbeiter ackerten für die Großgrundbesitzer.

Heute dehnt sich mein Stadtteil nach Köln hin mächtig aus und macht sich breit. Immer häufiger fallen grüne Flecken einer neuen Bebauung zum Opfer.

Von meinem Altbau auf der Falderstraße sind es nur wenige Schritte bis hin zum Rhein. Gesäumt von Pappelwald, Feldern, Gärten der Rhein-Aue sieht er mich häufig zu Fuß oder mit dem Fahrrad an seinem Ufer vorüberziehen. Der breite Strom zeigt sich unbeeindruckt von den Veränderungen in dem Anlieger-Ort. Er fließt immer noch wie in alten Zeiten gemächlich von Süden nach Norden dem Atlantik entgegen. Was mag Heinrich Böll, Lieblingsautor meiner Jugend-Jahre, bei seinem Ausspruch gedacht haben, als er, so vermute ich jedenfalls, am Rheinufer der Kölner Südstadt saß, den großen Rheinstrom vor seinen Augen?

Vielleicht stellte er einen Vergleich an: Empfand den großen Fluss als einen Lebens-Strom. Wie der des Menschen dahinfließend von der Quelle bis zu seiner Mündung und sich dort in der Weite des Meeres verlierend. Auch wir werden geboren, suchen unseren Lebensweg und lösen uns am Ende auf in der Unendlichkeit, in den Weiten des Nichts oder wo sonst auch immer.

Als Jugendlicher saß ich bei Wochenend-Fahrradausflügen am Rheinufer und schaute den Rad-Dampfern mit ihren riesigen Schaufelrädern zu, die an langen Stahltrossen die tief im Wasser liegenden Lastkähne hinter sich herzogen. Drei, manchmal waren es vier oder gar fünf, schwer beladen mit ihrer Fracht wie Steinkohle, Alteisen, Landmaschinen oder auch schon einmal Personenkraftwagen.

Heute sitze ich müßig als alter Mann auf einer der vielen Ruhebänke am Leinpfad des Rheins. Betrachte das Treiben auf dem Fluss unter einem weitgespannten Himmelszelt.

Inzwischen sind es die PS-starken Schubschiffe mit phantasievollen Namen am Bug und fremden Flaggen am Heck, die hoch beladen mit Containern rheinauf und rheinab an mir vorbeituckern. Die am Ufer eine unruhige Dünung entfesseln, die die Enten im flachen Uferbereich zum Wippen bringt.

In der warmen Jahreszeit ziehen Personendampfschiffe der Weißen Flotte, die mit „Köln-Düsseldorfer“ firmiert, an mir vorüber, winkende Passagiere auf dem Oberdeck.

Und – dichter am Ufer und unter lauten Musikklängen – sind die kleinen Ausflugsschiffe mit fröhlichen Menschen an Bord unterwegs auf ihren Rundfahrten zwischen dem Norden und dem Süden der Stadt Köln.

Schnittige Motorboote wagen riskante Manöver in den Heckwellen der großen Schwestern, weiße Wasserfontänen hinter sich lassend. Die schmalen Ruderboote der Bootsclubs gleiten über den in Ufernähe trägeren Strom. Während die Paddler sich eher in der Mitte des Flusses, dort wo die Strömung sich am stärksten gibt, rheinabwärts treiben lassen.

Nur die Angler hocken wie immer gleich stoisch auf dem kieseligen Ufergelände, bequem zurückgelehnt in ihren Campingstühlen. Neben ihnen ragen ihre meterlangen Angelruten in den Himmel. Als Gegenpol zu der Hast unserer Zeit harren sie stundenlang aus, darauf vertrauend, dass ein Fischlein anbeißt, das die vorgeschriebene Mindestgröße erreicht.

Ruderboot auf Kurs zum Sürther Bootshaus

Strandleben an der „ kölschen Riviera“ (2020)

Rhein-Piraterie

Meine schon lange zurückliegenden, ersten Kontakte zu dem großen Rhein-Strom trugen sicher mit dazu bei, dass es mich später danach drängte, für ein ständiges Wohnen möglichst in seine Nähe zu ziehen.

Aufgewachsen und herangereift zum Jugendlichen war ich in Hürth, einer eigenständigen Kommune im Westen der Großstadt. Für die Menschen der Dörfer vor den Toren von Köln stellte der Rhein in der Nachkriegszeit ein beliebtes Ausflugs- und Naherholungsziel dar. Was mich und meine Schwimmvereins-Kameraden anbetraf, auch einen kostenlosen Freibad-Spaß. An warmen Sommerwochenenden packten wir unsere Leichtzelte und Klamotten in die Fahrradsatteltaschen und radelten von Hürth aus über die Dörfer bis in den Süden Kölns. Die „Kölsche Riviera“ von Rodenkirchen lockte schon damals mit ihren Sandstränden zum Sonnen, Baden und Grillen. Es war dort immer ein wenig wie im Urlaub am Meer in südlichen Gefilden.

Wer die geografischen Verhältnisse dieser Gegend kennt weiß, dass der Rhein aus Richtung der Industriestadt Wesseling kommend nach Osten ausbricht und den sogenannten „Weißer Bogen“ umfließt. Um hinter Rodenkirchen und der Autobahnbrücke wieder zu seiner Süd-Nord-Richtung zurückzukehren. Unser Ziel an jenen Sommer-Wochenenden war nicht die beliebte Riviera, sondern das weniger besuchte Ufergelände des Weißer Rheinbogens. Hinter dem großflächigen Campingplatz empfingen uns schattiger Pappelwald, kleine Sandbuchten, Kribben, Wiesen und viel Buschwerk. Genau richtig, um unser „wildes“ Zeltlager aufzuschlagen. Uns an den beiden Tagen ungestört von Tagesausflüglern mit Ballspielen und Schwimmausflügen zu vergnügen und unsere jugendlichen Freiheiten und Abenteuer auszukosten.

Schon damals wurde gewarnt vor den Gefahren, die dem Schwimmer im Rhein drohen durch die starken, unberechenbaren Strömungen, die Strudel und den regen Schiffsverkehr. Vor allem die großen Schiffe verursachen einen gefährlichen Sog und Rückschwall, in die ein Schwimmer leicht hineingerät. Gefahrensituationen, die oft unterschätzt werden.

Als ich noch im Vorort Rodenkirchen wohnte, wurde ich Zeuge von Schwimm-Unfällen, in denen Menschen zu Tode kamen. So als am Rheinufer ein Paddelboot besetzt mit einem Mann und zwei kleinen Kindern beim Versuch, eine Kribbe zu umfahren, kenterte. Alle drei Insassen stürzten ins Wasser und gerieten in den Sog von Strudeln, die dort herrschten. Eines der beiden Kinder wurde später tot aus dem Rhein gezogen.

Trotz der Warnungen war die „Piraterie“, wie wir es nannten, eine unserer Lieblingsspiele an den langen Sommer-Wochenenden am Rhein.

Die träge dahin ziehenden Schleppzüge forderten uns Wild-Camper zu riskanten Unternehmen heraus. Allesamt aktive Wassersportler mit regelmäßigen Trainingseinheiten im Schwimmverein zu Hause und mit dem DLRG-Schein in der Tasche, fühlten wir uns sicher und dem Strömungsverhalten des Rheins durchaus gewachsen. Ein gewisser jugendlicher Leichtsinn schwang vermutlich dabei mit.

Unser abenteuerliches Spiel bestand darin, einen der Schleppkähne, die ein Raddampfer an Stahltrossen hinter sich herzog, auf Piraten-Art zu entern. Anfänger wie ich wurden von älteren Vereinskameraden in die Technik und das Ritual dieser Schiffs-Piraterie gründlich eingewiesen.

Es spielte sich auf immer gleiche Weise ab. Zunächst nahmen wir einen der rheinaufwärts in Richtung Wesseling gemächlich dahin ziehenden Schleppzüge ins Visier. Entdeckten wir einen Schleppkahn, der infolge seiner schweren Ladung besonders tief im Wasser lag, gab einer das Zeichen zum Entern. Wir wussten es abzuschätzen, zu welchem Zeitpunkt wir uns vom Ufer abstoßen mussten, damit wir mit kräftigen Schwimmstößen rechtzeitig zur Fahrrinne und in die Reichweite des anvisierten Kahns gelangten. Auch die Strömung, die uns rheinabwärts trieb, kalkulierten wir ein. Zuletzt noch ein kräftiger Schwimmzug auf die niedrige Bordwand zu, der Griff an den Schiffs-Rand, und dann warf mich die entlang des Schiffsrumpfs entgegenkommende Strömung fast schon ganz von alleine auf den Laufsteg.

Dort streckte ich mich erschöpft der Länge nach aus, um neue Kräfte zu sammeln nach dem anstrengenden Schwimm-Akt.

Wir ließen uns mit dem Schleppzug einen Kilometer weit rheinauf ziehen. In Höhe der Rheinanliegerorte Weiß oder Sürth stürzten wir uns wieder unter Johlen in die Rheinfluten und ließen uns zurück zu unserem Ausgangsort treiben. Diese Schwimmstrecke rheinabwärts kam uns mühelos vor, da wir uns ganz der Strömung überließen einem gemütlich-behäbigen Spaziergang vergleichbar.

Doch nicht immer verlief unser Piratenspiel problemlos. Hatte der Schiffsführer unseres Kahns etwas dagegen, scheuchte er uns zurück ins Wasser. In einem Fall hatten wir zu spät die frisch geteerten Bordwände erkannt. Später mühten wir uns fluchend damit ab, die klebrige, schwarze Masse am Körper wieder los zu werden.

Ein anderes „Spielchen“ bestand darin, den Rhein zu überqueren, ohne allzu weit abzutreiben. Das hätte bedeutet, auf der anderen Uferseite einen langen, dazu unangenehmen Weg barfuß rheinauf zurückzulegen. Die kräftigsten Schwimmer unter uns gingen den Wettkampf mit der starken Strömung deshalb in sehr spitzem Winkel an. Sie hielten dadurch ihr Abtreiben im Strom in Grenzen.

Warnschild am Rhein

Das waren unsere Spiele von gestern. Das „Gestern“ bestand in meiner Jugendzeit vor über 60 Jahren. Heute las ich in der Zeitung, dass der Rhein schon wieder ein Opfer forderte. Eine junge Frau ertrank beim Baden in Höhe der „Riviera“ Rodenkirchens.

Trotz deutlicher Warnschilder am Ufer, und trotz der Zeitungs-Artikel, in denen eindringlich gewarnt wird vor den Tücken und Gefährdungen. Denn „Vater Rhein“ ist nicht mehr derselbe wie damals, als wir sorglos in die Fluten sprangen.

Der Rhein-Strom ist heute eine international stark genutzte Wasserstraße. PS-starke Schubschiffe legen eine andere Geschwindigkeit vor als die lahmen Schleppzüge in ihrem Fußgänger-Tempo. Das macht die Dünung unruhiger und die Strömung stärker. Selbst im seichten Gewässer zwischen zwei Kribben kann eine Bugwelle ein im Wasser plantschendes Kind erfassen und hinausziehen. Der Redakteur eines Zeitungsartikels zog in seiner Überschrift als Warnung das Zitat eines Mitarbeiters der DLRG Nordrhein heran: „Niemand würde auf der Autobahn spielen.“ (KStA 11.8.2020)

Alter Schaufelrad-Dampfer mit Schleppkähnen (Zeichnung)

Vor unserer ehemaligen Rheinwohnung (Zustand 2020)

Hier will ich wohnen!

Meine Liebe zum Rhein brachte mich Jahre später dazu – inzwischen der Jugendzeit entwachsen – meinen runden Geburtstag, es war mein dreißigster, erstmals an seinem Ufer zu feiern. Die „Runden“ hatten immer eine besondere Bedeutung für mich. Waren sie doch der Startschuss zu etwas Neuem. Ich gehörte ab jetzt einer oberen Alters-Schicht an. Das konnte durchaus mit gemischten Gefühlen verbunden sein, und es war auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig. Zehn Jahre lang werde ich von jetzt an zu den Dreißigern zählen…!

Ich hatte aus diesem Anlass einen Tisch auf einer Außenterrasse am Rheinufer reserviert. Das Restaurant hieß damals „Kahlshof“. Ein besonderer Anlass erfordert auch einen besonderen Ort, hatte ich mir sicher dabei gedacht. Die kleine Tischgesellschaft bestand neben mir aus meiner frisch angetrauten Ehefrau U., sowie einem mit uns eng befreundetem Paar.

Von unserem Tisch aus bot sich der Anblick eines Ansichtskarten-Motivs. Wir saßen im Schatten der trutzigen und altehrwürdigen, romanischen Kapelle St. Maternus, von den Einheimischen liebevoll „uns Kapellchen“ genannt.

Am Rheinufer unterhalb führte der uralte Treidel- oder Leinpfad vorbei, an diesem Feiertag stark belebt mit Ausflüglern aus der Großstadt. Seine historische Bedeutung bot den Stoff, uns über ihn auszutauschen.

Vor dem Aufkommen der Dampfschifffahrt hatten noch Pferde an „Linnen“ (Leinen) oder Treidel die beladenen Segel-Lastkähne gegen die Strömung rheinaufwärts gezogen. Ich wusste beizutragen, dass das mächtige Bollwerk aus Basaltstein, auf dem die benachbarte Kapelle steht, zu Zeiten der Treidelschiff-Fahrt ein unüberwindliches Hindernis für die sogenannten „Rheinhalfen“ darstellte. Sie mussten aus Richtung Stadt kommend hier ihre Pferde abspannen und um den Felsbuckel herumführen. Während der schwer beladene Segel-Frachtkahn mit Ruderbooten, von kräftigen Armen angetrieben, in einem aufwendigem und kräftezehrendem Unterfangen um die Felsnase herumgezogen wurde.

Dass just hier am Rheinufer ein paar Meter rheinabwärts sich das Gartenlokal „Zum Treppchen“ und das „Fährhaus“ etabliert hatten, war sicher ihnen zu verdanken. Die erschöpften Treiber und Ruderknechte konnten sich nach ihrer mühseligen Plackerei bei einem Kölsch am Tresen erholen. Die Pferde standen derweil angeleint rheinaufwärts ganz in der Nähe auf der „Päädsjass“ (Pferdegasse), der kleinen Friedenstraße.

Die ungewöhnliche Nachbarschaft von Kapelle und Restauration der zwei Fachwerkbauten macht aus diesem Ort eine malerische Sehenswürdigkeit, die an Wochenenden viele Kölner anzieht. Manche kommen mit dem kleinen Ausflugsschiff, das auf seinen Fahrten am Hafenanleger in Höhe des Doms ablegt und in Rodenkirchen unterhalb des „Treppchens“ anlegt.

Ich hatte bei der Tisch-Reservierung für meine kleine Geburtstagsfeier die sprichwörtliche „Qual der Wahl“ zwischen dem „Kahlshof“ und den beiden anderen traditionsträchtigen Restaurationsbetrieben „Fährhaus“ und „Zum Treppchen“, alle drei in unmittelbarer Nähe des Rheinufers gelegen. Der herrliche Blick von den Außen-Terrassen des „Kahlshofs“ gab schließlich den Ausschlag für meine Wahl, die Folgen haben würde.

Vor uns im Rhein mit Eisenketten und Stahltrossen vertäut lag das erste in der Reihe von Bootshäusern in einer versammelten Armada. Das letzte in der Reihe der „schwimmenden Restaurants“ kurz vor der Autobahnbrücke, die rot-weiß-gestreifte „Alte Liebe“, gilt bis heute als besonders beliebtes Ausflugsziel der Kölner.

Zu dem Bootshaus direkt vor unserer Nase turnten über schaukelndem Schiffssteg sommerlich gekleidete, junge Frauen mit hochhackigen Schuhen vom Leinpfad hinunter zum Schiff, um sich an einem Eis-Becher oder einem Stück Sahnekuchen zu laben. Männer machten sich an ihren Motorbooten in dem Hafen-Areal seitlich des Bootshauses zu schaffen. Zuweilen jaulte ein Motor auf, und einer der Möchtegern-Kapitäne zog mit seinem Motorboot von dannen, um stolz eine Runde zu drehen. Gemächlich trieben hintereinander die Boote einer Segel-Regatta an uns vorüber.

Ein Bootshafen direkt vor der Haustür

Auf dem Leinpfad unter uns herrschte derweil buntes Gewusel. Neben den vielen Spaziergängern in Sonntagsstaat nahmen Radfahrer aus der Stadt kommend ebenfalls den Leinpfad für sich in Anspruch.

Hier strandete der Kahn mit dem Hl. Maternus

Die kleine Geburtstagsfeier am 1. Mai 1966 sollte eine wichtige, mein Leben verändernde Bedeutung erhalten. Vorausschicken muss ich, dass meine mir frische Angetraute und ich uns in Köln eine Etagenwohnung als Provisorium angemietet hatten. Sie bestand lediglich aus zwei kleinen Zimmern. Das vordere lag an der stark befahrenen Von-Werth-Straße, und von dem rückwärtigen blickten wir in einen düsteren Hinterhof. Das in einer Gegend, in der Dirnen ihren Geschäften nachgingen und mich beim abendlichen Auto-Abstellen ansprachen.

Die quälende Vorstellung, heute Abend wieder an den tristen Ort zurückzukehren war das eine, die Bilder von dem bunten Treiben hier vor der romantischen Kulisse das andere. Der Kontrast dieses Gegensatzes trug wohl die Schuld an meinem spontanen Ausruf in der kleinen Tischrunde: „Hier will ich wohnen!“

Wenn ich es heute recht bedenke, steckte eher ein spontaner Gefühlsausbruch dahinter, statt einer ernst zu nehmenden Absicht.

Umso mehr sollten mich deshalb die Ereignisse der darauffolgenden Woche überraschen. Ich rieb mir die Augen, als ich das Inserat las. Wie zumeist an Samstagen hatte ich mir die Tageszeitung am Kiosk geholt, einen Bleistift gezückt und war die Kolumnen mit Wohnungsangeboten durchgegangen. „Wohnung am Rhein in Rodenkirchen ohne Makler und Kaution zu vermieten“ stand in einer Kleinanzeige zu lesen. Auch eine Telefon-Nummer war angegeben.

Den gerade erst an der Rhein-Promenade verbrachten Geburtstag noch gut in Erinnerung, fiel mir mein unbescheidener Ausspruch ein. Ich hatte ihn längst als „Spinnerei“ abgetan. Doch was ich hier las, das Inserat von dem Angebot einer Rheinwohnung, das war Realität.

Perplex zweifelte ich und überlegte skeptisch: Da muss es irgendeinen Haken geben. Ein hoher Mietpreis vielleicht? Wieso war er in der Anzeige nicht angegeben? Unsere finanziellen Mittel waren zu diesem Zeitpunkt sehr begrenzt. Schon von daher würde es an den hohen Mietkosten scheitern. Und außerdem: Die Annonce würde sicher von sehr vielen Interessenten gelesen. Eine Rheinwohnung! Wer möchte nicht gerne am Rhein wohnen?. Trotz meiner Bedenken wählte ich die angegebene Telefon-Nummer. Und so wie ich schon vermutet hatte, war sie dauerhaft besetzt. Als sich endlich gefühlt nach Stunden am anderen Ende der Leitung jemand meldete, bekam ich wenig Ermutigendes zu hören. „Sie sollten wissen, dass Sie ungefähr der sechzigste Anrufer sind!“ kam von der unbekannten Stimme am anderen Ende der Leitung. Wenigstens Adresse und Termin zur Besichtigung der Wohnung erhielt ich von der Stimme.

Ich bog am nächsten Tag gegen Abend mit meinem alten, klapprigen Ford Taunus 20M von der Hauptstraße in Rodenkirchen ab und entdeckte das kleine Sträßchen Auf dem Brand, das sich im Bogen abwärts führend dem Rhein annähert und auf einem winzigen Platz mit einem Baum mir unbekannter Provenienz endet. (Er sollte sich später als der „Lüchbaum“ herausstellen). Hier stellte ich überrascht fest, dass ich letzte Woche von meinem Platz der kleinen Tafelrunde aus rheinaufwärts genau auf diesen Baum und die Giebelseite des dahinterliegenden Gebäudes geblickt hatte. Ein bloßer Zufall?

Die Haustür erreichte ich über einen mehrere Meter langen, schmalen Zugang von der Straße Auf dem Brand aus, der bis zu einer unansehnlichen Hinterhausfront führte. Die repräsentative Vorderfront des Hauses lag, wie ich mich noch schnell vergewisserte, ohne Tür-Zugang dem Rhein zugewandt am Leinpfad.

Ein junger Mann etwa in meinem Alter öffnete die Haustür. Er blickte mich überrascht-erstaunt an und grüßte mit „Ach, Sie sind es!“ Seine Begrüßungsformel richtig einzuordnen, brauchte es bei mir eine Weile. Stellte darauf ebenfalls überrascht fest, dass wir uns von irgendwoher kannten. Dann fiel es mir wieder ein. Er arbeitete wie ich in der Werbebranche und wir hatten gelegentlich persönliche Kontakte gehabt.

Beim anschließenden Besichtigungsrundgang durch die Wohnung gab er mir zu verstehen, dass er im Auftrag seiner familiären Erbengemeinschaft die Vermietung betreibe. Die Würfel zu meinen Gunsten waren da längst gefallen. Wir bekamen die Wohnung.

Nur die merkwürdigen Zusammenhänge dazu schienen mir lange Zeit nicht ganz geheuer. Angefangen mit dem Geburtstagsessen und meinem impulsiven Ausruf. Dann diese Annonce in der Zeitung. Und jetzt auch noch das zufällige Aufeinandertreffen mit dem mir bekannten Werbemann. Das beschäftigte mich Parapsychologie-Hörigen. Wer hatte da seine Finger im Spiel?

Noch nachzutragen ist, den Mietpreis schraubten wir auf 300 DM Kalt-Miete herunter. Schwer einzuschätzen, welchem Betrag er in € heute entsprechen würde. Er lag jedenfalls locker im Bereich unserer finanziellen Möglichkeiten.

Mein Vermieter gestand mir bei einer anderen Gelegenheit noch, dass er durchaus auch zu einem weit höheren Preis hätte vermieten können. Aber da ich es ja gewesen sei. Die einzige Erwartung, die er an mich herantrug: Ich möge mich selbst um den Zustand unserer Wohnung kümmern und so eine Art Hausmeister-Funktion in eigener Sache übernehmen. Gewohnt an Do-it-yourself, würde das kein Problem für mich werden.

Sanierter Altbau (2020), unser ehemaliges Zuhause (1966-1976)

Rheinwohnung im Altbau

Am 20. Oktober 1966 bezogen wir unsere Traumwohnung am Rhein, in der wir in den nächsten Jahren wohnen und uns nach unseren Vorstellungen einrichten wollten.

Es war natürlich nicht alles Gold was glänzte. So hatte der Altbau schon bessere Jahre gesehen und erforderte eine umfangreiche Restaurierungs-Aktion, sprich: einen „Tapetenwechsel“ im pragmatischen Sinne.

Es stellte sich zudem heraus, dass sich die ungewöhnlich hohen Räume nicht leicht beheizen ließen. Die Zentralheizungsanlage im Keller musste mit Briketts bedient werden, mit „Klütten“, wie man in Köln sagt. Jeden Abend kippte ich Asche auf die Glut, um am nächsten Morgen das Feuer an der noch glühenden Kohle neu entfachen zu können. Ein Verfahren, das ich von der elterlichen Wohnung in den Kriegs- und Nachkriegstagen her noch erinnerte.

Das nächtliche Auskühlen der Wohnung hielt sich in Grenzen, weil die dicken Ziegelstein-Mauern des Hauses nach außen gut abdämmten.

Das Einheizen mit den noch glühenden Kohleresten verlangte Geschicklichkeit und Vorsicht. Dennoch verpuffte an einem Morgen beim Öffnen der Ofenklappe das angesammelte Gas mit einer Stichflamme nach draußen, schlug mir ins Gesicht und versenkte Kopf-Haare und Augenbrauen. Die Haare wuchsen nach, die Augenbrauen nicht.

Doch das alles nahmen wir in Kauf in Anbetracht unserer neuen, phantastischen Wohnlage oberhalb des Rheins. Mit dem herrlichen Ausblick rheinab und rheinauf. Und dann auch noch zu diesen unbegreiflich niedrigen Mietkosten.

Die ungewöhnliche Wohnsituation zeigte Wirkung in unserem Freundes- und Bekanntenkreis. Wir wurden zu gefragten Gastgebern.

Der Erbauer hatte sich Standort und Lage des villenartigen Hauses, das noch aus dem vorvergangenen Jahrhundert stammte, gut ausgeschaut. Kaum zu fassen, auf soviel Rhein auf einmal zu blicken. Ein Radius von nahezu 180 Grad vom Beginn des Weißer Rheinbogens bis hin zum Kölner Dom. Wo auch immer in der Wohnung ich mich gerade aufhielt, stand oder saß, blickte ich auf „meinen“ Rhein. Auf die vorbeiziehenden Schiffe und das wechselhafte Wolkenspiel an einem weiten Himmel. Es erinnerte mich an die Wochenend-Ausflüge als Jugendlicher zum Campen an den Rhein.