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Roman über eine Familie und ihre Tragödien. Tiefe Einblicke in das Verhalten dreier unterschiedlicher Brüder. Und der sich immer wieder schliessende Kreis des Lebens. Ein autobiografischer Versuch einer Beichte.
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Seitenzahl: 95
Veröffentlichungsjahr: 2020
Für meine geliebte Frau Simi
Versuch einer Beichte
Vorwort
Kapitel 1: Eine junge Familie
Kapitel 2: Kindheit
Kapitel 3: Pubertät
Kapitel 4: Junge Erwachsene
Kapitel 5: Twens
Kapitel 6: Schicksalsjahre
Kapitel 7: Der Erstgeborene
Epilog
Dank
Eine Geschichte, etwas Autobiografisches sollte das vorliegende, mein zweites Buch werden. Nach „Meine Begegnungen am Jakobsweg“ welches im Frühling 2019 in Venedig entstand wollte ich „anders“ schreiben. Die Lagunenstadt hatte mich so stark in ihren Bann gezogen und inspiriert, dass ich mir gleich im Anschluss an meinen Erstling ein Herz fasste und mit grossem Tatendrang mein neues Werk in Angriff nahm.
Warum eine solche Geschichte? Geschichten haben mich mein Leben lang fasziniert. Noch bevor ich selber lesen konnte, hatten mir meine Eltern und Grosseltern wunderbare Märchen und Geschichten, aber auch viel Selbsterlebtes und wahrscheinlich auch einiges an Selbsterfundenem erzählt. Ob sie nun wahr waren oder nicht, spielte für mich als jungen Buben keine grosse Rolle - Hauptsache Geschichten, Geschichten und nochmals Geschichten. Ich sog sie wie ein Schwamm in mir auf, konnte sie schnell nacherzählen, lange bevor ich schreiben konnte.
Ich lernte schnell, dass Menschen Geschichten lieben, sie gerne weitererzählen, sich an ihnen orientieren; besonders wenn es sich um biografische Beiträge handelte. An meinem drei Jahre jüngeren Bruder konnte ich sozusagen am lebendigen Objekt üben wie meine eigenen häufig erfundenen Geschichten ankamen. Er war mein erstes – und häufig einziges – Publikum. Er konnte mir auch nicht entfliehen, da wir das Kinderzimmer miteinander teilten.
Zudem las ich sehr viel, verschlang Bücher wortwörtlich. Und zwar alles, was mir in die Hände kam. Von Welt- über Trivialliteratur, Zeitungen, Zeitschriften, Lexika später auch Fachliteratur bis hin zu Augenzeugenberichten der letzten Jahrhunderte. Aber auch griechische Mythologie, die Bibeln, Kunstbücher, Sagen und Heldengeschichten, Militärliteratur und vor allem Biografien interessieren und prägen mich bis heute. Meine Faszination für die Macht des geschriebenen Wortes ist ungebrochen und motivierte mich zum Schreiben dieser biografisch gefärbten Geschichte.
Das vorliegende Buch ist der Versuch, eine Geschichte zu erzählen, die aus dem Leben – auch ein wenig aus meinem eigenen - gegriffen ist.
Venedig, im Frühling 2019
Es war einmal ein junges Paar, frisch verheiratet; sie Anfang zwanzig, er Mitte zwanzig. Sie kamen gegen Ende des zweiten grossen Krieges in einem kleinen, friedlichen Land im Herzen Europas zur Welt. Beide waren sie gutaussehend, in soliden Berufen tätig und aus alten Familien des kleinen Landes stammend. Sie lebten in ihrer engen Welt, die strukturierter nicht hätte sein können und fühlten sich darin wohl. Sie strebten nicht nach Reichtum, Status oder Karrieren in ihren Berufen, sondern nach Glück in der Einfachheit. Sie entschlossen sich, eine Familie zu gründen und bekamen drei Söhne. Obwohl sich die Mutter nichts sehnlicher als eine Tochter gewünscht hatte, fügte sie sich ihrem Schicksal fortan in einer Männerwelt zu leben. Dies ist die Geschichte dieser Familie.
Der Vater war streng, aber gleichzeitig gutmütig und liebevoll: Zuckerbrot und Peitsche waren aus seiner Sicht bei drei Söhnen angebracht, um die testosterongetriebene Jungmannschaft irgendwie im Griff zu haben. Aber er lebte ihnen auch eine Sensibilität vor, die für seine Generation untypisch war. Die physische Ueberlegenheit des ehemaligen Spitzensportlers und seine Führungsfunktion bei den Gebirgstruppen der Armee des kleinen Landes nutzte er, um seinen drei Söhnen ein forderndes Vorbild zu sein.
Geistige Herausforderungen interessierten ihn wenig bis gar nicht, ausser der Fotografie, wo er seinen Perfektionismus ausleben konnte. Als junger, noch unverheirateter Schöngeist verbrachte er einige Jahre in Paris. Das war in den sechziger Jahren; eine Aufbruchstimmung in der Gesellschaft und Kultur machte sich breit, nicht nur in Europa, sondern in der ganzen westlichen Welt. Er liess sich darin treiben, fotografierte viel und tauchte in die Hauptstadt Frankreichs ein, so wie viele Vertreter dieser gegen Ende des zweiten Weltkrieges Geborenen. Als junger, ungebundener und gutaussehender Ausländer war er bei den Pariserinnen beliebt und begehrt zugleich. Seine amourösen Erlebnisse sollten ihn für den Rest seines Lebens prägen; die Sexualität nahm einen wichtigen Teil in seinem Leben ein.
Das kleine Land aus dem er kam, war von den kriegerischen Ereignissen weitgehend verschont geblieben und konnte in gewisser Weise sogar davon profitieren. Die Bürger des kleinen Landes überstanden den Krieg beinahe unbeschadet, was einerseits mit ihrer Neutralität und der strategischen Lage und andererseits mit diplomatischem Geschick seiner Politiker und Geschäftsleute zu tun hatte. Fast nichts wurde zerstört, die meisten Familien hatten trotz der Rationierung der Lebensmittel genug zu essen, viele waren - wie die Familie dieses Vaters auch - Selbstversorger.
Er stammte aus einer Familie, die privilegiert war und von einem „Haudegen“ – seinem eigenen Vater – angeführt wurde. Als uneheliches Kind geboren, war der Alte ein Patriarch und kein Vertreter der Zuckerbrotfraktion: Unternehmer, Offizier, Politiker, Ehemann und dann – ganz am Schluss – Vater.
Seine Frau war eine sanfte, stille und gläubige Person, die sich dem Aufziehen der drei Kinder – ein viertes war unterwegs -, dem grossen Haushalt und den privaten und geschäftlichen Finanzen widmete. Sie kümmerte sich rührend um die ausländischen Arbeiter der Firma, für die sie kochte, ihnen bei der Wäsche und beim Ausfüllen von Formularen half - viele konnten weder lesen noch schreiben. Die Arbeiter verbrachten mehrere Monate auf den Baustellen ihres Mannes und verdienten gutes Geld in harter Währung für den Preis, ihre Lieben während mehrerer Monate nicht sehen zu können. Die jungen Männer kamen aus den kriegsversehrten Ländern des europäischen Südens und hatten in den meisten Fällen keine Ausbildung und die Schule früh verlassen. Die Baubranche in dem kleinen Land boomte, ihr Mann verdiente mit seinem Geschäft gut. Seine Angestellten arbeiteten hart und wurden von ihm mit einer ihm eigenen brutalen Linie geführt. Wenn er unangemeldet auf seine Baustellen kam und sah, dass Arbeiter herumstanden, rastete er aus, nahm sich gelegentlich einen vor und schlug ihn vor versammelter Mannschaft. Die Arbeiter hatten Angst vor ihm, ganz im Gegensatz zum Verhältnis, dass sie zu seiner herzensguten Ehefrau hatten. Immer hatte diese ein offenes Ohr für die Anliegen dieser Arbeiter: wenn sie das Heimweh nach ihren Familien quälte oder das Geld für die daheimgebliebenen Frauen und Kinder fehlte, hatte diese herzensgute Frau dafür immer eine Lösung bereit, beziehungsweise ein paar Franken in der Schürzentasche, um den Angestellten auszuhelfen. Das müsse der Alte ja nicht unbedingt zu wissen bekommen, sagte sie dann den Arbeitern und auch sich selbst.
Der frühe Unfalltod ihres drittgeborenen Sohnes jedoch brach diese sanfte Frau und Mutter für den Rest ihres Lebens. Das Kind war kurzzeitig in der Obhut ihrer Schwiegereltern, denn sie hatte mit den zwei älteren Söhnen, dem Geschäft ihres Mannes und der Schwangerschaft mit dem vierten Kind alle Hände voll zu tun. Die Schwiegereltern führten ein Restaurant und liessen den Dreijährigen unbeaufsichtigt in der Wirtewohnung des Gasthofes. Alleingelassen und neugierig kletterte der Bub auf den Sims, öffnete das Fenster, fiel fünf Meter auf den harten Asphalt und brach sich das Genick. Sie hätte tagelang geschrien, berichtete der Vater später aus seinen Kindertagen. Dieser Vorfall sollte die Familie noch lange überschatten. Der Vater des verunfallten Kindes wurde noch härter zu sich und seinem Umfeld und wandte sich dem Alkohol zu, um seinen Schmerz zu betäuben. Die Geschwister des verunfallten Kindes sollten den Rest ihres Lebens extrem auf ihre eigenen Kinder und ihre Enkel aufpassen. Alle Fenster wurden mit Schlössern gesichert, was dem Nachwuchs das ungefragte Oeffnen verunmöglichte. Nie wieder sollte ein solcher Unfall die Familie erschüttern.
Die Kindheitserinnerungen des Vaters waren durch den Alkoholismus seines Vaters geprägt. So wartete die junge Familie am Heiligabend vor dem Christbaum auf den Vater der nicht kam. Die Mutter begann wortlos zu weinen und hielt ihre Kinder fest im Arm. Der Vater war mit seinen Freunden im Gasthaus am Trinken und hatte vergessen dass Weihnachten war. Als er dann sturzbetrunken nach Hause torkelte, fand er seine Familie tränenüberströmt um den festlich geschmückten Baum versammelt. Seine Frau sagte nichts, einer der Söhne schwor sich in diesem Moment, Alkohol nie in seinem Leben anzurühren.
Er wurde schnell erwachsen, ja, er musste schnell erwachsen werden, um sich von diesem Vater loszulösen und selbst ein anderer, besserer zu werden.
Er widmete sich dem Sport, spielte Eishockey in der Jugend-Nationalmannschaft des kleinen Landes und war bei den jungen Frauen sehr beliebt. Sein Aussehen erleichterte ihm vieles und er hatte grosses Selbstvertrauen in seine eigenen Fähigkeiten. Er stritt sich zeitlebens mit seinem Vater, der ihn brechen wollte, obwohl er ihn bewunderte. Natürlich wollte der Vater für seinen Sohn nur das Beste, aber er konnte es ihm nicht vermitteln, der Heranwachsende hatte den Respekt vor seinem Vater längst verloren. Sein ausgeprägtes Streben nach Anerkennung und sozialem Status lebte er im Sport aus.
Die beiden lebten zum Leidwesen der ganzen Familie eine ausgeprägte Hassliebe die sich auch später, als der Sohn nicht mehr zuhause wohnte, bei jedem Treffen wiederholen sollte. Anwesende gingen meist in Deckung, wenn die zwei böse blickenden, stahlblauen Augenpaare aufeinander trafen. Obwohl der Vater stolz auf seinen Sohn war, konnte er es ihm ein Leben lang weder sagen noch zeigen. Das Lob des Vaters wurde dem Sohn nur über Dritte zugetragen.
Der junge Fotograf war also seines Vaters und seiner Mutter Sohn, von beiden hatte er glücklicherweise das Richtige an Genen mitbekommen und kam nun nach einem etwas wilden Intermezzo in Paris – so definierte er es später gegenüber seinen drei Söhnen - zurück in das kleine Land, um eine Familie zu gründen.
In einer Grossfamilie aufgewachsen war sie das liebevolle, fürsorgliche „Sich-Aufopfern“ für ihre Brut gewohnt. Konflikte zu vermeiden hatte sie schon als junges Mädchen gelernt, denn man lebte auf engstem Raum, die Zimmer mit den Schwestern teilend. Die Familie musste wegen des Berufs des Vaters häufig umziehen, was für sie und ihre Geschwister später Konsequenzen haben sollte: Sie alle zogen nur selten um, sie wollten Wurzeln schlagen und strebten Stabilität an.
Intellektuelle Herausforderungen interessierten sie ebenfalls nicht, sie war schon als Mädchen wie ihre Schwestern von den Eltern auf ihre künftige Aufgabe als dienende Ehefrau und Mutter vorbereitet worden; in ihrer Familie waren berufliche Karrieren für die Mädchen verpönt. Sie war sich früh ihres Aeusseren bewusst, genauso wie ihre Schwestern, die ebenfalls zu begehrten jungen Frauen heranwuchsen. Als Fünfzehnjährige verbrachte sie ein Jahr in Frankreich, um in einem Waisenhaus zu arbeiten, etwas was damals viele junge Frauen aus dem kleinen Land taten. In ihren Briefen nach Hause konnte man das Heimweh, das sie plagte nicht nur zwischen den Zeilen lesen, und sie war überglücklich als das Jahr vorüber war.
Die Eltern erzogen ihre Töchter liebevoll und grosszügig, nicht im materiellen Sinn sondern was das Ausgehen und den Umgang mit dem anderen Geschlecht betraf. Der Vater war Chefbeamter bei den Bundesbahnen, ein grossgewachsener, stattlicher Mann, der durch sein Auftreten Autorität ausstrahlte und es nicht nötig hatte, laut zu werden. Sein sanftes, liebevolles Wesen machte ihn zu einem richtigen Mädchenvater. Er selbst war Einzelkind und wünschte sich als Bub Geschwister; er wusste, er würde eines Tages eine grosse Familie haben. Ihre Mutter, die zahlreiche Geschwister hatte, kümmerte sich wie alle Mütter dieser Generation hingebungsvoll um die Grossfamilie, kaufte ein, putzte, kochte und kümmerte sich um ihren Garten. Auch sie war gläubig, was man von ihrem Mann nicht behaupten konnte.
Sie durfte ihre Teenagerzeit in den sechziger Jahren ausleben, mit Männern ausgehen und ihre ersten sexuellen Erfahrungen sammeln, so dass sie sich Anfang zwanzig bereit fühlte, mit einem gleichgesinnten jungen Mann die Familienplanung anzugehen.