Althea Gibson – Gegen alle Widerstände. Die Geschichte einer vergessenen Heldin - Bruce Schoenfeld - E-Book

Althea Gibson – Gegen alle Widerstände. Die Geschichte einer vergessenen Heldin E-Book

Bruce Schoenfeld

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Beschreibung

Bis 1950 durfte sie nicht gegenWeißespielen. Dann gewann sie Wimbledon.

Althea Gibson war die erste Schwarze, die Wimbledon gewann. Doch der Weg dorthin war hart. Aufgrund ihrer Hautfarbe wird die US-Amerikanerin immer wieder diskriminiert und ausgegrenzt, auf dem Platz beschimpft und ausgebuht. Angela Buxton, Engländerin und Enkelin russischer Juden, kämpft aufgrund ihrer Herkunft mit ähnlichen Vorurteilen.

Beide Frauen gelten im Profitennis der fünfziger Jahre als Außenseiterinnen – bis sie sich zusammentun und in Wimbledon 1956 das Damendoppel gewinnen. Ein Sieg, der wie ein Donnerschlag die damalige Sportwelt erschüttert. Am Ende ihrer Karriere hat Althea Gibson elf Grand-Slam-Titel geholt.

Dies ist ihre Geschichte: zwei Frauen, die nicht zuließen, dass Intoleranz, Rassismus und Engstirnigkeit über sie triumphierten. Und ein Denkmal für die einst berühmteste Tennisspielerin der Welt.

»Der Königin von England die Hand zu schütteln, war ziemlich weit entfernt von der Erinnerung daran, im Bus in den mit dem Begriff ›colored‹ markierten Reihen zu sitzen.«

Althea Gibson

»Schoenfeld ist ein aufschlussreiches Buch über die vielen Ismen im Tennissport - Rassismus, Klassismus, Sexismus, Antisemitismus - gelungen.« Jens Uthoff, taz, 05.10.2021

»Just do it! Ein ganz tolles Buch auf gut 400 Seiten.« Sönke C. Weiss, Gesellschaft der Freunde der Künste, 25.09.2021

»Was Schoenfelds Buch lesenswert macht, sind die Schilderungen aus den wilden Fünfzigern im Tennis.« Thomas Klemm, FAZ, 22.10.2021

»Lesenswert und gerade frisch auf Deutsch erschienen.« Frank Gaß, Bayern2, 24.10.2021

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Seitenzahl: 526

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Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem TitelThe Match bei Amistad, einem Imprint von HarperCollins Publishers, New York.

© 2004 by Bruce Schoenfeld Deutsche Erstausgabe © 2021 für die deutschsprachige Ausgabe by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Published by arrangement with Amistad, an imprint of HarperCollins Publishers,LLC Coverabbildung von Gordon Parks / The LIFE Picture Collection / Getty Images E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN E-Book 9783749951291www.harpercollins.de

Widmung

Für Julie Selene und Theodore Samuel

Zitat

Wir beten, wir mögen gewöhnlich sein. Doch der wachsame Himmel trägt Sorge dafür, dass dem nicht so ist, wenn irgendetwas Gutes in uns ist. Dante war keine angenehme Gesellschaft, und er wurde nie zum Essen eingeladen.

RALPH WALDO EMERSON

Prolog: Angela

Prolog

ANGELA

In der Küche ihrer Eigentumswohnung im vierten Stock einer von vielen einander gleichenden Wohnanlagen, die auf einer besseren Sumpflandschaft in diesem gesichtslosen Teil von Südflorida aufragen, schwitzt Angela Buxton die Zwiebeln für das Sabbatmahl an. Das Fleisch für die geschmorte Rinderbrust steht zum Marinieren im Eisschrank, die Hühnersuppe köchelt vor sich hin, und auf dem Schneidebrett warten die Möhren. Angela ist nicht der Typ Mensch, der freitags ein hastig zusammengestelltes Abendessen serviert, ein paar Happen hier und da, begleitet von Entschuldigungen.

Wir befinden uns in der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts des zwanzigsten Jahrhunderts, und Angela ist einundsechzig Jahre alt. Angetrieben von Ehrgeiz und einer gesunden Portion Ungeduld ist sie in ihrem Leben immer ihrem eigenen Takt gefolgt. Sie verfügt über einen Koffer voller Zeitungsausschnitte und einen Funken Berühmtheit; Menschen eines bestimmten Alters kennen ihren Namen, vor allem in London, wo sie den Großteil ihres Lebens verbracht hat, bis erst der Mann, der zu ihrem Lebenspartner geworden war, dann ihr Sohn und schließlich ihre Katze starben. Diese Häufung von traurigen Ereignissen brachte sie dazu, ihr altes Haus zu verkaufen und sich ein Teilzeitrefugium an der Küste Floridas zuzulegen. Die Erinnerungen blieben, aber Angela ist keine Frau, die in Trauer versinkt. Sie begann, Golf zu spielen, und ging dabei mit dem für sie typischen Eifer ans Werk. Dank Ehrgeiz und Ungeduld wurde sie umgehend eine durchaus passable Spielerin.

Die Wohnanlage, in der Angela lebt, bildet ein in sich geschlossenes Städtchen, das sich wie ein Finger aus gedrungenen grün-grauen Gebäuden und den kurz geschnittenen Rasenflächen der Golfplätze nördlich von Hollywood (nicht zu verwechseln mit der Filmstadt in Kalifornien) tief nach Pompano Beach hinein erstreckt. Hier trifft man hauptsächlich auf Rentner und Menschen, die es im Winter in sonnige Gefilde zieht, darunter viele verwitwete oder geschiedene Frauen. An diesem Nachmittag im März werden in unzähligen der nahezu identischen Wohneinheiten auf allen Etagen Sabbatmahlzeiten zubereitet. In den Fluren riecht es wie in der Küche jeder jüdischen Großmutter.

Gerade als Angelas Zwiebeln die kritische Phase erreichen, in der schon eine kurze Unaufmerksamkeit dafür sorgen kann, dass sich die Küche mit dem bitteren Gestank nach Verbranntem füllt, klingelt das Telefon. Das allein ist schon besorgniserregend, denn in der Wohnanlage haftet Anrufen häufig ein Beigeschmack des Todes an. Die Annehmlichkeiten des klimaanlagengekühlten Seniorenlebens in subtropischen Gefilden können ohne jede Vorwarnung von Nachrichten über den Herzinfarkt eines Verwandten, die Tumormetastasen einer Freundin oder das verfrühte Dahinscheiden eines Nachbarn überschattet werden. Dass ein Anruf solche Neuigkeiten bringt, wird mit den Jahren wahrscheinlicher, und die Anzahl der tatsächlichen und möglichen Zipperlein nimmt zu, bis manche der älteren Bewohner Angst davor haben, überhaupt ans Telefon zu gehen. Das Leben hält nur noch schlimme Nachrichten für sie bereit.

Angela bekommt die Geschichten oft in allen Einzelheiten zu hören. Hinter ihrem entschiedenen Auftreten und ihrer Abneigung gegen nichtssagendes Geschwätz verbirgt sich viel Mitgefühl – vielleicht sogar zu viel. Sie ist extrem beliebt in der Wohnanlage, zum Teil, weil sie weiß, wie man sich durchsetzt. Sie beharrt auf ihrem Willen, bis ihr Gegenüber aufgibt. So bringt sie die Anlagenverwaltung dazu, eine kaputte Glühbirne auszutauschen, und das Club-Restaurant, die Matzeknödelsuppe auch ohne Salz zu servieren, wenn die Bewohner es so wollen. Sie ist eine Art Heldin hier, fast schon ein Idol. Die Bewohner ihrer Etage haben sie gebeten, sie bei den Eigentümerversammlungen zu vertreten, aber dafür fehlt ihr einfach die Zeit. Sie gibt immer noch Tennisunterricht und schreibt Artikel für Tenniszeitschriften und die eine oder andere britische Tageszeitung. Außerdem kümmert sie sich um die Unterbringung und den Transport der ausländischen Nachwuchsspieler, die am örtlichen Orange-Bowl-Turnier teilnehmen. Die Arbeit hält sie auf Trab, in mehr als einer Hinsicht, bis sie jedes Jahr im April ihre Sachen packt und sich auf den Weg nach Hause macht. Sie ist britische Staatsbürgerin und peinlich genau darauf bedacht, niemals auch nur eine Stunde länger, als es ihr Visum erlaubt, auf der amerikanischen Seite des Atlantiks zu verbringen – sie kalkuliert die Daten sorgfältig auf einem gelben Schreibblock, um sicherzugehen, dass sie den Zeitraum nicht überzieht.

Aus all diesen Gründen – den brutzelnden Zwiebeln, unterbewussten Befürchtungen in Bezug auf den Gesundheitszustand der Nachbarn und einem angeborenen Widerwillen gegen inhaltsleere Gespräche – zögert Angela, als das Telefon an diesem Freitagnachmittag klingelt. Doch nur wenige von uns können dem beharrlichen Geräusch widerstehen, das uns daran erinnert, dass in dieser ungewissen Welt jemand nach uns verlangt, selbst wenn es nur ein Verkäufer ist. Also legt Angela den Löffel sorgsam auf einem Trockentuch ab, wirft einen prüfenden Blick auf die Zwiebeln, wischt sich die Hände ab und eilt widerstrebend – wenn diese Kombination möglich ist – ins Wohnzimmer.

Das Summen in der Leitung verrät ihr sofort, dass es sich um ein Ferngespräch handelt. Und ebenso verrät ihr schon das erste Wort, dass es sich bei der Anruferin um eine Person handelt, von der sie seit vierzig Jahren mehr oder weniger regelmäßig hört. Die beiden begrüßen einander – eine Pflichtübung, bevor sie zum Wesentlichen übergehen. Angela ist klar, dass Althea Gibson nicht angerufen hat, um mit ihr zu plaudern.

»Es geht mir ziemlich schlecht«, gibt Althea zu. »Ich bin am Ende. Ich rufe an, um mich zu verabschieden.«

»Halt, stopp mal kurz. Was ist denn los?«

»Bei mir stapeln sich die Rechnungen. Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Es kommt kein Geld herein. Ich kann meine Medikamente nicht bezahlen. Es geht mir hundeelend. Ich kann einfach nicht mehr.« Dann presst Althea die Worte Ich bringe mich um hervor.

Im Lauf der Jahre hat Angela gelernt, in Krisenmomenten zu Hochform aufzulaufen. Als nun das Leben einer Freundin auf dem Spiel steht, ist sie sich ganz sicher, dass sie einen Weg finden kann, Althea Erleichterung zu verschaffen. Ihre Gedanken sind so klar wie der Märznachmittag. Kein einziger tanzt aus der Reihe.

»Lass uns darüber reden«, sagt sie. »Gib mir nur eine Minute, um die Zwiebeln vom Herd zu nehmen.«

Es gab eine Zeit, in der Althea Gibson die berühmteste Tennisspielerin Amerikas war. In den Sommermonaten 1957 und 1958, als Henry Aaron und die Milwaukee Braves zweimal in Folge die National League im Baseball gewannen, der Rock ’n’ Roll langsam, aber sicher anfing, den Schnulzensängern den Rang abzulaufen, und Eisenhower dafür sorgte, dass die USA den Russen immer einen Schritt voraus waren, war Gibsons Gesicht ständig in den Nachrichten präsent. Die groß gewachsene Schwarze mit den spinnengleichen Armen und Beinen und einem unergründlichen Lächeln hatte es ungefähr zur gleichen Zeit aus Harlem herausgeschafft, zu der Jackie Robinson bei den Dodgers berühmt wurde. Sie hatte sich über die Strukturen eines Sports hinweggesetzt, der keinerlei Interesse daran hatte, sie zu fördern, und überall dort, wo sie die üblichen Techniken nicht meistern konnte, ihre eigenen entwickelt. Sie rackerte sich ab, mit dem Tennis wenigstens genug Geld zu verdienen, damit es zum Leben reichte, und als der Erfolg ausblieb, erwog sie, den Sport aufzugeben und sich dem Women’s Auxiliary Corps der U.S. Army anzuschließen. Doch sie hielt durch, mobilisierte Reserven an Selbstvertrauen, von denen sie nichts geahnt hatte, und paradierte schließlich in einem offenen Wagen die Wall Street entlang, während Konfetti die Luft wie Schneeflocken erfüllte. Sie triumphierte zweimal in Wimbledon und zweimal in Forest Hills, wo bis 1978 die US National Championships ausgetragen wurden, und gab das Turnierspiel dann auf, um möglichst viel Geld zu machen. Sie nahm eine Schallplatte auf, gastierte als Sängerin in der Ed Sullivan Show und tourte mit den Harlem Globetrotters. Sie spielte Golf und trat als erste Schwarze der Ladies Professional Golf Association (LPGA) bei. Eine Zeit lang war alles, was sie tat, eine Nachricht wert. Die Welt kannte ihren Namen.

Doch 1995 war sie alt und längst vergessen. Eingeigelt hauste sie in ihrem heruntergekommenen Appartement in East Orange, New Jersey, wo sich die Rechnungen stapelten und der Gasmann drohte, den Hahn zuzudrehen. Sie spürte die Jahre in den Knochen, hatte einen Schlaganfall hinter sich, ihr Blutdruck war gefährlich hoch, und ihr Gedächtnis fing an, ihr hinterhältige Streiche zu spielen. Ihr fehlte das Geld, um ihre Medikamente zu bezahlen, und sie hatte das Gefühl, es könne nur noch bergab gehen. Für ein solches Leben, alt und kaputt wie ein schrottreifes Auto, das aufgebockt in einem schäbigen Hinterhof herumsteht, war sie zu stolz. Worin lag der Sinn des Ruhms, wenn am Ende doch nur Krankheit, Armut und Verzweiflung warteten? Zu Angela sagte sie: »Das ist der schnellste und einfachste Ausweg. Ich will niemandem zur Last fallen. Ich wollte mich nur verabschieden.«

Angela zählte zu Altheas ältesten Freundinnen, war eine der Wenigen, die mit ihr durch dick und dünn gegangen waren. Sie besuchten einander jedes Jahr zu den US Open, und Althea war 1984 sogar nach London gekommen, zur Hundertjahrfeier des Damenturniers in Wimbledon. Doch jetzt waren solche Reisen undenkbar. Althea wollte kaum noch aufstehen. Es würde keine weiteren Wimbledons mehr geben, keine dieser fröhlichen, wichtigen kleinen Vergnügungen. Warum also noch weitermachen?

Angela wechselte in den forsch-pragmatischen Modus. Sie ließ sich von Althea vorrechnen, wie viel Geld sie bräuchte, um sich über Wasser zu halten. Sie solle alle Ausgaben addieren, auch die angesammelten Rechnungen, und eine Summe nennen. Die Antwort lautete 1500 Dollar pro Monat – ein lächerlicher Betrag. Für 1500 Dollar das Leben der Freundin retten? Das ließ sich machen.

Doch Altheas Notlage änderte nichts daran, dass sie eine stolze – und störrische – Frau war. Ohne zumindest dagegen protestiert zu haben, wollte sie die Unterstützung nicht annehmen. Aber davon wollte wiederum Angela nichts hören. Sie und Althea waren Doppelpartnerinnen gewesen, und auf dem Platz galt: Man lässt seine Partnerin nicht im Stich. Wie oft hatten sie einander bei umkämpften Punkten gedeckt, waren von der Vorteilseite auf die Einstandseite und wieder zurück gewechselt, während sich der Ballwechsel in die Länge zog? Sie wussten genau, wo sie stehen mussten, um den Ball im Spiel zu halten, bis Althea den richtigen Winkel erwischte, um ihre ausladende Vorhand anzubringen oder den Ball von kurz vor der Aufschlaglinie ins gegnerische Feld zu schmettern, wobei ihre Arme und Beine in alle Richtungen flogen und ihre Augen hervortraten wie die von Popeyes Olivia. Dann drehten sich beide gleichzeitig um, als hätten sie es geprobt, und liefen zurück auf ihre Positionen, in dem Wissen, dass ihre unwahrscheinliche Partnerschaft funktionierte. In diesen Augenblicken glaubten sie, dass ihnen der Sieg vorherbestimmt war.

Angela stammte aus einer wohlhabenden und liebevollen Familie, obwohl sich ihre Eltern hatten scheiden lassen, als sie noch ein Kind war. Sie wusste, dass sie immer auf die Unterstützung ihres Vaters, eines Unternehmers aus der Unterhaltungsbranche, zählen konnte. Althea hatte nie eine solche emotionale Geborgenheit erlebt, und ein finanzielles Sicherheitsnetz gab es bei ihr nicht. Sie käme nie auf einen grünen Zweig, meinte Angela, wenn sie sah, wie Althea sich durchs Leben improvisierte. Jetzt brauchte Althea, für die es immer schon schwierig gewesen war, die richtige Lebensweise für sich zu finden, Hilfe. Ihre Leistungen – und damit auch die gemeinsamen Leistungen der beiden – waren in der Erinnerung verblasst. Jackie Robinson war eine amerikanische Baseball-Legende, Billie Jean King der Inbegriff des Damentennis, doch der Name Althea Gibson war niemandem mehr geläufig. Nur noch in Geschichtsbüchern stieß man auf ihn, wo ihn wahrscheinlich auch die Schüler an ihrer alten Grundschule in Harlem gerade lasen – während Althea selbst weiterhin Tag für Tag in ihrer Wohnung verbrachte, zu arm, um zum Zahnarzt zu gehen, zu krank, um Auto zu fahren.

Angela machte sich ans Werk. Die Lipton Championships standen an, das wohl wichtigste amerikanische Tennisturnier gleich nach den US Open, das jedes Jahr im März im nahegelegenen Key Biscayne stattfand. Also setzte sich Angela ins Auto, nahm die Interstate 95 und fuhr zu einem Galadinner, wo sie den Autor und Kommentator Bud Collins traf, der an einem der Tische saß und sein neues Buch bewarb. Der wie üblich in Rosa und Grün gekleidete Collins war in der Menge leicht auszumachen, und Angela litt nicht an Schüchternheit, was sie Althea zu verdanken hatte. Sie ging geradewegs auf Collins zu und stellte sich vor.

Collins musste man nicht erklären, wer Althea Gibson war – er war der Autor der Tennis Encyclopedia. Dort findet man zu Althea auf S. 403 diesen Eintrag: »Keine Spielerin hat auf dem Weg zum Titel mehr Hindernisse überwunden als Althea Gibson, die erste Schwarze, die in Wimbledon und Forest Hills gewann.« Er wusste auch, wer Angela war, sobald sie ihren Namen genannt hatte. In seinem Kopf war sie für immer mit Althea verbunden. Altheas aktuelle Situation war ihm nicht bewusst, doch er hatte sich schon gewundert, warum sie nicht mehr ans Telefon ging. Er bot an, alle, die er kannte, um Hilfe zu bitten, und er kannte wirklich jeden. So kam es, dass erfolgreiche Tennisspieler aus verschiedenen Epochen Tausende Dollar spendeten. Martina Navratilova steuerte ebenso etwas bei wie Dick Savitt, der 1951 in Wimbledon gewonnen hatte. Angela war überglücklich, doch Althea erhielt zunächst einmal keinen Cent. Warum, bleibt ein Rätsel, wie so viele Dinge in Altheas Leben. Vielleicht wurden die Schecks nie abgeschickt, vielleicht gelangte das Geld in falsche Hände – niemand fand es je heraus. Bei Althea kam es jedenfalls nicht an, nicht bei diesem ersten Versuch. Die Zeit verging. Angela stellte weiterhin Schecks aus.

Ein Jahr nach Altheas Anruf bei Angela nahm sich ein freier Journalist und Autor namens Paul Fein der Sache an: »Ich rufe jeden Tennisliebhaber, jeden Menschen, der zu Wohlwollen und Mitgefühl fähig ist, dazu auf, Althea Gibson zu helfen, bevor es zu spät ist«, schrieb er in einem Brief an den Herausgeber von TennisWeek, der am 8. Juni 1996 veröffentlicht wurde. »Sie ist mittellos, ausgemergelt (keine fünfundfünfzig Kilo bei einer Größe von 1,80 Meter) und völlig entmutigt. So hält sie vielleicht nicht mehr lange durch.« Er bat darum, Spenden an ein Postfach zu schicken, dass Angela in East Orange für Althea eingerichtet hatte.

Es war das zweite Mal, dass ein Aufruf in Briefform Altheas Leben verändern sollte. 1950 hatte die ehemalige Wimbledon-Siegerin Alice Marble einen Leitartikel für das Magazin American Lawn Tennis verfasst, in dem sie fragte, warum eine talentierte Schwarze wie Althea Gibson ihre Fähigkeiten nicht gegen die besten Amateure bei den US Championships unter Beweis stellen durfte. Das war drei Jahre nach Jackie Robinson und vier Jahre vor Rosa Parks. Damals meldeten sich Schwarze für Turniere an, die dann auf mysteriöse Weise abgesagt wurden. Oder sie bekamen zu hören, sie erfüllten die Kriterien nicht, ohne weitere Erklärung, was das genau hieß. Es war ein Hütchenspiel mit den Vorsitzenden der Country Clubs in ganz Amerika in der Rolle der Betrüger. Sie taten, was immer nötig war, um sicherzustellen, dass kein Schwarzer Mensch auch nur einen Fuß auf ihre Plätze setzte.

Marbles Artikel stellte das Sportestablishment bloß. Der Tennisverband USLTA (seit 1975: USTA), der es zum Geschäftsprinzip erhoben hatte, Kontroversen zu vermeiden, sah sich zum Einlenken gezwungen. In jenem September trat die dreiundzwanzigjährige Althea gegen die amtierende Wimbledon-Siegerin an, in einem Match, das allen, die es sahen, ihr Leben lang in Erinnerung bleiben wird. Danach konnte niemand mehr ernsthaft in Erwägung ziehen, Althea Gibson eine Turnierteilnahme zu verweigern. Doch das war nicht das Ende des beschwerlichen Weges, sondern dessen Beginn. Es sollte noch sieben Jahre dauern, bis Althea einen Titel in Wimbledon oder Forest Hills gewann.

Paul Feins Brief rund fünfundvierzig Jahre später sprach das kollektive Schuldbewusstsein der wohlhabenden Weißen, der Country-Club-Republikaner und der »Limousinenliberalen« unter den Demokraten an, die die Tenniswelt bevölkern. Sie schickten fünfzig Dollar, hundert Dollar – mit wie viel auch immer sie sich ein gutes Gewissen erkauften. Als die ersten Schecks in East Orange eintrafen, rief Althea bei Angela an. Nach außen hin wirkte sie gekränkt – wie konnte es jemand wagen, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen –, aber Angela wusste, dass sie dankbar war. Angela wiederum tat so, als wisse sie von nichts, doch Althea durchschaute sie, was Angela auch wusste. So lief es eben zwischen ihnen.

Das plötzliche Interesse an Althea führte zu der Idee, einen Film über sie zu drehen. Das Ergebnis war eine Chronik ihres Lebens und ihrer Epoche, die bei den US Open 1999 Premiere hatte. Zu der Zeit gewann Venus Williams ihre ersten Turniere. Also entstaubte man Altheas Ruhm und präsentierte sie als direkte Vorläuferin von Williams. Sie fing wieder an, das eine oder andere Interview zu geben, kaufte sich ein Auto und ging zum Zahnarzt. Freitags setzte sie sich in ihren Wagen, fuhr zum Postamt und holte ab, was dort für sie im Fach lag. Sie hatte wieder Hoffnung geschöpft. Ihre Doppelpartnerin hatte sie gerettet.

Gehen wir fünfzig Jahre in der Zeit zurück. Ein warmer Nachmittag im Nachkriegslondon. Die fünfzehnjährige Angela Buxton kommt aus ihrer Schule in der Fitzjohn’s Avenue oberhalb des Regent’s Park und steigt in einen Bus der Linie 74. Ihr Ziel ist der Queen’s Club, eine Tennisanlage etwas weiter westlich, wo sie, eine Jüdin aus der Mittelschicht, Mitglied ist. Im Gegensatz zu den anderen Tennisclubs im London jener Zeit ist es im Queen’s egal, wer man ist oder wie gut man Tennis spielt. Der Krieg hat der Wirtschaft schwer zugesetzt, und wenn man das Geld hat, wird man in den Club als Mitglied aufgenommen.

Angela hat in der Zeitung gelesen, dass Althea Gibson bei den London Grass Court Championships antritt, einem Turnier, das als eine Art Aufwärmtraining für Wimbledon gilt. Althea interessiert sie. Nun sitzt sie im Bus, einen Rucksack auf dem Schoß, was ihr einige neugierige Blicke und sogar das eine oder andere Kichern einbringt – in jener Zeit haben sonst nur Landstreicher Rucksäcke. Sie ist allein unterwegs, was ebenfalls ungewöhnlich ist, aber das ist ihr egal. Schon jetzt hört sie vor allem auf ihre innere Stimme.

Angela hat lange Arme und Beine und einen kraftvollen Schlag, auch wenn es ihr ein wenig an Athletik fehlt. Seit sie während des Krieges als Kind mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in Südafrika gelebt hat, sind Schwarze Menschen für sie nicht ungewöhnlich. Schon damals hatte sie nicht verstanden, warum es alle für einen Skandal hielten, dass sie mit einem Schwarzen Mädchen spielte. Darauf hat sie auch jetzt noch keine Antwort.

Als Jüdin war sie auf der Klosterschule in Johannesburg eine Außenseiterin gewesen. Auch in England werden sowohl Schwarze als auch Juden als klare Abweichung von der weißen, angelsächsischen Norm wahrgenommen. Und jetzt ist da diese Schwarze Frau, die im Tennis gegen die Weißen in Wimbledon antreten will. Das will sie sehen.

Als sie durch das Tor des Queen’s Club tritt, findet sie sich in einer Menschenmenge wieder – oder in dem, was bei einem Tennisturnier 1951 als eine solche gilt. An einigen Stellen stehen die Zuschauer in Hemdsärmeln drei Reihen tief und recken die Hälse, um eine freie Sicht auf den Platz zu bekommen. Ihr Interesse gilt Althea, die für sie vor allem eine Kuriosität ist und die gerade ihr Erstrundenspiel bestreitet. Angela sieht gar nichts. Erst als sie sich nach vorn durchgedrängt hat, kann sie einen Blick auf Althea erhaschen. Zunächst glaubt sie, sie habe sich vertan – das ist doch ein junger Mann, der dort mit einem Ball in der Hand an der Grundlinie steht. Althea trägt eine ärmellose Weste über einem Polohemd. Beim Aufschlag hebt sie die Arme weit über den Kopf. Ihr Gesichtsausdruck ist stoisch, es ist unmöglich zu erkennen, ob sie gewinnt oder verliert, ob sie sich freut oder ärgert. Sie schlägt den Ball, wie Angela es noch bei keiner Frau erlebt hat. Ihr Arm scheint aus den Schäfchenwolken hinabzuschnellen, und die Aufschläge fliegen mit viel Tempo geradeaus über das Netz, nicht in dem dezenten Bogen, mit dem sich in der Wochenschau selbst die Turniersiegerinnen zufriedenzugeben scheinen.

Es ist das erste Mal seit ihrem Aufenthalt in Südafrika, dass Angela einen Schwarzen Menschen aus nächster Nähe sieht. Und sie ist fasziniert von Althea Gibson. Denn Althea ist anders. In Gestalt und Wesen unterscheidet sie sich von allen anderen Tennisspielerinnen, denen Angela bisher begegnet war. Außerdem ist sie ein Star. Angela hat Artikel über sie gelesen, und jetzt ist sie hier: Schweißtropfen sammeln sich auf ihrer Oberlippe, als sie mit katzengleichen Bewegungen ans Netz eilt, um das Match zu gewinnen. Der Gedanke, sich mit dem Tennisspiel einen Namen zu machen, ist Angela bisher noch nie gekommen, doch jetzt ist er mit einem Mal da. Als Althea den Platz verlässt, beobachtet Angela sie ganz genau, als wolle sie sich die Details der Szene für den Fall einprägen, dass später irgendjemand auf die Idee kommen sollte, sie davon überzeugen zu wollen, dass das Ereignis gar nicht stattgefunden habe.

Im letzten Augenblick, Althea ist schon fast vorbeigeeilt, bittet Angela sie um ein Autogramm. Althea dreht sich zu ihr um, aus heiterem Himmel tauchen Stift und Papier auf, Althea unterschreibt. Es kommt zu keinem Blickkontakt zwischen den beiden Frauen, aber Angela bleibt dieser Moment für immer in Erinnerung. Althea hingegen hat ihn schon vergessen, als sie sich weiter durch die Menge drängt.

Fünf Jahre später taten sich diese beiden Außenseiterinnen zusammen, um das Damendoppel in Wimbledon zu gewinnen, dieses spießigsten und überheblichsten, aber zugleich traditionsreichsten und renommiertesten aller Tennisturniere.

Dann trennten sich ihre Wege wieder. Eine Verletzung setzte Angelas Karriere kurz nach Wimbledon ein Ende, woraufhin sie ihren Ehrgeiz ganz auf das Entwerfen von Mode, den Journalismus und ihr Leben als Ehefrau und Mutter richtete. Althea hingegen stieg zum Champion auf, zur besten Tennisspielerin der Welt. Sie war eine Berühmtheit, auch außerhalb der Tenniswelt, ging mit den Harlem Globetrotters auf Tour und absolvierte ein Showmatch vor deren Auftritten, nahm eine Schallplatte auf, wurde Profigolferin. Und sie verlor ihr ganzes Geld, während Angela ihres geschickt verwaltete.

Je mehr Zeit verstrich, desto weniger schienen die beiden gemeinsam zu haben. Sie hatten unterschiedliche familiäre und soziale Hintergründe und lebten grundverschiedene Leben. Trotzdem quartierte sich Althea jedes Mal, wenn sie nach London reiste, bei Angela ein. Sie genoss es, fernab der Heimat ein Zuhause zu haben, einen Ort, wo sie ihre Klamotten herumliegen lassen konnte, ohne dass ihr jemand einen Vorwurf machte, und wo sie in der Badewanne singen konnte, wenn sie wollte. Jahre später, als Angela angefangen hatte, als Tennistrainerin zu arbeiten, und wieder zu Turnieren reiste, rief sie jedes Jahr vor den US Open in East Orange an, frischte den Kontakt auf und kündigte ihren bevorstehenden Besuch an. Dann trafen sich die beiden einen Nachmittag lang, schauten sich zusammen die Partien an und schwelgten in Erinnerungen.

So sehen die Eckpunkte einer über fünfzig Jahre andauernden Freundschaft zwischen zwei Frauen aus, die beide auf ihre Art einzigartig sind. Was mit einer Bitte um ein Autogramm begann, wurde auf den Kopf gestellt, als Angela – vielleicht im wahrsten Sinne des Wortes – Althea das Leben rettete. Die Zeit ist der große Gleichmacher, doch in früheren Jahren war der jeweilige Status der beiden Frauen nicht immer so, wie es den Anschein hatte. Althea war von Anfang an bekannter. Doch beim Wimbledon-Turnier 1956, bei dem die beiden zusammen den Sieg im Doppel und damit den krönenden Erfolg in Angelas Leben erreichten, war es Angela, nicht Althea, die am gleichen Tag auch im Einzelfinale stand.

Althea sollte insgesamt fünf Grand-Slam-Erfolge im Einzel feiern, Angela keinen. Dennoch waren es Angela und ihre Familie, die Althea unterstützten, finanziell und indem sie sie über Wochen bei sich zu Hause wohnen ließen. Wenn wir Angela heute noch kennen, liegt das an ihrer Verbindung zu Althea. Doch wenn uns Altheas Name geläufig ist, ist das in großen Teilen Angela zu verdanken, die vier Jahrzehnte später die Trommel für ihre Freundin schlug und uns an sie und ihre Leistungen erinnerte.

Althea zählt zu den unergründlichsten Sportheldinnen der jüngeren Geschichte. Es war schwierig, an sie heranzukommen, und noch schwieriger, sie zu verstehen. Was sie erreicht hat, ist in die Annalen des Tennissports eingegangen und unumstritten, doch diejenigen, die sie spielen sahen, kamen hinsichtlich ihres Talents zu ganz unterschiedlichen Einschätzungen. Sie war einschüchternd, athletisch, eine Vorläuferin eines neuen Typs Sportlerin, verharrte jedoch lange im Schatten, bis die begabtesten Spielerinnen der vorherigen Generation ihre Karrieren beendet hatten. Mit Mitte zwanzig, in einem Alter, in dem die meisten Spielerinnen den Gipfel des Erfolgs erreichen, bewarb sie sich beim US-Militär und hätte das Tennisspiel fast für immer aufgegeben.

Obwohl sie als erste Tennisspielerin gilt, die in den USA, wo das Leben von der Rassentrennung bestimmt war, die color line in ihrer Sportart aufgebrochen hat, reagierte sie eher ungehalten, wenn diese Leistung allzu sehr betont wurde, und weigerte sich, sich über ihre Hautfarbe definieren zu lassen. Sugar Ray Robinson bezahlte ihren Highschool-Ring, Joe Louis finanzierte ihr eine Reise nach England, die Stadt New York veranstaltete ihr zu Ehren zwei Konfettiparaden, sie wurde in zahllose Halls of Fame aufgenommen, und trotzdem fühlte sich Althea bis zu ihrem Tod 2003 nicht angemessen als Tennisspielerin gewürdigt. Auch privat konnte das Äußere trügerisch sein. Wenn sie im Fred-Perry-Polohemd auf dem Platz stand, wurde sie oft für einen Mann gehalten, doch wenn sie beim Wimbledon-Ball geschminkt und im Abendkleid Balladen sang, war sie der Inbegriff der Weiblichkeit. Obwohl Althea zu ihrer Zeit eine der berühmtesten Sportlerinnen der Welt war, hatte sie nur wenige enge Freunde; als ihr Leben auf der Kippe stand, wandte sie sich an ihre ehemalige Doppelpartnerin, die sie in den Jahrzehnten zuvor nur wenige Male gesehen hatte. Außerdem war über die Frau, die als amerikanische Heldin besungen wurde, kein einziges ernsthaftes Buch erschienen außer das, welches sie selbst geschrieben hatte.

Diejenigen, die sie am besten kannten, kannten sie tatsächlich oft kaum. »Es war immer schon ein Fehler von mir, dass ich so wenige Menschen an mich heranlasse, und nur wenige dieser Menschen konnten wissen, wie ich wirklich war und wie ich dazu wurde«, schrieb sie in ihrer 1957 erschienenen Autobiografie I Always Wanted to Be Somebody. Angela war eine Ausnahme. Althea und Angela reisten zusammen, spielten zusammen, wohnten zusammen. Althea nannte Violet Buxton, Angelas Mutter, »Mom« und betrachtete die Wohnung am Rossmore Court in London als ihr zweites Zuhause. Als Althea im heißen Sommer 1957, nach fast einem Jahrzehnt voller Enttäuschungen, das Dameneinzel in Wimbledon gewann, erwähnte sie Angela in ihrer Rede. »Wie könnte ich meine gute Freundin und ehemalige Doppelpartnerin Angela Buxton vergessen, für deren Freundschaft ich immer dankbar sein werde?«, sagte sie. Dann schob sie auf ihre typische Art hinterher: »Auch wenn sie immer vergisst, die kalte Milch hereinzuholen, sodass ich nach dem Aufstehen ständig warme Milch trinken muss. Also, Angela: Beim nächsten Mal schaffen wir es, dass die Milch richtig kalt ist, ja?«

Dass Althea Afroamerikanerin war und Angela Jüdin, ist kein Zufall. »Die Geschichte der Schwarzen und Juden war eine Geschichte der USA in der Mitte des Jahrhunderts«, schrieb Samuel G. Freedman von der Columbia University 2003 in der New York Times, »eine Geschichte der Allianzen, die im Zusammenhang mit dem Scottsboro-Boys-Fall, den Anti-Lynch-Gesetzen, der Gründung der Kommissionen für faire Beschäftigung und natürlich der Bürgerrechtsbewegung entstanden.« Er dachte dabei nicht an zwei Tennisspielerinnen, die sich diese mittelmäßig beliebte Sportart erschlossen und sie damit auch öffneten, doch es hätte gepasst. Die Außenseiterinnenposition verlieh Angela und Althea die nötige Entschlossenheit, um Erfolg zu haben, und sorgte letztendlich auch dafür, dass sie als Partnerinnen im Doppel zusammenfanden. Und obwohl sie nur eine Handvoll Turniere 1956 gemeinsam bestritten, vom Pariser Hallenturnier im Februar bis zu Wimbledon Anfang Juli, prägte die Freundschaft zwischen ihnen von da an das Leben beider.

Bei manchen Objekten ist es ergiebiger, sie indirekt zu betrachten, als den Blick voll auf sie zu richten. So ist es mit der Sonne, deren Licht vom Mond reflektiert wird, und so ist es auch mit Althea Gibson. Ihre Beziehung zu Angela beleuchtet ihr Innenleben auf eine ganz neue Weise, abseits des grellen Scheinwerferlichts, das die späteren Mythenerzähler auf sie richteten.

1: Althea

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ALTHEA

Althea Gibson kam in South Carolina zur Welt, doch als sie drei Jahre alt war, schickte man sie nach Harlem zu ihrer Tante Sally, die illegal gebrannten Whiskey verkaufte. So erzählt es Althea in I Always Wanted to Be Somebody, und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Altheas Gedächtnis ließ gegen Ende ihres Lebens nach, und es hieß, sie könne sich nicht mehr an die Details eines einzigen Tennisspiels erinnern, das sie bestritten hatte: »Ich weiß nicht mehr alles, was ich getan habe, oder wann oder wie ich es getan habe«, sagte sie in einem lichten Augenblick kurz vor ihrem Tod. Doch auch so gibt es genügend belegbare Fakten.

Althea wurde am 25. August 1927 in der Kleinstadt Silver geboren, als Tochter von Daniel und Annie Gibson und mit einem Gewicht von gut dreieinhalb Kilogramm. Einen Großteil ihrer Jugend verbrachte sie mit einem jüngeren Bruder und drei Schwestern in Harlem und zwei Jahre – vermutlich 1934 und 1935 – bei ihrer Tante Daisy in Philadelphia. Das war auf dem Höhepunkt der »Great Depression« nicht weiter ungewöhnlich: Familien schickten ihre Kinder zu Verwandten, die noch Arbeit und genug zu essen hatten.

In Harlem wohnte Althea etwa ab 1936 in der 135 West 143rd Street, zwischen der Lenox Avenue und der Seventh Avenue, in einem der Gebäude, die heute den Namen »Frederick-E.-Samuel-Apartments« tragen. Die Backsteine leuchten heute rot, waren damals aber braun. Über die gesamte Fassade verlaufen Feuertreppen, wie zu der Zeit, als Althea dort lebte.

Sie und ihre Freundin Alma Irving verbrachten Stunden auf dem öffentlichen Basketballplatz und warfen Körbe, oder sie schauten sich im Apollo-Theater Filme an. Die Schule war für sie weitaus weniger wichtig. Althea schwänzte tagelang den Unterricht. Und dann fuhr sie lieber die ganze Nacht lang mit der U-Bahn quer durch die Stadt, als nach Hause zu gehen und sich die Prügel abzuholen, die sie dort erwarteten. Ihre Mutter lief morgens um zwei auf der Suche nach ihr durch die Straßen und rief ihren Namen. Ihr Vater schaffte es nicht, sie zu bändigen, nicht mal wenn er seine Fäuste einsetzte. Einmal verbrachte Althea eine Nacht im Gebäude eines Kinderschutzbunds in der 105th Street, wo sie die Striemen auf dem Rücken vorzeigte, die ihr Vater ihr vor lauter Frust mit seinem Gürtel zugefügt hatte. Es sei nicht seine Schuld, meinte sie; sie könne einfach nicht zu Hause bleiben. Der Grund dafür waren nicht Drogen oder Sex oder irgendetwas Schlimmeres als etwas gemopstes Obst vom Bronx Terminal Market, sondern allein ihre innere Rastlosigkeit.

Vor dem Krieg war Harlem noch kein Slum. Dazu kam es erst später, als sich zunächst die äußeren Stadtbezirke von New York und dann auch Vororte wie Mount Vernon in Westchester County für Schwarze öffneten. Die Stadtflucht der Weißen ist gut dokumentiert, doch genauso zogen viele Schwarze weg, sobald sich die Käfigtüren öffneten. Warum sollten sie im überfüllten Harlem bleiben mit seinen kaputten Straßen und den verrosteten Feuertreppen, auf denen die Kinder die schwülen Sommernächte vertrödelten? Viele der Wohlhabendsten, Erfolgreichsten und Kreativsten verließen Manhattan zugunsten von grüneren Gefilden. Count Basie etwa zog nach St. Albans in Queens, ebenso wie Cab Calloway.

Harlem war also in den 1930er- und den frühen 1940er-Jahren kein Slum, aber doch ein Ghetto. Eine Art Insel, eine Welt für sich. Wie in den historischen jüdischen Ghettos in Mitteleuropa lebten dort Menschen aus allen Gesellschafts- und Einkommensschichten. Die Bewohner des Straßengitters, das sich etwa zwischen der 110th und der 155th Street von Fluss zu Fluss erstreckte und aus verschiedenen Vierteln bestand, stellten einen eigenen Querschnitt der amerikanischen Gesellschaft dar. Es gab Millionäre in Sugar Hill und Bettler in der Gosse. Es gab Priester und Anstreicher, Kleinunternehmer und Falschspieler. Es gab Schwarze aus der Karibik und Schwarze aus dem Süden der USA – zwei völlig unterschiedliche Charaktertypen, die einander oft mit Misstrauen begegneten.

Auf einem berühmten Foto des Boxers Joe Louis aus dem Jahr 1935, das ihn zeigt, wie er im dreiknöpfigen Kamelhaarmantel durch Harlem spaziert und dabei überaus majestätisch wirkt, sieht man links im Bild – in Lederjacke und einer Pluderhose, die in hohen Stiefeln steckt – den jungen Desmond Margetson, der es in die erste Reihe der Menschenmenge geschafft hatte, als Louis vorbeilief und der Fotograf den Auslöser drückte, und nun grinst wie ein Verrückter. Margetson würde später an der New York University (NYU) Tennis spielen und 1954 zusammen mit Althea ein Doppelturnier in der Seventh Regiment Armory bestreiten. Es ist kein Zufall, dass in dieser Geschichte immer wieder die gleichen Namen auftauchen. Die Welt war damals kleiner, und herausragende Menschen fanden einen Weg, sich durchzusetzen – oder zumindest einen Blick auf Joe Louis zu erhaschen, wenn es das war, was sie anstrebten. Margetson machte im Jahr 1957 wieder von sich reden, als ihm als Ingenieur die Idee für eine aufblasbare Zeltkonstruktion kam, die sich über einem Außenplatz aufspannen ließ und es Tennisfans egal welcher Hautfarbe ermöglichte, auch bei ungemütlichem Wetter zu spielen.

Natürlich hatte Harlem seine berühmten Nachtclubs, und die Weißen kamen wegen Veranstaltungen im Apollo in den Stadtteil. Es gab gute Viertel und schlechte Viertel, Restaurants, Bekleidungsgeschäfte, Kunstgalerien und Läden wie Spreen’s, wo die Schwarzen Kinder ihr Taschengeld für Milchshakes ausgaben, genauso wie es die weißen Kinder in der Lower East Side und in Brooklyn Heights taten.

In jener Zeit war es in Amerika üblich, dass die staatlichen Institutionen das urbane Leben aktiv mitgestalteten. Zentralisierte Lösungen waren noch nicht verpönt. Die Police Athletic League (PAL) war berechtigt, ganze Straßenzüge für den Verkehr zu sperren. Jeden Sommer riegelte man mehrere Blocks in Harlem ab und erklärte sie zu öffentlichen Spielflächen – »Play Streets«. Im nördlichen Teil von Manhattan gab es kaum öffentliche Sportanlagen und noch weniger Parks, also dienten die Straßen als Spielfelder für Himmel und Hölle, Paddle-Tennis oder Stickball, eine angepasste Art von Baseball mit Besenstielen als Schlägern und Gummi- oder Tennis- statt Lederbällen. Außerdem drehte man regelmäßig Hydranten auf, damit sich die Kinder abkühlen konnten. Die Polizei, der wohlwollende Friedensstifter, stellte die gesamte Ausrüstung; die Kinder konnten einfach kommen. Es war wie ein Ferienlager, bis auf die Tatsache, dass abends zu hören war, wie eine Mutter nach der anderen ihre Kinder durch das Wohnungsfenster zum Essen hereinrief.

Zu den Straßen, die die PAL regelmäßig absperrte, gehörte ein Teil der 143rd Street. Als Althea eines Tages dort vorbeikam, spielte sie eine Partie Paddle-Tennis – eine Variante des Spiels, die mit kurzen Holzschlägern und einem Gummiball ausgeführt wird. Althea war groß und schlaksig und hatte lange Arme. Wenn wir glauben, was man sich erzählt, gewann sie schnell ein Spiel nach dem anderen. Sie stand auf dem Platz, bis es dunkel wurde, forderte jeden heraus, der vorbeikam, ohne je zu verlieren. Bald war sie die beste Spielerin des Blocks, und als die PAL die Kinder von der 143rd Street gegen Teams von anderen Play Streets antreten ließ, gewann sie auch fast alle dieser Partien.

Dieses Talent, den Paddle-Ball richtig zu treffen, sollte Althea schließlich zu einem Tennisstar machen. Doch anfangs war ihr jede Sportart recht. Ihr Vater brachte ihr das Boxen bei und lehrte sie, Schlägen ebenso auszuweichen wie sie auszuteilen, was ihr nicht nur bei der Selbstverteidigung half, sondern auch eine gute Vorbereitung auf die Profi-Karriere war. (Das war vor dem zeitweiligen Verbot des Frauenboxens.) Sie spielte im Mount Morris Park an der 121th Street Softball mit den Jungs. Sie spielte Basketball auf Schulhöfen und später, als sie etwas älter war, in einem festen Team, den Mysterious Five, das gegen Mannschaften aus Krankenschwestern, Lehrerinnen und anderen Gruppen antrat.

Die Mädchen von den Mysterious Five kannten einander seit Jahren. Mit Gloria Nightingale war Althea schon seit der Grundschule befreundet, und Nightingale hatte sie bereits früh Bea Jenkins vorgestellt. Agnes Polite war eine Freundin einer Freundin, die sich der Truppe irgendwann anschloss, und Adeline Matthews hatte die gleiche Junior Highschool besucht wie Althea, die PS136 – nur dass sie tatsächlich am Unterricht teilgenommen hatte. Althea ging fast nie zur Schule. Ihre Einstellung war schlicht und einfach: Niemand konnte sie zu irgendetwas zwingen, das sie nicht wollte.

Matthews gegenüber gab Althea in frühen Jugendjahren mehrmals zu, dass das Leben zu Hause nicht leicht war. Ihr Vater war streng und schlug sie, wenn sie sich nicht benahm. Die Geschwister waren immer im Weg. Die Wohnung war klein, und Althea zog es verzweifelt auf die Straße hinaus, wo sich das Leben abspielte. Irgendwann gaben ihre Eltern im Grunde einfach auf. Ihnen fehlte die Energie, sich weiter mit Althea auseinanderzusetzen. Als sie 1941 den Abschluss an der Junior High erlangte, war sie vierzehn Jahre alt, und obwohl sie nicht wusste, wie sie ihn geschafft hatte, war sie froh, über das System triumphiert zu haben. Als Nächstes folgte der halbherzige Versuch, eine Berufsschule zu besuchen, den sie jedoch schon bald wieder aufgab. Im Grunde wartete Althea nur darauf, endlich alt genug zu sein, dass die Gesellschaft sie ihr eigenes Leben führen ließ. Sie wusste nicht, was die Zukunft für sie bereithielt, war sich aber sicher, dass es etwas Interessanteres sein würde, als sich stundenlang von Lehrerinnen erzählen zu lassen, wie man ein Kleid säumte. Althea hatte nichts gegen das Lernen, nur gegen das Stillsitzen.

Mit der Zeit waren es vor allem die Mysterious Five, die ihrem Leben eine Struktur gaben. Althea mag in vielerlei Hinsicht unzuverlässig gewesen sein, etwa wenn sie das Geld, das ihre Mutter ihr für Lebensmitteleinkäufe mitgab, lieber in Limonade und einen Hotdog investierte, aber sie verpasste kein einziges Basketballspiel. Der Trainer – und gleichzeitig auch Sponsor – der Mannschaft war Marsden Burrell. Er beschaffte die Kleidung für das Team, unter anderem auffällige, rot-weiße Shorts, und machte die Termine aus, manchmal vier oder fünf Spiele pro Woche, gegen Mannschaften aus der ganzen Stadt – meist Schwarze, aber auch einige Weiße. Irgendwie schaffte er es immer, das ganze Team zu informieren; er sagte einem Mädchen Bescheid, das die Nachricht dann weitergab, und so kamen alle zusammen. Nach jedem Spiel, egal, ob sie gewonnen oder verloren hatten, gingen sie zu Spreen’s auf einen Milchshake und ein Schinkensandwich, das auch ihr Abendessen war. Danach gingen Althea und Nightingale meist bowlen, während die anderen Mädchen heimfuhren. Sie besuchten einander nur selten zu Hause; in den engen Wohnungen war kaum Platz für die Familien, geschweige denn für Gäste.

Wenn es um Basketball ging, waren die Mädchen sehr selbstbewusst. Sie glaubten, jede Frauenmannschaft der Stadt schlagen zu können und wahrscheinlich auch die meisten Männerteams. Zu den Spielen kamen ihre Freunde und schauten zu – der Eintritt war kostenlos. Ab und zu waren die Ergebnisse in der Zeitung New York Amsterdam News abgedruckt, die in Harlem und von den anderen Schwarzen New Yorkern gelesen wurde. Weder Althea noch ihren Mannschaftskolleginnen fiel auf, dass sämtliche Profisportler, die ihnen bekannt waren, weiß waren, ebenso wie die meisten Collegesportler. Sie lebten – wie es bei Teenagern so häufig der Fall ist – ganz in ihrer eigenen Welt.

Nightingale war die Anführerin, die lauteste im Team, die jedem sofort auffiel, weil sie so forsch und selbstbewusst auftrat. Sie war etwas kleiner als die anderen, etwas kräftiger und vielleicht die Hübscheste in der Mannschaft, je nach Geschmack. Sie trieb den Ball über das Feld, erteilte Anweisungen und lachte am lautesten, wenn sie etwas lustig fand. Rückblickend ist sie wohl diejenige, von der man am ehesten erwartet hätte, dass sie sich einen Namen machen würde, allein schon wegen ihrer Persönlichkeit. Oder vielleicht Jenkins, die sehr jungenhaft auftrat, die athletischste im Team war und die meisten Punkte erzielte. Auf jeden Fall nicht Althea. Sie war so dünn, dass sie zeitweise fast abgemagert wirkte, mit großen, hervortretenden Augen, und auch wenn sie ein Talent für gute Würfe hatte und wusste, wie sie die gegnerische Verteidigung durch eine angetäuschte Bewegung ins Leere laufen lassen konnte, war sie doch nur eine Schulhofspielerin, die irgendjemand an einem Winterabend in eine gestreifte kurze Hose gesteckt und in die Hallen der Stadt verpflanzt hatte. Kein Anzeichen deutete darauf hin, dass einmal mehr aus ihr werden würde.

Nach einer Weile fiel Matthews auf, dass Althea versuchte, Nightingale nachzuahmen. Nightingale war in Altheas Augen ein Star, und wie ein solcher wollte Althea sich auch verhalten. Sie redete ein bisschen lauter als zuvor und gab scharfe Befehle. Es war fast komisch, weil es nicht so richtig zu ihr passte. Bei anderen Gelegenheiten war sie ruhig und schüchtern, fast schon schwermütig. Man musste sie überreden, zu einer Party mitzukommen, und manchmal blieb sie für sich, wenn sich das Team bei Spreen’s traf. Sie zelebrierte ihre Unabhängigkeit, erinnerte sich Billie Davis, der sie in jenen Tagen kennenlernte und noch Jahrzehnte später ihr Freund und Tennispartner war. Ein Teil von ihr sonderte sich immer ab, selbst inmitten von ihresgleichen.

Mit achtzehn zog Althea vorübergehend bei den Nightingales ein und zahlte eine symbolische Miete an die Großmutter. Mittlerweile hatte sie bereits eine Reihe verschiedener Jobs hinter sich, unter anderem als Fahrstuhlführerin im Dixie Hotel und als Kellnerin. Sie spielte bis spätabends Basketball und ging dann mit Nightingale bis vier Uhr morgens bowlen. Nun gab es niemanden mehr, der ihr Vorhaltungen machte, wenn sie spät oder sogar gar nicht nach Hause kam. Es war, wie sie sich später erinnerte, eine der glücklichsten Zeiten ihres Lebens.

Dass Schwarze in den USA Tennis spielten, war zu der Zeit schon lange nichts Neues mehr. Sie spielten in eigenen Vereinen und auf städtischen Plätzen. Sie spielten an Universitäten, zwischen denen auch Wettkämpfe um eigene Meisterschaften ausgetragen wurden, und bei inoffiziellen Turnieren in kleinen Städten. Doch wie so viele Aspekte des damaligen Lebens in den USA fanden auch die Tennisaktivitäten der Weißen und der Schwarzen in Paralleluniversen statt. Nur selten betraten sie gemeinsam einen Platz und fast niemals mit offizieller Genehmigung.

1916 gründete Talley R. Holmes – Abschlussjahrgang 1910 am Dartmouth College – einen Verband der Schwarzen Tennisspieler. In einem Anflug von Idealismus nannte er ihn schlicht »American Tennis Association« (ATA) und nicht »Negro Tennis Association« oder »Colored Tennis Association«. Er hoffte, dass unter diesem Namen irgendwann auch aufgeschlossene Weiße spielen würden, sodass man eine echte nationale Meisterschaft austragen könnte. Es wäre leichter, Weiße dazu zu bewegen, an einem Schwarzen Tennisturnier teilzunehmen, meinte er, als die bestehenden weißen Machtstrukturen aufzubrechen. Doch das geschah nie. Obwohl die ATA bis ins einundzwanzigste Jahrhundert hinein bestand, versank sie irgendwann in der Bedeutungslosigkeit, nicht zuletzt auch deshalb, weil Althea sie überflüssig gemacht hatte.

Ab 1917 hielt die ATA nationale Meisterschaften ab. Die erste davon wurde in Baltimore ausgetragen, und im Herreneinzel gewann Holmes, der als Army-Nachrichtenoffizier diente, aber im Inland stationiert war. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte Holmes nach Washington zurück und unterrichtete Deutsch, Französisch, Latein und Mathematik an der Highschool. Außerdem gehörte ihm das Washingtoner Whitelaw Hotel, das größte Hotel, das zu der Zeit Schwarzen offenstand. Seine Zeit, sein Talent und seine Motivation reichten aus, um 1918, 1921 und 1924 weitere Einzeltitel zu erlangen – neben acht Titeln im Doppel.

Darüber hinaus richtete die ATA1917 in Baltimore auch Damenmeisterschaften aus. Diesen Wettbewerb gewann Lucy Diggs Slowe, die an der Howard University studiert hatte und dort 1922 die erste Dekanin für Frauen wurde. Die Gewinnerinnen waren herausragende Persönlichkeiten, die Großes geleistet hatten. Der Triumph im ATA-Dameneinzel 1917 machte Slowe zur ersten Afroamerikanerin, die je in einer Sportart einen nationalen Titel geholt hatte.

All das hatte nicht die geringste Auswirkung auf Althea Gibson, die an heißen Sommertagen auf dem Asphalt der 143rd Street Paddle-Tennis spielte. Sie hatte noch nie von Talley Holmes, Lucy Slowe oder sonst irgendeinem Schwarzen Tennisspieler gehört. Auch Bill Tilden, Fred Perry, Suzanne Lenglen oder Helen Wills, die dominierenden weißen Spieler und Spielerinnen der Zwanziger- und Dreißigerjahre, waren ihr wohl kein Begriff. Man konnte sich damals ja nicht einfach die Sportberichterstattung im Fernsehen anschauen und seinen Idolen auf dem Platz oder Feld nacheifern. Für Althea war Tennis eine Nachmittagsbeschäftigung, zwischen Stickball und Basketball. Was genau sie spielte, war ihr fast egal. Sobald man ihr die Regeln erklärt hatte, gab sie ihr Bestes, um zu gewinnen – sei es im Kartenspiel, im Billard, im Football oder sonst irgendeiner Sportart. Und meistens schaffte sie es auch.

Ihr Aufstieg vom Teenager, der auf der Straße Stickball und Paddle-Tennis spielte, zum Wimbledon-Champion gelang Althea mit der Hilfe von verschiedenen Förderern. Das begann schon in Harlem, wo sie als potenzielles Talent erkannt und auf dem Weg nach oben unterstützt wurde. Als Schwarzer Mensch in der Welt der Weißen zurechtzukommen, war schon unter idealen Umständen nicht einfach. Daher gaben sich diejenigen, die es geschafft hatten, häufig alle Mühe, anderen bei ihrem Aufstieg zu helfen. Sie steuerten Zeit, Wissen und sogar finanzielle Mittel bei, auch wenn sie selbst oft nicht viel hatten. Ihr Engagement hatte zum Teil mit Selbstlosigkeit zu tun, aber auch mit einer Art Projektion. Sie lebten in einer Zeit der Grenzen und Beschränkungen und wollten, dass der nächsten Generation der Afroamerikaner bessere Möglichkeiten offenstanden als ihnen. Buddy Walker zum Beispiel, Teilzeit-Bandleader und städtischer Play-Street-Koordinator, wusste, dass er selbst es niemals zum Star bringen würde. Doch die junge Althea Gibson, die er durch die Straßen stolzieren sah und die jedes Mädchen und jeden Jungen aus der Gegend im Paddle-Tennis schlug – aus ihr könnte etwas werden.

Walker arbeitete tagsüber für die Police Athletic League und abends als Musiker. Später wurde er zu einer lokalen Berühmtheit, weil seine Band bei vielen prominenten Hochzeiten in Harlem auftrat, doch zu der Zeit musste er sein Einkommen mit der Aufsicht über die Play Streets aufbessern. Er beobachtete Althea beim Paddle-Tennis und bewunderte sowohl ihre Koordination als auch ihren Ehrgeiz. Dabei drängte sich ihm die Frage auf, wie sie sich wohl im echten Tennis schlagen würde. Also kaufte er in einem Gebrauchtwarenladen für fünf Dollar zwei alte Rackets und ließ Althea auf einem Handballfeld im Morris Park den Ball gegen eine Wand schlagen. Ihm gefiel, wie sie mit voller Kraft auf den Ball eindrosch, auch wenn ihre Technik furchtbar war. Wie sollte es auch anders sein? Althea hatte noch nie ein richtiges Tennismatch gesehen, nur die Wochenendspieler, die sich auf den Harlem River Courts in der 150th Street abmühten.

Diese Plätze waren sieben Blocks entfernt, und Walker überredete Althea, den ganzen Weg dorthin zu Fuß zu laufen, um dort ein richtiges Spiel zu bestreiten. Das war alles andere als einfach. Althea ließ sich von niemandem sagen, was sie zu tun hatte, erst recht nicht von einer Autoritätsfigur. Deshalb ließ sie sich Zeit, doch irgendwann tauchte sie bei den Plätzen auf. Buddy positionierte sie auf der einen Seite des Netzes und sich selbst auf der anderen. Schon bald hielt sie den Ball über lange Ballwechsel hinweg im Spiel und konnte sogar einige Punkte machen.

Das war eine beeindruckende Leistung für jemanden, der noch nie Tennis gespielt hatte, und weckte das Interesse eines der Männer, die den beiden zusahen: Juan Serrall (oder vielleicht Serrell). Serrall war Lehrer und ein Freund von Walker. Walker hatte Althea von der 143rd Street wegholen können, aber Serrall war in der Lage, ihr einen Weg über das Viertel hinaus zu eröffnen. Er kannte einige Mitglieder des Cosmopolitan Club, an der Ecke der Convent Avenue und der 149th Street in Sugar Hill, wo der einarmige Profi Fred Johnson sich seinen Lebensunterhalt mit Tennisstunden verdiente. Serrall brachte Althea zu Johnson und verschwand aus der Geschichte, nachdem er seinen kleinen, aber entscheidenden Beitrag geleistet hatte.

Jahre später sollte in der Fernsehserie Auf der Flucht ein anderer einarmiger Fred Johnson hinter dem Mord an Helen Kimble, der Frau des zu Unrecht als Mörder gejagten Kinderarztes aus Stafford, Indiana, stecken. Der Name unseres Fred Johnson jedoch schmückt heute den Tennisplatz an der 150th Street, während der Cosmopolitan Club längst Geschichte ist. Johnson hatte als Jugendlicher einen Arm bei einem Fabrikunfall verloren, doch das hielt ihn nicht davon ab, Tennisstunden zu geben. Seine Spielweise war faszinierend zu beobachten. Er hielt Schläger und Ball in der einen Hand, die er hatte, warf den Ball Richtung Himmel und schlug ihn dann, wenn er wieder auf dem Weg hinab war, in Richtung seines Gegenübers. Da ihm eine zweite Hand fehlte, um den Schläger zu stabilisieren, wenn er ihn für die Rückhand um eine Vierteldrehung drehte, nutzte er den Kontinentalgriff, der immer gleich blieb, egal, mit welcher Seite des Rackets man gegen den Ball schlug. Den kannte er und den lehrte er, und deshalb lernte ihn auch Althea.

Der Cosmopolitan Club bestand aus fünf Sandplätzen und einem Clubhaus. Hin und wieder kam ein berühmter weißer Spieler für ein Showmatch zu Besuch. Doch die meiste Zeit über war der Cosmopolitan das Zentrum des Schwarzen Tennis in New York, der stadtweit einzige Treffpunkt für Schwarze Tennisspieler, die etwas draufhatten. Die Club-Betreiber stammten größtenteils aus der Karibik, von Inseln wie Barbados, Trinidad oder St. Kitts, und die Atmosphäre war leicht kolonial geprägt. Das erklärt vielleicht auch die Vorliebe der Mitglieder für Kricket und Tennis. Im Clubhaus und auf den Plätzen traf man die gesellschaftliche Elite von Harlem an, doch auch Nichtmitglieder konnten die Plätze stundenweise mieten, wenn sie gerade sonst nicht genutzt wurden. Der Club hatte ein Nachwuchsprogramm, und gelegentlich wurden Spenden gesammelt, um vielversprechende Juniormitglieder zu ATA-Turnieren im ganzen Land zu schicken.

An dem Tag, an dem Althea zum ersten Mal in den Club kam, war auch Des Margetson dort. Er erinnerte sich später, dass er damals eine herausragende Athletin sah, die keine Ahnung hatte, was sie zu tun hatte. Ihre Schlagtechnik ließ zu wünschen übrig, aber ihr Timing war so gut, dass das kaum eine Rolle spielte. Altheas Fähigkeit, wie eine Kurzstreckenläuferin zu sprinten und den Ball mit voller Wucht über das Netz zu dreschen, hochzuspringen und Lobs aus der Luft zu fischen oder zurückzulaufen und sie hinten im Feld noch zu erwischen, beeindruckte jeden, der ihr zusah. Der Club beschloss umgehend, sie zu fördern. Er übernahm den Mitgliedsbeitrag für sie und stattete sie mit Schlägern aus. Jetzt war Althea plötzlich nicht mehr benachteiligt, sondern privilegiert, zumindest im Vergleich zu den anderen jungen Spielern, die von außen zuguckten. Im Gegenzug half Althea im Club aus: Sie sammelte Bälle ein, wusch Handtücher und solche Dinge. Das machte ihr nichts aus. Sie hatte kaum je von Forest Hills gehört, geschweige denn von Wimbledon. In ihrer Welt war der Cosmopolitan Club das ganz große Ding.

Zwei Jahre später, 1944, bestritt Alice Marble ein Showmatch im Club. Sie und Bob Ryland, ein zukünftiger ATA-Sieger, traten gegen Reginald Weir und die Engländerin Mary Hardwick an, eine hervorragende Spielerin, die es vor dem Krieg bis ins Viertelfinale von Wimbledon geschafft hatte. Es war ein gemischtes Doppel im wahrsten Sinne des Wortes, da auf jeder Seite des Platzes ein Schwarzer und eine Weiße standen. Jahre später schrieb Alice Marble den Brief, der Althea den Zugang zu den US Championships ermöglichte, doch damals war sie einfach die beste Spielerin der Welt. Sie war blond und adrett, der Inbegriff der Weiblichkeit, aber sie spielte wie ein Mann. Und sie feierte wie ein Mann – sie rauchte und trank, wie sie Lust hatte. Bei einem Cocktail an der Bar im Cosmopolitan Club – das allein war ein kleiner Sieg über die Rassentrennung – fragte sie Ryland nach dem Gibson-Mädchen, über das sie mehrere Clubmitglieder hatte reden hören. Aus diesem Gespräch erwuchs der Plan, Althea oder eine andere Schwarze Spielerin in Forest Hills antreten zu lassen. Doch bis das geschafft war, sollten noch sechs Jahre vergehen.

Althea selbst hatte noch nie eine Frau so gut Tennis spielen sehen. »Ich erinnere mich noch, wie ich dachte: ›Wie gerne würde ich so spielen können!‹«, schrieb sie in ihrer Autobiografie. Die gleiche Reaktion zeigte sieben Jahre später die fünfzehnjährige Angela Buxton, als sie Althea im Queen’s Club sah.

Mitte der Vierzigerjahre lag es sicherlich nicht an ungenügenden sportlichen Fähigkeiten der Afroamerikaner, dass sie nicht an den großen Turnieren teilnahmen, und auch nicht daran, dass sie zu wenig Kontakt zum Tennis gehabt hätten. Die Anzahl der öffentlichen Plätze war groß, vielleicht größer als heute. Doch es gab kaum qualifizierte Trainer. »Wir hatten keine wirklich guten Lehrer, und es gab nirgendwo erstklassigen Tennisunterricht – ohne Fred Johnson zu nahe treten zu wollen«, erinnert sich Margetson.

Es war in Ordnung, dass Johnson den Kontinentalgriff verwendete; der Engländer Fred Perry hatte in den 1930er-Jahren damit in Wimbledon gewonnen. Aber Johnson verstand sich nicht auf die Techniken, die nötig waren, um Kraft in die Vorhand zu bringen. Bei ihm hatten die Bälle keine Power, keinen Spin. Kein Wunder, denn Johnson hatte selbst nie Unterricht genossen. Er ging zu Turnieren, beobachtete einige der besseren Spieler und prägte sich ihre Bewegungen ein, nahm dabei aber nicht das wahr, was er hätte wahrnehmen müssen. Was er Althea beibrachte, reichte für den Anfang aus, aber später musste sie fast jede Technik, die Fred Johnson ihr vermittelt hatte, umlernen.

Dennoch machte sie schnell Fortschritte. Johnson lehrte sie die grundlegenden Schlagtechniken, aber auch, aus ihren Fehlern zu lernen. Jedes Mal, wenn sie ein Match verlor, versuchte sie herauszufinden, woran es gelegen hatte, statt dem Gegner Prügel anzudrohen, wie sie es am liebsten getan hätte. Damals kam man mit purer Athletik relativ weit im Tennis, ebenso wie heute wieder, und Althea war in der Lage, Bällen hinterherzujagen und sie kraftvoll zurückzuschlagen. Ihr Tempo und ihre Reichweite machten sie rasch zu einer der besten Spielerinnen im Club. Im Sommer 1942, als sie fast fünfzehn war und seit etwa einem Jahr Tennis spielte, nahm sie am Juniorenwettbewerb der New York State Open Championship teil.

Die Veranstaltung wurde von der ATA gesponsert und fand im Cosmopolitan Club statt. Die meisten der Spieler und Spielerinnen waren Schwarz, aber nicht alle: Im Juniorenturnier trat auch ein weißes Mädchen namens Nina Irwin an. Irwins Mutter, eine russische Einwanderin, hatte Jahre zuvor in der Armory in der 143rd Street Tennisstunden bei Johnson genommen, und jetzt kam Nina jede Woche aus Inwood in der Nähe vom Fort Tryon Park an der Nordspitze Manhattans in den Cosmopolitan Club. Dort empfing man sie mit offenen Armen, und das nicht nur, weil die Irwins immer pünktlich ihre Beiträge bezahlten. Die Mitglieder betrachteten ihren Club gern als wahrhaft kosmopolitisch.

Irwin war ein nettes Mädchen mit einem strahlenden Lächeln, das sich aber nichts mehr wünschte, als Althea, die herausragende Spielerin ihrer Altersgruppe, zu schlagen. Zufällig schafften es beide ins Finale des Turniers. Althea gewann mit Leichtigkeit; es war ihr erster bedeutender Erfolg, den sie umso mehr genoss, weil viele der Clubmitglieder, die von der Tribüne aus zugeschaut hatten, Irwin favorisiert hatten, wie Althea bemerkte, und das, obwohl Althea Schwarz war und Irwin weiß. Althea würde ihre gesamte Tenniskarriere über glauben, dass ein Großteil des jeweils anwesenden Publikums gegen sie war – was oft auch stimmte. Manchmal lag das an ihrer Hautfarbe, aber häufig an dem an Arroganz grenzenden Selbstvertrauen, das in ihrem Spiel und ihrer Körpersprache zum Ausdruck kam. Es bewirkte, dass ein neutraler Zuschauer sie besiegt sehen wollte.

Schon als Jugendliche war Altheas Siegeswille ausgeprägter als der aller anderen, die sie kannte. Das äußerte sich in ihrem Verhalten auf dem Platz, vor allem, wenn sie verloren hatte. Mehr als einmal ermahnte Johnson sie, weniger theatralisch und stattdessen etwas damenhafter aufzutreten. Zu Amateurzeiten wurde Tennis noch nicht so ernst genommen wie später, als es um Millionen Dollar ging. Es war ein Hobby, kein Beruf. Die besten Spieler waren angehende Ärzte, Anwälte oder Ähnliches, und sie spielten zum Zeitvertreib zwischen Arbeit und Studium. Das galt für Schwarze noch mehr als für Weiße, die zumindest von Wimbledon träumen durften. Die Schwarzen hingegen wussten, dass sie nicht viel erreichen konnten, und richteten ihren Ehrgeiz daher auf andere Dinge. Weir, der für das City College von New York antrat, gewann zwischen 1931 und 1942 fünf ATA-Titel, während er gleichzeitig Zahnmedizin studierte. Margetson, der spätere Ingenieur, führte als Kapitän die Tennismannschaft der New York University an. Er hätte sein Studium niemals gegen die Chance eingetauscht, der beste Tennisspieler der Welt zu werden. »Tennis ist, im Gegensatz zu echten Berufen, kein Studienfach«, sagte er. Es war ein fesselndes Spiel, aber mehr eben auch nicht.

Immerhin war es ein Spiel, das zur Überwindung der Rassentrennung beitrug. Jedes Match, an dem Schwarze und Weiße teilnahmen, war ein kleiner Sieg für Gleichheit und Aufgeschlossenheit. Margetson trat bereits als Schüler der DeWitt Clinton High School gegen Weiße an, und auch später an der NYU. Sonny Jackson spielte beim Eastern-Scholastics-Turnier gegen Weiße und gewann einige dieser Matches. Man kann sich leicht vorstellen, wie die Söhne der privilegierten New Yorker bei diesen Veranstaltungen zum ersten Mal mit gleichaltrigen Schwarzen in Kontakt kamen und feststellten, dass sie mit diesen aufstrebenden Ärzten und Anwälten mehr gemeinsam hatten, als sie erwartet hätten.

Dennoch fanden die meisten Turniere der United States Lawn Tennis Association, darunter auch die US Championships in Forest Hills – der Vorläufer der heutigen US Open – in privaten Clubs statt, zu denen Schwarze grundsätzlich keinen Zutritt hatten. Das hatte verheerende Auswirkungen auf den Schwarzen Tennissport. Ora Mae Washington, geboren 1898, gewann acht ATA-Titel und verlor zwischen 1924 und 1936 kein einziges Match bei einem ATA-Turnier, wenn sie sich nicht gerade ihren Lebensunterhalt mit ihrem durch die Lande tourenden Schwarzen Basketballteam, den Philadelphia Tribunes, verdiente. Sie war ein Phänomen, über ein Jahrzehnt hinweg vielleicht die talentierteste Tennisspielerin der Welt, und wenn es nach der Anzahl der gewonnenen Turniere ging, zweifellos eine der erfolgreichsten. Trotzdem konnte sie ihre Fähigkeiten niemals unter Wettbewerbsbedingungen gegen die besten Spielerinnen jener Zeit beweisen – denn die waren weiß und sie war Schwarz.

Auf der anderen Seite des Planeten war es um das demokratische Gebot der grundlegenden Gleichberechtigung aller Menschen noch schlechter bestellt. In der erst seit Kurzem unabhängigen Südafrikanischen Union waren die offiziellen Amtssprachen weiterhin Englisch und Afrikaans (eine Variante des Niederländischen), obwohl die Muttersprache der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung weder das eine noch das andere war. Schwarze, »Coloureds« und Inder wurden unter der Bezeichnung »Nichtweiße« zusammengefasst und von den Wahlen ausgeschlossen. Man verwehrte ihnen grundlegende Freiheiten, etwa das Recht, nach Belieben zwischen Städten zu reisen, zur Schule zu gehen oder aber auf der Suche nach einem besseren Leben auszuwandern. Obwohl sie den früheren Kolonialherren zahlenmäßig weit überlegen waren, war ihnen nur ein kleiner Anteil des Grunds und Bodens vorbehalten.

Gleichzeitig erlaubte man die Einwanderung nur Menschen, die sich leicht in die weiße Minderheitenbevölkerung integrieren würden. Diese Beschreibung schloss Juden jeglicher Hautfarbe aus. Ihnen war es rechtlich untersagt, sich dauerhaft im Land niederzulassen, wie man Familie Buxton unmissverständlich klarmachte, als sie 1940, während in Europa schon Krieg herrschte, mit einem Schiff aus Liverpool in Kapstadt eintraf.

Violet Buxton mit Angela und Gordon

2: »Schicken Sie sie zu Turnieren«

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»SCHICKEN SIE SIE ZU TURNIEREN«

Mitte 1940, als U-Boote auf den atlantischen Handelsrouten kreuzten und die Gefahr einer Invasion durch Nazi-Deutschland einige englische Familien aufs Land und andere sogar ins Exil trieb, war Südafrika eine Welt für sich, eine Art Idyll. In einer schmalen Straße in Kapstadt, die von der St. John’s Road abging, spielte ein kleines Mädchen mit hellbrauner Haut in der warmen Nachmittagssonne hinter einem verputzten Steinhaus. Das Haus stand am Ende einer steilen Straße, die den hinteren Hang des Tafelberges hinaufführte, und bot eine wunderschöne Aussicht. Vom Garten aus sah man den Atlantischen Ozean, und hinter dem Haus ragte der majestätische, wolkenumhangene Berg auf.

Die Mutter des Kindes arbeitete als Dienstmädchen in einem der größeren Anwesen am Ocean View Drive, und vielleicht wohnte die Familie sogar dort, in einer der Bedienstetenwohnungen eines reichen weißen Mannes. Eines Tages war die Kleine wie von Zauberhand hinter dem Haus aufgetaucht, das Violet Buxton monatsweise für sich und ihre Kinder mietete. Von da an wartete sie dort jeden Nachmittag darauf, dass die fast gleichaltrige Angela von der Schule nach Hause kam. Das Mädchen hatte lange, glatte schwarze Haare, und ihre familiären Wurzeln waren auf dem indischen Subkontinent. Angela trug Zöpfe und Schleifen im hellbraunen Haar. Die Kinder sprangen vor der Küchentür der Buxtons Seil und spielten Himmel und Hölle, bis die Sonne unterging, wie es Sechsjährige eben tun.