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Angelika Kauffmann (1741–1807) war schon zu ihrer Zeit eine in ganz Europa gefeierte Malerin. Zu den Auftraggebern der weltgewandten und selbstbewussten Künstlerin zählten gekrönte Häupter wie Kaiser Joseph II. und Zarin Katharina II., Geistesgrößen, unter ihnen Winckelmann und Goethe, Diplomaten und Gelehrte. Viele ihrer Werke, ob bewunderte Porträts oder Gemälde mit literarischen, mythologischen und religiösen Themen, fanden als Kupferstiche eine bis dahin unbekannt große Verbreitung. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.
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Seitenzahl: 270
Waltraud Maierhofer
Angelika Kauffmann (1741–1807) war schon zu ihrer Zeit eine in ganz Europa gefeierte Malerin. Zu den Auftraggebern der weltgewandten und selbstbewussten Künstlerin zählten gekrönte Häupter wie Kaiser Joseph II. und Zarin Katharina II., Geistesgrößen, unter ihnen Winckelmann und Goethe, Diplomaten und Gelehrte. Viele ihrer Werke, ob bewunderte Porträts oder Gemälde mit literarischen, mythologischen und religiösen Themen, fanden als Kupferstiche eine bis dahin unbekannt große Verbreitung.
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Waltraud Maierhofer, geboren 1959. Studium der Germanistik und Philosophie in Regensburg. Seit 1990 Professorin für Deutsche Sprache, Literatur und Kultur an der University of Iowa, USA. Sie hat die «Gesammelten Briefe» Angelika Kauffmanns herausgegeben sowie zahlreiche Aufsätze zu ihrem Werk verfasst. Ein Schwerpunkt ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit ist die Literatur und Kultur des späten 18. und 19. Jahrhunderts. Öffentliches digitales Projekt zum Mitmachen: «Johann Heinrich Ramberg als Buch- und Almanachillustrator» (http://rambergillustrations.lib.uiowa.edu).
rowohlts monographien
begründet von Kurt Kusenberg
herausgegeben von Uwe Naumann
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2023
Copyright © 1997 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
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Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.
Covergestaltung any.way, Hamburg
Coverabbildung bpk/Scala (Angelika Kauffmann. Selbstbildnis, 1787. Florenz, Galleria degli Uffizi)
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
ISBN 978-3-644-01773-3
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
In den Uffizien in Florenz gibt es eine Galerie, die ausschließlich Selbstporträts von Malern gewidmet ist. Unter den über tausend Werken in dem gewöhnlich verschlossenen Vasari-Korridor finden sich weniger als einhundert von Malerinnen. Angelika Kauffmann – sie selbst schrieb meist «Angelica Kauffman» –[1] war stolz, dass ihr Selbstbildnis, 1787 in Rom gemalt, in diese Galerie aufgenommen wurde. Es zeigt eine junge Frau mit braunem, ungepudertem Haar, das in schmiegsamen Wellen aus der Stirn gekämmt ist und auf die Schultern fällt, nur locker von einem turbanartigen Tuch umwickelt. Wie die Frisur erinnern Kleidung und Haltung an antike Statuen: ein weißes Gewand ist um den Körper drapiert, von einem breiten Gürtel mit einer Kamee zusammengehalten, die Gestalt, halbsitzend in einer graziösen Drehung dem Betrachter zugewandt, strahlt Ruhe aus. Der dunkle Blick geht ins Unbestimmte. Die rechte Hand hält anmutig einen Zeichenstift, die linke liegt zierlich auf einem Portfolio. Säule und Draperie deuten auf Ruhm und Wohlstand.
Angelika Kauffmann wurde im Jahr 1741 geboren; wie sie in ihrem Testament schreibt, zufällig in Chur in der Schweiz, denn der Vater war Maler und reiste viel. Er stammte aus Schwarzenberg im Bregenzerwald, und Angelika war das einzige Kind aus seiner zweiten Ehe. 1787, als sie für Leopold, den Großherzog der Toskana, jenes Selbstporträt in den Uffizien malte, befand sie sich auf dem Höhepunkt ihres Ruhms und war ohne Einschränkung durch ihr Geschlecht der prominenteste Maler in Rom.
Der europäische Adel und Hochadel, darunter der Kaiser aus Wien und der künftige Zar aus St. Petersburg, besuchten sie in ihrem Atelier, um sich von ihr porträtieren zu lassen.
Goethes Freund und Kunstberater Johann Heinrich Meyer vergleicht Kauffmanns Porträt in seinem «Entwurf einer Kunstgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts», 1805 veröffentlicht in Goethes «Winckelmann und sein Jahrhundert», mit dem Selbstporträt der Französin Elisabeth Vigée-Lebrun (1755–1842), jener anderen erfolgreichen und anerkannten Malerin des 18. Jahrhunderts, das sich ebenfalls in den Uffizien befindet: «Angelica hat einen wahreren Ton des Kolorits in ihr Bild gebracht, die Stellung ist anmutiger, das Ganze verrät einen schönern Geist, einen richtigern Geschmack.»[2] (Übrigens hielt sich die vertrauliche Nennung des Vornamens lange.) Meyer urteilt über Angelika Kauffmann, sie sei der «gepriesene Liebling aller bloß schauenden und genießenden Kunstfreunde, auch von ernstlich prüfenden Kennern, doch mit billiger Mäßigung, hochgeachtet»[3]. In ihrem Werk dominiere allein das «Heitere, Leichte, Gefällige», und in Anmut, Geschmack und Kolorit steche sie unter allen Zeitgenossen hervor.[4] Aber er kritisiert auch: Ihre «Zeichnung» sei «schwach und unbestimmt», und ihre «Erfindungen» seien nicht «rund, gehalt- und bedeutungsvoll».[5] Sie selbst verkörperte die Schönheit und Anmut ihrer Werke und mag dadurch ihre Berühmtheit und Beliebtheit stark gefördert haben. Sie spielte das Wunderkind und stilisierte ihr «Image» als Empfindsame. Malerinnen standen im 18. Jahrhundert weit mehr als ihre männlichen Kollegen mit ihrer ganzen Persönlichkeit zur Kritik, nicht nur mit ihrem Werk. Sie mussten «weiblich» sein und malen – und wurden dann dafür kritisiert. Dennoch gelang Kauffmann der schwierige Balanceakt: Sie genügte einerseits vorbildlich der Rolle der Frau, andererseits brach sie mit ihren künstlerischen Zielen aus dieser Vorgabe aus.[6] Ihr kam ein wichtiger Part zu bei der Durchsetzung des Klassizismus, und sie war anerkannt als Malerin historischer, mythologischer, literarischer und sogar biblischer Stoffe.
Das alte Regime, die Zeit Maria Theresias und Katharinas von Russland, erlaubte tonangebende Frauen als Ausnahmen in der Politik; in der Kunst blieben sie in erster Linie Objekt. Es gab zwar eine Anzahl von Dilettantinnen und sogar Hofmalerinnen, deren Wirkungskreis sich jedoch meist auf Porträts beschränkte. Das 18. Jahrhundert sprach Frauen höhere Begabung und Genie ab.[7] Selbst Sophie von La Roche lässt in ihrer beliebten «Geschichte des Fräuleins von Sternheim» (1771) die «männlichen Eigenschaften des Geistes und des Charakters»[8] von weiblichen Fähigkeiten unterscheiden und ihre Heldin alles vermeintlich Männliche vermeiden.
Das umfangreiche und von Zeitgenossen hochgeachtete Werk Kauffmanns ist weit verstreut und wird von der Expertin Bettina Baumgärtel, die ein kritisches Werkverzeichnis angekündigt hat, auf mehr als 1500 Ölgemälde, Zeichnungen und Radierungen geschätzt.[9] Größere Komplexe ihrer Bilder befinden sich im Bregenzer Landesmuseum und im Bündner Kunstmuseum in Chur, aber auch in England, Polen, Russland und den USA. 1992 widmete das Rosengartenmuseum Konstanz Angelika Kauffmann und Marie Ellenrieder eine Ausstellung. Dieser voraus ging die große Ausstellung «Angelika Kauffmann und ihre Zeitgenossen» 1968 in Bregenz und Wien. Sie stellten eine Malerin vor, deren Lebensarbeit von Winckelmanns Ideal der Grazie als dem «vernünftig Gefälligen» bestimmt war und trugen zu ihrer Aufwertung bei. 1992 und 1993 ehrten sie große Museen in Brighton, Vaduz und Mailand.
Angelika Kauffmann korrespondierte mit berühmten Zeitgenossen wie Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Gottlieb Klopstock und Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, mit Gelehrten und Geistlichen, aber sie hat fast alle Aufzeichnungen und Briefe vernichtet. War sie trotz ihres Erfolgs und Ruhms unglücklich? Hasste sie die nicht endenden Forderungen, die Rolle, die sie spielen musste, das Gerede der Leute?
Schon bald nach ihrem Tod lieferte Angelika Kauffmanns Leben den Stoff für gern gelesene Romane um die Motive Wunderkind, heimliche Heirat mit einem Betrüger, Bewunderung von Königen und Kaisern und pompöses Begräbnis. Ihre Biografie jedoch gibt manche Rätsel auf, die sich wohl nie auflösen lassen. Ihr Leben zur Ausnahme, zum bewunderten Roman zu stilisieren, war Teil von Kauffmanns Erfolg, eine Strategie, die im 18. Jahrhundert zur Anerkennung einer Frau als Künstlerin gehörte, wie Bettina Baumgärtel herausgestellt hat.
Angelika Kauffmanns Vater, Johann Joseph Kauffmann (1707–1782), stammte aus dem Bregenzerwald in Vorarlberg, lebte aber wie andere Kunsthandwerker nur im Winter in seiner Heimat. Seine Restaurierungen, Altarblätter und Fresken in Kirchen sind bezeugt in Deutschland, Liechtenstein, Vorarlberg und Graubünden. Daneben malte er repräsentativ-barocke Porträts (Johann von Salis-Maimfeld, Chur, Kunsthaus) und kopierte alte Meister, in der Qualität etwa vergleichbar schwäbischen Malern der Zeit.[10] Ihre Mutter Cleophea, geborene Luz (1717–1757), war die Tochter einer Hebamme in Chur und, wie Zeitgenossen berichten, eine herzensgute und liebenswürdige Frau. Nach ihrer Heirat am 6. November 1740 wohnten die Eltern in einer einfachen Herberge in Chur (heute Reichsgasse 57). Die evangelische Cleophea wurde bei der Heirat katholisch und trat später sogar der Rosenkranzbruderschaft bei.
Im Jahr darauf wurde dem Ehepaar Kauffmann ein Mädchen geboren und laut Kirchenregister am 30. Oktober 1741 auf die Namen Anna Maria Angelica Catharina getauft.[11] Der Name «Angelica» bezieht sich möglicherweise auf eine Ordensfrau aus der weitverzweigten Familie Salis, der mächtigsten Adelsfamilie Graubündens. Im Jahr darauf, 1742, zog die Familie nach Morbegno in das Veltlin, das damals zu Graubünden gehörte und durch das wichtige Verkehrswege zwischen Italien und den Ländern nördlich der Alpen führten. Hier verlebte Angelika Kauffmann, wie sie in ihren letzten Lebensjahren ihren Biografen Giuseppe Carlo Zucchi und Giovanni Gherardo de Rossi anvertraute, eine glückliche Kindheit. Mehr als die von ihnen aufgezeichneten Erinnerungen wissen wir leider nicht über diese Zeit. Für engere Beziehungen zu den Verwandten der Mutter fehlen Dokumente, möglicherweise lebten sie nicht mehr. Im Jahr 1754, vielleicht auch früher, zog die Familie nach Como, das damals zur österreichisch beherrschten Lombardei gehörte. Kauffmann bezeichnete sich später stets als Österreicherin oder als Deutsche, sie erwähnte Chur nie mehr als ihre Heimat.
Angelika blieb das einzige Kind dieser «sehr zärtlichen Verbindung»[12] ihrer Eltern. Das erwies sich als günstig für ihren Werdegang, denn obwohl die Aufklärung die Gleichheit der Menschen und die Vernunftbildung forderte, blieben Mädchen von der Schulbildung ausgeschlossen. Nur in seltenen Fällen erhielten sie systematischen Unterricht, etwa wenn sie Einzelkinder waren und wie ein Junge erzogen wurden, um das Handwerk des Vaters zu übernehmen. Kauffmanns erste Zeichen- und Malversuche wurden später so erzählt, wie es für Künstlerbiografien des 18. Jahrhunderts üblich war: als Zeugnisse eines Wunderkinds. Das Mädchen habe früh eine «natürliche Neigung»[13] zum Zeichnen gezeigt, ihre Lesefibel mit Zeichnungen geschmückt und die Wände des Hauses in Morbegno bemalt.[14] Die Tätigkeit des Vaters nachzuahmen war tatsächlich eine der wenigen Möglichkeiten für Mädchen, Fertigkeiten zu erwerben, und für Kauffmann war es eine «wesentliche Voraussetzung für ihre künstlerische Entwicklung»[15]. Interesse für das Handwerk des Vaters wurde auch bei Mädchen anerkannt, und sie wurden dann früh zur Mithilfe herangezogen.
Ihren Biografen gegenüber sprach die Malerin voll Verehrung und Dankbarkeit von ihrem Vater. Er war angeblich «sehr lebhaften Tons»[16] und sicher mitunter in seinem Unterricht, der vor allem auf die Beherrschung des Handwerklichen zielte, sehr streng. Zum Beispiel musste das Mädchen früh lernen, Farben zu mischen und Leinwände vorzubereiten. Wohl zwischen 1761 und 1763 hat sie ihren Vater gemalt: einen ernsten, aber gutaussehenden Mann mit prüfendem Blick. Der Vater unterrichtete auch einen um sieben Jahre älteren Jungen, den er um 1750 von einer Reise an den Bodensee mitgebracht hatte, «Vetter Joseph», der später gerichtlich zu beweisen suchte, in Wirklichkeit sein Sohn aus der ersten Ehe zu sein.[17] Davon hatte Angelika angeblich ihr Leben lang keine Ahnung, und noch die Memoiren sprechen von ihr als einzigem Kind. Der angebliche Halbbruder eröffnet allerdings eine Reihe von Fragen für Kauffmanns Biografie, die damit die «Grundvoraussetzung» einer Malerin im 18. Jahrhundert, nämlich «ohne Konkurrenz von Brüdern» aufzuwachsen,[18] nicht erfüllt. Johann Kauffmann legte jedoch das Fundament für die Karriere seiner Tochter, indem er sie an den Höfen, wo er arbeitete, präsentierte und weiterreichen ließ, sie also regelrecht als Wunderkind vermarktete.[19] Daraufhin unterstützte zum Beispiel die alte Schweizer Familie von Salis bald Angelika Kauffmanns Weg «mit patriotischem Stolz»[20] und wurde ihr erster Mäzen.
Es war der Vater, der die Tochter zuerst in Lesen und Schreiben unterrichtete. Sprachen lernte Angelika von der Mutter, die aus verarmtem Adel stammte und wohl ziemlich gebildet war, zuerst Deutsch und Italienisch, dann Englisch und Französisch, und schon mit zehn Jahren soll sie diese Sprachen beherrscht haben. Graubünden mit seinen wichtigen Pässen war ein dreisprachiges Durchgangsland, in dem solch mehrsprachige Erziehung wohl nicht selten war.[21] Später begann der Vater mit einfachem Kunstunterricht, indem er Angelika berühmte Werke anhand von Stichen erklärte.[22] Von der Mutter lernte die Tochter, wie es selbstverständlich war, häusliche Arbeiten, aber auch Gesang. Im Veltlin soll sie Unterricht durch Cesare Ligari erhalten haben, der eine Art Musikkonservatorium gegründet hatte, das seine Frau leitete, und der außerdem Historien- und Landschaftsbilder malte.[23] Vielleicht wirkte seine Schwester Vittoria, die Malerin und Musikerin war, als Vorbild auf Angelika Kauffmann.
Das erste erhaltene Selbstbildnis aus dem Jahr 1753 oder 1754 (Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum) zeigt ein zartes ernstes Mädchen in einem steifen hellblauen Rokokokleidchen mit rosa Schleifen, Ohrringen und einem Kreuz um den Hals. Das Haar ist gepudert, das Gesicht ernst, und sie zeigt dem Betrachter ein Blatt mit sechzehn Takten einer Arietta und einer Erklärung darunter, die besagt, sie habe im 13 m. Jahr meins Alters dieses und des Vatters und Frâ. Muetter Contrafe [Konterfei][24] gemalt. Die Zwölfjährige präsentiert sich also mit dem Anspruch, schon eine Künsterlin zu sein, nämlich Sängerin und zugleich Malerin, zeigt sich aber gleichzeitig in die Familie und deren Religiösität eingebunden. Die Mutter unterrichtete das Mädchen weiterhin in Sprachen, Literatur und Musik sowie in Gesang, Kontrapunkt und Cembalo und den sogenannten weiblichen Arbeiten. Privatunterricht war zur Zeit Kauffmanns der einzige Weg für Mädchen zu höherer Bildung. Andererseits setzte sich nun die Aufklärung durch, die Frauen neue und erstaunliche Freiräume und Möglichkeiten bot, kreativ oder ‹gelehrt› zu werden.[25] In Graubünden, der Landschaft von Kauffmanns Kindheit, waren reformerisch-pietistische Einflüsse stark, in denen sich Religion und Aufklärung verbanden, und wir können annehmen, dass der emanzipatorische Pietismus ihre Erziehung prägte.
Die aufklärerische Pädagogik anerkannte die Frau als Vernunftwesen, aber gleichzeitig lag ihr daran, die Sinnlichkeit der Frau zu zähmen und ihre Beziehungen zum Mann zu regulieren. Die zahlreichen und beliebten «Moralischen Wochenschriften» verbreiteten emanzipatorische Tendenzen, und Johann Christoph Gottsched und andere Vertreter der Frühaufklärung wollten die Frauen in ein allgemeines Bildungsprogramm einbeziehen. Aber schon wenige Jahrzehnte später setzte sich das Weiblichkeitsideal der «schönen Seele» durch, und Frauen hatten es wieder schwerer, ein emanzipatorisches Lebensziel zu verfolgen.[26] In der Folge Jean-Jacques Rousseaus wurde die Frau zum Gefühlswesen und zur Ergänzung des Mannes erklärt, ihre Rolle auf die der Hausfrau und Mutter eingeschränkt, Gelehrsamkeit und künstlerische Tätigkeit wurden abgelehnt. Die Französische Revolution und die folgenden Kriege festigten die alleinige Macht der Männer und ihren Anspruch auf Rationalität und Freiheit. Nur in einer kurzen Zwischenphase, der Empfindsamkeit, die in vollem Schwange war, als die junge Kauffmann ihre Ausbildung abgeschlossen hatte und zu ungewöhnlichem Erfolg aufstieg, galten ‹weibliche› Ideale für beide Geschlechter. Die Empfindsamkeit, zu der später noch mehr zu sagen sein wird, erlaubte und förderte, dass einige Frauen sich als Künstlerinnen sahen, sie war der ideale Nährboden für eine Malerin. Das aufklärerische Milieu der Zeit, die Tätigkeit des Vaters und seine Verbindungen, die Unterstützung durch ihre Familie und andere günstige Umstände kamen Kauffmanns ersten künstlerischen Versuchen entgegen und legten das Fundament für eine außerordentliche Karriere.
Im Jahr 1754 zog die Familie aus dem Veltlin in die nächst größere Stadt, nach Como. Der Biograf Rossi überliefert eine spätere Notiz, in der Kauffmann anschaulich schreibt: In Como in meiner glücklichen Jugend empfand ich wirklich die erste Lebensfreude. Ich sah herrliche Paläste, schöne Villen, elegante Boote, ein prächtiges Theater. Ich glaubte mich in den Glanz eines Märchenlandes versetzt.[27] In Como begann Kauffmann anscheinend, Porträts auf Bestellung anzufertigen und malte Maria Agostino Nevroni, den Erzbischof von Como (Pastell, Lugano, Kapuzinerkloster). Als sie vierzehn Jahre alt war, ein Alter, in dem Mädchen als fast erwachsen galten, zog die Familie mit «Vetter Joseph» nach Mailand. Die lombardische Metropole war seit 1714 österreichisch, Sitz eines Generalgouverneurs und erlebte einen wirtschaftlichen Aufschwung, der auch Johann Kauffmann zugutekam, da er bei der Restaurierung einiger Bürgerhäuser Aufträge erhielt. Die Tochter betrachtete mit brennendem Eifer, wie sie später erzählte, die Kunstwerke in den Galerien der Adligen und sicher auch Leonardo da Vincis berühmtes «Abendmahl», um die Regeln der Kunst zu lernen.[28] In Mailand begann sie, Gemälde zu kopieren, dies war die Grundlage der Ausbildung und musste beherrscht werden, bevor ein junger Maler eigene Ideen ausführen durfte. Beim Porträtieren aber formte sie schon einen eigenen Stil, wie sie noch viele Jahre später hervorhob.[29] Sie porträtierte zum Beispiel die Herzogin Cibo von Modena (verschollen) und ihre Tochter Beatrice von Modena (Zeichnung in der Albertina, Wien; Pastell in Zürich, ETH Graphische Sammlung), die Enkelin des Generalgouverneurs, die als Sechsjährige mit Maria Theresias zweitjüngstem Sohn, Ferdinand von Habsburg-Lothringen, verlobt worden war, sowie einen Mönch aus dem Dominikanerorden (um 1756, Pastell, Mailand, Ambrosiana).
Am 1. März 1757 starb in Mailand die Mutter. Im selben Jahr noch zogen die Zurückgebliebenen in die ländlich-stille Vorarlberger Heimat, um dort die Wände und die Decke der nach einem Brand wiederaufgebauten Kirche in Schwarzenberg zu bemalen. Reisen war anstrengend und teuer, und Vater und Tochter nahmen unterwegs einige Aufträge an. Der Biograf Rossi überliefert, wie die Malerin sich im Alter an den Empfang in Schwarzenberg im Bregenzerwald, das ungewohnte Essen beim Bruder des Vaters und die fremden Gewohnheiten erinnerte: «Während sie bey Tische saßen, kam auch der Ziegenhirt des Ortes in seiner schlichten Landestracht, sie zu bewillkommnen, und setzte sich ohne weitere Umstände mit zu Tische. Angelica war durch diese unerwartete Erscheinung nicht nur etwas betroffen, sondern mit jenem nicht allzu wohl duftenden Tischgenossen nicht ganz zufrieden; wann sie nun in spätern Jahren, wo sie sich gerne über den Wechsel irdischer Dinge mit ihren Vertrauten unterhielt, sich dieser Szene erinnerte; so pflegte sie lächelnd beyzusetzen: wer hätte mir damals gesagt, mit welchen erhabenen Personen ich zu einer andern Zeit zu Tische saß, und wer sagt mir jetzt, daß ich nicht wieder einst mit dem Ziegenhirten zu Tische sitzen werde?»[30] Trotz ihres Aufenthalts in Vorarlberg und obwohl die Alpen im Laufe des 18. Jahrhunderts vom bloßen Durchgangsland auf dem Weg nach Italien zur touristischen Attraktion und zum Ideal der erhabenen Landschaft wurden, hat Kauffmann diese malerische Landschaft nie festgehalten. Man könnte dies damit erklären, dass sie doch noch sehr dem Rokoko verhaftet war, dem die Natur nur als Kulisse galt, andererseits war in dieser Zeit ein Mädchen, das Reisen unternahm, ungewöhnlich genug, sie musste also beweisen, dass sie der Zivilisation angehörte, nicht den Bergen, die gerade für das Wilde, Elementare schlechthin standen.
Johann Kauffmann ließ seinen «Lehrling» an dem Auftrag in Schwarzenberg mitwirken. Angelika sollte ihm helfen, die Halbfiguren der zwölf Apostel[31] nach Kupferstichen von Giovanni Battista Piazetta (1683–1754) al fresco an die Seitenwände der Kirche zu malen, und wahrscheinlich wählte sie die Farben schon selbst. Die Jahreszahl 1757 und Angelikas voller Name auf dem Evangelienbuch des Apostels Matthäus beweisen ihre Arbeit. Apostelfiguren gehörten obligatorisch zur künstlerischen Ausbildung, denn an den Gewändern biblischer Gestalten ließ sich der Faltenwurf üben, die ernsten Gesichter verlangten genaue Zeichnung und sollten Würde ausdrücken. Piazetta, ein Hauptvertreter des venezianischen Rokoko, entsprach dem Zeitgeschmack. Nach dem Abschluss dieser Arbeit lud der Bischof von Konstanz, Franz Konrad von Rodt, Johann Kauffmann und seine Tochter nach Meersburg, seine Residenz, ein. Hier malte Kauffmann sein Porträt (nach 1757, Zürich, Schweizerisches Landesmuseum). Der Bischof und Kardinal war ein aufgeklärter Mann, der die Kunst förderte. Während ihres Aufenthalts am Bodensee malte Kauffmann ferner Porträts von Graf Franz Xaver von Montfort und seiner Frau Sophie (vermutlich 1758, Wiesbaden, Privatbesitz, Leihgabe für Schloss Montfort, Tettnang) sowie von wichtigen Persönlichkeiten in Lindau. Die Porträts, besonders die der Adligen in vornehmer Kleidung, stehen in der Tradition repräsentativer Rokokoporträts, Gefühlsausdruck sucht man in den Gesichtern vergeblich.[32]
Wir wissen, dass die Heranwachsende sich zwischen solchen Aufträgen im Heimatort des Vaters im Bregenzerwald aufhielt, denn im Alter erzählte sie gern Anekdoten, wie sie dort durch den hohen Schnee zur Kirche gehen musste.[33] Von ihren Aufenthalten zeugen daneben Selbstbildnisse in der Bregenzerwälderinnentracht mit ihrer reichen Stickerei, dem bauschigen Rock und schwarzen Hut mit Krempe. Auf einem dieser Bildnisse zeigt sich die noch nicht Zwanzigjährige mit Malstock und Palette vor der Staffelei (um 1757–59 entstanden, Florenz, Uffizien; Kopie Bregenz, Vorarlberger Landesmuseum)[34] – eine reizvolle Kombination, da die Tracht auf ihre Identifizierung mit der Heimat hinweist, jeder Maler aber eine bewegte Lehr- und Wanderzeit antreten und sein Glück in der großen Welt suchen musste. Für Maria von Salis malte sie ein ähnliches Selbstbildnis mit Palette in Bregenzerwälderinnentracht (um 1757 oder 1760, Schloss Bondo im Bergell). Noch 1781 entstand ein Selbstbildnis in Bregenzwälderinnentracht (Innsbruck, Tiroler Landesmuseum), ein Bruststück mit volkstümlich geflochtenen Haaren und großem Trachtenhut. Es zeigt, dass sie sich dem idyllischen Schwarzenberg als Heimatort verbunden fühlte. Mit diesen Bildern, die für Gönner und öffentliche Räume bestimmt waren, bekannte Kauffmann sich freimütig zu ihrer ländlichen Heimat und erinnerte gleichzeitig an ihre Anfänge als «Wunderkind». Die kluge Geschäftsfrau, die sie später auch war, zeigte sich gern als Naturkind – das entsprach dem Zeitgeist, der den unverdorbenen Naturzustand pries.
Bisher hatte Kauffmann noch unter Anleitung ihres Vaters gemalt, aber schon während des Aufenthalts am Bodensee bekam sie selbst mehr und mehr Aufträge für Porträts. Eine förmliche Ausbildungsreise nach Italien, in das Land der Kunst, wurde notwendig, um Gemäldegalerien zu besuchen und die berühmten Werke der Antike und Renaissance zu studieren. Wieder malten sie und der Vater unterwegs und verdienten damit Reisegeld; vom Beginn der Reise durch Graubünden sind das Bildnis eines Offiziers im Küraß und das einer Frau von Salis (1760, beide Chur, Bündner Kunstmuseum) erhalten. Im Veltlin entstanden weitere Porträts, darunter ein Selbstbildnis in Pastell. Ihre Ausbildung scheint sich an vorgegebenen Mustern orientiert zu haben, die traditionellerweise mit Zeichnen begannen, dann Versuche in Pastell erlaubten und erst danach Ölgemälde. Im Jahr 1791 schrieb Kauffmann an eine junge Frau der Familie Salis in Graubünden, die sich zur Malerin bilden wollte: […] das in öhl mahlen ist for eine Dame eine etwas beschwärliche sache, besonders an orten wo man nichts was darzu nöthig ist findet. […] in diesem fall ist das Pastell mahlen viel bequemer, die pemsel rein und in guter ordnung zu halten die Farben auf die Paletten zu tragen selbe wieder ablegen, und noch viel anders dergleichen ist ein unbeliebiges geschäffte, in Lusan[35] [= Lausanne] in der Schweiz werden die pastellfarben vortrefflich gemacht und an verschiedne orte geschickt. auf eine gattung von leicht blauen oder grauen holändischen bapier last es sich sehr gut mahlen, und mann kann aufhören, und wieder fort mahlen wan man will – mit öhl farben mus man entweder fort arbeiten weill die farben noch naß – oder warten bis sie recht trocken. ich habe auch selbsten mit vergnügen viel in pastell gemahlt.[36] Aus ihrem späteren Werk sind nur wenige Pastellbilder überliefert, denn in England zum Beispiel galt diese Technik schon als Genre für Amateure.
Über die Rolle des Vaters in ihrem künstlerischen Werdegang wissen wir immer noch sehr wenig, denn später erzählte die Malerin ihren Weg so, als habe sie ihn frühzeitig und zielbewusst selbst bestimmt. Ihr Biograf Rossi betonte ihre «von Kindheit an entschiedene Vorliebe zur Malerei, und die edle Ruhmbegierde»[37]. Der Vater mag den Traum einer berühmten malenden Tochter schon früh gehegt haben, aber es widersprach der damals geltenden Rollenauffassung, weibliche Arbeit als Beruf anzuerkennen.[38] Nach dem Tod der Mutter jedoch scheint sich die junge Angelika Kauffmann stärker am Vater und seinem Beruf orientiert zu haben.
Es gab in Mailand gebildete Frauen, die heranwachsende Mädchen förderten, und die nun Neunzehnjährige erhielt offensichtlich Zugang zu den ersten Kreisen und ihren Salons, vor allem wohl des österreichischen Diplomaten Karl Joseph Graf Firmian, der ein bekannter Kunstförderer war. Zucchis Memoiren und Rossi berichten von einem entscheidenden Erlebnis, das wohl in diese Zeit in Mailand fiel, wo sie knapp der Gefahr entging, die Malerei für die Musik aufzugeben. Die Musik, besonders die Oper, erlebte in dieser Zeit in Italien einen Höhepunkt, und auch Kauffmann sang bei den «conversazioni» (Abendgesellschaften) und wurde bewundert, denn ihre «Stimme war sehr angenehm, sie sang mit einem Ausdrucke, der zum Herzen drang»[39], eine Laufbahn als Sängerin lag also nahe. In der Musik war ihr ein sofortiger guter Verdienst sicher, die Malerei war dagegen unsicher, außerdem die Ausbildung schwierig und für eine Frau ungewöhnlich. Allerdings lagen eine Karriere als Sängerin bei Hof und die Gefahr, zur Maitresse abzusinken, nahe beieinander, war der Ruhm ferner allzu sehr an äußere Schönheit gebunden und damit vergänglich. Kauffmanns religiöse Erziehung schloss die Musik aus, und nach einer Beratung mit dem Hauskaplan des Grafen Karl Firmian, so erzählte sie, entschied sie sich endgültig für die Malerei.
Viele Jahre später entstand das Gemälde Angelika Kauffmann zwischen Malerei und Musik (1791/92, Moskau, Puschkin-Museum; eigenhändige Replik mit veränderter Farbgebung 1794 oder 1795, Nostell Priory, Yorkshire, Sammlung Lord St. Oswald). Das Ölgemälde mit lebensgroßen Figuren illustriert den Moment, als die Künstlerin der Musik Lebewohl sagt.[40] Die Musik im bräunlich goldenen bzw. leuchtend roten Kleid, gekennzeichnet durch das aufgeschlagene Notenbuch, sitzt links vor einer Säule, um die ein rotbrauner Vorhangschal drapiert ist. Seitlich vor ihr steht Angelika Kauffmann im weißen Kleid, Blick und Händedruck aber nehmen von der Musik Abschied, die bedauernd-schmerzlich zu ihr aufblickt. Die Malerei zeigt den Kopf im Profil, ein strenges, klassisches Profil. Sie blickt ernst in Angelikas Gesicht und scheint ein ungeduldiges Wort zu sprechen. Ihr rechter Arm weist energisch in die rechte obere Ecke des Bildes, wo sie Angelika am lichten Horizont «den Ruhmestempel zeigt, wohin sie auf dem Weg des Zeichnens und Malens gelangen könne»[41]. Um ihr schlichtes dunkelblaues Kleid flattert eine rote Schärpe, Farben, die an Mariendarstellungen denken lassen. Die Musik wirkt ruhig und anmutig, aber das betont tiefe Dekolleté, auf das viel Licht fällt, lässt die Lebensumstände und die moralische Gefährdung einer Hofsängerin ahnen, ebenso der Haarkranz aus blauen Windenblüten, die für den, der die Bildsprache zu lesen weiß, das Laster symbolisieren. Der Blickfang des Bildes ist die helle Mittelfigur, Angelika Kauffmann. Sie hat sich erhoben, und ihre offene linke Hand scheint schon nach der Palette zu greifen; nun hat sie sich für die Malerei und ein bewegtes, aber tugendhaftes Leben entschieden, der Abschied von der geliebten Musik fällt ihr dennoch schwer.
Das Bild stieß bei den Zeitgenossen auf großes Interesse und auf Bewunderung. Der Schriftsteller Friedrich von Matthisson verglich die dargestellte Situation mit der des antiken Herkules am Scheideweg zwischen Laster und Tugend und berichtete, dass die Malerin es um keinen Preis verkaufen wollte.[42] Tatsächlich ist die Darstellung jenem Motiv auffallend verwandt, das ein bevorzugtes Thema der Zeit war, jedoch nimmt, unerhört in der Kunstgeschichte, eine Frau, noch dazu im Selbstbildnis, die Stelle des Helden ein. Die Musik vertritt das lasterhafte, nein, milder, nur das gefährdete Leben, die Malerei das tugendhafte. Kauffmann weicht damit von Darstellungen bei Albrecht Dürer, Annibale Carracci, Nicolas Poussin, Pompeo Batoni, Benjamin West und anderen ab und macht als erste Frau in der Kunstgeschichte einen wichtigen Moment im eigenen Leben als Künstlerin zum Thema eines Gemäldes. Sie macht öffentlich aufmerksam auf die Situation vieler Frauen, ihren Reichtum an Talenten nicht entwickeln zu können[43], wogegen die männlichen «Stürmer und Dränger» gerade an die Verwirklichung vielfältiger Talente glaubten. Gemalt zu einem Zeitpunkt, als sie bereits unangefochtenen Ruhm genoss, zeigt das Bild der Öffentlichkeit ihre doppelte Begabung und ihr nachdrückliches Bekenntnis zur Malerei, aber auch zu ‹weiblichen› Werten, zu «Gefühl, Energie und Grazie», die der englische Maler James Barry an dem Gemälde lobte.[44] Ihre Malerei ist nicht Selbstzweck oder Fürstenlob, sondern propagiert tugendhafte Vorbilder. Kauffmann drückt bürgerliches Selbstbewusstsein aus und stellt sich gleichzeitig in die Vorstellung vom Künstler als Genie, die im Laufe des 18. Jahrhunderts die vom Handwerker und Regelkünstler ablöste. Vielleicht spielt bei diesem aufgeklärten bürgerlichen Selbstbewusstsein eine Rolle, dass Kauffmann, die von Jugend auf den Umgang mit Adligen gewohnt war und von der letzten Phase der Kunstpatronage durch den Adel vor der Revolution profitierte, ihr Leben lang die Bindung an die Heimat Vorarlberg pflegte, wo das Volk sich selbst regierte, nach eigenem altem Brauch Recht sprach und seine Vertreter in freier, offener Wahl wählte.
Seit der Zeit der Renaissance-Genies zog es die Maler zur Ausbildung nach Italien. Das galt auch für das 18. Jahrhundert, obwohl in den ersten zwei Dritteln des Jahrhunderts Frankreich, im letzten Drittel England in der Malerei führend waren. Die hochbegabte Angelika Kauffmann musste die legendären Kunstwerke von Rom und Florenz sehen und Gelegenheit zum Kopieren großer Gemälde erhalten. Die Ausbildungsreise ab 1760 führte zuerst nach Parma, der Stadt des Correggio, dann nach Bologna, um die Werke von Annibale und Agostino Carracci, Guido Reni und Guercino zu sehen. Empfehlungsschreiben Graf Firmians an die Höfe in Parma und Florenz, an Johann Joachim Winckelmann und Alessandro Albani in Rom bereiteten ihr den Weg, denn Galerien waren im 18. Jahrhundert in privatem Besitz, und die Künstler erhielten nur mit guten Empfehlungen Zutritt. Natürlich konnte sie nicht allein reisen: Der umtriebige Vater organisierte die Reise und beschützte sie fürsorglich («Vetter Joseph» begnügte sich mit dem Gelernten und ging schon seine eigenen Wege). Diese zweite Italienreise gilt als der «Schlußpunkt der frühen Ausbildungsphase» der Malerin.[45]
Während der Zeit der Aufklärung veränderte sich der Kunstmarkt entscheidend. Da Kirche und Adel immer mehr an Macht und Einfluss verloren, wurden die großen, repräsentativen künstlerischen Aufgaben der Barock- und Rokokozeit wie Altarbilder oder dekorative Deckengemälde immer seltener. Nun erlangten der Kleinadel und das gehobene Bürgertum als neue Schicht der Auftraggeber und Käufer zunehmende Bedeutung. An vielen Orten entstanden Gemäldesammlungen, und es entwickelte sich ein florierender Kunsthandel im modernen Sinn. Er lebte in Italien vor allem von den Reisenden, denn inzwischen waren bei den Adligen und wohlhabenden Bürgern Frankreichs, Englands, Russlands und der deutschen Länder Reisen in Mode gekommen. Am Ende des Studiums der jungen Männer stand üblicherweise die Kavalierstour oder Grand Tour durch Europa, insbesondere durch Italien mit Florenz und Rom, Bologna, Mailand und Venedig als unverzichtbaren Stationen. Da die Reisenden Erinnerungen an die Orte, die sie besucht hatten, mit nach Hause nehmen wollten und sich gerne an den klassischen Stätten porträtieren ließen, arbeiteten zahlreiche Maler nahezu ausschließlich für ihren Bedarf. Die neuen Käuferschichten, deren Geschmack und Bedürfnisse für die Kunst bisher kaum relevant gewesen waren, beeinflussten stark die Thematik der italienischen Malerei des Jahrhunderts. Vor allem zwei Gattungen wurden nun wichtiger, das Genrebild und die Vedute, die Canaletto und Giovanni Paolo Pannini berühmt machten.
Die fünfziger Jahre waren die Zeit der großen archäologischen Entdeckungen in Pompeji und Herculaneum, denen eine unvorstellbare Begeisterung für die Antike folgte, besonders für die «Magna Graecia», die antiken griechischen Kolonien auf der Apenninhalbinsel. Kardinal Alessandro Albani, der «nipote» von Papst Clemens XI. und kaiserliche Gesandte in Rom, war zugleich der größte Sammler antiker Kunstwerke und richtete in der Villa Albani ein Museum für antike Kunst ein. Der Lehrer Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), der sich selbst zum Altertumsforscher gebildet hatte und mit einem sächsischen Stipendium nach Rom gekommen war, wurde sein Bibliothekar und 1763 Präfekt der päpstlichen Antikensammlung. 1764 erschien sein Hauptwerk, die «Geschichte der Kunst des Altertums», in der er den Blick von der römischen auf die griechische Antike lenkte, deren Kunst zum neuen Ideal erhob und damit entscheidend zur Nachahmung der antiken Kunstwerke beitrug. Er beschrieb die Marmorstatue «Der Apoll von Belvedere» (um 130–140 nach einem griechischen Bronzeoriginal um 330 v. Chr., Rom, Vatikan) als das höchste Ideal der antiken Kunst. Neben der Antike wurde aber auch die Renaissance zum Vorbild, in der Malerei vor allem Raffael. Unter dem Einfluss der Renaissancekünstler, der wiederentdeckten Antike und Winckelmanns Schriften erhoben Pompeo Batoni (1708–1779) und Anton Raphael Mengs (1728–1779), ein Deutscher in Rom, den Ruf nach klassischer Einfachheit statt barockem Pomp oder verspieltem Rokoko und entwickelten den klassizistischen Stil in der Malerei. Sie forderten scharfe Linienführung und klare Farbgebung, priesen die Bologneser als große Vorbilder und griffen die Kunsttheorie der Renaissance auf, der das Historienbild als höchste Kunstgattung gegolten hatte. Das Deckengemälde «Der Parnaß» (1760/61) von Mengs im ersten Stock der Villa Albani (1746–1763, heute Villa Torlonia an der Via Salaria) verkündete ihr Programm. Historiengemälde erzählen dramatische Ereignisse aus der Bibel, der Mythologie, der klassischen und modernen Literatur und der Geschichte; sie galten als Äquivalent der am höchsten geschätzten literarischen Gattungen Epos und Tragödie in den bildenden Künsten. Sie sollten vorbildliche Handlungsweisen darstellen und dadurch belehren. Die Betonung bürgerlicher Ideale und heroischer Tugenden trug wesentlich dazu bei, dass sich das Historienbild im 18. Jahrhundert rasch als die ranghöchste und öffentlich am stärksten beachtete Gattung der Malerei etablierte, höherstehend als Porträt, Genre- und Landschaftsmalerei oder Stillleben.
Das Jahr 1762 wurde entscheidend für Angelika Kauffmanns Ausbildung zur Malerin und für ihre spätere Karriere, denn am 9. Juni des Jahres traf sie in Florenz ein, der Stadt Leonardos und Michelangelos. Der Zeitgenosse und Biograf Rossi hielt fest, erst diese an Kunstschätzen so überreiche Stadt, die «Wiege der Wiedergeburt der Kunst […] erregte ihren Enthusiasmus, sich derselben […] zu weihen»[46]