Anmerkungen zu Hitler - Sebastian Haffner - E-Book

Anmerkungen zu Hitler E-Book

Sebastian Haffner

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Bis heute hat dieses zuerst 1978 erschienene Buch nichts von seiner Bedeutung verloren. Wie keine zweite Darstellung über den Nationalsozialismus leisten die «Anmerkungen zu Hitler» einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis deutscher Vergangenheit – und damit auch der Gegenwart. Seinen Autor hat dieses Buch auf einen Schlag weltberühmt gemacht. Haffners führt an einer der dunkelsten Gestalten deutscher Geschichte vor, dass es eben nicht einen zwangsläufigen Gang der Geschichte gibt, der unausweichlich in die Katastrophe führt, sondern dass es Menschen und Persönlichkeiten sind, die den Gang der Geschichte beeinflussen und auf die es ankommt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 232

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sebastian Haffner

Anmerkungen zu Hitler

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

«Adolf Hitlers Vater war ein Aufsteiger … Der Sohn begann als Absteiger.» Mit diesen Worten beginnt Sebastian Haffners für seine Originalität und Klarsicht gleichermaßen gerühmtes Werk über Hitler. Bis heute hat dieses zuerst 1978 erschienene Buch nichts von seiner Bedeutung verloren. Wie keine zweite Darstellung über den Nationalsozialismus leisten die Anmerkungen zu Hitler einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis deutscher Vergangenheit – und damit auch der Gegenwart.

Seinen Autor hat dieses Buch auf einen Schlag weltberühmt gemacht. Haffners Verdienst ist es, sich Hitler völlig unverstellt genähert zu haben. Er führt an einer der dunkelsten Gestalten deutscher Geschichte vor, dass es eben nicht einen zwangsläufigen Gang der Geschichte gibt, der unausweichlich in die Katastrophe führt, sondern dass es Menschen und Persönlichkeiten sind, die den Gang der Geschichte beeinflussen und auf die es ankommt – im Guten wie im «Bösen».

Über Sebastian Haffner

Sebastian Haffner, geboren 1907 in Berlin, war promovierter Jurist. Er emigrierte 1938 nach England und arbeitete als freier Journalist für den Observer. 1954 kehrte er nach Deutschland zurück, schrieb zunächst für die Welt, später für den Stern. Sebastian Haffner starb 1999.

Inhaltsübersicht

LebenLeistungenErfolgeIrrtümerFehlerVerbrechenVerrat

Leben

Adolf Hitlers Vater war ein Aufsteiger. Der uneheliche Sohn einer Dienstmagd brachte es zu einer gehobenen Beamtenstellung und starb geehrt und angesehen.

Der Sohn begann als Absteiger. Er beendete die Realschule nicht, scheiterte an der Aufnahmeprüfung für die Kunstakademie und führte von seinem achtzehnten bis zu seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr, erst in Wien, dann in München, ohne Beruf oder Berufsziel, eine Frührentner- und Bohemeexistenz. Seine Waisenrente und gelegentlicher Bilderverkauf hielten ihn über Wasser. Bei Kriegsausbruch 1914 meldete er sich freiwillig zur bayerischen Armee. Es folgten vier Jahre Frontdienst, in denen er sich durch Tapferkeit das Eiserne Kreuz beider Klassen erwarb, aber wegen mangelnder Führungsfähigkeiten nicht über den Rang eines Gefreiten hinauskam. Nach dem Kriegsende, das er als Gasversehrter in einem Heimatlazarett erlebte, blieb er ein Jahr lang ein «Kasernenbewohner». Berufspläne und -aussichten hatte er auch jetzt nicht. Er war nun dreißig Jahre alt.

In diesem Alter schloß er sich, im Herbst 1919, einer kleinen rechtsradikalen Partei an, in der er bald eine tonangebende Rolle spielte, und damit begann eine politische Laufbahn, die ihn schließlich zu einer geschichtlichen Figur gemacht hat.

Hitler lebte vom 20. April 1889 bis 30. April 1945, also ziemlich genau sechsundfünfzig Jahre, weniger als die normale Lebensspanne. Zwischen den ersten dreißig und den folgenden sechsundzwanzig Jahren scheint eine unerklärliche Kluft zu liegen. Dreißig Jahre lang ein obskurer Versager; dann fast sofort eine politische Lokalgröße und am Ende der Mann, um den sich die ganze Weltpolitik dreht. Wie reimt sich das zusammen?

Die Kluft hat zu vielen Betrachtungen Anlaß gegeben, aber sie ist mehr scheinbar als wirklich. Nicht nur, weil auch Hitlers politische Laufbahn in ihren ersten zehn Jahren zerklüftet bleibt; und nicht nur, weil der Politiker Hitler im Endergebnis sich ja ebenfalls als Versager, nun allerdings größten Stils, herausgestellt hat. Sondern vor allem deswegen, weil Hitlers persönliches Leben auch in seinem zweiten, öffentlichen Lebensabschnitt inhaltsarm und kümmerlich geblieben ist, während umgekehrt sein politisches Innenleben schon in den ersten, äußerlich belanglosen Lebensjahrzehnten bei genauerem Hinsehen vieles Ungewöhnliche aufweist, mit dem sich alles Spätere vorbereitet.

Der Schnitt, der allerdings durch Hitlers Leben geht, ist kein Querschnitt, sondern ein Längsschnitt. Nicht Schwäche und Versagen bis 1919, Kraft und Leistung seit 1920. Sondern vorher wie nachher eine ungewöhnliche Intensität des politischen Lebens und Erlebens bei ungewöhnlicher Dürftigkeit des persönlichen. Schon der obskure Bohemien der Vorkriegsjahre lebte und webte im politischen Zeitgeschehen, als wäre er ein Spitzenpolitiker; und noch der Führer und Reichskanzler blieb in seinem persönlichen Leben ein arrivierter Bohemien. Das entscheidende Kennzeichen dieses Lebens ist seine Eindimensionalität.

Viele Biographien tragen als Untertitel unter dem Namen ihres Helden die Worte: «Sein Leben und seine Zeit», wobei das «und» mehr trennt als verbindet. Biographische und zeitgeschichtliche Kapitel wechseln; das große Individuum steht plastisch vor dem Hintergrund des flächenhaft eingezeichneten Zeitgeschehens, es hebt sich ebenso von ihm ab, wie es darin eingreift. Ein Leben Hitlers läßt sich so nicht schreiben. Alles, was daran zählt, verschmilzt mit der Zeitgeschichte, ist Zeitgeschichte. Der junge Hitler reflektiert sie; der mittlere reflektiert sie immer noch, wirkt aber auch schon auf sie ein; der späte bestimmt sie. Erst wird er von der Geschichte gemacht; dann macht er Geschichte. Darüber lohnt sich zu reden. Was Hitlers Leben sonst hergibt, sind im wesentlichen Fehlanzeigen – nach 1919 wie vorher. Machen wir sie kurz ab.

In diesem Leben fehlt – «nachher» wie «vorher» – alles, was einem Menschenleben normalerweise Schwere, Wärme und Würde gibt: Bildung, Beruf, Liebe und Freundschaft, Ehe, Vaterschaft. Es ist, von der Politik und der politischen Leidenschaft einmal abgesehen, ein inhaltloses Leben, und daher ein zwar gewiß nicht glückliches, aber eigentümlich leichtes, leichtwiegendes, leicht wegzuwerfendes. Ständige Selbstmordbereitschaft begleitet denn auch Hitlers ganze politische Laufbahn. Und am Ende steht wirklich, wie selbstverständlich, ein Selbstmord.

Hitlers Ehelosigkeit und Kinderlosigkeit[*] ist bekannt. Auch die Liebe hat in seinem Leben eine ungewöhnlich geringe Rolle gespielt. Es gibt ein paar Frauen in seinem Leben, nicht viele; er behandelte sie als Nebensache und machte sie nicht glücklich. Eva Braun versuchte aus Kummer über Vernachlässigung und ständige Kränkungen («er braucht mich nur zu bestimmten Zwecken») zweimal, Selbstmord zu begehen; ihre Vorgängerin, Hitlers Nichte Geli Raubal, tat es wirklich – wahrscheinlich aus demselben Grunde. Jedenfalls war Hitler auf einer Wahlreise unterwegs und hatte sie nicht mitgenommen, als sie ihn durch ihre Tat nötigte, einmal – ein einziges Mal – das, was ihm wichtiger war, um ihretwillen zu unterbrechen. Hitler betrauerte sie und ersetzte sie. Diese trübe Geschichte ist das, was in Hitlers Leben einer großen Liebe am nächsten kommt.

Hitler hatte keine Freunde. Mit untergeordneten Hilfskräften – Fahrern, Leibwächtern, Sekretären – liebte er stundenlang zusammenzusitzen, wobei er allein das Wort führte. In dieser «Chauffeureska» entspannte er sich. Eigentliche Freundschaft wehrte er lebenslang ab. Seine Beziehungen mit Männern wie Göring, Goebbels, Himmler blieben immer kühl-distanziert. Den einzigen unter seinen Paladinen, mit dem er aus Frühzeiten auf du und du stand, Röhm, ließ er erschießen. Gewiß hauptsächlich, weil er politisch unbequem geworden war. Die Duzfreundschaft aber war dabei jedenfalls kein Hemmnis. Wenn man Hitlers allgemeine Intimitätsscheu bedenkt, drängt sich sogar der Verdacht auf, daß Röhms verjährter Freundschaftsanspruch eher ein zusätzliches Motiv war, ihn aus der Welt zu schaffen.

Bleiben Bildung und Beruf. Eine geregelte Bildung hat Hitler nicht genossen; nur ein paar Jahre Realschule, mit schlechten Zensuren. Allerdings hat er in seinen Bummeljahren viel gelesen, aber – nach eigenem Eingeständnis – vom Gelesenen immer nur das aufgenommen, was er ohnedies schon zu wissen glaubte. Auf politischem Gebiet hatte Hitler das Wissen eines leidenschaftlichen Zeitungslesers. Wirklich beschlagen war er nur im Militärischen und Militärtechnischen. Hier befähigte ihn die praktische Erfahrung des Frontsoldaten, sich Gelesenes kritisch verstehend anzueignen. So merkwürdig es klingt, diese Fronterfahrung dürfte sein einziges Bildungserlebnis gewesen sein. Im übrigen blieb er sein Leben lang der typische Halbgebildete – einer, der alles schon immer besser wußte und mit zusammengelesenem Halb- und Falschwissen um sich warf, am liebsten vor einem Publikum, dem er damit imponierte, weil es rein gar nichts wußte. Die Tischgespräche aus dem Führerhauptquartier dokumentieren seine Bildungsmängel auf blamable Weise.

Einen Beruf hat Hitler nie gehabt und nie gesucht; im Gegenteil, er hat ihn, solange Zeit dazu gewesen wäre, geradezu gemieden. Seine Berufsscheu ist ein ebenso auffallender Zug an ihm wie seine Ehescheu und seine Intimitätsscheu. Man kann ihn auch nicht etwa einen Berufspolitiker nennen. Politik war sein Leben, aber nie sein Beruf. In seiner politischen Frühzeit gab er als Beruf wechselnd Maler, Schriftsteller, Kaufmann und Werberedner an; später war er einfach der niemandem verantwortliche Führer – erst nur der Führer der Partei, schließlich Der Führer schlechthin. Das erste politische Amt, das er je bekleidete, war das des Reichskanzlers; und vom professionellen Standpunkt gesehen war er ein sonderbarer Reichskanzler, der wegreiste, wann er wollte, Akten las oder nicht las, wie und wann er wollte, Kabinettssitzungen nur unregelmäßig abhielt und seit 1938 überhaupt nicht mehr. Seine politische Arbeitsweise war niemals die des höchsten Staatsbeamten, sondern die eines ungebundenen, freischaffenden Künstlers, der auf seine Inspiration wartet, tagelang, wochenlang scheinbar faulenzt und sich dann, wenn ihn der Geist überkommt, in plötzliche, hektische Aktivität stürzt. Eine geregelte Tätigkeit hat Hitler zum ersten Mal in seinen letzten vier Lebensjahren ausgeübt, als militärischer Oberbefehlshaber. Da allerdings konnte er die täglichen zweimaligen Lagebesprechungen nicht schwänzen. Und da blieb die Inspiration dann mehr und mehr aus.

Vielleicht wird man sagen, Leere und Nichtigkeit des privaten Lebens sei nicht ungewöhnlich bei Männern, die sich ganz einem großen selbstgesetzten Ziel widmen und den Ehrgeiz haben, Geschichte zu machen. Ein Irrtum. Es gibt vier Männer, mit denen Hitler, aus jeweils verschiedenen Gründen, einen Vergleich herausfordert, den er allerdings nicht aushält: Napoleon, Bismarck, Lenin und Mao. Keiner von ihnen, auch Napoleon nicht, ist im Endergebnis so furchtbar gescheitert wie Hitler; das ist der Hauptgrund dafür, daß Hitler den Vergleich mit ihnen nicht besteht, aber er mag hier beiseite bleiben. Worauf wir im gegenwärtigen Zusammenhang hinweisen wollen, ist, daß keiner von ihnen so wie Hitler ein Nur-Politiker und auf allen anderen Gebieten eine Null war. Alle vier waren hochgebildet und hatten einen Beruf, in dem sie sich bewährt hatten, ehe sie «in die Politik gingen» und in die Geschichte eingingen: General, Diplomat, Anwalt, Lehrer. Alle vier waren verheiratet, Lenin als einziger kinderlos. Alle kannten die große Liebe: Josephine Beauhamais, Katharina Orlow, Inessa Armand, Tschiang Tsching. Das macht diese großen Männer menschlich; und ohne ihre volle Menschlichkeit würde ihrer Größe etwas fehlen. Hitler fehlt es.

Noch etwas fehlt ihm, das wir kurz erwähnen müssen, ehe wir zu dem kommen, was an Hitlers Leben wirklich der Betrachtung wert ist. Es gibt bei Hitler keine Entwicklung und Reifung seines Charakters und seiner persönlichen Substanz. Sein Charakter ist früh festgelegt – ein besseres Wort wäre vielleicht: arretiert – und bleibt sich auf eine erstaunliche Weise immer gleich; nichts kommt hinzu. Kein einnehmender Charakter. Alle weichen, liebenswürdigen, versöhnlichen Züge fehlen, wenn man nicht eine Kontaktscheu, die manchmal wie Schüchternheit wirkt, als einen versöhnlichen Zug gelten lassen will. Seine positiven Eigenschaften – Willenskraft, Wagemut, Tapferkeit, Zähigkeit – liegen alle auf der «harten» Seite. Die negativen erst recht: Rücksichtslosigkeit, Rachsucht, Treulosigkeit und Grausamkeit. Dazu kommt, und zwar ebenfalls von Anfang an, ein totaler Mangel an Fähigkeit zur Selbstkritik. Hitler war sein ganzes Leben lang ganz außerordentlich von sich eingenommen und neigte von seinen frühesten bis zu seinen letzten Tagen zur Selbstüberschätzung. Stalin und Mao haben den Kult mit ihrer Person kühl als politisches Mittel eingesetzt, ohne sich selbst davon den Kopf verdrehen zu lassen. Hitler war beim Hitlerkult nicht nur dessen Gegenstand, sondern auch der früheste, ausdauerndste und inbrünstigste Adorant.

Und damit genug von der Person und der unergiebigen persönlichen Biographie Hitlers und hinüber zu seiner politischen, die allerdings einer Betrachtung wert ist und der es auch, im Gegensatz zu der persönlichen, an Entwicklung und Steigerung nicht mangelt. Sie beginnt lange vor seinem ersten öffentlichen Auftreten und vollzieht sich in sieben Stufen oder Sprüngen.

Die frühe Konzentration auf Politik als Lebensersatz.

Die erste (noch private) politische Aktion: die Emigration von Österreich nach Deutschland.

Der Entschluß, Politiker zu werden.

Die Entdeckung seiner hypnotischen Fähigkeiten als Massenredner.

Der Entschluß, Der Führer zu werden.

Der Entschluß zur Unterordnung seines politischen Zeitplans unter seine persönliche Lebenserwartung. (Er ist zugleich der Entschluß zum Krieg.)

Der Entschluß zum Selbstmord.

Die beiden letzten Entschlüsse unterscheiden sich von den vorangehenden dadurch, daß es einsame Entschlüsse sind. Bei allen anderen sind die subjektive und die objektive Seite unzertrennlich. Sie sind Entschlüsse Hitlers, aber in und durch Hitler wirkt jedesmal zugleich der Zeitgeist oder die Zeitstimmung wie ein Wind, der in ein Segel fährt.

Schon das erwachende leidenschaftliche politische Interesse des Achtzehn- oder Neunzehnjährigen, der mit seinem künstlerischen Ehrgeiz gescheitert war, den Ehrgeiz als solchen aber in sein neues Interessengebiet mitbrachte, entsprach oder entsprang einer Zeitstimmung. Das Europa der ersten Vorkriegszeit war viel politischer als das heutige. Es war ein Europa der imperialistischen Großmächte – alle in dauernder Konkurrenz, dauerndem Positionskampf, dauernder Kriegsbereitschaft; das war spannend für jeden. Es war auch ein Europa der Klassenkämpfe und der versprochenen oder gefürchteten roten Revolution; auch das war spannend. So oder so wurde damals an jedem bürgerlichen Stammtisch, in jeder proletarischen Kneipe ständig politisiert. Das private Leben – nicht nur der Arbeiter, auch der Bürger – war damals viel enger und ärmer als heute. Aber dafür war jeder in den Abendstunden mit seinem Land ein Löwe oder ein Adler, mit seiner Klasse der Bannerträger einer großen Zukunft. Hitler, der sonst nichts zu tun hatte, war es den ganzen Tag. Politik war damals Lebensersatz, bis zu einem gewissen Grade für fast alle, für den jungen Hitler aber ganz und gar.

Nationalismus und Sozialismus waren mächtige, massenbewegende Losungen. Was für eine Sprengkraft mußten sie erst entfalten, wenn es gelang, sie irgendwie zu verbinden! Daß schon dem jungen Hitler dieser Einfall kam, ist möglich, nicht sicher. Er hat später geschrieben, er habe schon als Zwanzigjähriger, im Wien der Jahre um 1910, «das granitene Fundament» seiner politischen Weltanschauung gelegt, aber ob diese Weltanschauung wirklich den Namen Nationalsozialismus mit Recht trägt, darüber läßt sich streiten. Das wirkliche Hitlersche Urgestein, sein Erstes und Unterstes, das sich schon in seiner Wiener Zeit formierte, ist jedenfalls nicht eine Fusion von Nationalismus und Sozialismus, sondern eine Fusion von Nationalismus und Antisemitismus. Und zwar scheint dabei der Antisemitismus das Allererste gewesen zu sein. Ihn trug Hitler von Anfang an wie einen angeborenen Buckel mit sich herum. Aber auch der Nationalismus, ein ganz bestimmter, völkisch-großdeutsch geprägter Nationalismus, stammt ohne Zweifel schon aus seiner Wiener Zeit. Der Sozialismus dagegen ist höchstwahrscheinlich spätere Zutat.

Der Hitlersche Antisemitismus ist osteuropäisches Gewächs. In Westeuropa und auch in Deutschland war Antisemitismus um die Jahrhundertwende im Abflauen, Assimilation und Integration der Juden erwünscht und in vollem Gange. Aber in Ost- und Südosteuropa, wo die zahlreichen Juden freiwillig oder unfreiwillig als abgesondertes Volk im Volke existierten, war (und ist?) der Antisemitismus endemisch und mörderisch, nicht auf Assimilation und Integration gerichtet, sondern auf Wegschaffen und Ausrotten. Und nach Wien, in dessen drittem Bezirk ja nach Metternichs bekanntem Wort der Balkan beginnt, reichte dieser mörderische, den Juden keinen Ausweg gönnende osteuropäische Antisemitismus tief hinein, dort schnappte ihn der junge Hitler auf. Wie, wissen wir nicht. Keine unangenehme persönliche Erfahrung ist berichtet, er selbst hat nichts dergleichen behauptet. Nach der Darstellung in «Mein Kampf» genügte die Wahrnehmung, daß Juden andere Menschen waren, für die Schlußfolgerung: «Weil sie anders sind, müssen sie weg.» Wie Hitler diese Schlußfolgerung später rationalisiert hat, dies darzustellen, muß einem späteren Kapitel vorbehalten bleiben, und wie er sie praktiziert hat, einem noch späteren. Fürs erste blieb der mörderische Antisemitismus osteuropäischer Abart, der sich tief und fest in den jungen Mann einfraß, ohne praktische Folgen selbst in seinem eigenen obskuren Leben.

Anders sein großdeutscher Nationalismus, das andere Produkt seiner Wiener Jahre. Er erzeugte 1913 den ersten politischen Entschluß seines Lebens – den Entschluß zur Emigration nach Deutschland.

Der junge Hitler war ein Österreicher, der sich nicht als Österreicher fühlte, sondern als Deutscher, und zwar als ein zu kurz gekommener, von Reichsgründung und Reich zu Unrecht ausgeschlossener, im Stich gelassener Deutscher. Damit teilte er die Gefühle vieler Deutschösterreicher seiner Zeit. Mit dem ganzen Deutschland hinter sich hatten die österreichischen Deutschen ihr Vielvölkerreich beherrschen und prägen können. Seit 1866 waren sie aus Deutschland ausgesperrt, in ihrem eigenen Reich eine Minderheit, gegen den erwachenden Nationalismus der vielen Muß-Österreicher auf die Dauer wehrlos, zu einer (nun schon mit den Ungarn geteilten) Vorherrschaft verurteilt, für die ihre Kraft und Zahl nicht mehr ausreichte. Man konnte aus einer so prekären Lage die verschiedensten Folgerungen ziehen. Der junge Hitler, im Folgerungenziehen immer schon stark, zog früh die radikalste: Österreich mußte zerfallen, aber bei diesem Zerfall mußte ein Großdeutsches Reich herauskommen, das alle deutschen Österreicher wieder umfaßte und dann die Kleinstaaten, die seine Miterben wurden, durch sein Schwergewicht wieder beherrschte. Im Geiste fühlte er sich schon nicht mehr als k.u.k.-Untertan, sondern als Bürger dieses kommenden Großdeutschen Reichs, und daraus zog er auch für sich selbst Folgerungen, wiederum die radikalsten: Im Frühjahr 1913 wanderte er aus.

Wir wissen heute, daß Hitler von Wien nach München emigrierte, um sich dem österreichischen Militärdienst zu entziehen. Daß dies nicht aus Drückebergerei und Feigheit geschah, bewies er, als er sich 1914 bei Kriegsausbruch sofort freiwillig meldete: nur eben bei der deutschen Armee, nicht bei der österreichischen. Der Krieg lag schon 1913 in der Luft; und Hitler wollte nicht für eine Sache kämpfen, von der er sich innerlich losgesagt hatte, und nicht für einen Staat, den er für verloren hielt. Er war damals noch weit davon entfernt, ein Politiker werden zu wollen – wie hätte er es als berufsloser Ausländer im deutschen Kaiserreich auch werden können? –, aber er handelte bereits politisch.

Im Kriege war Hitler politisch glücklich. Nur sein Antisemitismus blieb unbefriedigt – wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte man den Krieg benutzt, um im Reiche den «Internationalismus», den er mit sz schrieb und mit dem er die Juden meinte, auszurotten. Aber sonst ging ja vier Jahre lang alles vorzüglich – Siege über Siege. Niederlagen hatten nur die Österreicher. «Mit Österreich wird die Sach kommen wie ich immer sagte», schrieb er bescheidwisserisch an Münchner Bekannte aus dem Felde.

Wir kommen nun zu Hitlers Entschluß, Politiker zu werden – einem der vielen, die er als «den schwersten meines Lebens» bezeichnet hat. Objektiv möglich gemacht wurde er durch die Revolution von 1918. Im Kaiserreich wäre für einen Ausländer in Hitlers sozialer Position nicht einmal der Ansatz zu einer politischen Tätigkeit gegeben gewesen, es sei denn vielleicht in der SPD, in die Hitler aber nicht paßte und die ja im übrigen, was Einfluß auf die tatsächliche Staatspolitik betraf, eine Sackgasse war. Erst die Revolution machte für Parteien den Weg zur Staatsmacht frei und erschütterte zugleich das hergebrachte Parteiensystem so sehr, daß auch neue Parteien eine Chance bekamen – Neugründungen gab es 1918 und 1919 massenweise. Auch Hitlers österreichische Staatsangehörigkeit war jetzt kein Hindernis mehr für aktive Beteiligung an der deutschen Politik. Der Anschluß «Deutschösterreichs», wie man es damals nannte, zwar durch die Siegermächte verboten, wurde beiderseits der Grenze seit 1918 leidenschaftlich gewünscht und innerlich vorweggenommen, so daß ein Österreicher in Deutschland praktisch kaum mehr als Ausländer galt. Und soziale Schranken gab es nach einer Revolution, die Fürstenherrschaft und Adelsprivileg beseitigt hatte, für einen deutschen Politiker überhaupt nicht mehr.

Wir betonen das so, weil es immer übersehen wird. Hitler führte sich bekanntlich als geschworener Feind der Revolution von 1918, des «Novemberverbrechens», in die Politik ein, und deswegen sträubt sich etwas dagegen, ihn als ihr Produkt zu erkennen. Aber objektiv war er das, ebenso wie Napoleon ein Produkt der Französischen Revolution war, die er ja auch in gewissem Sinne überwand. Beide wären ohne die vorangegangene Revolution undenkbar. Beide haben auch nichts wiederhergestellt, was die Revolution abgeschafft hatte. Sie waren ihre Feinde, aber sie nahmen ihr Erbe an.

Auch subjektiv gab der November 1918, wie man Hitler in diesem Fall glauben darf, den Anstoß zu seinem Entschluß, Politiker zu werden, wenn er ihn auch erst im Herbst 1919 wirklich faßte. Aber November 1918 war sein Erweckungserlebnis. «Nie wieder darf und wird es in Deutschland einen November 1918 geben», war, nach vielen politischen Grübeleien und Spekulationen, sein erster politischer Vorsatz, das erste konkrete Ziel, das sich der junge Privatpolitiker setzte – und übrigens das einzige, das er wirklich erreicht hat. Einen November 1918 hat es im Zweiten Weltkrieg wirklich nicht wieder gegeben: weder einen rechtzeitigen Abbruch des verlorengehenden Krieges noch eine Revolution. Hitler hat beides verhindert.

Machen wir uns klar, was in diesem «Nie wieder ein November 1918» alles enthalten war. Es ist eine Menge. Erstens der Vorsatz, eine künftige Revolution in einer Lage wie der des November 1918 unmöglich zu machen. Zweitens aber – sonst hinge das erste ja in der Luft – der Vorsatz, eine solche Lage wiederherzustellen. Und das bedeutete, drittens, bereits, den verlorenen oder verlorengegebenen Krieg wiederaufzunehmen. Viertens mußte der Krieg aus einer inneren Verfassung heraus wiederaufgenommen werden, in der es keine potentiell revolutionären Kräfte gab. Von da aus war es nicht weit zum fünften: Abschaffung aller linken Parteien – und warum dann nicht, in einem Aufwasch, gleich aller Parteien? Da man aber das, was hinter den linken Parteien stand, die Arbeiterschaft, nicht abschaffen konnte, mußte man sie politisch für den Nationalismus gewinnen, und das bedeutete, sechstens, man mußte ihr Sozialismus bieten, jedenfalls eine Art von Sozialismus, eben einen Nationalsozialismus. Ihren bisherigen Glauben aber, den Marxismus, mußte man – siebentens – ausrotten, und das bedeutete – achtens – die physische Vernichtung der marxistischen Politiker und Intellektuellen, unter denen gottlob eine ganze Menge Juden waren, so daß man – neuntens, und Hitlers ältester Wunsch – auch gleich alle Juden ausrotten durfte.

Man sieht, Hitlers innenpolitisches Programm ist in dem Augenblick, da er in die Politik eintritt, fast komplett beisammen. Er hatte, zwischen dem November 1918 und dem Oktober 1919, als er Politiker wurde, ja auch Zeit genug gehabt, sich alles klarzumachen und zurechtzulegen. Und das muß man ihm zugestehen, daß ihm das Talent, sich etwas klarzumachen und daraus Konsequenzen zu ziehen, nicht abging. Es hatte ihm schon in seiner Wiener Jugend nicht gemangelt, ebensowenig wie der Mut, die theoretisch – und zwar radikal – gezogenen Konsequenzen dann auch ebenso radikal in die Praxis umzusetzen. Bemerkenswert allerdings auch, daß das ganze Gedankengebäude auf einem Irrtum beruhte: dem Irrtum, daß die Revolution die Ursache der Niederlage gewesen wäre. In Wirklichkeit war sie ihre Folge. Aber das war ein Irrtum, den Hitler mit sehr vielen Deutschen teilte.

Ein außenpolitisches Programm bescherte ihm das Erweckungserlebnis von 1918 noch nicht. Das hat er sich erst in den folgenden sechs oder sieben Jahren erarbeitet, aber wir wollen es hier gleich kurz miterledigen. Zuerst war nur der Entschluß da, den – nach Hitlers Meinung vorzeitig – abgebrochenen Krieg auf jeden Fall wiederaufzunehmen. Dann kam der Gedanke, den neuen Krieg nicht einfach als Wiederholung des alten anzulegen, sondern unter neuen, günstigeren Bündniskonstellationen, mit Ausnutzung der Gegensätze, die in und nach dem Ersten Weltkrieg die feindliche Koalition gesprengt hatten. Die Phasen, in denen sich dieser Gedanke entwickelt hat, und die verschiedenen Möglichkeiten, mit denen Hitler in den Jahren 1920–1925 gespielt hat, lassen wir hier weg; sie sind in anderen Büchern nachzulesen. Das schließliche Ergebnis jedenfalls, in «Mein Kampf» niedergelegt, war ein Plan, der England und Italien als Verbündete oder wohlwollende Neutrale vorsah, die österreichisch-ungarischen Nachfolgestaaten und auch Polen als Hilfsvölker, Frankreich als einen vorweg auszuschaltenden Nebenfeind und Rußland als zu erobernden und dauernd zu unterwerfenden Hauptfeind, aus dem deutscher Lebensraum, «das deutsche Indien» gemacht werden sollte. Es ist der Plan, der dem Zweiten Weltkrieg zugrunde lag, allerdings von Anfang an nicht aufging, da England und Polen die ihnen zugedachten Rollen nicht annahmen. Wir werden noch mehrmals darauf zurückkommen. Hier, wo wir es mit Hitlers politischer Entwicklung zu tun haben, können wir uns nicht länger dabei aufhalten.

Wir stehen jetzt bei Hitlers Eintritt in die Politik und in die Öffentlichkeit, im Herbst und Winter 1919/20. Es war sein Durchbruchserlebnis, nach dem Erweckungserlebnis vom November 1918. Und zwar bestand der Durchbruch nicht so sehr darin, daß er in der Deutschen Arbeiterpartei, die er alsbald in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei umtaufte, schnell der führende Mann wurde. Dazu gehörte nicht viel. Die Partei war, als er in sie eintrat, ein trüber Hinterstubenverein mit wenigen hundert wenig bedeutenden Mitgliedern. Sondern das Durchbruchserlebnis war die Selbstentdeckung seiner Redegewalt. Sie kann genau datiert werden, auf den 24. Februar 1920, an dem Hitler mit durchschlagendem Erfolg seine erste Rede in einer Massenversammlung hielt.

Die Fähigkeit Hitlers, Versammlungen der verschiedensten Menschen – je größer und je gemischter, desto besser – in eine homogene, knetbare Masse zu verwandeln, diese Masse erst in eine Art Trancezustand zu versetzen und ihr dann etwas wie einen kollektiven Orgasmus zu bereiten, ist bekannt. Sie beruhte nicht eigentlich auf Redekunst – Hitlers Reden liefen langsam und stockend an, hatten wenig logischen Aufbau und manchmal kaum einen klaren Inhalt; außerdem wurden sie mit einer heiser-rauhen, gutturalen Stimme vorgetragen –, sondern sie war eine hypnotische Fähigkeit, die Fähigkeit einer konzentrierten Willenskraft, sich eines kollektiven Unterbewußtseins, wo es sich zur Verfügung stellte, jederzeit zu bemächtigen. Diese hypnotische Massenwirkung war Hitlers erstes und lange Zeit sein einziges politisches Kapital. Wie stark sie war, darüber gibt es seitens der von ihr Betroffenen unzählige Zeugnisse.

Wichtiger noch als die Wirkung auf die Massen war aber die Wirkung auf Hitler selbst. Man kann sie nur verstehen, wenn man sich vorstellt, wie es auf einen Mann, der Grund gehabt hat, sich für impotent zu halten, wirken muß, wenn er sich plötzlich imstande findet, Wunder der Potenz zu vollbringen. Hitler war schon früher, unter seinen Kriegskameraden, gelegentlich aus seiner normalen Schweigsamkeit in plötzliches wildes Reden und Sichereifern verfallen, wenn die Rede auf das kam, was ihn innerlich bewegte: die Politik und die Juden. Damals hatte er damit nur Befremden erregt und sich einen Ruf als «Spinner» erworben. Jetzt fand sich der «Spinner» plötzlich als ein Massenbeherrscher wieder, als der «Trommler», der «König von München». Aus dem stillen, bitteren Hochmut des Verkannten wurde dadurch das berauschte Selbstbewußtsein des Erfolgreichen.

Er wußte jetzt, daß er etwas konnte, was kein anderer konnte. Er wußte auch bereits, zumindest auf innenpolitischem Gebiet, genau, was er wollte; und er konnte nicht umhin zu bemerken, daß von den anderen, zunächst weit prominenteren Politikern der rechten Szene, auf der er in den nun folgenden Jahren eine Figur wurde, keiner wirklich genau wußte, was er wollte. Beides zusammen mußte ihm ein Gefühl der Einzigartigkeit geben, für das er immer schon, auch und gerade als Gescheiterter und «Verkannter», eine Anlage gehabt hatte. Daraus entwickelte sich allmählich der wohl wirklich größte und umwälzende Entschluß seines politischen Lebens: der Entschluß, Der Führer zu werden.

Dieser Entschluß läßt sich nicht datieren, und er wurde auch nicht durch ein bestimmtes Ereignis ausgelöst. Man kann sicher sein, daß es ihn in den Anfangsjahren von Hitlers politischer Laufbahn noch nicht gab. Da war Hitler noch zufrieden damit, der Werberedner, der «Trommler» einer nationalen Erweckungsbewegung geworden zu sein. Er hatte noch Respekt vor den gefallenen Größen des Kaiserreichs, die sich damals in München zusammenfanden und Staatsstreichpläne verschiedenster Art ausheckten, besonders vor dem General Ludendorff, der in den letzten zwei Kriegsjahren der Kopf der deutschen Kriegführung gewesen war und jetzt als anerkannte Zentralfigur aller umstürzlerischen Rechtsbewegungen figurierte.

Bei näherer Bekanntschaft verlor sich dieser Respekt. Zu dem Bewußtsein sicherer Massenbeherrschung, das er mit keinem teilte, gesellte sich bei Hitler nach und nach das Gefühl politischer und intellektueller Überlegenheit über alle denkbaren Konkurrenten. Irgendwann muß dazu die weitere Erkenntnis – eine nicht selbstverständliche Erkenntnis – gekommen sein, daß es bei dieser Konkurrenz nicht etwa nur um die Ämterverteilung und Rangfolge in einer künftigen Rechtsregierung ging, sondern tatsächlich um etwas nie Dagewesenes: die Stellung eines allmächtigen, durch keine Verfassung oder Gewaltenteilung gehemmten, in keine kollegiale Führung eingebundenen Diktators auf Dauer.

Hier macht sich das Vakuum bemerkbar, das das Verschwinden und Unmöglichwerden der Monarchie hinterlassen hatte und das die Weimarer Republik nicht ausfüllen konnte, da sie weder von den Revolutionären des November 1918 noch von deren Gegnern akzeptiert wurde, sondern, nach dem bekannten Schlagwort, eine «Republik ohne Republikaner» blieb. Es entstand in den frühen zwanziger Jahren eine Stimmung, in der, in Jakob Burckhardts Worten, «die Sehnsucht nach etwas, das den früheren Gewalten analog ist, unwiderstehlich wird» und «für den einen arbeitet». Und nicht nur als Ersatz für den verlorenen Kaiser ersehnte ein großer Teil der Nation «den einen», sondern noch aus einem anderen Grunde: aus Gram um den verlorenen Krieg und hilflosem Groll gegen den als beleidigend empfundenen aufgezwungenen Friedensvertrag. Der Dichter Stefan George sprach eine weitverbreitete Stimmung aus, als er 1921 eine Zeit prophezeite, die

«Den einzigen der hilft den Mann gebiert»

und ihm auch gleich vorzeichnete, was er zu tun hatte:

«Der sprengt die Ketten fegt auf trümmerstätten

Die Ordnung, geisselt die verlaufnen heim

Ins ewige recht wo grosses wiederum gross ist

Herr wiederum herr, zucht wiederum zucht, er heftet

Das wahre sinnbild auf das völkische banner

Er führt durch sturm und grausige signale

Des frührots seiner treuen schar zum werk

des wachen tags und pflanzt das Neue Reich.»