Große Staatsmänner - Sebastian Haffner - E-Book

Große Staatsmänner E-Book

Sebastian Haffner

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Beschreibung

Napoleon Bonaparte zählt zu den faszinierendsten und zugleich irritierendsten Gestalten der Weltgeschichte. Sein kometenhafter Aufstieg aus dem Nichts zum Herrscher Frankreichs und zum Herrn über Europa und sein ebenso jäher Absturz haben seit je die Phantasie gereizt und die Historiker zu immer neuer Auseinandersetzung herausgefordert. Otto von Bismarck war ein Staatsmann, dessen politische Bedeutung seit jeher höchst kontrovers beurteilt wird. Die Zeit scheint reif für eine unvoreingenommene Bewertung Bismarcks – jenseits der gängigen Klischees, die sein Bild über Jahrzehnte hin verzerrt haben. Sir Winston Churchill hat schon viele Historiker beschäftigt. Und kein anderer war wohl so prädestiniert, sich mit Churchills Leben zu befassen, wie der deutsche Schriftsteller Sebastian Haffner. Haffner porträtiert einen Menschen in all seinen Facetten und einen Politiker, der zu den prägenden Gestalten des zwanzigsten Jahrhunderts zählt. Er war der Hoffnungsträger einer ganzen Generation und bis heute eine Kultfigur geblieben: John Fitzgerald Kennedy, 35. Präsident der USA. In seine nur 1036 Tage währende Amtszeit fielen dramatische Ereignisse wie die Kuba-Krise, der Bau der Berliner Mauer und das aktive Eingreifen der USA in den Vietnam-Krieg. Woher rührt der Mythos? Alan Posener porträtiert Kennedy in seiner ganzen Widersprüchlichkeit. Willy Brandt hat entscheidend mitgewirkt an der Aussöhnung von Ost und West nach dem Kalten Krieg. Und wie wenigen Politikern gelang es ihm, auch die Herzen der Menschen zu erobern. Als Regierender Bürgermeister von Berlin und als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat er Geschichte geschrieben. Nelson Mandela ist weltweit zum Symbol geworden für unbeugsamen Widerstand gegen Rassismus und Willkürherrschaft, aber auch für Versöhnungsbereitschaft gegenüber dem Feind von einst. Diese kurze Biographie schildert die Lebensgeschichte Mandelas und beschreibt zugleich die politische Geschichte Südafrikas.

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Seitenzahl: 1387

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Impressum

Sonderausgabe Juli 2017 Napoleon Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2014 Copyright © 2004, 2006 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Otto von Bismarck Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2015 Copyright © 1998 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Winston Churchill Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2014 Copyright © 1967 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg John F. Kennedy Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Mai 2017 Copyright © 1991, 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Copyright © 2012 by Alan Posener Willy Brandt Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2013 Copyright © 1988, 2002 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Nelson Mandela Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Dezember 2014 Copyright © 1995 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke ISBN E-Book 978-3-644-40392-5 www.rowohlt.de

Volker Ullrich, Sebastian Haffner, Alan Posener, Carola Stern, Albrecht Hagemann

Große Staatsmänner

Volker Ullrich

Napoleon

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

EinleitungDer kleine KorseAufstieg mit FortuneGeneral des DirektoriumsVom Konsul zum KaiserDie Neuordnung EuropasIm Zenit der MachtDie Krise des napoleonischen SystemsDer UntergangDas Intermezzo der Hundert TageMartyrium auf Sankt HelenaDie LegendeErläuterung zu den AnmerkungenZeittafelZeugnisseBibliographie1. Bibliographien, Forschungsberichte, Wörterbücher2. Werke, Auswahleditionen3. Zeitgenossen, Familienclan4. Biographien5. Gesamtdarstellungen6. Einzelstudien, Aufsätze7. Wirkungsgeschichte
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Einleitung

Denn das Genie ist ein Meteor, dazu bestimmt zu verbrennen, um sein Jahrhundert zu erleuchten. So beschrieb ein junger, noch gänzlich unbekannter französischer Leutnant mit Namen Napoleon Buonaparte im Jahre 1791 in einem moralphilosophischen Essay die Rolle Alexanders des Großen.[1] Er dürfte kaum geahnt haben, dass er damit eine Selbstbeschreibung seines Lebens gab, wie sie treffender kein Historiker je hätte formulieren können. Kometengleich ging sein Stern auf – und ebenso rasch verglühte er. Aber die Spur, die er gezogen hatte, bestimmte die Geschicke Europas im 19. Jahrhundert, beschäftigte unaufhörlich die politischen Phantasien der Zeitgenossen und der Nachlebenden und lieferte den Geschichtsschreibern den Stoff, aus dem die Legenden gemacht werden.

Als Verbannter auf der Insel Sankt Helena sorgte sich der gestürzte Herrscher um seinen Nachruhm. Die Historiker, so äußerte er im Mai 1816, mögen noch so viel unterschlagen und verstümmeln, es wird ihnen doch schwerfallen, mich ganz verschwinden zu machen[2]. Von Verschwindenlassen konnte indes gar keine Rede sein – im Gegenteil: Über kaum eine historische Figur ist so viel geschrieben worden wie über Napoleon, und bei kaum einer schlägt das Pendel der Bewertung so heftig aus zwischen glühender Bewunderung und abgrundtiefer Verachtung. Auf über 80000 Bücher wird die Zahl der Veröffentlichungen geschätzt, und Jahr für Jahr kommen neue hinzu. Dennoch gibt es bislang keine Biographie, die beanspruchen könnte, Werk und Zeit Napoleons erschöpfend dargestellt zu haben. Vielleicht kann es sie auch gar nicht geben, weil die Beschäftigung mit diesem außerordentlichen Mann nie abgeschlossen sein wird. «Je mehr wir über ihn erfahren, desto weniger kennen wir ihn», urteilte der russische Emigrant und Napoleon-Verehrer Dmitri Mereschkowskij im Jahre 1928.[3] Womöglich liegt in diesem Paradox auch der Grund für die anhaltende Faszination, die der korsische General, der sich 1799 an die Macht putschte, um sich danach zum Herrn Europas aufzuschwingen, immer noch ausübt. Jede Generation ist im Grunde aufs Neue herausgefordert, sich mit ihm auseinanderzusetzen und sich ein eigenes Bild von ihm zu machen.

Es gibt also nicht ein Bild Napoleons, sondern viele Bilder, die jeweils auch von nationalen Faktoren abhängig sind. Aus der französischen Napoleon-Literatur ragt das Werk Georges Lefebvres hervor. 1935 in der Reihe «Peuples et civilisations» erschienen, fasste es den internationalen Forschungsstand zusammen. Lefebvre gelang mit seiner Biographie zugleich eine Synthese der Epoche, indem er Aufstieg und Fall Napoleons in die Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft und Staat seiner Zeit einbettete. Dieser Klassiker der Geschichtsschreibung ist zu Recht als «das wichtigste und einflußreichste Napoleon-Buch des 20. Jahrhunderts»[4] bezeichnet worden. An zweiter Stelle zu nennen ist das Hauptwerk des derzeitigen Doyens der Napoleon-Forschung in Frankreich, Jean Tulard: «Napoleon oder der Mythos des Retters», 1977 erschienen und bereits ein Jahr später ins Deutsche übersetzt.[5] Stärker als Lefebvre rückte Tulard die vielschichtige Persönlichkeit Napoleons in den Vordergrund, ohne darüber die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen seiner Zeit zu vernachlässigen. Besonders wertvoll für jeden, der sich mit der Napoleon-Ära befasst, sind die jedem Kapitel angefügten kommentierten bibliographischen Bemerkungen, die über die wichtigste Literatur und die Streitfragen der Forschung informieren.

Auch in der angelsächsischen Geschichtsschreibung hält das Interesse an der Gestalt Napoleons unvermindert an. In den letzten Jahren sind zwei umfangreiche Biographien erschienen: zum einen das auf gründlichen eigenen Archivrecherchen beruhende Buch des amerikanischen Historikers Alan Schom, der allen Aspekten des Charakters und des Lebens gerecht werden möchte, am Ende allerdings aus seinem Abscheu keinen Hehl macht: «The most destructive man in European history since Attila the Hun was no more.»[6] Zum anderen das Werk des englischen Autors Frank McLynn, das jedoch unter einer manchmal allzu grobschlächtigen Verwendung psychoanalytischer Kategorien leidet.[7]

Erstaunlich frisch geblieben ist das Buch des niederländischen Historikers Jacques Presser aus dem Jahr 1956. Beherzter als die meisten seiner Vorgänger machte es sich daran, die Legenden um Napoleon zu zerstören, ohne das Bild des Herrschers, das dahinter sichtbar wurde, unnötig zu verzerren.[8] Unter den zahlreichen Darstellungen russischer Historiker bleibt bemerkenswert die Biographie von Albert S. Manfred von 1973 (1978 in deutscher Übersetzung in der DDR herausgekommen), die den Anspruch stellte, Napoleon «mit den Augen eines marxistischen Historikers des ausgehenden 20. Jahrhunderts» zu betrachten. Dass es dabei immer wieder zu ideologisch fixierten Urteilen kommt – etwa derart, dass der Usurpator «einer der hervorragendsten Vertreter der Bourgeoisie in einer Zeit war, als sie noch als junge, kühne und aufstrebende Klasse auftrat» –, mindert den Wert des ansonsten kenntnis- und materialreichen Buchs.[9]

Die Geschichte liebt es bisweilen, sich auf einmal in einem Menschen zu verdichten, welchem hierauf die Welt gehorcht.

Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen

Eine große Napoleon-Biographie, die den Vergleich mit Lefebvre und Tulard aufnehmen könnte, ist bislang auch von deutschen Historikern nicht geschrieben worden. Immer noch lesenswert ist die dreibändige Biographie, die der Wiener Historiker August Fournier bereits in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts präsentierte und die seitdem mehrfach wiederaufgelegt wurde. Sehr eingängig und quellennah geschrieben, unternahm sie den Versuch, den «berühmtesten Emporkömmling aller Zeiten» jenseits von «verherrlichender Lobpreisung und vernichtender Verurteilung» zu würdigen, wobei sie insgesamt zu einem recht abwägenden Urteil gelangte. Die 2005 erschienene Napoleon-Biographie des Historikers und Journalisten Johannes Willms besticht ebenfalls durch eine umfassende Auswertung der Primärquellen, darunter die vielbändigen Korrespondenzen Napoleons und die schier unerschöpfliche Zahl von Memoiren seiner Zeitgenossen. Allerdings legt Willms den Akzent ganz auf die Persönlichkeit, die Strukturen der napoleonischen Ära bleiben schemenhaft. Während der Autor den Aufstieg des jungen Bonaparte mit unverkennbarer Sympathie begleitet, betrachtet er das Wirken Napoleons an der Spitze des Staates mit kritischer Distanz, ja bald mit unverhohlenem Abscheu.[10] So gilt für die deutsche Napoleon-Rezeption, was Friedrich Sieburg bereits 1956 in seinem Buch über das Intermezzo der «Hundert Tage» festgestellt hat: «Aber wer auch die Feder führen, wer auch die Stimme erheben mag, ein gelassenes Verhältnis zu Napoleon bringt kein Deutscher auf. Die besondere Art seiner Größe rührt in uns Saiten an, deren Schwingungen keine Harmonie ergeben.»[11]

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Der kleine Korse

Ich habe eine gewisse Vorahnung, daß diese kleine Insel Europa eines Tages in Staunen versetzen wird», schrieb Jean-Jacques Rousseau in seinem berühmten «Contrat social» von 1762, als er auf den «Mut und die Beharrlichkeit» des korsischen Volkes zu sprechen kam, «seine Freiheit wiederzuerlangen und zu verteidigen».[12] Sieben Jahre später, am 15. August 1769, wurde in Ajaccio, der größten Stadt auf Korsika, ein Mann geboren, der nicht nur Europa, sondern die ganze Welt in Erstaunen versetzen sollte: Napoleon Buonaparte.

Es wird berichtet, dass der Neuankömmling es besonders eilig hatte, das Licht der Welt zu erblicken. Seine Mutter Letizia hatte am Feste Mariä Himmelfahrt die Messe besucht, als die Wehen einsetzten. Kaum war sie ins Haus zurückgekehrt, als sie schon einem gesunden Knaben das Leben schenkte. Dass sie auf einem Teppich niedergekommen sei, den Heldengestalten aus Homers «Ilias» schmückten, ist eine der vielen Legenden, die Napoleon selbst in Umlauf gebracht hat – und zwar in der Absicht, bereits seine frühen Lebensjahre mit Bedeutsamkeit aufzuladen.[13]

Napoleons Geburt fiel in eine Zeit, da Korsika seine Hoffnung auf eine autonome Entwicklung begraben musste. Im Mai 1768 hatte die Republik Genua, in deren Besitz die Insel seit dem 13. Jahrhundert war, ihre Souveränitätsrechte an Frankreich abgetreten. Die Korsen widersetzten sich der neuen Herrschaft, so wie sie den Genuesern getrotzt hatten, doch am 8. Mai 1769 erlitten sie in der Schlacht bei Pontenuovo eine vernichtende Niederlage. Pasquale Paoli, der Führer der korsischen Unabhängigkeitsbewegung, musste nach England fliehen. Zu den ersten prägenden Eindrücken in Napoleons Kindheit gehörten die Klagen über die verlorenen Freiheiten und die Opfer der französischen Besatzungsmacht. Ich kam auf die Welt, als das Vaterland zugrunde ging, so hat Napoleon selbst in einem Brief an Paoli vom 12. Juni 1789, den historischen Moment pathetisch überhöhend, geschrieben. Dreißigtausend Franzosen überschwemmten unsere Küsten, befleckten den Thron der Freiheit mit Strömen von Blut: das war das hassenswerte Schauspiel, das sich meinen jungen Augen bot. Die Schreie der Sterbenden, das Zittern der Unterdrückten, Tränen und Verzweiflung umgaben meine Wiege seit meiner Geburt.[14]

Der Vater Carlo Buonaparte – ein Spross aus niederem Adel angeblich toskanischen Ursprungs – war ein eifriger Parteigänger Paolis gewesen; doch nach 1769 wechselte er die Seiten und diente sich den neuen Herren aus Frankreich an. Die Belohnung blieb nicht aus. 1771 wurde der Advokat als Assessor in Ajaccio mit einem festen Jahresgehalt angestellt und bald darauf als Deputierter des korsischen Adels an den französischen Hof nach Versailles entsandt. Geregelte Einkünfte waren freilich auch notwendig, um die rasch wachsende Familie zu ernähren: Auf Joseph, den Ältesten (1768 geboren), und Napoleon folgten Lucien (1775), Elisa (1777), Louis (1778), Marie-Paolo, die spätere Pauline (1780), Maria-Annunziata, die spätere Caroline (1782), und Jérôme (1784).

Letizia Buonaparte war eine stadtbekannte Schönheit, die ihren Gatten 1764, im zarten Alter von vierzehn Jahren, geheiratet hatte. Sie erzog die wachsende Kinderschar mit liebevoller Strenge. Eine Mutter, wie es nur wenige gibt – eine herrliche Frau von vielem Verstande, so hat Napoleon sie noch kurz vor seinem Tode auf Sankt Helena gerühmt.[15] Ihrem zweiten Sohn «Nabulione», wie sie ihn auch noch rufen sollte, als er längst zum Ersten Konsul Frankreichs aufgestiegen war, zeigte sie sich in besonderer Weise zugetan. Dabei war er, glaubt man den Berichten, das schwierigste aller Kinder, von ungestümem Temperament, widerspenstig und jähzornig. Ich war ein eigensinniges Kind, erzählte er später. Nichts imponierte mir, nichts brachte mich aus der Fassung. Ich war zänkisch und kampfeslustig: ich fürchtete niemand. Den einen schlug ich, den anderen kratzte ich, und alle fürchteten mich. Mein Bruder Joseph hatte am meisten darunter zu leiden.[16] Besonders einen wichtigen Grundsatz suchte Letizia an ihre Kinder weiterzugeben: dass man als Familie stets zueinanderhalten und füreinander einstehen müsse. Das Denken in Begriffen des Clans zählte zum korsischen Erbe, das Napoleon auch als Kaiser der Franzosen niemals verleugnete.[17]

Von seinem Gönner, dem französischen Gouverneur auf Korsika Louis Charles Graf von Marbeuf, erbat Carlo Buonaparte Stipendien für seine beiden ältesten Söhne. Napoleon sollte in einer der königlichen Militärschulen Frankreichs untergebracht, Joseph auf den Priesterberuf vorbereitet werden. Im Dezember 1778 verließen sie die heimatliche Insel, um zunächst auf dem Collège von Autun die französische Sprache zu erlernen. Von hier aus kam Napoleon Mitte Mai 1779 nach Brienne – auf eine jener zwölf Militäranstalten, die dazu bestimmt waren, den Söhnen des Adels, die zur Armee wollten, eine hinreichende Ausbildung zuteil werden zu lassen.

Vom sonnigen Süden in den trüben Norden der Champagne, vom ungebundenen Leben in die klösterliche Zucht einer von Mönchen geleiteten Anstalt – dieser jähe Wechsel war für den noch nicht einmal zehnjährigen Napoleon ein Schock. Zudem war der kleine Korse mit dem seltsamen Namen und dem fremden italienischen Akzent eine ideale Zielscheibe für die Hänseleien der Mitschüler. Sein empfindliches Ehrgefühl reagierte darauf mit stolzer Abwehr. Von meinen Gefährten hielt ich mich fern, erinnerte er sich im Jahr 1803. Ich hatte mir ein Eckchen in der Umgebung der Schule ausgesucht, wo ich nach Belieben sitzen und träumen konnte, denn ich hatte immer einen Hang zur Träumerei. Wenn meine Kameraden mir den Besitz dieses Winkels streitig machen wollten, verteidigte ich ihn mit allen Kräften. Ich hatte schon eine Ahnung davon, daß mein Wille dem der anderen überlegen war.[18]

Zuflucht suchte Napoleon auch in der Lektüre, etwa in Plutarchs Lebensbeschreibungen großer Männer der Antike. Er war ein unersättlicher Leser, und er las «stets mit der Feder in der Hand»[19], das heißt, er eignete sich das Gelesene an, indem er ausführliche Exzerpte anfertigte. Seine schulischen Leistungen waren eher mittelmäßig. Die französische Orthographie bereitete ihm Schwierigkeiten – er sollte sie nie ganz beherrschen. Bald erkannten seine Lehrer seine Begabung für die Mathematik, diese erste der Wissenschaften, wie er sie einmal nannte.[20] Auch Geschichte und Geographie gehörten zu seinen Lieblingsfächern. Vor allem für die Historie seiner Heimat interessierte er sich früh, und in einem Brief an seinen Vater vom Oktober 1784 bat er darum, ihm James Boswells Buch über Korsika nebst noch einigen anderen das Land betreffenden Geschichtswerken und Memoiren zu schicken[21]. Den Plan, eine eigene Geschichte Korsikas zu schreiben, hat er zwar in den folgenden Jahren immer wieder erwogen, dann aber schließlich doch nicht verwirklicht.

Napoleon verbrachte fast viereinhalb Jahre, bis zum 17. Oktober 1784, in Brienne, und diese Zeit war für seine Charakterbildung von großer Bedeutung. Er lernte, sich auch in einer ihm fremden, ja feindlichen Umgebung zu behaupten und sich allmählich Respekt zu verschaffen. Seine Vorliebe fürs Militärische, die manche Historiker bereits in seiner frühen Kindheit angelegt sehen, hat sich erst in Brienne ausgebildet. Als ihm sein Vater bei seinem ersten und einzigen Besuch im Juni 1784 eröffnete, dass Joseph sich entschlossen habe, nun ebenfalls die soldatische Laufbahn einzuschlagen, weil er sich zum Priester nicht berufen fühle, begründete Napoleon in einem langen Brief an seinen Onkel Nicolò Paravicini in Ajaccio, warum er den Entschluss seines Bruders nicht billigen könne. Denn zum einen besitze Joseph nicht genug Beherztheit, um den Gefahren einer Schlacht zu trotzen, zum anderen betrachte er den Soldatenstand nur vom Standpunkt der Garnison aus. Anders würde er urteilen, wenn sein Bruder eine entschiedene Neigung für den Beruf verspüre, den schwierigsten übrigens, den es gibt, und wenn die große Triebkraft aller menschlichen Dinge ihm (wie mir) […] diese entschiedene Neigung fürs Militär mitgegeben hätte.[22] Für einen noch nicht einmal fünfzehnjährigen Schüler war dies das erstaunliche Zeugnis eines frühreifen Geistes. Scharfe Intelligenz und praktischer Sinn verbanden sich mit einem kalten Blick selbst auf ihm nahestehende Menschen.

«Verdient in die Kriegsschule von Paris aufgenommen zu werden», so lautete das Urteil des Schulinspektors vom September 1783.[23] Ende Oktober 1784 war es so weit: Napoleon kam, als Offiziersaspirant, auf die École militaire du Champs-de-Mars – die renommierteste Militärschule in ganz Frankreich, deren luxuriöse Ausstattung sich von der düsteren, freudlosen Anstalt in Brienne unterschied. Auch hier empfand der junge Korse stark den gesellschaftlichen Abstand zu den Söhnen der reichen französischen Adelsfamilien, doch er konnte damit nun besser umgehen, weil er sich seines eigenen Wertes bewusst geworden war und seinen Fähigkeiten vertraute. Er wurde von ausgezeichneten Lehrern unterrichtet, darunter von Louis Monge, dem Bruder des berühmten Mathematikers Gaspard Monge. Bereits nach einem Jahr (statt der üblichen zwei Jahre) legte er als 42. unter 58 Teilnehmern des Jahrgangs das Examen ab und wurde zum Sekondeleutnant beim Artillerieregiment La Fère in Valence ernannt. Mit nur sechzehn Jahren trug er die Uniform eines Offiziers der königlichen Armee.

In dem kleinen Garnisonsort an der Rhône lernte Napoleon das militärische Handwerk von der Pike auf. In den ersten drei Monaten, so sahen es die Bestimmungen vor, musste er als Kanonier Dienst tun, bevor er endgültig ins Offizierskorps aufgenommen wurde. Zu den einfachen Soldaten fand er offenbar mühelos Kontakt; er machte sich mit ihren Gewohnheiten und Umgangsformen vertraut – eine Erfahrung, die ihm bei seinen späteren Feldzügen zustatten kommen sollte.

In Valence probte Napoleon auch die ersten Schritte auf gesellschaftlichem Parkett. Frau von Colombier, die einen Salon unterhielt, nahm sich des linkischen Korsen an. Zu ihrer Tochter Caroline fasste Napoleon eine erste, scheue Zuneigung, derer er sich auch in späteren Jahren gern erinnerte. Ansonsten bot das Garnisonsleben wenig Abwechslung, und mit seinem kärglichen Sold konnte der junge Leutnant ohnehin keine großen Sprünge machen. Wie in Brienne und Paris widmete er sich seiner Lieblingsbeschäftigung, der Lektüre. Er verschlang die Bücher der führenden Aufklärungsphilosophen, vor allem Rousseaus und Guillaume Raynals, und er studierte militärische Standardwerke wie die «Mémoires sur la guerre» des Marquis de Feuquière oder den «Essai général de tactique» von Jacques Antoine Guibert.[24] An Wissen und Bildung war er den meisten seiner Offizierskameraden weit überlegen.

Im Februar 1785 starb Carlo Buonaparte im Alter von nur 39 Jahren an Magenkrebs. In einem Brief an die Mutter drückte Napoleon seinen Schmerz auf eigentümlich formelle Weise aus: Wir werden unsere Liebe und Ergebenheit für Sie noch verdoppeln und uns glücklich schätzen, wenn wir Sie dadurch wenigstens teilweise den unersetzlichen Verlust eines geliebten Mannes vergessen machen können.[25] Eigentlich hätte Joseph, der Älteste, als Chef des Clans einspringen müssen, aber der Zweitälteste machte bald deutlich, dass er diese Rolle für sich selbst beanspruchte. Anfang September 1786 nahm er Urlaub, um in Ajaccio nach dem Rechten zu sehen. Nach sieben Jahren und neun Monaten sah er die geliebte Heimatinsel wieder.

Es war höchste Zeit, dass er kam. Denn seit dem Tod des Vaters häuften sich die finanziellen Schwierigkeiten der Familie. Carlo Buonaparte hatte einige Unternehmungen gegründet, unter anderem eine Maulbeerbaumschule, die mehr kosteten, als sie einbrachten. Im Herbst 1787, nachdem ihm sein Urlaub um ein weiteres halbes Jahr verlängert worden war, reiste Napoleon nach Paris, um staatliche Hilfen zu erbitten. Er musste unverrichteter Dinge zurückkehren. Allerdings war der Pariser Aufenthalt insofern nicht folgenlos, als er zum ersten Mal mit einer Frau schlief, einer Prostituierten im Vergnügungszentrum Palais Royal – allem Anschein nach ein eher ernüchterndes Erlebnis, über das er selbst berichtet hat.[26]

Erst Anfang Juni 1788, nach einer abermaligen Verlängerung des Urlaubs, kehrte er zu seinem Regiment zurück, das mittlerweile nach Auxonne, einer Stadt in der Bourgogne, verlegt worden war. Hier erweiterte er, unter Anleitung des Barons Jean Pierre du Teil, seine Kenntnisse über den wirkungsvollsten Einsatz der Artillerie. General du Teil erkannte das militärische Talent des jungen Leutnants und gab ihm manche Gelegenheit, sich auszuzeichnen.

In Auxonne erlebte Napoleon auch die Vorbeben der Revolution. Nachdem der französische Hof im August 1788 dem Verlangen nach Einberufung der Generalstände nachgegeben und die Wahlbewegung zu einer breiten Politisierung geführt hatte, schrieb Napoleon seiner Mutter: Wie es scheint, hat der Unfriede bei den drei Ständen Einkehr gehalten, und schon hat der dritte Stand mit der größten Anzahl der Deputierten den Sieg davongetragen. Aber dieser Sieg hat nicht viel zu sagen, wenn er nicht die Abstimmung pro Kopf, anstatt pro Stand erreicht.[27] Tatsächlich war das die Kernfrage, an der sich der Streit in den Generalständen seit Frühjahr 1789 entzündete. Begleitet war er von Unruhen und Revolten im ganzen Land, als Reaktion auf die anhaltende Teuerung.

Anfang April 1789 brachen auch in Seurre südlich von Auxonne Unruhen aus. Napoleon wurde mit dem Kommando über die drei Kompanien betraut, welche die Ordnung wiederherstellen sollten. Zwei Monate blieb er in der Stadt, und aus dieser Zeit ist ein charakteristischer Auspruch von ihm überliefert: Die rechtschaffenen Leute sollen nach Hause gehen, ich schieße nur auf das Gesindel.[28] Andererseits hatte er im Oktober 1788, als er sich Gedanken über das Königtum machte, notiert: Es gibt nur sehr wenige Könige, die nicht schon verdient hätten, entthront zu werden[29], was ihn keineswegs als überzeugten Anhänger des französischen Monarchen Ludwig XVI. ausweist.

Welche Anschauungen vertrat Napoleon am Vorabend der Französischen Revolution? Sein Geschichtslehrer an der École militaire in Paris urteilte über ihn: «Er ist Korse von Nation und Charakter und wird es weit bringen, wenn ihn die Umstände begünstigen.»[30] Tatsächlich fühlte sich Napoleon, auch als er den Rock des französischen Königs trug, immer noch in erster Linie als Korse. Seine Heimat von der französischen Fremdherrschaft zu befreien – das war sein Traum. Sein korsischer Patriotismus verband sich mit einem glühenden Hass auf jene Söhne aus französischem Adel, die dünkelhaft auf die Vorrechte ihrer Geburt pochten und ihn, den mittellosen Korsen, ihre Geringschätzung spüren ließen. Der Wunsch, ihnen die erlittenen Demütigungen heimzuzahlen, machte ihn auch aufnahmebereit für die Ideen der Aufklärung, vor allem für die Lehren Jean-Jacques Rousseaus, der zeitweilig den größten Einfluss auf sein Denken ausübte. Ich war damals 18 Jahre alt, hatte einen glühenden Patriotismus und liebte die Freiheit: republikanische Ideen strömten aus allen Poren meiner Haut, so hat er sich noch auf Sankt Helena erinnert.[31]

Bereits in einem seiner ersten Manuskripte Über Korsika vom 26. April 1786, dem Geburtstag des von ihm vergötterten Paoli, ist dieser Einfluss unverkennbar. Wenn es nun durch diese Natur des ‹Gesellschaftsvertrags› erwiesen ist, daß, selbst ohne zureichenden Grund, ein Volk seinen eigenen Fürsten absetzen kann, um wie viel mehr einen fremden, der, alle Naturgesetze verletzend, sich gegen die Regierungseinrichtungen vergeht. Spricht dies nicht für die Korsen, da die Herrschaft der Genuesen doch nur eine vertragsmäßige war? Deshalb durften sie das genuesische Joch abschütteln, und deshalb können sie auch mit dem der Franzosen dasselbe tun.[32] Neben solchen kühlen, rationalen Erörterungen stehen, scheinbar unverbunden, gefühlvolle Bekenntnisse bis hin zu Weltschmerz und Lebensüberdruss. So wenn er im Mai 1786 aufs Papier warf: Aber, fürwahr! was soll ich in der Welt? Da ich nun einmal sterben muß, wär’s nicht gleich gut, mich jetzt zu töten? […] Mein Dasein ist mir zur Last, da ich keinerlei Freude genieße und alles mir nur Schmerz verursacht; es ist mir zur Last, weil die Menschen, mit denen ich lebe und voraussichtlich immer leben werde, so ganz anders sind als ich, ungefähr wie der Glanz des Mondes von dem der Sonne sich unterscheidet.[33] Rousseaus schwärmerisch-empfindsame Schriften, aber auch Goethes «Werther» (den Napoleon mehrere Male las) hatten ihre Wirkung auf dieses Gemüt nicht verfehlt. Natürlich dachte er nicht ernsthaft an Selbstmord. Aber der Widerspruch zwischen Vernunft und Emotion, zwischen streng methodischem Denken und gefühlvollen Schwärmereien – er kennzeichnete Napoleons Persönlichkeit in diesem Stadium ihrer Entwicklung. Als sich dem begabten Offizier durch die Revolution die Möglichkeit zur Betätigung bot, war das Gefühl der Leere und des Nichtausgefülltseins mit einem Schlage verflogen.

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Aufstieg mit Fortune

Gerade erfahre ich Neues aus Paris; es ist höchst erstaunlich und alarmierend […]. Man weiß nicht, wohin das führt, schrieb Napoleon in einem Brief vom 15. Juli 1789[34], nachdem die Kunde vom Sturm auf die Bastille einen Tag zuvor nach Auxonne gedrungen war. Auch die Garnisonsstadt an der Saône blieb von den revolutionären Erschütterungen in der Hauptstadt nicht unberührt. Demonstranten drangen in Amtsräume ein, verwüsteten das Mobiliar und verbrannten Akten. Im August verweigerten Kanoniere von Napoleons Regiment den Gehorsam und verlangten die Herausgabe der Kriegskasse. Dem Sekondeleutnant waren die Anzeichen von Disziplinlosigkeit zuwider, wie er überhaupt gegenüber den Aktionen des peuple, der unteren Schichten des Volkes, stets eine instinktive Abscheu empfand. Auf der anderen Seite begrüßte er lebhaft die Abschaffung der feudalen Privilegien. Es ist ein großer Schritt zum Guten, kommentierte er in einem Brief an seinen Bruder Joseph den historischen Beschluss der Nationalversammlung vom 4. August 1789.[35] Ende August leistete auch sein Artillerieregiment den Eid auf die neue Ordnung.

Das Land, wo man geboren ist, übt einen unsichtbaren Zauber aus; die Erinnerung verschönert es unter allen Formen, selbst bis zum Duft, den man den Sinnen so gegenwärtig glaubt, daß man mit verbundenen Augen den Boden zu erkennen meint, den man als Kind betreten hat.

Napoleon auf St. Helena

Doch nichts hielt Napoleon mehr in Frankreich. Sein künftiges Wirkungsfeld erblickte er auf Korsika, das ihm immer noch als patrie, als sein eigentliches Vaterland, galt. Ende September 1789, nachdem ihm erneut Urlaub gewährt worden war, traf er in Ajaccio ein. Gemeinsam mit seinem Bruder Joseph entfaltete er eine fieberhafte politische Aktivität. Ein patriotischer Klub wurde gegründet, eine Nationalgarde gebildet und in einer Eingabe an die Nationalversammlung die Forderung erhoben, die Korsen in jene Rechte wieder einzusetzen, die die Natur jedem Menschen in seinem Lande verliehen hat.[36]

Freilich dachte Napoleon jetzt nicht mehr an eine völlige Unabhängigkeit Korsikas. In seiner Einstellung zu Frankreich hatte sich seit dem 14. Juli 1789 ein Wandel vollzogen. Hatte er vor der Revolution die Franzosen vor allem als Unterdrücker seiner Landsleute gesehen, so ging er nun von einer Identität der Interessen aus. Diese aufgeklärte, mächtige und edle Nation, erklärte er emphatisch, hat sich ihrer Rechte und ihrer Stärke erinnert: Sie ist frei geworden und hat gewollt, daß auch wir es werden; sie hat uns ihren Schoß geöffnet, und fortan haben wir dieselben Interessen, dieselben Sorgen. Es gibt kein Meer mehr zwischen uns.[37] Stolz trugen Napoleon und seine Anhänger die dreifarbige Kokarde als Unterpfand der Freiheit an ihren Hüten, und an der Casa Buonaparte las man ein Transparent mit der Aufschrift: «Es lebe die Nation, es lebe Paoli, es lebe Mirabeau.»[38]

Ende November 1789 beschloss die Pariser Nationalversammlung, Korsika in das neue Frankreich aufzunehmen und ihm dieselben verfassungsmäßigen Rechte zu geben. Gleichzeitig wurde eine Amnestie für die politischen Flüchtlinge, an der Spitze Pasquale Paoli, ausgesprochen. Der legendäre Freiheitskämpfer kehrte im Juli 1790 nach Korsika zurück, wo man ihm einen triumphalen Empfang bereitete.

Auch die Brüder Buonaparte warben heftig um seine Gunst, doch schon die erste Begegnung Napoleons mit dem Idol seiner Jugendjahre endete mit einer Enttäuschung. Paoli brachte den Söhnen seines einstigen Weggefährten, der sich so wendig auf die Seite der Franzosen geschlagen hatte, von vornherein erhebliches Misstrauen entgegen. Der kalte Empfang tat der Verehrung Napoleons für den Führer der Korsen zunächst keinen Abbruch. Als der konservative Abgeordnete des korsischen Adels, Graf Buttafoco, im Oktober 1790 von der Tribüne der Nationalversammlung aus Paolis selbstherrliche Allüren anprangerte, verteidigte Napoleon in einer Schrift Lettre à Buttafoco wortreich seinen Meister.[39] Paoli allerdings reagierte auf diesen Dienst seines eilfertigen Bewunderers eher unwillig. Die Broschüre des Bruders, ließ er Joseph Buonaparte wissen, «hätte einen größeren Eindruck hinterlassen, wenn er weniger gesagt hätte und weniger parteiisch gewesen wäre».[40]

Bereits im Dezember 1789 hatte sich der französische Militärkommandant von Ajaccio über Napoleon beim Kriegsminister beschwert: «Es wäre besser, wenn dieser Offizier bei seiner Einheit wäre, weil er hier ständig Unruhe im Volk schürt.»[41] Napoleon ließ sich jedoch viel Zeit; erst im Februar 1791, längst nachdem die offizielle Frist seiner Beurlaubung abgelaufen war, kehrte er zu seinem Regiment in Auxonne zurück. Das unentschuldigte Fernbleiben blieb jedoch folgenlos. Viele royalistisch gesinnte Offiziere hatten mittlerweile ihren Dienst quittiert und Frankreich verlassen. So war man im Grunde froh über jeden, der bei der Fahne blieb.

Anfang Juni 1791 wurde Napoleon zum Premierleutnant beim 4. Artillerieregiment in Valence befördert. Hier erfuhr er vom gescheiterten Fluchtversuch Ludwigs XVI. und seiner Familie in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni – ein Ereignis, das dem Ansehen der Monarchie schweren Schaden zufügte. Auch Napoleon gab sich nun offen als Republikaner zu erkennen. Er engagierte sich, sehr zum Ärger mancher seiner Offizierskollegen, in der «Gesellschaft der Freunde der Verfassung», dem Jakobinerklub am Ort, und er beteiligte sich an einem Aufsatzwettbewerb, den die Akademie von Lyon ausgeschrieben hatte. Das Thema lautete: «Welche Wahrheiten und Empfindungen sind den Menschen einzuprägen, um sie glücklich zu machen.» Als Preisgeld winkten 3000 Livres, die der Leutnant, der sie gut hätte gebrauchen können, allerdings nicht bekam.

Napoleon hat sich, als er Kaiser geworden war, von dieser Schrift distanziert, weil sie voll republikanischer Ideen gewesen sei und einen überspannten Drang nach Freiheit erkennen lasse – angeblich hat er sogar das Manuskript, als Außenminister Talleyrand es ihm eines Tages überreichte, ins Kaminfeuer geworfen.[42] Tatsächlich war die vierzigseitige Abhandlung eine etwas wirre Mixtur all dessen, was er sich im Laufe seiner jungen Jahre an fortschrittlichen Gedanken angelesen hatte. Vor allem war sie eine Verbeugung vor Rousseau, dem wichtigsten Stichwortgeber: O, Rousseau, warum hast du nur sechzig Jahre lang gelebt? Im Interesse der Tugend hättest du unsterblich sein sollen.[43]

Im Oktober 1791 war Napoleon bereits wieder auf Korsika. Die Entfremdung zwischen ihm und Paoli zeigte sich nun deutlicher, und sie hatte nicht nur persönliche, sondern auch sachliche Gründe. Durch die Partei der Paolisten zog sich ein immer breiterer Riss: Während die einen, unter ihnen der Clan der Buonapartes, eine enge Anbindung Korsikas an Frankreich befürworteten, suchten die anderen, allen voran Paoli selbst, ein höheres Maß an Unabhängigkeit zu bewahren. Napoleon strebte im Kampf um die Macht eine führende Position in einem Freiwilligen-Bataillon an, und er bediente sich dabei ebenso machiavellistischer Mittel wie seine Kontrahenten. Während der Ostertage 1792 brachen in Ajaccio blutige Unruhen zwischen Katholiken und Republikanern aus, in die auch Napoleons Verband verwickelt war. Eine Flut von Klagen über das ungesetzliche Vorgehen des Leutnants erreichte das Pariser Kriegsministerium.

Ohnehin war bei seinen Vorgesetzten die Geduld erschöpft. Zu Beginn des Jahres 1792 wurde er wegen wiederholten Überschreitens seines Urlaubs aus der Stammrolle der Armee gestrichen. Im Mai brach Napoleon nach Paris auf, um sich zu rechtfertigen. Und er erreichte nicht nur seine Wiederaufnahme, sondern wurde sogar zum Hauptmann befördert. Jeder tüchtige Offzier wurde gebraucht, denn inzwischen befand sich das revolutionäre Frankreich im Krieg mit den konservativen europäischen Mächten Österreich und Preußen, der zunächst eine ungünstige Wendung zu nehmen schien. Zugleich beschleunigte sich die Radikalisierung im Innern; im Lager der Revolutionäre spitzten sich die Gegensätze zu: zwischen den gemäßigten Girondisten (so benannt nach der Herkunft einiger ihrer führenden Vertreter aus dem Departement Gironde in Südwestfrankreich) und den Anhängern der «Bergpartei», den radikalen Jakobinern um Maximilien de Robespierre, die, gestützt auf die besitzlosen Unterschichten, die Sansculotterie, die Ideen der Volkssouveränität und Gleichheit nun in die Tat umsetzen wollten. Die Jakobiner gebärdeten sich wie die Narren, ohne gesunden Menschenverstand, schrieb Napoleon an seinen Bruder Joseph[44], nachdem am 20. Juni 1792, dem Jahrestag des Ballhausschwurs, bewaffnetes Pariser Volk in die Tuilerien eingedrungen war und Ludwig XVI. gezwungen hatte, die Jakobinermütze aufzusetzen und mit ihm zu trinken.

Napoleon war auch Augenzeuge des zweiten Sturms auf die Tuilerien am 10. August 1792, in dessen Verlauf fast alle Angehörigen der Schweizer Garde, die das Schloss verteidigte, getötet wurden. Noch auf Sankt Helena hat er sich an den schrecklichen Anblick erinnert: Niemals hat mir später eines meiner Schlachtfelder auch nur annähernd den Eindruck so vieler Leiden gemacht, wie es mir hier bei der Menge der toten Schweizer der Fall zu sein schien.[45] Seine Furcht vor den Massen, von ihm gern als Pöbel oder Kanaille bezeichnet, sah sich aufs Neue bestätigt.

Im September 1792, als unter dem Eindruck der militärischen Rückschläge Häftlinge in den Pariser Gefängnissen ermordet wurden, als der neugewählte Nationalkonvent zusammentrat und das Königtum für abgeschafft erklärte – in dieser entscheidenden Phase der Revolution war Napoleon bereits wieder zurückgeeilt nach Korsika, um hier noch einmal in den teils verdeckten, teils offenen Kampf der rivalisierenden Clans und Gruppierungen einzugreifen. Überdies lockte eine militärische Aufgabe: Nachdem die Revolutionstruppen nach der Kanonade von Valmy im September 1792 zur Gegenoffensive übergegangen waren, sollte nun durch eine Expedition gegen Sardinien auch die Südflanke entlastet und ein wichtiger Punkt im Mittelmeer besetzt werden. Napoleon beteiligte sich mit seinem Freiwilligen-Bataillon, doch das Unternehmen scheiterte kläglich, weil im entscheidenden Moment die Besatzung der Schiffe meuterte und die Flotte zur Rückkehr zwang.

Napoleon verdächtigte Paoli, die Expedition bewusst hintertrieben zu haben. Anfang April 1793 verfügte der Konvent, den Führer der Korsen verhaften und ihn nach Paris schaffen zu lassen – ein Befehl, der unter seinen immer noch zahlreichen Anhängern Empörung auslöste. Als schließlich ein Brief Lucien Buonapartes an seine Brüder in Paolis Hände fiel, in dem sich jener brüstete, das Dekret des Konvents bewirkt zu haben, war der Bruch perfekt. Der ganze Zorn der Paoli-Leute entlud sich jetzt gegen die Buonapartes. Sie wurden für vogelfrei erklärt. Am 11. Juni 1793 musste die gesamte Familie fluchtartig die Insel verlassen; ihr Anwesen wurde zerstört. Der korsische Traum war ausgeträumt. Fast vier Jahre seines Lebens hatte Napoleon auf ein Projekt verwendet, das mit einem Fiasko endete.

Inzwischen hatte sich in Frankreich die Situation weiter radikalisiert: Im Januar 1793 war Ludwig XVI. hingerichtet worden. Im Mai brach ein gegenrevolutionärer Aufstand in der Vendée aus. Anfang Juni wurden die führenden Girondisten verhaftet. Damit begann die letzte Phase der Revolution, die Jakobinerherrschaft, die im Zeichen der «terreur», ausgeübt durch den Wohlfahrtsausschuss des Konvents unter Robespierre, stand. Nüchtern wog Napoleon nach seiner Rückkehr seine Chancen ab, und die verwiesen ihn auf die Jakobiner, von denen er sich noch ein Jahr zuvor distanziert hatte. Nachdem seine Familie eine vorläufige Bleibe in Marseille gefunden hatte, begab er sich zu seinem Regiment nach Nizza. Die Lage im Süden Frankreichs war prekär. In Lyon, Marseille, Toulon hatte sich die Bevölkerung gegen die Konventsherrschaft erhoben. Auf welcher Seite Napoleon stand, daran ließ er in einer Ende Juli 1793 verfassten Broschüre Le Souper de Beaucaire keinen Zweifel.

Die Schrift nimmt, in Form eines fiktiven Dialogs zwischen zwei Kaufleuten aus Marseille, einem Bürger aus Nîmes, einem Fabrikanten aus Montpellier und einem Offizier, zu den aktuellen Fragen Stellung. Der Offizier, mit dem Napoleon sich offenkundig identifiziert, versucht, den aufständischen Marseillern das Verwerfliche ihres Tuns klarzumachen: Es sei militärisch aussichtslos und würde nur den Feinden Frankreichs in die Hände spielen. Ihre Sonderinteressen müssten sie dem öffentlichen Wohl unterordnen, das im Konvent, dem wahren Souverän, am besten aufgehoben sei.[46] Die Konventskommissare bei der Südarmee, unter ihnen Augustin Robespierre, der jüngere Bruder des mächtigen Maximilien, fanden Gefallen an dem Werk und ließen es drucken. Mehr noch: Sie sorgten Mitte September 1793 dafür, dass Hauptmann Buonaparte mit dem Kommando über die Artillerie der Belagerungsarmee vor Toulon betraut wurde.

Das abtrünnige Toulon hatte im August seinen wichtigen Kriegshafen für die englische Flotte geöffnet. Die Rückeroberung der Stadt war also für die Konventstruppen von großer strategischer und moralischer Bedeutung. Napoleon bewies hier zum ersten Mal sein überragendes militärisches Talent, indem er mit scharfem Blick den Punkt erkannte, gegen den der Angriff zu richten war, um die Engländer zum Rückzug zu zwingen. In der Nacht zum 17. Dezember 1793 begann der Sturm; bereits zwei Tage später zogen die Konventstruppen in die Stadt ein. Napoleon hat, als er auf Sankt Helena seine Memoiren diktierte, mit der Belagerung von Toulon begonnen[47] – zu Recht, denn hier begann sein militärischer Stern aufzugehen. «Es fehlen mir die Worte, Dir die Verdienste Bonapartes zu schildern», rühmte General du Teil in seinem Bericht an den Kriegsminister. «Große Kenntnisse, ebensoviel Intelligenz und außergewöhnliche Tapferkeit – da hast du nur einen schwachen Begriff von den Eigenschaften dieses seltenen Offiziers.»[48] Am 22. Dezember wurde Napoleon zum Brigadegeneral ernannt. Eine Gruppe junger Offiziere, die später unter ihm Karriere machen sollten, hatte er erstmals um sich geschart: Duroc, Junot, Marmont, Leclerc, Desaix und andere.

Auf Vorschlag Augustin Robespierres, der den erst fünfundzwanzigjährigen General als einen Mann von «ungewöhnlichem Wert» schätzte[49], erhielt Napoleon im März 1794 das Kommando über die Artillerie der Italien-Armee, deren Hauptquartier in Nizza lag. Bald darauf entwarf er einen Operationsplan, der eine Offensive nach Oberitalien, in die reiche Ebene von Piemont, vorsah, um Österreichs Position in Deutschland von Süden her aufzurollen. Dieser Plan wurde jedoch durch die Ereignisse des 9. Thermidor (27. Juli) 1794 zur Makulatur: An diesem Tage wurde Robespierre verhaftet und kurz darauf zusammen mit seinem Bruder und weiteren 21 Anhängern hingerichtet. Das war das Ende der Jakobinerherrschaft.

Für Napoleon konnte das nicht folgenlos bleiben, denn schließlich galt er als Protegé des jüngeren Robespierre. Am 9. August wurde er verhaftet und in eine Zelle der Festung von Antibes eingesperrt. Selbstbewusst verteidigte er sich: Habe ich nicht seit Beginn der Revolution an ihren Grundsätzen festgehalten? […] Ich habe den Aufenthalt in meinem Departement geopfert, mein Hab und Gut verlassen, alles verloren für die Republik. Soll ich nun mit den Feinden des Vaterlandes zusammengeworfen werden?[50] Bereits am 20. August wurde Napoleon wieder entlassen; man hatte in seinen Papieren nichts Belastendes entdecken können. Doch für die Zukunft eröffneten sich ihm wenig verheißungsvolle Aussichten. Sein Kommando war er vorerst los und sein Ruhm als Befreier Toulons inzwischen verblasst.

Im Winter 1794/95 und Frühjahr 1795 hielt sich Napoleon bei seiner Familie in Marseille auf. Er hatte hier zarte Bande geknüpft zu Désirée Clary, der Tochter eines wohlhabenden Marseiller Großkaufmanns. Eingeführt in das Haus hatte ihn sein Bruder Joseph, der sich in die ältere Schwester Désirées, Julie, verliebt hatte. Im August 1794 heiratete er sie. Die finanzielle Situation der Familie verbesserte sich dadurch schlagartig.

Ende April 1795 erhielt Napoleon den Befehl, sich zur Westarmee zu begeben, die immer noch mit der Niederschlagung des Aufstands in der Vendée beschäftigt war. Er wurde in Paris vorstellig, um sich um ein anderes Kommando zu bewerben. Stattdessen versetzte man ihn zur Infanterie, was einer Degradierung gleichkam. Als Napoleon keinerlei Anstalten machte, den Posten anzutreten, wurde er am 15. September 1795 aus der Liste der aktiven Generäle gestrichen. Seine militärische Karriere schien beendet.

Laure Permon, die spätere Frau General Junots und Herzogin von Abrantès, die Napoleon in dieser Zeit im Hause ihrer Eltern erlebte, hat eindrucksvoll geschildert, wie er damals aussah: «Wenn ich mir Napoleon vorstelle, wie er 1795 den Vorplatz des ‹Hôtel de la Tranquillité› betrat und ihn mit linkischen, unsicheren Schritten überquerte, mit seinem schäbigen runden Hut, den er tief ins Gesicht gedrückt trug, mit seinem unordentlichen Haar, das darunter hervorgerutscht war und auf den Kragen seines grauen Mantels fiel […], ohne Handschuhe, die, behauptete er, eine überflüssige Ausgabe seien, mit schlecht gearbeiteten, schlecht gewichsten Stiefeln – kurzum, wenn ich mir seine ganze jämmerliche Erscheinung von damals in Erinnerung rufe und mir dann sein späteres Bild vor Augen halte, dann kann ich ihn kaum wiedererkennen.»[51]

Paris im Sommer 1795 – das war eine Stadt im Vergnügungsrausch. Die Bürger wollten die Schrecken der Jakobinerherrschaft möglichst rasch vergessen. Der Luxus, das Vergnügen und die Künste gewinnen jetzt hier wieder auf erstaunliche Weise die Oberhand, berichtete Napoleon in einem Brief an Joseph. Equipagen und die vornehme Welt erscheinen wieder auf der Bildfläche, oder besser, sie erinnern sich nur noch wie eines langen Traums, daß sie jemals aufgehört hatten zu glänzen.[52]

Wollte der korsische General den Anschluss nicht verpassen, dann musste er versuchen, sich mit den neuen Männern zu arrangieren, die in Frankreich nach dem Sturz Robespierres den Ton angaben: den Thermidorianern, einer Gruppe skrupelloser Parvenüs und Geschäftemacher, welche die Revolution nach oben gespült hatte und die nun entschlossen waren, deren Früchte den eigenen egoistischen Interessen nutzbar zu machen. Diesem Ziel diente auch die neue Verfassung von 1795: Die Legislative wurde in zwei Kammern aufgeteilt, den Rat der Fünfhundert und den Rat der Alten (mit 250 Abgeordneten); die Exekutive bildete ein Gremium aus fünf Männern, das Direktorium. Zum starken Mann in diesem Kollegium wurde Paul Vicomte de Barras, ein besonders korrupter Politiker aus altem Adel, der sich in den Revolutionsjahren schamlos bereichert hatte. Napoleon hatte ihn bereits während der Belagerung von Toulon kennengelernt, und er war ihm im Salon der Madame Tallien, dem beliebten Treffpunkt der Thermidorianer, wiederbegegnet. Barras war es denn auch, der dem schon fast Gescheiterten den Weg zu neuem Aufstieg ebnete.

Bevor der Konvent auseinanderging, hatte er noch verfügt, dass zwei Drittel seiner Mitglieder auch in den beiden neugewählten Kammern vertreten sein sollten. Damit wollte man einen möglichen Wahlsieg der Royalisten verhindern, die nach dem 9. Thermidor auch in Paris mächtigen Auftrieb bekommen hatten. Gegen dieses Dekret entwickelte sich eine Protestbewegung von rechts, die in einen regelrechten Aufstand gegen die neuen Machthaber mündete. Zur Abwehr der Gefahr übertrug der Konvent Barras den Oberbefehl über die Armee des Inneren; der holte sich, weil er selbst seinen militärischen Fähigkeiten misstraute, den ihm bekannten General Buonaparte an seine Seite. Und wieder, wie vor Toulon, erkannte Napoleon blitzschnell die Chance, die sich ihm bot. Er ließ 40 Kanonen herbeischaffen und postierte sie so geschickt um die Tuilerien, dass die heranrückenden Aufständischen am Nachmittag des 13. Vendémiaire (5. Oktober) 1795 schon nach wenigen Geschützsalven auseinanderliefen, Hunderte von Toten zurücklassend.

Der «General Vendémiaire» war der Mann des Tages, sein Name plötzlich in aller Munde. Er wurde zum Divisionsgeneral befördert und, nachdem Barras ins Direktorium berufen worden war, dessen Nachfolger als Oberbefehlshaber des Inneren – eine einflussreiche und gutdotierte Stellung, die für ihn aber nur Sprungbrett war für das unverrückbar anvisierte Ziel: das Kommando über die italienische Armee. Das Glück ist mir hold, frohlockte er einen Tag später.[53] Das schien nun offenbar auch für sein Privatleben zu gelten. Im Salon der Madame Tallien hatte er Joséphine de Beauharnais kennengelernt, die Witwe eines Generals, den die Jakobiner aufs Schafott geschickt hatten. Sie war sechs Jahre älter als Napoleon – eine schon etwas verblühte Schönheit, aber immer noch äußerst attraktiv, jedenfalls in den Augen ihres Verehrers. Den in Liebesdingen noch wenig Erfahrenen wusste sie klug zu becircen, ohne allzu große Zuneigung für ihn zu empfinden. Für eine Verbindung mit ihm sprach in Joséphines berechnendem Kalkül, dass sie, eine abgelegte Mätresse von Barras, einen neuen Mann an ihrer Seite brauchte, der ihr den aufwendigen Lebensstil finanzierte. Aber auch Napoleons Werben war, so heftig er für sie entflammt schien, nicht frei von Berechnung: Durch die Beziehung zu Joséphine öffnete sich ihm manche Tür zu gesellschaftlich einflussreichen Kreisen, die ihm bislang verschlossen war. Und er verpflichtete sich dadurch Barras, seinen mächtigen Gönner.[54] Die Verbindung zu Désirée Clary brach er abrupt ab. Am 9. März 1796 heiratete er Joséphine; auf den vorgelegten Taufscheinen hatte sie sich vier Jahre jünger, er sich eineinhalb Jahre älter gemacht.

Zwei Tage nach der Hochzeit war Napoleon schon auf dem Weg nach Nizza, um sein neues Amt als Befehlshaber der Italien-Armee anzutreten. Er fühlte sich fortan ganz als Franzose; nichts sollte mehr an die korsischen Ursprünge erinnern, und wie um das zu bekräftigen, schrieb er seinen Namen nun «Bonaparte» statt «Buonaparte».

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General des Direktoriums

Ich bin von der Armee mit lautem Jubel und Zeichen des Vertrauens empfangen worden, meldete Napoleon am 28. März 1796, einige Tage nach seiner Ankunft in Nizza, nach Paris.[55] Doch das entsprach nicht der Wahrheit. Die meisten Offiziere der Italien-Armee, darunter so erfahrene Generäle wie André Masséna und Pierre François Augereau, begegneten dem gerade sechsundzwanzigjährigen neuen Befehlshaber mit unverhohlenem Misstrauen. Sie sahen in ihm einen intriganten Emporkömmling, der es dank der Protektion des Direktoriums, nicht aber kraft eigener Leistungen zu seinem hohen militärischen Rang gebracht hatte. Aber Napoleon verstand es rasch, durch entschiedenes, keinen Widerspruch duldendes Auftreten und unverkennbare Kompetenz sich Respekt zu verschaffen. «Der hat mir aber einen schönen Schreck eingejagt, dieser Kleine», soll Masséna nach dem ersten Zusammentreffen gesagt haben.[56]

Napoleon fand die Armee – rund 40000 Mann – in einem beklagenswerten Zustand vor: vollkommen mit schlechten Elementen durchsetzt, ohne Brot, ohne Disziplin, ohne Gehorsam, wie er dem Direktorium berichtete.[57] Nicht nur waren die Soldaten mangelhaft ausgerüstet und gekleidet, sie hatten auch seit Monaten keinen Sold gesehen. Binnen kurzem sorgte der neue Kommandierende hier für Besserung, und mit zündenden Ansprachen suchte er die Moral der Truppe zu heben: Ich will euch in die fruchtbarsten Ebenen der Welt führen. Reiche Provinzen, große Städte werden in eure Hände fallen; dort werdet ihr Ehre, Ruhm und Reichtümer finden.[58]

Den Franzosen standen in Oberitalien zwei Armeen von insgesamt 70000 Mann gegenüber: die der Österreicher und die der Piemontesen. Napoleons Feldzugsplan sah vor, einen Keil zwischen beide Armeen zu treiben, um sie danach getrennt zu schlagen. Dieser Plan ging überraschend schnell auf. In einer Serie von Schlachten – Montenotte (12. April), Millesimo (13. April), Dego (14. April) – trennte er die Österreicher von ihren Verbündeten, denen er kurz darauf, am 21. April, bei Mondovi eine entscheidende Niederlage beibrachte. Am 28. April schloss er mit Piemont einen Waffenstillstand. In einem Armeebefehl rühmte er die vollbrachten Taten: Soldaten! Ihr habt in 14 Tagen sechs Siege erfochten, 21 Fahnen, 55 Geschütze und mehrere Festungen erobert. […] Nur die republikanischen Phalangen, die Soldaten der Freiheit waren fähig, das zu ertragen, was ihr erlitten habt.[59]

Nachdem er den Rücken frei hatte, wandte sich Napoleon wieder mit ganzer Kraft gegen die österreichische Armee, die er am 10. Mai in der berühmten Schlacht bei Lodi besiegte. Bei der Einnahme der strategisch wichtigen Brücke über die Adda stürmte er selbst voran und gewann durch seine Tapferkeit die Herzen der Soldaten. Am 15. Mai zog er an der Spitze seines Heers, begeistert begrüßt von der Bevölkerung, in Mailand ein. Die Lombardei war von der österreichischen Herrschaft befreit. Die Herzogtümer Parma, Modena und der Kirchenstaat beeilten sich, den Frieden mit Geld und Gemälden zu erkaufen.

Im Direktorium verfolgte man den Siegeszug Napoleons mit zwiespältigen Gefühlen. Auf der einen Seite sorgte der Feldherr durch eilends erhobene Kontributionen dafür, dass sich die leeren Kassen der Pariser Regierung wieder füllten; auf der anderen Seite blieb den Männern um Barras natürlich nicht verborgen, dass Napoleon durch seine alle Welt verblüffenden militärischen Erfolge ein Machtfaktor geworden war, der auch für ihre eigene Position bedrohlich werden konnte. So schlugen sie Mitte Mai 1796 vor, das Kommando über die italienische Armee zu teilen und die im Norden operierenden Verbände General François Étienne Kellermann zu unterstellen. Doch Napoleon lehnte brüsk ab – ich hätte nichts Gutes vollbringen können, wenn ich mich mit den Anschauungen eines anderen ins Benehmen hätte setzen müssen[60] –, und er drohte erstmals offen mit Rücktritt. Das Direktorium gab nach, und fortan handelte Bonaparte weitgehend eigenmächtig, ja sein Ehrgeiz richtete sich bereits über den italienischen Kriegsschauplatz hinaus auf neue Ziele. Nach Lodi, so hat er 1815 bekannt, sei ihm der Gedanke gekommen, daß ich wohl auf der politischen Bühne eine ausschlaggebende Rolle spielen könnte[61].

Doch das war vorerst Zukunftsmusik. Der italienische Feldzug war noch nicht entschieden, solange die Österreicher die starke Festung Mantua besetzt hielten. Der Kampf um diese Schlüsselstellung dauerte volle sechs Monate. Ein ums andere Mal schlug Napoleon die anrückenden österreichischen Ersatzheere: bei Castiglione (5. August), Bassano (8. September), Arcole (15.–17. November) und bei Rivoli (17. Januar). Am 2. Februar 1797 kapitulierte Mantua. Der Weg durch Tirol über die Alpenpässe nach Wien war frei.

Ende März richtete Napoleon von seinem Hauptquartier in Klagenfurt ein Schreiben an Erzherzog Karl, den Oberbefehlshaber des österreichischen Heeres, in dem er auf einen raschen Friedensschluss drängte – ein bemerkenswertes Dokument, denn der siegreiche General präsentierte sich hier erstaunlich friedfertig, ja schlug fast pazifistische Töne an. Haben wir nicht genug Menschen getötet und der traurigen Menschheit genug Leiden zugefügt? Er, Napoleon, würde, wenn er nur das Leben eines einzigen Menschen retten könne, auf die Bürgerkrone, die ich mir damit verdient hätte, stolzer sein als auf den traurigen Ruhm, den man durch militärische Erfolge erwirbt[62]. Offensichtlich brauchte die erschöpfte französische Truppe eine Ruhepause.

Auch in Wien war man inzwischen kriegsmüde. Am 18. April 1797 wurde in Leoben ein Vorfrieden vereinbart, dem sich am 18. Oktober 1797 der Friedensvertrag von Campo Formio anschloss. Österreich trat Belgien und, in einem geheimen Zusatzabkommen, fast das ganze linke Rheinufer an Frankreich ab. Außerdem verlor es die Lombardei, erhielt aber zum Ausgleich Venedig (ohne die Ionischen Inseln). Während der zähen Verhandlungen mit dem österreichischen Minister Ludwig Graf Cobenzl bediente sich Napoleon eines Mittels, das er auch später immer wieder gebrauchen sollte: Er steigerte sich in einen Wutanfall hinein, um sein Gegenüber einzuschüchtern und den eigenen Wünschen gefügig zu machen. Sein unzweifelhaft vorhandenes schauspielerisches Talent half ihm, nach solchen Ausbrüchen unvermittelt in die Rolle des liebenswürdigen Gastgebers zu wechseln. Einen «Meister der Verstellung» hat ihn Martin Göhring zu Recht genannt.[63]

In den Monaten zwischen Waffenstillstand und Friedensschluss hielt sich Napoleon zumeist in Schloss Montebello bei Mailand auf. Der Parvenü hatte offensichtlich Geschmack an einer prunkvollen Hofhaltung gefunden. Umgeben von den Mitgliedern seines Clans residierte er hier wie ein souveräner Fürst. Nicht nur in den Verhandlungen mit Österreich, sondern auch bei der Neuordnung Italiens verfuhr er nach eigenem Gutdünken. Die Gründung der Cisalpinischen Republik (mit der Hauptstadt Mailand) und der Ligurischen Republik (mit der Hauptstadt Genua) – von Frankreich abhängige Vasallenstaaten – war ganz sein Werk.

Seine geheimsten Pläne enthüllte er damals dem französischen Diplomaten André François Miot de Mélito: Glauben Sie, ich hätte in Italien nur deshalb gesiegt, um den Advokaten im Direktorium, den Barras und Carnot, zu besonderer Größe zu verhelfen? Oder glauben Sie, es geschah, um eine Republik fester zu begründen? Welcher Gedanke! Eine Republik von 30 Millionen Menschen, mit unseren Sitten, unseren Lastern! Wie wäre das möglich? Das ist eine Chimäre, in die die Franzosen selbst verrannt sind, die aber vorübergehen wird wie vieles andere. Was sie brauchen, das ist Ruhm, Befriedigung ihrer Eitelkeit; aber Freiheit? Davon verstehen sie nichts. […] Ich möchte Italien nur verlassen, um in Frankreich eine ähnliche Rolle zu spielen wie hier; dazu ist aber der Augenblick noch nicht gekommen, die Frucht ist noch nicht reif.[64]

Der Italienfeldzug war für den weiteren Weg Napoleons von entscheidender Bedeutung. Er sammelte hier die politischen und administrativen Erfahrungen, die ihm später als Staatsmann zustatten kamen. Vor allem aber war Italien das Erprobungsfeld für seine Fähigkeiten als Feldherr. Was er in diesen Monaten geleistet hat, gehört – so August Fournier – «zu dem Bewunderungswürdigsten der Kriegsgeschichte»[65].

Freilich war der überragende Erfolg dieses Feldzugs nicht allein seinem militärischen Genius zuzuschreiben. Er entsprach einem grundlegenden Wandel der Kriegführung, der mit der Französischen Revolution eingesetzt hatte. Den Söldnerheeren des Ancien Régime, die in geschlossenen Formationen in den Kampf geführt wurden, standen nun mobile, hochmotivierte Armeen von Wehrpflichtigen gegenüber, die überzeugt waren, die Errungenschaften der Revolution zu verteidigen.

Die Revolutionierung der Kriegführung war nicht das Werk Napoleons, aber er hat sie am konsequentesten zu nutzen verstanden. Was seine Armeen so überlegen machte, waren nicht technologische Neuerungen – auf diesem Gebiet zeigte Napoleon ein bemerkenswertes Desinteresse –, sondern war eine Kombination aus Beweglichkeit und Schnelligkeit. Dadurch gelang es ihm, große Distanzen in wenigen Tagen zu überwinden, die Gegner durch überraschende Standortwechsel zu verwirren und blitzschnell dort zu attackieren, wo sie sich am verwundbarsten zeigten. In der Kunst, die Kräfte jeweils im richtigen Augenblick auf den entscheidenden Punkt zu konzentrieren, brachte es Napoleon zu hoher Fertigkeit. Die Grundsätze im Krieg sind dieselben wie bei der Belagerung von Festungen: Man muß sein Feuer auf einen Punkt vereinigen. Ist die Bresche geschossen, so ist das Gleichgewicht aufgehoben, so hat er selbst einmal sein Erfolgsrezept beschrieben.[66] Und Napoleon begnügte sich nicht mit dem Sieg auf dem Schlachtfeld, sondern er setzte alles daran, die geschlagenen Kräfte des Gegners durch die Kavallerie verfolgen zu lassen, um den Sieg komplett zu machen.

Eine wichtige Rolle spielte überdies die enge Bindung zwischen Feldherr und Truppe. Napoleon verstand es, seine Soldaten anzusprechen und zu begeistern. Er bot ihnen nicht nur manche materiellen Anreize, sondern auch die Möglichkeit, sich durch besondere Tüchtigkeit auszuzeichnen und innerhalb der Armee aufzusteigen. Dass er im Gefecht selbst keine Gefahren scheute, trug ihm die Achtung seiner Männer ein. Für «le petit caporal», den «kleinen Korporal», wie sie ihn bald liebevoll nannten, waren sie bereit, auch die größten Entbehrungen in Kauf zu nehmen und ihr Leben in die Schanze zu schlagen.

Bereits während des Italienfeldzugs erwies sich Bonaparte auch als ein Meister der Propaganda, dem die Bedeutung der psychologischen Kriegführung in hohem Maße bewusst war. Er gründete zwei Zeitungen: «Le Courrier de l’armée d’Italie ou Le Patriote français à Milan» und «La France vue par l’armée d’Italie» – Blätter, die nicht nur die Soldaten über die neuesten Ereignisse auf dem Laufenden halten, sondern auch die öffentliche Meinung in Frankreich beeinflussen, das heißt vor allem die Popularität des siegreichen Feldherrn steigern sollten. «Er fliegt wie der Blitz und schlägt zu wie der Donner. Er ist überall und sieht alles», hieß es zum Beispiel in einer Ausgabe des «Courrier» vom Oktober 1796.[67]

Und noch ein weiteres Leitthema seiner späteren Herrschaft wurde damals bereits angeschlagen: die Dialektik von Befreiung und Eroberung. Zu Beginn seines Feldzugs hatte Napoleon den Völkern Italiens versprochen: Die französische Armee ist gekommen, um Eure Ketten zu brechen! Das französische Volk ist der Freund aller Völker![68] Im Verlauf der Operationen wurde die Befreiungsrhetorik durch die Wirklichkeit der französischen Besatzung selbst dementiert. Zwar wurde auch in den eroberten Gebieten das Ancien Régime beseitigt, doch die hohen Kontributionen und der Raub von Kunstschätzen sorgten für viel Missstimmung. Napoleons Prinzip, dass der Krieg den Krieg ernähren, also seine Armee das für ihren Unterhalt Benötigte aus dem Land selbst besorgen müsse, trug ebenfalls nicht dazu bei, die französische Besatzung populärer zu machen.

Zähneknirschend hatte das Direktorium die Eigenmächtigkeiten Napoleons hingenommen. Barras und seine Anhänger konnten ihn, auch im innenpolitischen Machtkampf, nicht entbehren. Im Auftrag Napoleons leistete General Augereau am 18. Fructidor (4. September) 1797 in Paris Unterstützung, als es darum ging, die wiedererstarkte royalistische Opposition auszuschalten und Barras’ Gegenspieler im Direktorium festzusetzen. Ende Oktober 1797, nach Unterzeichnung des Vertrags von Campo Formio, wurde Napoleon zum Oberkommandierenden General der England-Armee ernannt, die an der Kanalküste stationiert war. Offenbar sah das neuformierte Direktorium darin die beste Lösung, um einerseits von der Popularität Napoleons zu profitieren und ihn andererseits auf Distanz zu halten.

Zunächst allerdings bereitete man dem Rückkehrer im Dezember einen triumphalen Empfang. Das Institut de France wählte ihn zu seinem Mitglied – für einen Militär eine ungewöhnliche Auszeichnung. Napoleon gab sich bescheiden, trat mit größter Zurückhaltung in der Öffentlichkeit auf. Er wusste, dass es für einen Griff zur Macht noch zu früh war. Andererseits war ihm klar, dass seine Kriegslorbeeren rasch verwelken würden, wenn er über längere Zeit untätig blieb. Als Emporkömmling, dessen Aufstieg von vielen Neidern begleitet wurde, musste er darauf bedacht sein, seinen Ruhm warm zu halten, wie er sagte.[69] Und war eine Invasion Englands, des einzig verbliebenen Kriegsgegners, nicht das geeignete Mittel?

Im Februar 1798 reiste Napoleon an die Kanalküste, um die Chancen einer Landungsoperation zu erkunden. Rasch überzeugte er sich, dass das Risiko angesichts der englischen Überlegenheit zur See extrem hoch war, und er, würde er sich darauf einlassen, Gefahr lief, seinen Ruf als militärische Ausnahmeerscheinung zu verspielen. Stattdessen unterbreitete er dem Direktorium nun einen kühnen Alternativplan: eine Expedition nach Ägypten.

Die Idee war keineswegs so abenteuerlich, wie es zunächst scheinen mochte. Sie lag gewissermaßen in der Luft. Nicht wenige französische Politiker und Publizisten hatten im Laufe des 18. Jahrhunderts davon geträumt, sich des Landes am Nil zu bemächtigen.[70] Eine alte Orient-Sehnsucht verband sich mit dem Wunsch, Ersatz für die verlorengegangenen amerikanischen Kolonien zu schaffen. Dass man an diesem Punkt Englands Weltmachtposition am besten treffen könne, weil hier der Schlüssel für den Landweg nach Indien lag – diese Überzeugung teilte Napoleon mit vielen Zeitgenossen. Und er war fasziniert vom Orient: Der Orient ist das Geburtsland jedes großen Ruhmes. […] Ein Sterblicher kann dort zum Gott werden, hatte er bereits 1795 geschrieben.[71]

Am 19. Mai 1798 lichtete die französische Flotte vor Toulon die Anker. An Bord befanden sich neben den 38000 Soldaten des Expeditionskorps auch 200 Wissenschaftler und Künstler, darunter der Mathematiker Monge, mit dem Napoleon während der Überfahrt lange Gespräche führte. Das Unternehmen war ein Wagnis, denn Admiral Nelson hatte davon Wind bekommen; es hätte nicht viel gefehlt, und die englische Flotte hätte der französischen Expedition ein vorzeitiges Ende bereitet. «Des Teufels Kinder haben des Teufels Glück», schrieb Nelson, nachdem ihm Napoleons Armada entschlüpft war.[72]

Nachdem sie die Insel Malta in ihren Besitz gebracht hatten, landeten die Franzosen am 1. Juli 1798 vor Alexandria. Von Anfang an taten sich unerwartete Schwierigkeiten auf. Zwar konnte die Festung der Hafenstadt rasch eingenommen werden, doch der Marsch durch die Wüste in Richtung Kairo war für das französische Heer außerordentlich beschwerlich. Napoleon hatte die widrigen klimatischen Bedingungen nicht bedacht – ein Fehler, der ihm auch noch bei späteren Feldzügen unterlaufen sollte. Der Traum vom Paradies am Nil verwandelte sich angesichts von Hunger, Hitze und Durst bald in einen Albtraum. Am 21. Juli besiegten die Franzosen die Reiterheere der Marmelucken, der Beherrscher Ägyptens, am Fuße der Pyramiden. Hier will Napoleon jenen berühmten Satz gesagt haben: Soldaten! Bedenkt, daß von der Höhe dieser Pyramiden vier Jahrtausende auf euch herabsehen![73]

Am 23. Juli zog Bonaparte in Kairo ein. Wenige Tage später, am 1. August, vernichtete Admiral Nelson die französische Flotte in der Bucht von Abukir. Damit war das Ägypten-Unternehmen im Grunde gescheitert, denn nun war das französische Expeditionskorps vom Mutterland abgeschnitten; England aber war unumschränkter Beherrscher des Mittelmeers und seine Macht in Indien nicht geschwächt, sondern gestärkt.

Napoleon tat alles, um die Sympathien der einheimischen Bevölkerung zu gewinnen. Er gab sich als Bewunderer des Islam, reorganisierte Verwaltung und Gesetzgebung, förderte Wirtschaft und Verkehr und gründete das Institut d’Égypte, dessen Arbeiten den Grundstock legten für ein neues wissenschaftliches Fach, die Ägyptologie. Dennoch: In den Augen der Fellachen, Kaufleute und muselmanischen Notabeln waren die Franzosen in erster Linie fremde Eroberer, gegen die man sich zur Wehr setzen musste. Im Oktober 1798 brach in Kairo ein Aufstand aus, den Napoleon blutig niederschlagen ließ. Jede Nacht, erklärte er, würden 30 Gefangene geköpft, um die Bevölkerung von einer Wiederholung abzuschrecken.[74]

Im September hatte das Osmanische Reich, das die Oberhoheit über Ägypten ausübte, Frankreich den Krieg erklärt. Auf die Nachricht, dass eine türkische Armee über Syrien in Anmarsch sei, entschloss sich Napoleon Anfang Februar 1799, ihr mit 15000 Mann entgegenzuziehen. Doch dieser Zug nach Syrien endete in einem Desaster. Zunächst nahmen die Franzosen Gaza, danach Jaffa ein (wobei über 2000 Gefangene niedergemetzelt wurden); aber am hartnäckigen Widerstand der Festung von Akkon scheiterte der Feldzug. Die durch Krankheiten dezimierten französischen Truppen mussten den Rückzug durch die Wüste antreten; nicht einmal 10000 Mann kehrten nach Kairo zurück. Bei Abukir errang Napoleon am 25. Juli 1799 noch einmal einen glänzenden Sieg über eine türkische Armee, doch zu diesem Zeitpunkt hatte er sich bereits dazu durchgerungen, die Expedition abzubrechen und nach Frankreich zurückzukehren.

Denn auch hier hatten die Dinge inzwischen eine ungünstige Wendung genommen. Der Krieg auf dem Kontinent war wiederaufgeflammt, die Republik sah sich seit März 1799 einer Koalition aus England, Österreich und Russland gegenüber, die den französischen Armeen eine Niederlage nach der anderen bereitete. Zugleich hatte sich die innere Lage Frankreichs weiter verschlechtert; das Land bewegte sich am Rande des Staatsbankrotts, das Direktorium hatte erkennbar abgewirtschaftet.

In dieser Situation hielt es Napoleon nicht länger in Ägypten. Am 22. August 1799 übergab er das Kommando an General Jean Baptiste Kléber; tags darauf segelte er mit kleinem Gefolge von Alexandria ab. Am 9. Oktober betrat er bei Fréjus wieder französischen Boden. Wo immer der General auf seinem Wege nach Paris Station machte, bereitete man ihm Ovationen. «Eine ungeheure Menschenmenge erwartete ihn», wurde aus Avignon berichtet. «Als sie den Helden sah, überschlug sich die Begeisterung, die Luft hallte wider von Beifallsrufen und vom Schrei ‹Vive Bonaparte›.»[75] Offenbar hatte der Fehlschlag in Ägypten seinem Nimbus keinen Abbruch getan. Viele Franzosen verbanden mit seiner Rückkehr die Hoffnung, er werde endlich für Ordnung sorgen und dem erschöpften Land den ersehnten Frieden bringen. Die Napoleon-Legende machte daraus den Mythos vom Retter, den das Schicksal dazu ausersehen habe, Frankreich zu neuer nationaler Größe zu führen.[76]

Vermutlich dachte Napoleon, als er am 16. Oktober 1799 in der Villa Joséphines in der Rue de la Victoire abstieg, nicht an einen unmittelbar bevorstehenden Umsturz. Dass die Stimmung äußerst kritisch war und das Direktorium kaum noch politischen Rückhalt besaß, blieb ihm freilich nicht verborgen. Vorsichtig sondierte er das Terrain, jeden Anschein vermeidend, als wolle er selbst zur Macht greifen. In keinem Abschnitte meines Lebens habe ich größere Schmiegsamkeit nötig gehabt, erzählte er einige Jahre später einer Vertrauten.[77]

Emmanuel Joseph Sièyes

(1748, Fréjus – 1836, Paris). Der Sohn eines Urkundenprüfers und Absolvent des Priesterseminars machte sich mit seiner Schrift «Was ist der Dritte Stand?» von Anfang 1789 einen Namen. Er wurde als Vertreter des Dritten Stands in die Generalstände gewählt, redigierte den berühmten Ballhausschwur und beteiligte sich nach dem Bastillesturm an der Ausarbeitung einer Verfassung. Zwar stimmte er für die Hinrichtung Ludwigs XVI., doch hielt er sich während der Jakobinerherrschaft zurück. Unter dem Direktorium war er unter anderem als Sondergesandter in Berlin tätig. Gemeinsam mit Napoleon organisierte er den Staatsstreich vom 18. Brumaire 1799