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Marc Hujer

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Beschreibung

Politiker und ihre Hobbys – ein Reporter im Selbstversuch

SPIEGEL-Autor Marc Hujer hat hinter das öffentliche Bild deutscher Spitzenpolitiker geschaut – und Menschen entdeckt, die fernab der Öffentlichkeit mitunter überraschende Hobbys pflegen. Beim Pralinenherstellen mit Anton Hofreiter, auf dem Tanzparkett mit Katrin Göring-Eckardt oder beim Crossfit-Training mit Lars Klingbeil lernt er neue Seiten des vermeintlich bekannten Personals der deutschen Politik kennen – und erlebt es weniger kontrolliert, weniger inszeniert, unmittelbar und ungewohnt. Hujers ebenso unterhaltsame wie erhellende Porträts zeigen, dass das Streben nach Macht und die Bekämpfung des politischen Gegners nicht alles für Politiker sind und ihre privaten Leidenschaften viel darüber verraten, wie man in der Politik erfolgreich sein kann. Mit zahlreichen exklusiven Fotos.

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Zum Buch

SPIEGEL-Autor Marc Hujer hat hinter das öffentliche Bild deutscher Spitzenpolitiker geschaut – und Menschen entdeckt, die mitunter überraschende Hobbys pflegen. Beim Pralinenherstellen mit Anton Hofreiter, auf dem Tanzparkett mit Katrin Göring-Eckardt oder beim Crossfit-Training mit Lars Klingbeil lernt er neue Seiten des vermeintlich bekannten Personals der deutschen Politik kennen und erlebt es weniger kontrolliert, weniger inszeniert, unmittelbar und ungewohnt. Hujers ebenso unterhaltsame wie erhellende Porträts zeigen, dass das Streben nach Macht und die Bekämpfung des politischen Gegners nicht alles für Politiker sind und ihre privaten Leidenschaften viel darüber verraten, wie man in der Politik erfolgreich sein kann.

Zum Autor

Marc Hujer, geboren 1968, volontierte bei der Süddeutschen Zeitung, für die er von 2000 bis 2005 aus den USA berichtete. Seit 2005 ist er für den SPIEGEL tätig, davon viele Jahre als Washington-Korrespondent des Nachrichtenmagazins. Seit dem Sommer 2014 arbeitet er im Hauptstadtbüro des SPIEGEL in Berlin und porträtiert dort vor allem deutsche Spitzenpolitiker. Bei DVA hat er 2009 eine politische Biografie Arnold Schwarzeneggers veröffentlicht.

Marc Hujer

Auch nur ein Mensch

Politiker und ihre Leidenschaften – und was sie uns über sie verraten

Deutsche Verlags-Anstalt

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Copyright © 2020 Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München, und SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH, Hamburg, Ericusspitze 1, 20457 Hamburg

Umschlag: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagmotive: © Sonja Och/laif (Söder, Hofreiter, Schröder), © Dennis Williamson (Lindner, Wagenknecht), © Gene Glover (Göring-Eckardt), © Hannes Jung (Klingbeil, Kühnert)

Gestaltung und Satz: DVA / Andrea Mogwitz

Gesetzt aus der Meta Serif

Repro: Mohn Media Gütersloh

ISBN978-3-641-25272-4V001

www.dva.de

Für meinen Vater

Inhalt

Vorwort

Winning Ugly

Tennis mit Markus Söder

Linksverkehr

Fahrradfahren mit Sahra Wagenknecht

Kuschelrock

Crossfit mit Lars Klingbeil

Männertraum

Porschefahren mit Christian Lindner

Schönes Spiel

Golf mit Gerhard Schröder

Triple

Im Fußballstadion mit Kevin Kühnert

Jägerlatein

Auf der Pirsch mit Philipp Amthor

Damenwahl

Tanzen mit Katrin Göring-Eckardt

Heimvorteil

Kaffeekränzchen mit Christian Wulff

Schokoladenseite

Pralinen selber machen mit Anton Hofreiter

Dolce Vita

Vespafahren mit Julia Klöckner

Dank

Fotografen

Literatur

Vorwort

»Leidenschaft« ist ein Begriff, den Politiker gern bemühen, weil sie sich dem Verdacht entziehen wollen, sie seien nur an Ämtern, Ruhm und Macht interessiert. FDP-Parteichef Christian Lindner sagt: »Politik ist für mich kein Beruf, sondern eine persönliche Leidenschaft.« Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht meint: »Ohne Leidenschaft kann man keine Politik machen.« Der CDU-­Politiker Philipp Amthor erklärt: »Meine Priorität ist der leidenschaftliche politische Einsatz für unser Land.« Und von Altkanzler Gerhard Schröder ist der Satz überliefert: »Leidenschaft ist wichtiger als Augenmaß.«

Politiker, die sich einer Sache aus Leidenschaft verschreiben, wirken nahbarer, menschlicher, aber auch glaubwürdiger. Deswegen reden sie zuweilen auch gern über Dinge, die sie privat mit Leidenschaft betreiben.

Elf deutsche Spitzenpolitiker und Spitzenpolitikerinnen waren bereit, mir mehr über ihre Leidenschaften neben der Politik zu erzählen und sie ein paar Stunden lang mit mir zu teilen. Ihre Hobbys stammen teils aus Kindheitstagen, wie Christian Lindners Faszination für Autos, die Tanzleidenschaft der Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt oder die Fußballliebe des langjährigen Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert. Aber es gibt auch spät entdeckte Liebhabereien wie Gerhard Schröders Begeisterung für den Golfsport oder Sahra Wagenknechts ambitionierte Ausflüge mit dem Fahrrad ebenso wie den Entschluss von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, sich mit Crossfit in Form zu halten. Ein Hobby muss nicht weniger Passion sein, nur weil es noch nicht so lange ausgeübt wird.

Und natürlich haben die meisten nicht nur ein einziges Hobby.

Markus Söder spielt nicht nur Tennis, er schwimmt auch. Anton Hofreiter macht nicht nur gern Pralinen selbst, er malt auch Bilder. Und Philipp Amthor ist nicht nur Jäger, sondern auch Autoliebhaber. Schon allein die Auswahl, bei welcher ihrer Freizeitbeschäftigungen ich die Politikerinnen und Politiker begleiten durfte, erzählt eine eigene Geschichte. Dass sich die CDU-Politikerin Julia Klöckner etwa auf die Frage nach ihrer Leidenschaft »Vespafahren« aussuchte, und zwar mit der Begründung, so am leichtesten einen Parkplatz in ihrem Heimatort Bad Kreuznach zu finden, sagt vielleicht mehr über sie, als wenn sie vorgeschlagen hätte, zusammen eine Runde Tischtennis zu spielen, einen Sport, den sie seit ihrer Jugend betreibt.

Jede meiner Begegnungen in diesem Buch ist auch der Versuch, Politiker in einem anderen Umfeld zu zeigen, also fernab der Parteitage, Plenarsäle und Fernsehstudios, in denen sie feste, seit Jahren einstudierte Rollen einnehmen. Sie alle sind Profis; sie sind rhetorisch geschult und erfahren im Umgang mit Journalisten, sie haben Fachreferenten, Pressesprecher, Redenschreiber und Medienberater zur Seite. Sie wissen sich so zu präsentieren, wie es für sie am günstigsten erscheint.

Wie aber geben sie sich in einer anderen Umgebung, unbeobachtet von der Öffentlichkeit?

Natürlich spielt in allen Begegnungen auch die bewusste Inszenierung eine Rolle. Nur weil es um persönlichere Fragen geht, vergessen Politiker nicht, dass sie im Fokus stehen. Und natürlich wollen sie mit den Einblicken, die sie in ihr Privatleben gewähren, auch eine Botschaft vermitteln.

Altbundespräsident Christian Wulff etwa besorgte für unser Treffen in seinem Haus in Großburgwedel Kuchen von der Bäckerei Gaues, die Wulffs ersten kleinen Medienskandal auslöste. Und Markus Söder, der sich immer sehr bewusst darstellt, kam zu unserem ersten Tennismatch in der Halle des 1. FC Nürnberg mit einem T-Shirt der »Championships« in Wimbledon, dem wichtigsten Tennisturnier der Welt.

Trotzdem ist eine Begegnung im eigenen Wohnzimmer oder auf dem Tennisplatz etwas ganz anderes als ein Gespräch in einem Büro. Plötzlich stehen Kinder in der Tür oder man trifft den Ball nicht wie geplant, es passiert jedenfalls immer wieder etwas Unvorhergesehenes, das eine spontane Reaktion verlangt: Anton Hofreiter etwa steckte mit mir quälend lange im Stau, nachdem ich mit ihm in Tirol wandern gegangen war, Julia Klöckner kippte vor mir mit ihrer Vespa um, als wir zusammen in die Weinberge bei Bad Kreuznach fuhren, und Philipp Amthor hatte es auf unserem gemeinsamen Jagdausflug plötzlich sehr eilig, weil er noch auf einem Grillabend eingeladen war.

Die Bereitschaft, sich jenseits des politischen Alltags von einem Journalisten begleiten zu lassen, bedarf deshalb zunächst einmal der Bereitschaft, Kontrolle abzugeben.

Im Privatleben sind auch Politiker keine Profis mehr. Markus Söder geht auf dem Tennisplatz schnell die Luft aus, Anton Hofreiter kommt auf einer Bergwanderung an keinem Gasthaus vorbei. Politiker offenbaren so ihre kleinen Schwächen. Einigen fällt das leichter als anderen.

Ich habe für dieses Buch auch mehrere Politikerinnen und Politiker angesprochen, die sich nicht darauf einlassen wollten, mit mir zusammen ihr Hobby zu pflegen. Eine Spitzenpolitikerin etwa, die passionierte Reiterin ist, fürchtete danach lesen zu müssen, sie sitze »hoch zu Ross«. Es gibt im Politikbetrieb eben nichts, das für unmöglich gehalten wird.

Alle, die in diesem Buch beschrieben sind, haben sich etwas getraut, indem sie sich anders gezeigt haben, als man sie gemeinhin kennt. Die Art und Weise, wie sie ihre Freizeit verbringen, verrät auch etwas darüber, wer sie sind – unmittelbar und ungewohnt.

Man muss die hier Porträtierten nicht mögen und ihre Hobbys nicht teilen. Aber sie alle verdienen einen vorurteilsfreien Blick. Sie haben sich einen der schwersten Berufe ausgesucht, der weder Wochenenden noch frühe Feierabende kennt, der, selbst wenn sie es nach ganz oben geschafft haben, noch immer oft mühselig und kleinteilig ist. Sie müssen viel Kritik einstecken, Shitstorms, Hassmails aushalten, manche von ihnen müssen sogar damit klarkommen, dass sie bisweilen Morddrohungen erhalten.

Dabei ist jeder von ihnen auch nur ein Mensch.

Winning Ugly

Tennis mit Markus Söder

In seiner politischen Karriere war dem bayerischen Ministerpräsidenten fast jedes Mittel recht, um nach oben zu kommen. Auf dem Tennisplatz versucht er, lässig zu sein.

Markus Söder war 13 Jahre alt, als er zum ersten Mal Tennis spielte. Sein Vater Max Söder, Maurermeister aus der Nürnberger Westvorstadt, hielt nicht viel von Sport, schon gar nicht von Tennis. Wenn er schon Sport treiben wolle, riet ihm der Vater, solle er lieber einen Kasten Bier in den Keller tragen. Sein erster Schläger war einer von Intersport für 20 D-Mark. Zur Konfirmation bekam Markus Söder erstmals einen besseren geschenkt, einen Völkl-Schläger aus Carbon. Seine Mutter zahlte ihm heimlich Trainerstunden beim ATV Nürnberg, und so lernte er alles, was man als Tennisspieler können muss: Vorhand, Rückhand, Aufschlag, Volley und Smash, auch den Unterschied zwischen Topspin und Slice. Nach der Schule ging er auf den Tennisplatz, spielte gegen andere Jungs und schaute Mädchen in ihren Tennisröckchen hinterher. Als er gut genug war, spielte er mit der Vereinsmannschaft in der Bezirksliga und wurde von einem Kroaten trainiert, »dem Jugo«, der ihn mit Brad Gilbert verglich, einem amerikanischen Tennisprofi, der in den Achtzigerjahren für seine hässliche Art, Tennis zu spielen, gefürchtet war. Gilbert spielte bodenständiges Tennis, ohne spektakuläre Schläge, quälte aber seine Gegner mit Psychotricks und unangenehmen Schlägen und gewann.

Söder fand das interessant: Ein Mann, der die Hässlichkeit seines Spiels zu einer speziellen Form von Cleverness erhob.

Gilbert war zwar nie die Nummer eins, aber die Besten seiner Zeit hat er alle mal geschlagen: John McEnroe, Jimmy Connors, Boris Becker, Andre Agassi. Nach dem Ende seiner Karriere schrieb er darüber ein Buch, das er Winning Ugly nannte, hässlich gewinnen, und als Ratgeber für »mentale Kriegsführung im Tennis« verkaufte. Er beschreibt darin, wie er die Großen zur Verzweiflung trieb, zum Fluchen, zum Schlägerwerfen, ja zu dem Entschluss, die Karriere zu beenden, aus Scham, gegen ihn verloren zu haben. »Wenn ich gegen Spieler wie ihn verliere«, zitiert Gilbert John McEnroe, »was soll ich noch auf dem Platz?«

Das kam an. Winning Ugly wurde ein Bestseller, weltweit.

Auch Markus Söder hat das Buch gelesen.

Vor dem Spiel

»Wenn das Match beginnt, hat es schon längst begonnen.«

Brad Gilbert, Winning Ugly

An einem Februarmorgen im Jahr 2020 sitze ich in der Tennishalle des 1. FC Nürnberg und warte auf Markus Söder. Wir sind zum Tennisspielen verabredet, zum zweiten Mal.

Das erste Mal ist ziemlich genau zwei Jahre her, gleiche Zeit, gleicher Ort, ein Morgen Anfang März, ebenfalls die Tennishalle des 1. FC Nürnberg, und doch liegen zwischen diesen beiden Tagen Welten. Damals war Markus Söder noch nicht Ministerpräsident, sondern lediglich designiert, er war noch nicht CSU-Vorsitzender, sondern lediglich Vorstandsmitglied, er stand überall kurz davor: die Spitze zu stürmen, die neue Nummer eins zu werden. Aber den letzten Machtkampf mit Horst Seehofer, der bis zuletzt alles daransetzte, Söders Aufstieg zu verhindern, hatte er noch nicht gewonnen.

Als ich damals zur Tennishalle lief, rief mich seine Pressesprecherin an und wollte wissen, wie lange ich noch brauchen würde. Es überraschte mich, weil ich absolut pünktlich war, der Anruf kam zehn Minuten vor dem vereinbarten Termin, und ich war vielleicht noch zwei Minuten entfernt. Aber ich fühlte mich ertappt. Söder war offenbar schon da und wartete auf mich. Ich bekam ein schlechtes Gewissen und war, noch bevor das Match auf dem Tennisplatz begonnen hatte, in der Defensive.

Über Markus Söder heißt es, dass er immer schon da ist, wo seine Gegner erst hinkommen wollen. Als Landesvorsitzender der Jungen Union stand er im Ruf, auf jedem Schrebergartenfest der Erste zu sein und im Zweifel auch noch das Fass Bier selbst mitzubringen. Später, als bayerischer Minister der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat, verteilte er fast täglich neue Förderbescheide, lud Kommunalpolitiker zu Heimatempfängen ein oder bedachte sie mit Ehrungen. Wenn es darum ging, Mehrheiten in der Partei zu organisieren, war er nicht einzuholen, die entscheidenden Leute hatte er schon angerufen, bevor andere es tun konnten. Der »Immer-da-Söder« hieß er, der es stets schafft, allen zuvorzukommen.

Nur diesmal nicht; das hatte ich mir fest vorgenommen.

Wir sind wieder um 11 Uhr verabredet, wie vor zwei Jahren, aber diesmal bin ich weit vor der vereinbarten Zeit da, um mich nicht noch einmal überholen zu lassen.

Aber diesmal versucht er nicht einmal, pünktlich zu sein.

Am Tag zuvor hatte sich wieder einer seiner Pressesprecher gemeldet, um zu erfahren, was ich von Söder wollte, außer ein bisschen Tennis mit ihm zu spielen und ihn dabei fotografieren zu lassen, was er bei unserer ersten Begegnung auf dem Platz nicht zulassen wollte. Ich sagte seinem Sprecher, ich würde ihn darüber hinaus gern zu einer Revanche herausfordern.

Damals haben Söder und ich nämlich ein Match gespielt, das er gewann, wenn man es tatsächlich ein Match nennen will: Denn mehr als zwei Aufschlagspiele wollte Söder nicht spielen, bis es entweder 1 : 1 oder 2 : 0 für den einen oder den anderen stand. Das war seine Idee.

Ein ganzes Match war ihm zu lang, ein ganzer Satz ebenfalls. Nach zwei Aufschlagspielen führte Söder 2 : 0, er spielte überraschend fehlerfrei dafür, dass er, wie er sagte, zuletzt kaum auf dem Platz gestanden habe. Keinen einzigen Doppelfehler machte er, auch keinen leichten Fehler, weder mit der Vorhand noch mit der Rückhand. Ans Netz ging er nie, er wartete auf meine Fehler.

Ich verlangte schon damals eine Revanche. »Noch einmal zwei Aufschlagspiele«, rief ich Söder über das Netz hinweg zu. »Wenigstens einen Tiebreak!« Aber er schüttelte den Kopf. Ich würde jetzt ja ohnehin gewinnen, wegen meiner besseren Kondition.

»Ich schenke Ihnen das Spiel«, rief er demonstrativ großzügig.

Tennisspieler teilen ihre Gegner gern in zwei Kategorien ein: auf der einen Seite die Spieler, die alles beherrschen, die technisch perfekt und vielseitig sind, die eigentlichen Stars, die man für ihr Spiel respektiert, ja verehrt; auf der anderen Seite die sogenannten Schüttler, die sich vor allem dadurch auszeichnen, dass sie jeden Ball zurückschlagen, egal wie. Bei ihnen kommt es weniger auf die Schönheit der Schläge an, sie strampeln sich ab während des Spiels, und was sie vor allem brauchen, ist Zähigkeit und Kondition.

Es ist deshalb nicht unbedingt freundlich gemeint, wenn ein Tennisspieler dem anderen Tennisspieler eine »bessere Kondition« bescheinigt. Im Gegenteil.

Aber jetzt, zwei Jahre später, beginnt ja alles von vorn, von Null, auch konditionell.

Ich hoffe bis zuletzt auf eine Revanche.

Es ist Viertel vor zehn, als Markus Söder endlich die Tennis­halle des 1. FC Nürnberg betritt, gefolgt von einer Boygroup älterer Männer, unter denen auch der langjährige stellvertretende Vorsitzende der Tennisabteilung des 1. FC Nürnberg ist, der Söder nicht nur den Herrn Ministerpräsidenten nennt, sondern »unseren Landesvater«. Söder hat einen breiten, leicht schwankenden Gang, ein Baumstamm auf Beinen. der auch seit seiner Wahl zum Ministerpräsidenten nicht eleganter geworden ist.

Er trägt einen Trainingsanzug des 1. FC Nürnberg, schwarz, streifenfrei, nur mit dem rot-weißen Vereinswappen auf der linken Brust, dazu schwarze Allzweckschuhe, die auch gut zu einem schwarzen Anzug passen würden. Es ist, als versuche er selbst auf dem Tennisplatz noch so viel Ministerpräsident wie möglich zu bleiben, gerade er, der vor seiner Zeit als bayerischer Regierungschef für seinen Hang zu allerlei Verkleidungen bekannt war.

Bevor er Ministerpräsident wurde, war die Prunksitzung des Fastnacht-Verbandes Franken in Veitshöchheim bei Würzburg sein wichtigster Termin, das größte bayerische Fernsehereignis mit über vier Millionen Zuschauern; mehr Menschen auf einen Schlag konnte er für den Rest des Jahres kaum erreichen. Der Aufwand, den er dafür betrieb, war außergewöhnlich groß. Ein Maskenbildner, den er eigens vom Nürnberger Staatstheater engagierte, verwandelte ihn in jeweils mehrstündigen Sitzungen in die Person seiner Wahl. »Man muss sich schon Mühe geben«, sagte Söder, als ich ihn auf seine aufwendigen Verkleidungen ansprach, sonst sei das wie im Film »Das Leben des Brian«, nur Klamauk.

Mal ging er als Shrek, mal als Homer Simpson, mal als Marilyn Monroe, als Eisbär »Flocke« aus dem Nürnberger Zoo oder als Punk im schwarzen Muskelshirt mit der Aufschrift: »Hast Du mal nen Euro«, ein Kostüm, mit dem er es 2012 sogar auf die Titelseite des Wall Street Journal schaffte. Im Fasching 2018 schließlich, dem letzten, bevor er Ministerpräsident wurde, trat er als Prinzregent Luitpold auf. Seitdem kommt er unverkleidet. Er ist jetzt, auch im Fasching, nur noch er selbst.

Als ich ihn das erste Mal zum Tennis traf, hatte er sich dafür sein »Wimbledonshirt« herausgesucht. So nannte er das grün-violett gestreifte Poloshirt, das er bei einem Besuch des Tennisturniers aller Tennisturniere in Wimbledon gekauft hatte.

Er kam als Tennisstar verkleidet, als Wimbledonspieler.

In dieser Zeit schien er offenbar zu glauben, er müsse, was Weltläufigkeit betrifft, noch etwas beweisen. Sein Rivale Horst Seehofer reiste damals als bayerischer Regierungschef um die Welt und schickte ihm vergiftete Grüße in die fränkische Provinz, aus Peking etwa, wo Seehofer im Kaiserpalast auf einem goldenen Stuhl Platz nahm und den Mitreisenden erklärte, auf so einem Stuhl würde der Markus jetzt sicher auch gerne sitzen.

Aber das hat Söder jetzt hinter sich. Vor Kurzem war er im Kreml und sprach dort eine halbe Stunde mit Wladimir Putin. Er empfing auf der Münchner Sicherheitskonferenz Staats- und Regierungschefs aus aller Welt und ist jetzt alles, was er immer werden wollte: Ministerpräsident, CSU-Parteivorsitzender, sogar als Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2021 ist er im Gespräch. Er muss kein Wimbledonshirt mehr tragen.

»Naaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa«, sagt Söder zur Begrüßung, befreit seinen Schläger von der Hülle, greift einen der Tennisbälle, die ich mitgebracht habe, und beginnt den Ball mit dem Schläger auf den Boden zu prellen. Dann dreht er sich um und lächelt mir ins Gesicht.

Sein Sprecher hat ihm offensichtlich erzählt, dass ich mir eine Revanche gewünscht habe.

»Ich weiß, Sie haben jetzt monatelang trainiert«, sagt Söder. »Aber für ein Match haben wir heute keine Zeit.«

Aufschlag

»Ich möchte, dass Sie wie eine Boa constrictor spielen. Wissen Sie, wie eine Boa constrictor tötet? Sie erdrückt ihre Beute nicht. Sie sorgt dafür, dass ihre Opfer ersticken. Jedes Mal, wenn das Opfer ausatmet, zieht die Boa constrictor die Schlinge um den Körper des Tieres ein wenig enger. Das Opfer kann immer weniger Luft einatmen. Und irgendwann kann es überhaupt nicht mehr atmen. Keine großen Aktionen. Nur ein ständiger Druck.«

Brad Gilbert, Winning Ugly

Markus Söder überlegt, wann er zuletzt Tennis gespielt hat. Ich habe ihn nicht danach gefragt, aber er überlegt trotzdem. »Ich hab das letzte Mal gespielt …«, sagt er und macht eine unnötig lange Kunstpause, die offenbar demonstrieren soll, wie ernsthaft und intensiv er darüber nachdenkt, mit wem und wann er das letzte Mal Tennis gespielt hat oder ob er überhaupt noch einmal gespielt hat, seitdem wir uns das letzte Mal getroffen haben.

»Letztes Jahr irgendwann«, fällt ihm schließlich ein.

Würde man die letzten zwei Jahre in Markus Söders Karriere als Tennismatch beschreiben, müsste man sagen, dass er in glatten zwei Sätzen gewonnen hat, 6 : 0; 6 : 0, ein Durchmarsch, ein nahezu perfektes Match, ohne einen einzigen Spielverlust.

Als Söder und ich noch Halbstarke waren (Söder ist eineinhalb Jahre älter als ich) und wir beide noch Tennis in der Bezirksliga spielten, Söder beim ATV Nürnberg, ich bei der TG 75 Darmstadt, hätten wir zu einem solchen Sieg wahrscheinlich »Brille« gesagt. Oder: »Loch-Loch«, für die zwei demütigenden Nullen, die wir unseren Gegnern zugefügt hätten; so wie man als junger Mensch eben redet, wenn man noch glaubt, der Welt beweisen zu müssen, dass man seine Gegner »zu null« vom Platz fegen kann.

Aber das ist jetzt ziemlich lange her, gut dreißig Jahre.

Er will jetzt lockerer sein.

Er dreht mir den Rücken zu, um an die Grundlinie zu gehen.

»Klein- oder Großfeld?«, rufe ich ihm hinterher.

Gerade wenn man wie Söder lange nicht gespielt hat, ist es üblich, sich kurz im Kleinfeld zwischen Netz und Aufschlaglinie einzuspielen, ein paar Schläge, um in den Rhythmus zu kommen, statt sich aus dem Stand gleich das volle Spielfeld vorzunehmen.

Aber für Söder kommt es offenbar nicht infrage, klein anzufangen, egal wie lange er nicht mehr auf dem Platz stand. Er will gleich im ganzen Feld spielen, mit voller Kraft von der Grundlinie aus.

»Kein Babytennis«, ruft er mir zu.

Es gibt ein Bild von Markus Söder, das gerne verbreitet wird: ein skrupelloser Machtmensch, dem jedes Mittel recht ist, um nach oben zu kommen, der allein auf seinen persönlichen Vorteil bedacht ist und seine Schamlosigkeit als Cleverness versteht. See­hofer sprach gern von Söders »Schmutzeleien« und verband damit auch die unausgesprochene Unterstellung, es sei Söder gewesen, der den Medien Seehofers uneheliches Kind gesteckt habe, um sich im Machtkampf mit ihm einen Vorteil zu verschaffen. Ein Vorwurf, den Söder, der selbst ein außereheliches Kind hat, immer bestritt, aber nie los wurde. Er passte zu gut ins Bild.

Er würde das Bild gerne korrigieren, jetzt, da er niemanden mehr beiseite räumen muss, um nach oben zu kommen, zumindest in Bayern.

Söder steht an der Grundlinie und spielt schöne, gerade Bälle, er holt aus, lässt den Schläger hinter dem Rücken sinken, dann schlägt er zu und schwingt nach vorn aus, eine runde Bewegung mit großer Schleife, so wie er sie lehrbuchgemäß beigebracht bekommen hat. Er ist bedacht darauf, dass alles gut aussieht, locker, schwerelos, schweißfrei. Wenn ein Ball knapp im Aus landet, schlägt er ihn nicht zurück, vielleicht nur, um sich nicht übermäßig anzustrengen, vielleicht aber auch, um das Risiko zu minimieren, nicht optimal zum Ball gestanden zu haben, was einfach nicht gut aussieht auf Fotos.

Söder produziert gern Bilder. Mit Parteifreunden. Mit Landräten. Auf Schützenfesten. Er ließ sich mit Fernglas, Kapitänsmütze und Steuerrad fotografieren, um seine Sympathie für die Binnenschifffahrt zu demonstrieren, er besorgte sich eine Anglerhose, um als Minister für ein Foto am Wöhrder See in Nürnberg ein paar Setzlinge Schilfgras in den Boden einzupflanzen, damit jeder sieht, wie sehr er hinter der sogenannten Renaturierung des Nürnberger Stadtteichs steht.

Bilder sind ihm meist wichtiger als die Geschichten, die dazu geschrieben werden. Bilder bleiben.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Markus Söder auf dem Tennisplatz aufnehmen lässt. Aber auf den Fotos, die es vor unserem Treffen gab, stand er nur da, den Schläger vor der Brust mit gekreuzten Armen, lächelnd, schweißfrei, entspannt. Er vermied Bilder, die ihn mitten im Spiel zeigen. Es gibt viel, was dabei nicht gut aussehen kann: Ein verzerrtes Gesicht. Gerötete Haut. Zu viel Schweiß. Diesmal aber will er eine Ausnahme machen.

»Locker, nicht zu verbissen«, ruft Söder, so will er heute spielen.

Er ist ja jetzt Ministerpräsident. Für die eigene Inszenierung hält Söder ein unerschöpfliches Repertoire an Requisiten bereit.

Im Tennis zum Beispiel einen Schläger von Donnay, die Schlägermarke von Björn Borg.

Ein Tennisschläger ist für einen Tennisspieler stets mehr als ein Schläger, er ist ein Sehnsuchtsobjekt. Söder hat in seinem Leben schon viele verschiedene Schläger unterschiedlicher Marken ausprobiert, Donnay, Völkl und jetzt wieder Donnay. Jeder neue Schläger, sagte er einmal in einem Interview, sei »ein weiterer Höhepunkt« seines Lebens gewesen. Und mit jedem Schläger verband er Personen, Björn Borg, Boris Becker, John McEnroe und, was ein spezielles Modell von Völkl betrifft, Max Wünschig.

»Kennen Sie Max Wünschig?«, fragte mich Söder bei unserem ersten Treffen. Man muss den Namen nicht kennen. Max Wünschig war zwischen 1976 und 1979 Deutscher Meister im Herren-Einzel und Doppelsieger. Es gibt größere Idole im Tennis. Aber Söder redet über Wünschig, als habe man etwas verpasst, wenn man noch nie von ihm gehört hat. »Max Wünschig, der Slicegott. Siebzigerjahre, Blau-Weiß Neuss«, sagte Söder, »sein Slice war wirklich wie ein Strich.«

Der Slice ist Söders Lieblingsschlag, er ist eklig für den Gegner, weil der Ball sich langsam in den Platz gräbt, kaum abspringt und schwer zu retournieren ist. Man muss sich bücken, und wenn man nicht seinerseits mit einem Slice antworten will, muss man den Ball auf kürzester Distanz wieder beschleunigen, also einen Tempowechsel wagen, der nicht ohne Risiko ist. Der Slice ist sozusagen ein perfekter Brad-Gilbert-Schlag, eine Folter, vor allem für einen Topspinspieler wie mich.

Nachdem wir weniger als fünf Minuten lang Bälle hin- und hergespielt haben, sagt Söder schon: »So, jetzt haben wir’s doch bald.«

Sein Pressesprecher wendet sich an die Fotografin: »Haben Sie’s im Kasten?«

Aber die Fotografin bittet Söder, ob er noch kurz im Kleinfeld spielen kann, näher am Netz.

Söder zögert; es könnte ein Bild entstehen, das ihm möglicherweise nicht gefällt. »Da werden die Leute wahrscheinlich sagen, die zwei Kerle können gar kein Tennis spielen, die spielen doch Babytennis«, sagt Söder. Dann aber macht er es doch.

Wir schlagen ein paar Bälle, Söder eher widerwillig.

»Es macht nur leider keinen Spaß«, sagt er.

Wir beginnen, Volleys zu spielen, bei denen der Ball nicht den Boden berührt. Das macht ihm mehr Spaß.

Er meint jetzt: »Wir sollten vielleicht zusammen Doppel spielen.«

Im Doppel kommt es, mehr als beim Einzel, auf Volleys an.

Wir schlagen ein paar schnelle Volleys, dann versuche ich einen Lob, einen hoch und weit über ihn gespielten Ball. Er schmettert. Ich lobbe noch mal. Er schmettert wieder.

Die Fotografin, die Söder endlich in Bewegung sieht, ruft begeistert: »Noch mal!« Aber das ist Söder einmal zu viel. Er möchte die Kontrolle nicht aus der Hand geben.

»Nee«, sagt er, »zweimal reicht. Das ist ein Foto, kein Stress.«

Der Pressesprecher, der noch immer an der Seitenlinie steht, hat das Wort »Stress« gehört und als klares Signal seines Chefs verstanden zu intervenieren. Er wendet sich an die Fotografin, die noch am Netz kniet und auf das nächste Foto wartet, und fragt wieder: »Wie schaut’s aus, alles im Kasten?«

»Machen wir die Runde noch fertig«, sagt Söder. »Dann ham wir’s jetzt.«

Rückschlag

»Wenn Sie einen Zahnarzt besuchen, sind Sie mental vorbereitet. Sie sagen sich: ›Es wird sicher schmerzhaft, aber es ist bald vorbei.‹ Sie nehmen eine gewisse Haltung an. In dem Augenblick, in dem Sie ›Mund auf, es wird ein bisschen wehtun‹ hören, sind Sie mental auf Schmerzen eingestellt. Gegen einen Zurückspieler sollten Sie genau das Gleiche tun. Bereiten Sie sich darauf vor, leiden zu müssen.«

Brad Gilbert, Winning Ugly

Söder packt den Schläger in die Hülle, plötzlich hat er es überhaupt nicht mehr eilig.

Er zählt seine größten Sportidole auf.

Boris Becker. Lothar Matthäus. Michael Groß.

Boris Becker ist klar: Tennisspieler, jüngster Wimbledonsieger, ein logischer Held seiner Jugend.

Lothar Matthäus: Franke wie er, ebenfalls ein deutscher Held, auch wenn er trotz seiner großen Erfolge immer ein bisschen belächelt wird.

Aber Michael Groß, der dreifache Olympiasieger im Schwimmen?

»Schwimmen fand ich bei den Olympischen Spielen faszinierend«, sagt Söder. Es sei damals noch in der »Sportschau« gezeigt worden. Es ist nicht ganz klar, warum das für Groß als Idol sprechen soll, aber vielleicht ging es ja nur um dessen Erfolg und natürlich das Schwimmen.

Söder spielt nämlich nicht nur gern Tennis, er schwimmt auch gern.

Beim Schwimmen hat Markus Söder seine spätere Frau, die Unternehmertochter Karin Baumüller, kennengelernt, an einem Sommertag im Jahr 1992 im Nürnberger Naturgartenbad, wo er mit ihr über das Thema Sonnenbrand ins Gespräch kam.

Selbst als Politiker ist er schwimmen gegangen, gern auch öffentlich.

Es gibt ein Video von Söder im Wöhrder See, den er im Sommer 2016 in einem Ganzkörperanzug durchquert. Er wirkt ein bisschen atemlos, als er dabei sagt: »Hallo, ich schwimm in der Norikusbucht, sensationell, geb zu, ein bisschen kalt, aber echt sauber, das Wasser.« Nicht unbedingt eine Sternstunde seiner Karriere, aber ein immer wieder gern angeklicktes Video, das zumindest beweist, dass er brustschwimmen kann.

Bevor ich auf die Idee kam, mit Söder Tennis zu spielen, wollte ich mit ihm schwimmen gehen. Dass Tennis seine viel größere Leidenschaft war, schien über die Jahre in Vergessenheit geraten zu sein auf seinem langen, hart umkämpften Weg an die Spitze der bayerischen Politik.

Wir konnten uns erst nicht darauf einigen, wann und wo wir zusammen schwimmen gehen sollten. Es ging um Wassertemperaturen, um die richtige Jahreszeit, um die Frage: Hallenbad oder See? Söder gefiel die Idee, im Starnberger See schwimmen zu gehen, genau an der Stelle, an der König Ludwig II., Bayerns verrückter Märchenkönig, im Jahr 1886 ein letztes Mal in den See gestiegen war. Aber ich hielt das für zu viel Klamauk, ich dachte eher an etwas Normales, an einen Besuch seines Hallenbades, in dem er regelmäßig trainiert.

Und so vergingen Wochen und Monate, bis wir uns in Nürnberg am Wöhrder See zum Sonntagsspaziergang trafen, im Winter 2018. Es war viel zu kalt zum Schwimmen, aber in diesem Moment erschien es mir als die beste Annäherung an das, was seine eigentliche Leidenschaft war.

Er war mit seinem Smart gekommen, ohne Bodyguards, wie er betonte, nur in Begleitung seiner Pressesprecherin, die auch einen Smart fuhr, aber in einer anderen Farbe.

Es war Karnevalssonntag um 11 Uhr, kein gewöhnliches Wochenende für ihn, weil das der Sonntag vor seiner großen Rede zum politischen Aschermittwoch in Passau war, seiner ersten, mehr als einstündigen Grundsatzrede als designierter Ministerpräsident, in der er den Bayern »tausend Prozent Einsatz« versprechen sollte und absolute Treue: »Ich bin der Markus, hier bin i dahoam, und da will ich auch bleiben.«

Auf diesem Spaziergang um den Wöhrder See erzählte er mir so ziemlich alles, was man über ihn und Nürnberg wissen muss, über seine Verdienste als Sohn dieser Stadt und über den Wettbewerb, den er sich mit dem SPD-Bürgermeister Ulrich Maly um Heimatverbundenheit lieferte, gerade hier am Wöhrder See, der früher ein großer stinkender Tümpel war und heute die »Wasserwelt im Herzen Nürnbergs« genannt wird. Er zeigte mir sein kleines Stadtparadies mit drei aufgeschütteten Inseln, die das Wasser schneller abfließen lassen, und einem Badestrand, der im Volksmund angeblich »Söderstrand« heißt oder auch, neudeutsch, »Söder Bay«. Wir setzten uns noch in die gläserne Cafeteria des Pflegeheims Sebastianspital mit Blick auf das Wasser, bestellten ein Stück Sahnetorte, auf das wir beide wahrscheinlich gar keinen Appetit hatten, und redeten weiter, bis Söder irgendwann den ATV Nürnberg erwähnte, seinen ehemaligen Tennisclub, zu dem es auch nicht weit vom Wöhrder See war.

»Sie spielen also Tennis?«, fragte ich ihn.

»Nicht mehr so oft«, sagte er.

Aber wer einmal Tennis kann, verlernt Tennis nicht.

Wir vereinbarten, zusammen Tennis zu spielen.

»Beim Tennis«, sagt Söder bei unserem zweiten Treffen in der Halle des 1. FC Nürnberg, »ist die Grundfrage, ob man den richtigen Schwung hat.« Der Rest sei Übungssache.

Vor ihm steht jetzt die Fotografin, die ihn gern weiter fotografiert hätte, aber Söder hat sich dazu entschieden, ihr lieber etwas über Tennis zu erzählen. Eigentlich hatte er den Termin schon für beendet erklärt, aber nun dreht er erst richtig auf. Bei Spielern, die Tennis nicht so richtig beherrschen würden, sagt er, könne man das an der Bewegung analysieren. »Der brutalste Schlag ist der Aufschlag, wer’s nicht so richtig kann, macht’s so.« Er zeigt einen Aufschlag, absichtlich ungelenk, so wie man sich einen Rentner beim Federballspielen vorstellt.

Und dann richtig, so wie er es macht und alle anderen richtigen Tennisspieler.

»Die ganze Bewegung hier aus dem Knie heraus«, sagt Söder und zeigt, wie man den Ball hochwerfen und dann zuschlagen muss, am maximalen Punkt, maximale Streckung. »Und dann gehst du so nach vorn«, sagt er, zieht den beschriebenen Schwung nach und lässt sein Gewicht auf den rechten Fuß fallen. »Da musst du aufpassen, dass du dich extrem aufwärmst, sonst kannst du dich echt verletzen«, sagt Söder.

Er ist bei den unterschiedlichen Aufschlagarten angekommen. »Es gibt die, die einfach draufhauen«, sagt Söder. »Aber dann auch die mit Drall.« Vor allem fürs Doppel seien die wichtig.

»Beim Doppel kannst du nicht Krawumm machen«, sagt Söder, »deshalb musst du beim Doppel schauen, dass du den Ball möglichst weit rausbringst. Ich schau mir immer Borg oder McEnroe an, vor allem McEnroe.«

Er stellt sich an die Aufschlaglinie, um einen John-McEnroe-Aufschlag vorzumachen, die beiden Füße nicht wie üblich schräg oder leicht seitlich zur Grundlinie, sondern parallel dazu.

»Der McEnroe war Wahnsinn, der stellte sich quer an die Linie«, sagt Söder.

Er steht jetzt wie John McEnroe da und pendelt mit dem Schläger hin und her, wie es John McEnroe vor jedem Aufschlag gemacht hat, einmal, zweimal, dreimal, dann wirft er einen imaginären Ball in die Höhe, lässt den Schläger in den Rücken fallen, dreht seinen Oberkörper zum Netz und schlägt zu. »Diese extreme Drehung«, sagt Söder voller Bewunderung.

Dann steht er wieder am Netz, breitbeinig, mit seinem Schläger vor der Brust, und sagt, bei Boris Becker sei das ganz anders gewesen, die Wucht, mit der er Tennis gespielt habe, der Becker-Hecht, die Becker-Faust, der Schweiß, die Tränen. »Bei Becker war alles: Uaaaaaahhhhhh«, sagt Söder, um den Unterschied zu demonstrieren. Er lächelt zufrieden.

War es bei Becker nicht ein bisschen wie bei ihm?

Nichts fiel Söder einfach so zu. Er musste stets ein bisschen früher als andere aufstehen und stets ein bisschen länger als andere bleiben, um erfolgreich zu sein. Er hat nie etwas bekommen, nur weil man ihn nett fand oder weil er bewundert wurde.

»Wie alt sind Sie?«, fragt Söder.

»Ein Jahr jünger als Boris Becker«, antworte ich.

»Unsere Generation«, stellt Söder zufrieden fest.

Er ist Beckers Jahrgang, aber mit Becker verbindet ihn mehr.

»Ich bin an dem Tag, an dem Boris Becker zum ersten Mal Wimbledon gewonnen hat, bei uns Vereinsmeister geworden«, sagt Söder, »im Doppel.« Die ganze Zeit habe er sich kaum auf sein eigenes Spiel konzentrieren können. Ständig habe er gefragt: »Wie steht’s beim Becker, wie steht’s beim Becker?« Und als er dann vom Platz kam, begannen gerade die letzten Spiele des entscheidenden Satzes, und er, der gerade frisch gekürte Vereinsmeister, saß verschwitzt vor dem Fernseher und drückte Becker die Daumen, der dabei war, Nationalheld zu werden. Söder weiß nicht mehr, ob er sein eigenes Match in zwei oder drei Sätzen gewonnen hat, aber das, behauptet er, sei ihm völlig egal gewesen.

Es sei ihm nur um Boris Becker gegangen.

Nach dem Spiel

»Ihre Gegner werden sagen: ›Hey, deine Schläge haben sich doch gar nicht verbessert. Wie kommt es, dass du mich plötzlich schlägst?‹ Legen Sie ein Lächeln auf und antworten Sie: ›Es war heute einfach mein Tag, glaube ich.‹«

Brad Gilbert, Winning Ugly

Die Fotografin will zum Abschluss noch ein Porträtfoto am Netz machen, Söder im Stehen.

Söder stellt sich breitbeinig neben das Netz, nimmt seinen Schläger vor die Brust und verschränkt die Arme davor.

Die Fotografin hält das für keine besonders vorteilhafte Pose, aber Söder besteht darauf.

»Tennisspieler machen das so«, sagt er. »Die halten den Schläger genau so.«

Er wird langsam ungeduldig. Warum glaubt sie ihm nicht?

»So sind alle Tennisspieler«, sagt Söder, »so schützen die ihre Schläger, von Borg bis McEnroe, von Connors bis Ðjoković, schauen Sie mal die alten Bilder an.«

Die Fotografin gibt nach. Und als sie ihn schließlich in der gewünschten Pose aufgenommen hat, ruft er ihr zu: »Schicken Sie mir auch mal ein Bild?«

Linksverkehr

Fahrradfahren mit Sahra Wagenknecht

Die Politikerin der Linken betreibt alles, was sie tut, mit kompromisslosem Ehrgeiz. Aber weiß sie eigentlich, wohin sie will?

Mut

Sie steht vor der Tür ihres Hauses in Merzig-Silwingen, pünktlich zur vereinbarten Zeit, in Turnschuhen, Radlerhose, einem T-Shirt von Nike und mit einem Fahrradhelm, den sie schon festgezurrt hat. Sie schiebt ihr Fahrrad die Garagenausfahrt hinauf, ein schwarzes Trekkingrad von Stevens mit Federgabel und Aluminiumrahmen, nicht überambitioniert, aber hochwertig; sie wäre bereit zu starten, doch ausgerechnet jetzt beginnt es zu regnen.

»Wollt ihr heute wirklich ’ne große Runde fahren?«, fragt Oskar Lafontaine.

Ihr Mann steht da, den Bauch nach vorn gedrückt, wie ein Gutsbesitzer.

Sahra Wagenknecht ist irritiert. Sie hatte eben noch ihre Wetter-App konsultiert, derzufolge es eigentlich trocken bleiben sollte. Sie gab eine Regenwahrscheinlichkeit von 30 Prozent an, und 30 Prozent ist für Wagenknecht keine Größe, die man ernst nehmen muss.

Ihr Mann mustert den Himmel, der, wie er findet, schwer nach Gewitter aussieht. Er will eigentlich nicht, dass sie fährt. »Sie müssen wissen«, sagt er, »meine Frau hat Angst vor Gewittern.« Er wühlt in seiner Hosentasche nach seinem iPhone, um seinerseits die Regenwahrscheinlichkeit zu überprüfen. Auf seiner App liegt sie bei 80 Prozent.

Es ist der 2. Juni 2017, gut zwei Monate nachdem Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat der Linken seinen letzten Wahlkampf beendet hat, der erste und einzige Wahlkampf, in dem er zusammen mit Sahra Wagenknecht auf einem Wahlplakat zu sehen war, was schon deshalb überraschte, weil die beiden bis dahin von ihrem Privatleben äußerst ungern etwas preisgegeben hatten. Nun aber zeigten sie sich auf dem Plakat nicht nur als Kandidaten, sondern als Paar, er mit Siegerlächeln, sie mit glühenden Wangen.