Auf dem Weg zu mir - Andreas Schlintl - E-Book

Auf dem Weg zu mir E-Book

Andreas Schlintl

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Beschreibung

In seinem ersten Werk nimmt uns Andreas Schlintl auf eine lange Reise mit. Jeder Mensch hat Bedürfnisse, Wünsche und Träume. Viele werden zur Seite geschoben, viele Kindheitsträume tief in unserem Herzen versteckt, so dass sie niemand findet. Doch in Momenten oder Schlafphasen tauchen diese Wünsche immer einmal auf. Es liegt an uns selbst, ob wir ihnen Beachtung schenken, ihnen nachgehen sie hinterfragen und so zu Glück und Erfüllung finden. »Als rebellischer Junge musste ich annehmen und mich dem beugen, was man mir sagte, auch wenn meine innere Stimme anderes flüsterte. Im Laufe der Zeit, hörte ich meine innere Stimme nicht mehr, und machte das, von dem andere meinten, es sei gut für mich. Durch das obligatorische Jasagen bekam ich viele neue Freunde, Tätigkeiten und Jobs, die nie für mich gedacht waren. Jeder mochte diesen jungen Mann, der so nett und hilfsbereit war. Doch unser Lebensplan lässt sich nicht beirren. Physische und psychische Schmerzen stellten sich ein und konnten wunderbar gedeiben ... Der autobiografische Roman "Auf dem Weg zu mir" zeigt, wie ein Mensch auf einer über zwei Jahrzehnte dauernden Suche nach Liebe, Glück und Freiheit den Sinn seines Lebens findet.

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Seitenzahl: 321

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Autor: Andreas Schlintl

Lektorat: Iris Wellmann

Fotos: Andreas Schlintl

Satz / Grafik : Markus Ponhold

Herausgeber, Verlag:

Herbert Schnalzer, Lifebiz20 Verlag

Hauptstraße 25/4, 8311 Markt Hartmannsdorf

www.lifebiz20.academy/verlag

Grafische Qualitätskontrolle:

Markus Ponhold

www.grafik20.at

ISBN Softcover: 9783903440036

ISBN Hardcover: 9783903440081

ISBN E-Book: 9783903440043

ANDREAS SCHLINTL

AUF DEM WEGZU MIR

Der Roman basiert auf wahren Tatsachen und Erlebnissen, Namen der handelnden Personen wurden geändert.

Kapitel

Prolog

Lehrjahre sind keine Herrenjahre

El Presidente

Erkenntnis

Der erste Schultag

Illusionen

Das Ende der Versicherung

Mit einem Schlag ist alles anders

The Day After

Das In-Lokal

Abschlussklasse

Stellung

Lehrabschlussprüfung und Zivildienst

Rotes Kreuz

Zwischenerkenntnis

Eine neue Freundschaft

Déjà-vu

Die erste Gitarre

Moarleitn-Trio

Vom Auf- und Abbauer zum Techniker

Was hatte ich gelernt

Vom Zivildiener zum Rotkreuz Mitarbeiter

Außergerichtlicher Tatausgleich

Catering

Radio N-Joy

Illusion

Das Weihnachtsgeschenk

Moderator für einen Tag

Radio Arabella

Der Start in Wien

Was ich gelernt habe

Totalschaden

Omas Tod

Sinn und Sinnhaftigkeit

Train the Trainer

Sozial- und Berufspädagoge

Abendschule

Der Sommer meines Lebens

Erkenntnis

BFI

FA6A oder MA2412

Empfang bei der Gräfin

Lehrgang zum außerschulischen Jugendarbeiter

Die nächste Landesrätin

Studium der Musikologie

Im alten Trott

Infusionen

Büro in Hartberg

Soloprojekt

Faszination „The Boss“

Zeitung

Dämonen

Mit Volksmusik zum Profimusiker

Gelenksentzündungen

Die Eine, die alles verändert

Hochzeit Thomas

Ins Reich der Pharaonen

Bandscheibenoperation

Rehabilitation

Ski-WM

Soloprojekt 2.0

Ich

Auf dem Weg zu mir

Epilog

Prolog

Sehet die Vögel, sie ernten nicht, sie säen nicht und Gott ernährt sie trotzdem. Bin ich nun Gott, weil ich die Vögel hier auf einem Parkplatz von Biarritz in Frankreich füttere, während ich auf den Bus warte.

Gibt es ein Leben nach dem Tod. War der Tod schon vor dem Leben. Wenn die Seele immer weiterlebt, wie sieht dann mein nächster physischer Körper aus. Welche Gestalt nimmt sie an. Wer war ich, bevor ich hierherkam. Bekommen wir immer wieder dieselben Aufgaben gestellt so lange, bis wir sie lösen. Was, wenn alle gemeistert sind?

Solche und viele weitere dieser Fragen stellte ich mir. War ich nun verrückt, ging es mir einfach zu gut, hatte ich schon alles, oder war ich generell unzufrieden. Sicher hatte ich das eine oder andere schon erreicht, hatte viel ausprobiert. Wusste, wie der bekannte „Hase“ läuft. Aber war das alles? Hatte ich nun mit 32 Jahren alles, was es gab? Und wenn es das war, dann konnte ich den Club der 27er, wie er genannt wurde, allmählich verstehen. Wahrscheinlich waren Menschen wie Amy Winehouse und James Dean auch an diesem Punkt angelangt. Resignationspunkt! Aber hatte das Leben nun wirklich keinen Sinn mehr. Gab es nichts, auf das man warten sollte oder auf das man hoffen und vertrauen konnte.

Suizid kam für mich nie in Frage. Erstens hatte ich Angst davor, mir weh zu tun, und zweitens war ich der Meinung, dass man der Bestimmung nicht entfliehen konnte. Denn wenn ich reinkarniert würde, kämen sicher dieselben Dinge auf mich zu. Also der Herausforderung stellen. Aber was war sie, welchen Plan hatte die Schöpfung für mich bereitgelegt. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass ich eine Tätigkeit monoton und Jahre lang oder Jahrzehnte ausführen könne. Der Gedanke graute mir. Auch Aussagen wie „Denk an den sicheren Job, hier hast du eine Lebensanstellung“ deprimierten mich, und die Suche nach dem Sinn des Lebens fing aufs Neue an. In einem meiner ersten Jobs lernte ich den Leitsatz: „Willst du dein Leben lang glücklich sein, liebe deine Arbeit.“ Ich wollte meine Arbeit nicht lieben, ich wollte das Leben lieben, meine Frau lieben, unsere möglichen Kinder, aber sicher nicht die Arbeit. Arbeit hatte doch immer den bitteren Beigeschmack, etwas tun zu müssen! Du darfst nicht nichts tun, denn dann bist du faul, ein Schmarotzer, ein Schädling des Systems. Ich wollte nie nichts tun, aber das, was ich vorhatte, fiel immer in diese Kategorie. Ich wollte frei sein. Das tun, was mir gefiel. Anderen Menschen helfen. Ihnen mit Worten oder Texten Freude schenken oder sie zum Nachdenken anregen.

Nur dies alles passte nicht dahin, wo ich aufwuchs. Es war nichts Ordentliches. „Werde Krankenpfleger, hier kannst du Menschen helfen.“ Aber das war es nicht. Ich wollte Menschen seelisch helfen, ich wollte ihnen zuhören. Ich wollte im Radio oder Fernsehen sprechen und die Leute aufwecken. Aber nicht als Muntermacher von fünf bis neun Uhr, sondern als einer von ihnen. Als ein Mensch, der darauf hinweist, wie lebenswert das Leben sein kann, wenn man es LEBT.

Aber das alles waren Visionen, für die ich schon recht bald als nicht ganz normal eingestuft wurde. Spätestens in der sechsten Schulstufe oder zweiten Hauptschul-Klasse, wo wir sagen mussten, was wir werden wollten, wurde ich ausgelacht. Auch, als ich meinen Wunsch zuhause am Familientisch aussprach, schenkte man meinen Worten nicht viel Bedeutung und meinte, „Der Bub hat so viele Phantasien, wo nimmst du das nur her. Zuerst machst du die Schule fertig, lernst einen normalen Job, und danach kannst du ja das angehen, was du möchtest.“ Einzig meine Mutter sah in mir den Visionär, einen Schauspieler oder Musiker, der einmal viel Geld verdienen und damit die Familie unterstützen könne. Natürlich sagte sie das niemandem, und insgeheim möchte das wahrscheinlich jede Mutter für ihr Kind, dass es erfolgreich ist und einmal viel Geld verdient.

Mit Geld konnte ich nie recht etwas anfangen. Ich begriff bald, dass dies nichts mit dem göttlichen Gedanken zu tun hatte. Es ist etwas rein Erfundenes von den Menschen, um sie gefügig zu machen. Denn die Natur, also auch wir brauchen es nicht für das Leben und das Überleben. Leider kamen auch diese Ideen nicht sehr gut an, in einer etwas konservativen Schule und Familie. Noch dazu, wenn das aus dem Mund eines Kindes kommt. Irgendwie behielt ich meine Ideen bald für mich und machte das, was man mir sagte. Grüßen sowie Bitte und Danke war für uns eine Selbstverständlichkeit und empfand ich auch als wunderschön. Nur dass man allen und jedem gefallen muss, redete ich mir selber ein. Bald schon hatte ich aufgrund meines JA-Sagens und immer Lächelns ganz viele Freunde, viele Einladungen, und tolle Angebote, mich in diversen Projekten zu engagieren. Was die Seele sprach, ignorierte ich, denn die neuen Freunde wollten das nicht hören, sie brauchten jemanden, der sie bestätigte und immer lächelte. Und damit kannst du es in einem Land, wo der Titel noch immer ein Hilfs-Mittel ist, es ganz weit bringen.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre

Am 3. August 1997 war es dann so weit. Für viele wie auch für mich begann an diesem Montag der erste Arbeitstag als Lehrling. Die Woche zuvor hatten mich meine Großeltern noch zu einem kleinen Urlaub und Ausflug nach Podersdorf am Neusiedlersee eingeladen. Schließlich war es doch mein geliebter Opa, der mir aufgrund seiner Bekanntschaft mit dem Seniorchef zu diesem Lehrplatz verholfen hatte. Und es war wirklich in letzter Minute oder wie Opa sagt: „Der Huat hot brennt“. Freilich hätte man die ganzen Absagen der anderen Firmen, wo ich auch geschnuppert hatte, aus heutiger Sicht anders deuten können, aber wer wusste das damals schon.

Dass ich zwei Wochen vor Lehrbeginn noch beim Orthopäden war, weil ich solche Rückenschmerzen hatte und dieser eine Computertomographie aufgrund der Kosten untersagte und meinte „Ein Röntgen genügt ja bei einem Jugendlichen“, ignorierte ich. Natürlich erkannte man auch beim Röntgen etwas, was damals als „Schmorlsche Impression“ und ein „Stückerl fehlt bei einem Wirbelkörper“, nämlich dem vierten Lendenwirbel aber sonst unauffällig, diagnostiziert wurde. Bei großen Schmerzen sollte „er“, also ich, Neurofenac-Tabletten nehmen und das wird schon wieder. Beim Ausflug mit Opa und Oma am Neusiedlersee hatte ich wieder große Schmerzen und wir gingen zur örtlichen Ärztin. Die gab mir damals Parkemet 250mg, und wenn es nicht gut half, sollte ich zwei Stück davon nehmen. Meine Großeltern dachten einfach, es wäre Angst vor dem Start der Lehre und somit machte sich keiner weiter etwas daraus.

Im Urlaub wurde ich natürlich noch gebrieft, was ich tun dürfe und müsse. Es sollte mir klar sein, dass diese Arbeit zwar schön, aber durchaus hart sei, und ich manches einstecken müsse. „Denn Lehrjahre sind halt keine Herrenjahre“, wie Opa immer wieder betonte. „Aber Bub denk dran, wieviel du nachher Pfuschen und tolles Geld dazu verdienen kannst, um dir und deiner Familie ein schönes Leben zu leisten.“ Den Ratschlag von Opa merkte ich mir, denn Opa war ein weiser intelligenter Mann, der hart arbeitete und nie aufhörte zu lernen. Durch verschiedenes Schnuppern bei Firmen wusste ich schon ungefähr, was mich in diesem Beruf erwartete. Einfach war es nicht und auch die vier Jahre aufgrund Doppellehre versuchte ich zu ignorieren. Jasagen und lächeln, dachte ich mir, nach diesen vier Jahren kann ich ja tun, wofür ich bestimmt bin, kann zum Fernsehen, kann Radiomachen, werde auf Bühnen stehen, was ich zu diesem Zeitpunkt zum Teil schon tat. Denn ich war Mitglied einer Leihen-Theatergruppe. Denn ich hatte im Polytechnischen Lehrgang, wie der damals hieß, einen Lehrer kennengelernt, welcher meine Brüder schon unterrichtet hatte. Mein Name erinnerte ihn an die dummen Streiche meiner Brüder, weshalb ich auch gleich zu Beginn mit einem Minus ins Rennen ging. Doch irgendwann nach den ersten Wochen sprach der Lehrer, er suche noch junge Leute für eine Theatergruppe. In mir erwachte die Freude, die ich mit elf Jahren schon hatte, und dachte mir, ich möchte auch dem Lehrer gefallen und nicht dafür büßen, was meine Brüder vor Jahren hinterlassen haben. Wenige Wochen später saß ich bei der Jugendtheater-Gruppe. Meine Eltern hatten nichts dagegen und begrüßten es, denn auch mein Onkel hatte einmal Theater bei dieser Bühne gespielt und somit konnte es nicht ganz verkehrt sein. Ich fühlte mich hier gut aufgehoben und mit den Wochen und meinem Lächeln sowie dem Engagement, das ich an den Tag legte, fing mich auch der Lehrer zu schätzen an. Kurz darauf war ich bei den Theaterproben auf Du und Du mit ihm. Ich fühlte mich großartig und lebendig, sichtbar für alle, denn ich stellte etwas dar, ich war Mitglied einer Theatergruppe, einer kulturellen Initiative. Und nicht irgendeiner, sondern der Bühne, die auch, wenn es gut lief, eine Tournee nach Deutschland organisierte. Mein Debüt war eine Komödie in drei Akten, wobei ich nur eine Nebenrolle spielte. In diese legte ich aber meine ganze Aufmerksamkeit und mein Bewusstsein. Somit war es nicht ungewöhnlich, dass ich gleich den ersten Szenenapplaus bekam. Dies merkte auch der Regisseur und ich bekam beim darauffolgenden Stück die Hauptrolle. Es gefiel dem Lehrer, dass ich so engagiert war. Er selbst war eine Persönlichkeit in unserer Gemeinde und in vielen Organisationen tätig. Viele Ämter hatte er inne. So war es nicht weit hergeholt, dass er mich gerne in diese Bündnisse einweihte. Er meinte die Zeit wäre gekommen, jungen Leuten Verantwortung zu übergeben. Organisationen, die schon überaltert sind, brauchen unbedingt frisches Blut. Menschen, die engagiert sind und bereit sind neue Wege zu gehen. Sich auch etwas sagen lassen – solche sind dringend nötig. Kurzfristig kam ich mir vor wie der Messias. Sollte ich nun alle erleuchten. Warum sah der Mensch, der mit meinen Brüdern nicht die besten Erfahrungen machte, in mir so was wie einen jungen Pharao? Oder war es wie in der Bibelstelle mit dem verlorenen Schaf. Es musste wohl so sein.

Dass alles mit Jasagen zu tun hatte, war für mich damals fremd oder beachtete ich nicht. Es gefiel mir, dass mir Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es gefiel mir, dass ich gebraucht wurde. Das war, was zählte. Unzählige Stunden engagierte ich mich bei Sitzungen und Tagungen, wo ich nie verstand, um was es ging. Oft ging es um Europa, dann wieder um die Kirche. Irgendwann um die Gemeinde. Überall war ich gern gesehen und der Lehrer war mein Mentor, mein Gönner, mein Entdecker. Ihm hatte ich zu verdanken, dass ich bei der Frau Landeshauptmann, beim Europarat oder beim Dechant aus- und einging. Oft waren es die tollen Empfänge mit Sekt und guten Häppchen, die im Anschluss an eine Sitzung oder Eröffnung das Unverständnis der Podiums-Redner wieder gut machte. Immer hatte ich Zeit, immer sagte ich zu, auch wenn es noch so knapp war, irgendwie musste es sich ausgehen. Schließlich wollte ich gefallen und das hatte einen gewissen Preis.

Meine Lehre zum Gas-Wasser-Heizungs-Installateur war vom ersten Tag, also vom 3. August, wie ein Traum, aus dem jeder gerne erwachen würde. Ich wusste, dass es vier Jahre dauern würde, also stand auch noch eine Jahrtausendwende bevor, und ich war immer noch nicht fertig. Musste noch immer das tun, was für mich das Beste sei, denn schließlich hätte auch die ganze Familie etwas von meinem Beruf. Wasserhähne, die tropfen, Heizungen, die nicht wärmen, Toiletten, die verstopft sind, würde es wohl immer geben. So begann ich bei einer Firma, die groß war für die Verhältnisse der Gemeinde. 60 Mitarbeiter und 15 Lehrlinge, also ein Personal von 75 Menschen, galt es Arbeit zu beschaffen. Durch die Größe der Firma kamen auch größere Projekte, was für die Firma an sich gut war. Zu meinem Bedauern war ich kräftig gebaut und die erste Diensteinteilung erfolgte mit einem Gesellen zu der ersten örtlichen Fernwärmeanlage. „Große Firma, große Projekte“, dachte ich mir. Die Aufgabe war auch groß, mein Geselle, den ich zweimal mit „Sie“ ansprach, lachte mich aus, und meinte „Das wird dir gleich vergehen, wenn du die Rohre siehst. Hier sind wir auf selber Ebene, das heißt, du hast die schwere Arbeit mit mir zu teilen. Es tut mir leid, dass ich dir keinen schöneren Beginn bescheren kann.“ Ich wusste noch immer nicht, wovon er sprach, aber nach einer kurzen Autofahrt wurde es mir klar. Die erste Fernwärmeanlage bedeutete, dass jedes Haus in der Straße mit heißem Wasser versorgt werden musste. Dieses Wasser wurde in einer großen Anlage aufgeheizt und dann durch dementsprechend dicke Rohre, die gut isoliert sind, in jedes Haus geleitet. Dort wurde mittels eines Wärmetauschers die warme Energie entzogen und in die Heizkörper gepumpt. Das abgekühlte Wasser rann wieder zurück in das nahgelegene Heizwerk. Und je nachdem, wie viele Einfamilienhäuser auf dieser Leitung hingen, umso dicker und schwerer waren diese Eisenrohre. Da diese nicht wie Stromleitungen schwebend montiert werden konnten, wussten wir auch, dass es nur im Erdreich gehen konnte. Somit begann mein erster Tag unter Tag, also in einer wie von Wolfgang Ambroß schon beschriebenen Lied „Kinetten“ mit zwölf Meter langen schweren Rohren.

Meine Einschränkung mit den Rückenschmerzen sprach ich nicht an. Am ersten Tag wollte ich nicht negativ auffallen, außerdem hätten alle geglaubt, ich wäre ein verwöhnter Junge und wolle mich von der Arbeit drücken. „Augen zu und durch“ hieß die Devise. Das erste massive Stahlrohr, welches wir von Hand zu dem vom Bagger aufgegrabenen, ungefähr 1,5 Meter tiefen und 80 Zentimeter breiten Graben tragen durften, war 200 Meter weit entfernt. „Aber warum so weit weg?“ war meine Frage an meinen Gesellen, den ich nur duzen durfte. Ganz einfach, weil der Sondertransport, der die Rohre liefert, hier in diese schmale Straße nicht rein kam. Deshalb die nächste freie Wiese, und diese war halt so weit weg. Leuchtete mir ein, bis dahin wusste ich noch nicht, wie schwer diese zwölf Meter langen Ungetüme wirklich waren. Als wir das erste Monster-Rohr natürlich nicht rückenfreundlich aufhoben, merkte ich schon einen Schmerz, der mir ins Bein fuhr, aber ich ignorierte ihn. Wir gingen los mit dem Rohr und irgendwie würde es schon gehen. Nach wenigen Metern fing das Rohr an, eine eigene Schwingung zu erzeugen, also eine Gegenschwingung zu unserem Geh-Rhythmus. Durch diesen zwölf Meter Abstand wurde die Schwingung so intensiv, dass uns das Rohr zu Boden warf und wir in der Wiese lagen und trotz der Schmerzen herzhaft lachten. Mein Geselle war sehr unterhaltsam und mit seinem guten Humor machte das Arbeiten auch Spaß, obwohl es wirklich eine körperlich schwere Arbeit war. Nachdem das Rohr im Graben war, ging es erst los. Es gab ja immer Vor- und Rücklauf, somit brauchten wir für dieselbe Strecke Weg zwei von den Rohren. Diese wurden dann nebeneinander in korrekten Abstand gebracht, eingerichtet und mit vier Millimeter Abstand dann rechtsverschweißt. Anschließend wurde jede Schweißnaht extern geröntgt, um sicher zu gehen, dass sie nicht leckte, wenn das Erdreich verschlossen wurde. War alles korrekt verschweißt, wurde mit einem Zwei-Komponenten-Schaum isoliert. In dem Schaum waren auch noch zwei Drähte, die verbunden gehörten, um eine undichte Stelle später zu orten.

Der erste Tag ging zu Ende, und als wir müde in der Firmenzentrale eintrafen, kamen alle in der Werkstatt zusammen, denn diese war schöner und ordentlicher als der stinkige, viel zu kleine Aufenthaltsraum, in dem es nach Bier, kaltem Rauch und Pissoir stank.

Ein Kollege hatte Geburtstag und so stießen die Arbeiter mit einem sogenannten Werkstatt-Bier an. Ich wurde auch gefragt, ob ich eins wollte. Und wie es zum guten Ton gehörte, nahm ich dankend eine Flasche. Es war auch nicht so, dass ich noch nie mit Alkohol in Berührung gekommen war, denn bei unserer Theatergruppe wurde auch gern etwas konsumiert. Mein Lehrer und Mentor war schließlich auch kein Kostverächter von guten Tropfen, weshalb er es duldete und mit einem Auge drüber hinwegsah, wenn wir gelegentlich nach den Proben Bier oder Wein tranken.

Doch in der Werkstatt war es anders, und genau in einem Augenblick der Unachtsamkeit kam der Chef, der gar nicht hier sein sollte, um die Ecke und erwischte mich bei einem kräftigen Schluck. Ich war so perplex, dass ich gar nicht merkte, dass ich noch das Bier in den Händen hielt, während alle meine Kollegen es irgendwo abgestellt hatten, damit es nicht gleich ersichtlich war. Der Chef grüßte nicht, sondern sprach mich direkt beim Namen an und meinte, dass ich mich schnell integriert hätte. „Du bist der einzige Lehrling bei der Feier und der Einzige, der ein Bier in der Hand hält. Prost.“

Okay, ich war am ersten Tag schon aufgefallen, aber irgendwie fühlte ich mich gut. Der Chef wusste, wie ich hieß. Die anderen Arbeiter luden mich auf ein Bier ein, während die anderen Lehrlinge schon mit ihren Mopeds am Nachhause weg waren. Ich hatte es geschafft präsent zu sein. Die Tage vergingen, und ich kam körperlich müde und schmutzig mit der blauen Montur nachhause, duschte mich und weiter ging es zu einer Theaterprobe, zu einem Empfang oder zu einer Einladung. Es gab immer etwas zu tun. Zum Schlafen blieb wenig Zeit. Meine Eltern staunten, dass ich das alles schaffte. Freilich waren sie meine Unterstützer und brachten mich meistens mit dem Auto von einer Probe zur nächsten und holten mich. Moped kam für mich nicht in Frage, gelegentlich schnappte ich zwar Mamas Maxi-Moped, aber als ich dann ohne Helm aufgehalten und bestraft worden war, blieb ich wieder beim Radfahren, beim Zu-Fuß-gehen oder eben Mamas Taxi. Alles war interessant für mich, vieles war neu. Doch meine Bestimmung, von der ich als Kind träumte, Menschen zu helfen, sie aufzuwecken, den guten Kampf zu führen, auf der Bühne zu stehen, kam mehr und mehr in Vergessenheit. Einfacher war es, an Tagungen teil zu nehmen, bei den Nachbarn den Rasen zu mähen, eine Lehre zu machen, die mich nur am Rande interessierte, ein Instrument zu lernen, was mir zwar Freude bereitete, aber mit dem ich nie auf einer Bühne stehen würde.

Eine Spirale, die ich nie wollte, fing sich an einzudrehen, ich stürzte mich in Aufgaben, die nie für mich gedacht waren. Ich engagierte mich für Politik, weil ich dachte, es wäre gesellschaftlich wichtig. Ich brachte mich in der Kirche ein, weil es die alten Menschen so gern sahen, wenn junge Leute sich dem christlichen Glauben hingeben. Anstatt den Ansporn zu haben, selbst auf einer Bühne zu stehen, degradierte ich mich zu einem Crewmitglied einer Unterhaltungsband. Weil ich die Aufgaben, welche mir erteilt wurden, so ausführte, wie auch ich sie gerne hätte, liebten mich die jeweiligen Chefs und gaben mir noch mehr Verantwortung. Ich wiederum freute mich über so viel Vertrauen ihrerseits. Eine Mauer, die ich selbst baute, trennte mich von meiner Bestimmung. Mehr und mehr rückte ich alles in den Hintergrund, was mir als Traum und Mission in die Wiege des Lebens gelegt worden war.

Mit siebzehn Jahren und ohne Führerschein schaffte ich es in eine Firma eingegliedert zu werden, die Fonds verkaufte. Mein Bruder, der sehr erfolgreich in diesem jungen unbekannten Business war, stellte mich seinem Chef vor. Kurz darauf gehörte ich auch dieser Drei-Buchstaben-Firma an. Rechtlich war es nicht zulässig, aber der Chef war überzeugt von mir, und man fand einen Weg, diese Altersbeschränkung zu umgehen. Er brachte mir großes Vertrauen entgegen und sah in meinen Kontakten eine neue Chance, die Firma richtig zu expandieren. Ich kannte mich nicht aus in dieser Branche, ich wusste nur, dass es um Geld ging, das monatlich vom Konto des Kunden abgebucht wurde, auf einen Fonds kam, und dieser mehr wert wurde als bei einem Sparbuch oder einem Bausparer. Letzterer war ja die beliebteste Sparform der Österreicher. Genau aus diesem Grund wollte die Drei-Buchstaben-Firma dieses Fass anzapfen.

Mir war es egal, ich freute mich über neue Freunde, schön gekleidete Menschen, fette Partys, Hotels, in dem es eigene Kofferträger gab, Meetings mit „Goldsekt“. Ja, es gefiel mir, dass ich dort wieder einmal der Jüngling war, welcher großes Potential in sich trug.

Von dem Zeitpunkt an waren nicht nur die Montagabende mit Theaterprobe, die Dienstage mit Politik, jeder dritte Mittwoch mit Pfarrgemeinderat, jeder Freitag mit Musikschule, beinahe jeder Samstag mit der Unterhaltungsband als Techniker und Rowdy, sondern auch der Sonntag mit Meetings und Seminaren der hochstrebenden Finanzfirma in der Landeshauptstadt verplant.

Im Keller meines Elternhauses hatte ich einen Probenraum bzw. ein Studio eingerichtet. Also, es hätte ein Studio und Partykeller werden sollen, aber stattdessen wurde es mehr und mehr zu einem Büro aus verschiedenen Ordnern und Tätigkeitsberichten für meine selbstauserwählten Hobbies. Hobbies, die nicht Spaß machten, sondern Ernst waren, solche, bei denen das herzhafte Lachen untersagt war, wobei gelehrt wurde, wie du richtig isst, während du mit jemanden sprichst, was man sagt, um den anderen nicht zu kränken, möglichst keine Meinung zu haben, aber trotzdem gebildet zu klingen. Alles war eine Welt wie im Traum. Viele bewunderten mich, andere beneideten mich, einige sahen den neuen Präsidenten, und der ließ nicht lange auf sich warten.

El Presidente

Es war Herbst und neben dem Theater, mit dem wir nun auch schon in Deutschland in vier Städten zu Gast waren, gab es in diesem Verein noch andere Teilorganisationen, die in die Sektionen Schach, Badminton, Wandern, Bund der Jugend und eben Theater gegliedert waren. Ich kam aufgrund des Lehrers zum Theater, was mir Freude machte. Nie hatte ich mich sonderlich für Politik interessiert, aber es kam so, dass ich am 8. Mai 1998 am Hauptplatz meiner Stadt die Menschen über die Europäische Union informierte. Beinahe alle aus unserer Theatergruppe konnte ich überreden dort hinzukommen und zu helfen: Flyer verteilen, Anstecker ausgeben, Luftballons mit der Europafahne an die Kinder verteilen. Natürlich galt das Interesse nicht Europa, was wussten wir schon, vielmehr hatten wir Spaß und übten unsere Rollen fürs kommende Theaterstück. Doch dem Lehrer missfiel das. Er wollte, dass wir das Thema Europa ernst nehmen.

„Wir haben eine Mission“, sagte er, „wir müssen die Leute aufklären, wie wichtig es ist zur Wahl zu gehen!“ Zur bevorstehenden Europawahl. Der Großteil unserer Gruppe durfte noch gar nicht wählen, es war also sehr authentisch, wenn wir die Menschen anhielten und erklärten, dass Wählen ihre Pflicht und Chance für ein gemeinsames Europa sei. Doch auch diese Rolle lag mir, und mein Lehrer stellte mich immer allen Persönlichkeiten vor, die vorbeikamen. Auch mein Chef, bei dem ich Gas-Wasser-Heizungs-Installateur lernte, kam vorbei, unterhielt sich mit meinem Lehrer und Mentor, aber ignorierte mich ganz. „Merkwürdig, will er mich nicht sehen, kann er sich nicht mehr an den biertrinkenden Jungen in der Werkstatt erinnern.“ Es ließ mir keine Ruhe, dass mich mein Chef, dem ich zeigen wollte, was sonst noch alles in mir steckte, komplett links liegen ließ. Aber dies hatte Gründe, welche ich erst später erfahren sollte.

Nach dem Infotag war vor der Wahl, aber nicht nur die Europawahl stand für mich im Mittelpunkt, sondern die Neuwahl des Obmanns sowie des Vorstandes unseres Vereins. Einen Wahlvorschlag hatte ich bereits gesehen und mein Name stand ganz oben. Auch dies ehrte mich und so nahm ich diese ehrenvolle Aufgabe dankend an. Einzig mein Regisseur des Theaters meinte, ich sei für diese Tätigkeit zu jung und mir fehle die Reife. Das wollte ich auf keinen Fall hören, und so wuchs das Verlangen, es denen zu beweisen, die mich für diese Position ungeeignet sahen. Wir waren eine starke Theatergruppe, und diese hatte ich auf meiner Seite. Mehr und mehr interessierten sich die jungen Leute für den Verein und Politik, wir organisierten Podiumsdiskussionen, fuhren zu Europa-Gesprächen, wo unsere Gruppe den Altersdurchschnitt erheblich nach unter katapultierte. Es gab Europawochen auf einem Schloss und Weihnachtsklausuren. Überall war unsere Truppe von nun an vertreten. Anders als andere in unserem Alter mieden wir Discos und Feste. Wir aßen und tranken meist mit Niveau bei schönen Banketten.

Doch die Position des Jünglings als Obmann einer alten Vereinsdynastie hatte natürlich seine Makel. So wurde uns oft die Verschmutzung des Heimes zugeschoben oder die nächtelangen Diskussionen als Exzesse angesehen. Es kam auch vor, dass wir wirklich auf der gemütlichen Theatercouch einschliefen und dann schnell nachhause und zur Arbeit mussten. Aber von Exzessen oder ungutem Auffallen bzw. Lärmen war selten die Rede.

Alle hatten Spaß, wir diskutierten über Jugend-Angelegenheiten. Hörten Musik. Bestellten Pizzas und lebten unsere Jugend. Irgendwann wurde die Idee geboren, das Haus zu erneuern. Was früher um die 50er Jahre als Schweinestall diente, war unser Probenraum, Freizeittreff und Theater-Aufführungsstätte. Die Wände waren schimmlig, die Böden, teils mit Spanteppich belegt, mehr lebendig als sonst etwas, das Dach nicht isoliert, die Heizung waren zwei Gasflaschen mit dazugehörigen Aufsatz-Heizern.

Zeit für Veränderung. Und als Obmann durfte ich das sagen, es brauchte nur einen Mehrheitsbeschluss und eine genaue Kostenaufstellung. Den größten Teil würden wir selbst machen. Dachte ich zumindest, denn mein Vater war ein guter Handwerker und Elektriker, ich angehender Installateur. Andere konnten malen undsoweiter. Doch wie es um die Arbeit ging, sah alles anders aus. Mein Kopf war noch immer der Meinung, ich bin für alles verantwortlich. Und: es muss so sein, wie ich es mir vorstelle. Machte jemand das nicht so, sagte ich, er soll es lassen, ich mach schon weiter. Und mit dieser Art blieben über kurz oder lang die Leute aus, die uns halfen. Beim Feinschliff waren wir nur noch zu zweit. Ich war über das Ziel hinausgeschossen. Ich hatte vergessen, um was es ging. Es war nie meine Aufgabe gewesen, dieses Haus zu renovieren, auch die Hürde des jungen Obmanns war nicht für mich gedacht oder hätte ich dankend ablehnen können. Niemand wäre mir böse gewesen. Unser Regisseur hätte sich gefreut, wenn ich mein ganzes Engagement aufs Theater fokussiert hätte. Unsere Gruppe hätte bei den Internationalen Theatertagen mitspielen können. Aber dies blieb uns verwehrt, weil einer meinte, für das Glück der ganzen Gemeinschaft verantwortlich zu sein. Und das ging nicht. Das Haus wurde fertig, doch als es fertig war, fehlte die Gruppe, die es belebte.

Was ist los, liegt es an mir, habe ich es mir anders vorgestellt, was wurde aus meinem Traum. Ich verstand es nicht, auch meine Freunde vom Theater verurteilte ich und machte sie mitschuldig an meinem Leid, das aus mir kam. Die Vorurteile meiner Verwandten und Bekannten bestätigten sich. Sie sagten damals schon, als ich mich so für den Verein engagierte, dass ich am Ende keinen Dank erhalten werde. Im Gegenteil: Es wurde mir vorgeworfen, dass ich einfach gehe, das Geld des Vereins ausgegeben und die Gruppe zerstört habe. Also: ich wurde vom Propheten zum Märtyrer. Nur, dass es meine Schuld war, wollte ich nicht sehen und mir nicht eingestehen. Dass mein Dämon von mir Besitz ergriffen hatte, obwohl ich ihn selbst frei ließ, konnte ich nicht ahnen.

Mein Lebensweg war durchkreuzt. Ich wusste nicht, was ist gut, was ist schlecht. Bin ich auf der richtigen Spur, oder habe ich vergessen, den Blinker zu setzen und abzubiegen. In den Nächten, als ich träumte, sah ich oft meine wirkliche Bestimmung, doch wenn ich erwachte, schob ich sie zur Seite und meinte, es wären nur Hirngespinste, die ich nie umsetzen könnte. Aufmerksamkeit, die ich durch den Verein und das Theater verlor, holte ich mir in der Arbeit und der Versicherungsfirma. Nun wusste ich, wo mein Ehrgeiz anerkannt wurde. Stundenlang optimierte ich die Einteilung der Lehrlinge in unserer Firma. Denn es konnte nicht sein, dass wir jeden Tag eine Stunde länger bleiben mussten, um Autos zu putzen oder den Hof zu kehren. Natürlich unentgeltlich. Ohne Zeitentschädigung. So beschloss ich, einen Lehrlingsrat zu gründen, indem Lehrlinge und Chef einmal im Monat zusammenkamen, um über Verbesserungen und eine gerechtere Einteilung zu sprechen.

Der Chef hatte wenig Interesse, aber er ließ mich machen. Als selbsternannter Lehrlingssprecher lud ich zu einer Besprechung. Auch der Chef war anwesend. Ich sagte ihm, dass es so nicht funktioniert und die Lehrlinge das nicht möchten. Ich gab ihm mehrere alternative Möglichkeiten. Sagte, wir würden es fair finden, wenn jeden Tag ein oder zwei Lehrlinge eine Stunde länger in der Firma bleiben und diese Tätigkeiten verrichten würde, aber nicht alle. Denn es würde sowieso nicht produktiv gearbeitet oder Autos geputzt, sondern vielmehr die Zeit totgeschlagen. Daher wäre es für uns und für ihn als Chef besser und effizienter, jeden Tag zwei andere Lehrlinge eine Stunde länger bleiben zu lassen, um Autos zu säubern und den Hof zu kehren oder den stinkenden Aufenthaltsraum zu reinigen. Der Chef hörte mir zu, dann warf er in die Runde der 16 Lehrlinge, wer alles noch für meine Ansichten sei. Doch nur einer im vierten Lehrjahr hob schüchtern die Hand. Der Chef dankte für das Gespräch und verabschiedete sich mit den Worten: „Also, es bleibt so wie bisher!“

Nun hatte ich endlich den bösen Stempel auf mir sitzen, aber da meine Leistungen und mein Interesse für die Arbeit immer hoch waren und viele Gesellen nur gut über mich sprachen, war der Vorfall erledigt. Niemand sprach darüber, nicht einmal die Lehrlinge. Wundernswerterweise beklagte sich auch niemand mehr über die tägliche Stunde unentschädigter Mehrarbeit. Hatte diese Autorität unseres Chefs, den ich schon mehrmals sehr betrunken in seinem Auto schlafend am Firmengelände sah, solche Macht über uns hinweg zu entscheiden? Ja, er hatte es, und nur deshalb, weil keiner bei der Abstimmung aufzeigte. Was wäre passiert? Hätte er uns alle rauswerfen sollen, hätte er gesagt, das geht nicht. Lehrlinge waren billige Arbeitskräfte, und auf die konnte er nicht verzichten. Aber da ein einziger Hund ja auch ein ganzes Rudel Schafe beschützen, also „einsperren“ kann, so kann das auch der Titel „Chef“. Denn dieser Titel ist allmächtig und alle Schafe machen sich so zu machtlosen, unterwürfigen Geschöpfen. Sie haben Angst um ihr Leben, um ihre Existenz. Der Mächtige wird so noch mächtiger und unverwundbar. Nun brauchte kein Lehrling mehr einen Wunsch an den Chef zu bringen, das hatte sich mit einer Sitzung erledigt. Und gern dachte ich an unsere Europagespräche und Sitzungen, bei denen jeder sagen durfte, was er mochte, im Anschluss gab es für jeden Essen und Trinken.

Mit dieser Art von Diskussion, wie mein Chef sie führte, war es eine diktatorische Herrschaft. Bist du nicht für uns, so bist du gegen uns. Und jeder Feind gehört im Keim erstickt. Dies versuchte er bei mir mit der Demütigung der Abstimmung. Aber dem nicht genug. Nach ein paar Wochen kam der Techniker zu mir und meinte: „Ab nächster Woche brauchen wir dich in Wien.“ Ich sagte: „Das geht nicht, ich habe hier Verpflichtungen.“ Er lachte und meinte: „Es ist entschieden, und wer freut sich nicht über mehr Geld. Montag um sechs ist Abfahrt.“

Ich wusste, was es heißt, in Wien auf Montage zu sein. Ich kannte viele Monteure, die ihr Leben in Wien verbrachten. Sie alle verdienten gut, waren aber nicht glücklich, die Ehe ging meistens zu Brüchen, weil „er“ sich eine zweite Familie in Wien aufbaute. Oder „sie“ es nicht ertragen konnte, immer allein zu sein. Das Geld war mir ebenso egal, ich kam sehr gut zurecht, hatte noch immer kein Auto und keinen Führerschein, lebte kostenlos zuhause. Das erste Handy kam von der Versicherungsfirma und wurde auch von ihr bezahlt. Also was sollte ich in Wien. Ich hatte mein Leben hier, 180 Kilometer südlich von Wien. Hatte meine Termine, war noch beim Pfarrgemeinderat und in diversen anderen Netzwerken dabei. Sollte ich das alles aufgeben? Es half nichts: es war die Schikane meines Chefs. Viel zu lange hatte er schon zugesehen, dass ich mich auch bei denselben Events zeigte oder auf der Gästeliste stand, wo er Gast war. Am Montag um sechs Uhr ging es mit Sack und Pack los nach Wien. Es waren nur drei Lehrlinge von uns dort, und die wollten das unbedingt wegen des Geldes. Als sie mich beglückwünschten, sagte ich: „Es kann gern jemand anderes kommen, ich will gar nicht in Wien sein.“ Die Zimmer, in denen wir untergebracht waren, ähnelten Baracken mit Stockbetten, mit Duschen und WC am Gang, also was sollte das für ein Leben sein, fragte ich mich.

Nach einem Monat Strafarbeit zog mein ehemaliger Geselle Markus mich ab. Er intervenierte beim Chef und meinte, ich wäre von großer Wichtigkeit für dieses neue Wohnprojekt im Bezirk. Und er wolle keinen anderen Lehrling dorthin mitnehmen. Der Chef willigte ein, denn Markus war einer seiner fähigsten Monteure. Große Freude überkam mich bei der Nachricht. Daraufhin setzte ich mich noch eifriger für die Firma ein. Mein Monteur überließ mir viele Entscheidungen und meinte, er sei stolz auf meinen Fortschritt. Ich konnte bereits Pläne lesen, nahm an Bauverhandlungen teil, überprüfte die Lieferungen. Ich war eins mit der Installationsfirma, und was ich vorher in Verein und Theater investiert hatte, brachte ich nun hier ein. Keine Ahnung, warum, vielleicht aus Dankbarkeit, nicht mehr im engen Zimmer in Wien schlafen oder das morgendliche sechs Uhr-Bier trinken zu müssen.

Die sechs Wohneinheiten in der Bezirksstadt, wegen der mich mein Geselle Markus aus Wien zurückholte, sollten bald meine „erste eigene Baustelle“ sein. Nach kurzem Reden und dem Gespräch des Technikers sowie Markus mit mir, ob ich das schaffe, war es amtlich. Markus würde alle Wochen einmal vorbeischauen, und der Techniker würde von der Firmenzentrale aus helfen und unterstützen, sofern es seine Zeit erlaubte. Ihn könne ich ja von meinem Firmentelefon, welches ich von der Drei-Buchstaben-Finanzfirma hatte, anrufen, wenn es Probleme oder Ungereimtheiten gab. Bei uns gab es zu diesem Zeitpunkt keine Handys, nur Pager, also digitale Uhren in der Größe einer Zigarettenpackung, wo man sah, wer einen angerufen hat. Anders als bei meinem Telefon oder Handy musste man mit dem Pager ein Standtelefon oder eine Telefonzelle aufsuchen, um diese Nummer zurückrufen zu können – zur heutigen Zeit klingt das beinahe nostalgisch.

Ohne zu zögern, nahm ich diese Herausforderung an. Ich war stolz und voller Freude, dass man mir zutraute eine Baustelle zu leiten. Doch die Seele, auf die ich schon lange nicht mehr hörte, gab mir Zeichen. Meine Rückenschmerzen wurden wieder stärker, Kopfschmerzen breiteten sich aus. Wiederum hörte ich nicht hin. Mein Vater litt unter Migräne und nahm beinahe wöchentlich eine Schachtel Tabletten, um seiner Arbeit nachgehen zu können. Für mich war es naheliegend, dass ich die Kopfschmerzen vererbt bekam, und anstatt über meinen Kindheitswunsch nachzudenken schluckte ich Tabletten. Parkemed 500mg, und Neurofenac waren ständig meine Begleiter. Statt auf die Ursache zu schauen, bekämpfte ich das, was in mir schrie, damit es von mir gehört und umgesetzt wurde.

Aber nein: ich wollte ordentlich sein, perfekt in meiner Arbeit, die Hausaufgaben erledigen, die von mir erwartet würden. Und als jüngster Baustellenleiter der Firma konnte ich mir nichts anderes erlauben als zum Wohle der Firma zu handeln. Es war ähnlich wie für einen König im Mittelalter zu kochen, es würde einen mit Freude erfüllen und die anderen würden aufschauen und sagen: „Er bekocht den König, doch falls es dem König mal nicht schmeckt, ist er nicht nur seine Arbeit los, sondern sein Leben.“ Bei mir war es nicht so dramatisch. Doch ohne Führerschein und mit zwei Helfern, wovon einer mit dem Auto fahren musste, war es nicht einfach, einen friedlichen und sanften Weg zu finden.

Anfangs sagten viele der Kollegen, die es mir nicht gönnten, oder die ausgelernt waren und keine eigene Baustelle leiten durften, ich hätte mich eingeschleimt und deshalb die Aufgabe bekommen. Andere bauten absichtlich Fehler ein, um zu sehen, ob ich es bemerke, und wenn nicht, würde es mit meiner Leitung zu Ende sein. Doch ich absolvierte gut. Studierte zuhause in meiner Freizeit noch Gebäudepläne. Machte meinen Einsatz unermüdlich, um niemanden zu enttäuschen und mir selbst gerecht zu werden.

Doch alles kam so, wie ich es dachte. Ich leitete die Baustelle, ohne einen Führerschein zu besitzen. Ich bekam ein großes Lob von Markus. Ich war verwundert über mich selbst. Wieder einmal hatte ich mir die Latte sehr hochgelegt, ohne dass es jemand von mir verlangte. Auch ich verlangte nichts dafür. Mein Gehalt war dasselbe wie das von jedem anderen Lehrling im dritten Jahr, aber ich hatte auch nicht danach gefragt, weil es mir nicht wichtig war. Ich wollte die Anerkennung von meinem Chef, doch die blieb aus. Kein Wort über meine Leistung. Kein „Danke“, oder „Toll gemacht.“ Wahrscheinlich saß sein Zorn über meine anderen Tätigkeiten tief. Doch Weihnachten kam und statt einer Feier, wie es immer bei Firmen üblich ist, gab es ein Bier und Schweinsbraten-Semmeln. Die Feier war in dem Raum, in dem ich einst die Besprechung mit den Lehrlingen gehabt hatte. Ein Jahr zuvor hatte ich schon beobachtet, dass der Chef manchem Monteur beim Verabschieden und Frohes Fest-Wünschen unbemerkt ein kleines Kuvert überreichte. Ich hatte keine Ahnung, was in dem Kuvert war, mir fiel nur auf, dass es nicht jeder bekam, und so dachte ich nicht weiter darüber nach. Wir hatten Spaß, weil die Firma nun zwei Wochen über die Feiertage zu hatte. Niemand klagte über die Arbeit, jeder freute sich, in so einer guten Firma zu sein. Auch ich hatte an diesem Nachmittag und Abend Spaß und war froh über das gelungene Ende der ersten eigenen Baustelle. Insgeheim wünschte ich mir, dass sie mich nicht nochmal fragten, bevor meine Lehrzeit zu Ende war. Nicht noch einmal wollte ich so große Verantwortung übernehmen.

Beim Verabschieden und Frohe Weihnachten-Wünschen entkam auch ich dem Chef nicht. Eigentlich wollte ich ihm nicht „Frohe Weihnachten“ wünschen, doch es war zu spät. Entschlossen kam er auf mich zu, klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Gut gemacht. Das ist für dich.“

Erkenntnis



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