Auf eigenen Beinen - Petra van Laak - E-Book

Auf eigenen Beinen E-Book

Petra van Laak

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Beschreibung

»Das schafft die nie«, hieß es erst. Petra van Laak steht alleine da mit den schlechtesten Voraussetzungen: vier Kinder, Jahre aus dem Job raus, kein Kapital, kein Superhirn wie Steve Jobs. Kein Arbeitgeber wollte die Alleinerziehende anstellen, und so gab es nur eine Lösung: sich selbständig machen. Aber wie und mit was? Petra van Laak schildert hautnah, wie sie ein Unternehmen gründete, von dem sie heute ihre Familie ernähren kann. Mut machend, ehrlich und authentisch.

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Petra van Laak

Auf eigenen Beinen

Eine vierfache Mutter startet in die Selbständigkeit

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

WidmungBist du wahnsinnig geworden?Wie machen Sie das bloß?Da müssen Sie sich erst mal arbeitslos melden.Das kann ich doch auch alleine.Wie komme ich denn jetzt an Aufträge?Kenn ich Sie?Da geht doch alles drunter und drüber!Überraschen Sie mich, Frau van Laak!Sie sind unsere Rettung!Dafür wollen Sie auch noch Geld haben?Was macht denn das für einen Eindruck?Aufgeben gilt nicht, Frau van Laak!Einfach nichts sagen?Das nennen Sie Wachstum?Was wollen Sie denn in Zürich?Du warst den ganzen Sommer über im Büro, Mama.Was für ein Award?Wieso, Sie sind doch der Profi!Was machst du eigentlich genau?Toleranz – ich kann’s.Was ist schon sicher?Willst du das Schreibbüro in zehn Jahren immer noch führen?Nachwort
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Für Mechthild

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Bist du wahnsinnig geworden?

Oder warum ich mit 0 Euro eine Existenz gründete.

Sag mir, dass ich es schaffe.«

»Okay. Du schaffst es.«

»Echt?«

»Nein.«

Da saß ich nun. Mir gegenüber hockte Bertolt, ein alter Bekannter aus Studentenzeiten, in seinem orthopädisch optimierten Schreibtischsessel. Seine Sekretärin hatte er gebeten, eine halbe Stunde lang keine Gespräche zu ihm durchzustellen, er habe eine wichtige Unterredung. Und zwar mit mir, der Studienfreundin, die er von einem idiotischen Vorhaben abbringen müsse.

»Vorsichtig gesagt, du bringst nicht gerade die idealen Voraussetzungen mit«, beeilte sich Bertolt, sein kategorisches »Nein« abzumildern.

Ich glaube, er hatte Angst, ich könne in Tränen ausbrechen. Dabei weckte sein Urteil über meine geplante Selbständigkeit keine Verzweiflung in mir, sondern eher so etwas wie Widerstandsgeist.

»Mensch, überleg doch mal. Vier Kinder, alle noch in der Schule. Alleinerziehend. Keine Kohle. Fünf Jahre aus dem Beruf raus. Du kennst niemanden aus dem Business.«

»Sieben. Es waren sieben Jahre, Bertolt.«

»Na toll. Denk an das Risiko. Auftragsflauten. Kaum Freizeit. Urlaub kannst du knicken. Was ist, wenn ein Kind krank wird? Oder alle kriegen die Masern? Wie willst du das denn machen? Bist du wahnsinnig geworden?«

»Masern hatten sie alle schon. Windpocken auch. Und wenn mich das, was ich in den letzten drei Jahren erlebt habe, nicht hat wahnsinnig werden lassen, dann brauche ich jetzt auch nichts mehr zu fürchten.«

Mein Entschluss vor einigen Jahren, mich als vierfache, alleinerziehende Mutter ohne Kapital selbständig zu machen, kam nicht ganz freiwillig. Unzählige Versuche, einen Job zu finden, der uns fünf durchbringen würde, waren fulminant gescheitert. Mit den kleinen Nebenjobs, die ich ergatterte, kam ich finanziell ohne ergänzende Sozialleistungen nicht aus. Die Aussicht auf ein von den Behörden bestimmtes Bittsteller-Dasein war mir (und den Kindern) ein Graus.

»Dein Gründungswillen in Ehren, aber du hast sie doch nicht mehr alle«, kommentierte Bertolt. »Noch mehr Unsicherheiten in deinem Leben? Wir leben in einer Eigentumswohnung, das hilft uns, wenn meine Agentur mal nicht genug abwirft. Sabine kümmert sich um Mareile und Tim, ich hab den Rücken frei. Du bist viel besser als Angestellte aufgehoben. Bewirb dich weiter!«

In der Gründung eines eigenen Unternehmens sah ich nicht so sehr Risiken, wie Bertolt es tat, sondern vor allem Chancen: mehr Unabhängigkeit, mehr Flexibilität, mehr Familienkompatibilität, mehr Talententfaltung – und auf lange Sicht vielfältigere Möglichkeiten, mehr Geld zu verdienen. Sicher, ich musste mich auch mit den klassischen Vorurteilen gegenüber der Selbständigkeit auseinandersetzen. »Selbst und ständig« heißt es so schön. Wer sagte mir, dass es bei mir genauso sein musste?

Als jemand, der den Spagat zwischen Beruf und Familie in den Griff bekommen wollte, fand ich die Szenen aus den abhängigen Beschäftigungsverhältnissen im Gegensatz zum Szenario der Selbständigkeit viel schlimmer.

Der Chef einer großen Kanzlei hatte zu meiner Freundin, einer jungen Anwältin und Mutter eines 13 Monate alten Kindes, gesagt:

»Warum gehen Sie schon? Es ist erst 18 Uhr.«

»Ich bin seit 8 Uhr hier und eigentlich nur halbe Tage beschäftigt.«

»Der Tag hat 24 Stunden, und die Hälfte sind zwölf Stunden.«

 

Es hatte ein auslösendes Moment für meinen Entschluss, mich selbständig zu machen, gegeben. Ich hetzte wieder einmal von einem schlecht bezahlten, kleinen Job zu spät nach Hause, es war ein dunkler und nebliger Winterabend. Die Kinder hatten ihren Wohnungsschlüssel nicht dabei, und als ich auf den Hof des Mietshauses kam, bot sich mir ein seltsames Bild: An unserem wackeligen Gartentisch saßen die beiden Großen, Jonas und Frieda, in ihren dicken Jacken und Handschuhen und machten Hausaufgaben. Ihre beiden jüngeren Geschwister Till und Millie standen etwas abseits in der Nähe der Haustür und sprangen abwechselnd hoch. Sie sorgten dafür, dass der Bewegungsmelder für das Licht an der Hauswand immer wieder ansprang, damit die Großen genug Beleuchtung hatten, um zu sehen, was sie da mit klammen Fingern in ihre Schulhefte schrieben.

Ich wusste nicht, welches Gefühl bei mir überwog: das Schuldgefühl (Rabenmutter!) oder der Stolz (Die wissen sich gut zu helfen!). Aber eines wusste ich ganz sicher: Die Kinder hätten seit einer Stunde ins Warme an unseren großen Küchentisch gehört, mit einer Mutter, auf deren zeitliche Absprachen sie sich hätten verlassen können. Ich hatte die Hetze satt. Ich hatte genug von den fremdbestimmten Tagesabläufen. Von den Abhängigkeiten von Arbeitgebern und Ämtern. Ich wollte selbst für meinen beruflichen Erfolg sorgen, mit einem Höchstmaß an Autonomie – und in jenem Moment, auf diesem dunklen, winterlichen Hof, mit Blick auf die vier frierenden (aber dennoch vergnügten) Kinder war der erste und schwierigste Schritt in die Selbständigkeit, nämlich der mentale, endlich getan.

»Ruf mich an, wenn du nicht mehr weiterweißt«, gab mir Bertolt noch mit auf den Weg, als die dreißig Minuten Gesprächszeit um waren. »Wenn ich dich schon nicht von deinem Vorhaben abbringen kann.«

»Niemand hält mich jetzt mehr auf!«

Und dann rief ich ihm noch keck über die Schulter hinweg zu: »Ich werd’s euch allen zeigen!«

Schon aus Prinzip rief ich Bertolt nicht wieder an. Dafür meldete er sich dann bei mir, um zum fünfjährigen Bestehen meiner Agentur zu gratulieren.

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Wie machen Sie das bloß?

Oder wie wichtig es ist, ein Team im Rücken zu haben.

Es gab vier Personen, die von Anfang an an den Erfolg dieses Unterfangens glaubten: Jonas, Frieda, Till und Millie, zu dem Zeitpunkt zwischen acht und vierzehn Jahre alt. Denn sie hatten am eigenen Leibe erfahren – wenn auch nicht immer ganz bewusst wahrgenommen –, wie sehr wir immer wieder in einer Sackgasse steckten.

Wenn Sie selbst mit dem Gedanken ans Sich-selbständig-Machen spielen sollten, werden Sie immer wieder Bedenkenträgern begegnen, die Ihnen von einer Gründung abraten. Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Statt sich darüber den Kopf zu zerbrechen, was alles nicht klappen könnte, machen Sie sich lieber Gedanken darüber, was alles klappen könnte. Achten Sie mehr auf Ihre Stärken als auf Ihre Schwächen. Menschen mit dem Mut zur Veränderung führen ein interessanteres Leben (allerdings auch ein anstrengenderes). Wenn Sie für eine Sache wahrhaftig brennen, dann machen Sie es. Der Rest ist gute Organisation und Expertise, die Sie sich in Form von Beratern mit ins Boot holen können. Machen Sie etwas, das Sie gut können, ganz egal, ob es das schon zigfach gibt. Nicht die Frage, ob das jemand braucht, ist interessant, sondern die Frage, was das Einzigartige daran ist, wenn Sie es machen.

Ich wusste, ich kann gut texten. Das können viele. Es ging darum, mein Alleinstellungsmerkmal, auch USP (Unique Selling Proposition) genannt, aufzudecken, das mich von den vielen anderen Textern und Lektoren am Markt unterscheiden würde. Manchmal zeigt sich ein solches Merkmal erst im Laufe der Arbeit. Bei mir waren es Einfühlungsvermögen und Anpassungsfähigkeit. Ich erspürte sehr schnell, was mein Gegenüber brauchte, und war in der Lage, mich dann blitzschnell darauf einstellen, auch inhaltlich. Ganz egal, ob es sich um einen Werbetext für eine neue Eissorte oder das Grundsatzpapier eines Ministeriums handelte.

Für mich war der Schritt ins Dasein als Selbständige gar nicht so groß wie anfangs befürchtet. Das Wesentliche, worauf es bei der Unternehmerpersönlichkeit ankommt, war ja bereits angelegt. In den vergangenen Jahren hatte ich Stehvermögen bewiesen, Einfallsreichtum und Führungsqualitäten, wenn es darum ging, ein Team von vier lebendigen Kindern zu steuern.

»Gute Texte werden immer gebraucht«, sagte ich im Familienrat zu meinen Kindern.

Wir diskutierten gemeinsam am Küchentisch die Konsequenzen meiner beruflichen Neuorientierung. Der Familienrat war unser wertvolles, demokratisches Instrument, um wichtige Belange unseres familiären Mikrokosmos zu besprechen.

»Machst du dann so Sätze für Fernsehwerbung?«

»Werden wir reich?«

»Oder du dichtest für Haribo?«

»Nö, Mama schreibt so Broschüren für Firmen.«

»Nein, die erfindet kostbarliche Wörter.«

Während sich die Sprösslinge mit meinem zukünftigen Portfolio auseinandersetzten, beschäftigte mich die Frage, wie sehr ich die vier als starkes Team im Hintergrund benötigen würde, um die Selbständigkeit erfolgreich aufbauen zu können.

Ein bisschen war das wie bei den von Experten diskutierten Fallstudien aus dem Harvard Business Manager, die typische Probleme des Manageralltags aufgreifen. Auch hier in der Küche ging es jetzt darum, innerbetriebliche Kompetenzen zu erkennen – Jonas war Meister darin, mit geringstmöglichem Aufwand das Bestmögliche zu erreichen; er war der richtige Mann für die nun notwendige Prozessoptimierung in unserem Unternehmen Familie. Auch ein wichtiges Thema: Talenteförderung. Frieda hatte einen sehr genauen Blick dafür, wann und wo welche Aufgabe in der Familie anstand. Die ideale Besetzung für den Posten Projektleitung Haushalt. Mit entsprechendem Einzelcoaching und gezielten Weiterbildungsmaßnahmen hatte ich an dieser Stelle mein Personal bereits erfolgreich entwickelt. Noch ein Fokus, den man als Managerin nicht vernachlässigen darf: Topleute halten. Till wurde mit Boni unserem Betrieb langfristig erhalten. Sie bestanden aus besonders großen Fleischportionen. Budget-Verwaltung? Die Haushaltskasse legte ich in die Hände einer vertrauenswürdigen Prokuristin, die die Grundrechenarten hervorragend beherrschte. Millie sollte später gegen Kinokarten auch noch meine vorbereitende Buchhaltung für das Büro übernehmen.

Nicht zu vergessen: kurzfristige Team-Erfolge schaffen. Im Sommer hieß das: Eis spendieren, im Winter: Waffeln backen.

 

Wie machen Sie das bloß?! Die Koordinaten Mutter, vier Kinder, alleinerziehend und selbständig rufen bei anderen immer wieder Erstaunen, Kopfschütteln, Respekt, aber auch Verwirrtheit, manchmal auch schreckhaftes Zurückweichen hervor. Natürlich ist das eine große Herausforderung, zwei Unternehmen auf einmal zu führen: Firma Familie und Firma Textagentur van Laak. Aber es ist keine Zauberei. Am Ende dieses Buches werden Sie wissen, dass auch ich nur mit Wasser koche. Allerdings müssen die Zutaten stimmen.

Dies ist kein Businessplan-Ratgeber, keine Existenzgründer-Fibel. Es ist eine Geschichte, die von den Widrigkeiten erzählt, wie sie vielen im Alltag begegnen. Es ist auch die Geschichte davon, wie ich lernte, diese als gegeben zu akzeptieren und das Beste draus zu machen. Meine Situation ist typisch für viele andere, die sich in der Lebensmitte befinden: Es kommt zu einem Bruch im Leben, vielleicht gab es schon die innerliche Kündigung im Job, eine Trennung oder einen Umzug in eine andere Stadt, oft ist wenig Geld da, es kommt zu einer beruflichen Neuorientierung.

Dieses Buch beschreibt einen – meinen – Weg in die Selbständigkeit. Dass kein Geld für Investitionen vorhanden war und ich nebenbei eine Menge anderer Dinge stemmen musste, habe ich mit vielen anderen Existenzgründern gemein. Sie werden ihre eigene Situation an der ein oder anderen Stelle womöglich wiedererkennen und auflachen (oder seufzen). Und wenn diejenigen, die mit dem Gedanken spielen »Sollte ich nicht vielleicht …?«, auf einmal mehr Mut und Lust auf ein Leben als Unternehmer bekommen, dann freue ich mich sehr.

 

»So, Kinder, jeder weiß jetzt über seine Haushaltsaufgaben Bescheid. Jonas, du fährst morgen einkaufen. Till, du hast Kochdienst. Gibt es sonst noch etwas zu besprechen?«

»Mama, wir finden, du sollst für Porsche texten.«

Schön, wenn insgesamt schon einmal vier Leute an einen glauben, dachte ich. Und fügte laut hinzu: »Wir fangen mit kleinen Brötchen an, die Torten kommen später!«

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Da müssen Sie sich erst mal arbeitslos melden.

Oder warum es manchmal besser ist, einfach loszulegen.

Ist die Entscheidung endlich gefallen, kann es nicht schnell genug gehen.

Zwei Stufen auf einmal nahm ich hinauf in die vierte Etage des Business Centers. Überall Glas und Stahl, dazwischen Sichtbeton, in die zugigen Flure waren Barcelona Chairs und entsprechende Sofas gestellt, als ob der unternehmerische Erfolg sämtlicher Mieter des Businessgebäudes von pseudo-avantgardistischer Architektur und der Möblierung durch Design-Klassiker abhinge.

Zimmer 405, Existenzgründer-Service, einmal laut geklopft, und hinein preschte ich, atemlos und voller Vorfreude auf mein großartiges Projekt, das mich seit vielen Wochen ununterbrochen beschäftigte: die Gründung einer kleinen Agentur für gute Texte.

Im Raum bremste ich sofort ab, denn unmittelbar hinter der Tür quetschten sich drei Personen an überdimensionierte Schreibtische, auf denen sich Aktenordner und Papierstapel türmten. Auf einem Tisch sah man vor lauter gelben Klebezetteln die Schreibtischunterlage nicht mehr, auf dem nächsten lag eine Computertastatur, auf deren Buchstabentasten sich überall ein bräunlich-schwärzlicher Film um eine helle, fettig glänzende Mitte gebildet hatte. Über allem waberte der Geruch von Filterkaffee, der seit Stunden auf der lauwarmen Heizplatte einer orangefarbenen Kaffeemaschine tapfer vor sich hin reduziert wurde.

Von den drei Mitarbeitern, zwei Frauen, ein Mann, schaute nur der Mann auf. Er saß rechts von mir und war ungefähr in meinem Alter, schwarzer Lockenkopf, etwas zu ernste Augen. Er trug ein ausgewaschenes, dunkelblaues T-Shirt und eine Hose aus feingeripptem Kord, die Füße steckten in schwarzen Lederschuhen, die vorne zehenschonend gerundet waren.

Ich stellte mich kurz vor, schaute dabei alle drei abwechselnd an, denn noch wusste ich nicht, bei welcher der drei Personen ich den Termin hatte, der mir per Telefon vier Wochen zuvor zugewiesen worden war. Die Frau links von mir hob kurz den Kopf, um sich dann wieder in ihre Unterlagen zu vertiefen. Der Lockenkopf seufzte.

»Da ist Frau Yildiz für zuständig. Aber die ist krank.«

Es folgte keine weitere Erläuterung. Ich wartete noch ein bisschen in das träge Schweigen der drei Menschen hinein. Die Pause schien ungewohnt lange, denn nun hoben beide Frauen gleichzeitig den Kopf, mit neugierigem Gesichtsausdruck.

»Ähm, ja, Frau Yildiz ist seit drei Tagen krank. Wann sie wiederkommt, wissen wir leider auch nicht«, ließ der Lockenkopf verlauten.

Meinen Namen hatte ich genannt und mein Anliegen vorgetragen, nämlich den Termin zur Erstberatung für Existenzgründer wahrnehmen zu wollen. Weder hatten die drei Mitarbeiter sich vorgestellt, noch gaben sie mir anständig Auskunft. Mein Elan fiel von Sekunde zu Sekunde mehr in sich zusammen. War das hier eine Beratungseinheit für Existenzgründer oder der Club der stillen Trinker schlechten Kaffees?

»Frau Yildiz geht also nicht. Wer von Ihnen könnte mich denn beraten?«, versuchte ich es.

Der Lockenkopf wand sich, während die beiden Frauen sehr schnell ihre Köpfe senkten und wieder mit ihren Papieren raschelten.

»Nee, das geht nicht, darauf sind wir jetzt nicht vorbereitet. Da müssen Sie nochmals wiederkommen, wenn Frau Yildiz wieder gesund ist.«

Die hellen Blätter der Grünlilien auf dem Fensterbrett zitterten leicht, als draußen ein Lkw vorbeidröhnte. Die eine Frau schloss das Fenster und quetschte sich dann an mir vorbei nach draußen auf den Flur, wo das Klack-Klack ihrer Absätze noch eine ganze Weile zu hören war. Die andere starrte gebannt auf ein Papier und machte sich Notizen am Rand, so dass die Message eindeutig war: nicht ansprechen.

»Das stört mich nicht, wenn Sie nicht vorbereitet sind. Ich habe nur ein paar Fragen«, wandte ich mich wieder dem Mann zu. »Ich störe auch nicht lange.«

Der Lockenkopf atmete tief ein und aus.

»Na gut, lassen Sie mal hören.«

Seine Kollegin am Schreibtisch gegenüber schaute kurz hoch – sie schien seine Reaktion erwartet zu haben. Sie verkniff sich ein Lächeln und senkte wieder den Kopf.

Herr Einenkel (seinen Namen erfuhr ich erst zum Schluss, als ich um seine Visitenkarte bat) hörte sich meine Fragen mit verschränkten Armen an. Mir ging es nur darum herauszubekommen, wie ich an finanzielle Mittel kommen konnte, ohne ein Darlehen aufnehmen zu müssen. Meine Gründungsidee verlangte keine großen Investitionen, jedoch wollte ich möglichst einen Mikrokredit, wie ihn zum Beispiel die Förderbank KfW anbietet, umgehen. Das Wort »Schulden« hatte in den letzten Jahren eine unschöne Präsenz in meinem Leben gehabt – nein, ich konnte das Gefühl, etwas zu schulden, nicht länger ertragen. Und ich hatte zu wenig Zeit. Ich wollte starten, und es musste auf Anhieb klappen. Die Person eines Gründers stellen wir uns ja gerne als jungdynamischen Kämpfer ohne andere Verpflichtungen vor – ich aber war 41 Jahre alt und hatte vier Kinder zu ernähren.

Ich hatte von einem Modell gehört, Gründerzuschuss oder so ähnlich, und ich dachte mir, dass dies passen könnte.

»Da müssen Sie sich erst mal arbeitslos melden.«

»Wie, arbeitslos?«

»Sie profitieren vom Gründungszuschuss nur, wenn der Ihnen aus der Arbeitslosigkeit in die Selbständigkeit hilft.«

»Aber ich bin doch gar nicht arbeitslos, ich meine, ich komme doch gerade so klar und will jetzt einfach loslegen und noch besser klarkommen.«

»Geht nur, wenn Sie arbeitslos sind.«

In meinem Kopf ratterten die Gedanken rauf und runter. Herr Einenkel schaute auf die Fingernägel seiner linken Hand und strich sich über den Handrücken. Er hatte offensichtlich alles gesagt und wartete auf meinen Abgang.

»Also wenn ich jetzt hin und wieder Übersetzungen mache und andere Jobs, dann reicht das nicht, um fünf Leute durchzubringen«, fing ich wieder an. Herr Einenkel schaute sich inzwischen seine rechte Hand an.

»Das Ganze soll endlich auf eine richtige Basis gestellt werden. Ich möchte eine Textagentur aufmachen. Das ist doch was Gutes, das ist doch förderungswürdig, oder?«

»Melden Sie sich arbeitslos, dann kommen Sie wieder. Dann ist auch Frau Yildiz wieder da und kann sich um Ihren Fall kümmern. Ich hab jetzt Mittagspause.«

Hilfesuchend blickte ich zum anderen Schreibtisch. Einenkels Kollegin hielt kurz mit dem Lesen inne.

»Ja, richtig, arbeitslos melden.«

Und sie las weiter. Ich sagte beiden Auf Wiedersehen und ärgerte mich, dass meine Verabschiedung dafür, dass man mich dermaßen hatte auflaufen lassen, viel zu freundlich geklungen hatte.

Ich stapfte den zugigen Flur entlang. Die hatten doch tatsächlich meinen Gründungsenthusiasmus abgewürgt. Aber nur für einige Stunden.

Von einer systematischen Gründung in einzelnen, durchdachten Schritten war ich ziemlich weit entfernt. Das Konzept erarbeitete ich mir nebenbei im Laufschritt. Rückblickend waren es meine Entschlossenheit und meine unbändige Energie, die das Projekt trotz der anfänglich fehlenden Struktur vorangebracht haben.

Allein schon meiner jüngsten Vergangenheit wegen kam der Weg über die Arbeitslosigkeit für mich nicht in die Tüte. Dabei wäre es natürlich das Einfachste gewesen, wenn ich mich formal arbeitslos gemeldet hätte und dann auf der Schiene Gründungszuschuss gefahren wäre. In den Jahren davor hatte ich jedoch Ämter satt gesehen – wenn ich auch nur das erste Formular hätte ausfüllen müssen, hätte mich das in eine regelrechte Depression gestürzt. Amt für Wohnraumsicherung, Sozialamt, Wohngeldstelle, Jugendamt – ich kannte sie alle. Und wollte nichts mehr damit zu tun haben. Sosehr mir staatliche Hilfe auf die Beine geholfen hatte, sosehr hatte mich das alles in eine Abhängigkeit gebracht, aus der heraus ich auf keinen grünen Zweig mehr zu kommen schien. Jetzt hatte ich endlich ein vernünftiges Ziel vor Augen, den Aufbau eines Redaktionsbüros, und das wollte ich partout autonom verfolgen.

Bevor ich mich zur Gründung einer eigenen Unternehmung entschloss, hatte ich mir auch Gedanken über Franchisekonzepte gemacht. Beim Besuch der deGUT (Deutsche Gründer- und Unternehmertage) informierte ich mich an dem Stand des Deutschen Franchiseverbands. Hier wurden mir in einer kurzen, kompetenten Beratung mögliche Franchisegeber genannt. Es waren die meist hohen Investitionskosten, die mich davon abhielten, diese Linie weiterzuverfolgen. Als Franchisenehmer ist man zudem weisungsgebunden gegenüber dem Franchisegeber. Eigenhändig Marketing-Entscheidungen treffen? Ein No-Go. Ein eigenes Kundenbindungskonzept entwickeln? Nein, das muss nach den Vorgaben des Franchisegebers laufen. Wo wenig Kapital nötig war, um in ein Franchisesystem einzusteigen, gab es oft einen anderen Haken. Zu mir hätte durchaus auch ein Nachhilfeinstitut gepasst, bis auf die Arbeitszeiten. Genau dann, wenn ich verstärkt für meine Kinder da sein wollte, nämlich nachmittags ab 17 Uhr, wäre ich im Institut gefordert gewesen. Außerdem hatte ich weiß Gott in meinem Leben schon genug mit Kindern und Schule zu tun, und jetzt noch auf der Arbeit? Nein, ich wollte raus, etwas Bunteres, anderes, Neues, raus in die Unternehmerwelt.

Spannend fand ich auch das Angebot eines Münchner Relocation-Unternehmens, als Franchisenehmer eine Filiale in Berlin aufzubauen. Ein klassischer Relocation-Dienstleister kümmert sich für Zugezogene aus dem Ausland um den Umzug und um die Verankerung am neuen Wohnort. Ein richtig guter Service stattet die Zuziehenden zum Beispiel bereits bei der Ankunft auf dem Flughafen mit Sim-Karten für das deutsche Mobilfunknetz aus, stellt den Kontakt zu Schulen, Kindergärten, Kirchengemeinden her, kümmert sich um einen Babysitter, legt eine Liste mit Einkaufsmöglichkeiten für koschere Nahrungsmittel an und so weiter. Das Allerwichtigste aber: Der Service muss rund um die Uhr erreichbar sein, ähnlich einer Hebamme, nur dass hier keinem Kind, sondern einem neuen Stadtbewohner auf die Welt geholfen wird. Diesen Service der ständigen Erreichbarkeit hätte ich als Alleinerziehende mit vier Kindern nicht bieten können, ohne mich völlig auszupowern oder die Kinder häufig sich selbst überlassen zu müssen.

Gründermessen bieten Selbständigen und solchen, die es werden wollen, eine gute Orientierung, um mehr über Branchen, Business und Finanzierungen herauszufinden. Es ist aber auch schon ein Fortschritt, wenn man die Messe verlässt und nun genau weiß, was man nicht will.

 

Meine nächste Anlaufstelle sollte die Wirtschaftsförderung sein. Ich hatte auf einer kleinen Tagung für Existenzgründer eher nebenbei etwas über diese Einrichtung aufgeschnappt und erhoffte mir dort eine fundierte Auskunft, was mein Unterfangen betraf. Das war im Prinzip richtig gedacht. Genau an dem Tag jedoch, an dem ich unangemeldet im Rathaus aufschlug, war die höchst professionelle und engagierte zuständige Sachbearbeiterin (ich lernte sie ein halbes Jahr später bei einer Netzwerkveranstaltung durch Zufall kennen) nicht im Hause. Ich wurde vom Sekretariat auf einen Kollegen verwiesen, der den Gang hinunter ein paar Zimmer weiter saß.

»Gehen Sie zu Herrn Wittstock, der war mal bei so einer Beratung dabei, der kann Ihnen bestimmt helfen.«

Herr Wittstock war ein netter älterer Herr in selbstgestricktem Pullunder. Er saß in einem kleinen, dunklen Büro und freute sich riesig über die Abwechslung. Ich trug (mit einer gewissen Naivität) mein Anliegen vor.

»Ich bin alleinerziehend mit vier Kindern. Ich habe mich eine Zeitlang nach dem Zusammenbruch meiner damaligen wirtschaftlichen Existenz und nach dem Scheitern meiner Ehe mit Gelegenheitsjobs, Sozialhilfe und Freelancer-Tätigkeiten über Wasser gehalten. Nun möchte ich alles auf professionelle Beine stellen und ein Redaktionsbüro eröffnen. Was gibt es für Fördermöglichkeiten?«

Herr Wittstock dachte lange nach. Dabei war meine Frage doch so simpel gewesen, fand ich. Ich half nach: »Ich meine, so eine Frau, allein mit vier Kindern, will sich selbständig machen, da gibt es vielleicht ein Frauenförderprogramm oder so?«

Herr Wittstock nahm eine dicke Broschüre aus dem Regal. Lesebrille auf und bedächtiges Blättern. Ich schaute mir die Wände und die Decken des Büros an. In den Ecken war alles grau von Staub und jahrelangen Renovierungspausen.

»Das sieht nicht gut aus«, sagte Herr Wittstock und schüttelte den Kopf. »Für so was wie Sie gibt es keine Förderprogramme.«

Er zog entschuldigend die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. Und ich dachte: Das gibt’s doch nicht, dass es nichts gibt.

 

Natürlich gab und gibt es etwas. Dennoch ist es nicht immer leicht, das Passende zu finden. Mittlerweile geben fast alle Städte eigene Ratgeber zur Existenzgründung heraus, in denen die möglichen Anlaufstellen aufgeführt sind. Manchmal muss ich schmunzeln, wenn ich in solchen Broschüren blättere. Denn auch aus heutiger Sicht gibt es sehr wenige Programme, in die ich damals gepasst hätte. Für mich tat sich etwas später eine sehr hilfreiche Nische aus dem Bereich des Kulturconsultings auf.

Nach meinem Gespräch mit Herrn Wittstock, das uns alle beide ratlos zurückgelassen hatte, schrieb ich alles auf, was ich brauchte, um mit meinem Business loslegen zu können. Die Liste umfasste einen Laptop (hatte ich schon gekauft und in kleinen Raten bezahlt), ein Faxgerät (vom Sperrmüll), Büromaterial (peanuts), eine Website (konnte teuer werden), eine Geschäftsausstattung (hm). Mehr stand da nicht. Alles in allem bewegte ich mich in einem Investitionsbereich, den ich auch alleine in kleinen Schritten stemmen konnte. Ich musste ja keine Waren einkaufen, keine Leute einstellen, kein Büro anmieten. Dies war der Zeitpunkt, da ich mich von dem Vorhaben, mit irgendwelchen Zuschüssen zu gründen, verabschiedete. Richtig gemacht. Es hatte außerdem den angenehmen Nebeneffekt, keinen Businessplan schreiben zu müssen. Jedenfalls vorerst nicht.

 

Einige Tage später ging das Telefon.

»Guten Tag, Yildiz hier«, meldete sich eine Frauenstimme. »Sie waren bei uns im Büro gewesen, ich war leider krank.«

»Nicht schlimm, ich habe mich jetzt sowieso für einen anderen Weg entschieden.«

»Ja, nein, ich wollte Sie nur auf etwas aufmerksam machen.«

»Schon kapiert, ich soll mich arbeitslos melden.«

»Nein, ja, wie Sie wollen, ich meinte aber etwas anderes.«

Ich horchte noch einmal auf.

»Mit Ihrer Geschäftsidee passen Sie auch in den Bereich Gründungen in der Kreativwirtschaft. Da gibt es eine kleine Einrichtung, die Künstler und andere Kreative berät. Dort können Sie an einem Coaching-Programm teilnehmen, das mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds gefördert wird. Sie zahlen pro Beratung bei einem Coach Ihrer Wahl nur sieben Euro zu pro Termin. Ich kann Ihnen das wirklich sehr ans Herz legen.«

Das klang zwar verlockend, aber wollte ich mich denn überhaupt coachen lassen? Ich bedankte mich bei Frau Yildiz, notierte mir ihre Empfehlung und wandte mich wieder (wie ich meinte) wichtigeren Dingen zu.

 

Wenn ich sage, dass in meinem Kopf ein großes Durcheinander herrschte, ist das noch untertrieben. Ich hatte lauter Einfälle, aber kein echtes Konzept. Wenn ich zurückschaue, habe ich dennoch fast alles richtig gemacht. Heute berate ich Unternehmen zu ihrem Außenauftritt, zu diversen Kommunikationskanälen – wie schade, dass ich mich selbst damals nicht so intensiv habe beraten lassen. Mir fehlte wohl der Abstand. Und das musste ich durch unermüdlichen Fleiß wieder wettmachen.

»Kunden in der Küche. Im Hintergrund Kinderstimmen bei Telefonaten. Eine Visitenkarte von Havestaprint. Eine Webpräsenz mit einem Baustellenschild.«

Viel schneller ging es für mich, zunächst zu definieren, was ich nicht wollte. Ich schrieb alles in meine Kladde, auf deren Deckel ich schwungvoll »Gründung« geschrieben hatte. In diesem solide gebundenen Blindband sammelte ich alles, was mir zur Existenzgründung in den Sinn kam – eine gute Idee. Es gab nicht einen einzigen Zettel, der hätte verloren gehen können. Auch heute mache ich es so: Bei großen Projekten kommt alles in einen eigens dafür eingerichteten, schönen Blindband. Schön muss er sein, denn das Auge arbeitet mit. Diese Methode mit den Kladden ist auch deshalb zweckmäßig, weil sich am Ende jedes Projektes leicht ein Resümee ziehen lässt. Wie ist das Projekt gelaufen, welche einzelnen Entwicklungsschritte gab es? (Man nennt es auch Evaluation oder Qualitätsmanagement.) Und falls es einmal mit einem Kunden böse werden sollte, dienen die im Band (mit Datum und Ort!) festgehaltenen Aufzeichnungen zur Beweisführung und/​oder Argumentation in einer kniffligen Situation.

Jedoch: Ich briet im eigenen Saft. Niemand, der mich spiegelte, der meine Überlegungen hinterfragte, oder den ich schlicht um Rat fragen konnte. Wie gut, dass ich irgendwann wieder in meinen Notizen auf Frau Yildiz’ Empfehlung stieß.

[home]

Das kann ich doch auch alleine.

Oder wie Ihnen Experten auf die Sprünge helfen.

Wenn man sich am eigenen Schopf wieder aus dem Sumpf zieht, darf man sich zu Recht als starke Frau bezeichnen. Noch dazu, weil die vier Kinder und ich das nahezu unbeschadet überstanden hatten.

Ich meldete mich bei der von Frau Yildiz empfohlenen Beratungseinrichtung zu einem Erstgespräch an. Als ich meinen Fuß in den Pavillon des kleinen Büros setzte, tat ich dies mit dem festen Vorsatz, mir nicht reinreden zu lassen.

Was ich bisher gewuppt hatte, sollte mir dieser Coach erst einmal nachmachen! Ich war in jedem Fall die Toughere von beiden, das stand für mich fest.

Mr. Coach war ein hagerer Typ mit einer leicht antiquiert aussehenden Norbert-Blüm-Brille. Aufmerksamer Blick, fester Händedruck, ein humorvoller Zug um den Mund. Und es ging gleich zur Sache.

»Nienhagen. Wir werden miteinander arbeiten. Am besten, Sie erzählen mir von Ihrem Vorhaben.«

»Gleich. Erst wüsste ich gerne mehr von Ihnen. Was ist denn Ihre genaue Funktion hier, Ihre Ausbildung, Ihr Werdegang?«

Herr Nienhagen schien etwas verblüfft zu sein. Aber ich wollte schließlich wissen, mit wem ich es zu tun hatte. Allein schon deshalb, weil ich mein Vorurteil bestätigt bekommen wollte (ich die Toughere von beiden). Und Herr Nienhagen erzählte in knappen Sätzen aus seiner Vita, die mindestens so bewegt war wie meine, mit dem Unterschied, dass er schon ein paar Jahre länger auf der Welt war und dadurch noch mehr erlebt hatte als ich. Man konnte ihn zu Recht als starken Mann bezeichnen.

»Und jetzt konzentriere ich mich auf Gründungen in der Kulturwirtschaft«, endete Herr Nienhagen. »Keine leichte Sache, denn die Gründungswilligen sind zwar kreativ, kommen aber BWL-mäßig oft aus dem Mustopf.«

Mein Vorsatz, die Toughere von beiden zu sein, war dahingeschmolzen, stattdessen spürte ich sehr deutlich, wie sehr der Mustopf an meinem Hintern klebte.

Mit Herrn Nienhagen verbrachte ich sieben Beratungseinheiten zu je sieben Euro. Jedes Mal lernte und lachte ich viel. Ich bin wahrhaftig kein Zahlenmensch (schließlich bin ich Texterin), aber mein Coach verhalf mir zu einem Grundverständnis für die betriebswirtschaftlichen Abläufe. Er zwang mich mit sanfter Gewalt dazu, einen Businessplan zu schreiben, und zwar nur um der Erkenntnisse willen, die ich dabei für mich gewinnen würde. Wir erörterten, wie sich eine Zusammenarbeit mit anderen Freelancern gestalten ließe, welche Rechtsform zu mir passte und um welche Dienstleistung man nicht herumkommt als Gründer, nämlich um die Juristen und die Steuerberater.

Ein Steuerberater musste her! Die Vorstellung, die Umsatzsteuer-Voranmeldung alleine machen zu müssen, die Einnahmen-Überschuss-Rechnung am Ende des Geschäftsjahres eigenhändig aufzustellen, die Einkommenssteuer-Vorauszahlungen zu prognostizieren – das war mir ein Graus. Für mich stand fest: Ohne einen Steuerberater geht es nicht.

Ein Bekannter, der ein großes Dentallabor führte, empfahl mir einen Steuerberater im Zentrum Berlins. Die Kanzlei Kerbel & Claasen war riesig und edel eingerichtet. Ich fühlte mich mit meinem Mikrobusiness fehl am Platze, war aber auch gespannt darauf, wie die Menschen hier mit der Größenordnung meiner Unternehmung umgehen würden. Die Sekretärin hatte einen Termin zur Erstberatung mit einem der beiden Partner der Kanzlei vereinbart. Nun saß ich Frau Claasen gegenüber, einer freundlichen älteren Dame, die mir sehr anschaulich erklärte, welche Dienstleistungen die Kanzlei anbot und in welcher Form die Mitarbeit des Mandanten erforderlich sei. Sie händigte mir eine perfekt gemachte Imagebroschüre der Kanzlei aus, in einer Lasche steckte eine CD.

»Das ist für Sie, damit können Sie gleich arbeiten. Sie finden für Sie voreingerichtet ein elektronisches Kassenbuch, digitale Formulare zur Fahrtkostenabrechnung, eine Liste zur Erfassung aller Ausgaben und Einnahmen. Sie können alle Daten bequem online an uns übermitteln und uns die entsprechenden Belege per Post zusenden. Auf Wunsch holt unser Fahrer bei Ihnen die Aktenordner ab. In jedem Quartal führen wir hier in der Kanzlei Mandantengespräche durch, um zu sehen, ob wir unter Umständen Anpassungen bei den Vorauszahlungen vornehmen müssen und um die Jahresabschlüsse genau planen zu können.«

Sie überreichte mir noch einige Broschüren und ihre Visitenkarte. Mit keinem Wort, keiner Geste, keinem Blick hatte Frau Claasen mich spüren lassen, dass hier ein Greenhorn vor ihr saß, das in den nächsten Jahren vermutlich nur hauchdünne Umsätze und damit keine nennenswerten Einnahmen für die Kanzlei generieren würde.

»Überlegen Sie es sich in Ruhe. Sie werden sicher noch eine andere Kanzlei besuchen. Rufen Sie mich an, wenn wir für Sie tätig werden dürfen. Wir würden uns freuen.«

Der zweite Steuerberater, den ich aufsuchte, hatte eine ansprechende Werbung in einem Online-Netzwerk geschaltet. Sein Büro befand sich in einem Neubaublock mitten in der Pampa. Gelbe Drainage-Rohre des Betonklotzes endeten im matschigen Nirgendwo, und kleinteiliger Baustellenmüll fegte über den Parkplatz. Auf der Suche nach der richtigen Klingel fand ich schließlich den Namen, jedoch ohne Zusatz von Büro oder Ähnlichem. Ich betrat eine Privatwohnung, in der ich im winzigen Flur über eine beachtliche Sammlung rahmengenähter Herrenschuhe in der gefühlten Größe von Elbkähnen stolperte. Der Herr bat mich in sein Arbeitszimmer, darin befanden sich ein Schreibtisch mit tiefschwarzer Tischplatte und ein Fitnessgerät mit ausladenden Aufbauten. Damit war der Raum voll.

»Na, dann erzählen Sie mal«, ermunterte er mich.

»Erzählen Sie doch erst einmal.«

»Gerne. Ich sage Ihnen, wie ich Steuerangelegenheiten für Sie steuern werde.«

Er hielt mir einen kleinen Vortrag, in dem sein Wortspiel noch zwei Mal vorkam. (Als Texterin bin ich da sehr empfindlich.) Mit ihm und mir in dem winzigen Raum war es so eng, dass ich das Gespräch nach einer Viertelstunde freundlich, aber bestimmt abbrach. Ich fühlte mich erdrückt und hatte keine Lust auf Baustelle, Herrenschuhe, Wortspiele und Folterbank.

Schließlich machte ich das, was Millionen täglich tun: Ich googelte nach dem Produkt bzw. der Dienstleistung, die ich benötigte. Und stieß auf ein Steuerbüro ganz in meiner Nähe. Telefonisch vereinbarte ich einen Termin mit Frau Sander, der Inhaberin des Büros. Frau Sander, von mir auf Mitte vierzig geschätzt, ganz in Ocker- und Brauntönen gekleidet, war eine Frau der Tat. In knappen Worten beschrieb sie ihre Arbeitsweise und ihre Auffassung vom Steuersystem (»Es ist ganz einfach: Steuern müssen gezahlt werden.«). Sie fragte meine Eckdaten ab, machte sich Notizen und gab mir aus dem Stegreif eine realistische Einschätzung meiner Gründungsphase.

»Schaffen Sie bloß nichts an. Kommen Sie mit so wenig wie möglich aus. Sparen Sie aber nicht an der Geschäftsausstattung. Im ersten Jahr werden Sie keine Steuern zahlen müssen. Welche Versicherungen haben Sie? Zeigen Sie mal, was wir absetzen können. Wie sieht es mit Altersvorsorge aus?«

Sie stand auf, um etwas in den dickbändigen Werken nachzuschlagen, die eine ganze Regalwand einnahmen.

»Mal sehen, wie wir es mit der Umsatzsteuer machen. Sie könnten unter die 7-Prozent-Regelung fallen. Moment, ich habe die Stelle gleich.«

Sie vertiefte sich in ein Buch mit winziger Typografie, für die ich eine Lupe benötigt hätte. Wie sie so dastand, akribisch den Gesetzestext absuchte, um mir eine relevante Beratung zukommen zu lassen, dabei ihr kastanienbraunes Haar zurückstrich, die Brille noch einmal zurechtrückte, da dachte ich: Das passt. Die lässt nicht locker, die ist Profi, die kümmert sich. Und dann war sie auch noch so nett anzuschauen. Vielleicht ein Fashion-Victim, dachte ich, aber einer mit Geschmack. Viel später begegnete ich Frau Sander einmal auf einer Lesung, die in einem der besonders schicken Modegeschäfte der Stadt stattfand. Nach der Veranstaltung verfielen einige Besucherinnen einem kleinen Kaufrausch, denn die patente Boutique-Besitzerin hatte die Lesung mit einer Modenschau kombiniert. Unter den sechs Frauen, die die Umkleidekabinen mit Klamotten und gefüllten Sektkelchen besetzten, war auch Frau Sander. Und ich.

Wir wurden ein Paar. Geschäftlich gesehen. Ich lernte, dass BWA betriebswirtschaftliche Auswertung bedeutet und nicht etwa die Abkürzung von Business Woman Award darstellt. Das Geheimnis der Umsatzsteuer und ihrer Vorauszahlungen wurde mir von Frau Sander schnell erklärt. Ich richtete ein eigenes Konto ein, auf das ich bei Erhalt von Honoraren den Durchlaufposten der Umsatzsteuer direkt überwies, um mich nicht dem trügerischen Bild hinzugeben, ich hätte brutto gleich netto verdient. (Diese fast schon einfältige Methode kann ich nur empfehlen. Ich wusste immer, was das Finanzamt monatlich oder quartalsweise von mir wollte.)

 

Nun wollte ich der Kanzlei Kerbel & Claasen Bescheid geben, dass ich mich für Frau Sander entschieden hatte.

»Einen Moment, Frau van Laak, ich stelle Sie durch.«

»Guten Tag, wie kann ich Ihnen helfen?«, begrüßte mich Frau Claasen freundlich.

»Ich habe mich für ein anderes Büro entschieden, das eine Nummer kleiner ist. Außerdem ist es hier direkt vor Ort, das ist für mich im Moment wichtig.«

»Das freut mich für Sie, dass Sie einen kompetenten Partner in Ihrer Nähe gefunden haben. Vielen Dank, dass Sie uns Bescheid geben.«

»Noch eine Frage, Frau Claasen. Sie hatten mir verschiedene Broschüren mitgegeben, auch die CD mit den ganzen Steuerformularen. Soll ich sie Ihnen zurücksenden?«

»Nein, behalten Sie das nur. Sie können das als Existenzgründer gut gebrauchen.«

»Darf ich auch Ihre digitalen Tabellen und so weiter verwenden?«

»Natürlich. Machen Sie das. So denken Sie immer an uns. Wer weiß, wie sich Ihre Geschäfte entwickeln, in zehn Jahren haben Sie vielleicht den Eindruck, dass wir besser zu Ihnen passen, und dann sehen wir uns wieder. Viel Erfolg!«

Frau Claasen verstand es sehr gut, auf ihre (potenziellen) Kunden einzugehen, und wenn ich nicht so zufrieden mit Frau Sander gewesen wäre, hätte es womöglich tatsächlich ein paar Jahre später ein Wiedersehen mit Frau Claasen geben können.

 

»Ein tolles Logo. Eine ansprechende Website.«

Mein Coach, Herr Nienhagen, bat mich aufzuschreiben, was ich genau wollte.

Einen Fehler wollte ich vermeiden: monatelang an einem perfekten Internetauftritt zu feilen, viel Geld und Zeit auf die Entwicklung eines Logos zu verwenden – und zu meinen, erst dann, wenn alles perfekt sitze, könne man starten. Im Idealfall geschieht das nämlich parallel, und wenn keine Zeit, kein Geld für die Gestaltung des Außenauftritts vorhanden sein sollte, dann legt man erst einmal ohne los. Letztendlich zählen die Persönlichkeit und die Energie, mit der man ans Werk geht.

Durch meinen Freundeskreis wurde ich über fünf Ecken mit einer Grafikdesignerin bekannt gemacht. Sie willigte ein, mir ein Logo und Geschäftspapiere zu entwerfen und sich eine pfiffige Homepage einfallen zu lassen. Existenzgründer können schrecklich nerven, und ich betete sie an für ihre Engelsgeduld. Die meisten Gründer (wenn sie dann endlich Fahrt aufgenommen haben) sind ehrgeizig, wollen alles genau nach ihren – oft falschen – Vorstellungen von Grafik und Design verwirklicht sehen, sind anspruchsvoll, oft unbelehrbar, ungeduldig – und haben kein Geld. So eine war ich auch. Dass die Designerin das Projekt mit mir nicht abgebrochen hat, macht sie in meinen Augen zu einer äußerst liebenswürdigen Person, zumal ich sie, wie es alle Existenzgründer zu tun pflegen, nicht besonders üppig bezahlen konnte.

Aber die Frau war (und ist!) echt klasse: Das Schriftzug-Logo war schnell entwickelt und hat in meinen Augen die richtige Mischung aus Zurückhaltung und hohem Wiedererkennungswert. Ich freute mich jeden Tag aufs Neue, dass ich meinen markanten Mädchennamen »van Laak« nach der Scheidung wieder annehmen konnte. Auf das Logo folgten die Entwürfe für eine beidseitig bedruckte Visitenkarte, wieder schlicht, aber auf der Rückseite mit einer typografisch ungewöhnlichen Lösung. Ich sprang im Achteck vor Begeisterung.

Was ich nicht machte – und das war richtig: die Entwürfe Mutter, Schwester, Onkel, Nachbarin zeigen, um dann doch nur vor vier oder fünf verschiedenen Meinungen zu stehen, damit zur Grafikerin zu gehen und diese damit zur Verzweiflung zu bringen. Nein, ich ließ die Entwürfe auf mich alleine wirken – und zeigte sie nur meinem Coach (als Auskenner) und meinen Kindern (stellvertretend für die Gabe der Intuition).

»Schöne Farbe«, meinte Millie.

»Die Visitenkarte sieht aber irgendwie leer aus«, war Jonas’ Kommentar.