AUGEN AUF UND DURCH - Autobiographie Band 3 - Satgyan Alexander - E-Book

AUGEN AUF UND DURCH - Autobiographie Band 3 E-Book

Satgyan Alexander

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Beschreibung

Die Autobiographie erzählt in acht Teilen das fast alltägliche Leben eines Mannes aus dem letzten Jahrhundert. Um dem Leser ein überschaubares Lesevergnügen zu bieten, wurde eine Dreiteilung des umfangreichen, im Jahr 2011 verfassten Werkes unter Berücksichtigung abgeschlossener Zeitabschnitte vorgenommen. Im 1. Band berichtete der Autor in lebhaften, sinnlich erfahrbaren Bildern von der Zeit des Krieges um Berlin, von der Jugendzeit, von ersten sexuellen Verführungen, der ersten Ehe und dem Alltag als angestellter Architekt in der geteilten Stadt. Im 2. Band wurden die wilden 60er und 70er Jahre lebendig, Partys, die Abkehr von der Familie, eine zweite Ehe, Herausforderungen im Beruf und andere rauschhafte Experimente, sowie eine monatelange Reise nach Afghanistan im VW Bus. Der 3. Band thematisiert die persönliche Veränderung des Protagonisten. Auf der Suche nach "Wahrheit" trifft er in dem Wahrheitssucher Ambrosius einen Anteil seiner selbst. In einer Folge virtueller Zusammenkünfte gelangen sie gemeinsam zu einer neuen Sicht auf die persönliche Schuld in einem Ehedrama. Im letzten Teil blickt der Autor auf die Zeit der 80er und 90er Jahre, in denen er als Astrologe und Therapeut in einem von ihm gegründeten Institut tätig war, sowie auf die sehr persönlichen, spirituellen Reisen nach Indien. Das Werk, AUGEN AUF UND DURCH bringt dem Leser einen Mann nahe, der, wie viele aus seiner Generation vaterlos aufwuchs und daher fast "ohne Eigenschaften" nach der Maxime lebte: Entscheide dich nach dem Lustprinzip.

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Zu dem Buch

Die Autobiographie erzählt in acht Teilen das fast alltägliche Leben eines Mannes aus dem letzten Jahrhundert.

Um dem Leser ein überschaubares Lesevergnügen zu bieten, wurde eine Dreiteilung des umfangreichen, im Jahr 2011 verfassten Werkes unter Berücksichtigung abgeschlossener Zeitabschnitten vorgenommen.

Im 1. Band berichtete der Autor in lebhaften, sinnlich erfahrbaren Bildern von der Zeit des Krieges um Berlin, von der Jugendzeit, von ersten sexuellen Verführungen, der ersten Ehe und dem Alltag als angestellter Architekt in der geteilten Stadt.

Im 2. Band wurden die wilden 60er und 70er Jahre lebendig, Partys, die Abkehr von der Familie, eine zweite Ehe, Herausforderungen im Beruf und andere rauschhafte Experimente, sowie eine monatelange Reise nach Afghanistan im VW Bus.

Der 3. Band thematisiert die persönliche Veränderung des Protagonisten. Auf der Suche nach “Wahrheit“ trifft er in dem Wahrheitssucher Ambrosius einen Anteil seiner selbst. In einer Folge virtueller Zusammenkünfte gelangen sie gemeinsam zu einer neuen Sicht auf die persönliche Schuld in einem Ehedrama.

Im letzten Teil blickt der Autor auf die Zeit der 80er und 90er Jahre, in denen er als Astrologe und Therapeut in einem von ihm gegründeten Institut tätig war, sowie auf die sehr persönlichen, spirituellen Reisen nach Indien.

Das Werk, AUGEN AUF UND DURCH bringt dem Leser einen Mann nahe, der, wie viele aus seiner Generation vaterlos aufwuchs und daher fast “ohne Eigenschaften“ nach der Maxime lebte: Entscheide dich nach dem Lustprinzip.

AUGEN AUF UND DURCH

Biographisches von der Suche nach

einem lustvollen Leben

von

Satgyan Alexander

Band 3

© 2018 Satgyan Alexander

Umschlaggestaltung Satgyan Alexander

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-7469-2002-3

Hardcover: 978-3-7469-2003-0

e-Book:       978-3-7469-2004-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

AUGEN AUF UND DURCH

Band 1

TEIL 1 Zeitsplitter

TEIL 2 Zeitausschnitte

TEIL 3 On the sunny site

Band 2

TEIL 4 Desolater Morgen

TEIL 5 Zeitbeben

TEIL 6 Morgenlandfahrer

Band 3

TEIL 7 Wahrhaftig gelogen?

TEIL 8 Die Jahre der Provinz

TEIL 9 Anhang

Als Vorwort

Eine leere Dose poltert über die Pflastersteine. Sie fliegt mit Schwung von rechts nach links, klebt einen Moment an einem Schuh und scheppert wieder nach rechts. Sie kullert, macht leise Nachschwingungen und bleibt unbeachtet liegen. Sie hat noch ihre Form und ich ahne, sie ist ein Sinnbild meiner Existenz. Kein Fuß trifft. Beine bewegen sich wie im Scherenschnitt von rechts nach links, von links nach rechts, dunkle Hosenbeine mit nackten Füssen in Sandalen. Glatt geschliffen schimmern die Pflastersteine im Regen, vom hin und her des täglichen Besorgens. Die Dose liegt geschützt in einer Vertiefung, Füße streifen sie leicht, sie wackelt, klappert, bleibt liegen. Jetzt kommen von links farbige Umhänge, aus denen Frauenfüße schauen. Eine helle Bewegung nackter Unterschenkel über den Boden, hin und her, durcheinander diagonal, schnelle Schatten werfend, bewegliche Schatten über graue Steine, vorbei an der Dose.

TEIL 7

Wahrhaftig gelogen?

I Aventures

II Officium

III L'occasione fa il ladro

IV Smoke gets in Your eyes

V Fluorescenes

VI Allein unterwegs

VII Free Jazz

VIII Resonanzen

IX Soave sia il vento

X Arietta

XI I'am going home

XII Brief an Ambrosius

XIII Türk Blues

XIV In the skys

 

Hinweis für musikliebende Leser: Die meisten der im Text zitierten Musikstücke sind bei Youtube original zu hören.

TEIL 8

Die Jahre der Provinz

I Ein neuer Start

II Eine Hausbegehung

III Ausflüge und Ausflüchte

IV Astrologisches

V Experimente in der Provinz

VI Centrum für bewusstes Leben

VII Die 2. Indienreise

VIII Die 3. Indienreise

IX Gedankenaustausch

X Was war denn das?

XI Jahreswechsel

TEIL 9

Anhang

WETTBEWERBE

PROJEKTE UND BAUTEN

IMMOBILIEN UND VERWALTUNGEN

AUSLANDSREISEN

I AVENTURES

Ich war auf dem Weg zu einem Treffen mit Ambrosius. Es war meine erste Verabredung und ich war angespannt und unruhig. Meine Gedanken waren mit Problemen meiner Vergangenheit beschäftigt. Nur wenige einzelne Passanten, die ich im Regen kaum wahrnahm, begegneten mir und auch einige Paare, die untergehakt nebeneinander gingen oder eng umschlungen in dem sommerwarmen Regen vorüber bummelten. Das alte Granitpflaster des Bürgersteiges glänzte und schillerte regenbogenfarben. Die Schaufenster spiegelten mich im abendlichen Licht. Mal war ich verborgen hinter den Fußgängern, dann wieder sichtbar mit meinem eleganten, hellen Strohhut in den Schaufenstern. Die Scheiben der Geschäfte erschienen mir wie Spiegel, in denen die Waren und Gegenstände zeitweise verdeckt waren, während einige Spaziergänger aus dem Strom der Passanten hervorgehoben wurden.

Einzelne Schaufensterscheiben reflektierten das Licht des zu Ende gehenden Tages in einem schwachen Rosa, andere schillerten in einem milden Grau. Die Befestigungsknöpfe glänzten metallisch silbern, grauschwarz, manche bronziert. Dann sah ich das Schild aufleuchten, das raffiniert in einer dieser Spiegelflächen eingelassen war. <A. Ambrosius - Wahrheitssucher>, darunter ein weiteres Leuchtfeld mit dem Hinweis <nach Vereinbarung, keine Kassen, nur privat, Dienstag, 10.30 Uhr>. Es war aber Donnerstag, 17.00 Uhr und ich war einbestellt.

Als ich mich auf Empfehlung vor einer Woche telefonisch anmeldete, waren mir von einer weiblichen Computerstimme des Anrufbeantworters die Modalitäten des Zugangs mitgeteilt worden: Das Leuchtfeld im rechten Augenblick berühren, also <nach Vereinbarung, nur privat> und dann den passenden Tag mit der vereinbarten Uhrzeit eingeben. Das kannte ich von den Wasseruhren der Gartenbewässerung.

Die gesamte Glasfront fuhr mit einem Laut menschlichen Aufseufzens in den Boden und ich sah vor mir einen Gang liegen, der sich in Spiegelflächen unwirklich entfernte. Beim Betreten des polierten Marmorbodens zuckte ich erschreckt von dem überraschenden Geräusch einer Toilettenspülung zusammen, das mit dem Weitergehen anschwoll und in ein Wasserfallrauschen verklang. Der Gang machte eine Biegung nach links und ich sah mich in den begleitenden Spiegeln mehr oder weniger verzerrt. Einige Spiegel vergrößerten meinen Körperumfang, andere machten mich noch dünner, als ich schon war. Witzig fand ich, dass mein Gesicht mal breit lachend oder tief betrübt erschien, obwohl ich sicher war, keine Grimasse zu schneiden.

Ein Wasservorhang hinderte mich am Weitergehen. Eine sonore und warmherzige Stimme stellte fragend meinen Namen in den Raum: “Herr Gynniarrr?“, wobei das <r> am Ende so lang gezogen rollte, dass es den Nachnamen verschluckte. Ein raffiniertes Echo. Ich war angenehm überrascht und fühlte eine freudige Erwartung. Es war mein erstes Treffen mit einem Jahrzehnt meiner Vergangenheit und ich hatte bis dahin noch keine Ahnung, was mich erwartete.

Die Person, die mir von Ambrosius vorgeschwärmt hatte, war mir zufällig begegnet: Eine präsente Frau, mittleren Alters mit dem Formenreichtum der Sofia Loren und eben auch sonst überzeugend, sodass ich mich recht bald dazu entschloss, die mir überlassene Telefonnummer anzurufen. Die Augen der <Loren> hatten so eine liebevolle Tiefe gewonnen, als sie den Namen Ambrosius aussprach, dass der Funke unmittelbar übersprang. Meine Neugierde war geweckt und der Wunsch nach Klarheit drängte mich , die Nummer zu wählen.

Der leichte Wasservorhang verebbte. Einzelne Tropfen fielen noch auf mich, während ich eine Lichtschranke passierte, die eine Fahrtreppe vor mir in Bewegung setzte. Die letzten Wassertropfen bewirkten einen Schauer des Entzückens auf meiner unbedeckten Haut, sodass ich wünschte, ich wäre nackt beim Durchschreiten des Wasserhimmels.

Kaum berührte ich die erste Stufe, änderte die Fahrtreppe ihre räumliche Dimension. Ich konnte mich noch am Handlauf festhalten, als die Treppe aus der Horizontalen nun als Laufband abwärts surrte. Dazu ertönte <Aventures> von György Ligeti, eine Musik, die ich in den siebziger Jahren hin und wieder aufgelegt hatte: Peitschenhiebe überlagert von Atemrasseln, Stimmen, Schreie, Wispern, erschauernde Erschöpfungslaute begleiteten mich in einen strahlend hell ausgeleuchteten Raum nach unten.

https://www.youtube.com/watch?v=xD83jd1zIzQ

Woher kam nur die Musik, die so ungemein gut zu meiner a ugenblicklichen Stimmung passte, zu diesen Gefühlen, die aufstiegen, sie emporzogen. Irgendwie hatte ich die Fahrrampe verlassen ohne zu stolpern. Das sichere Gefühl auf festen Boden zu stehen, verstärkte sich beim Anblick des Mannes, der mir entgegenkam, ohne dass ich eine Bewegung an ihm wahrnehmen konnte. Vielleicht lag das auch an dem weiten Umhang, der mich an eine marokkanische Dschellaba erinnerte. In strahlender Laune und mit ausgestreckten Händen ergriff er meine Schultern und dirigierte mich seitwärts nach rechts zu einer Sitzgruppe, während seine Augen in meine drangen und Impulse des Wohlbehagens auslösten. Seine Augen verströmten diesen ungewöhnlich seltenen Glanz eines kosmischen Funkens, der überspringt, wenn Grenzen nicht mehr existieren. Sein Gesicht war nicht nur von diesem Licht aus der unendlichen Ferne beherrscht, auch von einer alterslosen Frische mit vielen Lachfalten gezeichnet. Seine Nase war bemerkenswert gerade geformt über einer, von einer Furche gekennzeichneten, feminin geschwungenen Oberlippe. Die lockige, weich amorph wirkende Haarpracht verlor sich im Licht des Raumes.

Vom ersten Moment an hatte ich die Empfindung einer Erscheinung zu begegnen, die etwas von mir selber spiegelte. Blickte ich vielleicht in einen Alterszustand, der mir noch bevorstand? Ich wusste es nicht, konnte es nicht deuten. Ein angenehmes Gefühl von Sicherheit umgab mich in seiner Gegenwart in dem Augenblick, als ich mich in einem Sessel niederließ, der sich wie eine zweite Haut anschmiegte und beim Hineinsetzen ein Geräusch wie Ausatmen von sich gab. Der Körper von Ambrosius wurde mit demselben Klang aufgenommen, während er sich in unmittelbarer Nähe gegenüber setzte und mit einem auffordernden Kopfnicken “Ja und?“ raunte.

Aber nun fühlte ich mich verunsichert und beunruhigt. Was sollte dieser Empfang? War das die Begrüßung? War ich nun eingeladen, etwas von mir zu geben? Zeit verstrich. Ich wartete. Mir wurde klar, ich müsste etwas sagen. Nochmals kam von ihm ein unmerkliches Nicken und ein warmes “Ja und?“.

Also ließ ich die Anspannung los. Ich überlegte, warum ich gekommen war und ob die Musik zu meiner Begrüßung einen Sinn haben könnte. Hatte sie irgendetwas mit mir zu tun? Wo war sie eigentlich geblieben? Es war nun sehr, sehr still. Es lag so etwas wie elektrisches Knistern in der Luft, ein Geräusch, wenn Seidenpapier zerknüllt und wieder glatt gestrichen wird. Meine Gedanken wanderten umher und endlich formulierte ich innerlich einige Fragen: Warum? Warum bist du hier? Was treibt dich in diese Augen zu schauen? Und von ganz tief unten tauchten Empfindungen auf, die Metaphern gleich an die Oberfläche des Bewusstseins stießen, wieder versanken, erneut auftauchten und in Lebensthemen metaphorisch verwandelt, als gelesene Buchthesen <Abbitte>, <Flüchten oder Standhalten>, <Angst vor der Freiheit>, <Schuld und Sühne> vor meinem inneren Auge vorbeizogen. Dann sah ich wieder die klaren, verstehenden Augen, die mich anblickten, eindrangen, etwas in mir wecken wollten. “Ja und?“ zum dritten Mal.

Eine kurze Filmsequenz drängte in mein Bewußtsein und ich fing an zu erzählen, impulsiv, ohne Zeitangabe, ohne Einleitung, was ich innerlich sah: “Ich stehe in einer Stube im Obergeschoss unseres Bauernhauses. Ich sehe zwei wunderschöne Hintern, nackt strecken sie sich mir entgegen, der eine ist groß und prall, der andere jung und straff, beide sind einladend. Was soll ich machen? Ich lasse einfach alle Einwände fallen. Schmatzende Geräusche, kehlige Laute, das Aufeinanderprallen von Bauch und Po erzeugen mal einen vollen, dumpfen Ton, mal einen leichten, helleren Klang. Spitze Schreie, Kichern, glucksendes Lachen, befreites Knurren, zufriedenes Aufatmen, Plumpsen der sich drehenden Körper, die nun nebeneinander liegen und zufrieden zärtliches Wispern von sich geben. Gerüche, Düfte der Geilheit umgeben mich“.

Ich brach ab, hielt inne, musste zurückfinden zu mir und zurück zu Ambrosius. Dann drängte es mich fortzufahren, “eine Tür wurde aufgerissen und meine Frau stand mit wütendem Gesicht im Türrahmen: “Müsst ihr so einen Lärm machen, wenn ich unten mit meiner Frauengruppe arbeite?“ Wir sagten nichts, zogen nur die Laken über unsere Körper. Meine Frau drehte sich um, knallte die Tür zu und stapfte die Treppe hinunter zur Verabschiedung der Frauengruppe, die eine Therapie-Stunde lang ihre Eheprobleme ausgebreitet hatte“.

Ambrosius blickte mich unverwandt an, irgendwie neutral, fand ich. Er sagte nichts. Ich fühlte mich dazu animiert weiter zu reden, “das war damals, 1979 in Hohe, in einem Dorf mit 200 Seelen, in dem ich sieben Jahre vorher ein Grundstück für meine Frau erworben hatte, als Ersatz für den verloren gegangenen Garten ihrer Kindheit. Ihr Kleingartenparadies von 100 qm hatten wir eingetauscht gegen ein Grundstück von 7000 qm mit einem Bauernhaus aus dem Jahre 1815, mit Scheunen, Ställen, Miste, Vorgarten, Seitengarten und einer riesigen Obstwiese, eingetauscht ohne zu ahnen, was auf uns zukommen sollte. Ich wollte raus aus Berlin und aus dem Altag der Ehe. Mit dem Verkauf eines alten Miethauses, dem Erbstück meiner Frau, wollte ich die Gelegenheit wahrnehmen, den Sprung aus unserer engen Beziehungskiste zu wagen. Es war ein weiterer Versuch in einer ganzen Reihe, die ich nach drei Jahren Eheglück bereits unternommen hatte“.

“Ja und? Wo ist das Problem?“, die Frage von Ambrosius irritierte mich. Offenbar war ich noch nicht zum Kern gelangt. Was könnte ich ihm noch berichten? Eine Renate fiel mir ein, Sozialarbeitersex, gruppendynamische Trainings, Besuche in der H.d.K, architekturkritische Lehrveranstaltungen mit Julius Posener, eine Eltern-Kind-Gruppe ohne eigenes Kind. Wo sollte ich beginnen? Waren das alles Versuche von meiner Frau wegzukommen?

“Ja“, hörte ich nun meine Stimme in der Stille des Raumes, “ich wollte weg von Edda, meiner Frau, aber ich konnte nicht. Das Leben mit ihr war bequem und verführerisch. Ich musste nicht arbeiten. Ich machte das, wozu ich Lust hatte. Ich hatte mich an Mietund Pachteinkünfte gewöhnt und nutzte die Zeit nach unserer Afghanistanreise zur Neuorientierung“.

“Lassen Sie sich Zeit“, das war doch die Stimme meines Professors von der Meisterschule, “Sie brauchen Zeit um sich zu entwickeln, vielleicht bis zum 30sten Lebensjahr“. Als er mir das sagte, war ich 22, aber nun war ich bereits 30. Meine erste Karriere als angestelter Architekt hatte ich als Projektleiter bereits erfolgreich beendet. Aber mit der Verantwortung für das, was Menschen auf sich nehmen, also ein eigenes Büro, eine Familie usw. wollte es bei mir nicht klappen. Die Suche nach meiner persönlichen Aufgabe hielt mich weiter auf Trab“.

Ich räusperte mich, suchte nach einem Faden in meiner Geschichte. Da fiel mir die Sache mit dem Brand der Gaststätte in dem Miethaus meiner Frau ein.

“Im Herbst 1970 brannte die alte Gaststätte aus, von deren Einküften wir lebten. Ich kümmerte mich sofort um die Neugestaltung. Zuerst musste jedoch die Ursache des Brandes geklärt werden. War es vielleicht Brandstiftung gewesen, weil der Bierkonsum in den alten Räumen nicht mehr brummte? War es Unachtsamkeit? Ein technischer Defekt? Übrig blieben jedenfalls eine verkohlte Theke, eine zusammengeschmolzene Musikbox, Rauchschwaden und ein verbrannter Hundekadaver. Wir waren entsetzt und versuchten naheliegende Fragen zu beantworten. “Und du meinst, die haben den Hund vorher eingeschläfert? “ fragte mich meine Frau. “Naja, der hätte doch schrecklich gebellt, wenn er Rauch und Knistern des Feuers bemerkt hätte “, war meine Antwort. “Ich wundere mich, dass die Deckenbalken nicht angebrannt sind. Das ganze Gebäude hätte abbrennen können. - Sieht so aus, als wäre das Feuer gezielt kontrolliert worden. Der Umsatz des Bieres wurde doch immer geringer. - Stimmt, der Wirt hatte bereits einige Male darüber geklagt, die Kneipe wäre zu alt, die Leute gingen in die moderne um die Ecke. - Aber deshalb den Hund umbringen? Er liebte ihn doch wie ein Kind! - Und seine Frau? - Ihr traue ich es schon zu“.

“Das waren unsere Erklärungsversuche. Der Hund, ein schöner Schäferhund, war in der Küche zum Opfer des Feuers geworden. Es war ein gutes Alibi, nicht wahr? Die Versicherung übernahm jedenfalls ohne Einwände die Kosten des Wiederaufbaus. Zwei Monate später eröffneten wir die Gaststätte im neuen Outfit mit zeitgemäßer Innenarchitektur als <bürgerliches Speiselokal> unter Anteilnahme der örtlichen Presse. Die kurzweilige Euphorie der Planung und Bauleitung ging nun in einen Winter der Behaglichkeit über“, beendete ich die Geschichte ironisch.

Verunsichert zupfte ich an meinen Haaren und blickte zu Ambrosius. Er sah mich lächelnd an, was ich als eine Aufforderung interpretierte, so weiter zu machen ohne zu wissen, wohin mich die Geschichten führen würden.

“Eine weitere Modernisierung des Miethauses war von uns in die Zukunft verschoben und mir erschien die Zeit endlos vor sich hin zu fließen. Ich hatte nichts zu tun“.

“Hm“, machte jetzt mein Gegenüber und erinnerte mich an meine ursprüngliche Absicht, mich der Vergangenheit zu stellen.

“Nun ja“, fuhr ich fort: “wir lebten in jener Zeit wie ein klassisches Ehepaar ohne Kind, zuweilen auch als Kleinfamilie mit Kind. Meine siebenjährige Tochter besuchte uns alle 14 Tage. Die Übernachtungen wurden zu einer lieben Gewohnheit. Meine Frau ließ sich auf eine fürsorgliche Rolle ein, die mich erfreute. Wir lagen den Sonnabendvormittag lange im Bett, zwischen uns die Tochter und genossen das Familienglück. Ich dachte in jenen Tagen gelegentlich sogar an ein Kind für unsere Beziehung“.

Unsicher, ob ich so weiter machen sollte, blickte ich zu Ambrosius, der mich verschmitzt ansah. Seine Augen strahlten, ich deutete dies als Zustimmung,

“Dieser Gedanke war natürlich nicht von Dauer. Ich hatte dann eine andere Idee, die für einen gewisssen Ausgleich sorgte. Anfangs des Jahrzehnts gründeten sich in Berlin überall Eltern-Kind-Gruppen. Junge Eltern wollten ihre Kinder nicht mehr den Einrichtungen der <schwarzen Pädagogik> überlassen. Ich fand diese Ideen auch großartig: antiautoritäre Erziehung, Schule in Summerhill, Flower-Power-Bewegung! So etwas wollte ich auch unterstützen. Wir hatten doch Räume im Hinterhaus, die ausgebaut werden konnten. Der Garten als Spielplatz war ebenfalls vorhanden. Meine Frau hatte viel freie Zeit und ich wollte aus der engen Beziehung raus. “Was hältst du davon, auf deinem Grundstück eine Eltern-Kind-Gruppe zu initiieren? Du könntest ja ein bisschen die Aufsicht vormittags übernehmen“, schlug ich ihr vor. Ich brauchte einige Zeit um sie zu überzeugen, ohne meine Hinterge danken zu verraten: “Mal sehen, wie sie mit kleinen Kindern zurechtkommt“.

“Und?“, unterbrach mich die sonore Stimme von Ambrosius.

“Wir fanden Eltern, die interessiert waren. 4 oder 5 Paare, Akademiker, Handwerker, einen Autohändler, alle mit einem Kind. Die anfängliche Begeisterung und Anerkennung für unsere Initiative wich sehr bald den wöchentlichen Streitereien. Unterschiedliche Einkünfte stießen auf divergierende Bildungsauffassungen: “Unser Kind soll nur Holzspielzeug erhalten. - Wir wünschen eine musikalische Förderung. - Hauptsache, der Johann lernt sich durchsetzen!“ Und dazwischen meine Edda. Als ideale Angriffsfläche ohne Pädagogikkenntnisse ergriff sie die Flucht in die vertraute Rolle der Hausbesitzerin: “Der Garten kann aber nicht so verwüstet zurück gelassen werden. Auch im Hof liegen überall Spielsachen. Soll ich das alles aufräumen?“

“Und weiter gingen die Diskussionen in den folgenden Wochen: “Wir plädieren für eine ausgebildete Kraft, egal was es kostet. - Das kann ich mir nicht leisten. - Warum können wir nicht abwechselnd die Aufsicht übernehmen? - Die Männer könnten auch mal einspringen. - Unmöglich, meine Frau kann keine Autos verkaufen!“ Es rumorte und wir zogen uns zurück, kassierten noch eine Nutzungsgebühr, bis die Gruppe sich auflöste. Jetzt hatten wir erneut leere Räume vor uns und eine Erfahrung des Scheiterns hinter uns. In der Beziehung waren wir auf uns zurückgeworfen.“

Ich schwieg. Ambrosius sah mich unverwandt an und nickte.

“Daraufhin wurde mir von Tag zu Tag klarer, ich müsste etwas für meine eigene Entwicklung tun. Das Studium gruppendynamischer Prozesse aus Büchern konnte wohl nicht die Praxis ersetzen. Irgendeine soziale Institution, ich weiß nicht mehr den Namen, bot eine praktische Einführung für Sozialarbeiter an. Ich informierte mich voll Verlangen nach Abwechslung vom täglichen Zeittot schlagen und den Radtouren durch den Spandauer Forst. “Hast du nicht Lust auf eine Fahrradtour? Am Friedhof vorbei zu der Konditorei mir der Zitronencremetorte?“ Edda mit ihren Vorschlägen! Das anschließende Vögeln verbrauchte zwar Kalorien, aber doch nicht täglich dieselbe Tour! Bis auf wenige Ausnahmen waren wir in Spandau permament zusammen, nur wenn die Spielautomaten repariert oder die Schallplatten der Musikbox ausgetauscht werden mussten, fuhren wir in die Stadt. Die Sohlen brannten mir unter den Füßen. Ich hatte deswegen auch schon mal in der Hochschule der Künste reingeschaut. In der Zeitung fand ich eine Notiz zu einem neu eingerichteten Lehrstuhl der Architekturkritik. Das schien mir nach meiner politischen Erweckung in Afghanistan sehr interessant zu sein. Vor allem, weil Julius Posener den Lehrstuhl übernommen hatte. Posener hatte in London den Krieg überlebt, in Malaysia eine Architekturschule gegründet und sich in Berlin großes Ansehen als Retter der Muthesius-Villen verschafft. Durch seine Veröffentlichungen wurde das Bewusstsein für den Wert und Erhalt der Jugendstilbauten geschärft“.

Meine Augen suchten den Kontakt zu Ambrosius, es kam keine Reaktion. Er ließ mich reden, beobachtete mich, kratzte sich mal mit der rechten Hand die Stirn, wirkte irgendwie aufgeräumt. Wie sollte ich mit der Situation umgehen? Ich entschied fortzufahren: Augen auf und durch!

“Meine Neugier auf Posener wurde noch größer, als ich von seinem Assistenten erfuhr, dass eine Arbeitsgruppe existierte, die durch Befragungen der Bevölkerung nach soziologischen Standards den Neubau des popmodernen U-Bahnhofs am Fehrbelliner Platz ins Visier nehmen wollte. Ich schloss mich an und wir entwickelten Fragebögen, stellten uns vor den Bahnhof, sprachen die Leute an, machten Kreuze in Spalten, werteten aus und kamen zu Ergebnissen, die nichts wirklich Neues brachten. Die Berliner äußerten sich teils ablehnend, teils zustimmend. Eine Beteiligung bei der Gestaltung von öffentlichen Bauten konnte sich damals kein Mensch vorstellen. Wir gaben das Projekt nach 2 Jahren auf“.

Abermals brach ich ab, sah sein Gesicht mit den Lachfalten und seine Augen, die unergründlich schienen. Also weiter, diese Geschichte zu Ende bringen.

“Für mich wurde die Arbeitsgruppe der Zugang zur Hochschule der Künste, die nun mein Zuhause wurde und die ich nach dem Diplom als Stadtplaner im Sommer 1975 verließ. Es war die bewegende Zeit der Studentenparlamente, der politischen Auseinandersetzungen mit konservativen Professoren und revolutionären Besserwissern. Junge Diplomanden der TU übernahmen die Lehre an der Hochschule, unterstützt von mehreren fortschrittlichen Professoren. Ich schloss mich ihnen an, hielt als Tutor und Lehrbeauftragter Vorlesungen zur Innenarchitektur und hatte zunehmend Sympathieerfolge bei Studenten und…. Ich “. Meine Stimme verlor ihre Kraft. Sie wurde leiser und leiser. Ich konnte nicht mehr sprechen.

Ambrosius äußerte sich nicht, saß abwartend in seinem Sessel, er lächelte und nickte vielsagend. Dann hörte ich leise sein “ja und?“ oder sagte er, “na und?“ und mir fiel ein, dass ich nicht davon erzählt hatte, was mich wirklich bedrückte. Es begann vor meinen Augen zu flimmmern, mein Bewußtsein entschwand, ich fühlte mich isoliert, ohne Kontakt zu ihm und dem Raum. Dann hatte ich den merkwürdigen Eindruck, dass er sich entmaterialisierte, dass er entschwand.

Später fand ich mich auf einer Straße wieder, die mir völlig unbekannt war. An das Ende des Treffens kann ich mich nicht erinnern, hatte er sich von mir verabschiedet? Zuhause fand ich in meiner Hosentasche einen Zettel mit einer Notiz für eine nächste Sitzung an dem Donerstag in 14 Tagen. Sehr merkwürdig!

II OFFICIUM

Es war also wieder Donnerstag und das Wetter war angenehm. Es war nicht so warm und es regnete nicht wie vor 14 Tagen. Die Wolken waren licht, die Sonne schien zuweilen d urch eine Lücke, sodass ich den leichten Stoffmantel aufknüpfen konnte. Vom schnellen Gehen war mir warm geworden und die Gedanken, die ich nicht kontrollieren konnte, erzeugten eine innere Unruhe, die mich weiterhin aufheizte.

Wie war ich eigentlich vor 14 Tagen auf die unbekannte Straße gekommen? Ich konnte mich überhaupt nicht an das Ende der Zusammenkunft erinnern. Ob und wie Ambrosius mich verabschiedet und wie ich die Räumlichkeiten verlassen hatte. Wirklich mer kwürdig! Keine Erinnerung! Amnesie vielleicht? War irgendetwas, das ich ihm erzählt hatte, so peinlich gewesen, dass ich mich nun gar nicht erinnern konnte? Möglich war es schon. Hatte ich wieder angegeben? Was hatte ich denn eigentlich berichtet? Hatte ich schon von dem Seitensprung mit der Renate erzählt, der ich beim Seminar der Sozialarbeiter begegnet war. Ich glaube nicht. Ambrosius schien sowieso nicht besonders an diesen Nebensächlichkeiten interessiert zu sein. Ich hatte ja die ganze Zeit den Eindruck, als würde ich aus einem Papierkorb Zettel mit alten Geschichten aufklauben und sie mir selbst wiedererzählen. Er wirkte wirklich nicht sehr interessiert. Na ja, ich war auch nicht hingegangen um ihn zu unterhalten. Aber was wollte ich eigentlich von ihm? Eine gute Frage!

Und warum ging ich schon wieder auf dieser Straße mit dem Kleinmosaikpflaster und den schicken Geschäften mit Herrenmode aus den 50er Jahren. Die alten Schaufensterkonstruktionen aus jener Zeit mit abgerundeten Scheiben an den Ecken waren auch zu unwirklich. Wie diese Gläser die Wirklichkeit verzerrten. Es erinnerte mich an die Geschichten, die ich so von mir gab.

Hatte Ambrosius beim ersten Mal nicht so beiläufig gesagt: “Was wären Sie denn ohne Ihre Geschichten?“ Oder hatte er mich geduzt? “Was wärest du denn ohne deine Geschichten?“ Komisch, dass mir das auch durch die Lappen gegangen ist. Anyway! Was wäre ich also ohne meine Geschichten? Wie wäre ich durch die Welt gekommen ohne die Geschichten, die ich mir nun immer und immer wieder erzähle. Könnte ich diese Erinnerungen einfach auslöschen? Und dann?

Wie spät ist es eigentlich? Ah, ich habe noch 10 Minuten und da vorn ist schon die Glasfront mit seinem Namensschild.

Der Hut ist wirklich hübsch, den ich heute trage. In den Spiegelflächen des Antiquitätenladens mache ich trotz meines Alters noch eine gute Figur. Irgendwie zeitlos, als gehörte ich in diesen Salon, der sich hinter der Scheibe erstreckt. Die 50er Jahre Möbel sind jetzt auch wieder Antiquitäten. Hm, dieser hübsche Nierentisch mit den Cocktailsesseln. Tja, und dahinten diese Stehlampe mit den Tütenschirmen. Die Dame im Hintergrund erscheint auch irgendwie zeitgemäß antiquarisch. Hübsch sieht sie aus mit dem ausgestellten karierten Rock und dem eng anliegenden Oberteil. Diese Frisur, sag mal, ist das nicht ein Pferdeschwanz? In ihrem Alter? Ist aber ungewöhnlich. Ein bisschen erinnern mich Gesicht und Haltung auch an die Renate. An die Renate aus dem Seminar. Es gab ja auch noch die andere Renate, die aus dem Basement vom Hohenzollerndamm. Die Renate mit den rappelkurzen Haaren und dem kleinen Jungen. Sehr attraktive Frau und mutig. War sie doch mit ihrem Kind allein für einige Monate durch Madagaskar gezogen und kam ziemlich abgeklärt zurück in ihre Wohnung dort im Untergeschoss des Hauses am Hohenzollerndamm. Vorher hatte ich sie nur als eine Mieterin gesehen. Aber nach der Rückkehr, wann war das eigentlich? 1975 oder so? Tolle Frau! Wir hatten uns tief in die Augen geblickt und uns sogleich verabredet für ein Wochenende in ihrem Elternhaus in Kladow. Die Eltern waren verreistund meine Frau war auf dem Bauernhof in Hohe. Ich brauchte mir nicht mal eine Ausrede auszudenken.

Renate war wirklich eine geile Frau, hübsche Figur und intelligent, mit den kurzen Haaren wie ein Hundefell und sonst überall rasiert. Das habe ich aber erst später zu Gesicht bekommen. Den ganzen Samstag hatten wir alle möglichen Tees als Aphrodisiaken zu uns genommen. Yohimbin-Baumrinde aus Südamerika und Tuiknanyin Tee. Ganz luftig und weich wurden wir. Dann hatte sie noch Damiano-Blätter in Orangenlikör eingelegt. Unglaublich geile Phantasien kamen über uns. Wir schwebten geradezu über die Gartenwege, liefen untergehakt in einer unwirklichen Leichtigkeit umher, bis wir am Abend mit Spargelgemüse unserem Rausch noch eins draufsetzten. Bevor sie das Gemüse kochte, schnitt sie die Köpfe ab und steckte sich die Spargelstangen in die Möse. “Du kannst dir nicht vorstellen, wie der Saft bei mir wirkt!“ Nein, das konnte ich nicht. Sie wandelte, kindlich vor sich hin glucksend, durch das Haus. Ich war total erregt bei dem Anblick mit den Stielen in der Möse. Nach dem Kochen und Essen des Spargels fanden wir uns auf dem Bett in ihrem Mädchenzimmer wieder. Sie war nun total immateriell vollgedröhnt, kam überhaupt nicht zum Orgasmus. Das war schön, aber auch anstrengend. Mit ihrer aufgeplusterten Möse lag sie da, dem eigenen Rausch hingegeben, schwebte in Sphären, die ich nicht erreichte. Ich war weit weg von ihr. Sie schien glücklich, war in einer anderen Welt entschwunden. Ob sie schlief oder vor sich hin träumte, ich hatte keine Ahnung. Ich war ziemlich erledigt und fing an mich zu langweilen, zog mich zurück und fuhr zurück in die Wohngemeinschaft in der Karlsbaderstrasse, in der ich damals lebte. Einige Tage später sahen wir uns, grüßten uns wie alte Bekannte, die sich auf einer dieser Kreu zfahrten getroffen hatten. Merkwürdige Geschichte.

Hallo, jetzt ist es aber Zeit für die Verabredung mit Ambrosius.

Also gab ich Tag und Uhrzeit ein. Es funktionierte. Ich dachte schon, ich hätte alles geträumt. Wieder hörte ich das Aufseufzen beim Absenken der Glaswand. Sofort stellten sich mir die Nackenhaare hoch. Irre! Der Gang war auch wieder da, aber keine Spiegel mehr, nur Glasflächen, wie in einem Aquarium und dahinter floss Wasser. Es rauschte um mich herum. Mir schien, als ginge ich in einer durchsichtigen Schleuse vorwärts, begletet von Rochen, Polypen rechts von mir und ein Schwarm Heringe auf der linken Seite. Jetzt ging der Gang links um die Biegung und vor mir rauschte der Wasservorhang, undurchdringlich, mit Wasserpflanzen durchsetzt. Ich blieb stehen, dann hörte ich: “Willkommen Gynniar, Ernsto, Renaldo“.

Der Wasservorhang versank vor mir in einer Rinne. Die Pflanzen blieben als Hologramme stehen, durch die ich hindurch ging, auf das Laufband zu, das sich nach unten senkte und mich unter den hellen Tönen des Sopransaxofons von <Jan Garbarek> in das <Officium> führte, hinein in die sphärischen Klänge, die mich umgaben, in eine Stimmung von heiterer Gelassenheit. Das <Hilliard Ensemble> breitete mit den herrlichen Männerstimmen einen Klangteppich aus, über dem die zauberhaften, hellen Saxofonkaskaden schwebten.

https://www.youtube.com/watch?v=qfodIWqR0II&list=PLQ6wYOt rT7JNnH84f3K5VNEhUzXpDFfjW

Da stand ich nun und Ambrosius ergriff mit beiden Händen die meinen und ich verfiel erneut seiner Ausstrahlung.

“Nun, was für Geschichten werde ich heute hören?“ Diese volltönende, aus dem Bauch kommende Stimme löste sofort tiefes Vertrauen aus. “Setzen wir uns“, sagte er noch.

Das Saxofon hauchte noch eine berührende Tonfolge hin, bevor es im Echo des Raumes verklang. Dann wiederholte sich alles, auch das “Ja und?“ Eine tiefe Stille breitete sich aus, die einige Minuten anhielt.

“Lass deine Geschichten los“. Das klang gar nicht wie eine Aufforderung, eher wie eine Bitte und dann kam seine erste Frage:

“Du glaubst also, deine Frau war unglücklich mit dir?“

Das war ja ein Ding. Woher wusste es das? Hatte ich doch noch keinen Ton davon gesagt. Oder doch beim ersten Mal?

“Na ja“, fing ich an, “ich hatte sie oft mit anderen Frauen betrogen, hatte ihr Aufmerksamkeit und Zuwendung entzogen“.

“Und warum?“ Ambrosius schien zum ersten Mal interessiert.

“Sie hat mich dominiert!“, stieß ich hervor.

“Und du glaubst, das ist wahr?“, ganz neutral klang seine Stimme.

“Nein“, antwortete ich impulsiv, “ich hatte mich dominieren lassen, ich hatte mich selbst in die Abhängigkeit gebracht. Ihr Geschäftssinn und ihr Geld hatten mich fasziniert. Als ich das begriff, war es wohl schon zu spät. Ich war in ihren Klauen.“

“Starke Worte“ sagte Ambrosius,“und du glaubst das wirklich?“

“Na ja, Klauen waren es nicht, eher Saugnäpfe. Sie hatte sich mit Tentakeln einer Sepia festgesaugt. Anfangs wollte ich es sogar, glaube ich. Eine Symbiose ist schon ein irrer Zustand, wenn man nicht voneinander lassen kann. Diese verführerische Haut, dieser Duft, den Körper des anderen immer spüren, alles miteinander erleben und dann ohne Ende in die glücklichen Augen der Geliebten fallen, das war so schön. Bis ich eines Tages an die Grenzen meiner Illusion stieß, ich Enttäuschung, sogar Wut erlebte. Sie war doch nicht ich! Sie war eine Frau! Eine Frau, die mit anderen Männern kokettierte, die mich eifersüchtig machte, gewollt oder ungewollt, ich kam nicht dahinter. Es blieb ein Geheimnis. Vieles versuchte sie in einer Sepiawolke zu verschleiern. Sie verabredete sich ohne mir etwas zu sagen“.

“Dagegen ist doch eigentlich nichts einzuwenden“, unterbrach er meinen Redefluss, “nicht wahr? Oder?“

Ich blickte ihn entrüstet an, “ich war total enttäuscht!“.

Nach einer Pause sagte ich erregt, “sie blieb ohne erkennbaren Grund abends fort, tat geheimnisvoll. Ich war gekränkt und verzog mich hinter einer Barriere, hinter einer Glaswand. Schließlich hatte ich meine Freiheit für ihre Zukunftspläne, für die Sanierung ihres alten Miethauses in Berlin-Spandau aufgegeben“.

“Ist das wirklich wahr?“, kam unmittelbar seine Frage.

“Na ja, eigentlich nicht. Ich konnte natürlich keine Symbiose leben, ohne meine Freiheit zu verlieren. Aber trotzdem fühlte ich mich dominiert, manchmal wie ihr Kind. Ekelhaft! Das wollte ich ändern, also weg von dem Mutterersatz, raus aus dem Haus in Spandau, raus in die Welt. Nicht nur weg von ihr, sondern hin zu einer Aufgabe. Hin zu der Hochschule der Künste, wo ich endlich neue Kontakte knüpfen konnte. Die Diskussion mit den Studenten, mit Professor Posener und den Berlinern um den U-Bahnhof belebten mich und taten mir gut. Ich wurde wieder angriffslustig und zukunftsselig. Ein paar Stunden in der Woche war ich meine Frau los und die Fahrt mit dem VW-Bus allein durch den Berliner Verkehr ließ die Erinnerung an das Verkehrschaos in Teheran lebendig werden. Manche Tage benutzte ich dennoch öffentliche Verkehrsmittel, weil ich mich der Wirklichkeit nicht gewachsen fühlte. Ich war wie Hefeteig, der vor Zug geschützt werden musste“.

“Ein hübsches Bild“, Ambrosius Stimme klang amüsiert.

“Und dann entschloss ich mich zu der Teilnahme an dem Seminar mit dem Thema <Dynamische Prozesse in Gruppen>, das ich bei der ersten Zusamenkunft bereits erwähnt habe. Das war wie die Faust aufs Auge. Ich blühte auf, fühlte mich überlegen und konkurrierte mit dem Leiter des Seminars. Eigentlich hatte ich keine Ahnung von dem Thema, ein, zwei Bücher gelesen, aber es reizte mich, alles auszuprobieren. Ich kannte dort niemanden, war total frei und frech, stellte unangebrachte Fragen, machte einer anderen Renate schöne Augen und begann mit ihr ein Techtelmechtel. In den Pausen drang ich verbal auf sie ein, einige Wochen später auch körperlich. Ich lud sie in unsere Wohnung, in der Annahme, meine Frau würde es nicht bemerken, dass an einem Nachmittag in den Polstern des Wohnzimmers gevögelt worden war. Ich vermute aber, dass sich solche Aktivitäten nicht verbergen lassen. Oder?“

Ambrosius zog ein wenig die Stirn in Falten und breitete die Arme vielsagend aus.

“Na ja“, sagte ich, “geäußert hat sich meine Frau jedenfalls nicht dazu. Das Tollste in diesem Seminar war für mich eine Aktion, in deren Verlauf ich das Seminar an mich riss. Der Leiter hatte die Gruppe geteilt und wir, die eine Hälfte, saßen in einem Raum und die anderen nebenan. Mich interessierte brennend, was die anderen machten. Also halluzinierte ich einen Schiffsuntergang: “Wir müssen die anderen retten! Höchste Zeit! Das Schiff schlingert schon! Wir müssen etwas unternehmen, damit sie nicht ertrinken. Die Wellen brechen bereits über die Reling! Die Rettungsboote sind nicht mehr zu gebrauchen! Also los, hinüber, Schnell, schnell, ehe es zu spät ist! Das Schiff sinkt! Wir retten sie vorm Ertrinken!“

“Und wer nicht gleich mitwollte, den trugen wir einfach zu uns herüber. Das war ein Chaos und Durcheinander! Sie wollten keineswegs gerettet werden. Aber wir setzten uns mit Geschrei und Überredung durch, drängten und trugen sie in unseren Raum zurück. Die Begeisterung für die Rettung war halt nur auf unserer Seite, aber die Gruppe war wieder zusammen. Zum ersten Mal hatte ich meine Fähigkeit gespürt, mit Phantasie spielerisch eine Situation zu verändern und ich hatte Machtgelüste genossen“.

Ambrosius sah mich irritiert an, “u nd? warst du zufrieden?“

“Na ja, nicht wirklich. Der Leiter litt danach schrecklich un ter Kopfschmerzen und wirkte nicht mehr präsent. Zum Glück war der Tag fast zu Ende und am nächsten Morgen entschuldigte ich mich bei ihm, “es tut mir leid, ich wollte nicht deine Kompetenz in Frage stellen. Es war nur ein Spiel“. Sein Kopfschmerz verschwand und der Sonntag endete in Harmonie“.

Ambrosius nickte, wollte etwas sagen, aber ich war noch nicht fertig, “eine kritische Bemerkung eines Teilnehmers aus dem Sozialarbeitermilieu ist mir noch gegenwärtig. In der Schlussrunde sollten wir uns gegenseitig charakterisieren. Er nannte mich einen kläffenden Jagddackel“.

Ambrosius lachte in sich hinein. Ich ging nicht darauf ein, redete weiter:

“Nun ja. Jahre später lernte ich einen bayrischen Jagddackel kennen und lieben. Er hatte einen echten Charakter mit Jagdtemperament und war sehr gelehrig“.

“Bayerische Jagddackel mit den langgestreckten Körpern und dem kurzen hellbraunen Fell sind wirklich schöne Tiere“. Er kannte offensichtlich Hunderassen.

“Ja“, fuhr ich fort, “wir nannten ihn Charlie. Meine Frau brachte ihn eines Tages zum Bauernhof. Das war Mitte der 70er Jahre. Wir lebten wechselseitig in Berlin und in dem Dorf, zeitweise auch zusammen. Ich arbeitete dort an einem Wettbewerb für ein Hotel am Berliner Aquarium und sie arbeitete in Berlin als Sozialarbeiterin. Die Besitzerin des Hundes war von meiner Frau in eine Nervenklinik eingewiesen worden. Charly war sozusagen übrig geblieben. “Du hast doch hier Platz und Zeit“, überfiel mich meine Frau, “kannst mit dem Hund schöne Spaziergänge machen. In der WG kann ich ihn nicht halten. Ich habe auch sehr viel um die Ohren. Er ist leider schon sechs Jahre alt und nur an Frauen gewöhnt“.

“Die alte Dame war von Männern abgeholt worden. Der Hund hatte daraufhin eine verständliche Aversion gegen das männliche Geschlecht entwickelt. Da stand ich nun ohne Hundeerziehungserfahrung. Er knurrte mich stundenlang an, versuchte mich zu beißen, als ich mich näherte. “Die Frauen sind weg und wir beide müssen nun miteinander klar kommen“. Ich setzte mich an meinen Arbeitstisch, machte die Nacht durch und kümmerte mich nicht um ihn. Die Tür zur Halle stand offen. Nach Stunden kroch Charlie unter meinen Tisch und schlief ein. Er seufzte im Schlaf, schreckte hoch, knurrte und beruhigte sich wieder. Am nächsten Morgen nahm er schon das Fressen an. Wir wurden gute Freunde. Wir mochten uns. Eifersüchtig wurde er, wenn ich mit einer Frau im Schlafzimmer verschwand. Dann schleppte er meinen Pullover in seinen Korb um ihn zu zerfetzen. Zum Glück war es immer derselbe Pullover“.

“Und die Frauen?“ warf Ambrosius ein, “waren wohl nicht immer dieselben?“

“Nein, natürlich nicht, aber er war auch auf meine Frau eifersüchtig, wenn ich mit ihr im Schlazimmer verschwand. Sie war ihm vertrauter, denn sie kam oft und blieb einige Tage. Aber bei neuen Gesichtern musste ich aufpassen, dass keine Kleidungsstücke von mir herumlagen. Charlie musste einiges auszuhalten. Nicht nur die Frauenbesuche. Es gab auch einen Kater und Katzen im Haus. Mit der Zeit teilte er sogar den Schlafplatz mit den anderen Hausgenossen. Ob sich so etwas vom Herrchen auf den Hund überträgt?“

“Glaubst du das?“ Ambrosius Stimme klang spöttisch.

“Eines Tages besuchte mich Sarah in Hohe“, fiel mir die schräge Geschichte mit einer Amazone aus Berlin ein. “Wir hatten uns auf einer Party in Berlin kennen gelernt. Ganz unverblümt vertraute sie mir an, dass sie etwas von ihrer überbordenden Lebenslust eingebüßt hätte: “Ich bin nicht mehr symmetrisch“, gestand sie mir mit ihren eigenwilligen Humor über den Verlust der rechten Brust. “Weißt Du, früher, habe ich mich a uf jeder Party oben freigemacht, beim Essen die schönen Schwestern als Dessert auf die Tischplatte platziert. Ich bin jetzt so deprimiert. Mir fehlt so viel“, Die Tränen schimmerten. Ich lud sie daraufhin ein, “wenn Du willst, können wir uns mal treffen, besuch mich für ein paar Tage auf dem Land“.

“So geschah es. Ein großer BMW fuhr eines Tages auf unseren Hof. Das war eine Attraktion für das Dorf. Eine Dame im Kostüm und Stöckelschuhen stieg aus. Das war eine weitere Attraktion. Und die größte Atraktion ergab sich, als sie am selbigen Tag in dieser Aufmachung mit einem Rasenmäher in den Händen die Blicke der Bauernfamilien auf sich zog. Sie wollte mir helfen. Ich bewunderte ihren Mut und ihre Schönheit, die sie trotzig präsentierte. “Hier siehst Du eine Amazone, wie wir sie aus der Überlieferung kennen. Na, was sagst Du?“ Ich nahm sie in mein Bett, wir kuschelten, es wurde eine zärtliche Nacht im bewussten Genießen eines unabänderlichen Zustandes. Am nächsten Morgen beim Abschied umarmten wir uns liebevoll, sie sagte ein leises Danke, winkte und weg war sie mit ihrem BMW. Jahre später sah ich sie in einem Film mit nackten Oberkörper und einer Armbrust in der Rolle einer Amazone“.

“Meinst du“, unterbrach er, “dass sie mit dir glücklich war?“

Nachsinnend antwortete ich , “ich bin mir nicht sicher, aber wir könnten sie fragen. Was meinst du dazu?“.

Er nickte nur und dann tönte eine sphärische Frauenstimme.

“Ach ja, ein netter Kerl, aber ziemlich egomanisch!“

Als die Stimme der Imaginierten verklungen war, hörte ich Ambrosius etwas spöttisch fragen, “w as hast du denn sonst auf dem Land getrieben? Hast du auch andere Kontakte gepflegt?“

“Ja natürlich, auch ohne Frauen. Zum Beispiel war ich sonntags regelmäßig zum Essen bei Herrn von Hartrott eingeladen. Er lebte seit Kriegsende in Hohe, gehörte einem alten Adelsgeschlecht des Schlosses in Hehlen an. In den 20er Jahren hatte er im Hotel Adlon in Berlin als Empfangschef Karriere gemacht. Er galt deshalb als <schwarzes Schaf> der Familie. Das machte ihn mir sympathisch. Er bewirtete mich mit wertvollem Porzellan in einer perfekt klassizistisch eingerichteten Wohnung, die er sich im alten Schulhaus eingerichtet hatte. Nach dem Krieg hatte er mit den Dorfbewohnern Theateraufführungen inszeniert. Im Dorf erinnerten sich die Einheimischen dankbar an die schöne alte Zeit. Als ich ihn kennen lernte, sorgte er als Küster für die Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Er führte Interessierte durch die Geschichte der alten Wehrkirche, die als befestigtes Bauwerk auf einem Hügel, von einer Mauer umgeben, an dem alten Pilgerpfad von Hildesheim nach Corvey lag. Die Besichtigung lohnte sich wegen einer geschnitzten Barockkanzel, der Galerie und dem Gestühl aus dem 18. Jahrhundert. Auf der alten Orgel spielte er mit seinen 60 Jahren hin und wieder Musik von Buxtehude. Es war wundervoll!“.