Aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren in Kollmar - Ulf Buhse - E-Book

Aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren in Kollmar E-Book

Ulf Buhse

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Beschreibung

Die Erinnerungen an unsere Jugend in Kollmar, genauer Klein Kollmar, haben wir niedergeschrieben, damit die Nachfahren unserer Generation sich ein Bild davon machen können, wie wir gelebt haben. Geschildert werden Erlebnisse aus der NS-Zeit, hauptsächlich den Kriegsjahren, und der Nachkriegszeit. 1945 hatten unsere Eltern und Großeltern eine unruhige Zeit mit dem 1. Weltkrieg, dem Ende der Kaiserzeit, der gescheiterten Weimarer Republik, der Weltwirtschaftskrise, der Hitler-Diktatur und dem 2. Weltkrieg hinter sich. Viele hatten gefallene Angehörige zu beklagen. Je nach Schicksal und politischer Einstellung empfanden sie das Kriegsende als Schmach und Niederlage oder als Erleichterung und Grund zur Hoffnung. Für alle war die Zukunft aber ungewiss, die Herausforderungen groß. Was wir hier über die Zeit vor und nach 1945 bis in die 60er Jahre wiedergeben, ist sicherlich nicht "weltbewegend". Aber es wird bei den damaligen Mitbürgern, die noch leben, vielleicht die eine oder andere Erinnerung wecken und für die Jüngeren ein Schlaglicht auf unsere Jugendzeit werfen. Zitate aus der Schulchronik, Zeitungsartikel und Bezüge zum Zeitgeschehen steuern einige Fakten bei. Das "Gerüst" der Schilderungen sind die vielen Fotos aus unseren Familienalben, dem Chronik-Archiv Kollmar und anderen Quellen. Wenn sich unsere Erinnerungen nicht immer mit denen des Lesers decken, möge man uns das nachsehen. Erinnerungen sind subjektiv und manchmal trügerisch, zumal nach so langer Zeit. Unser Dank gilt den Kollmaranern, die mit Informationen und Bildern zu diesem Buch beigetragen haben.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Die 4 Geschichten

Wegweiser

Pimpf konnte ich nicht mehr werden

Aufgewachsen als Schifferjunge

Schule und Kriegsereignisse

Mitmachen beim Jungvolk

Die Tommies kommen – der Krieg ist aus!

Vadders Einsatz mit der NIXE im Krieg

Amis in Kollmar

Frachtfahrten der NIXE nach dem Krieg, Havarie und andere Erlebnisse

Mit der Konfirmation war die Kindheit vorbei

Ich trat in die Fußstapfen meines Großvaters

Frühe Jahre

Umzug ins großväterliche Anwesen

Aus den Kriegszeiten

Uniformen und Zeichen des Krieges gehörten zu unserer Kindheit

Vater habe ich kaum gekannt

Lehrer Mohr

Ferien bei Kühl am Lühnhüserdeich

Fahrt nach Elmshorn und Luftkrieg 1943

Wehrmacht in Kollmar

Fritz aus der Ukraine

Paul, der Franzose

Kriegswirtschaft auf dem Obsthof

Auswirkungen von Flucht und Vertreibung

Kriegsende

Die schweren Jahre 1945-48

Vater kommt nicht wieder

Winter 1946-47

Ex-Major Steinmetz

Hasenjagd

Tabakanbau

Fischfang

Die Schule beginnt wieder

Kirche, Friedhof, Läutedienst

Ferien bei Oma Assel

Ferien auf Sylt

Die Zeiten werden besser

Meine letzten Schuljahre

Schulentlassung, Konfirmation und Lehre

In der Sowjet-Zone wollten wir nicht bleiben – Von Köthen nach Kollmar

Wie es zu diesem Beitrag Walter Spangenbergs kam

Warum meine Familie nicht in Köthen bleiben wollte

Die Flucht

Auf dem Lüders-Hof in der Deichreihe

Auf dem Hof Ernst Möller in der Deichreihe

Der Winter 1946/47

Vater kommt

Unterkunft bei Henry Finck

Die Schule

Was sonst noch so im Dorf geschah

Erich Radke und seine „Wohnungen“

Vater bekommt Arbeit in Glückstadt – Abschied von Kollmar

Nachkriegszeit und Wirtschaftswunderjahre in Kollmar

Über meine ersten Lebensjahre

Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger

Erste Bilder im Kopf

Pfingsten und Ringreiten

Kollmar Kirchmess

Die Heimattage im Herbst 1954

Unsere Gaststätten „Fährhaus Kollmar“, „Zur Post“ und „Zur Erholung“ und der Fremdenverkehr

Der „Gasthof zur Post“

Das „Fährhaus Kollmar“

Der Gasthof „Zur Erholung“

Die Kioske und der Zeltplatz

Es geht aufwärts: der Anfang der Fünfziger

Unser Tages-, Wochen- und Jahresablauf Anfang der 50er

Das „Bremer‘sche Haus“, der zweite Familiensitz

Der Ernst des Lebens beginnt: Einschulung und Grundschuljahre

Schule in Glückstadt

Turnen

Tanzschule

Spiel- und Schulfreunde

Kinderbücher und Lektüre

Winterfreuden

Kirche und Konfirmation

Pfadfinder

Der Außendeich und die Elbe: Spielplatz, Sportplatz, Schauplatz

Fischer Kordes

Die Fischer im Kollmarer Hafen

Spiel und Abenteuer „hinterm“ Deich

Die Sturmflut 1962

Versorgung und Entsorgung

Strom- und Telefonanschluss für das Dorf

Wasserleitung in Kollmar

Müllentsorgung

Brennstoffe

Lebensmittelversorgung und andere Geschäfte

Post, Bank und Handwerk

Unsere Polizeistation

Die Gesundheitsversorgung

Wege in die „weite“ Welt

Die Welt kommt zu uns

Puppenspiel, Kino und andere Ereignisse

Die Welt auf dem heimischen Bildschirm

Mitte der 60er – endlich erwachsen!

Personenregister

Stichwortverzeichnis

Quellen

Die 4 Geschichten

Die Erinnerungen an unsere Jugend in Kollmar, genauer Klein Kollmar, haben wir niedergeschrieben, damit die Nachfahren unserer Generation sich ein Bild davon machen können, wie wir gelebt haben. Geschildert werden Erlebnisse aus der NS-Zeit, hauptsächlich den Kriegsjahren, und der Nachkriegszeit.

1945 hatten unsere Eltern und Großeltern eine unruhige Zeit mit dem 1. Weltkrieg, dem Ende der Kaiserzeit, der gescheiterten Weimarer Republik, der Weltwirtschaftskrise, der Hitler-Diktatur und dem 2. Weltkrieg hinter sich. Viele hatten gefallene Angehörige zu beklagen. Je nach Schicksal und politischer Einstellung empfanden sie das Kriegsende als Schmach und Niederlage oder als Erleichterung und Grund zur Hoffnung. Für alle war die Zukunft aber ungewiss, die Herausforderungen groß.

Was wir hier über die Zeit vor und nach 1945 bis in die 60er Jahre wiedergeben, ist sicherlich nicht „weltbewegend“. Aber es wird bei den damaligen Mitbürgern, die noch leben, vielleicht die eine oder andere Erinnerung wecken und für die Jüngeren ein Schlaglicht auf unsere Jugendzeit werfen. Zitate aus der Schulchronik, Zeitungsartikel und Bezüge zum Zeitgeschehen steuern einige Fakten bei. Das „Gerüst“ der Schilderungen sind die vielen Fotos aus unseren Familienalben, dem Chronik-Archiv Kollmar und anderen Quellen.

Wenn sich unsere Erinnerungen nicht immer mit denen des Lesers decken, möge man uns das nachsehen. Erinnerungen sind subjektiv und manchmal trügerisch, zumal nach so langer Zeit.

Unser Dank gilt den Kollmaranern, die mit Informationen und Bildern zu diesem Buch beigetragen haben.

Günther Wulf wurde 1935 als Sohn des Kollmarer Kapitäns Andreas Wulf und seiner Frau Anni geboren. Er berichtet aus seiner persönlichen Sicht über Ereignisse aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Darunter einige Tieffliegerangriffe oder die Beobachtung des Infernos der Bombardierung Hamburgs 1943 aus den Fenstern seines Elterhauses am Neuen Weg. Sein Wunsch Pimpf im Jungvolk zu werden, erfüllte sich nicht, da er bis Kriegsende noch nicht das Alter von zehn Jahren erreicht hatte.

So spannend wie das „Kriegsspiel“ der Kollmarer Hitlerjugend fand er auch den Einmarsch der englischen Besatzungstruppen in unser Dorf im Mai 1945. Schule in der „schlechten Zeit“, den Norwegeneinsatz der NIXE und den Einzug einer amerikanischen Einheit 1946 schildert Günther Wulf. Er und einige Freunde verdienten sich mit Hilfsarbeiten für die „Amis“ manche Tafel Schokolade oder Zigaretten. Als der Vater aus Norwegen zurück ist, bestimmt die Schifffahrt mehr und mehr auch das Leben des Sohnes. Er erzählt über die Frachtfahrten in der Nachkriegszeit und die Havarie der NIXE im Kollmarer Hafen.

Ich habe die Geschichte auf Basis von vielen Interviews niedergeschrieben.

Jan Henning Wulff, geboren 1936, stammt ebenfalls aus einer Kollmarer Schifferfamilie. Seine Vorfahren waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert Kapitäne und Reeder großer Frachtsegler. Sein Großvater wechselte aber in den Obstanbau, den nach dessen Tod der Sohn John weiterführte. Als John Wulff im Krieg gefallen war, übernahm seine Frau Wilhelmine den Betrieb, den sie später an ihren Sohn Jan Henning übergab.

Er berichtet in seinen Erinnerungen über seine Erlebnisse in den Kriegsjahren, wie die Absetzbewegungen der Wehrmacht über die Elbe bei Kollmar, und in den Nachkriegsjahren mit seinen Freunden auf dem elterlichen Obsthof oder auf der Elbe. Auch Kirche und Friedhof gleich nebenan gehörten zu seinem Spielplatz. Nach Schule und Lehre übernahm er den Obsthof von seiner Mutter.

Für diese Geschichte habe ich ein Manuskript von Jan Henning Wulff verwendet.

Walter Spangenberg, Jahrgang 1939, kam erst 1946 mit seiner Familie nach Kollmar zu Familie Lüders in der Deichreihe. Sie flohen aus Köthen in der Sowjet-Zone hierher. Er schildert die Flucht per Bahn, zu Fuß, per Schiff und wieder zu Fuß. Und er erinnert sich an das Leben der Flüchtlingsfamilie Spangenberg in Kollmar. Diese Geschichte habe ich auf Basis einer Handschrift von Walter Spangenberg verfasst.

Die vierte Geschichte ist meine eigene: Ich, Ulf Buhse, wurde 1945 geboren. Mein Vater fiel im März 1945. Mit meiner Mutter und meinem Bruder wuchs ich bei meinen Großeltern Dössel am Deich in Kollmar auf.

ich schreibe darüber, wie sich mein tägliches Leben in den Nachkriegsjahren und der Wirtschaftswunderzeit abspielte, über Feste im Dorf, wie Kirchmess oder Ringreiten, über die Gaststätten in Kollmar und den Tourismus. Schule, Turnverein, das Spiel mit Freunden im Sommer wie im Winter und Pfadfindergruppe spielen ebenso eine Rolle, wie die Kollmarer Fischer, die Schifffahrt auf der Elbe, die Sturmflut 1962 und Deichbau.

Auch über die Entwicklung der Strom, Telefon und Wasserversorgung wird berichtet, die Geschäfte, das Handwerk, Post, Bank, Ärzte und Polizei in den Nachkriegsjahren. Zur Schilderung des Lebens in dieser Zeit gehört aber auch der Bezug zur „weiten Welt“ durch Kino, Fernsehen, Fahrten nach Hamburg oder Urlaubsreisen.

Wegweiser

Pimpf konnte ich nicht mehr werden

Günther Wulfs Erlebnisse aus den Kriegsjahren und der Nachkriegszeit

Ulf Buhse - Nach Interviews mit Günther Wulf

Ich trat in die Fußstapfen meines Großvaters

Jan Henning Wulffs Erinnerungen an Kindheit und Jugend – 1936 bis 1962

Ulf Buhse - Nach einem Manuskript von Jan Henning Wulff

In der Sowjet-Zone wollten wir nicht bleiben – Von Köthen nach Kollmar

Walter Spangenbergs Erinnerungen an die Flucht und seine Kindheit in Kollmar

Ulf Buhse - Nach einem Manuskript von Walter Spangenberg

Nachkriegszeit und Wirtschaftswunderjahre in Kollmar

Erinnerungen an meine Kinder- und Jugendzeit

Ulf Buhse

Personenregister

Stichwortverzeichnis

Quellen

Pimpf konnte ich nicht mehr werden

Günther Wulfs Erlebnisse aus der Kriegs- und Nachkriegszeit

Ulf Buhse Nach Interviews mit Günther Wulf

Inhalt

Aufgewachsen als Schifferjunge

Schule und Kriegsereignisse

Mitmachen beim Jungvolk

Die Tommies kommen – der Krieg ist aus!

Vadders Einsatz mit der NIXE im Krieg

Amis in Kollmar

Frachtfahrten der NIXE nach dem Krieg, Havarie und andere Erlebnisse

Mit der Konfirmation war die Kindheit vorbei

Aufgewachsen als Schifferjunge

Ich wurde am 20.4.1935 als Sohn des Kollmarer Kapitäns Andreas Wulf (1911-1973) und seiner Frau Anni geboren. Aus meiner Jugendzeit habe ich viele Erinnerungen, die ich hier erzählen möchte, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Es ist meine persönliche Sicht der Ereignisse aus der Kriegs- und Nachkriegszeit. Die zeitliche Einordnung ist mir manchmal nicht mehr genau möglich.

1935 führte mein Vater den Motorsegler LUCIA, den er 1932 nach dem Tod seines Vaters Emil Wulf übernommen hatte. 1939 verkaufte er das Schiff und schaffte die NIXE (104 BRT, Länge 27,58 m) an. Wir wohnten am Neuen Weg (heute Nr.55/57) im Dachgeschoss.

Hier wohnte Familie Andreas Wulf im Dachgeschoss. Das Haus ist heute umgebaut und hat die Hausnr. 55/57 am Neuen Weg. 1955 zog die Familie in das neu gebaute Nebenhaus (links im Bild) (Foto: Deutsche Luftbild, Ausschnitt, um 1955)

Die NIXE im Kollmarer Hafen (Foto Helmut Müller, 1954)

Vadder hat 1933 sein Steuermanns-Patent gemacht, in Altona. Danach musste man normal zwei Jahre fahren, um das Kapitänspatent zu erhalten. Vadder brauchte das aber nicht. Als Ernährer der Familie mit schulpflichtigen Kindern bekam er eine Ausnahmegenehmigung als Schiffsführer. Außerdem hatte er das Maschinenpatent. So konnte er die LUCIA von seinem Vater übernehmen. Gute Einnahmen ermöglichten 1939 den Kauf der NIXE.

Mit dem neuen Schiff verbinden sich meine ersten bleibenden Erinnerungen: Als ich vier Jahre alt war (1939), lag Vadder im Hamburger Hafen. Ich war mit an Bord. Im Ruderhaus standen einige Klappstühle. Da bin ich zwischen gekommen, wurde eingeklemmt und kam mit gebrochenem Bein ins Hafenkrankenhaus, hab da 5 oder 6 Wochen gelegen. Mutter hat in der Zeit bei Hinrich Wulf in Hamburg gewohnt.

Als ich noch nicht zur Schule ging, hatten wir in Kollmar alle Freiheiten. Wir spielten am Hafen, natürlich auch auf der NIXE, wenn Vadder „an Land“ war. Manchmal waren wir auch mit an Bord, wenn die NIXE „auf Reisen“ ging.

Sehr beliebt war das Wander-Kino, das jeden Montag immer abwechselnd bei Saggau, Münster oder Nebel stattfand. Der Vorführer kam mit einem Opel-Kombi und baute seine Leinwand und seine Projektoren auf. Es gab immer die Deutsche Wochenschau, die über das Welt- und Kriegsgeschehen berichtete. Danach kam ein deutscher Spielfilm.

Eines Tages im Sommer 1940: Das Kino war wie immer gut besucht, da die Filme für die Dorfbewohner das einzige Vergnügen in dieser Zeit waren. Kino war gerade bei Saggau. Da hieß es: Bomber über Kollmar, Richtung Pagensand. Keiner wusste, ob es ein deutsches oder feindliches Flugzeug war. Die Meldung ging wie ein Lauffeuer durchs Dorf, die Vorstellung wurde abgebrochen. Große Aufregung und Geschnatter. Aber der Flieger war schnell wieder weg. Bis zum anderen Tag wurde das Flugzeug noch „beschnackt“ und gerätselt, was das wohl für eins gewesen war. Ob das wohl ein Ami oder Engländer war und warum er uns nicht zufrieden lassen kann.

Schule und Kriegserlebnisse

1941 wurde ich eingeschult. Da war es mit den Freiheiten zum Teil vorbei. Wir hatten Unterricht in der alten Schule bei Hauptlehrer Johannes Möller und Heinrich Mohr.

Aus der Schulchronik Kollmar:

„Im November 1940 gab es in Kollmar 88 Schüler. Von 1941 an war der Aufnahmetermin zum 1. Mal nicht Ostern, sondern nach den Sommerferien am 28. August. Aufgenommen wurden 8 Knaben und 7 Mädchen. …. Nach den Sommerferien 1942 stieg die Zahl der Kinder, besonders durch Zuzug von Bombengeschädigten aus Hamburg.“ 1944 gingen 133 Kinder in die Kollmarer Schule, im Oktober 1945 136 Kinder und im Januar 1946 216 Kinder, davon 126 Flüchtlingskinder.

Hauptlehrer

Johannes Möller

Lehrer

Heinrich Mohr

Als die Luftangriffe 1940 durch englische und amerikanische Flugzeuge zunahmen, bekamen wir im Garten hinter dem Haus einen Luftschutzbunker. Den hatte Herbert Amecke, der im Krieg ein Bein verloren hatte, gebaut. Ein Meter im Boden, weniger als ein Meter kuckte aus. Da war Radio und alles drin. Abgedeckt war er mit Bohlen aus dem Kohlenschuppen. Ein Erwachsener konnte gebückt darin stehen

Mit unserem Blaupunkt-Radio mit Batterie konnten wir den Drahtfunk empfangen. Die Funkstelle Wilhelmshaven meldete etwa: „feindliche Bomberverbände nähern sich dem Reichsgebiet.“ dann waren die Bomber innerhalb 20 Minuten, halbe Stunde auf dem Weg nach Hamburg über Kollmar. Meist kamen sie zwischen 9 und 10 Uhr, wenn wir in der Schule waren, ich ging im 3. Schuljahr bei Herrn Mohr (Großer Nazi) in die Mittelklasse, gegenüber von Thamling (heute Gr.Kirchreihe 26). Dort war damals noch kein Telefon. Denn kam Frau Münster, die nebenan bei Nebel in der Gastwirtschaft kochte, rein, ohne anzuklopfen: „Herr Mohr sie müssen die Kinder nach Hause schicken. Feindliche Bomber nähern sich dem Reichsgebiet.“ Wir warteten schon immer darauf, um schleunigst unsere Bücher einzupacken. Mohr schickte uns nach Hause, denn in der Schule gab es keinerlei Schutzräume. Zeit zum Schularbeiten aufgeben war zu unserer Freude meist nicht. Wir sahen zu, dass wir schnell aus der Klasse kamen und liefen so schnell es ging Richtung Heimat. Man hatte uns beigebracht, dass wir uns bei einem Angriff flach hinschmeißen sollten.

Als Elmshorn im Oktober 1941 bombardiert wurde, gab es Bombenabwürfe beim Selkweg. Die Bombentrichter liefen in dem moorigen Gebiet schnell voll Wasser. Wir durften als Kinder da nicht hin, sind aber natürlich doch hin marschiert. Ich kann mich an drei Luftkämpfe über Kollmar erinnern. Bei der Deichreihe soll ein Flugzeug abgestürzt sein, soll nur noch ein Stück aus der Erde rausgekuckt haben, wurde damals erzählt. Angeblich soll bei einem anderen Abschuss ein Bein eines feindlichen Soldaten in einem Stiefel durch die Luft geflogen sein. Wir suchten, haben aber nichts gefunden.

Auch als die Angriffe am 27. Juli 1943 auf Hamburg begannen, gingen wir zunächst wieder in unseren Bunker. Die Verbände überflogen Kollmar in großer Höhe und waren bald weit genug entfernt. So konnten wir in unsere Wohnung zurückkehren, von wo wir alles sehen konnten, obwohl Hamburg ja fast 50 km Luftlinie weg ist.

Als das Inferno in Hamburg losbrach, war es in Kollmar so hell, dass man Zeitung lesen konnte. Die roten und grünen „Tannenbäume“ erhellten zuerst den Himmel, dann kam der Brand. Wir Kinder staunten bei dem „Schauspiel“. Dass dort Menschen verbrannten, konnten wir uns mit unseren acht Jahren gar nicht vorstellen. Die Einschläge der Bomben wurden kommentiert: ein dumpfer Bumser wurde einer Luftmine zugeschrieben.

Wir haben in der Zeit öfter in unserem Bunker gesessen. Manches Mal hat Mudder uns nachts geweckt, damit wir uns in Sicherheit brachten. So war es noch bis in den Mai 1945.

Uns Kinder interessierte Politik ja noch nicht. Dass die Nazis aber gegen Kommunisten vorgingen, kriegten auch wir mit. Der größte Kommunist im Ort war Fischer Hans Lienau, später gehörte auch Hansa Ostermann zu den Roten. Ortsgruppenleiter der NSDAP war Jakob Becker von Gehlensiel. Merkwürdigerweise haben sich Hans Lienau und Jakob Becker immer gut vertragen. Becker hat keine Meldung gemacht, wenn Hans Lienau „duun“ war und irgendwas gegen die Nazis brüllte. Und nach dem Krieg haben sie Becker auch nichts getan. Er wurde entnazifiziert, soweit ich weiß. Und denn hat sich das erledigt.

Eigentlich nahm im Dorf keiner ein Blatt vor den Mund. Wir kannten das nicht, dass einer losrannte und denunzierte. Sprüche wurden mit der Bemerkung abgetan: „das ist doch’n Sabbelmors“ oder „‚ne Schludertasche“.

Bei Bleß an der Ladentür stand: „Trittst Du hier als Deutscher ein, soll Dein Gruß Heil Hitler sein.“ Auch die Hakenkreuzflaggen an den Häusern und Gaststätten zeigten, wer deutscher Gesinnung war, sei es aus Überzeugung oder als Mitläufer.

Das Hakenkreuz über dem Gasthof Zur Post und dem Fährhaus Kollmar noch zu Friedenszeiten, vermutlich 1938. Die Häuser hinter dem Deich von links: die Post (Willy Sievers), der Gasthof Zur Post (Hans Münster), Kaufhaus Kriedemann, Krempermarsch Sparkasse und das Fährhaus Kollmar (Fritz Saggau). Im Stichhafen links der Motorewer HANS von Hugo Kühl. Längsseits ein Kutter und daneben zwei Freizeitschiffe, die nicht aus Kollmar stammten. Hinter dem Motorewer HANS auf dem Deich die Deichbude, von der gleich noch die Rede ist. (Postkartenausschnitt: Minet, Chronikarchiv Kollmar)

Sommerhaus des Margarinefabrikanten Rostock aus Elmshorn um 1935 (stand bei Schulstr.32, abgebrannt) (Foto: Minet, Chronikarchiv Kollmar)

Greve’s Mühle um 1940 (Foto: unbekannt, Chronikarchiv Kollmar)

Kriegshandlungen gab es auch auf der Elbe, wo deutsche Kriegsschiffe von englischen Tieffliegern angegriffen wurden. Ich erinnere mich an ein Ereignis direkt vor Kollmar. Vor dem Stack bei Saggau lag im März 1945 der Fischdampfer MARLENE.

Großmacht von der Kirchreihe gehörte zur Deichbewachung. Rolf Albrecht, Hans Peter Reling, Hermann Markmann und ich, Günther Wulf, standen am Schleusenauslauf, unten am Deich Hans Peter Rehder. Fischer Hinrich Kordes mit Hans-Hermann Münster im Boot lief zum Reusen fischen aus.

Es war Niedrigwasser, kurz vor Einsetzen der Flut. Wir standen da und quatschten. Da sahen wir von der Elbe her 13 Flugzeuge kommen. „Sünd dat düütsche, sünd dat Engländer?“ „Nee. Hüt an‘n Dag kummt doch keene Engländer.“ „Wo de woll hin wöllt?“ „Wöllt na Kiel. Nu dreiht se üm.“ Up eenmal geiht dat ratdatdatdat. „Dat sünd Engländer. De scheet op den Fischdamper.“ Dann flog ein auf das andere Flugzeug an und schmiss auch Bomben. Neben dem Schiff gingen Fontänen hoch. Es wurde aber auch getroffen, am Rumpf und an den Aufbauten. Vor der Krückaumündung lag ein weiterer Fischdampfer vom gleichen Typ wie die MARLENE. Ebenso vor der Pinnaumündung. Sie waren vor ein paar Tagen gekommen. Mudder seeg, „wat de hier woll wöllt. Ob die wohl aus Hamburg raus sind, um dort nicht beschossen zu werden.“

Als es das erste Mal rattert, leg ich mich am Deich beim Fischerhafen hin. Hans Peter Reling lief weinend nach Hause. Er wohnte bei Rolf Albrecht, damals im alten Reetdachhaus. Rolf und Großmacht liefen bei Bremers hinter die Deichbude. Ich kroch langsam zur eisernen Klappe am Schleusenauslauf. Hier konnte man zum äußeren Schleusentor herunter steigen. Von dort unten konnte ich den Fischdampfer sehen und war einigermaßen sicher. Hinrich Kordes ging mit seinem Boot an der Dampferbrücke in Deckung. Er und Hans-Hermann Münster krochen unter die Brückenrampe. Angst hatten wir nicht. Das Ganze dauerte eine halbe, dreiviertel Stunde. So plötzlich wie es kam, war es auch vorbei.

Die Flak-Stellungen auf dem Deich waren zwar von einigen Marine-Soldaten besetzt, aber auf die Flugzeuge geschossen wurde von dort nicht. Einer der Soldaten hatte bei der alten Waage beim Gasthof zur Post einen Streifschuss von einer 2cm Flak abbekommen. Man wollte die Flieger nicht auf sich lenken.

Vom Fischdampfer wurde ein kleines Boot zu Wasser gelassen. Zwei Mann stiegen ein, der eine war Blut überströmt. Sie kamen an Land und fragten nach einem Doktor. Der Fischdampfer bekam ziemlich bald Schlagseite. Inzwischen waren etliche Leute gekommen, auch die Fischer Harry Sommer und andere. Sie fuhren mit ihren Booten zum Schiff und zogen es soweit es ging auf den Sand. Wie lange es dort lag und wie es geborgen wurde, ist mir nicht bekannt.

Auf den Fotos von 1969 sind die eiserne Klappe, in die Günther Wulf damals einstieg, und das Gatter, hinter dem er saß, gekennzeichnet (Grafik: Ulf Buhse)

Einige Tage vorher war der spätere Zollkreuzer HAMBURG, der damals hinten mit einer Zwillings- oder Vierlings-Flak, vorne mit einem MG bestückt war, beschossen worden. Die Flieger zogen aber ab. Der Zollkreuzer drehte bei und legte in Kollmar an der Brücke an. Damals hatte man den Brückendamm mit Bohlen um das Dreifache verbreitert. Geplant war, von hier Kriegsmaterial und Panzer über die Elbe zu bringen. Vorne vor lag eine Baggerschute als Ponton, auf dem eine hölzerne Brücke auflag. Bohlen und Balken hatte Kremer von Elmshorn geliefert. Das war das erste nach dem Krieg, dass Kremer sich sein Holz wieder holte.

Am Deich entlang gab es alle 200, 300, vielleicht auch alle 500 m MG- und Flakstände, abwechselnd MG, Zwillingsflak, 7,5 oder 8,8 cm Geschütze. Alle waren halb in den Deich eingelassen. Ein MG-Stand war bei Ostermann, Hausnr.28 in der heutigen Schulstraße. Wir wollten gerne die Patronenhülsen haben. Wenn die ausgeworfen wurden, waren sie aber heiß. dabei hab ich mir mal die Finger verbrannt.

Kurz vor Kriegsende wurden die Verteidigungsanlagen abgebaut und unter anderem mit Pferdewagen abtransportiert. Bei dieser Aktion wurde der Treck am Neuen Weg von Tieffliegern beschossen. Die Einschüsse in die Klinker der Straße konnte man noch lange sehen. Wir standen zuerst draußen. Die Chausseebäume wurden gerade grün. Ein Baum stand bei der heutigen Hausnummer 50. Frau Reling, die gegenüber wohnte, saß darin und wollte Äste absägen, um damit den Treck zu tarnen, weil keine Tarnnetze vorhanden waren. Die Wagen oder Lafetten mit Flakgeschützen hatte man von der Straße runter zwischen die Bäume geschoben. Den Ersten gegenüber Albrecht, den nächsten bei Hennings und dann bei Dittmer. Immer dort wo kein Graben war. Die Tiefflieger schossen entlang des Neuen Wegs.

Ort des Tieffliegerangriffs gekennzeichnet auf einem Luftbild von 1969 (Deutsche Luftbild, Chronikarchiv)

Als die Flieger abgezogen waren, sahen wir die toten Soldaten und Pferde liegen. Wir Kinder wurden immer wieder weg gejagt, aber da habe ich die ersten Toten gesehen. Die meisten toten Soldaten und Pferde lagen beim Haus des Wachtmeisters, heute Neuer Weg 17. Dort standen weniger Bäume, so dass die Piloten freies Schussfeld hatten. Alwine Sommer hat den toten Pferden gleich die Mähnen und Schwanzhaare abgeschnitten. Sie hat daraus irgendwas gemacht. Sie hat uns auch die Haare geschnitten. Friseur hatten wir damals nicht. Die Flüchtlinge schnitten große Stücke Fleisch aus den Kadavern und transportierten sie auf dem Fahrrad oder einer Karre ab. Wir: „Iiih, Peerfleesch!“ Wir mochten das nicht essen. Aber damals gab es viele hungrige Menschen.

Wo heute der Spielplatz am Hafen ist, wurden die toten Pferde begraben. Die Stelle konnte man noch lange erkennen, weil dort eine Kuhle entstand.

Für uns Jungs war das Ganze wie ein Abenteuer, die Tragweite des Geschehens konnten wir noch nicht begreifen.

Mitmachen beim Jungvolk

Abenteuer versprach auch die Mitgliedschaft im Jungvolk. Es gab, vor 1944 glaube ich, ein Zeltlager vom Jungvolk aus ganz Schleswig-Holstein, am Deich hinter Ostermann. Das hat uns beeindruckt.

Zum Deutschen Jungvolk

In der „Zweiten Durchführungsverordnung (Jugenddienstverordnung) zum Gesetz über die Hitlerjugend“ vom 25. März 1939 wurde die Zwangsmitgliedschaft der 10- bis 14-jährigen Knaben im Jungvolk festgelegt. Beim Eintritt war die „Pimpfenprobe“ abzulegen, mit sportlichen Prüfungen, Fragen zur Jungvolk-Organisation und zum Leben Adolf Hitlers, sowie Aufsagen von Deutschlandlied, Horst-Wessel-Lied und des Hitlerjugend-Fahnenliedes. Der Pimpf musste die „Schwertworte“ sprechen: Jungvolkjungen sind hart, schweigsam und treu; Jungvolkjungen sind Kameraden; des Jungvolkjungen Höchstes ist die Ehre. Nach bestandener Probe durfte der Pimpf das HJ-Fahrtenmesser tragen. Mit 15 Jahren wurde der Jungvolkjunge in die Hitlerjugend aufgenommen.

Fußnote 1

Noch Anfang 1945 wollte ich gerne zum Jungvolk, kriegte man doch ein Braunhemd, Koppel, Manchesterhose, Kniestrümpfe und Schulterriemen. Da ich noch nicht 10 Jahre alt war, durfte ich nicht offiziell eintreten. Mitgemacht habe ich trotzdem. Am 1. April durfte ich mit den Pimpfen mit marschieren. Uniform gab es aber nicht mehr. Im HJ-Heim, dem später abgebrannten alten Hof von Schwormstede trieben wir unsere Kriegsspiele. Da hatten wir Gewehre, MP und ein schweres MG aus Holz. An Letzterem konnte man an einer Kurbel drehen. Dann knatterte es wie ein richtiges MG, hervorgerufen von Spannfedern an einer Trommel, die auf Holz schlugen. Das MG mussten wir mit zwei Mann tragen, wenn wir Geländespiele machten. Es war mehr Abenteuer als Marschieren für den Führer.

„Ausbilder“ für die Jungs waren zwei Brüder vom Steindeich, von denen der ältere schon die grüne Kordel hatte. Der Bannführer mit weißer Kordel war von Itzehoe. Der gab die Befehle. Mit von der Partie waren viele Jungs aus Kollmar.

(Postkarte 1944, Chronikarchiv Kollmar)

Die „Tommies“ kommen – der Krieg ist aus!

Und denn Anfang Mai hieß es: Krieg is vorbi! Wat nu! Die Soldaten, die im Fährhaus und im Gasthof zur Post gewohnt hatten, zogen ab. Noch vor dem offiziellen Kriegsende kamen die Engländer ins Dorf. Im ersten Wagen ein Beifahrer mit MP im Anschlag. Auch Mannschafts-Kettenfahrzeuge für 7 oder 8 Leute waren dabei. Ein Wagen fuhr zum Hafen, zwei hielten beim Kaufhaus Kriedemann, wo eben noch die Hakenkreuzfahne geweht hatte. Von Alma Kriedemann und Adele Behrens bekamen die Soldaten Milch und Wasser zu trinken. Gleich hieß es unter den umstehenden Jungs, vielleicht sei das vergiftet. Das sind doch unsere Feinde. Aber hest dat seen, da hebbt se Bontjes, Schokolaad und Zigaretten. Kunn man klaun. Man nich so luut, de könnt ok düütsch. Nach kurzer Zeit fuhren die Engländer weiter.

Kaufhaus Kriedemann um 1944 (Foto: Minet, Chronikarchiv Kollmar)

Kapitulation und Vormarsch der britischen Armee

In Wikipedia-Beitrag „Schleswig-Holstein“ heißt es: „ Am 7. Mai 1945 wurde um 12:45 Uhr über den Reichssender Flensburg in einer Ansprache von Lutz von Schwerin-Krosigk zum ersten Mal von deutscher Seite das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa verkündet. Die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht trat am 8. Mai 1945 um 23:01 Uhr in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war der Großteil Schleswig-Holsteins noch unter der Kontrolle deutscher Truppen.“

Aber schon am 2. Mai hatten die Engländer Lübeck erreicht, am 4. Mai Kiel und am 5. Mai morgens um 8:00 Uhr trat die Kapitulation der deutschen Truppen im Nordraum und in Skandinavien in Kraft (aus Geschichte Schleswig-Holsteins).

Fußnoten 23

Schule nach dem Ende des Kriegs

Vielen ging es zu dieser Zeit schlecht. Die Flüchtlings-Familie Steppuhn lebte in der „Villa Rostock“ (heute Schulstraße 32, abgebrannt). Der Vater war schwer kriegsgeschädigt. Da waren mehrere Kinder. Der eine Sohn, Lothar Steppuhn kriegte oft Krämpfe, epileptische Anfälle, ist später auch ertrunken, am Stack bei Saggau. Der holte sich aus den großen Abfalltonnen beim Gasthof zur Post die von den Amis weggeschmissenen Bananen und Apfelsinen, die noch essbar waren.

Zu dieser Zeit gab es auch noch die Schulspeisung. Gekocht wurde von Frau Münster bei Nebel im Gasthof zur Erholung. Gut war Schokoladensuppe mit Keks. Jede Woche gab es auch 50 g Schokolade je Kind. Wir Kinder aus der „Großschule“ bei der Kirche mussten das zuteilen. Die Frage war, wer zu Gunsten anderer verzichtet. Die Kleinen waren meist benachteiligt, denn denen wurde von den Großen zuerst was weggenommen.

Jeden Dienstag gab es Maggisuppe. Wir gingen dann mit Blechdosen rüber zu Nebel, auch die, die wie ich, sonst nicht zur Schulspeisung gingen. Lothar Steppuhn hatte einen leeren Marmeladeneimer dabei, da kippten wir denn unsere Portionen rein, damit Steppuhns sich satt essen konnten. Die Schulspeisung endete Ostern 1950.

Wenn die Klassenräume sauber gemacht werden sollten, wurden die Schulbänke auf den Schulhof getragen, Stroh in den Räumen verteilt, zusammengekehrt und das dreckige Stroh auf den Schulhof geschmissen. Das ging bis 10 Uhr. Mit Unterricht war dann nicht mehr viel.

Wenn neue Flüchtlinge gekommen waren, halfen wir auch beim Verteilen, Gepäck aufladen auf die Wagen, die sie zu ihren Unterkünften brachten. Einige hatten eigene Wagen, wie Bodo Johanssen und Familie, die dann im Bremer-Haus (heute Schulstr. 6) wohnten. Flugzeugräder hatten sie an ihren beiden Wagen. Sie traten wie Herrenmenschen auf. Bodo, man nannte ihn auch Baron, durfte nicht arbeiten, weil seine Oma drohte, sich sonst aufzuhängen.

[Anm.: Bodo’s Mutter trug meist einen Pelzmantel, Bodo einen Kamelhaarmantel, Lederhandschuhe und Pelzmütze, wenn sie ins Dorf gingen. Sie bewohnten im Bremer-Haus zwei Kammern zum Deich hin, die früheren Kammern von Dienstmädchen und Knecht. Die Küche durften sie mit benutzen.]

In den kalten Wintern 45/46 und auch 46/47 gab es keinen Unterricht, wenn die Kohle ausgegangen war. Dann holten wir nur die Schularbeiten ab. Gemacht haben wir sie selten, weil nicht kontrolliert wurde.

Wenn Kohle da war und der Ofen im Gange war, hatten wir unsere Methode, wie wir schulfrei kriegten: Im Ofen fehlten einige Schamottesteine. An diesen Stellen glühte der Ofen. Wir nahmen ein Stück Holz und rieben es solange an diesen Stellen, bis es zu Qualmen anfing. Dann mussten wir lüften und es wurde kalt im Klassenzimmer. Der Lehrer meinte dann, dass kein Unterricht mehr stattfinden könne und schickte uns nach Hause.

Vadders Einsatz mit der NIXE im Krieg

Auch an Lebensmitteln mangelte es. Wir waren davon weiniger betroffen, weil Vadder bei seinem Norwegeneinsatz so manches organisiert hatte.

1944 hatte Vadder Bescheid bekommen: „Du sollst Salz laden nach Norwegen, in Lübeck“. Zwar war nur von Salz die Rede, aber es gingen auch Maschinenteile und Munition mit an Bord. Dann fuhr die NIXE im Konvoi nach Kiel, wo sie mehrere Tage lag, von da weiter nach Sonderburg. Wieder Liegezeit und weiter im Konvoi die dänische Küste hoch und rüber nach Sandesund Richtung Korsgrund. Da waren Deutsche stationiert. Einige Schiffe fuhren nach Horten. Alle Frachter mussten in Norwegen bleiben, hieß es dort. Die Kapitäne bekamen Befehl, sich auf einem Schiff zu versammeln. Ein Oberst der Gebirgsjäger, die in Horten stationiert waren, hielt eine Rede über das Großdeutsche Reich und erzählte den Schiffern, dass sie in Norwegen Versorgungsfahrten zu machen hätten. Dazu wären sie verpflichtet. Es sei denn, es steht zu viel „Geröll“ (Felsen der Schärenküste). Dies „Geröll“ wurde oft von den Schiffern vorgeschoben, um nicht fahren zu müssen. Konnte man natürlich nicht immer machen.

Vom Krieg haben sie in Norwegen nicht viel gemerkt. Kampfhandlungen gab es kaum. Ab und zu mal ein Bombenangriff. Aber in den Schären lag man ziemlich sicher. Und mit dem Norweger konnte man gut organisieren.

Andreas Wulf als junger Mann auf der LUCIA

Von einem Norweger bekam Vadder ein Bild: Jesus mit Lamm in einer Schafsherde stehend. Hat er überall mit hin genommen, auch noch auf die STEENBORG, das Schiff, das wir nach der NIXE hatten. „Wat wullt du dor denn mit“, habe ich später mal gefragt. „Dat muss opbewahren. Heff ick vun Norweger kregen. de hett mi veel Glück wünscht und dat mi nix passiert“ erzählte Vadder dann. Mit anderen Schiffern wurde noch lange über die Norwegen-Zeit geschnackt.

Wenn die Schiffe nicht fahren mussten, hatte man Zeit. Die Laderäume wurden verkleinert und doppelte Wände gezimmert. Dahinter verstaute Vadder bei einer Heimfahrt Kohle, drei Zentner Zucker, Schokolade und Waldorf Astoria Zigaretten. Da hat Vadder noch 3-4 Jahre von geraucht.

Auch Kartoffelchips (getrocknete Kartoffelscheiben) hat Vadder mitgebracht. In großen Papiersäcken. Die wurden in Wasser eingeweicht und dann gebraten. Wir Kinder mochten die gerne. Erbsensuppe in Päckchen gab es auch. Von einem halben Paket kochte Mutter Suppe für vier Personen. Schmeckte nach Maggi, mochten wir auch gerne. Wenn Mutter Schokoladensuppe kochte, hatte sie einen dicken Klotz Schokolade liegen, von dem sie mit einem großen Messer Stücke abschnitt.

Unser Zucker schmeckte nach Wein. Im Verschlag auf dem Schiff war Wein ausgelaufen und war in den Zucker gesickert. Mindestens fünf Zentner Zucker hatte Vadder mitgebracht und 15 Tonnen Kohle. Unter der Wegerung, den Bodenbrettern im Laderaum, hatte er Brot in Dosen versteckt. Für uns Kinder war das ja was Neues.

Nach Norden wurde Schnaps geschmuggelt. Als nach Kriegsende die norwegische Hjemme-Front (Heimat-Armee) kam, überwiegend junge Leute, gab es oft Razzien. Die nahmen gerne Schnaps.

Im Mai 45, nach der deutschen Kapitulation in Skandinavien, kam der Engländer nach Norwegen. Die Deutschen Schiffe wurden beschlagnahmt. Sie mussten Munition fahren, zum Versenken. Dabei wurden auch deutsche Soldaten eingesetzt, nur von einem Engländer beaufsichtigt. Geladen wurde in Horten, Drammen und Stavanger .

Vaddern lag bei der Kapitulation in Langesund am Oslofjords, Einfahrt nach Horsgrunde. Die Schiffe waren dem Engländer unterstellt. So vergingen die Monate. Eines Tages hieß es: „morgen früh geht es los, die schwedische Küste runter“. Bei den Schiffen war auch die NIXE. In einer Februarnacht 1946 kam Vadder in Kollmar an. Dann ging das „normal“ weiter. Allerdings bekam die NIXE eine X-Nummer. D.h. sie war zur Übergabe als Reparationsgut vorgesehen. Dazu kam es aber nicht.

Dadurch, dass Vadder soviel Lebensmittel aus Norwegen mitgebracht hatte, hatten wir nach 1946 immer genug zu essen.

1946 hat Vadder auch vom Ruhrgebiet viel Kohle gefahren nach Schleswig-Holstein. Da haben wir immer was abgezweigt und haben morgens im Blockwagen die Kohle mit zur Schule genommen. Die eine Hälfte bekam der Lehrer, die andere war für die Klassenräume. Dann konnten wir mal wieder heizen.

Amis in Kollmar

1946 im Frühjahr kam eine Kommission von Deutschen und haben Häuser beschlagnahmt, Fährhaus, Gasthof zur Post, Wohnhäuser von Bleß (heute Neuer Weg 39), Johannes Hennings (heute Neuer Weg 44), Lüders (heute Neuer Weg 15) und gegenüber der Kirche das Greve-Haus. Die Häuser mussten geräumt werden. 4 Bei einem Bauern hatten sie Pferde beschlagnahmt und untergestellt.

Die NIXE mit X-Nummer am Bug 1950 im Hafen Kollmar. Links der Motorewer HANS. (Foto: Theodor Voigt, Chronikarchiv Kollmar)

Dann kam eine amerikanische Einheit mit Jeeps, Mannschaftswagen und kleinen Kettenfahrzeugen. Letztere wurden später wieder abgezogen. Sie hatten die Aufgabe, Gräber amerikanischer Soldaten in Schleswig-Holstein aufzuspüren und die Leichen zu exhumieren. Die Amerikaner wurden einlogiert. Sie holten uns Jungs für kleine Hilfsarbeiten, mich, Siegfried Kullack, Herbert Manhold und andere. Da hab ich meine erste Flasche Cola getrunken. Wir bekamen Drops, Toggy-Schokoladenmilch. Und Zigaretten, alle Ami-Sorten. Wir waren 13 Jahre alt, hatten Zigaretten, auch Tabak und verpackte Lebensmittel.

Günther Wulf, Siegfried Kullack 1950u. Herbert Manhold 1953

Als sie ein paar Tage da waren, mussten wir Stühle vom Fährhaus zum Gasthof zur Post tragen. Es wurden auch Stühle auf Jeeps geladen, so sieben, acht Stück, die wurden nach Bleß gebracht. Die hatten ja den Laden vorne in der Veranda. Da mussten wir die Stühle reinstellen. Dann wurden wir entlassen mit Schokolade, Bontjes und Zigaretten. Zigaretten kosteten auf dem Schwarzmarkt das Stück eine Reichsmark. Probiert hatten wir die Zigaretten natürlich auch.

Das Wetter wurde immer besser. Eines Tages als wir Jungs so an der Schleuse rum standen, kam der dicke Major, so ein rotbramstiger Kerl. Wir kriegten einen großen Schwamm. So was hatten wir noch nie gesehen. Zwei große Wassereimer hatte er dabei. Wir mussten uns hinten in den Jeep setzen und mit Haltegurten anschnallen, die am Überrollbügel fest waren. Dann fuhr der Fahrer, ein Schwatter, los hintern Deich, am Hafen längs zum Strand ins niedrige Wasser, das nur so weg spritze. Bis zu den Achsen stand der Jeep in der Elbe und wir mussten ihn waschen. Der Schwatte saß solange auf dem Stack. So ging das alle paar Tage. Nachher durften wir durchs Dorf mitfahren. Geschwindigkeitsbegrenzung gab es ja noch nicht. Einmal bog er von Am Deich in die Kl. Kirchreihe, das ist eine spitze Kurve, zu schnell ab und kam mit zwei Rädern aufs Bankett. Gegröle bei uns Jungs und der Schwatte hat sich gefreut.

Einen Spaß machten sich die Amis auch mit dem Motorrad vom Gendarm Stange. Der wohnte Richtung Lühnhüserdeich, heute Kl.Kirchreihe 17. Dort hatte er eine Sonntagsschule. Von da kam er mit seiner 98-er Meika mit Sachsmotor zur Schleuse. Dann kamen die Amis mit einem Kanister, füllten den Tank voll und drehten erstmal einige Runden mit Stanges Motorrad durch Kollmar. Bis Stange auf die Uhr sah und ein Zeichen gab. Der Tank wurde nochmals gefüllt und einen 10 Liter Kanister gab’s dazu. Dann tuckerte Stange wieder ab.

Als Leichenhaus diente den Amerikanern der Schuppen beim Bauern Thies Meinert. Dort wurden die Gebeine in Zinksärge eingelötet und abtransportiert.

Wir Jungs verbrachten viel Zeit bei den Amis. Wir mussten auch saubermachen, bei Bleß die Wohnung oben, vom rotbramstigen Major. Den hatte einer von uns, der später weggezogen ist, beklaut. Und da war Schluss mit unserer Beschäftigung und natürlich auch mit Schokolade, Zigaretten und Sonstiges.

Im Fährhaus und Gasthof zur Post gab es wohl jede Woche amerikanische Musik, Jazz, „Negermusik“ nannten wir das, und Tanz. Da kamen denn auch deutsche Mädchen. Wir Jungs brüllten: „heut ist Negerjazz auf dem Adolf Hitler Platz“. Auch hier machten wir anschließend sauber. Unter den Tischkanten klebten die Kaugummis. Die mussten wir wegmachen.

Das Ganze dauerte wohl so sechs Monate. Jedenfalls zogen die Amerikaner im Herbst ab.

Frachtfahrten der Nixe nach dem Krieg, Havarie und andere Erlebnisse

Nach dem Krieg versorgten ja die Amerikaner und Engländer Deutschland mit Getreide. Es wurde mit den Liberty-Schiffen, überwiegend Amis; nach Hamburg gebracht. Wenn es hieß, es kommt wieder ein Schiff, Landsend am Englischen Kanal noch nicht passiert, dauerte es noch etwa 5 Tage bis der Frachter in Hamburg war. Einen Tag vor Ankunft erhielten wir einen Anruf: Morgen früh am Getreideheber soundso. Dann fuhren wir mit der NIXE nach Hamburg und luden Getreide. Das ging überwiegend ins Ruhrgebiet. So war es auch bei vielen anderen Schiffern an der Unterelbe.

Auf dem Rückweg luden wir oft Kohle. So auch nach dem Winter vor der Währungsreform im Juni 1948.

Die hatten im Ruhrgebiet immer die Kräne mit den großen Greifern, da waren 11 Tonnen Kohle drin oder 9 Tonnen Koks. Vadder ging dann zum Meister, um eine „Portion abzuzweigen“: „willst’n paar Körner haben“. Der wollte lieber Fische haben. Der Alte hatte noch’n halben Kantje (Heringsfass) für ihn. Dafür konnte man auf dem Schwarzmarkt ‚ne Menge kriegen. „Was für Kohle kriegt ihr. Schmiedekohle 5 oder Nuss 3“, wurde gefragt, „hast du ‚ne Abdeckplane?“ „Jo“, segg Vadder, „genog.“ „Ja, was willst du?“ „11 Tonnen Koks.“ „Wo willst du sie haben.“ Rein in die Luke, weg schaufeln, abdecken. „Wie viel Ladung kriegst du.“ „Ja“, segg Vadder, „voll, höchstens 180 Tonnen.“ „Na gut bei 150 Tonnen machen wir Schluss.“ Haben wir aber nur gemacht mit der „Extraportion“, wenn wir Kohle nach Uetersen, Brunsbüttel oder Hamburg-Harburg brachten. Da bekamen die Arbeiter beim Löschen eine Flasche Dujardin mit der Order: „pass op, wenn ne Plane kommt, denn kommt von uns gekaufte Kohle. Die wird nicht entladen.“ Dann fuhren wir nach Kollmar, wo wir so unsere „Abnehmer“ hatten.

Georg Thomsen konnte aus seinem Wohnzimmerfenster im ersten Stockwerk der Sparkasse den Hafenplatz einsehen. Er konnte gut verfolgen, wer unsere Kohle abnahm, hatte auch Fotos gemacht, wie die Zöllner mit einem Blockwagen voller Kohlensäcke, die Vadder ihnen geschenkt hatte, wegfuhren. So als Rückversicherung. Man wußte ja nicht, was kommt. Die Bauern fuhren ja mit ihren Fuhrwerken vor. Da kriegten wir als „Bezahlung“ ein halbes Schwein, mitunter auch Rindfleisch. Münster vom Lühnhüserdeich bekamen zwei kleinere Fuhren. Da gab es dann Äpfel für. So ging das Tauschgeschäft hin und her. Die Zöllner waren ja „ruhig gestellt“.

Einmal hatten wir mit der NIXE großes Pech (Havarie). Das war in der Nacht von 9. auf den 10. Februar 1949. Die NIXE lag zwischen der Dampferbrücke und dem Stack südlich davon im Vorhafen vor Anker, beladen mit weißem, afrikanischen Mais. Sich auf dem Watt trocken fallen zu lassen, war überall an der Unterelbe alte Tradition. Dort lag man bei Ebbe sicher, konnte sein Unterschiff teeren oder, wie es in Blankenese gemacht wurde, sein Schiff be- oder entladen. Die NIXE machte im Heimathafen nur einen Zwischenstopp.

Der Kapitän und von der Mannschaft Erich Gehrcken, Leichtmatrose, und der Schiffsjunge Willy Engelbrecht von Bielenberg gingen an Land. Der Matrose Günther Löwitz, der schon als Dienstverpflichteter mit in Norwegen war, blieb als Wache an Bord. Wir lagen vor Stockanker. „Genügend Kette weg?“ „Ja!“ Wir hatten insgesamt 45 Faden Kette in einem Stück. Oft hatte man alle 15 Faden (27,5 m) einen Schäkel. Über’n Daumen sollte die ausgelegte Länge reichen.

Schon abends frischte es auf. Mit der Ebb-Tide fiel das Wasser nur wenig. Daher musste man bei Flut mit einem höheren Wasserstand rechnen. „Dat gifft wör een Butendieker“, segg Vadder, „hoffentlich het he genuch Keed weg.“

Bei Westwind legten wir zur Sicherheit noch einen Stahlstropp zu einem der Festmacherringe in der Dampferbrücke, was wir diesmal nicht gemacht hatten.

Abends noch mal über’n Deich kucken. Schiff liegt noch gut. „Dat Water steiht ober all opp’n Habenplatz. Da sitt noch mehr achter, aber bet Morgen geiht woll.“ Und denn to Bett. Ick güng ja noch to School. Vadder segg: „Kannst hüt Nacht ja noch mal nahkieken.“ Aber mit 14 Jahr nimms dat nich so ernst und hest ook keen Lust.

Morgens um halb sechs geht das Telefon. Hannes Kröger, Schiffsführer auf dem Ewer HANS von Hugo Kühl. „Wat is los Hannes.“ „Ja, dien Schipp liggt da so komisch. Dat liggt nich mehr da, wo dat liggen schall. Liggt mit Schlagsiet, mut irgendwo opsitten.“

Denn aber rin in de Büx, achtern Diek. Da standen schon mehrere Leute. Onkel Harry (Harry Sommer), Hans Lienau. Es war mittlerweile sechs, halb sieben. „Hesst denn’n Mann an Bord?“ „Ja, da is een in’t Roarhus.“ Glücklicherweise lag das Ruderhaus bei der NIXE recht hoch. In der darunter liegenden Kammer hatte Vadder die Bullaugen diesmal verschlossen. Die Niedergänge gingen vom Ruderhaus und der Küche aus. So konnte kein Wasser in den Maschinenraum eindringen. Das ganze Vorschiff, bis zum Ruderhaus hin, lag unter Wasser.

„Wie kriegt wi den Mann an Land?“ Im Februar waren die Fischerboote nicht im Wasser. Willy von Aspern, der auch gekommen war, sagte: „Ik heff een nieges Rettungsboot, liggt bie Karl Dittmer in Schuppen.“ Mittlerweile hatten sich mehr als 15 Männer versammelt. Alle wollten mit, um das Boot zu holen. Riemen wurden auch besorgt Das Boot zum Hafen getragen. Vadder, Onkel Harry, Hans Lienau und Hein Ostermann ruderten rüber zum Schiff.

Der Matrose Günther Löwitz, auch erst gute 20 Jahre alt, hatte große Angst. Er hatte noch versucht den zweiten Anker, einen Patentanker zu schmeißen. Was nicht gelang, weil ein Sckäkel, der falsch eingebaut war, sich an einer Klüse verhakt hatte, wie wir später feststellten. „Denn hett Günther ja doch nich logen“, segg Vadder, „he hett seggt, de Anker full nich.“ Denn schull ick de Schuld hemm. „Hess Du an de Brems dreiht?“

Die Lukendeckel waren eingedrückt und weggetrieben, lagen zwischen Maler Dössel (Am Deich 25) und Schiffer Johannes Stahl am Deich. Von den etwa 50 Deckeln haben wir 27 wiederbekommen. Einige Anwohner haben das „Strandgut“ eingesammelt und behalten, z.B als Wassersteg an der Wettern.

„Denn möt wi ja na de Werft.“ Vadder weer ganz ruhig. Wat schass ok maken. De Ladung weer in Moers. Vadder denn ja na de Versicherung. Na, das Übliche. Wasserschutz hat sich gar nicht blicken lassen.

Als das Wasser weg war, kamen bald die ersten Leute und füllten Säcke mit Mais, der aus dem Schiff raus gespült war. Das meiste lag in der Ecke am südlichen Hafenstack. Nach einigen Tagen hatte sich eine Schlickschicht über eine Maisschicht von 30-40 cm gelegt. Ein Fuhrunternehmer aus Elmshorn brachte den Mais zur Hefefabrik Asmussen. Dort wurde er auseinander gebreitet und getrocknet. Zusammen gekommen sind bei der Bergung an die 17 Tonnen. Was die Leute in Kollmar so eingesammelt hatten, mussten sie wieder abgeben. Das war Diebstahl. Der Kollmarer Zoll- oder Polizeibeamte durchsuchte auf Verlangen der Versicherung etliche Haushalte im Ort. Vor allem Schweinehalter wurden kontrolliert.

Taucher Harmsdorf hat das Schiff gehoben, was wohl ein paar Tage dauerte, und nach Wewelsfleth gebracht. Durch das Auflaufen auf den Stack war ein Riss im Rumpf entstanden. Obwohl das Schiff mit der schweren Ladung hohl gelegen hatte, war es aber nicht durchgebogen. Die NIXE war verhältnismäßig stark gebaut. Die Reparatur war ziemlich schnell erledigt.

Aber dann kam der Zoll noch mal. Er interessierte sich für die Freiladung, zollfreie Ware, Zigaretten, Tabak. Vadder hatte dafür keinen Schrank, sondern nur einen Beutel. „De Büdel is wegdreben!“ Der Zoll wollte wissen, wo Vadder den Beutel an Bord gelagert hatte. „Den heff ick in Roarhus hat.“ Das Ruderhaus war auf der Wasserseite von den Wellen eingedrückt worden. Der Zoll wollte wissen, ob Vadder nach dem Beutel gesucht hatte und wie der Beutel aussah. In Wirklichkeit war der wohl bei einer meiner Tanten. Modder war damit nicht recht einverstanden. War Unrecht.

Bei der Seeamtsverhandlung ging es darum: warum war der Kapitän nicht an Bord. Mit der Begründung, dass es alte Tradition ist, dass die Schiffer ihre Schiffe mit einer Wache am heimatlichen Ufer vor Anker legen, wurde Vadder von Schuld frei gesprochen. Daher übernahm die Versicherung den Schaden.

Ein anderes Mal war ich mit Reini Meier und Helmut Müller an Bord. Vadder segg: „schloop man an Bord.“ Aber abends war ich bei Paul Andrews im Gasthof Zur Post auf ein, zwei Bier.

Das Beiboot hatten wir bei den Fischerbooten im Hafenpriel liegen. Gegen Mitternacht, das Wasser lief schon auf, kam ich zum Hafen. Stockduster, keen Ankerlamp to seen. „Heppt se de Ankerlamp vergeten?“ Weern noch Petroleumlampen.

Ok de Hecklaterne weer nich an. Bevor ich denn das Schiff im Dunkeln such, bin ich nach Hause. Früh am Morgen bin ich hoch, damit Vadder nichts merkt. Wir wollten den Tag los mit dem Schiff. Ich komm zum Hafen. Es war’n bisschen diesig. Ich kuck nach Pagensand rüber. Da war die NIXE dahin getrieben. Mit Anker. Ich ins Beiboot und gewriggt wie ein Weltmeister. Die beiden geweckt, zur Maschine: Kühlwasser angestellt, Öl vorgepumpt und ran an die Kurbel, um die Maschine anzuschmeißen. Wenn das der Alte merkt, der macht uns die Hölle heiß. Denn dürfen wir nie wieder an Land. Er hat es aber nicht gemerkt. Das Unwissen hat er mit ins Grab genommen. Normal ankerten wir die halbe Dampferbrücke runter.

Wir hatten Glück, das wir beim Wegdriften nicht mit unserem Anker in die Ketten des Liggers gekommen waren. Den hätten wir gar nicht wieder hochgekriegt. Wir hatten aus Faulheit zu wenig Ankerkette raus gelassen, weil wir sie ja auch wieder einholen mussten.

Die NIXE (vorne links) um 1950 im Vorhafen Kollmar, hier längsseits an der ALMA von Johannes Stahl. Davor die ALMA von Ernst Münster. Vor der Dampferbrücke der Ligger (Lieger, Ponton zum Anlegen der Schiffe). (Foto: Theodor Voigt, Chronikarchiv Kollmar)

Die THEA von Claus v.Aspern und die ALMA von Johannes Stahl liegen an den Dalben im Vorhafen. Um 1950.

Im Binnenhafen links HANS (Hugo Kühl) noch mit einer Kennnummer BH oder BN 74 am Bug. Rechts die ALMA von Ernst Münster.

Draußen auf der Elbe die ITALIA, die regelmäßig Kollmar passierte. Die ehemalige schwedische KUNGSHOLM wurde 1948 in ITALIA umgetauft. (Foto: Theodor Voigt, Chronikarchiv Kollmar)

Wir lagen wieder rechtzeitig vor Kollmar, konnten so acht, halb neun frühstücken, da grölt der Alte: „Ick bün hier, holt mi röber.“

Eine Stunde vor Hochwasser wollten wir los, nach Holland bis Groningen. Wir hatten noch rechtzeitig „klar Schiff“ melden können, als ob nichts gewesen wäre. Der Alte übernahm das Kommando.

Der Motorewer HANS von Hugo Kühl im Kollmarer Stichhafen um 1950. An der Kaikante steht Wilhelm Pein. Auf dem Schiff in der schwarzen Jacke Hugo Kühl, daneben Hinrich Sommer. Auf dem Ruderhaus sitzt Claus Albers. Rechts vom Dalben steht Julius von Aspern.

(Foto: unbekannt, Chronikarchiv Kollmar)

Im Vordergrund der Lagerplatz für Bau- und Brennstoffe von Hugo Kühl am Neuen Weg (heute Nr.50). Links kommt der Bus vom heutigen Parkplatz, der in den Kriegs- und Nachkriegsjahren als Gartenland genutzt wurde.

(Foto: Deutsche Luftbild, Ausschnitt, um 1955)

An den Dalben im Vorhafen lagen meist die ALMA und THEA. Daher lagen wir eben etwas weiter draußen vor Anker oder im Stichhafen. Da lag aber meistens auch der HANS von Hugo Kühl. Sein Schiffsführer Hannes Kröger machte mit dem kleinen Motorewer Tagestouren nach Hamburg zur Kokerei, mit Gerd Mix oder auch Bruno Ostermann, oder holte von dort Sand. Vadder und Hannes mussten verabreden, wer im Stichhafen hinten oder vorne lag. Aneinander vorbei konnte man nicht. Je nach Tide mussten wir aber auch mal nachts die Plätze tauschen. Da hatte man aber keine Lust zu. Wir lagen dort schon mal mehrere Tage, wenn wir keine Ladung hatten. Einmal wollte Hannes auch früh morgens los. Er lag hinten drin. Herbert Manhold, Hans Lienau und ich schliefen an Bord der NIXE. Wir wussten, dass Hannes los wollte und wir verholen sollten. Da wir mit ihm noch ein Hühnchen zu rupfen hatten, wollten wir so tun, als wenn wir noch schlafen. Gerd Mix und Bruno Ostermann grölten draußen oben an der Klappe. Wir, keine Reaktion. Auch Hannes grölte im Hintergrund: „Dat könnt ji doch nich maken, ick mut ruut.“ Bruno seeg: „De schlöpt unheimlich fast.“ Zuletzt kamen beide runter in die Koje und rüttelten uns. „Lat mi los“, segg Hans Lienau, „sonst kriegst du een an’t Muul.“ Na, denn kamen wir langsam in de Gänge.

Hannes musste zum Sand holen gegen den Strom nach Hamburg rauf und kam wegen der Verzögerung an dem Tag auch nicht wieder. Er musste noch unter den Elbbrücken durch, bis hinter die Verzweigung in Norder- und Süderelbe. Dort wurde Sand gebaggert.

Hugo Kühl’s Lagerplatz für Kohle, Schlacke und verschiedene Sorten Sand war das Grundstück mit der heutigen Adresse Neuer Weg 50. Später hatte Opa Hennings dort seine Kohlen. Ihm wurde öfter Kohle geklaut. Nachts saß er manchmal bei Tilly Wulf am Fenster und passte auf. Einmal hätte er beinahe meine Mutter und Tante Elli vermöbelt. Die hatten sich verkleidet und wollten Opa Hennings ärgern. Als Opa Hennings sie bemerkte, kam er mit einem dicken Knüppel an. Er hatte sie nicht erkannt. Aber die beiden Frauen fingen gleich an zu grölen, so dass sie noch mal davon kamen.

Was heute Parkplatz ist, war früher Gartenland. Da hatte Oma Wulf ein Stück, nach dem Krieg Tante Elli und Richtung Deich Ferdinand Dittmer. Das Stück dahinter hatte jemand anderes gepachtet. Ob das Land damals schon Haars gehörte ist nicht klar.

Mit der Konfirmation war die Kindheit vorbei

1948 begann für mich der Konfirmationsunterricht bei Pastor Fuchs. Er fand in der ungeheizten Kirche statt. Für den Konfirmandenraum im Pastorat war die Gruppe zu groß. Wir waren so bei 60 Mädchen und Jungs. Im Unterricht haben wir so manchen Schabernack getrieben. Ich glaube, wir waren die Schlimmsten. Pastor Fuchs hatte es nicht leicht. Am Ende mussten wir natürlich alle durch die Prüfung. Er konnte aber bei der Menge nicht jeden drannehmen.

Mit der Konfirmation kam denn auch die Schulentlassung. Ich ging bei Vaddern an Bord der NIXE, um das Schifferhandwerk zu lernen. Später wurde ich selbst Kapitän und Eigner der STEENBORG (1) und der STEENBORG (2).

1961. V.l.: Günther, Anni, Dorte und Andreas Wulf.

(Foto: unbekannt

Das war es, was ich erzählen wollte. Auch wenn es manchmal schwierig war, hatte ich doch eine gute Kinderzeit.

Das Anwesen von Familie Wulff um 1954.

(Foto: Westdeutscher Luftfoto)

1 Wikipedia: Deutsches Jungvolk (Stand 13.7.2021)

2 Wikipedia: Schleswig-Holstein (Stand 10.1.2022)

3 Geschichte Schleswig-Holsteins. Wachholtz-Verlag, Neumünster, 1996

4 Laut Schulchronik Kollmar im April 1946

5 hochwertige Steinkohle zum Schmieden

Ich trat in die Fußstapfen meines Großvaters

Jan Henning Wulffs Erinnerungen an Kindheit und Jugend 1936 bis 1962

Ulf Buhse
Nach einem Manuskript von Jan Henning Wulff

Inhalt

Frühe Jahre

Umzug ins großväterliche Anwesen

Aus den Kriegszeiten

Uniformen und Zeichen des Krieges gehörten zu unserer Kindheit

Vater habe ich kaum gekannt

Lehrer Mohr

Ferien bei Kühl am Lühnhüserdeich

Fahrt nach Elmshorn und Luftkrieg 1943

Wehrmacht in Kollmar

Fritz aus der Ukraine

Paul, der Franzose

Kriegswirtschaft auf dem Obsthof

Auswirkungen von Flucht und Vertreibung

Kriegsende

Die schweren Jahre 1945-48

Vater kommt nicht wieder

Winter 1946-47

Ex-Major Steinmetz

Hasenjagd

Tabakanbau

Fischfang

Die Schule beginnt wieder

Kirche, Friedhof, Läutedienst

Ferien bei Oma Assel

Ferien auf Sylt

Die Zeiten werden besser

Meine letzten Schuljahre

Schulentlassung, Konfirmation und Lehre

Frühe Jahre

Ich wurde am 01.07.1936 in Kollmar geboren. Meine Eltern John (geb. 1901) und Wilhelmine Wulff (geb. 1906) wohnten in dem Haus bei der heutigen Adresse Am Deich 31, das meiner Großmutter gehörte. Vater war Maschinenbauer.

Er hatte sich auf den Einbau von Motoren in Segelschiffe spezialisiert, setze hauptsächlich Maschinen der Hanseatischen Motorenfabrik/Carl Jastram, Bergedorf (HMG) ein. Das Firmenzeichen HMG stand für die Schiffer an der Elbe für „Her mit Geld“, weil die Motoren von Jastram sehr anfällig für Reparaturen waren und dem Hersteller immer wieder Geld zufloss.

Auf seiner Barkasse hatte er eine Werkstatt und lief damit Schiffe und kleinere Werften an der Elbe und im Hamburger Hafen an, um Motoren einzubauen oder zu reparieren. John Wulff hatte sich aus Hamburg einen alten Rumpf geholt und selbst zum Werkstattschiff ausgebaut.

Die Arbeits-Barkasse von John Wulff. Probefahrt ca. 1931. Die Familie und die Schulklasse von Lehrer Mohr ist an Bord. (Foto: unbekannt, [G.Timm])

Mein Vater mit mir und Bruder Hermann 1937 am Haus am Deich. (Foto: Wulff)

John und Wilhelmine Wulff mit ihrem Sohn Hermann 1934. (Foto: Julius v. Aspern)

Jan Henning, Wilhelmine und Hermann Wulff

Haus Wulff, Am Deich 31 (abgerissen)

(Fotos: Wulff)

Mein Vater hatte 1928 Wilhelmine Brammann aus Assel geheiratet. Sie war die Tochter eines Uhrmachermeisters. Die Eltern betrieben ein Geschäft für Uhren, Gold- und Silberwaren. Am 15.12.1928 wurde mein Bruder Hermann geboren. Vater war Maschinenbauer geworden, obwohl er lieber zur See gefahren wäre. Seine Mutter war aber dagegen gewesen. Daher lernte er zusammen mit Hans Münster (später Gastwirt vom Gasthof zur Post) Maschinenschlosser bei Kühl in Neuendorf. Eine Ausbildung zum Obstbauern gab es damals wohl noch nicht.

John Wulff auf seiner Barkasse

(Fotos: unbekannt, [Wulff])

John Wulff beim Einbau eines Motors

Von den frühen Jahren habe ich nur noch einige blasse Erinnerungen, etwa dass mir das Grundstück Am Deich 31 sehr groß erschien und ich einen im Garten gefällten Baum in kindlichem Spiel als Reitpferd benutzte.

Anfang der 50er Jahre wurde von diesem Grundstück ein Teil als Bauplatz abgetrennt und an den späteren Bürgermeister Ferdinand Lau veräußert, der zu diesem Zeitpunkt als Betriebshelfer im Obstbaubetrieb meiner Mutter Wilhelmine Wulff tätig war.

Umzug ins großväterliche Anwesen