Aus Liebe zum Spiel - Max-Jacob Ost - E-Book

Aus Liebe zum Spiel E-Book

Max-Jacob Ost

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Beschreibung

Uli Hoeneß prägte den deutschen Fußball wie niemand sonst Man liebt oder man hasst Uli Honeß, doch wer verstehen möchte, weshalb die Bundesliga ist, wie sie ist, kommt nicht um ihn herum. Max-Jacob Ost taucht ein in die Lebensgeschichte des Mannes, der wie kein zweiter den deutschen Fußball geprägt hat. Die Biografie von Hoeneß wirkt wie das Substrat aus den Schicksalen einer ganzen Mannschaft: Weltmeister. Europameister. Sportinvalide. Jüngster Manager. Titelsammler. Wohltäter. Steuerhinterzieher. Einziger Überlebender eines Flugzeugabsturzes. Millionär und Gefängnisinsasse. Es gibt Netflix-Serien, in denen weniger passiert. Ost hat zwei Jahre lang das Leben des Uli Hoeneß und die Geschichte der Liga recherchiert, hat Interviews geführt mit Wegegefährten und Gegnern – und Hoeneß selbst.

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Über das Buch

Man liebt oder man hasst Uli Hoeneß, doch wer verstehen möchte, weshalb die Bundesliga ist, wie sie ist, kommt nicht um ihn herum. Max-Jacob Ost taucht ein in die Lebensgeschichte des Mannes, der wie kein Zweiter den deutschen Fußball geprägt hat. Die Biografie von Hoeneß wirkt wie das Substrat aus den Schicksalen einer ganzen Mannschaft: Weltmeister. Europameister. Sportinvalide. Jüngster Manager. Titelsammler. Wohltäter. Steuerhinterzieher. Einziger Überlebender eines Flugzeugabsturzes. Millionär und Gefängnisinsasse. Es gibt Netflix-Serien, in denen weniger passiert. Ost hat vier Jahre lang das Leben des Uli Hoeneß und die Geschichte der Liga recherchiert, hat Interviews geführt mit Weggefährten, Freunden und Gegnern von Hoeneß.

Max-Jacob Ost

Aus Liebe zum Spiel

Uli Hoeneß, das Geld und der deutsche Fußball

 

 

 

Es ist Samstag, halb vier. Egal wo du bist, egal was du machst: Da ist diese Unruhe in dir. Dir ist dieses Buch gewidmet.

 

Das Spiel gehört uns.

Prolog

In dieser Wembley-Nacht

Wie überladen kann ein Leben sein?

Uli Hoeneß ist: Weltmeister. Europameister. Sportinvalide. Jüngster Manager der Liga. Titelsammler. Wohltäter. Steuerhinterzieher. Idol. Hassfigur. Einziger Überlebender eines Flugzeugabsturzes. Multimillionär und ehemaliger Gefängnisinsasse. Es gibt Netflix-Serien, in denen weniger passiert. Und die weniger plakativ sind.

Im Leben von Uli Hoeneß gibt es einen Moment, in dem Triumph und tiefer Fall so nah beieinanderliegen, dass es konstruiert wirkt. Er ereignet sich am 25. Mai 2013 in London, am Rand eines besonderen Spiels für den deutschen Fußball. Erstmals treffen mit dem FC Bayern und Borussia Dortmund zwei Bundesligisten im Finale der Champions League aufeinander, dem wichtigsten europäischen Vereinspokal.

Nach keinem Titel sehnte sich Hoeneß so sehr, aber in keinem Wettbewerb ist er so dramatisch gescheitert. Nur ein Jahr liegt die letzte Finalniederlage zurück: im eigenen Stadion, unter den Augen einer zittrigen Stadt, nach einem absurd überlegenen Spiel gegen den FC Chelsea.

Verliert der FC Bayern jetzt wieder – und das gegen die deutsche Mannschaft, die ihm zuletzt mehrfach Titel weggeschnappt hat –, es wäre eine Demütigung. Kurz vor Abpfiff steht es 1:1, gleich geht’s in die Verlängerung. Da schlägt Jérôme Boateng noch einmal den Ball hoch in die Londoner Nacht. Er landet bei Franck Ribéry, der ihn auf Arjen Robben steckt. Mit schnellen Haken weicht der allen Dortmunder Beinen aus, es ist, als würde der Ball Robbens Fuß führen und nicht umgekehrt, plötzlich ist da BVB-Torhüter Weidenfeller, viel zu nah für einen der druckvollen Schüsse, mit denen Robben den ganzen Abend an ihm gescheitert ist, er kann den Ball nur noch schieben, flach, kraftlos, an Weidenfeller vorbei. Der Ball kullert ins Tor und bleibt dort liegen, während um ihn herum alles schreit.

Was ein Trauma hätte werden können, wird zum Titel. Nacheinander recken die Bayern-Spieler den silbernen Pokal in die schwarze Nacht. Uli Hoeneß steht hinter ihnen, stolz, aber zurückhaltend. Da dreht sich Bastian Schweinsteiger mit dem Pokal in der Hand zu ihm um, Hoeneß wehrt ab, die Fankurve hat es gesehen. Ein Ruf, den er schon so oft gehört hat, schwappt in Wellen zu ihm herüber: »Uli. Uli. Uli.«

Er greift nach dem glänzenden Pokal und stemmt ihn in die Höhe, schüchtern fast. Dann gibt er ihn so schnell aus der Hand, als habe er sich an ihm verbrannt. Kurz vorher hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel an ihm vorbei Karl-Heinz Rummenigge gratuliert. Hoeneß hat ihr keinen Blick geschenkt, ihr, mit der er früher häufig gesprochen hat.

Wenige Wochen vor dem Finale war bekannt geworden, dass Uli Hoeneß sich wegen Steuerhinterziehung selbst angezeigt hatte. »Viele Menschen in Deutschland sind jetzt enttäuscht von Uli Hoeneß, die Kanzlerin zählt auch dazu«, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert gesagt. Unten in der Kurve jubeln sie Hoeneß zu, oben kann nur er in diesem Moment wissen, welche Lawine auf ihn zurollt.

 

Wie sieht sie aus, die Welt von Uli Hoeneß? Diese Frage stand am Anfang meiner Recherche. Obwohl das Leben von Uli Hoeneß voll von Ereignissen ist, es unzählige Porträts, Interviews, Dokumentationen und Zitate aus seinem Mund gibt, kann eine bloße Auflistung seiner Helden- und Schurkentaten nur oberflächlich bleiben. So wie eine Tabelle am letzten Spieltag in Zahlen eine Saison festhält, kann eine solche Chronologie kaum erfassen, warum Hoeneß so viele Menschen in seinen Bann zieht, im Guten wie im Schlechten. Und was es über den deutschen Fußball aussagt, dass er von diesem Mann stärker geprägt wurde als von allen anderen. Wer die Welt eines Fußballfans nach Saisonende verstehen will, braucht mehr als den Blick auf die Tabelle und den letzten Spieltag. Will man verstehen, welche Rolle Uli Hoeneß im deutschen Fußball spielt, ist es ähnlich.

In diesem Buch will ich diese Welt von Uli Hoeneß beschreiben. Für mich ist es das Ende einer Reise, die bereits im März 2018 begonnen hat. Über vier Jahre hinweg habe ich mich mit der öffentlichen Person Uli Hoeneß und der Entwicklung des deutschen Fußballs beschäftigt. Das Ergebnis dieser Arbeit ist zunächst als Podcast erschienen, im Format ›11 Leben‹.

Monatelang habe ich für ›11 Leben‹ alles von und über Uli Hoeneß gelesen, gesehen, angehört. Biografien, Interviews, Dokumentationen, Spiele. Im Archiv des ›Kicker‹, Deutschlands bekanntester Sportzeitschrift, dürfte es keinen Artikel mit dem Begriff »Hoeneß« geben, den ich nicht wenigstens überflogen habe. In ganz Deutschland habe ich Weggefährten getroffen und Interviews geführt. Ich habe von Uli Hoeneß geträumt. Oft. Mehrmals sah es so aus, als sei all die Arbeit umsonst gewesen. Der Podcast stand zwischenzeitlich vor dem Aus und damit die Idee, über die Person Uli Hoeneß die Entwicklung des deutschen Fußballs zu erklären. Denn wer über ihn berichten will, wird Teil einer Welt, in der es auf den ersten Blick nur Extreme zu geben scheint. Erst der zweite Blick zeigt die Nuancen. Um sie soll es in diesem Buch gehen.

Kapitel 1

Zu groß für Ulm

1952–1970

Die Wurzeln von Ulrich »Uli« Hoeneß liegen in Ulm, wo er am 5. Januar 1952 auf die Welt gekommen ist. Sein Vater ist Metzger, die Mutter führt den Laden. Ein Jahr nach Uli kommt noch Bruder Dieter auf die Welt.

Ulm liegt genau an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Bayern an einer Windung der Donau. Heute zählt die Stadt 125 000 Einwohner, der ICE hält im Schnitt alle zwei Stunden. Als Uli Hoeneß in den 1950er-Jahren in Ulm aufwächst, leben dort gut halb so viele Menschen. Über achtzig Prozent der Innenstadt wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört, die Lücken in den Jahren danach aber schnell geschlossen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschland nicht nur ein Land der Ruinen, sondern ebenfalls der Heimatsuchenden. Zwischen zwölf und vierzehn Millionen Menschen sind bis zum Jahr 1950 entweder ausgebombt oder aus ihren Häusern vertrieben worden. Der Historiker Neil McGregor spricht von der »vermutlich größten erzwungenen Völkerwanderung in der Menschheitsgeschichte«. Auch in Ulm gibt es ein Lager für Geflüchtete und Ausgebombte, dreitausend von ihnen leben in der Wilhelmsburg, einer ehemaligen Kaserne hoch über der Stadt, darunter die Eltern von Uli Hoeneß. Nach und nach erschließt die Stadt Neubaugebiete, als Metzger darf Erwin Hoeneß als einer der Ersten dorthin umziehen. Anschrift der Familie Hoeneß: Am Eselsberg 1, Nachbar ist ein Bäcker.

Harte Arbeit und Sparsamkeit diktieren das Leben im Elternhaus. Vater Erwin steht jeden Morgen um drei Uhr auf, Mutter Paula, von allen nur »Ulla« genannt, kümmert sich neben dem Haushalt um die Buchhaltung. Wenn in der Kasse zehn Pfennig fehlen, werden sie so lange gesucht, bis sie gefunden sind, erzählt Hoeneß später. Das wird seinen Umgang mit Geld prägen.

Der Hinterhof der Metzgerei Hoeneß sei der Treffpunkt für die Kinder der Straße gewesen, erzählt Gerhard Wojczek, der mit Hoeneß aufgewachsen ist. »Da war immer was los. Wir haben Fußball gespielt, Hockey oder Tischtennis. Wenn Glas zu Bruch gegangen ist, hat der Bäcker geschimpft. Ulis Vater war in der Wurstküche und hat immer rausgehorcht. Denn der Uli war oft hinter seinem Bruder Dieter her und der hat dann geweint, da gab es oft Stunk.«

Früh kommt Hoeneß mit Fußball in Berührung. Noch in der Kaserne hatte sein Vater 1949 gemeinsam mit anderen den VfB Schwarz-Rot Ulm gegründet, in dem sein Sohn Uli ab Geburt Mitglied ist. Dort spielt er ab seinem sechsten Lebensjahr, zum Teil gegen deutlich ältere Gegner. Schon früh ist sein unglaublicher Ehrgeiz zu erkennen, wie vor allem eine Begebenheit verdeutlicht.

Ehrgeiz, Organisation und Liebe

Der VfB Ulm spielt ein Derby um die Meisterschaft, aber Uli Hoeneß fehlt. Er ist im Ministrantenzeltlager bei Memmingen, sechzig Kilometer südlich. »Da ist er auf sein Fahrrad gestiegen und losgefahren«, erzählt sein damaliger Jugendleiter Roland Schmidle. »Er ist in der Halbzeit angekommen, da stand’s null zu vier. Sein Bruder stand im Tor, den hat er erst mal an die Kandare genommen und dann noch sechs Tore gemacht. Das war seine erste Meisterschaft.« Sein damaliger Mitspieler Gerhard Wojczek versucht zu erklären: »Früher haben die Eltern angestachelt: ›Mach! Mach! Mach!‹ Aber beim Uli ist es eher von sich aus gekommen, er hat es von sich aus gelebt. Er hat nicht gewusst, dass er der große Star wird, aber er hat auf jeden Fall den Fußball im Herzen gehabt.«

Uli Hoeneß ist übrigens acht Jahre alt, als er die sechzig Kilometer mit dem Fahrrad fährt und danach seine Mannschaft mit sechs Toren zur Meisterschaft schießt. Anderswo hat er mal erzählt, es seien vier Treffer gewesen, aber in diesem Fall spielt das vielleicht keine große Rolle.

Der junge Hoeneß ist so zäh und ehrgeizig, dass er sich von seinen Jugendfreunden abhebt. »Wir waren zehn, maximal elf Jahre alt«, erinnert sich Gerhard Wojczek, »da hat Uli uns dazu animieren wollen, drei-, viermal in der Woche morgens vor der Schule Waldläufe zu machen. Aber öfter als ein paarmal haben wir das nicht mitgemacht.« Hoeneß’ Sandkastenfreund Kurt Stark bestätigt das: »Uli wollte aus dem Fußball was machen. Er hatte den Ehrgeiz, wir nicht.« Hoeneß lässt sich morgens um sechs Uhr von seinem Vater wecken und bolzt Kondition. »Ich hab ihn dann öfter im Auto mitgenommen, weil er sonst zu spät in die Schule gekommen wäre«, lacht sein Jugendleiter Roland Schmidle.

Zusätzlich zum Fußball spielt Hoeneß Basketball und entwickelt sich prächtig. Kraft-Otto Steinle, sein Sportlehrer am Schubart-Gymnasium, hat die Notenbüchlein von damals aufgehoben: »Uli Hoeneß ist die 100 Meter in 11,3 Sekunden gelaufen, die 1000 in 2:48 Minuten. Im Hochsprung war sein Bruder Dieter um einiges besser, muss man sagen.« Steinle klappt das Büchlein wieder zu. Wie schön das sein muss, wenn dein Sportlehrer noch 50 Jahre später deine Leistungen aus der Schule zitieren kann. Immerhin sind es im Fall von Uli Hoeneß beeindruckende Zahlen. Als Sportler ist er demnach ein richtiges Biest, ausdauernd und schnell.

Das Schubart-Gymnasium ist damals noch eine Schule nur für Jungs. Hoeneß ist Klassensprecher und jenseits des Sports ebenfalls aktiv. Mit der Schülersprecherin des Mädchen-Gymnasiums St. Hildegard saniert er die gemeinsam herausgegebene Schülerzeitung. Die beiden sind so erfolgreich im Akquirieren von Anzeigenkunden, dass die ehemals knappe Kasse am Ende einen Überschuss ausweist.

Hoeneß ist ein Organisationstalent. Lehrer Steinle: »Uli hat als Schulsprecher eine einmalige Geschichte veranstaltet, ein Schulfest mit allem Drum und Dran. Über den Innenhof der Schule war ein Bundeswehrzelt gespannt, es gab Live-Musik, und wir waren alle sehr beeindruckt, was er alles hinbekommt. Auch seine spätere Gattin hat er damals mit eingespannt, die hat an der Theke bedient.« Wo er seine spätere Frau kennengelernt hat? Beim Sanieren der Schülerzeitung. Sie war die Schülersprecherin.

Damit sind sie beieinander, die wichtigsten Dinge, die man zum jungen Hoeneß wissen muss. Er war schon früh sehr ehrgeizig, er konnte Dinge auf die Beine stellen, und er lernte bereits als Jugendlicher die Frau kennen, die ihn ein Leben lang begleiten wird: Susi Hoeneß.

In den Notizbüchern der Profitrainer

Im Fußball macht Hoeneß steil Karriere. Vom VfB Schwarz-Rot Ulm wechselt er zur TSG Ulm 1846 und trainiert dort im Alter von 16 bei den Herren mit, dank einer Ausnahmeregelung darf er schon mit 17 Jahren in der ersten und zweiten Amateurliga mitspielen, das ist im Jahr 1969 ziemlich nah am professionellen Fußball.

Hoeneß wird in Auswahlmannschaften berufen, was für ihn wichtig werden wird. Mit der Schülerauswahl Württembergs spielt er im Alter von 13 Jahren vor 71 000 Zuschauern im Neckarstadion des VfB Stuttgart. Zwei Jahre später folgt ein echtes Highlight: Die deutsche Jugendauswahl mit Uli Hoeneß gewinnt im Berliner Olympiastadion mit 6:0 gegen England. Das Fachmagazin ›Kicker‹ berichtet von zwei »Prachttreffern des 15-jährigen athletischen Kapitäns Hoeneß«, die ›Berliner Zeitung‹ titelt »Ein Haller im Taschenformat«. Eine Anspielung auf die außergewöhnliche Karriere von Helmut Haller, der schon 1962 von Augsburg nach Bologna und später zu Juventus Turin gewechselt ist. Hoeneß ist jetzt national unter Experten bekannt, ab 1969 ist sein Name im ›Kicker‹ regelmäßig zu finden.

Rasender Reporter von Ulm

Noch öfter liest man jedoch an anderer Stelle von ihm und das aus einem besonderen Grund: Hoeneß ist Autor seiner eigenen Spielberichte. Peter Bizer arbeitet damals als Sportredakteur bei der ›Schwäbischen Donauzeitung‹. Dort begegnet er dem 15-Jährigen zum ersten Mal: »Nach dem Spiel gegen England hat er sich gemeldet. Er kam in die Redaktion mit einem handgeschriebenen Bericht von diesem Großereignis, denn er ging davon aus, dass das die Leute interessiert.«

Ab diesem Moment schreibt Hoeneß regelmäßig über die Spiele seiner Mannschaften. »Er hat die Artikel in einem linierten Schulheft geschrieben und in die Redaktion gebracht«, erinnert sich Peter Bizer, »auch am Sonntagmittag nach Auswärtsspielen, die 30 Kilometer von Ulm entfernt stattgefunden haben. Kam verschwitzt und abgehetzt mit dem Fahrrad in die Redaktion und hat dann den Spielbericht vorgelegt, in dem natürlich jeder Pass von ihm erwähnt worden ist.«

Warum hat er auch das noch gemacht? Ging es ihm nur darum, die eigenen Tore zu beschreiben? Bizer hat eine andere Antwort. »Er wollte Geld verdienen. Er hat mich mal hochgehandelt von sieben Pfennig pro Zeile auf neun Pfennig. Pro Artikel bekam er zehn bis 15 DM, das war viel Geld für einen Schüler.«

Furchtlos im Wirtschaftswunderdeutschland

Beim Thema Geld zeigt sich ein Unterschied zwischen Uli Hoeneß und seinen Eltern, der typisch für seine Generation ist. Stimmten die Verkäufe in der Metzgerei nicht, strahlte das bis ins Familienleben hinein. Wenn von den 20 vorbestellten Gänsen nur 17 abgeholt worden waren, war das Weihnachtsfest versaut, erzählt Hoeneß später. Doch wie begründet sind die Existenzängste seiner Eltern?

Sicher hat die Familie nicht im Überfluss gelebt, aber Ulm geht es schon recht bald nach dem Krieg wirtschaftlich wieder gut. Es sind große Industriebetriebe dort beheimatet, die 1950er- und 1960er-Jahre des Aufschwungs. Es ist kein Zufall, dass der Bäcker und der Metzger zuerst an den Eselsberg ziehen durften. Beide wurden gebraucht für die Versorgung des Viertels und hatten damit ein verlässliches Einkommen.

Wenn man es nicht zur Sicherung der eigenen Existenz benötigt, bekommt Geld einen anderen Charakter. Es ist Ausdruck von Erfolg und eine Form der Anerkennung. Der sportliche Ehrgeiz von Uli Hoeneß lässt sich leicht erklären: Er wollte Profifußballer werden, und dafür sind Disziplin und hartes Training nötig. Sein finanzieller Ehrgeiz dürfte aber mehr gewesen sein als der bloße Wunsch nach Absicherung.

Anders als die Generation seiner Eltern hat Uli Hoeneß nie Sorge haben müssen, von jetzt auf gleich alles zu verlieren. Mit Blick auf seine Jugend erzählt er, dass sein Vater die Wurst lieber grammweise verkaufte anstatt kiloweise an die Kantinen der großen Betriebe in Ulm. Für ihn unverständlich: Wenn es eine Chance auf mehr Gewinn gibt, dann muss man die doch nutzen!

Uli Hoeneß wächst in einer Zeit des wirtschaftlichen Rückenwindes auf. Im Zeitraum von 1950 bis 1970 steigt das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner preisbereinigt fast um das Dreifache. Deshalb kann er furchtloser agieren und das mit einem klaren Ziel: »Bei ihm war sicher keine Notsituation bestimmend, sondern es ging um Anerkennung. Dass vielleicht doch der Metzgerbub in der Klasse mit den Doktorssöhnchen denkt, er will mehr sein«, sagt sein ehemaliger Lehrer Kraft-Otto Steinle dazu.

Hoeneß entstammt einer Generation, die prägend für das deutsche Wirtschaftsleben werden wird. Dirk Roßmann (Jahrgang 1946), die Gebrüder Tönnies (1952 und 1956) und Götz Werner (1944, Gründer von »dm«) sind nur einige Beispiele für Kinder der Nachkriegszeit, die mit Mut zum Risiko Unternehmen aufgebaut haben, die heute eine Rolle spielen und noch immer in Familienhand sind. Allein ihre Firmen haben zusammengerechnet einen Umsatz von 26 Milliarden Euro und rund 115 000 Beschäftigte. Gemeinsam ist ihnen eine Jugend in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs, sowie ein Ethos der Sparsamkeit, des Ehrgeizes und harter Arbeit, das sie von ihrer Elterngeneration vorgelebt bekommen haben.

Im Fall von Hoeneß wird diese Haltung von einem Selbstbewusstsein ergänzt, das nicht untypisch für seine Umgebung ist. Ulm ist eine stolze sowie unabhängige Stadt. Ihr Münster haben sich die Bewohnerinnen und Bewohner selbst gebaut, nicht im Auftrag eines Bischofs oder Königs. Bei der Planung hatte es Platz für das Doppelte der damaligen Einwohnerzahl, bis heute ragt zudem der höchste Kirchturm der Welt über Ulm.

»Die Ulmer sind knorrig, selbstbewusst und haben ihren eigenen Kopf«, urteilt Wolfgang Dieterich, der Geschäftsführer Touristik der Stadt ist. »Weil sie eben nie eine Residenzstadt waren wie München, Karlsruhe oder Stuttgart. Typisch ist dabei das Nüchterne, Sachliche, Bescheidene und auch ein Stück weit pietistische Denken. Wenn Sie ins Rathaus kommen, dann gibt es zwar eine Brezel – aber ohne Butter.«

Als Amateur zum FC Bayern

Im Alter von 17 Jahren ist Hoeneß Kapitän der Juniorennationalmannschaft und darf zudem in der Nationalelf der Amateure mitspielen, die das Ziel der Olympischen Spiele 1972 im Auge hat. Die DFB-Mannschaften sind für ihn das Ticket raus aus Ulm und zwar im doppelten Sinn. Er reist zu Spielen nach Israel, auf die Kanarischen Inseln sowie in die DDR und darf sich dabei den Spähern der Bundesliga präsentieren. In einer Ausgabe aus dem Jahr 1969 ist im ›Kicker‹ ein Bild vom Publikum bei einem Juniorennationalspiel zu sehen. In vorderster Reihe sitzen die Trainer der Bundesligisten aus Gladbach, Köln und von 1860 München.

Am wichtigsten sind für Hoeneß aber die Kontakte, die er innerhalb der Mannschaft knüpft. Er teilt sich dort ein Zimmer mit Paul Breitner und genießt die Förderung des jungen Trainers Udo Lattek. Ein außergewöhnliches Zusammentreffen von Toptalenten, aus dem bald eine Schicksalsgemeinschaft wird. Breitner und Hoeneß stehen schon beim TSV 1860 München im Wort, fast jeden Sonntag ist deren Geschäftsführer Ludwig Maierböck bei einem von beiden zu Besuch. Da nimmt Lattek sie am Rande eines Länderspiels zur Seite und rät ihnen, vorerst keinen Vertrag bei einem Bundesligisten zu unterschreiben. Kurz darauf wird bekannt: Lattek wechselt vom DFB zum FC Bayern und wird dort Cheftrainer.

Bayerns Manager Robert Schwan holt sich einen Rat bei Peter Bizer, der inzwischen in München wohnt und über den FC Bayern berichtet. »Damals fuhren wir Journalisten zu Auswärtsspielen noch mit der Mannschaft im Bus mit«, erinnert sich Bizer. »Schwan fragte mich: ›Was hältst du denn von diesem Hoeneß?‹ Da sag ich: ›Bis 25 wird er ein Großer werden.‹«

Während im Mannschaftsbus der Bayern schon mit Hoeneß geplant wird, stellt sich für den eine ganz andere Frage: Will er seine Chance wahren, an den Olympischen Spielen 1972 in München teilzunehmen? Dafür müsste er Amateur bleiben und dürfte keinen Profivertrag unterschreiben. Er bespricht sich unter anderem mit seinem Lehrer Steinle. Der ist gerade Deutscher Meister im Rudern geworden, also ebenfalls Leistungssportler. »Wir hatten ein Gespräch auf dem Schulhof. Und da habe ich ihm gesagt: ›Uli, ich würde mir das gut überlegen. So eine Olympiade ist eine einmalige Geschichte, und da dabei zu sein, würde ich persönlich unbedingt wollen.«

Kurz vor Weihnachten 1969 ist es dann so weit: Manager Schwan besucht die Familie Hoeneß, wartet geduldig, bis die Nachhilfestunde Mathematik vorbei ist, die Uli Hoeneß gerade hat, und überzeugt ihn in einem einzigen Gespräch vom Wechsel zu Bayern. Hoeneß hatte sich fest vorgenommen, an diesem Tag nichts zu unterschreiben, er gilt als gefragtestes Talent im deutschen Fußball.

Wie also hat Schwan Hoeneß überzeugt? Er hatte neben seiner einnehmenden Art weitere Argumente im Gepäck. Mit Udo Lattek zum Beispiel den Trainer, der Uli Hoeneß zum Kapitän der Juniorennationalelf gemacht hat. Dazu einen Kader mit Stars wie Beckenbauer, Gerd Müller und Sepp Maier, in dem jedoch Platz für jüngere Talente ist, denn der FC Bayern will sich zur Saison 1970/71 verjüngen.

Und auch die Olympia-Frage wird geklärt. Hoeneß beginnt auf dem Papier als Gärtner beim FC Bayern zu arbeiten und wird dafür bezahlt, einen Vertrag als Profi unterschreibt er bis zu den Olympischen Spielen nicht. Später heißt es übrigens, er würde in der Geschäftsstelle die Frankiermaschine bedienen. Die Bayern sind sich wohl selbst nicht sicher, was der Job war, den man Hoeneß gegeben hat, um seinen Status als Amateur vorzutäuschen.

Zusätzlich soll Hoeneß laut Juan Moreno 20 000 Mark per Scheck bekommen haben. Und vor der Metzgerei parkt fortan ein BMW2002. Nicht 1860, sondern der Lokalrivale Bayern wird also die erste Profistation für Uli Hoeneß. Mit einem Rundruf informiert er höchstselbst im Januar 1970 die Ulmer Zeitungen.

Eine neue Spielergeneration

Uli Hoeneß gehört zur ersten Generation moderner Fußballspieler. Als Hoeneß beim FC Bayern unterschreibt, gibt es die Bundesliga erst seit sieben Jahren. Der Deutsche Fußball-Bund tut sich schwer mit ihrer Gründung, Fußball als Beruf, das widerstrebt den Funktionären. Erst das Abwandern deutscher Spieler für üppige Handgelder nach Italien (z. B. Haller), eine schlechte WM in Chile 1962 sowie das Drängen von Bundestrainer Sepp Herberger sorgen dafür, dass man sich zur Gründung der Liga durchringt.

Man möchte vom hehren Ideal des Amateursports aber nicht ganz abrücken, teils aus Angst, dass die Finanzämter den Vereinen ihre Gemeinnützigkeit und damit steuerliche Vergünstigungen entziehen könnten. Das führt zu einer Mogelpackung: Spieler müssen zwar nicht mehr einen anderen Beruf vorweisen, sie können aber maximal 1200 Mark monatlich verdienen, nur in vom DFB genehmigten Ausnahmefällen mehr. Ablösesummen dürfen maximal 50 000 Mark betragen. In der Theorie können Fußballspieler mit Gründung der Bundesliga zwar erstmals offiziell vom Fußballspielen leben, jedoch mit künstlichen Obergrenzen. Deutschland führt als letzte große Nation eine Profifußballliga ein, 35 Jahre nach Spanien, 37 Jahre nach Italien und 75 Jahre nach England.

In ihren Anfangsjahren wird die Bundesliga geprägt von Spielern, die während oder nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Fußballspielen begonnen haben. Meist noch ohne richtige Bälle und in ärmlichen Verhältnissen. Für sie war der Fußball die Möglichkeit, einem oft entbehrungsreichen Alltag zu entkommen. Mit diesem Sport darüber hinaus Geld zu verdienen, bedeutete einen sozialen Aufstieg nicht nur der Spieler, sondern ihrer gesamten Familie. Er konnte existenzsichernd sein.

Vom Schrecken des Kriegs ist in der Jugend von Uli Hoeneß vor allem die Angst in der Elterngeneration geblieben. Vor einem neuen Krieg, vor Hunger, vor Arbeitslosigkeit. Für die Jugendlichen der 1960er sind das irrationale Ängste. Hoeneß wächst in einem Deutschland der Vollbeschäftigung auf. Und mit einer Bundesliga, in der hehrer Anspruch und geldgierige Realität zunehmend so auseinanderklaffen, dass der DFB nach und nach die Gehalts- und Transferbeschränkungen lockern muss.

Hertha BSC schickt zum Beispiel gar nicht die echten Verträge seiner Lizenzspieler an den Verband, sondern Fälschungen, die Gehälter innerhalb der Statuten ausweisen. In Wirklichkeit zahlt man deutlich mehr, auch bei Handgeldern und Ablösesummen. Als das herauskommt, muss die Hertha am Ende der Saison 1964/65 zwangsabsteigen. So kommt das sportlich unterlegene Tasmania Berlin in die Liga und stellt Negativrekorde auf, die bis heute unübertroffen sind. Gleichzeitig passt der DFB jedoch die Obergrenzen an und gesteht damit ein, dass sein System nicht funktioniert.

Die Bezahlung von Fußballspielern ist demnach ein allgegenwärtiges Thema, als Hoeneß seinen Einstieg in den Profifußball plant. Er lässt sich seinen Wechsel zu den Bayern zwar gut bezahlen, ordnet aber nicht alles dem Geld unter, entscheidet sich für die Olympischen Spiele und gegen einen Profivertrag. Einige Beobachter unterstellen ihm dabei Kalkül, ein Zitat von Hoeneß selbst deutet in diese Richtung: »Ich hoffe, dass mir mein Entschluss Popularität eingebracht hat und noch mehr einbringen wird. Ich hoffe, dass er sich nach den Spielen auch auszahlen wird.«

Trotzdem: Wäre der Weg zum schnellen Geld nicht ein anderer gewesen? Vielleicht sogar der näher liegende? Als jemand in seiner Umgebung vor der gleichen Frage steht, verzichtet er ohne zu zögern auf die Olympischen Spiele und unterschreibt einen Profivertrag: Paul Breitner.

Hoeneß plant seinen Weg in den Profifußball wie eine berufliche Karriere, was ihn von den bereits etablierten Fußballprofis unterscheidet. Als sich die Tür dann ein Stück weit öffnet, stellt er den Fuß hinein und ordnet alles andere unter. Ein Beispiel: Drei Tage vor seinem Abitur spielt er mit der Amateur-Nationalmannschaft im heutigen Tschechien. Der DFB hat ihn vom Spiel befreit, aber Hoeneß reist trotzdem mit.

Stiefkind Ulms

Ulm ist eine Sportstadt, und dennoch wird sie irgendwann zu klein für Uli Hoeneß. Daran ändert auch die Fusion ihrer beiden größten Vereine, des 1. SSV Ulm 1928 mit der TSG Ulm 1846 nichts. Es entsteht mit dem SSV Ulm 1846 der zweitgrößte Sportverein Deutschlands. Der größte ist schon damals im Jahr 1970 der FC Bayern. Obwohl sein Abschied bereits feststeht, interessiert sich Hoeneß für diese Fusion und schleicht sich bei der entscheidenden Mitgliederversammlung in den Saal, wie Archivar Fritz Glauninger berichtet, der damals mit anwesend war. Den Ulmer Vereinen hat sich Hoeneß offenbar verbunden gefühlt.

Aber wie ist es heute? Die Runde seiner Jugendfreunde in der Vereinsgaststätte erzählt von vielen Besuchen von Hoeneß. Als der SSV mal wieder in Geldnot ist, überweist er im Jahr 2009100 000 Euro. Aber da ist ebenfalls eine Distanz zwischen der Stadt und ihm. Nach dem Gewinn der WM1974 äußert sich Uli Hoeneß enttäuscht darüber, dass die Ulmer für ihn keinen Empfang gegeben haben. Im selben Jahr erscheint ein Buch, in dem ein Schulkamerad von Hoeneß eine beißende Satire auf den Ulmer »Uli Horniss« verfasst. In ihr wird er als geldgetriebener Ehrgeizling persifliert.

Wer heute auf der Seite der Stadt Ulm nach dem Namen Uli Hoeneß sucht, erhält zwei Treffer. Einer gehört zu einem Kurzporträt von ihm in einer Reihe mit Toni Turek, Wolfgang Fahrian und Bruder Dieter. Der zweite führt zum Lebenslauf des Intendanten des Theaters Ulm. Neu im Programm zu seinem Einstieg im Jahr 2018: ›Aufstieg und Fall des Uli H. – eine deutsche Wurstiade.‹ Unbeleckt scheint das Verhältnis von Ulm zu Uli Hoeneß nicht zu sein, was auch mit seiner Steuerhinterziehung zusammenhängt. Oben am Eselsberg in der Vereinsgaststätte vom VfB Ulm fasst das Gerhard Wojczek zusammen: »Vor dieser Geschichte war er ein Kind Ulms. Und durch diese Geschichte ist er zum Stiefkind geworden.«

Im Jahr 1970 ist davon nichts zu spüren. Uli Hoeneß macht sein Abitur und zieht im Sommer nach München, seine Mutter steckt ihm dafür 50 Mark zu. Einen Keilriemen hätte er aber noch besser gebrauchen können. Denn kurz vor der Ausfahrt in München reißt ihm der. Es ist die perfekte Metapher für seine ersten Schritte im Profifußball.

Kapitel 2

Im Erfolgsfieber

1970–1974

Im Sommer 1970 kommt Uli Hoeneß dort an, wo er tiefe Spuren hinterlassen wird: in München. Er ist 18 Jahre alt und damit noch nicht volljährig, darf aber immerhin schon wählen. Während in Mexiko die Fußball-Weltmeisterschaft aufs Finale zuläuft, bestimmt der Bundestag fast einstimmig eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes. Wenige Monate zuvor hat Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Regierungserklärung angekündigt, »mehr Demokratie wagen« zu wollen, das herabgesetzte Wahlalter ist Ausdruck dessen. Ob alle Deutschen diese Änderung aber mitbekommen haben, ist fraglich: Die Abstimmung findet am Morgen nach dem »Jahrhundertspiel« zwischen Deutschland und Italien statt, jenem legendären 3:4 im WM-Halbfinale mit fünf Toren in der Verlängerung.

Für Hoeneß beginnt sein Leben in München anders als geplant. Weil sein baden-württembergisches Abitur nicht gut genug ist für ein BWL-Studium in Bayern, schreibt er sich an der Universität München für ein Lehramtsstudium der Anglistik und der Geschichte ein. Selbst wenn sich die Frage stellt, wie ernsthaft er dieses Studium wirklich angehen wollte, wird es sein Bild prägen. Hoeneß steht für eine neue Art Fußballprofi, der ›Kicker‹ nennt sie die »jungen Intellektuellen« und rechnet neben Hoeneß unter anderem Breitner dazu. Mit dem gründet Hoeneß eine Wohngemeinschaft.

Dort besuchen sie bald außergewöhnliche Besucher, denn mitten in den Saisonstart hinein wird Breitner zum Wehrdienst einberufen. Weil er ihn nicht antritt, stehen die Feldjäger vor der Tür. Hoeneß flunkert ihnen vor, wo Breitner gerade sei, während der im Kohlenkeller sitzt. Elf Tage lang geht das so, dann schreitet Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker ein, und Breitner tritt den Wehrdienst an. Neudecker hatte Angst, dass die Bundeswehr ihn direkt beim Training abfängt. Hoeneß kommt dagegen um den Wehrdienst herum, er hat sich wegen Schmerzen im Knie und Kopfschmerzen beim Tragen eines Helms befreien lassen.

Mit dem Kopf gegen die Wand

Als die Bundesliga 1963 gegründet wird, darf nur ein Verein aus München Teil von ihr sein, und das ist der erfolgreichere TSV 1860 München. Sieben Jahre später hat der FC Bayern seinen Stadtrivalen mindestens eingeholt. Das Zusammentreffen einiger Ausnahmespieler hat nicht nur zum Aufstieg in die Bundesliga, sondern zu ersten Titeln geführt. Der FC Bayern wird einmal Deutscher Meister, zweimal DFB-Pokalsieger und 1967 sogar Europapokalsieger der Pokalsieger.

Hoeneß und Breitner sind besondere Neuzugänge: Obwohl sie die jüngsten Spieler sind, mussten sie vor ihrem Wechsel nicht mal ein Probetraining absolvieren, was unüblich ist. Offenbar war das enge Band zum neuen Trainer Lattek hilfreich. Wie kam der junge Uli Hoeneß in dieser erfolgreichen Mannschaft mit schon damals großen Namen an? »Uli und Paul mussten sich schon unterordnen«, berichtet Franz »Bulle« Roth, der Bayern zum Europapokalsieger geschossen hatte. »Damals hat das nicht der Trainer bestimmt, sondern die alten Spieler haben das in die Hand genommen. Wenn der Uli und der Paul dachten, ›Wir sind besser als ihr alle zusammen‹, dann wurde es halt ein bisschen strenger im Training.« In der Bundesliga habe er ohne Schienbeinschoner gespielt, erzählt Hoeneß später, im Training aber mit.

Das hat sich durch die Ankunft des erst 35 Jahre alten Udo Lattek modernisiert. Es gibt viele Spielformen mit Ball, aber Lattek weiß, was es zusätzlich für eine lange Saison mit zig Spielen braucht: Kondition. Was dem Ulmer Neuling gelegen kommt. »Hoeneß und Breitner hielten mit, als hätten sie schon immer unter Profibedingungen trainiert«, reibt sich der ›Kicker‹ in einem Artikel über die Saisonvorbereitung verwundert die Augen.

Uli Hoeneß fällt aber schon in seinen ersten Wochen bei Bayern nicht nur mit Ausdauer, sondern auch mit flotten Sprüchen auf. Über den besten Stürmer Deutschlands, Gerd Müller, sagt er nach einem Spiel, der habe »ganz ordentlich gespielt«, zum unumstrittenen Star Franz Beckenbauer: Der sei schon ein Garant dafür, dass es im Training nicht zu hart zur Sache gehe. Hoeneß eckt damit so sehr in der Mannschaft an, dass sich das nicht mehr mit ein paar Grätschen im Training regeln lässt. Robert Schwan und Udo Lattek berufen die Spieler zu einer Aussprache ein. Danach klingt Uli Hoeneß demütiger. Er habe es sich »damals abgewöhnt, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen«, schreibt er später.

Es liegt an Lattek, dass seine Zeit beim FC Bayern nicht schon vorbei ist, bevor sie richtig begonnen hat. »Ohne Udo Lattek wäre ich vor die Hunde gegangen«, sagt er rückblickend. Lattek, Breitner und Hoeneß, die drei, die in den Jugendmannschaften des DFB zueinandergefunden haben, ermöglichen sich gegenseitig den Erfolg beim FC Bayern. Denn in der Rückrunde der Saison 1970/71 geht es schnell. Anfang des Jahres bewertet der ›Kicker‹ alle Transfers der Bundesligisten, sortiert jedoch Breitner und Hoeneß in der Spalte »noch kein endgültiges Urteil« ein. Fast zwei Monate später ziert ein Foto des inzwischen 19-jährigen Blondschopfs die Titelseite der Zeitschrift. Darunter: »Bayerns bester Kauf. Der Aufstieg des Uli Hoeneß.«

Hoeneß schießt einige Tore und beeindruckt vor allem mit seiner Physis. Die wird gebraucht, weil dem FC Bayern in der Schlussphase der Saison immer mehr Spieler ausfallen. Mit 7:0 besiegen die Bayern den 1. FC Köln, der erst im Halbfinale an Juventus Turin im Messestadt-Pokal, vergleichbar zum Uefa-Cup, gescheitert ist. Zwar verpassen sie die Meisterschaft denkbar knapp mit einer Niederlage am letzten Spieltag, im DFB-Pokalfinale gewinnen sie aber erneut gegen den 1. FC Köln, und so kann Hoeneß schon in seiner ersten Saison einen Titel feiern.

Rot-Weiß Oberhausen in der Karibik

In dieser Phase des deutschen Fußballs ist Ausdauer einer der entscheidenden Faktoren für den Erfolg eines Spielers, da die Spielbelastung wesentlich höher ist als heute. Freundschaftsspiele sind als wichtige Einnahmequelle für die Vereine auch im laufenden Ligabetrieb unverzichtbar. Hat der FC Bayern im Westen Deutschlands ein Auswärtsspiel, hängt er gerne am nächsten Tag ein »Privatspiel« vor Ort dran. In einer Saisonvorbereitung starten die Münchner mit sechs Freundschaftsspielen an sechs aufeinanderfolgenden Tagen, für die man 7000 Kilometer zurücklegt. Mit ihrer Bekanntheit locken Bundesligisten wie der FC Bayern für ihre Testspielgegner Zuschauer ins Stadion und werden dafür bezahlt. Ein gutes Geschäft für beide Seiten.

Sind die Plätze in Deutschland unbespielbar, bereisen die Bundesligisten die Welt. In der Winterpause der Saison 1970/71 etwa spielt Bayern in Argentinien, Mexiko und Peru, Hannover 96 in Spanien, der 1. FC Köln in Peru und Brasilien und Borussia Dortmund in Israel. Was zu so wunderschönen Sätzen wie diesem im ›Kicker‹ führt: »Im vierten Spiel ihrer Tournee durch die Karibische See gewann die Bundesligaelf von Rot-Weiß Oberhausen in Bridgetown/Barbados gegen die Nationalvertretung von Barbados klar mit 5:1 Toren.«

Über 100 Spiele absolviert mancher Profi während einer Saison. Bundesligaspieler müssen zu dieser Zeit extrem fit und ehrgeizig sein, um sich in jedem Spiel zu guten Leistungen motivieren zu können. Wie gemalt für einen Spielertypen wie Uli Hoeneß.

»Schwarzgeld-Touren um die halbe Welt«

Ligaweit fußt die Finanzierung der Vereine auf denselben drei Säulen: Geld aus Fernsehübertragungen, das damals noch für alle gleich hoch ist, Zuschauereinnahmen und eben jenen aus Privatspielen. Letztere haben dabei eine praktische Besonderheit: Niemand kann genau sagen, wie viel Geld die Vereine damit machen. Oft wird vor Ort in bar bezahlt, und nicht alles kommt auf Konten an. Das Geld wandert mindestens in einigen Fällen direkt in die Taschen der Spieler, Bayerns Manager Schwan soll manchmal noch im Flugzeug Umschläge mit Bargeld verteilt haben, wie Hans Woller schreibt. Bei Auslandsreisen sei meist ein Staatssekretär aus dem Innenministerium dabei gewesen, Angst vor dem Zoll habe der FC Bayern nicht haben müssen. Auch Zwischenstopps in der Schweiz seien auf der Rückreise von Auslandstouren nicht unüblich gewesen. Franz Beckenbauer nennt das in einer seiner Biografien »Schwarzgeld-Touren um die halbe Welt«.

Neben den finanziellen haben diese Reisen zum Teil sportliche Konsequenzen. Als Bayern am letzten Spieltag 1971 die Meisterschaft verspielt, sitzt Toptorjäger Gerd Müller auf der Tribüne. In der Winterpause soll er in Peru eine rote Karte gesehen haben, und der DFB kann damals Spieler noch nach Belieben sperren. Über vier Monate lang versucht der Verband, Augenzeugenberichte von vor Ort aufzutreiben, dann nimmt er Müller für acht Wochen aus dem Spielbetrieb. Das wichtigste Ligaspiel der Saison findet ohne ihn statt.

Auch das Pokalfinale gegen Köln hätte Müller verpasst. Als er aber damit droht, aus der Nationalmannschaft auszutreten, verkürzt der DFB die Sperre bis auf einen Tag vor dem Finale. Was damit zusammenhängen könnte, dass der Verband inzwischen komplett andere Sorgen hat. Denn Anfang Juni 1971 erschüttert ein Beben den deutschen Fußball.

Der Bundesliga-Skandal

Während sich oben in der Tabelle Gladbach und Bayern um die Meisterschaft streiten, kämpfen Arminia Bielefeld, Eintracht Frankfurt, Rot-Weiß Oberhausen und Kickers Offenbach an ihrem Ende gegen den Abstieg. Es trifft mit Offenbach den Verein, bei dem Horst-Gregorio Canellas Präsident ist. Der Südfrüchtehändler lädt am Tag nach dem Saisonfinale zu seinem 50. Geburtstag ein, anwesend ist auch Bundestrainer Helmut Schön. Canellas stellt ein Tonbandgerät auf einen der Gartentische, Schön glaubt zunächst, er wolle ein Geburtstagsgeschenk präsentieren. Wenig später aber hat der Bundestrainer die Gartenparty eilig verlassen.

Was Canellas vorspielt, sind Telefonate zwischen ihm und Spielern anderer Vereine, die gegen die Abstiegskonkurrenten von Offenbach spielen. Darin ist zu hören, wie schamlos Profis für Geld bereit waren, ihre Spiele zu manipulieren. Zum Saisonende hin fand ein skurriles Wettbieten der abstiegsbedrohten Vereine statt mit Geldübergaben auf Tribünen und Parkplätzen. Es geht um fast eine Million Mark an Schmiergeld, der DFB braucht Jahre, um den Betrug aufzuarbeiten. Selbst Nationalspieler sind involviert, die Strafen drastisch. Fast alle Spieler des FC Schalke 04 werden gesperrt, die Nationalspieler Stan Libuda, Klaus Fichtel und Klaus Fischer zunächst lebenslang. Für einige ist es das Ende der Karriere, andere wandern nach Südafrika aus und spielen dort weiter, weil das Land damals nicht zur FIFA gehört.

Bis heute ist nicht gänzlich geklärt, welche Vereine involviert waren und was in den Jahren geschehen war, in denen kein Beteiligter ein Tonband hat mitlaufen lassen. Mehr als 50 Spieler, zwei Trainer und sechs Funktionäre werden bestraft, Bielefeld und Offenbach verlieren ihre Bundesligalizenz. Die härtesten Strafen werden zwar bald verkürzt, was aber bleibt, ist ein Glaubwürdigkeitsverlust bei den Fans. Schon vor dem Bundesligaskandal sind die Zuschauerzahlen gesunken, jetzt gehen sie in den Keller. Ein Drama für die Vereine.

Es gibt noch keine zweite Liga, weshalb Absteiger bis in die Regionalliga fallen. Gleichzeitig hat der DFB mit seiner aus der Zeit gefallenen Gehaltsbeschränkung ungewollt Zusatzverdienste durch Spielbetrug attraktiv gemacht. Es ist keine Entschuldigung für das Verschieben der Spiele, erklärt aber, warum die Vereine in einem überhitzten Wettbieten immer größere Summen dafür bezahlten, in der Liga zu bleiben, und warum die Profis empfänglich für jede Form der Zusatzprämie waren.

Hoeneß auf Rekordjagd

Es gibt keinen direkten Bezug zum FC Bayern und Uli Hoeneß, es ist aber wichtig zu wissen, welch turbulente Zeit der deutsche Fußball durchmacht, als die Münchner sich anschicken, ihn erstmals zu dominieren. Und ohne dass man es ihnen zum Vorwurf machen könnte, profitieren sowohl der FC Bayern als auch Uli Hoeneß vom Bundesligaskandal.

Einerseits öffnet sich die Tür für Uli Hoeneß wegen der gesperrten Schalker in der Nationalmannschaft vielleicht noch ein bisschen schneller, als sie sonst aufgegangen wäre. Im Herbst 1971 wird er zum ersten Mal nominiert, im Frühjahr 1972 ist es dann so weit: Gegen Ungarn darf Uli Hoeneß spielen, er und Paul Breitner erzielen beim 2:0-Sieg die Tore und werden von der Presse gefeiert. Sein Debüt kommt gerade noch rechtzeitig, um in einer der spielstärksten deutschen Nationalmannschaften einen historischen Erfolg zu feiern. Erstmals besiegt eine deutsche Elf im Wembley-Stadion England, dann krönt sich Deutschland mit einem 3:0 gegen die Sowjetunion zum Europameister. Mittendrin: Uli Hoeneß.

Sechs Spieler des FC Bayern, vier von Borussia Mönchengladbach und einer vom FC Schalke 04 stehen in der Startelf des EM-Finales. Was die Kräfteverhältnisse in der Liga repräsentiert. Der FC Bayern hat höchstens in Gladbach einen Gegner, der auf Augenhöhe spielt. Oft genug ist aber selbst die Borussia machtlos. In der Saison 1971/72 schießen die Bayern 101 Tore, Gerd Müller stellt seinen Fabelrekord von 40 Ligatoren auf, Hoeneß selbst macht 13 Tore und bereitet 16 vor. Ein von den Zahlen her besseres Stürmerduo als Hoeneß und Müller wird es erst über 45 Jahre später geben, die Wolfsburger Grafite und Dzeko in der Saison 2008/09. Gerd Müllers Torrekord wird erst im Jahr 2021 von Robert Lewandowski überboten werden.

Goldgrube Olympiastadion

Wichtiger noch als diese Fabelzahlen ist jedoch die Einweihung des Olympiastadions. Als der FC Bayern mit einem 5:1 am letzten Spieltag der Saison zu Hause die Meisterschaft feiert, ist das nicht nur der erste Meistertitel für Hoeneß, sondern auch die erste Millioneneinnahme durch Zuschauer für den Verein. Wie sich die Machtverhältnisse in München verändert haben, lässt sich an diesem Spiel ablesen. Dem TSV 1860 München untersagt das Organisationskomitee der Olympischen Spiele ein wichtiges Aufstiegsspiel im noch nicht ganz fertigen Stadion. Bayern aber darf spielen, CSU-Finanzminister Ludwig Huber setzt sich dafür ein. Eines von vielen Beispielen dafür, wie schlau Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker den Verein vernetzt hat.

Das Olympiastadion wird fortan der feste Anker des wirtschaftlichen Erfolgs der Bayern. Im alten Stadion an der Grünwalder Straße hatte es nur rund 4000 überdachte Sitzplätze gegeben, das Stadion war kleiner als die Spielstätten vieler Konkurrenten. Im neuen Stadion mit der futuristischen Dachkonstruktion sind mehr als zehnmal so viele Plätze überdacht, und es gibt VIP-Plätze, die sich der Verein teuer bezahlen lässt. Der Unterschied ist frappierend: Das ausverkaufte Saisonfinale beschert dem FC Bayern eine Bruttoeinnahme von 1,2 Millionen Mark – im alten Stadion waren maximal 350 000 möglich. Für den FC Bayern und seinen kostspieligen Kader eröffnen sich damit neue finanzielle Möglichkeiten, und das genau in der Zeit, in der anderen Vereinen die Zuschauer wegbrechen.

Reinfall Olympische Spiele

Im Jahr 1972 ist Uli Hoeneß bei Bayern Stammspieler, Deutscher Meister und Europameister, es läuft aber nicht alles glatt. Mit den Olympischen Spielen in München wird genau jenes Turnier für ihn zum Reinfall, für das er auf einen Profivertrag verzichtet hat. Zwar gewinnt die deutsche Amateur-Mannschaft ihre drei Vorrundenspiele deutlich, Hoeneß schießt aber kein einziges Tor und ist so schlecht, dass er für ein Spiel auf die Bank muss. Vom Star der Mannschaft zum Nebendarsteller, was für eine Demütigung. Die Zwischenrunde vor dem Finale verläuft dann sportlich blamabel, verblasst jedoch vor der Tragik ihrer Umstände. Im voll besetzten Olympiastadion verliert Deutschland gegen Ungarn mit 1:4. Die Stimmung ist gespenstisch: Am Tag davor war es zum Anschlag auf das israelische Olympiateam gekommen. Hoeneß hatte im Olympiadorf vom Büro eines Journalisten aus beobachtet, wie die Hubschrauber mit den Terroristen und ihren Geiseln abhoben in Richtung Fürstenfeldbruck. Dort sollten die elf Geiseln befreit werden, doch der Einsatz verlief so chaotisch und für die Sicherheitskräfte desaströs, dass alle Geiseln und ein Polizist starben. Drei der acht palästinensischen Geiselnehmer wurden festgenommen, die übrigen getötet.

Die Partie gegen Ungarn findet im Anschluss an die Trauerfeier und den inzwischen zum Sprichwort gewordenen Satz »The Games must go on« von IOC-Präsident Avery Brundage statt. Dass wenige Tage später das erste Aufeinandertreffen zweier deutscher Mannschaften mit einem 3:2-Sieg für die DDR endet? Im Grunde egal. Auch im Verhältnis zwischen den Spielern. Als DDR-Stürmer Jürgen Sparwasser mit Hoeneß für die Dopingkontrolle ausgelost wird, schlägt der ihm vor, erst mal ein Weizen zu trinken. Noch in der Nacht packt Hoeneß im Olympischen Dorf seine Koffer und fährt nach Hause.

Sein Ruf hat spürbar gelitten. »Ich weiß, ich habe als Fußballer einiges von meinem Image eingebüßt«, sagt er nach den Spielen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist Hoeneß inzwischen nicht nur der dynamische Fußballspieler, sondern zudem jemand, der seinen finanziellen Wert ausreizt. Was sicher in Teilen daran liegt, wie Hoeneß in den Monaten vor den Olympischen Spielen die Verhandlungen seines ersten Profivertrags angegangen ist.

Auf der Jagd nach schnellem Geld

Zunächst setzt er sich beim DFB dafür ein, dass sich für ihn und alle anderen Amateure die Frist zur Vertragsunterzeichnung verlängert, damit er nach den Spielen mehr Optionen hat als nur den FC Bayern. Als der Verein ihm vor dem Turnier keine genauen Zahlen garantieren will, droht Hoeneß dann mit einem Wechsel als Amateur zu einem anderen Verein. Fortan sprießen die Gerüchte.

Schon im Februar 1972 schildert der ›Kicker‹ unter der Überschrift »Ausverkauf bei Bayern« die Wechselabsichten von Müller, Breitner und eben Hoeneß. Fast wöchentlich gibt es Neuigkeiten. Breitner sei schon zu 99 Prozent weg, Gerd Müller sich mit Feyenoord Rotterdam einig. Und Hoeneß? Der habe angeblich schon Werder Bremen zugesagt. Auch der VfB Stuttgart, die Offenbacher Kickers und Schalke 04 werden mit ihm in Verbindung gebracht, es gibt sogar das Gerücht, dass er sich bei Borussia Mönchengladbach selbst angeboten habe. Nacheinander reißt verschiedenen Leuten in seiner Umgebung die Hutschnur. Sepp Maier und Franz Beckenbauer rüffeln ihn öffentlich, sogar sein Trainer für Olympia, Jupp Derwall, spricht von der »größten menschlichen Enttäuschung«.

Im Oktober 1972 unterschreibt Hoeneß endlich seinen Vertrag bei Bayern, Breitner und Müller bleiben ebenfalls. Aber Präsident Neudecker muss in die Vollen gehen, um das zu ermöglichen. Er hat erfolgreich dafür lobbyiert, die Begrenzung der Ablösesummen aufzuheben und ein fixes Handgeld von 20 Prozent der Transfersumme für die Spieler einzuführen. Dadurch kann er die Preise so hochtreiben, dass keiner der Bundesligisten einen seiner Stars verpflichten kann. Schon in der nächsten Saison wird ihm das allerdings auf die Füße fallen, wenn er mehr Geld als geplant für Jupp Kapellmann vom 1. FC Köln berappen muss.

Beim Thema Geld klaffen im Fußball zunehmend die Perspektiven auseinander. Was für die Spieler ein gutes Geschäft ist, führt die Vereine in immer höhere Verschuldung und sorgt bei den Fans für Ablehnung. Ein Spieler wie Hoeneß bedient mit seinem Verhalten das Bild einer raffgierigen Liga. Weil er sich zusätzlich in einer anderen Sache verzockt.

Ein Jahr später hat der FC Bayern seine Meisterschaft mit großem Vorsprung vor dem 1. FC Köln verteidigt und will in der Saison 1973/74 den Europapokal ins Visier nehmen. Vorher allerdings erreicht ein Fax manche Redaktion. Uli Hoeneß will die Exklusivrechte an seiner Hochzeit für 25 000 Mark verkaufen. Doch statt einer Überweisung erntet er nur Spott. Die ›Sport-Illustrierte‹ veröffentlicht eine Fotomontage des Brautpaares und rechnet genüsslich vor, dass dieses Bild nur 177 Mark und 30 Pfennig gekostet habe. 150 Mark für den Fotografen und 27,30 Mark für die Fotomontage. Autsch.

Die Hochzeit findet dann ohne Exklusivfotografen, aber dafür mit echter Prominenz statt. In den laufenden Gottesdienst hinein betritt jemand die Kirche durch die Sakristei: Franz-Josef Strauß ist spät dran, kann so aber als Erster gratulieren. Sein Erscheinen zeigt ein Spannungsfeld auf, in dem die öffentliche Person Hoeneß steht.

Helden der Popkultur

Das Ende der 1960er- und der Beginn der 1970er-Jahre sind geprägt von einem Wandel, der kaum ein Feld der Gesellschaft unberührt lässt. Dabei fordern die Nachkriegskinder ihre Eltern in allen Bereichen des Lebens heraus: Die Röcke werden kürzer, die Haare länger, die Musik wilder. Während sich in der Jahreshitparade 1960 auf den vorderen Plätzen Interpreten wie Lolita und Freddy Quinn tummeln, gehören zehn Jahre später zu den meistverkauften Alben die »Beatles«, »Led Zeppelin« und »Deep Purple«.

Politiker unterschiedlichster Prägung begleiten diese Transformation. Bis ins Jahr 1966 regieren mit Konrad Adenauer und Ludwig Erhard zwei Bundeskanzler, die noch im 19. Jahrhundert geboren wurden und das Kaiserreich miterlebt haben. Herausgefordert wird diese Generation nicht nur von prominenten Stimmen ihrer Zeit wie Rudolf Augstein, Jürgen Habermas und Hans Magnus Enzensberger, allesamt vor dem Zweiten Weltkrieg geboren, sondern vor allem von jenen, die während des Krieges geboren und danach sozialisiert wurden. In ihrer radikalsten Form mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin als Köpfe der ersten Generation der Terrororganisation Rote Armee Fraktion.

Und dann sind da noch jene, die wie Hoeneß in den 1950ern und damit in einen Konsum hineingeboren wurden, der neu für die älteren Generationen ist. Nur wenige von ihnen spielen in den frühen 1970ern eine bundesweit sichtbare Rolle, in der Politik wird sich diese Generation um Menschen herum wie Claudia Roth, Wolfgang Kubicki, Peter Ramsauer oder Jürgen Trittin erst in den 1980ern und 1990ern etablieren. Es sind vor allem Musik, Film und Sport, die von ihnen schon jetzt geprägt werden. Vielleicht stehen die inzwischen häufig mit einem Abitur ausgestatteten Fußballprofis wie Hoeneß auch deshalb über ihren Sport hinaus im Fokus.

Sein Freund Paul Breitner nutzt diese Aufmerksamkeit, indem er sich zum Mao-Bibel lesenden Systemkritiker stilisiert. Das bringt ihm die Sympathien der Band »Ton Steine Scherben« ein, die ihm ihre 1972 erschienene Platte ›Keine Macht für Niemand‹ schickt. Breitner besucht daraufhin bei einem Auswärtsspiel die Band, als diese von ihm aber nicht nur Geld, sondern auch politische Aktionen fordert, distanziert er sich wieder.

Hoeneß ist da anders. Er hat das Selbstbewusstsein und die Ambitionen der Jungen, schwärmt aber für den 1915 geborenen Franz-Josef Strauß und damit für die Werte der Alten. Rio Reiser von »Ton Steine Scherben« singt auf dem Album ›Warum geht es mir so dreckig‹: »Ich will nicht werden, was mein Alter ist. Ich möchte aufhören und pfeifen auf das Scheißgeld. Ich weiß, wenn das so weitergeht, bin ich fertig mit der Welt.«

Hoeneß will ebenfalls nicht werden, was sein »Alter« ist. Aber anders als für jemanden wie Reiser ist für ihn das Problem nicht das kapitalistische System, sondern seine Stellung darin. Hoeneß eckt an, weil er fordernd und von sich selbst überzeugt auftritt. Er tut das aber ohne den Wunsch nach einem gesellschaftlichen Wandel.

Seine größten Spiele

In der Spielzeit von 1973/74 werden die Bayern zum dritten Mal in Folge Deutscher Meister, aber der Ligatitel ist ihnen inzwischen zu wenig. Sie wollen in Europa die Ersten sein und den Pokal der Landesmeister gewinnen. In diesem Wettbewerb macht Hoeneß zwei der besten Spiele seiner Karriere.

Zunächst treffen die Bayern auf Dynamo Dresden, zum ersten Mal spielen die Meister aus Ost- und Westdeutschland gegeneinander. In einem wilden Hinspiel gewinnen die Münchner zwar, aber mit 4:3 so knapp, dass viele mit einem Ausscheiden rechnen. Vor dem Rückspiel im November 1973 kommt es zu einem Eklat, weil der FC Bayern nicht in Dresden übernachtet, sondern im westdeutschen Hof. Neudecker und Schwan geben an, der Höhenunterschied von 400 Metern sei der Grund dafür, in Wirklichkeit geht es ihnen bei der Entscheidung aber wohl darum, einer Überwachung durch die Stasi und möglichen Verunreinigungen im Essen aus dem Weg zu gehen.

Obwohl sich später herausstellt, dass ihr Besprechungsraum im Hotel tatsächlich verwanzt war und Dresdens Trainer Walter Fritzsch direkt von der Stasi Bayerns Aufstellung bekam, bezeichnet Uli Hoeneß Jahre später diese Entscheidung noch als Fehler. Denn vor dem Hotel in Dresden warten Hunderte ostdeutsche Fans vergeblich auf den FC Bayern.

Das Spiel wiederum verläuft erfolgreich. Es ist noch keine zwölf Minuten alt, da ist Hoeneß seinem Gegenspieler Eduard Geyer schon zweimal davongelaufen und hat nach wunderbaren Alleingängen getroffen. »Er war vielleicht zur damaligen Zeit einer der schnellsten Spieler, die es in Europa gab«, erklärt Geyer, angesprochen auf diese Partie. Zwar dreht Dresden den Spielstand noch, aber das 3:3 von Gerd Müller besiegelt das Weiterkommen des FC Bayern. »Hoeneß ist der Superstar«, heißt es nach dem Spiel.

Uli Hoeneß ist nicht mehr nur irgendein Bayern-Spieler, sondern er kann den Unterschied machen. Mit dem Europapokal als seiner größten Bühne. Bayern zieht ins Finale ein, in Brüssel geht es gegen Atletico Madrid. Sein Gegenspieler ist der 34 Jahre alte Adelardo, alles scheint wie gemalt für einen guten Auftritt. Das Spiel wird jedoch zu einer großen Enttäuschung. Hoeneß entkommt seinem Bewacher nicht, torlos geht das Finale in die Verlängerung. In der trifft Atletico zur Führung, erst ein Verzweiflungsschuss von Katsche Schwarzenbeck in allerletzter Minute sorgt für das 1:1. Was im Jahr 1974 bedeutet: Es kommt zu einem Wiederholungsspiel.

»Wir wussten: Ein zweites Spiel, das spricht für uns. Denn die Madrilenen waren so deprimiert, die haben die Einrichtung im Heysel-Stadion demoliert, die haben die Haken von den Bänken gerissen in der Umkleide«, erinnert sich Bulle Roth. Am Morgen nach dem Spiel besucht Susi Hoeneß ihren Mann, aber der ist schweigsam, als sie zu einer Wiese spazieren. »Ich glaube, wir saßen drei Stunden wortlos da und guckten nur in die Gegend. Ich spürte, dass es besser war, meinen Mund zu halten. Irgendwie hat ihm das gutgetan. Als wir uns trennten, war er ganz guter Stimmung«, erinnert sie sich später.

Im Wiederholungsspiel dann agiert Hoeneß wie entfesselt, schießt beim 4:0-Sieg zwei wunderbare Tore. Atletico ist ein Schatten seiner selbst, viele Jahre später vermutet Bayern-Spieler Jupp Kapellmann, dass die Madrilenen im ersten Spiel gedopt gewesen wären und ihre Körper das noch einige Tage hätten verarbeiten müssen. Für Hoeneß ist es auch ein persönlicher Triumph. Wenn er sich schlecht fühlt, schaut er sich in den kommenden Jahren die Aufzeichnung dieser Partie an. »Uli Hoeneß, der 48 Stunden zuvor in Bleischuhe geschlüpft schien, fegte wie ein Sprinter durch die Atletico-Abwehr. Er gerät immer mehr in die Art des Johan Cruyff, ein Mann, der sich seine Tore selbst vorbereiten (und dann natürlich auch vollenden) kann«, schwärmt der ›Kicker‹ nach dem Finale.

In Gruppen gehen die Spieler nach dem Europapokalsieg in Brüssel feiern, nur einen Tag später findet das sportlich bedeutungslose letzte Spiel in der Bundesliga statt. Mit 0:5 verlieren die Bayern bei Borussia Mönchengladbach. Die Feier war wohl gut.

Fiebrig zum Weltmeistertitel

Uli Hoeneß ist jetzt also auch Europapokalsieger. Aber mit der Weltmeisterschaft im eigenen Land wartet noch ein Ereignis auf ihn, von dem jeder Fußballer träumt. In einem Belastungstest vor der WM 74 hat er einen Puls von 190, Dettmar Cramer, Co-Trainer der Nationalmannschaft, sagt voraus, Hoeneß werde der Star des Turniers. Doch schon im ersten Spiel tut sich Uli Hoeneß wie die gesamte Mannschaft schwer, was ihm einen spitzen Kommentar von Franz Beckenbauer einbringt: »So ein Lob, wie es Dettmar Cramer verteilte, kann eben nicht jeder vertragen.«

Im zweiten Spiel gegen Australien gewinnt Deutschland zwar deutlich, aber Hoeneß vergibt einige große Chancen. Seinen sportlichen Tiefpunkt erlebt er dann einige Tage später beim prestigeträchtigen Spiel gegen die DDR. Beide Mannschaften sind schon vor der Partie für die Zwischenrunde qualifiziert, im politisch aufgeladenen Duell geht es aber noch darum, wer in welcher der beiden Gruppen ums Finale spielen darf. Es sind noch keine Tore gefallen, da wirft Paul Breitner einen Einwurf zu Uli Hoeneß, der den Ball mit einem Rückzieher über seinen Kopf hinweg nach innen flankt. Den harmlosen Abschluss schnappt sich DDR-Torhüter Jürgen Croy und leitet mit einem Abwurf den Gegenstoß ein. Jürgen Sparwasser sprintet in eine weite Flanke, verzögert seinen Schuss so lange, bis Torhüter Sepp Maier auf dem Boden liegt, und trifft zum 1:0 ins Tor.

»Wenn auf meinem Grabstein später nur ›Hamburg 1974‹ stehen würde, wüsste jeder, wer darunterliegt«, sagt Sparwasser über seinen Siegtreffer. Es ist zwar nicht der wichtigste seiner Karriere, den hat er einige Wochen zuvor im Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger für den 1. FC Magdeburg erzielt und so den Weg für den ersten und einzigen Europapokalsieger aus der DDR geebnet, jedoch einer mit direkten Folgen: Als einige Spieler am Abend eine der Wachen vom Bundesgrenzschutz an ihrem Quartier in Quickborn darum bitten, sie zur Reeperbahn zu fahren, muss Sparwasser als Einziger zurückbleiben. Er sei zu bekannt, da würde der Posten seinen Job riskieren.

Mit dem Wissen von heute blickt man entspannt auf diese Niederlage. Aber damals verzweifeln die westdeutschen Sportjournalisten. »Das Stenogramm unseres Spiels gegen die DDR ist etwa so spannend wie die Lektüre eines Telefonbuchs; Monotonie bei allen Angriffen«, schreibt etwa der ›Kicker‹ in seinem Spielbericht. Hoeneß habe man in der zweiten Hälfte auf dem Spielfeld suchen müssen: »Er war ›mausetot‹ und nicht mehr zu sehen.«

Im nächsten Spiel gegen Jugoslawien sitzt Hoeneß zunächst auf der Bank, gegen Schweden trifft er immerhin per Strafstoß. Anschließend wartet mit Polen einen Schritt vor dem Finale die eigentliche Überraschung des Turniers. Polen spielt herausragenden Offensivfußball, schießt die meisten Tore und stellt letztlich mit Grzegorz Lato den WM-Toptorschützen.

Wegen eines Wolkenbruchs kurz vor Spielbeginn verzögert sich jedoch der Anpfiff und bringt den Platz an den Rand der Unbespielbarkeit. In diesen fast irregulären Bedingungen gelingt Deutschland zwar mit einem 1:0-Sieg der Finaleinzug, das liegt aber neben dem Torschützen Gerd Müller vor allem an Sepp Maier, der eine Menge Chancen pariert. Der größte Stein dürfte beim Schlusspfiff Hoeneß vom Herzen gefallen sein. Denn der hatte beim Stand von null zu null einen Elfmeter zu lässig geschossen, Polens Torhüter Tomaszewski konnte den Ball ohne große Probleme halten. Deutschland hätte bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land ausscheiden können, weil Hoeneß einen Strafstoß verschießt. Dagegen ist der Elfmeter im EM-Finale 1976, über den noch zu sprechen sein wird, eine Kleinigkeit.

In dieser Phase der Karriere von Uli Hoeneß gehen die meisten Dinge gut für ihn aus. So auch im Finale der WM, in dem er für seinen persönlichen Erfolg den der Mannschaft riskiert. In den Nächten vor dem Endspiel gegen die Niederlande hat er hohes Fieber, wechselt mehrfach den Schlafanzug und wendet seine Matratze, damit es keiner bemerkt. Es funktioniert: Hoeneß steht beim Anpfiff auf dem Rasen im Münchner Olympiastadion – und verursacht mit seiner ersten Aktion einen Strafstoß am Star der Niederländer, Johan Cruyff. Nach nur zwei gespielten Minuten liegt die deutsche Mannschaft gegen den klaren Favoriten zurück. Aber wieder bügelt jemand den Fehler von Hoeneß aus. Erst verwandelt Paul Breitner einen Strafstoß zum 1:1, dann trifft Gerd Müller mit einem ikonischen Drehschuss zum 2:1. Viele Paraden von Sepp Maier später ist es dann so weit: Deutschland ist Weltmeister.

Auf dem Höhepunkt

Uli Hoeneß ist 22 Jahre alt und hat jeden Titel gewonnen, den man als Fußballspieler holen möchte: DFB-Pokal, Deutsche Meisterschaft, Europapokal, Europameisterschaft, Weltmeisterschaft. Der steile Anstieg seiner Karriere ist einzigartig, höchstens mit Paul Breitner zu vergleichen. Kein Beckenbauer, kein Gerd Müller, kein Uwe Seeler und kein Fritz Walter waren in ihren ersten Jahren im Fußball so erfolgreich. Von den Weltmeistern 1974 sind Hoeneß und Breitner gemeinsam mit Rainer Bonhof von Borussia Mönchengladbach die Küken, sie sind die einzigen Spieler, die erst in den 1950ern geboren wurden.

Sicher hatte Hoeneß das Glück, von seinem Trainer gefördert zu werden und in dem Verein spielen zu dürfen, der neben Mönchengladbach die sportlich beste Zukunft vor sich hat. Dass er sich beim FC Bayern bis zur Unverzichtbarkeit durchsetzt, hat aber nicht allein mit seiner Physis und dem viel zitierten Ehrgeiz zu tun. Als Verbindungsspieler zwischen Mittelfeld und Angriff spielt er nicht nur mehrere Positionen in seinen Mannschaften – zwischendurch ist er bei Bayern sogar Außenverteidiger –, er kann sie zudem anders interpretieren.

Die Gegner spielen mit Manndeckung und Libero, wenn der FC Bayern kommt, in der Regel tief in der eigenen Hälfte stehend. Hoeneß bietet, was es gegen diese Gegner braucht: schnelle Antritte, Sprints in die Lücken der Verteidigung und eine hohe Ausdauer, um den direkten Gegenspieler müde zu laufen. Vielleicht ist Uli Hoeneß genau das, was dem deutschen Fußball und dem FC Bayern in dieser Phase gefehlt hat. Es sieht aus, als läge eine goldene Zukunft vor ihm. Was er noch nicht weiß: Seine Zeit als Fußballer ist schon zur Hälfte vorbei. Mit dem FC Bayern wird er bald sogar gegen den Abstieg spielen.

Am 7. Juli 1974 wartet nach dem Sieg im Finale aber erst mal eine denkwürdige Feier auf ihn. Obwohl der DFB es den Spielern verboten hat, ihre Frauen und Freundinnen zum Siegerbankett mitzubringen, sitzt Susi Hoeneß mit am Tisch. Als sie von einem Kellner gebeten wird, den Saal zu verlassen, kommt es zum Eklat. Hoeneß liefert sich ein Wortgefecht mit einem DFB-Funktionär und sorgt dafür, dass angeführt von den Bayern-Spielern erst die deutschen und dann die niederländischen Fußballer den Saal verlassen. Paul Breitner und Gerd Müller treten noch am selben Abend aus der Nationalmannschaft zurück, auch wenn sich Müller wohl schon vor dem Vorfall mit diesem Gedanken beschäftigt hat. Der biedere DFB steht trotz des Titelgewinns schlecht da, denn die Frauen seiner Funktionäre durften ein paar Tische weiter an der Feier teilnehmen.

Hoeneß also doch der Revoluzzer gegenüber den Alten, ganz im Sinne Rio Reisers? Wieder nur innerhalb des Systems. Hoeneß bleibt Nationalspieler, er tritt nicht zurück. Nach dem Turnier berichtet er in einer Kolumne davon, sich noch vor der Weltmeisterschaft ein Haus mit Swimmingpool gekauft zu haben. Der Hausbesitzer ist selten ein Hausbesetzer.

Kapitel 3

Kaputt gespielt

1974–1979

Geld ist ein allgegenwärtiges Thema im Fußball der 1970er. Ablösesummen und Handgelder mussten vom DFB abgesegnet werden und wurden deshalb offen kommuniziert. Aber auch was einzelne Spieler mit Autogrammstunden oder ähnlichen Aktivitäten verdienen, ist den Zeitungsarchiven zu entnehmen. Offenbar scheint ihr wirtschaftlicher Aufschwung Teil der Faszination von Fußballprofis gewesen zu sein. Warum das wichtig ist? Weil in der Saison nach der WM1974 etwas in der Mannschaft des FC Bayern zerbricht – was nicht allein an Geld liegt, sich aber an den Nebentätigkeiten der Spieler entzündet.

Werbung und Fußball sind inzwischen zusammengewachsen. Zwar gilt Bandenwerbung noch als »Schleichwerbung« und wird kritisiert, im Grunde hat sie sich aber schon durchgesetzt: Im Hamburger WM-Stadion wird sogar die Aschenbahn abgegraben, um die Banden optimal fürs Fernsehen zu positionieren. Erst seit 1970 ist Bandenwerbung überhaupt erlaubt. Eine Marketingagentur hatte einen Prozess gegen das ZDF gewonnen, das damals bei Übertragungen die Reklamebanden verdecken oder abbauen ließ.

Auch die Leibchen der Spieler sind nicht mehr werbefrei. Als Eintracht Braunschweig sein Logo zum Jägermeisterkopf ändert und damit das Werbeverbot umgeht, erlaubt der DFB1973 den Vereinen widerstrebend Werbung auf der Trikotbrust. Werbung im Fußball ist also schon präsent, als die Weltmeisterschaft angepfiffen wird. Das Turnier selbst wird dann zu einer Art Durchlauferhitzer. Allein mit den WM-Maskottchen, den beiden Figuren »Tip und Tap«, sowie dem offiziellen WM-Plakat, verdient der DFB etwa 60 Millionen Mark. Tip und Tap sind überall: auf Aschenbechern, Senfgläsern, Krawatten und sogar auf Damenunterwäsche, was den prüden DFB ärgert.