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Olaf Sundermeyer

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Beschreibung

Viele Menschen in Deutschland fühlen sich nicht mehr sicher. Zugleich sinkt das Vertrauen in den machtlosen Staat, der durch reisende Banden aus dem Ausland und kriminelle Großfamilien herausgefordert wird. Olaf Sundermeyer nimmt eine ungeschönte Bestandsaufnahme vor und fragt, was wir gegen die ausufernde Eigentumskriminalität tun können. In den vergangenen zehn Jahren haben die Einbrüche in Deutschland um ein Drittel zugenommen. 82 Prozent der Deutschen macht die steigende Eigentumskriminalität Sorgen. Seit dem Wegfall der Grenzkontrollen durch das Schengener Abkommen geht hierzulande der große Klau um. Die Kriminellen sind international organisiert. Die Polizei aber stößt an nationale Grenzen. Noch dazu bröckelt ihr Gewaltmonopol in den No-Go-Areas deutscher Großstädte. Auf der Grundlage jahrelanger Recherchen erklärt Olaf Sundermeyer, warum organisierte Kriminelle aus dem Ausland in Deutschland weitgehend straffrei agieren können und zeigt, wie sie das Sicherheitsgefühl untergraben, den sozialen Frieden bedrohen und unsere Demokratie gefährden.

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Olaf Sundermeyer

Bandenland

Deutschland im Visier von organisierten Kriminellen

C.H.Beck

Zum Buch

Viele Menschen in Deutschland fühlen sich nicht mehr sicher. Zugleich sinkt das Vertrauen in den machtlosen Staat, der durch reisende Banden aus dem Ausland und kriminelle Großfamilien herausgefordert wird. Olaf Sundermeyer nimmt eine ungeschönte Bestandsaufnahme vor und fragt, was wir gegen die ausufernde Eigentumskriminalität tun können. Denn in den vergangenen zehn Jahren haben die Einbrüche in Deutschland um mehr als die Hälfte zugenommen. 82 Prozent der Deutschen macht die steigende Eigentumskriminalität Sorgen. Seit dem Wegfall der Grenzkontrollen durch das Schengener Abkommen geht hierzulande der große Klau um. Die Kriminellen sind international organisiert. Die Polizei aber stößt an nationale Grenzen. Noch dazu bröckelt ihr Gewaltmonopol in den No-Go-Areas deutscher Großstädte. Auf der Grundlage jahrelanger Recherchen erklärt Olaf Sundermeyer, warum organisierte Kriminelle aus dem Ausland in Deutschland weitgehend straffrei agieren können und zeigt, wie sie das Sicherheitsgefühl untergraben, den sozialen Frieden bedrohen und unsere Demokratie gefährden.

Über den Autor

Olaf Sundermeyer arbeitet beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) als Experte zum Thema innere Sicherheit in der Redaktion Investigatives und Hintergrund. Seine Fernsehreportagen zum Thema organisierte Kriminalität in der ARD wurden mehrfach ausgezeichnet. Er ist häufig in Rundfunk und Fernsehen präsent. Bei C.H.Beck sind von ihm lieferbar: In der NPD (zus. mit Christoph Ruf, 2009) und Rechter Terror in Deutschland (2012).

www.olaf-sundermeyer.com

Twitter: @o_sundermeyer

Inhalt

Einleitung

Tatort Deutschland

Organisierte Kriminalität? Eine Sicht der Dinge!

Banden ziehen durch Schengen-Land

Kein europäisches FBI in Sicht

Viele Taten, wenige Anzeigen

Straflos im Bandenland

Ein schiefes Bild von Kriminalität

Die Lehren aus «Köln»

Raus aus der politisch korrekten Komfortzone

Der Preis der Freiheit

Offene Grenze, weniger Polizei

Hart an der Grenze

Schwierige Partnerschaft

Das Nichts am Ende des Tunnels

Fahrräder aus Yuma

Der große Klau

Über die Terrasse ins Schlafzimmer

Der Rolltreppentrick

In der Schule der Taschendiebe

Für reisende Banden ist Europa ein Land

Klaubrigaden feiern sich auf Facebook

Banden im Untergrund

Ausbildungsstätten des Verbrechens

Schrecklich kriminelle Familien

Echte Berliner

Beim Rockerjäger von Moabit

In der No-Go-Area

Ein schwieriger Fall

Dank

Anmerkungen

Einleitung

Viele Menschen in Deutschland fühlen sich nicht mehr sicher. Zugleich sinkt das Vertrauen in den Staat. Beides muss sich ändern, um den sozialen Frieden in Deutschland zu wahren. Den Zusammenhang zwischen dem beeinträchtigten Sicherheitsgefühl und der politischen Vertrauenskrise erkennt auf Anhieb, wer sich mit den verschiedenen Formen der Bandenkriminalität in Deutschland beschäftigt. Insbesondere – aber nicht nur – mit der ausufernden Eigentumskriminalität. Denn gegen sie sind unsere Sicherheitsbehörden leider machtlos. In manchen deutschen Städten hat sich die Zahl der Einbrüche in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt, während die Aufklärungsquote weiter sinkt. An besonders belasteten Orten liegt sie oft nur im einstelligen Bereich. Obwohl Behörden und Politik den Menschen jahrelang ein anderes Bild vermitteln wollten, stecken dahinter organisierte Banden, die systematisch Wohnungen und Häuser leer räumen. Stadt um Stadt gehen sie vor. Seit Jahren geht in Deutschland der große Klau um: Autos, Fahrräder, Geldbörsen, Smartphones. Die Banden haben es auf die mobilen Symbole des Wohlstands abgesehen und greifen ab, was nicht ausreichend gesichert ist. Bankkonten werden ausgespäht und geplündert, Geldautomaten gesprengt.

Dabei bleibt die überwiegende Zahl dieser Straftaten ungesühnt, die Täter straflos, die Opfer hilflos und der Staat im Kampf gegen die organisierte Kriminalität machtlos. Inzwischen spricht auch der um Sachlichkeit in der Sicherheitsdebatte bemühte Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) von faktischer Straflosigkeit: nicht nur bei der einfachen Eigentumskriminalität, sondern auch bei Internetkriminalität, Wirtschaftskriminalität und der schweren organisierten Kriminalität.

Aber wer möchte schon zurückgezogen hinter Mauern und Stacheldraht leben, um Hab und Gut zu sichern? So wie es viele Menschen in anderen Ländern bereits tun müssen, wo die Freiheit hinter der individuellen Sicherheit verschwunden ist, die sich wiederum nur die Wohlhabenden leisten können: in Südafrika oder in Mexiko, stellenweise auch in Spanien, Frankreich und den USA, also in Gesellschaften, an denen sich die Bundesrepublik lange Zeit orientiert hat. Dort leben immer mehr Menschen in «Gated Communities» hinter einem Zaun, der von einem privaten Sicherheitsdienst bewacht wird. Menschen, die sich Sicherheit kaufen können, das aber auch zum Preis einer nur eingeschränkten Freiheit. Für eine große Industrienation verfügt Deutschland auch deshalb über eine ungewöhnlich hohe Lebensqualität, weil die Menschen hier bislang noch ein hohes Maß an Freiheit genießen. Aber diese Freiheit machen uns Kriminelle nun streitig, indem sie ihren Opfern permanent die eigene Schutzlosigkeit vor Augen führen.

Zahllose Diebstähle und die kaum zu kontrollierenden reisenden Banden sorgen für Empörung, ebenso kriminelle Familienclans und martialisch auftretende Rockergangs, die den Rechtsstaat verhöhnen – und dabei weitgehend straflos bleiben. Viele Menschen fühlen sich durch die Polizei nicht ausreichend geschützt und kümmern sich um ihre Sicherheit selbst: Ausweis dessen sind Pfeffersprays in den Regalen von Drogeriemärkten, eine Antragsflut bei den «kleinen Waffenscheinen», das wuchernde Angebot von Selbstverteidigungskursen, das florierende Geschäft mit Alarmanlagen und privaten Sicherheitsdiensten sowie die Gründung zahlreicher Bürgerwehren und selbstorganisierter Streifendienste. Wenn einzelne Landesinnenminister angesichts dessen öffentlich darauf beharren, dass für die «innere Sicherheit unsere Polizei zuständig ist», dann ist klar, was allmählich auf dem Spiel steht: das Gewaltmonopol des Staates, das immer mehr Bürger anzweifeln.

Einige besonders Ängstliche rufen sogar offen dazu auf, dass die Deutschen sich bewaffnen sollten. Immer mehr Menschen setzen diese Idee für sich in die Tat um. Die alte Leier von einem drohenden Bürgerkrieg in deutschen Städten, die einige politische Sektierer seit über einem Jahrzehnt anstimmen, findet inzwischen in Teilen der gesellschaftlichen Mitte Gehör. So haben das sinkende Sicherheitsgefühl und der Vertrauensverlust längst eine politische Eigendynamik bewirkt, die unsere Demokratie gefährdet. Die Bedrohung geht also nicht nur von der Kriminalität als solche aus, sondern auch von ihren gesellschaftlichen Folgen.

Aus Angst vor den Wählern haben Politiker die eigene Machtlosigkeit viel zu lange verschwiegen. Und die Tatsache, dass die überwiegende Zahl der organisierten Kriminellen Nichtdeutsche sind, haben sie lange Zeit versucht auszublenden. So bemerkte der Rechtswissenschaftler Hans-Dieter Schwind in seinem Standardwerk zur kriminologischen Praxis bereits für das Jahr 1984 ganz grundsätzlich eine Kriminalitätsbelastungszahl,[1] die bei «in der Bundesrepublik lebenden jungen Ausländern (…) rund doppelt so hoch ist wie diejenige der Deutschen».[2] Für die hohe Zahl der nichtdeutschen Kriminellen lässt sich heute wohl sagen, dass sie entweder Milieus erwachsen sind, in denen hierzulande die Integration längst gescheitert ist. Oder sie sind Mitglieder von Banden aus dem Ausland, die Deutschland ganz bewusst ins Visier genommen haben. In einem Dossier der Wochenzeitung Die Zeit, das sich dem Innenleben der deutschen Polizei widmet, beschreibt ein 35-jähriger Polizeioberkommissar aus dem Streifendienst in einem deutschen Bahnhofsviertel seine dahin gehenden Erfahrungen aus der Praxis: «Als Mensch mit Migrationshintergrund darf ich Menschen mit Migrationshintergrund einfach Ausländer nennen. In meinem Beruf ist das ein Geschenk! Ich kann über Türken schimpfen, über Deutsche, über Weiße, Gelbe – und ich kann sagen, was ich im Dienst erlebe: In Sachen Kokain sind bei uns die Albaner gut dabei, nicht nur als kleine Dealer unten auf der Straße, sondern auch ganz weit oben – jedenfalls so weit, wie ich gucken kann. Dann gibt’s den Türken und Kurden, der eher mit Heroin macht. Wenn wir Leute festnehmen, die mit Waffen handeln, kommen die meisten vom Balkan. Und in Prostitution machen eigentlich alle. Deutschen begegne ich in der organisierten Kriminalität eher weniger. Nicht, weil die weniger kriminell sind, die haben nicht so ausgeprägte Familienclans.»[3] In diesem Zusammenhang sind mir stets zwei Sätze präsent, die mir zwei Bandenkriminelle von ganz unterschiedlicher Herkunft gesagt haben: Die eine Aussage stammt von einem Kurden, dessen Familie aus der Türkei nach Berlin kam, und der sich schon als Jugendlicher gemeinsam mit seinen Brüdern einer hochkriminellen Gruppe angeschlossen hatte. «Der Wedding ist die Ausbildungsstätte des Verbrechens», beschrieb der Intensivtäter den Stadtteil, in dem er selbst und mit ihm die meisten anderen Mitglieder seiner Bande aufgewachsen sind. Den anderen Satz sagte mir ein Mitglied einer reisenden Bande aus Rumänien, den ich in seinem Heimatland getroffen habe: «Wir klauen in Deutschland, weil es dort gut geht. Und weil dort viel mehr zu holen ist als hier.»[4]

Der massive Kriminalitätsdruck, den diese beiden großen, aber heterogenen Tätergruppen aus dem In- und Ausland erzeugen, hat sich durch die jüngste Einwanderungswelle noch verstärkt. Wenn die Integration der Hunderttausenden von Flüchtlingen mittelfristig nicht gelingt, wird die Zahl der Kriminellen unter uns weiter steigen. Zumal zahlreiche junge Männer, die ohne ihre Familien aus verrohten Lebensverhältnissen zu uns kommen, ganz objektiv als kriminalitätsanfällig gelten: Weil ihr Alter, ihr Geschlecht, insbesondere aber ihre schwierigen Lebensumstände und die fehlende soziale Kontrolle durch ihre weit entfernt lebenden Familien Faktoren sind, die Kriminalität befördern. Deshalb sind sie besonders gefährdet, sich schnell kriminellen Kreisen in ihrem Gastgeberland anzuschließen. Dieser Effekt ist bereits seit einigen Jahren vor allem bei Männern zu beobachten, die aus den Maghreb-Staaten stammen. Viele von ihnen haben sich hochkriminellen Banden angeschlossen, die im Dreieck zwischen Amsterdam, Brüssel und Düsseldorf, aber auch in anderen Gegenden in verschiedenen Deliktarten aktiv sind. Und zwar schon bevor die große Fluchtbewegung aus dem arabischen Raum eingesetzt hat. Bemerkenswert ist allerdings, dass Menschen, die aus tatsächlichen Bürgerkriegsgebieten nach Deutschland fliehen, um hier Schutz zu finden, bisher nur sehr selten als Kriminelle auffallen. Inzwischen sind aber Zehntausende von Menschen in Deutschland, deren Identität nicht nachweisbar ist, und deren Angaben häufig falsch sind. Das ist eine ideale Voraussetzung für kriminelles Handeln.

Tatsächlich birgt jede Einwanderungswelle spezifische Kriminalitätsrisiken. So war es auch bei dem oft vergessenen Kontingent der Bürgerkriegsflüchtlinge, das in den 1970er und 1980er Jahren aus dem Libanon in die Bundesrepublik kam. Hier konnten sie fast ungehindert ein kriminelles familienbasiertes Netzwerk aufbauen, das sich in einigen Städten zu einer ernsthaften Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit entwickeln hat. Angesichts der misslungenen Integration dieser Menschen, die sich über Jahre eine zum Teil kriminelle Parallelwelt in Großstädten wie Bremen, Duisburg, Essen oder Berlin erschaffen konnten, warnt ein führender Ermittler für organisierte Bandenkriminalität beim Landeskriminalamt (LKA) in Berlin davor, «dass wir jetzt nicht den gleichen Fehler wiederholen, Flüchtlinge einfach der organisierten Kriminalität zu überlassen».

Denn die Geschichte der importierten Kriminalität ist lang. Auch der Zusammenbruch des Ostblocks löste eine Einwanderung nach Deutschland aus: zunächst aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, von wo aus die organisierte Kriminalität unter anderem ihre Kontakte zu den abziehenden Streitkräften der UdSSR in der ehemaligen DDR nutzen konnte. «Fast in jedem Bundesland hat sich die Russenmafia fest etabliert. Mit Schwerpunkten in München, Düsseldorf, Frankfurt und Hamburg. Nicht zu vergessen Berlin», notierte dazu der Publizist Jürgen Roth, der in den 1990er Jahren auf einzigartig konsequente Weise das Phänomen «Russenmafia» beobachtet und in zahlreichen Werken nachgezeichnet hat: «Demnach gibt es in Deutschland zurzeit 300 Mafiabanden, die unmittelbar mit der Mafia in Russland zusammenarbeiten. Diese Gruppen haben inzwischen internationalen Charakter. Es gibt große Banden mit allen Merkmalen Organisierten Verbrechens, aber auch kleine Gruppen, die sich mit Erpressung oder mit Diebstahl beschäftigen.»[5]

Später kam die Kriminalität aus dem zerfallenden und durch Bürgerkriege aufgewühlten Ex-Jugoslawien hinzu. Von dort führten Fluchtwege zunächst nach Österreich, aber auch nach Deutschland, und mit den Flüchtlingen kamen Kriminelle und ganze Banden aus einer verrohten Kriegsgeneration, die vielfach erfüllt waren mit einer hohen Gewaltbereitschaft. In der Folge wurde der ganze Balkan, insbesondere das Kosovo, zu einer Exportregion für Straftäter. Der langjährige Balkan-Korrespondent Norbert Mappes-Niediek fand dafür eine Erklärung, die fast schon wie eine Entschuldigung klingt: «Wer im Ausland nicht arbeiten darf und keine brauchbaren Angebote zur Integration bekommt, hat zum Eintritt in ein Drogen-Netzwerk kaum eine Alternative.»[6] Die Ursachen für Kriminalität sind vielfältig, gescheiterte Integration gehört aber zu ihren stärksten Triebkräften.

Nach der Erweiterung des Schengen-Raumes Ende 2007, dem Wegfall der stationären Grenzkontrollen und mit der völligen Freizügigkeit von Personen und Waren stiegen vor allem die Zahlen der Einbrüche und Diebstähle in Deutschland drastisch an, auch das Geschäft mit der illegalen Prostitution wucherte. Seither sind zahlreiche Mitglieder von Roma-Clans aus Südosteuropa als polykriminelle Gruppen in Deutschland aktiv, als Taschendiebe ebenso wie Buntmetalldiebe, Einbrecher und Zuhälter. Die professionell betriebene Bettelei gilt für viele noch als das geringste Übel, stellt aber häufig organisierten Menschenhandel dar, der allerdings nur sehr selten verfolgt wird: Weil die Betroffenen, häufig auch Kinder, die Täter nicht anzeigen, zumal es oft Verwandte sind. Viele Kriminelle kamen seither aus Ländern vom unteren Ende des europäischen Wohlstandsgefälles nach Deutschland. Von dort finden auch Drogen, wie beispielsweise Crystal Meth und Amphetamine, illegale Waffen, Zwangsprostituierte oder Schmuggelzigaretten den Weg nach Deutschland. Noch vor Einsetzen der großen Flüchtlingsbewegung schleusten polnische Taxifahrer Tausende Tschetschenen, die über Weißrussland nach Polen gekommen waren, illegal über Oder und Neiße nach Deutschland. Davon tauchten einige sofort ab und fanden schnell den Weg in die organisierte Kriminalität des eurasisch-russischen Komplexes.

Natürlich hat Deutschland ein wachsendes Problem mit kriminellen Migranten, wie fast jede wohlhabende Industrienation. Wer das verkennt, ist entweder von einer falsch verstandenen politischen Korrektheit geleitet oder erfüllt von dem Gedanken, dafür eine sozial verträgliche Lösung parat zu haben, die ohne die schmerzhafte Benennung der tatsächlichen Zustände auskommt. Unterdessen ist längst der soziale Frieden in Gefahr. Deshalb ist es an der Zeit, sich ehrlich zu machen, gegenüber Kriminellen, die unseren Wohlstand – mittelbar aber auch unsere Freiheit – bedrohen. Angesichts dessen sollten wir die Sicherheitsdebatte unvoreingenommen und sachlich führen, mit Blick sowohl auf die Fakten als auch auf das subjektive Sicherheitsgefühl. Denn ohne den Faktor Mensch geht keine gesellschaftspolitische Rechnung auf.

Ihm ist nicht nur mit blanken Zahlen zu begegnen. Politik und Sicherheitsbehörden müssen sich deshalb besonders um die Eigentumskriminalität kümmern. Und sie müssen dafür sorgen, dass das Gewaltmonopol erkennbar beim Staat bleibt, und nicht in die Hände von Kriminellen übergeht, die einige verwahrloste Orte bereits in «No-Go-Areas» verwandelt haben. Also in de facto rechtsfreie Räume, in denen sie das Sagen haben – nicht mehr die Polizei. Fast jeder zweite Deutsche kann ein Gebiet in der Nähe seines Wohnorts nennen, in dem er nachts nicht allein unterwegs sein möchte. Wenn ein Drogendealer durch eine Autobombe getötet wird, dann erfasst die Statistik einen einzelnen Mord. Die durch die Täter beabsichtigte öffentliche Wirkung dieser Hinrichtung allerdings entwickelt eine zusätzliche Wucht, die keine polizeiliche Kriminalitätsstatistik abbilden kann.

In Deutschland werden jährlich fast sechseinhalb Millionen Straftaten angezeigt. Fachleute des Bundeskriminalamtes (BKA) gehen davon aus, dass die tatsächliche Zahl beim Zehnfachen liegt, also bei 60 Millionen. Ein Großteil dieser Taten ist auf die organisierte Kriminalität zurückzuführen sowie auf Banden, die sich in den vergangenen Jahren immer mehr spezialisiert haben, häufig grenzübergreifend aktiv sind und arbeitsteilig agieren. Unterdessen steigt die Gesamtzahl sämtlicher Straftaten in jedem Jahr an; das Gros dieses Zuwachses macht die Eigentumskriminalität aus. Aber kaum ein Politiker traut sich, offen und eindeutig einzuräumen, dass die staatlichen Stellen in ihrer aktuellen Verfasstheit mit den meisten Verursachern beispielsweise von Wohnungseinbrüchen, Computerbetrug, Automatensprengungen, Drogenhandel, Taschen- oder Fahrraddiebstahl, Geldfälschung, Trickbetrügereien, serienmäßigen Juwelierrauben und so weiter überfordert sind.

Dieses Buch blickt vor allem auf jene aktuellen Kriminalitätsphänomene, die für tatsächliche Betroffenheit sorgen. Auch greift die Vorstellung nicht mehr, dass sich organisierte Kriminalität auf klar definierte Kategorien wie «Russenmafia», «italienische Mafia» oder «Drogenkartelle» beschränkt. Sie sind in Literatur und Wissenschaft ausführlich beschrieben und bilden nach wie vor ein hartnäckiges Fundament an organisierter Kriminalität in Deutschland. Vor allem die «Mafia» ist hier gewissermaßen zur Ruhe gekommen – als Teil unseres Wirtschaftsgefüges in einzelnen Branchen wie der Gastronomie oder vor allem der Baubranche: in Baden-Württemberg ebenso wie in Hessen, Nordrhein-Westfalen oder Thüringen. Sie nutzt unser Land als Rückzugsort einzelner ihrer kriminellen Mitglieder und zur Geldwäsche vor allem von Profiten aus dem Drogengeschäft, gegen die der Staat hierzulande bislang kein taugliches Instrument zur Hand hat. Die italienische «Mafia» ist daher vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität aktiv, außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Kritiker sehen darin die bewusst erklärte Stille eines kriminellen Geschäfts, das vor allem wegen dieser Ruhe prosperiert. So sei es durchaus politisch gewollt, dass die Mafia in Deutschland strukturell unterschätzt wird, damit deren Geld auch weiterhin in den deutschen Wirtschaftskreislauf fließt.

In Einzelfällen werden die blutigen Konflikte aus Italien aber in Deutschland weitergeführt. Zum Beispiel in Duisburg, wo in einer Sommernacht 2007 vor einem Restaurant sechs Italiener nach einem Aufnahmeritual eines jungen Mannes erschossen wurden – aus Rache. Hintergrund war eine über 20 Jahre währende Fehde zweier Familien der Mafiaorganisation «Ndrangheta» aus einem Dorf in der italienischen Region Kalabrien, 2000 Kilometer von Duisburg entfernt. Die Familie, aus der die Täter stammten, unterhielt ihrerseits eine Gaststätte am Niederrhein. Sie planten die Tat nach militärischem Vorbild und feuerten 54 Mal auf ihre Opfer, die durch Kopfschüsse starben.[7] Diese Hinrichtung sorgte dafür, dass die Mafia in Deutschland für eine gewisse Zeit mediale Beachtung erfuhr.

Zwar versucht die Bundesregierung durch ein neues Gesetz die Vermögungsabschöpfung aus kriminellen Geschäften in den Griff zu bekommen. Die von vielen erfahrenen Kriminalisten geforderte Beweislastumkehr allerdings, nach der die legale Herkunft des Geldes beim Erwerb von Eigentum nachgewiesen werden muss, gilt in Deutschland als politisch nicht durchsetzbar, weil die Finanzlobby hier zu stark ist. Wer ein Auto, ein Haus oder ein Geschäft kauft, muss nicht nachweisen, woher das Geld dafür kommt. Auch das weit verbreitete Glücksspiel eignet sich hervorragend zur Legalisierung krimineller Erträge. Davon profitieren kriminelle arabische Großfamilien, die ihr Drogengeld auf dem boomenden Berliner Wohnungsmarkt investieren, ebenso wie die «Russenmafia» oder die eigentliche italienische Mafia, die ihr Geld im freiheitlichen Deutschland wäscht – auch weil die Behörden in Italien seit zwei Jahrzehnten den Kampf gegen die Mafia über die Beschlagnahme von Vermögen in Milliardenhöhe führen, mittels eines entsprechenden Gesetzes, auf das viele Ermittler in Deutschland nur neidvoll blicken können.

Dieses Buch leistet einen Beitrag zur Sicherheitsdebatte, die ohne Denkverbote auskommen muss, damit sie von niemandem missbraucht werden kann: nicht von organisierten Kriminellen, die viel zu lange von dem zögerlichen Umgang mit ihnen profitiert haben, und auch nicht von politischen Angstmachern, denen es nicht um eine wirksame Bekämpfung der Kriminalität geht, sondern darum, an ihr den Hebel des Populismus anzusetzen. «Die Sorge, persönlich durch Kriminalität gefährdet zu sein, nimmt seit Jahren auffallend zu», schrieb zuletzt Renate Köcher, die Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.[8] Auch weil viele Menschen sich schutzlos fühlen, erlebt Deutschland inzwischen eine emotional geführte Sicherheitsdebatte. «Der öffentliche Diskurs nimmt damit verspätet Sorgen auf, die die Bevölkerung schon lange bewegen und die auch seit Jahren zunehmen – lange bevor die Flüchtlingszahlen steil anstiegen. Das gilt gerade für die Innere Sicherheit, die nach dem Empfinden der Bürger immer weniger garantiert ist», resümiert Köcher. Die Sicherheitsdebatte war also längst überfällig.

Das Thema der organisierten Bandenkriminalität muss auf den gesellschaftlichen Operationstisch und dort schonungslos ausgeleuchtet werden. Dafür habe ich zahlreiche Beobachtungen aus über einem Jahrzehnt Kriminalitätsentwicklung zusammengetragen und analytisch eingeordnet. Der Beruf des Reporters besteht darin, dort hinzugehen, wo seine Leser, Zuschauer oder Hörer in der Regel nicht hinkommen, um über das zu berichten, was man selbst gesehen und erlebt hat. Angesichts der angespannten gesellschaftlichen Lage in unserem Land, dehne ich diese Aufgabe aus: Indem ich Schlüsse aus meinen Beobachtungen ziehe, aus zahlreichen Gesprächen und Interviews, die ich mit Tätern und Opfern geführt habe, mit Polizisten, Staatsanwälten, Strafverteidigern, Strafvollzugsbeamten, Politikern, Funktionären und Wissenschaftlern. Nicht alle meine Ansprechpartner kann ich beim Namen nennen. Ich musste einige anonymisieren, weil ich sie schützen muss: vor ihren Feinden, manche vor ihren Familien, andere vor ihren Dienstherren, deren Interessen nicht immer mit denen der Öffentlichkeit übereinstimmen. Einige musste ich auch vor sich selbst schützen. Aber ihre Aussagen erschienen relevant für dieses Buch.

Meine journalistische Beschäftigung mit der organisierten Kriminalität begann gleich nach der Osterweiterung der Europäischen Union, die ich von der deutsch-polnischen Grenze aus ins bald darauf unkontrolliert ausgedehnte Schengen-Land immer wieder als Reporter begleitet habe. Bei der Arbeit an verschiedenen Fernsehdokumentationen über Kriminelle, reisende wie ortsansässige, habe ich in den vergangenen Jahren gelernt, wie ihre organisierten Banden die Freiheit Europas und den hiesigen Rechtsstaat missbrauchen, ohne dass sie eine nennenswerte Gegenwehr zu erwarten hätten. Ich musste feststellen, dass Kriminalität für viele junge Männer ein normaler und akzeptierter Zustand ist, ob sie nun in deutschen Städten aufwachsen oder in den Städten Osteuropas, mit der einzigen beruflichen Perspektive, ein Dieb zu werden. Frauen spielen als Bandenmitglieder eine eher untergeordnete Rolle. Vor allem junge Frauen aus zahlreichen osteuropäischen Ländern werden in die illegale Prostitution geschickt oder dazu gezwungen. Heranwachsende sind als Taschendiebinnen unterwegs. Auch sind bereits vereinzelt organisierte Banden junger Frauen bei Einbrüchen in Deutschland aufgefallen. Jugendliche, Mädchen und Jungen, werden regelrecht zu Einbrüchen abgerichtet, wie erfahrene Ermittler erläutern.

Auf der anderen Seite begegne ich immer wieder Menschen, die von Angst erfüllt und wütend sind. Und deren Wut wächst, wenn niemand ihnen die Angst nimmt. Sie haben Angst, Opfer von Kriminalität zu werden. Die meisten von ihnen haben auch Angst vor Fremden; beides sind Ängste, die häufig miteinander einhergehen. Das diffuse Gefühl einer Bedrohung ist da. Es zu ignorieren wäre fatal, arrogant und – auf Politiker bezogen – undemokratisch. Zu den Menschen, deren Angst vor Kriminalität sich zunächst in Enttäuschung über den Staat – und schließlich in politischen Unmut gewandelt hat, gehört ein Rentner aus Frankfurt (Oder), unmittelbar an der Grenze zu Polen: Er ist aus diesem Grund AfD-Wähler der ersten Stunde: «Wir wurden ja hier nach der Grenzöffnung von der Kriminalität überrannt. Aber ich hatte nie den Eindruck, dass sich die Politik in Berlin oder auch hier in Brandenburg besonders um dieses Problem gekümmert hätte», sagt der Mann, der klug genug ist, um zu wissen, dass auch die rechtspopulistische AfD dieses Problem nicht löst. «Aber erst mal haben die einen Bundespolizisten, der hier den Stadtverband führt, und den ich in die Stadtverordnetenversammlung gewählt habe. Und außerdem macht die AfD das Thema Kriminalität zu einem großen Thema, überall in Deutschland.» Tatsächlich organisieren sich immer mehr Polizisten in der AfD – aus Frust über die kriminellen Zustände, die sie aus ihrer sehr speziellen beruflichen Perspektive einerseits verstärkt wahrnehmen und die andererseits aus ihrer Sicht keine Entsprechung in der bisherigen Politik von Bund und Ländern finden. Sie haben ihre Konsequenzen aus der Sicherheitsdebatte gezogen, die innerhalb der Behörden schon lange Zeit geführt wird. So war es auch bei dem Leitenden Oberstaatsanwalt aus Berlin, der sich schon früh der AfD angeschlossen hat und als Vorstandsmitglied seinem Landesverband in Brandenburg in juristischen und innenpolitischen Fragen zur Seite steht. Einige Jahre lang leitete Roman Reusch bei der Staatsanwaltschaft in Berlin die Abteilung für jugendliche Intensivtäter, in der er es vor allem mit jungen Migranten zu tun hatte sowie mit Mitgliedern krimineller arabischer Großfamilien. Der Boulevard in der Hauptstadt sah in ihm gar «Berlins mutigsten Staatsanwalt»,[9] weil er sich gleichermaßen mit den Kriminellen, ihren Familien und mit seiner Behördenleitung anlegte. Nun ist er also bei der AfD, wo er sich anfangs noch mit einem Referatsleiter des Bundesinnenministeriums (BMI) austauschen konnte, der bis zu seinem Parteiaustritt als stellvertretender Landesvorsitzender agierte. Hinter verschlossenen Türen sprechen der Staatsanwalt und auch einige Polizisten in der Partei ihren Ärger offen aus, den sie im Dienst nicht artikulieren dürfen, schon gar nicht im Gespräch mit Journalisten. Dieser Unmut, den zahlreiche Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden teilen, hat in der AfD eine Stimme gefunden, die ihnen Gehör in der politischen Landschaft und in den Medien verschafft. Die Partei ihrerseits wirbt massiv um Mitarbeiter staatlicher Institutionen, die mit der Durchsetzung von Recht und Ordnung beschäftigt sind. All das gehört mit in die Sicherheitsdebatte, die nun öffentlich geführt werden muss.