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Chai Pinit war ein ganz normaler thailändischer Junge - bis zu dem verhängnisvollen Tag, an dem er von einem Lehrer sexuell missbraucht wurde. Verzweifelt und voller Scham zog er sich vollkommen in sich selbst zurück. Um die Gefühle zu unterdrücken, verfiel er als Teenager schnell dem Alkohol und geriet dadurch immer tiefer in einen Strudel aus Sucht und Prostitution.
Doch trotz dieser schrecklichen Erfahrungen entwickelte Chai eine unglaubliche innere Kraft, durch die es ihm nach und nach gelang, einen Weg zurück ins Leben zu finden. Heute ist er in der Lage, seine erschütternde Geschichte zu erzählen. Die Geschichte einer gestohlenen Kindheit - aber auch von Kraft, Hoffnung und Lebensmut in einer scheinbar aussichtslosen Situation.
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Seitenzahl: 282
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Über dieses Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
Einleitung
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Epilog
Danksagung
Chai Pinit war ein ganz normaler thailändischer Junge – bis zu dem verhängnisvollen Tag, an dem er von einem Lehrer sexuell missbraucht wurde. Verzweifelt und voller Scham zog er sich vollkommen in sich selbst zurück. Um die Gefühle zu unterdrücken, verfiel er als Teenager schnell dem Alkohol und geriet dadurch immer tiefer in einen Strudel aus Sucht und Prostitution.
Doch trotz dieser schrecklichen Erfahrungen entwickelte Chai eine unglaubliche innere Kraft, durch die es ihm nach und nach gelang, einen Weg zurück ins Leben zu finden. Heute ist er in der Lage, seine erschütternde Geschichte zu erzählen. Die Geschichte einer gestohlenen Kindheit – aber auch von Kraft, Hoffnung und Lebensmut in einer scheinbar aussichtslosen Situation.
Chai Pinit lebt mit seiner Frau und seinen Kindern in Bangkok, wo er als Reiseleiter arbeitet.
Chai Pinit
Bangkok Boy
Die wahre Geschichte einer gestohlenen Kindheit
Aus dem Englischen von Bernhard Liesen
Deutsche Digitalausgabe
Für die Originalausgabe:
© 2008 by Chai Pinit
Originalausgabe: »Bangkok Boy – The story of a stolen childhood«
Erste deutsche Ausgabe:
© 2016 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Augsburg
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
© der deutschen Übersetzung 2016 by Weltbild GmbH & Co. KG, Augsburg
Covergestaltung: Tanja Oestlyngen
unter Verwendung von Motiven © CC7/shutterstock © East/shutterstock
E-Book-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7325-8494-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Ich erwache langsam und unter Schmerzen. Wo bin ich?
Anscheinend in einem Krankenhaus.
Ans Bett gefesselt, von extremen Qualen gepeinigt, liege ich reglos da. Zwei Dinge sind sicher: Mein Kopf ist erfüllt von einem pochenden Schmerz, und eine entsetzliche Angst schnürt mir die Brust zu. Es kommt mir so vor, als würde mein Herz in einem Schraubstock stecken. Während ich meine blutige Hand studiere, versuche ich mich mühsam zu erinnern, wo alles eine so schreckliche Wendung genommen hat.
Meine letzte Erinnerung ist die, mit Freunden getrunken zu haben. Da ich während der letzten fünfundzwanzig Jahre kaum etwas anderes getan habe, ist das keine nützliche Erinnerung. Dann fällt mir undeutlich ein, dass ein handgreiflicher Streit ausgebrochen war, doch da Schlägereien zu meinen üblichen Freizeitaktivitäten gehörten, erklärt auch das nicht viel.
Einmal mehr im Krankenhaus, einmal mehr in der Hölle. Ich kann es nicht fassen. Man hat mir gesagt, ich hätte im Koma gelegen und könne glücklich sein, noch zu leben. Glücklich bin ich nicht, doch mir wird klar, dass ich es wahrscheinlich nicht verdient habe, überlebt zu haben. Ich bin wie die Katze mit den neun Leben, würde aber sagen, dass ich das achte bereits erreicht habe.
Meine Erinnerungen sind insgesamt bestenfalls bruchstückhaft, doch es reicht, mich begreifen zu lassen, dass ich mein Leben ändern muss, wenn ich weiterleben will. Und die Nähe des Todes hat mir klargemacht, dass ich weiterleben will. Es ist, als wäre mir plötzlich ein Licht aufgegangen.
Trotz meiner Verletzungen ist mein Denkvermögen nicht beeinträchtigt, doch in meinem Kopf herrscht ein großes Durcheinander. Wie habe ich mich selbst verloren, wie bin ich geworden, was ich bin, und wie finde ich einen Ausweg? Ich zermartere mir das Gehirn, an welcher Stelle mein Leben auf die schiefe Bahn geraten ist. Wie habe ich mich so verändern können, wie konnte ich zu diesem Mann ohne jede Zukunftsperspektive werden, wo ich doch zuvor ein sorgloser Junge vom Land gewesen war, der eine vielversprechende Zukunft vor sich zu haben schien?
Diese Fragen stellen sich mir immer wieder und quälen mich. Ich habe das Gefühl unterzugehen, wach in einem Albtraum gefangen zu sein.
Eines ist sicher: Sie können mir noch so viele Schmerzmittel verabreichen, doch diese werden nie die Angst beschwichtigen können, die durch mein Wissen begründet ist, dass ich eine Lüge gelebt habe. Ich habe mir alle Mühe gegeben, die psychische Beschädigung, den Schmerz und die Leere eines Lebens zu kaschieren, das im Zeichen des Missbrauchs stand. Ich bin von anderen missbraucht worden und habe selber andere missbraucht.
Für uns Thais gleicht das Leben eines neugeborenen Kindes zu Beginn einem makellos weißen Tuch, das im Laufe der Zeit durch Missetaten befleckt wird. Bei mir war die Zeit der Unschuld so kurz, dass ich mich kaum daran erinnern kann. Wie konnte aus einem so reinen und unschuldigen Dasein eine so abstoßende Existenz werden?
Ich war ein ganz normaler Junge, der nichts mehr wollte, als seine Eltern stolz zu machen. Dieses unschuldige Kind ist mir völlig fremd geworden.
Wenn ich ehrlich sein will, muss ich sagen: Ich weiß, dass mein Abstieg schon vor langer Zeit begonnen hat. Als Teenager wurde ich zum ersten Mal sexuell missbraucht, von einem Lehrer. Später wurde meine Spiritualität ausgenutzt durch einen »heiligen« Mann – dem Vorsteher eines buddhistischen Klosters. Ich wurde auf raffinierte Weise gezwungen, meinen Körper für die perverse Befriedigung anderer herzugeben, aber ich habe meine Unschuld auch willig hergegeben für materielle Gegenleistungen, für Geld und armselige Dinge, die ich in meiner Naivität für wichtig hielt. Diese Erfahrungen haben eine ganze Reihe fataler Entscheidungen in meinem Leben beeinflusst.
Ich entwickelte verabscheuungswürdige Charakterzüge, die aber trotzdem notwendig waren, um in dieser verkommenen Welt zu überleben. Das Leben, das ich eigentlich bewahren wollte, wäre durch diese Charakterzüge fast ausgelöscht worden.
Ich verdiente mein Geld mit Prostitution, verkaufte meinen Körper, was mein egoistisches Verlangen befriedigte und somit zeitweilig den Schmerz überdeckte, den so eine Arbeit notwendigerweise mit sich bringt. Ich wurde zum Sklaven, wurde abhängig – alkoholsüchtig, spielsüchtig, sexsüchtig.
Ich habe mich entwürdigt durch die schlimmsten sexuellen Exzesse. Viele Freunde habe ich sterben sehen, manche als Opfer von Aids, und ich habe meinerseits abscheulichen Männern wie jenen, die mich seinerzeit auf die schiefe Bahn gebracht haben, Jungen zugeführt, damit sie ihr abartiges sexuelles Vergnügen mit ihnen haben konnten.
Dumm wie ich war, ließ ich Chancen ungenutzt, durch die ich ein besseres Leben hätte finden können. Stattdessen versank ich in einem unvorstellbar tiefen Abgrund.
Ich befürchte, dass mein Ende nah ist, will mein Leben aber nicht so beenden. Ich möchte meine Geschichte erzählen, muss sie erzählen, weil sonst jede Erinnerung an mich für immer ausgelöscht sein wird. Die Geschichte meines Lebens ist keine angenehme Lektüre. Ich bitte nicht um das Mitleid jener, die wissen um die dunklen Geheimnisse, die mich so lange gefangen gehalten haben. Indem ich eintauche in meine miserable, moralisch verkommene Vergangenheit, hoffe ich einen Ausweg zu finden und so etwas wie meine Freiheit wiederzugewinnen. Vielleicht können andere aus meinen Fehlern lernen, und dann wird mein Leben nicht vergeblich gewesen sein.
Mein Vater Liang war eine mittlere Berühmtheit in der Provinz Sisaket in einer nordöstlichen Region Thailands mit dem Namen Isan. Seinen Ruf als harter Bursche, mit dem nicht zu spaßen war, erwarb er durch seine Verbindungen zu berüchtigten, an Mafiosi erinnernden Kriminellen und durch seine Jahre als Muay-Thai-Kickboxer. Zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr gewann er mehrere Profikämpfe, und er verbesserte seine Einkünfte, indem er in einem Bordell als Rausschmeißer arbeitete. Seinen Freunden gegenüber war mein Vater äußerst großzügig. Er versorgte sie regelmäßig mit Geld und Spirituosen. Da er in einer Welt lebte, die von Machos beherrscht wurde, ist es nicht erstaunlich, dass er sich mit Kriminellen und anderen dubiosen Charakteren einließ. Er glaubte, dass ihre Gesellschaft sein Ansehen mehrte und ihm Respekt verschaffte, eine schlechte Einstellung, die er später auch mir einbläute.
Während seiner Zeit im Baugewerbe arbeitete er in einem buddhistischen Tempel in einem abgelegenen Dorf in Sisaket, wo er sich prompt in eine Schönheit namens Phikun verliebte, die ihm später fünf Kinder schenken sollte. Ich war ihr erstes Kind, der vielversprechende Stammhalter, und sie nannten mich Chai, was auf Thai »Sieg« bedeutet. Häufig erzählte mein Vater stolz, wie er und meine Mutter sich kennengelernt hatten. Ihre Verbindung war offensichtlich das Gesprächsthema in dem Dorf. Ein Boxer, der sich in ein Mädchen vom Land verliebte, das war in jenen Tagen der Stoff, aus dem Märchen gemacht wurden. Dorfbewohnerinnen beurteilten potenzielle Ehemänner nach ihrer Fähigkeit, sie finanziell abzusichern, und sie waren eifersüchtig auf meine Mutter, die so mühelos eine gute Partie gemacht hatte.
Dadurch, dass mein Vater chinesischer Abstammung war und bereits eine chinesische Frau hatte, wurde die Verbindung mit meiner Mutter noch romantischer. Aber seine Familie riet ihm ab, eine Thailänderin zur zweiten Frau zu nehmen, weil sie glaubte, auch diese Stelle sollte von einer Chinesin eingenommen werden. Trotz ihrer Proteste zog er aus der Stadt in das Dorf meiner Mutter, machte ein Examen für Grundschullehrer und gründete einen Haushalt mit meiner Mutter. Damit lagen seine wilden Jahre hinter ihm.
Bevor er mit Mae zusammenzog, hatte er den größten Teil seiner Zeit mit einem Haufen von Ganoven verbracht, die bereitwillig taten, was er von ihnen verlangte. Im Laufe der Jahre wurden die meisten von ihnen von der Polizei erschossen. Trotz des Milieus, in dem er lebte, wurde mein Vater nie wegen eines Verbrechens verurteilt. Ich vermute, dass er es schaffte, sich im Hintergrund zu halten und so der Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden zu entgehen. Im Rückblick sieht es so aus, als hätte ihn der Umzug in das Dorf meiner Mutter gerettet. Er fand ein neues Leben, das ihn vor der unvermeidlichen Katastrophe bewahrte.
Pa liebte es, in unserem Beisein in Erinnerungen an seine wilde Vergangenheit zu schwelgen. Er erzählte uns von seinem fast tödlichen linken Haken, mit dem er Kontrahenten im und außerhalb des Boxrings ausgeknockt hatte. Selbst nachdem er sich in ein ruhigeres Leben zurückgezogen hatte, mochte er es immer noch, sich mit seinen alten Freunden aus dem kriminellen Milieu zu treffen. In seiner Freizeit brachte er mir das Kickboxen bei und riet mir, jeden zu Boden zu schlagen, der es wagte, sich über meine geringe Körpergröße lustig zu machen. Er sah nichts Schlimmes darin, Meinungsverschiedenheiten durch Gewaltanwendung beizulegen.
Pa war genauso klein wie ich, aber eine überlebensgroße Persönlichkeit. Schon als Junge verriet er mir, was es bedeutete, ein chai chatri zu sein, ein »richtiger Mann«. Er sagte, die beste Methode, Kumpels unter Kontrolle zu behalten, bestehe darin, sie großzügig mit Schnaps, Zigaretten, Geld und gutem Essen zu versorgen. Wenn man sich Respekt verschaffen wollte, musste man seiner Meinung nach einen Preis dafür bezahlen. Und er genoss mit Sicherheit großen Respekt unter den eher einfältigen Leuten in unserer Gegend. In unserem Dorf nahmen die Leute oft das Gesetz in ihre eigenen Hände, und einige führten sich auf, als stünden sie über dem Gesetz. Häufig gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Jugendbanden. Wenn es um Frauen ging, richteten Männer schnell eine Pistole auf Konkurrenten. Eine Kleinigkeit genügte, um jemand zu provozieren, seine Waffe zu ziehen und abzudrücken. Die Leute tranken oft Unmengen von lao khao, einem in der Gegend produzierten hochprozentigen Reiswein, der die Gefühle außer Kontrolle geraten ließ. Die meisten Dorfbewohner waren arm, doch es war ihnen extrem wichtig, respektvoll behandelt zu werden. Die Haltung meines Vaters war simpel – er behandelte jeden höflich, solange man ihm den gebührenden Respekt entgegenbrachte.
Trotz seiner Macho-Persönlichkeit blickte ich zu meinem Vater auf. Im Jahr 1967, vor meiner Geburt, eröffneten meine Eltern in unserem Haus ein Lebensmittelgeschäft, das bald zu einem Erfolg werden sollte. Mein Vater war der geborene Unterhalter und amüsierte hinter der Ladentheke die Dorfgemeinschaft. In der Provinz genossen Lehrer großen Respekt. Sie wurden bewundert und wie ein dritter Elternteil gesehen. Bei solchen Stellungen im öffentlichen Dienst bekam man nicht nur ein solides Gehalt, sondern später auch eine Pension und sogar Zugang zu Sozialleistungen, die sonst Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung vorbehalten waren.
Mein Vater beanspruchte so etwas wie eine inoffizielle Führungsrolle innerhalb der Gemeinschaft und war großzügig und respektvoll gegenüber jedem, der ihn um Hilfe bat. Durch seine Stellung als Lehrer gelang es ihm, Geld aus dem Topf eines Gesundheitsprogramms zu bekommen, und er ermunterte alle Dorfbewohner zu Bluttests, um eine Malaria-Epidemie zu verhindern. Wann immer jemand in den frühen Morgenstunden an die Ladentür klopfte, um außerhalb der Geschäftszeiten Alkohol zu kaufen, stand er frohgemut auf und bediente ihn. Nie kam er auf die Idee, dass diese spätnächtlichen Geschäfte einen Einbrecher in unser Haus locken könnten. Die ärmeren Nachbarn durften bei ihm anschreiben lassen, anderen lieh er Geld. Seine Gutherzigkeit wurde dadurch belohnt, dass man ihm großen Respekt entgegenbrachte. Bis zum heutigen Tag verwundert mich das Nebeneinander von Härte und Güte in seinem Charakter.
Seine größte Schwäche war seine Alkoholabhängigkeit. Das Problem wurde offenkundig, als er betrunken Motorrad fuhr und bei einem Unfall schwer verletzt wurde. Das brachte für meine Mutter das Fass zum Überlaufen, und sie stellte ihm ein Ultimatum. Er sollte dem Alkohol abschwören, indem er sich dem Initiationsritual eines spirituellen Mediums unterwarf. Wenn er sich nicht darauf einlasse, sagte meine Mutter, werde er sie nie wiedersehen.
Für Laien, die ein khon song chao – ein Medium – werden wollen, ist es eine Voraussetzung, dass er oder sie Buddhas fünf Prinzipien beherzigen müssen. Das fünfte davon untersagt den Konsum aller Substanzen, die zu einem Bewusstseinsverlust führen können. Folglich musste mein Vater aufhören zu trinken, bevor er sich dem khru, dem »Meister«, vorstellen konnte, um mit der Ausbildung zu beginnen. Als er die Vorbedingung erfüllt hatte, suchte er nach einem anerkannten Medium, einem Meister, der zustimmen würde, ihn als Schüler zu akzeptieren. Als Zeichen des Respekts beschenkte er diesen auserwählten Meister mit Kerzen, Weihrauch, Blumen, einer kleinen Geldsumme und einem weißen Tuch.
Nachdem er sich dem Initiationsritual unterzogen hatte, wurde angenommen, dass mein Vater in Begleitung eines höheren Geistes nach Hause zurückkehrte. Pa lud den Geist ein, einen heiligen Raum (hong phra) in unserem Haus zu bewohnen, in dem wir buddhistische und hinduistische Statuetten aufbewahrten, etwa von Brahma und Indra. Er besuchte diesen Raum täglich und brachte kleine Opfer, während er verschiedene Mantras sang, um sich die Gunst dieser höheren Geister zu bewahren. Seine Freizeit verbrachte er nun damit, als Weissager Dorfbewohnern, die Angst vor irgendwelchen Tragödien hatten, ihr Geschick vorauszusagen. Leider blieb mein Vater aber nur trocken bis zur Geburt seines fünften und letzten Kindes. Seitdem hing er wieder an der Flasche, und meine Mutter gab jede Hoffnung auf, dass es ihm gelingen würde, seine Sucht zu überwinden.
Nachdem sie Zeugin des Einflusses des Spiritismus auf meinen Vater geworden war, wuchs der Glaube meiner Mutter, und sie beschloss, selbst ein Medium zu werden. In unserem Dorf machte sie sich einen Namen, weil ihre Fähigkeiten die meines Vaters übertrafen. Aus nah und fern kamen Leute, die geheilt werden wollten von Leiden, welche die Ärzte nicht diagnostizieren konnten. Einige brachten Verwandte mit, die an ernsthafter Antriebsschwäche oder Depressionen litten, was sie auf den Fluch eines bösen Geistes zurückführten. Insbesondere eine Frau war durch eine mysteriöse Macht in einen Zustand der Katatonie versetzt worden. Meine Mutter weissagte, der Geist eines Baumes habe sich ihrer Seele bemächtigt. Offenbar hatte sie ihn beleidigt, als sie im Wald Champignons pflückte und nicht auf den Ruf der Natur hörte, der von einem alten Baum kam. Doch dies war der Baum, in dem angeblich ein Geist wohnte, der durch ihr Verhalten provoziert wurde, Rache zu nehmen. Durch die Gabe meiner Mutter wurde die Frau befreit aus den Fängen des Geistes, und ihr psychischer Zustand war wieder normal. In ihrer Funktion als spiritistisches Medium war Mae immer in ein weißes Tuch gewandet. Ihre Macht, den Fluch böser Geister zu besiegen, wurde darauf zurückgeführt, dass sie Mantras in der uralten Sprache der Khmer rezitierte.
Darüber hinaus widmete sich Mae zahllosen anderen Fällen, etwa solchen, bei denen Menschen davon überzeugt waren, ihre Feinde hätten sich der Dienste eines Zauberers vergewissert, der durch schwarze Magie einen Fluch über sie verhängte. Der Zauberer benutzte eine Voodoo-Strohpuppe, die das nichts ahnende Opfer repräsentierte. Er befahl den Geistern von Menschen, die durch unglückliche Zufälle ums Leben gekommen waren, das Opfer mit allen möglichen undefinierbaren und unheilbaren Leiden zu quälen. Mithilfe eines geweihten Messers konnte er sogar zwei Seelen für immer aneinander binden.
Mae war sehr erfolgreich, und ihr Ruf führte sie gelegentlich in andere Provinzen, wo sie als Exorzistin auftrat. Damit verdiente sie gutes Geld und hatte bald viele Anhänger. Leider ging der größte Teil des Geldes fürs Glücksspiel drauf, und sie hatte ja auch die hungrigen Mäuler von fünf Kindern zu stopfen. Wie mein Vater war sie sehr großzügig und konnte ihren Sprösslingen keinen Wunsch abschlagen.
Mae hat nie eine Andeutung gemacht, dass ihre angeblichen übersinnlichen Fähigkeiten fauler Zauber waren. Bis zu ihrem Tod blieb sie davon überzeugt, dass sie diese Fähigkeiten wirklich besaß. Unabhängig davon, welche Geheimnisse sie beherbergen mochte oder nicht, bewunderte ich sie sehr dafür, dass sie sich trotz ihres Mangels an Bildung einen solchen Ruf geschaffen hatte. Die Leute suchten rund um die Uhr unser Haus auf. Es war eine Anlaufstelle für jene, die an allen nur denkbaren körperlichen und psychischen Leiden laborierten.
Im Hinblick auf westliche Standards hätte man meine Familie als arm bezeichnen können, doch gemessen an den Verhältnissen im ländlichen Thailand ging es uns ziemlich gut. Nie mussten wir um Nahrung bitten oder Dinge auf Pump kaufen, wie so viele unserer Nachbarn. Neben dem Lebensmittelgeschäft besaßen wir ein Lagerhaus, einen Obstgarten und Reisfelder, verstreut über das Land, das uns gehörte. Was ich wollte, fand ich in der Regel in unserem Geschäft, oder ich bekam Geld von meinen Eltern, um mir meine Wünsche zu erfüllen. Ich kannte die verschiedenen Verstecke, wo sie ihr Geld deponierten, etwa in Kissen oder Gläsern. Gelegentlich vergruben sie es auch unter dem Lagerhaus. Mae glaubte, es sei sicherer, Ersparnisse auf mehrere Verstecke zu verteilen, weil Einbrecher dann nicht die gesamte Summe finden und wir nicht ohne Bargeld dastehen würden. Dagegen meinte mein Vater, wenn Einbrecher kämen, würde er sie mit der Waffe in der Hand empfangen und ihnen das Gehirn aus dem Schädel blasen. Da die nächste Bank etliche Kilometer von unserem Dorf entfernt war, konnte es einen halben Tag dauern, eine einfache Einzahlung zu machen. Außerdem lief man Gefahr, unterwegs in einen Hinterhalt zu geraten und ausgeraubt zu werden. Also war es besser, das Geld zu verstecken und sich im Notfall auf Pa zu verlassen.
Meine Eltern bildeten sich viel ein auf ihre gesellschaftliche Stellung und genossen es, wann immer möglich ihren materiellen Wohlstand zur Schau zu stellen. Da ich in die Schule ging, an der mein Vater unterrichtete, hätte ich gut mit ihm auf dem Soziussitz seines Motorrads dorthin fahren können, doch stattdessen schenkte er mir ein Mofa – ich war erst acht Jahre alt und raste an meinen Mitschülern vorbei, die zu Fuß gingen oder auf klapprigen Fahrrädern unterwegs waren und hofften, es noch rechtzeitig zu schaffen, bis in der Schule die Nationalhymne gesungen wurde. Meine Eltern sorgten immer dafür, dass ich große Scheine im Portemonnaie hatte, wo ich doch eigentlich nur ein paar Baht brauchte, um das Mittagessen und einen kleinen Snack bezahlen zu können. Das alles gehörte zu der Art und Weise, wie sich meine Eltern Respekt verschaffen wollten.
Als ältester Sohn musste ich immer der Beste sein, in meinem eigenen Interesse und dem meiner Eltern. Wenn ich den Erwartungen entsprach, würde das ihren Ruf weiter verbessern. Mein Vater impfte mir ein, eine gute Bildung müsse mein oberstes Ziel sein. Angesichts der Tatsache, dass meine Eltern einen Laden hatten, war es nicht überraschend, dass ich gut rechnen konnte. Häufig bekam ich Bestnoten. Auch entwickelte ich meinen Geschäftssinn, indem ich Süßigkeiten aus unserem Laden mit in die Schule brachte, um sie an meine Mitschüler zu verkaufen. Oft wurde ich zum Klassensprecher gewählt, und die Lehrer vertrauten mir häufig zusätzliche Aufgaben an. Obwohl ich ein sehr guter Schüler war, mochten mich die Lehrer keinesfalls nur, weil ich ein kriecherischer Streber gewesen wäre. In der Regel kam ich mit den Jungs gut klar, mit den Mädchen schon weniger. Ich hielt sie für besondere Wesen und hatte kaum Kontakt zu ihnen.
Nach der Schule gab mir mein Vater zusätzliche Hausaufgaben, und ich durfte erst spielen gehen, wenn ich sie gemacht hatte. Seltsamerweise fühlte ich mich nicht unter Druck. Es entsprach meiner natürlichen Neigung, meine Eltern stolz machen zu wollen.
Unser einstöckiges Haus war groß, und oft half ich meiner Mutter bei der Arbeit, wofür ich mit Geld belohnt wurde. Von jungen Jahren an war ich daran gewöhnt, mit großen Summen umzugehen. Ich begann zu glauben, dass die Fähigkeit, für andere zu sorgen, ein Ausdruck von Liebe sei. Um gerecht zu sein, meine Eltern waren liebevoll, doch wenn sie gewusst hätten, was für ein problematisches Verhältnis zum Geld ich später entwickeln sollte, wären sie strenger und weniger großzügig gewesen. Es war gut gemeint, doch Tatsache ist, dass sie mich schrecklich verwöhnt haben. Im Gegensatz zu weniger glücklichen Kindern musste ich nach der Schule nie in den Reisfeldern arbeiten. Meine Eltern stellten für diese Arbeit Bauern ein, während ich Bücher las, mit Freunden spielte oder fischte. Ich warf mein Netz in einen Teich und faulenzte in einer Hängematte, die ich zwischen zwei Bäumen gespannt hatte. Ich vertrieb mir die Zeit mit Lesen, beobachtete Ameisen oder lauschte dem Vogelgezwitscher. Wenn ich hörte, dass Fische sich in dem Netz wanden, um zu entkommen, wurde ich aus meiner Träumerei gerissen und holte meinen Fang ein.
Auch wenn man meine frühen Jahre in vielerlei Hinsicht idyllisch nennen könnte, waren sie doch nicht so behütet, wie es auf den ersten Blick scheint. Ich suchte das Abenteuer und fand großen Gefallen an riskanten Spielen. Von Kindesbeinen an genoss ich es, zu einer Gemeinschaft zu gehören. Zu meiner Clique gehörten nur Jungs, und unsere Spiele waren dementsprechend. Wir erlegten mit unserer Schleuder arme, nichts ahnende Vögel und brachten sie nach Hause, wo sie gekocht wurden. Wir formten »Kugeln« aus kleinen Tonklumpen, die wir in der Sonne härteten. Bewaffnet und bereit für den Krieg, bildeten wir zwei Parteien und feuerten mit den »Kugeln« aufeinander, um den Gegner auszuschalten. Wir hatten viel Spaß, doch es gab auch häufig Verletzungen. Manchmal ließen wir uns dazu hinreißen, die Tonkugeln durch Steine zu ersetzen, um größeren Schaden anzurichten. »Krieg« war ein aggressives und gefährliches Spiel, doch glücklicherweise verlor niemand ein Auge.
Obwohl ich viel Zeit mit meinen Freunden verbrachte, war ich auch gern allein. Dann machte ich am liebsten Jagd auf Eidechsen, was große Konzentration und Geschicklichkeit erforderte. Oft suchte ich im Wald Champignons und Bambusrohr, die ich zusammen mit Vögeln und Eidechsen meiner Mutter mitbrachte, die daraus pikante Salate machte oder alles mit Basilikum in der Pfanne briet. Der exotischste Leckerbissen war ein Insekt namens maeng gut chi, das sich in den Exkrementen von Büffeln fand. Einmal entdeckt und gesäubert, wurden die Insekten in einem Mörser zerstampft, mit Kräutern bestreut und schnell verschlungen. In Zeiten der Dürre buddelten wir Jungs einheimische Pflanzen wie etwa Taro aus, die als weniger wünschenswerter Ersatz für Reis herhalten mussten.
Eine unschuldige, glückliche Kindheit. Wenn ich mich jetzt daran erinnere, kommt mir alles wie das Leben eines anderen vor.
Doch trotz meiner Unschuld entwickelte ich schon in jungen Jahren eine große Selbstbezogenheit, die mich sehr stolz und überheblich machte. Meine Eltern trugen dazu bei, weil sie kein Geheimnis daraus machten, dass sie mich gegenüber meinen Geschwistern bevorzugten, insbesondere mein Vater, der mich offenbar nach seinem Bild formen wollte. In der chinesischen und der thailändischen Kultur findet sich der älteste Sohn in einer privilegierten und beneidenswerten Position. Eltern neigen dazu, einen Großteil ihrer Hoffnungen auf den erstgeborenen Sohn zu setzen, der um jeden Preis Erfolg haben soll.
Ich war so etwas wie ein Musterknabe, der anderen Kindern von ihren Eltern als Beispiel vorgehalten wurde. Mein Vater versicherte mir, wenn ich so weitermache, werde ein hervorragender Lehrer oder ein hochrangiger Staatsbeamter aus mir werden, womit ich seinen eigenen Erfolg übertreffen würde. Besser zu sein als seine Eltern wurde als große Leistung gesehen.
Obwohl Lehrer Respekt genossen, sah ich darin einen langweiligen Beruf. Wer wollte schon seine Tage damit vergeuden, auf eine Horde von Kindern aufzupassen? Mit Sicherheit nicht ich, so viel war mir klar. Ich wollte einen besser bezahlten Job. Meine Arroganz wurde immer größer. Wenn meine Klassenkameraden schlechter abschnitten als ich, beleidigte ich sie, indem ich sagte, sie hätten alle ein Spatzenhirn. Ein Junge wird schnell überheblich, wenn er von allen Seiten immer nur Lob gehört hat.
Die Pubertät ist für die meisten verwirrend, und ich machte keine Ausnahme. Die Mädchen hatten eine völlig neue Anziehungskraft für mich. Bisher kannte ich sie nur aus dem Klassenzimmer. Noch nie war ich mit einem Mädchen befreundet gewesen, ganz zu schweigen davon, dass ich mit einem intim gewesen wäre. Meine zunehmende Faszination durch diese speziellen Wesen überwältigte mich. Sobald ich mit einem Mädchen sprach, empfand ich ein starkes sexuelles Verlangen, das ich nicht befriedigen konnte. Von Sexualkundeunterricht hatte damals noch niemand etwas gehört, und deshalb war ich auf diese Veränderungen nicht vorbereitet. Erwachsene glaubten irrtümlicherweise, wenn man offen über Sex rede, ermuntere das Jugendliche zur Promiskuität, und deshalb war das Thema absolut tabu. Also redeten wir Jungs darüber wie Blinde von der Farbe.
Im Rückblick finde ich es nicht erstaunlich, dass ich meine erste sexuelle Erfahrung mit einem Jungen machte. Mit Anan, einem meiner engsten Freunde, lernte ich zuerst diese unbekannte Welt kennen. Wir hatten geplaudert in dem großen Lagerhaus, das mitten in unserem Obstgarten stand, als Anan mich durch den Stoff meiner kurzen Hose anfasste. Dann zog er den Reißverschluss auf und begann mein Glied zu reiben, bis ich eine Erektion hatte. In der Vergangenheit hatte er mich schon eher spielerisch dort berührt, wie Jungs das häufiger tun, doch diesmal hatte er einen anderen Blick, und seine Berührungen waren anders. Er begann, mich unbeholfen auszuziehen, und ich wusste nicht, was mich erwartete. Ich war hochgradig erregt und half ihm, mir die Unterwäsche auszuziehen. Dann streichelte er meinen nackten Körper und achtete besonders darauf, dass unsere Genitalien sich berührten. Wir wanden uns lustvoll und rieben gegenseitig unser Ding, bis wir beide ejakulierten. Ich war dreizehn Jahre alt.
Nicht lange danach entdeckte ich eine weitere Möglichkeit, mein sexuelles Verlangen zu befriedigen. Angetörnt durch Pornohefte, masturbierte ich zu Hause, doch die erregendste Erfahrung machte ich im Klassenzimmer. Ich verzehrte mich nach Sai, einer wunderschönen Lehrerin von Mitte zwanzig, die häufig hautenge Blusen und kurze Röcke trug. Ihr schien nicht aufzufallen, wie sehr mich ihre Oberschenkel ablenkten. Dagegen wurde mein Verlangen sehr wohl bemerkt von Khomsan, einem engen Freund, der neben mir saß. Er griff unter dem Tisch nach meinem steifen Glied und begann es zu reiben. Ich versuchte, nach außen ruhig zu bleiben und eine reglose Miene zu wahren, während Khomsans Berührungen mich so erregten, dass es nicht lange dauerte, bis ich kam.
Kurz vor meinem vierzehnten Geburtstag begann ich mich mit Sirin zu treffen, meiner ersten Freundin. Sie legte einen zerknitterten Brief in die Schublade meines Pultes, in dem sie schrieb, sie habe davon geträumt, wie wir beide in einem seichten Fluss in der Nähe unserer Schule gespielt hätten. Trotz der Erwähnung des Traums war Sirin ein noch unschuldiges Mädchen – aber auch sehr verführerisch. Ihre jugendlichen Brüste und ihre sinnliche Ausstrahlung machten mich wahnsinnig vor Verlangen. Ich hatte die Selbstbefriedigung satt und wollte mit Sirin schlafen, doch trotz meines Begehrens wagte ich es in meiner Unerfahrenheit nicht, sie auch nur zu berühren.
Einmal wurde ich im Sommer von meinen Großeltern väterlicherseits gebeten, während der Schulferien auf ihr Haus in der Innenstadt von Sisaket aufzupassen, weil sie in einer anderen Provinz geschäftlich zu tun hatten. Zu der Zeit hatte mein Vater sich wieder versöhnt mit seinen Eltern, die gegen seine Verbindung mit Mae gewesen waren. Ama und Agong spielten eine große Rolle in meinem Leben und waren immer sehr gut zu mir gewesen. Ihr Haus wurde zu einem beliebten Treffpunkt für mich und meine Freunde. Loed, einer unser Lehrer, der etwa Mitte dreißig sein musste, kam häufig mit seinem Motorrad vorbei, um uns zu besuchen. Er brachte immer etwas mit, neben Geld etwas zu essen, etwa som tam, (eine Art Papaya-Salat), Reis und gegrilltes Hähnchenfleisch.
Meine Freunde warnten mich scherzhaft, indem sie ihn tut nannten, was ein Slangausdruck für einen effeminierten Mann ist. Aber sie titulierten ihn auch als tua dut, Slang für »Schwanzlutscher«. Also wusste ich genau, was es mit diesen Besuchen auf sich haben konnte. Überraschenderweise gaben ein paar von meinen Freunden damit an, ihn in seinem Haus zu besuchen, um ihre aufgestaute sexuelle Anspannung abzureagieren und zugleich Geld zu verdienen. Offenbar gab er jedem Jungen hundert Baht pro Besuch, was für einen Teenager vom Land zu der Zeit viel Geld war.
»Mach dir keine Sorgen, du wirst schon nicht schwanger«, witzelten meine Freunde. »Es gibt keine belastenden Beweise. Das ist eine Win-win-Situation. Der Lehrer bekommt, was er will, wir aber auch!«
Loed behandelte uns freundschaftlich und suchte sich einen nach dem anderen aus, um ihn zu sich nach Hause einzuladen. Als ich an der Reihe war, befahl er mir sofort, mich auszuziehen, zu duschen und im Schlafzimmer auf ihn zu warten. Ich zitterte in Erwartung dessen, was da kommen würde. Kurz dachte ich darüber nach, einfach abzuhauen, doch ich war auch überwältigt von Neugier und Verlangen, wie es sein würde, wenn er mich oral befriedigte. Meine Freunde hatten raunend davon erzählt, aber vieles offengelassen, und deshalb war ich gespannt, herauszufinden, was daran so toll sein sollte. Außerdem wollte ich nicht später vor meinen Kumpels eingestehen müssen, vor Schiss die Flucht ergriffen zu haben. In meinem tiefsten Inneren wusste ich, dass es nicht richtig war, wenn ein erwachsener Mann so etwas mit einem Fünfzehnjährigen tat, aber trotzdem blieb ich auf dem Bett liegen und wartete. Loed legte sich neben mich und begann gekonnt, meinen Penis zu bearbeiten, aber ich reagierte nicht, weil Angst und Schuldgefühle mich lähmten. Dann befriedigte er sich selbst und senkte den Kopf für die Fellatio. Ich kniff die Augen zusammen, um die Wollust zu genießen, ohne daran denken zu müssen, wer sie mir verschaffte. Bald war ich so erregt, als würde ich von elektrischen Schlägen durchzuckt. Es war eine sinnliche Erregung, die ich noch nie erlebt hatte.
Einmal öffnete ich kurz die Augen, sah Loed und wurde mir der Situation bewusst – ein weibischer Lehrer missbrauchte mich. Trotzdem wollte ich nicht auf die erregende Erfahrung verzichten. Ich distanzierte mich emotional und dachte an Sai, die scharfe Lehrerin mit den kurzen Röcken. Ich stellte mir vor, dass ihre sinnlichen Lippen mein Ding umschlossen, und schon ejakulierte ich in seinen Mund.
Danach zog Loed sich an und reichte mir meine Klamotten.
»Ich mag deinen Gesichtsausdruck.«
Zuerst wusste ich nicht, was er meinte.
»Die Art und Weise, wie deine Augenlider flatterten, als ich dich befriedigte … Das hat mir sehr gefallen.«
Dann griff er in die Hosentasche und zog ein kleines Bündel Geldscheine hervor.
»Hier sind hundert Baht. Aber niemand darf wissen, dass du bei mir warst. Das ist unser Geheimnis. Wenn du Geld brauchst, kannst du gern wiederkommen.«
Ich nahm das Geld und verließ das Haus, sehr zufrieden mit mir. Irgendwie kam ich mir wichtig vor aufgrund dieser Beziehung zu einem Erwachsenen.
Wann immer wir während der nächsten Jahre Geld für gutes Essen, Zigaretten, Alkohol oder Kinokarten brauchten, statteten wir Loed einen Besuch ab. Wir fanden es zugleich verrückt und amüsant, dass ein erwachsener Mann so verrückt nach minderjährigen Jungs war. Wenn ich heute auf diese Besuche zurückblicke, kann ich eigentlich nicht sagen, dass der Lehrer mich missbraucht hat. Für mich war es eher eine rein geschäftliche Geschichte. Ich fühlte mich nie hingezogen zu Loed, suchte ihn aber trotzdem weiter auf und dachte einfach an erregende Frauen, wenn er sein Vergnügen mit mir hatte. Ich weiß, dass es nicht richtig war, mich auszunutzen, doch andererseits gehören dazu immer zwei. Ich kann nicht abstreiten, dass ich mich bereitwillig darauf eingelassen habe. Vielleicht haben diese Erfahrungen dazu beigetragen, dass mein Leben eine so katastrophale Wendung nahm. Es scheint mir plausibel zu sein, dass es eine Verbindung gibt zwischen meinen späteren Lebensentscheidungen und diesen frühen Erfahrungen mit meinem sogenannten Lehrer.
Sin, einer meiner Freunde, wurde zum festen Partner eines anderen Lehrers von unserer Schule, der Pisut hieß. Im Gegensatz zu Loed, der promiskuitiv war, führte Pisut eine monogame Beziehung mit Sin, der so etwas aber – wie der Rest von uns – als geschäftliche Verbindung sah, an der er gut verdiente. Leider erkannte niemand von uns, was für einen hohen Preis wir für diese Erfahrungen bezahlen mussten.
Man könnte sagen, dass in meinem Dorf teilweise gesetzlose Zustände herrschten. Gelegentlich wurden Männer getötet oder Frauen vergewaltigt, was meistens unter den Teppich gekehrt wurde. Angehörige oder Zeugen solcher Verbrechen gingen nur selten zur Polizei, weil sie Angst hatten, als Verräter gebrandmarkt zu werden. Selbst wenn sie den Mut hatten, Anzeige zu erstatten, zogen sie es danach doch fast immer vor, nicht in solche Geschichten hineingezogen zu werden. Die Kriminellen waren in der Regel Bandenmitglieder, mit denen sich niemand anlegen wollte, und weil alle Welt wegschaute, wurden sie nur noch unverfrorener.
Weil sie wussten, dass die Verbrechen nicht verfolgt wurden, nahm eine Gruppe von Dorfbewohnern die Dinge in die eigene Hand, als ein Krimineller einen prominenten Bürger am helllichten Tag erschossen hatte. Sie verfolgten den Täter und attackierten ihn brutal, bevor sie ihn der Polizei übergaben und diese dazu zwangen, ihn vor Gericht zu bringen.
Für mich waren die Polizisten die übelsten Missetäter. Als ich aufwuchs, flüsterte man sich in den Kneipen Geschichten zu über Polizisten, die Dorfbewohnerinnen vergewaltigten, oder andere, die sie in Untersuchungshaft genommen hatten. Andere missbrauchten ihre Position, indem sie Mädchen unter Druck setzten, mit ihnen zu schlafen. Diese gehorchten entweder aus Angst oder weil sie den Ehrgeiz hatten, einen Polizisten zu heiraten. Außerdem war die Polizei berüchtigt dafür, schweren Jungs dabei zu helfen, ihre Spuren zu verwischen und gegen Bestechungsgelder dafür zu sorgen, dass Dinge ganz unter den Teppich gekehrt wurden.