Bausoldaten-Blues - Lucas Ackermann - E-Book

Bausoldaten-Blues E-Book

Lucas Ackermann

4,7

Beschreibung

Bausoldaten waren 25 Jahre lang ein vor der Öffentlichkeit totgeschwiegenes Thema in der DDR. Ab 1964, kurz nach Einführung der Wehrpflicht, hatten junge Männer die Möglichkeit, aus pazifistischen oder religiösen Motiven den Wehrdienst mit der Waffe zu verweigern – und dafür 18 Monate lang als Bausoldat zumeist in industriellen Großbetrieben der DDR zu arbeiten. Eine legalisierte Form des Widerstandes, die die Kirche als Kompromiss mit der Staatsmacht erreichte und die ca. 7000 Männer in Anspruch nahmen. Der Autor schildert in diesem Buch seine persönlichen Erfahrungen als Bausoldat 1987–88 in der DDR. Mal humorvoll, mal schockierend beschreibt er den Alltag in der Kaserne und die oftmals diskriminierende Arbeit in einem Chemie-Werk, aber auch private Erlebnisse wie die Gründung einer Soldaten-Blues-Band, einen längeren Krankenhausaufenthalt und eine tragische Liebesbeziehung. Spannend und unterhaltsam geschrieben, lässt der Autor ein noch immer wenig bekanntes und aufgearbeitetes Kapitel der DDR-Geschichte lebendig werden.

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Lucas Ackermann

Bausoldatenblues

Erinnerungen eines Waffenverweigerers in der DDR

Herausgegeben von Jennifer Lorenzen-Peth

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2012 by Verlag Ludwig

Holtenauer Straße 141

24118 Kiel

Tel.: +49-(0)431-85464

Fax: +49-(0)431-8058305

[email protected]

www.verlag-ludwig.de

ISBN 978-3-86935-170-4

Für Pauline

Erstes Kapitel: Es geht los

1

Ich würde behaupten, die folgende Geschichte begann, als ich vierzehn Jahre alt war – 1975 am Stadtrand von Berlin in der Deutschen ›Demokratischen‹ Republik.

Zufällig hörte ich eines Abends Radio, als der RIAS-Berlin in einer Themensendung schwarzen Blues vorstellte. Den Namen Blues kannte ich, aber von derartiger Musik wusste ich so gut wie nichts. Schon nach kurzer Zeit rutschte ich vom Sofa und aktivierte mein Tonband­gerät. Ich konnte es nicht erklären, aber diese Musik hatte etwas, das mich aufwühlte.

Wie gerne hätte ich zu dieser Zeit im richtigen Land gelebt und nicht im farblosen russischen Sektor. Ein Segen für uns war, dass wir auch in Ostberlin Westradio empfangen konnten, in dem damals noch sehr viel alte Rockmusik gespielt wurde, ja, sogar im Jugendradio der DDR, DT 64, war einiges davon zu hören.

Die Kleinstadt, aus der ich stamme, heißt Hennigsdorf und liegt direkt an der Nord-West-Grenze Berlins. Damals zog sich die Berliner Mauer zwischen Hennigsdorf und dem Westberliner Stadtteil Heiligensee hindurch. Wenn man mit der S-Bahn nach Ostberlin hinein fuhr, konnte man vom Zug aus an manchen Stellen sogar die Sol­daten in den Wachtürmen erkennen, wie sie die Gegend mit Ferngläsern absuchten.

Irgendwann hatte ich nur noch ein Ziel: Bloß weg aus der Provinz und nach Berlin übersiedeln, denn einzig dort – so glaubte ich – konnte man den richtigen Platz zum Leben finden. Aber das sollte nicht so einfach sein, denn ohne Wohnung gab es kaum eine Chance. Auf eine Wohnung brauchten Junggesellen in der DDR unter drei­ßig jedoch gar nicht zu hoffen. Und bis dahin hatte ich damals noch viel Zeit.

Bald nach meinem geistigen Eintritt in die Blueswelt kaufte ich mir eine Mundharmonika, und nach ungefähr zwei Jahren beharrlichen Übens ähnelte mein Mundharmonikaspiel schon beinahe dem, was man »Musizieren« nennt. Mit siebzehn überredete ich zum ersten Mal eine Live-Band, dass sie mich bei einer Bluesimprovisation mitspielen ließ. Da dies ganz gut klappte, war ab diesem Moment keine Band mehr vor mir sicher. Später vertrat ich dann sogar den Sänger und Harpspieler (Harp nennt man die Mundharmonika im Blues) einer bekannten Berliner Bluesband, während er seinen Dienst bei der NVA leistete.

In dieser Zeit sollte ich in all den Berliner Clubs spielen, zu denen ich früher selbst immer aus der Provinz angereist kam, um die guten Berliner Bluesbands zu sehen. Wir traten unter anderem im ›Heinersdorfer Krug‹ auf, im ›Thule Club‹ in Pankow, im ›Club der Berliner Bauarbeiterjugend‹ oder im ›Krausnick-Club‹. Und natürlich über die Grenzen Berlins hinaus, wobei die Lausitz mit ihren versteckten, aber sehr gut besuchten Dorfkneipensälen ein besonders beliebtes Ziel aller damaligen Bluesbands war.

Noch immer versuchte ich, nach Berlin überzusiedeln. Keine Chance. Einige Freunde besetzten alte verlassene Häuser im Prenzlauer Berg. Weil diese Wohnungen sanitär und wohnraumtechnisch nicht mehr als vermietbar galten, ließen die kommunalen Wohnungsgesellschaften sie leer stehen. Geld für Baustoffe war nicht knapp, jedoch fehlte es an diesen. Aber ein Eimer Farbe, Gips und etwas handwerkliches Geschick reichten manchmal schon aus, um aus den heruntergekommenen Buden recht gemütliche Domizile zu machen. Anders als im Westen Deutschlands, dachte niemand daran, die Besetzer aus den Häusern zu werfen. Das Ganze wurde unter vorgehaltener Hand geduldet, denn für die heimlichen Besetzer im Osten brauchten vom Staat ja nun keine intakten Wohnungen mehr bereitgestellt zu werden. Die Sache hatte also nur wenig mit der Hausbesetzerszene im Westen gemeinsam.

Bevor ich ebenfalls eine dieser Wohnungen für mich ausfindig machen konnte, lernte ich Vera kennen und wir kamen uns näher. Sie hatte eine große Wohnung in Berlin und sie fragte mich, ob ich nicht bei ihr einziehen wollte, zunächst als WG.

Ich kündigte also meinen Job als Maschinenschlosser und meldete mich in Berlin Friedrichshain polizeilich an. Genug Geld zum Leben verdiente ich durch die Musik und ein ruhiger Nebenjob würde sich schon finden lassen.

Aus unserer WG wurde eine Liebesbeziehung und daraus eine Ehe. Wir heirateten nicht unbedingt, weil wir ineinander verliebt waren, sondern aus folgendem Grund: Ich wollte in den Westen gehen und hatte schon mit einundzwanzig einen Ausreiseantrag gestellt. Vera verfolgte das gleiche Ziel, hatte aber noch keinen Antrag eingereicht. Als wir erfuhren, dass die Wartezeit der Ausreisewilligen auf den Ehepartner übertragen werden konnte, heirateten wir ganz einfach.

Ich fühlte mit der Zeit, dass Vera nicht unbedingt mich liebte, sondern mehr das, was ich machte. Zu oft prahlte sie mit mir als Musiker vor anderen und jedes Mal ärgerte ich mich sehr darüber. Außerdem kam es auch mehrmals vor, dass Vera mich einfach im Raum stehen ließ, wenn andere Szenemusiker eine Veranstaltung besuchten, die sie wiederum nur durch mich kennen gelernt hatte. Sie war mir manchmal peinlich und ich spürte schon damals, dass dies der Anfang vom Ende war.

Zum Glück brauchten kleine Leute wie wir nicht mit Repressalien wegen des Ausreiseantrages zu rechnen. Jedenfalls nicht, solange sie politisch unauffällig blieben und nicht gegen das Regime hetzten. Wir behielten unsere Jobs und damit, dass die Stasi überall ihre Augen und Ohren hatte, musste sowieso jeder Bürger der DDR rechnen. Ich hatte jedenfalls keine Angst und fühlte mich auch nicht bespitzelt.

2

Ich wusste aber, dass mein Leben irgendwann eine Zwangspause erfahren würde, denn ich hatte noch nicht gedient. Jedes halbe Jahr im Frühjahr und im Herbst öffnete ich mit gemischten Gefühlen unseren Briefkasten, denn immer zu diesen Jahreszeiten kamen die Stellungsbefehle.

Im März ’87 wurde ich 26 Jahre alt und Ende März begann wieder die Zeit des Bibberns. In diesem Jahr musste es passieren, das wusste ich, denn die Höchstaltersgrenze für Rekruten lag in der DDR bei 26 Jahren. Ich hatte selbst dafür gesorgt, dass sie mich nicht schon eher einzogen. Ich hielt mich an ein Gesetz aus dem Jahre 1964, das besagte, dass es in der DDR möglich sei, seinen Wehrdienst auch ohne Waffe in der Hand abzuleisten. Man hieß dann Bausoldat. Ein guter Bekannter hatte mir davon erzählt, der die Info darüber wiederum von seinem Kirchengang bekam, und die Jungs von der Kirche waren meistens wasserdicht, wenn es um so etwas ging. Der Staat nämlich, wie ich von meinem Bekannten erfuhr, ging mit dem Vorhandensein dieses Gesetzes nicht gerade hausieren, weshalb auch nur wenige DDR-Bürger davon wussten. Ich verließ mich jedenfalls darauf und die Sache klappte.

Als ich den Waffendienst mit 19 Jahren verweigerte, geschah dies aus rein pazifistischen Gründen, ohne Christ zu sein, denn mit der Kirche hatte ich, außer Bluesmessen, bei denen oft tolle Leute musi­zierten, nichts am Hut. Ein anderer Grund, warum junge Männer die Waffe verweigerten war, dass man nach seiner Entlassung als Bausoldat keiner zweijährigen Schweigepflicht unterstand, wie die Truppe, die unter Waffen standen. Das war für Leute mit einem laufenden Ausreiseantrag wichtig, denn wer unter Schweigepflicht stand, durfte während dieser Zeit das Land in Richtung Westen nicht verlassen. So manchen Bausoldaten mit einem Ausreiseantrag in der Tasche schob man schon kurze Zeit nach der Entlassung in den Westen ab, damit er den Frieden im Lande mit seinem Geschwätz über Freiheit nicht mehr störte. Das mit der Schweigepflicht wusste ich vorher nicht und freute mich natürlich, als ich davon erfuhr.

Mitte April ’87: Da war sie nun endlich. Meine Einberufung zur Nationalen Volksarmee. Ich sollte nach Merseburg, das südlich von Halle liegt – also in Sachsen-Anhalt. Das mussten von Berlin aus ungefähr zweihundert Kilometer sein.

Nachdem ich der Band – nach der Rückkehr des alten Sängers arbeiteten wir mit zwei Sängern – bei der Vormittagsprobe erzählt hatte, was los war, fuhr ich zu Veras Arbeitsstelle, einem Kurzwarenladen (für alle, die diesen typisch ›ostdeutschen‹ Ausdruck nicht kennen: ein Nähbedarfsladen).

Veras Chef begrüßte mich wie immer freundlich und lud mich nach hinten zum Kaffee ein.

»Nun erzählen Sie schon, Herr Ackermann. Zu welcher Truppe hat man Sie befohlen?«, fragte der Alte nun neugierig.

»Ich bin kein richtiger Soldat, müssen Sie wissen.«

Er sah mich entgeistert an. »Wie kann ich das denn verstehen?«

»Kennen sie die Bausoldaten oder Spatensoldaten, im Volksmund ›Spaties‹ genannt?«

Der Chef blickte mit großen Augen zu Vera. »Nein, damit kann ich nichts anfangen.«

Nun begann ich die ganze Geschichte zu erzählen. Vera sagte während meiner Ausführungen kein Wort.

Der Chef aber schien so sehr begeistert, dass er sogar eine Flasche Sekt spendierte. »Ach, Herr Ackermann, Sie sind ja ein mutiges Kerlchen.«

»Dazu gehört gar nicht so viel Mut«, sagte ich. »Das Ganze ist schließlich gesetzlich verankert. Die einzige Gefahr dabei ist wohl, dass man weich wird.«

»Wieso weich?« fragte der Chef dazwischen.

»Ich habe die Waffe mit 19 verweigert und die Musterungskommission hat mir schon damals gesagt, dass sie mich deshalb erst mit 26 einziehen werden. Wenn ich jedoch meine Meinung ändere, könnten sie mich sofort einziehen. Einige halten das nicht durch und ziehen die Verweigerung letztendlich zurück. Manchen hat man auch gedroht, dass sie nicht studieren dürfen, wenn sie es nicht zurückziehen, aber ich weiß von Leuten, die trotzdem studiert hatten, bevor sie mit 26 als Bausoldaten eingezogen worden sind.«

Endlich war der Chef zufrieden. Vera bekam sogar den restlichen Nachmittag frei, damit sie mich trösten konnte. Es war unklar, wie wir die räumliche Trennung die nächsten 18 Monate aushalten würden – unsere Beziehungsprobleme hatten sich schon sehr zugespitzt.

Natürlich hielt ich mich damals noch für mutig, immerhin hatte ich in meinem Land den Dienst mit der Waffe in der Hand verweigert. Einige Zeit später jedoch wuchs in mir die Meinung, dass nur diejenigen wirklichen Mut bewiesen, die den Wehrdienst in der DDR total verweigert hatten. Diese Jungs mussten nämlich für zwei Jahre ins Gefängnis. Nach der Entlassung gab es dann drei Varianten, die man sich allerdings nicht aussuchen konnte. Im schlimmsten Falle folgte die erneute Einberufung, mit etwas Glück wurde man von den Staatsorganen nie wieder behelligt und mit noch mehr Glück warf man den unbequemen Staatsbürger aus dem Land – in den Westen. Das konnte allerdings auch Pech bedeuten, denn es gab Pazifisten, die zwar den Wehrdienst verweigerten, aber durchaus in ihrer Heimat bleiben wollten.

Zweites Kapitel: Die ersten Schritte der Entmündigten

1

Da der Zug nach Merseburg am Vormittag abfuhr und meine Freunde von ihrer Arbeit nicht frei bekamen, konnte von ihnen keiner zum Bahnhof kommen. Selbst Vera wollte mich nicht verabschieden, weil sie angeblich ›Soldaten-Abschiedsszenen‹ hasste – ein schlechtes Zeichen für mich. Ich war richtig wütend auf sie.

Auch von meinen Eltern verabschiedete ich mich im Vorfeld, denn mein Vater war im Januar desselben Jahres an Krebs erkrankt und hatte durch die Bestrahlungstherapie nicht die Kraft, das Haus zu verlassen. Außerdem war mein Vater im Laufe der letzten Jahre fast vollständig erblindet.

Als der Zug nach Merseburg einfuhr, war ich der Einzige, der es eilig hatte, sich einen Platz zu suchen – kein Wunder, denn ich war ja auch der Einzige, der allein am Gleis stand. Ich fand ein leeres Abteil, und während ich das Treiben dort draußen noch eine Weile beobachtete, bereitete ich mich ruhig auf mein nächstes Ziel vor, denn ich hatte beschlossen, nicht nüchtern an die Front zu ziehen. Zwischen meiner Marschverpflegung zog ich die erste von drei Flaschen Wein aus der Tasche hervor und öffnete sie. Panierte Schnitzel und belegte Brote sowie gekochte Eier und frisches Gemüse gehörten außerdem zu der Wegzehrung, die ich mir am Vorabend zusammengestellt hatte.

Ich versank in Gedanken und trank. Ich sehnte mich nach Hause.

Erst nach vier Wagen fand ich ein unbesetztes Örtchen, dann fiel mir in einem der Abteile ein bekanntes Gesicht auf. Ich war mir erst nicht sicher, ob ich ihn ansprechen sollte, wagte es dann aber doch. »Entschuldige, bist du nicht Steini aus Falkensee?«

»Jo, kennen wir uns etwa?« Seine raue Stimme verriet, dass er es war.

»Vor ein paar Jahren spielten wir zusammen bei einer Party auf dem Hof der Gärtnerei. Du warst der Sänger von ›Fredys Bluesband‹. Ich spielte Harp und sang bei der zusammengewürfelten Band aus Hennigsdorf.«

»Ich erinnere mich gut«, sagte Steini. »Die Hennigsdorfer Kumpels von Rainer, dem Gärtner.« Er reichte mir die Hand.

Ich freute mich, einen wie ihn getroffen zu haben. »Was machst du hier? Musst du nach Merseburg?« Erwartungsvoll sah ich ihn an.

Steini lachte laut drauf los. »Ich breche zusammen, Alter. Sage nicht, du willst auch nach Merseburg.«

»Und wie ich will.«

»Bist du etwa Bausoldat?« fragte er mich sehr laut. Alles im Umkreis blickte auf uns beide, weil wir anscheinend den ganzen Waggon unterhielten. Steini schien ebenfalls schon etwas getrunken zu haben.

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