Becoming Bulletproof - Otto Bulletproof - E-Book

Becoming Bulletproof E-Book

Otto Bulletproof

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Beschreibung

Im Leben eines Soldaten ist der Tod jederzeit nah. Otto Bulletproof machte diese Erfahrung, als er als Teil einer Fallschirmjägereinheit der Bundeswehr in Afghanistan in Lebensgefahr geriet. Von Raketenbeschuss und heiklen Missionen bis zum Tod eines Kameraden erzählt er in »Becoming Bulletproof« Geschichten aus dieser Zeit und davon, was ihn das Militär über Pflichtbewusstsein, Sinn und Werte gelehrt hat. Und natürlich berichtet er von herausfordernden Survival-Touren wie »7 vs. Wild« oder der »Warrior«-Reihe, die sein Leben bereichern, seitdem er aus dem Militär ausgeschieden ist. Ob als Soldat, Sportler, Geschäftsmann oder YouTuber – Otto hat mithilfe seines unerschütterlichen Mindsets extreme Prüfungen bewältigt. Seine Geschichten entwickeln einen unwiderstehlichen Sog, als würde er sie an einem Lagerfeuer mitten in der Wildnis preisgeben. Sie motivieren und treiben an – und appellieren an Mut und Tatkraft eines jeden von uns.

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Seitenzahl: 245

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OTTO BULLETPROOF

BECOMING BULLETPROOF

OTTO BULLETPROOF

BECOMING BULLETPROOF

Mein Leben zwischen Survival-Touren, Bushcraft und Bundeswehr

riva

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

1. Auflage 2024

© 2024 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Manuskriptbearbeitung: Tim Farin

Redaktion: Oliver Uschmann

Umschlaggestaltung: Sonja Vallant

Satz: abavo GmbH, Buchloe

eBook by tool-e-byte

ISBN Print 978-3-7423-2542-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-2308-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-2309-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Ich danke meiner Frau für das Vertrauen und die Unterstützung bei all meinen Projekten. Danke, dass du an meiner Seite stehst und mir immer den Rücken frei hältst. Ich liebe dich.

Danke an meine Kinder, dass ihr mein Leben so bereichert und ich die Welt immer wieder durch euch mit Kinderaugen neu entdecken darf.

Danke an meinen Vater, du hast mich auf das Leben gut vorbereitet. Dein Motto »In der Ruhe liegt die Kraft« nehme ich mir sehr zu Herzen und lebe danach.

Inhalt

Von Bären übers Leben lernen

Eine Hausgeburt überm Pferdestall

Zwölf Jahre zum Bund: Wie ich meine Eltern vor vollendete Tatsachen stellte

Einstieg in eine neue Welt: Warum die Bundeswehr-Zeit bis heute nachwirkt

Marsch ans Limit: Wie ich zum Einzelkämpfer wurde

Unternehmer auf eigene Faust

Bilderteil

Ernstfall in Afghanistan

Zwischen Leben und Tod

Profisport? Warum eigentlich nicht?

Influencer aus Zufall

Wie wir Warrior werden

So bekommst du das Bulletproof-Mindset

Über den Autor

Von Bären übers Leben lernen

Ich bin im Paradies. Es ist Hochsommer, was hier oben im Norden bedeutet, dass die Luft tagsüber auch mal 20 Grad warm wird, und selbst in der Nacht war es mit sieben Grad recht mild. Recht mild heißt aber auch: Es ist durchaus feucht, es regnet immer mal wieder, ist diesig oder neblig. Seit Tagen bin ich unterwegs, ohne einem Pfad zu folgen. Manchmal gibt es eine 20, 30 Zentimeter breite Schneise, von Wildtieren in Unterholz oder Gebüsch getreten, die großen Karibus machen so etwas. Ansonsten fehlt jeder vorbereitete Weg, der Blick auf die Natur bleibt unverstellt. Ich bin nicht allein, ich wandere mit Fabio Schäfer durch Kanada, auf dem Rücken jeweils über 35 Kilo Gepäck. Wir tragen Outdoor-Montur und Kamera-Sets am Körper und in unseren Rucksäcken. Voranzukommen auf unserem Weg ist mühsam und gleichzeitig so unbegreiflich schön, die Gipfel der MacKenzie Mountains um uns herum, das wilde Wasser am Fluss vor uns, die Tannenwälder und die Ruhe, diese Abwesenheit von Lärm, Maschinen, Zivilisation. Einfach nur friedvoll. Wir sind harmonisch unterwegs, während wir unserer Route folgen, ausgestattet mit altem Kartenmaterial. Es fühlt sich an wie das Leben, das ich mir als kleiner Junge immer erträumt habe. Und dennoch wissen wir, dass wir es nicht zu sehr genießen dürfen. Fabio und ich gehen über freies Feld, wenn es möglich ist. Wir wollen wissen, was vor uns steht, was sich um uns herum bewegt. Wobei wir nicht wählerisch sein können, denn es gibt hier wenig freie Fläche. Wir haben die Blicke überall, hinter Baumgruppen, Felsformationen, am Flusslauf in der Ferne. Auch wenn wir uns gut unterhalten, sind wir jede Sekunde im Alarmzustand. Auch wenn wir diesen Trip genießen, halten wir uns für die Bedrohung bereit. Sie könnte jederzeit auf uns zustürmen.

Wird es brenzlig, dann meistens richtig. Wer so tief vordringt wie wir, sollte sich nicht entspannen. Lässt eines der mächtigsten Tiere der Welt dich dann doch in Frieden ziehen, weißt du, dass schon eine Ecke weiter die nächste Bedrohung lauern kann. Dass du dir keine Fehler erlauben darfst. Du weißt, dass es um alles geht, mit jedem Schritt. Was für ein Gefühl! Wenn ich es empfinde, dann weiß ich, dass ich noch lebe, dass dieses Leben mir viel zu bieten hat. Ich genieße es mit jedem weiteren Schritt durch die Gefahr.

Es ist erst der fünfte Tag einer Mission, die ich mit Fabio Schäfer zusammen unternehme. Wir haben uns aussetzen lassen im hohen Nordwesten Kanadas. Seit Tagen schlagen wir uns jetzt durch die Landschaft, eine wunderschöne Wildnis, durch das Gebirge, durch Wälder, Gebüsch, Wiesen und Gewässer. Es fühlt sich an wie das Paradies, und wir sind gerade erst angekommen. Nur ein paar Tage - für Fabio und mich ist das keine lange Zeit fernab der Zivilisation, ohne andere Menschen, Straßenverkehr oder WhatsApp-Chats. Wir sind immer noch dabei anzukommen, auf unserem Weg durch die Einsamkeit Kanadas und zu uns selbst. Wir drehen eine Doku für unsere YouTube-Kanäle, aber das ist nur das zweite Ziel. An erster Stelle steht das Leben, das Erleben.

Manchmal erschließt sich das erst Momente oder Tage später. Als wir unser Lager am Mittag des fünften Tages abbauen wollen, sehen wir den ersten Bären in der freien Wildbahn. Nach dieser Sichtung eines derart imposanten Tieres, das aber abgedreht hat, laufen wir hinunter in das Flusstal. Es bietet einige Vorteile, zwar anders als in den Feldern von Neuss, wo der Blick minutenlang auf die eigenen Füße gerichtet sein kann oder ziellos durch die Gegend schweift, aber hier unten auf dem Schotter haben wir mehr Übersicht als im Gestrüpp. Wir plaudern noch und überlegen, wie wir reagieren sollen, wenn noch ein weiterer Prädator auftaucht. Gleichzeitig schaue ich konzentriert nach vorn, rechts, links ... und sehe schon den nächsten Bären. Es gibt hier keinen Graben, Zaun oder Gehege, wir sind im selben Gelände. Vorbereiten kann man sich auf alles, aber wenn es so weit ist, zählt jedes Detail. Die äußeren Umstände und die innere Einstellung.

Der erste Bär, der plötzlich vor uns erscheint, ist gewaltig, deutlich größer als Fabio und ich. Es ist reiner Zufall, dass ich genau in diesem Moment in die Richtung blicke, aus der der Bär sich nähert. Das monströse Tier ist vielleicht 100 Meter von uns entfernt. Ich warne Fabio mit einem Zeichen, wir bleiben stehen, sind ganz ruhig, checken die Lage. Was ist mit der Luftmasse zwischen dem Bären und uns, was mit den Geräuschen? Er kann deutlich besser riechen als wir, und wenn er unsere Körper wahrnimmt, den ungewohnten Geruch dieser beiden Menschen, dann ist alles möglich. Ich ordne die Lage ein, wie ich es gelernt habe, blitzschnell, prüfe das Gelände, die Luft. Wir halten unsere Schusswaffen bereit. Wenn der Bär uns als Beute sähe, dann wären wir in Lebensgefahr. Mit den Krallen seiner Tatzen, seiner Kraft, seinen Zähnen würde er uns töten, vielleicht sogar fressen.

Ein Projekt, wie Fabio und ich es im August 2023 unternehmen, erfordert die maximale Vorbereitung. Am Anfang steht eine spontane Idee, geboren irgendwann im vorherigen Winter, in einem Gespräch, wie wir es so häufig führen. Als Outdoor-Influencer haben wir uns nicht nur kennengelernt, sondern kommen richtig gut miteinander klar. Das ermöglicht uns, größere Dinge gemeinsam anzugehen. Mit einer Idee ist es eben alles andere als getan. Aus der Begeisterung für ein gemeinsames Projekt wird in unserer Welt ein echtes, aufwendiges, enorm detailreiches Vorhaben, an dem wir mit der Hilfe vieler anderer Menschen über Monate gearbeitet haben. Die Idee, die uns beide überzeugt, stammt aus meiner Kindheit. Seit jeher fasziniert mich die nordamerikanische Wildnis, das Territorium, in dem kaum Menschen siedeln, dafür aber erhabene Natur und große Wildtiere noch wie seit Jahrtausenden existieren. Es ist die Welt meiner Kindheitsfantasien, der Abenteuergeschichten und Lederstrumpf-Romane, wo nordamerikanische Ureinwohner das Land und die Lebewesen um sich herum verstehen und sich in ihr mit dem Wissen ihrer Vorfahren bewegen.

Unsere Idee war ganz einfach: Wir schlagen uns durch ein Gelände, in dem es keine Zivilisation gibt. Daraus wird, nach etwas mehr Vorarbeit, das konkrete Projekt. Fabio und ich haben vor, innerhalb von 30 Tagen eine Strecke von 300 Kilometern Länge zurückzulegen, von der Quelle des North Nahanni River bis zum mächtigen MacKenzie River. Pures Kanada, wie aus dem Traum. Wir lassen uns mit einem Helikopter in den Bergen des Bundesstaats Northwest Territories aussetzen, den MacKenzie Mountains, an einem vorab definierten Drop-off-Punkt. Einen Zielpunkt haben wir ebenfalls schon festgelegt, wo wir hoffentlich auch wieder ein Signal an den Helikopter absenden können. In der Zwischenzeit sind wir vollständig auf uns gestellt. Wir haben prall gefüllte Rucksäcke dabei, aber Lebensmittel führen wir nicht mit. Das wäre zu einfach und gleichzeitig zu schwer, denn der Ballast würde unsere Schritte mühsamer machen. Nein, wir sind als Selbstversorger unterwegs. Wir werden von dem leben, was das Land uns gibt. Mit wenigen Ausnahmen: Ich habe Salz mit Knoblauch und Chili dabei, das braucht man auf solchen Touren gegen Muskelkrämpfe und zur allgemeinen Versorgung des Organismus, und eine Chili-Soße für unser Gegrilltes in der Wildnis, wenn wir Fische oder Vögel auf dem Feuer rösten.

Die erste Mahlzeit, die wir hier oben im Norden Kanadas zu uns nehmen, sind Beeren. An den Sträuchern in den McKenzie Mountains wachsen sie in allen Farben. Schnell haben wir uns in Jäger und Sammler verwandelt, die ihre Körpersignale nicht ignorieren können. Wir essen, was die Natur uns anbietet, und müssen gleichzeitig auf der Hut sein. Überall könnte ein Tier lauern, das für uns zur Gefahr wird. Vorab habe ich viel mit den Leuten gesprochen, die sich hier auskennen. Ich habe Bekannte, denen hier Land gehört. Sie berichteten mir, dass die meisten wilden Tiere hier noch nie auf Menschen getroffen sind, sie also nicht wissen, wie sie mit uns umzugehen haben. Das haben wir im Hinterkopf, seit der Helikopter weggeflogen ist.

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, fällt mir etwas auf. In dem Monat, den wir in der Wildnis verbracht haben, sind wir auf viele große oder gefährliche Tiere gestoßen. Immer hatte ich, wie aus einem Gefühl heraus, diese Ahnung, wo ich hinschauen musste. Woher diese Intuition kommt, kann ich nicht sagen, aber vielleicht hat es etwas damit zu tun, wie sehr man sich auf etwas einlässt. Wie sehr man in seinem Projekt steckt. Wie klar man in einer Lage ist. Ich ging voll und ganz in diesem Projekt auf, genau wie Fabio. Topfit, bestens vorbereitet, entschlossen und begeistert. Das erste Tier, das ich erblickte, war gleich am ersten Tag ein Karibu. Diese nordamerikanischen Rentiere sind kein bisschen gefährlich für uns Menschen, solange wir sie nicht mit dem Auto erwischen. Dennoch hat mich dieser Blick tief gefangen. Am vierten Tag unserer Abenteuerreise befanden wir uns in einer Steppe, eingehegt zwischen hohen Bergen, den Blick auf Büsche. Unter uns, vielleicht einen Fußballschuss entfernt, sah ich ganz deutlich nicht nur einen Wolf, sondern gleich ein ganzes Rudel. Zuvor hatte ich dieses Gefühl, dass da irgendwas ist, dass irgendetwas in meine Richtung schaut. Das Klingt diffus und ich kann es nicht belegen, aber dieses Gespür kann man haben und in diesen Fällen war es richtig.

Ich war vorbereitet darauf, wilde Tiere zu treffen. Aber ich war auch vorbereitet darauf, dass man eben nicht alles vorbereiten kann. Die Menschen, mit denen ich in den Monaten zuvor gesprochen hatte, hatten mir eines eingebläut. Es gibt hier oben im Norden Kanadas kaum Bewohner, riesige Flächen und deshalb auch eine Fauna, die mit dem Homo sapiens nichts anfangen kann. Den Tieren fehlt die Erfahrung im Umgang mit uns, und damit würde jeder Kontakt, den Fabio und ich erwarteten, so etwas wie ein Blind Date sein. Beide Seiten würden spontan reagieren müssen. Wie es ihre Natur vorgibt oder, in unserem Fall, unser Instinkt gepaart mit unserem Training und unserem Wissen.

Die Wölfe jedenfalls hatten kein Interesse an uns. Sie kamen uns nah, aber es wirkte, als wären sie in einer anderen Sphäre, wie durch eine Glasscheibe von uns getrennt. Sie zogen durch das Gestrüpp und über die Fläche, wir schauten ihnen nach. Das war auch so zu erwarten gewesen. Doch ein anderes Tier, auf das uns alle Gesprächspartner vorbereitet hatten, musste hier auch irgendwo sein. Der Grizzlybär- Bär, so die Kanadier, die hier enormen Landbesitz haben, ist mächtig und unberechenbar. Er wird genauso von uns überrascht sein wie wir von ihm.

Der erste Bär, den wir trafen, ein gewaltiger Grizzly, war enorm groß. Er wirkte behäbig. Man konnte erkennen, dass er schon viele Jahre Erfahrung gesammelt hatte, er bewegte sich langsam und zeigte sich aufmerksam für alles, was um ihn herum passierte. Er war 100 Meter von uns entfernt. Wir hatten ihn längst im Blick, als er auch uns wahrnahm. Wir entschieden uns dafür, stehen zu bleiben und abzuwarten. Es war nur eine Frage von Augenblicken, bis der Bär uns riechen und dann abchecken würde. Bären haben enorm gute Nasen, kein Mensch kommt da ran, und ganz sicher keiner wie wir, der in der Stadt lebt und den Alltag der Zivilisation nur für einige Wochen verlässt.

Als er uns wahrgenommen hatte, rannte der große Bär einen Hang hinauf. Erst dort blieb er stehen, richtete sich auf, sah in unsere Richtung. Bemerkte er uns? Er schaute rüber, aufgerichtet auf den Hinterbeinen. Was für eine Erscheinung! Man weiß nicht, was in Tieren vor sich geht, aber wenn ich an diese Momente denke, dann sah es für mich so aus: Der erfahrene Bär kannte diese Kreaturen vor ihm nicht, wir waren eher eine Bedrohung als ein Jagdobjekt für ihn, und so sah er uns nur an und entschied sich gegen uns. Irgendwas in ihm brachte ihn zum Abdrehen, er wandte sich um, trottete zur nächsten Ecke und dann den Berghang hinauf. Immer wieder warf er einen Blick zu uns zurück, bis er schließlich verschwand. Wir aber hatten eindrucksvoll erlebt, was uns immer wieder drohen würde. In den Bergen Kanadas gibt es Tausende Bären, 4000 bis 5000 schätzen die zuständigen Behörden für die Northwest Territories, und die Gegend in den McKenzie Mountains hat die höchste Konzentration. Menschen wohnen hier ganz im Norden fast keine, die Hälfte der gut 40 000 Einwohner dieses Staats leben in der Hauptstadt Yellowknife. Es ist bei Weitem keine Übertreibung zu sagen, dass man am North Nahanni River eher mit einem Bären als mit einem Menschen rechnen muss.

Trotzdem stellt sich für einen kurzen Moment eine Art Sicherheit ein. Der erste Bär ist wieder weg. Auch wenn er sich noch drei-, vier- oder fünfmal umgesehen hatte - nun ist er fort. Und wir noch voller Adrenalin und im Rausch, das Erlebte zu begreifen. Was nicht heißt, dass wir stehen bleiben und eine Rast machen. Wir haben unser Ziel vor Augen und folgen weiter unserem Weg. Wir wissen, wie viele Bären hier leben. Wir wurden gewarnt. Dass uns noch einer begegnen würde, erscheint uns für den Moment trotzdem unwahrscheinlich. Und so steigen wir runter ins Flussbett, auch um dem großen Bären zu entgehen. Und als wir gerade unten sind, sehe ich wieder einen. Den zweiten an diesem Tag, etwa 200 Meter vor uns, auf einem Hügel. Dieser Grizzly ist kleiner als der erste, aber er wirkt auch dynamischer und, das ist klar, als ich ihn sehe, scheint uns direkt wahrzunehmen. 200 Meter klingt nicht wenig. Immerhin zwei Fußballplätze aneinandergereiht. Vielleicht kamen einem früher schon 100 Meter beim Sprint in der Schule sehr lang vor. Aber wenn man einen Grizzly vor sich hat, sind 200 Meter das Mindeste, was man braucht, um zu reagieren.

Dieser Bär wittert uns, er peilt uns an, dann rennt er los. In einem solchen Moment gibt es nur eine Option, alle anderen Alternativen kommen nicht mehr in Betracht, sobald man sich entschieden hat. Fabio und ich beschließen, den Bären abzuwehren und unsere Position zu halten. Es gibt hier keinen Rückzug mehr, nur noch ein Sichern der eigenen Position. Wir greifen unsere Gewehre. Ich habe eine Büchse mit Kaliber 30-06, Fabio eine Flinte mit Laufgeschossen. Der Grizzly hat schon fast die Hälfte des Weges geschafft. Schaut man sich Videos von attackierenden oder rennenden Bären im Internet an, bekommt man ein Gefühl dafür, welche Wucht und welche Geschwindigkeit sich hier zusammentun. Der Bär hat nichts Putziges, Kuscheliges. Was da auf uns zuhält, ist ein mit Klauen bewaffneter Koloss. Man soll brüllen, haben wir vorher gelernt, sich bemerkbar machen, damit im Kopf des Bären etwas passiert. Doch dieser Grizzly, wahrscheinlich ein pubertierendes Männchen, stürmt auf uns zu. Gut und gern 50 Stundenkilometer können diese Tiere rennen. Eng am Tempolimit einer städtischen Hauptstraße hält der Bär auf uns zu und uns bleibt jetzt nur noch ein Mittel: die Waffen in unseren Händen. Ich habe längst das Gewehr angelegt und gebe einen Warnschuss ab. Dabei ziele ich nah an den Körper des Tiers. Weil sich an dessen Bewegung nichts ändert, repetiere ich das Gewehr und setze zum zweiten Schuss an.

Ich bin heilfroh, dass wir uns im Vorfeld unserer Reise gegen das Mitführen von Bärenspray und für den konventionellen Weg, das Tragen scharfer Waffen, entschieden haben. Bärenspray ist eine Art Reizgas, das die Tiere in die Flucht schlägt. Das scheint tierfreundlicher zu sein, hat aber einen großen Haken. Je nach Windstand kann es passieren, dass der Bär weniger abbekommt als der Mensch, der sich zur Wehr setzt. Denn das Spray lässt sich erst nutzen, wenn das Tier schon zwei, drei Meter nah ist. Dann steht dort aber kein Mensch vor einem, sondern eine wilde Kreatur, vollgepackt mit Muskeln und ohne Gewissen. In solch einem Moment käme mir eine Dose mit Spray nicht besonders geeignet vor. Wir wussten, dass die Bären in den Northwestern Territories relativ sicher noch nie Kontakt zu Menschen hatten. Deshalb empfahlen uns auch die kanadischen Gesprächspartner, auf Nummer sicher zu gehen. Und das war schon gefährlich genug.

Die Szene mit dem zweiten Bären werde ich später einem befreundeten Tierfilmer und Wildfotografen zeigen, der solche Situationen einschätzen kann. Sein Urteil: »Du hattest noch zwei Sekunden, Otto.« Doch brauchten wir eben keinen weiteren Schuss, denn einen Warnschuss gibt man nicht in die Luft ab, sondern gleich in die Nähe des Ziels. Der Bär hört den Schall des Gewehrs, nimmt im besten Fall aber auch wahr, dass etwas übernatürlich Schnelles direkt an seinem Körper vorbeisaust, dass in der Luft etwas schwingt und rauscht. Er spürt, dass er in Gefahr ist und dass die Gefahr von dort kommt, wo er gerade hinrennt. Davon abgesehen könnte man sich, selbst wenn man wollte, gar nicht erlauben, bloß in die Luft zu zielen, weil man für den letzten, womöglich nötigen Rettungsschuss auf das Tier das Ziel dauerhaft im Visier halten muss. Es ist schwierig genug, ein wildes Tier tödlich zu treffen. Da bleibt keine Zeit, in der Aktion noch die Waffe neu auszurichten.

Der Bär bremst ab. Ein eigenartiger Augenblick. Das junge Tier bleibt stehen. Ich könnte jetzt noch einen Warnschuss abgeben, ziele also weiter neben den Kopf. Ich schaue zu Fabio, dann nach vorn und sehe den Bären von uns aus nach rechts abdrehen, wo ein Karibu davonrennt. Mein Gefühl in diesem Moment: Der Bär hatte es wohl doch nicht auf uns abgesehen, sondern auf das Beutetier. Nun können wir beide Tiere nicht länger erkennen, zu wenig freie Sicht bleibt zwischen Flussbett und Büschen. Wir zittern beide, gewinnen aber Handlungsmacht zurück. Diese Momente sind für mich nicht mehr mit einem Zeitgefühl verbunden, sondern vielmehr eine existenzielle Erfahrung zwischen Leben und Tod. Der Bär tritt wieder in unser Blickfeld, stoppt, schaut uns an, versucht, die Sache zu sortieren. Wir organisieren uns und entfernen uns sachte zur Seite, um dem Tier nicht den Rücken zuzukehren und einen zweiten Angriff zu riskieren.

***

War es in Ordnung, eine scharfe Waffe auf einen Bären zu richten und im Zweifelsfall sogar seinen Tod hinzunehmen, um unser Leben zu schützen? Diese Frage stellten wir uns natürlich. Auf der einen Seite hatte uns niemand hierhin eingeladen, wir waren aus freien Stücken vor Ort und griffen somit in eine Natur ein, die uns eigentlich fremd ist. Müssten wir uns ihr dann nicht unterordnen? Auf der anderen Seite reden wir von zwei jungen Familienvätern, die ihr Leben bewahren müssen. Wir sind Teil der Nahrungskette, aber eben auch mit unseren eigenen Mitteln bewaffnet und haben die überlegene Technik. Für uns steht fest, dass wir dieses Mittel nutzen dürfen. Dass wir ein wildes Tier töten würden, um unser Leben zu retten.

Ich bin ein großer Bewunderer der alten Abenteuer-Geschichten. Der Bücher, die unsere Vorfahren verschlangen, bevor es Streaming gab. Sie haben mich geprägt. Den faszinierenden Film The Revenant, in dem Leonardo DiCaprio es im Nahkampf mit einem Bären aufnimmt und gewinnt, habe ich natürlich auch gesehen. Faszinierender Stoff, der mit der Realität des Überlebens in der Wildnis nichts zu tun hat. Wenn ich mein Leben schützen kann, nutze ich das geeignete Mittel - wohl wissend, dass ich auch die Geschöpfe um mich herum schonen sollte. Auf der anderen Seite hat dieser Moment, diese Begegnung mit den Grizzlys, mich noch einmal von Neuem für die amerikanischen Ureinwohner begeistert, die früher durch diese Gebiete zogen und es ohne Schusswaffen mit den Tieren aufnehmen mussten. Sie hatten keine andere Wahl, als ihre Stimme zu wählen, ihre Erfahrung, ihre Sinne und selbst gebastelte Waffen. Diese Bewunderung ist tief in mir verankert, auch wenn das nicht mehr zeitgemäß erscheinen mag. Die Grizzly-Zähne, die besonders mutige Vertreter dieser Völker an Ketten um den Hals baumeln hatten, waren ein Zeichen echten Muts und eines bestandenen Kampfs um Leben und Tod. Das sind die Bilder, die mich seit der Kindheit prägen und an die ich auch hier denken musste, im menschenverlassenen Norden Kanadas.

***

Wir waren fast zwei Wochen unterwegs am North Nahanni River. Große Strapazen, natürlich, aber kein Moment zu viel. Von Moment zu Moment wuchsen Fabio und ich mit der Aufgabe. Wir schärften unsere Sinne, wir schlugen uns durch und lebten in dieser Zeit wie Jäger und Sammler, die mit sehr viel High Tech ihr Leben getunt haben. Wie bei einem solchen Abenteuer die Zeit vergeht, lässt sich im Alltag nicht nachvollziehen. Die Tage sind gefüllt mit Action, man handelt die ganze Zeit, und dennoch ist dieses Weitermachen und Auf-der-Hut-Sein niemals stressig, niemals zu viel für uns. Wir beobachten die Umgebung, wir jagen und fangen Fische, wir machen Feuer, wo es geht. Wir reden viel, und zwar wirklich tief bis ins Eingemachte. Da ist nichts, was uns ablenkt, und als Menschen passen wir sehr gut zusammen. Unsere Gespräche drehen sich um die großen Fragen des Lebens und sind völlig ehrlich. Gleichzeitig schauen wir dauerhaft umher. Wo lauert Gefahr? Wo ist ein passabler Weg? Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Natürlich sehne ich mich nach meiner Frau, nach meinem Sohn, auch nach etwas Leckerem zu essen, das ich nicht selbst erlegen muss. Doch hier draußen bin ich genau da, wo ich schon immer sein wollte. In der Wildnis, voll und ganz für mich selbst verantwortlich. Es ist schön.

Klar hat solch ein Abenteuer einen großen Wert für mich. Dennoch muss ich anerkennen, dass es auch kritisiert werden kann. Warum muss jemand aus Deutschland nach Kanada jetten und dann noch mit dem Helikopter weiterreisen, der in seiner Heimat alles hat? Eine erfolgreiche Firma, genug zu essen, eine liebevolle Familie. Bringen wir uns nicht mutwillig in Lebensgefahr? Solche Gegenargumente lassen sich gut vertreten, nicht zuletzt aus Klimaschutzgründen, und das nehme ich ernst. Wie ernst, skizziere ich im letzten Kapitel. Und ich weiß auch, dass mich der Straßenverkehr im Rheinland statistisch gesehen stärker gefährdet als die Grizzlys in Kanada. Aber klar, man kann sich immer fragen: Was soll das?

Für uns gibt es allerdings keine Zweifel, weder während unserer kräftezehrenden und zugleich enorm eindrucksvollen Expedition noch danach. Als wir am Ziel an einem See mit der GPS-Uhr das Signal zum Abholen an den Helikopter senden, sind wir glücklich, dass wir es lebendig und heil an diesen Ort geschafft haben. Um uns herum entfaltet sich ein Paradies, ein ruhiges Gewässer, eingerahmt von Nadelbäumen, Büschen und Moos. Wir sind erschöpft, völlig fertig und zugleich von den Erlebnissen erfüllt.

Ein Sprichwort der Native Americans habe ich immer wieder im Kopf. »Ein Baum, der nicht mehr wächst, stirbt.«

Diese Botschaft ist in meinem Leben bedeutsam. Ich möchte immer weiterwachsen und rate allen anderen Menschen ebenfalls, persönliches Wachstum zu suchen. Wie viele Leute um mich herum reden darüber, dass sie nur noch eine gewisse Anzahl an Jahren bis zur Rente haben? Und was, frage ich mich, passiert danach? Sterben sie dann einfach? Sind sie schon vorher in einem Ruhestand, in dem sich nichts mehr entwickelt? Ein Projekt, wie Fabio und ich es in Kanada gemacht haben, ist das pure Leben und das pure Wachstum - und ich hoffe, dass wir damit auch unsere Zuschauer begeistern können. Niemand muss sich einem Grizzly aussetzen, nicht einmal eine Woche im Wald muss irgendjemand durchhalten, aber neue Ziele sollten wir uns ständig setzen. Wege zu finden, wo es noch keine gibt, darum ging es uns in Kanada. Und das lässt sich auch in anderen Bereichen des Lebens machen. Ich bin der Meinung, dass wir uns alle regelmäßig aus der Komfortzone begeben sollten. Wenn wir neue Erfahrungen suchen, wenn wir Dinge ausprobieren, dürfen wir es uns so schwer wie möglich machen. Nur so lernen wir wirklich etwas dazu, entwickeln aber vor allem große Resilienz - die Fähigkeit, mit Widerständen stabil klarzukommen. In meiner Bundeswehr-Zeit haben wir das auf die Spitze getrieben mit dem Motto: Trainiere so hart, dass sich der Ernstfall entspannt anfühlt.

Wer sich auf diese Weise fordert, wird wachsen. Wer sich einem Grizzly gegenübergesehen hat, wird daran größer, sicherer und auch ein bisschen gelassener im Umgang mit Gefahr, jedoch niemals lebensmüde oder nachlässig. Wer sich einen großen Gegner sucht oder unbekannte Aufgaben meistert, wächst. Mit unserer kanadischen Mission haben wir uns richtig etwas vorgenommen. Auch wir, zwei gestandene Überlebenskünstler und Athleten, sind von dieser neuen Aufgabe überwältigt. Als wir im Helikopter zurück in die Zivilisation fliegen und einen Porridge angeboten bekommen, sind wir bereits enorm gewachsen. Ein Gefühl wie damals, als ich als Kind rief: »Papa, ich kann jetzt schwimmen!« Das habe ich Fabios und meiner Reise zu den Bären zu verdanken.

Eine Hausgeburt überm Pferdestall

Wenn ich an die Kindheit denke, sehe ich starke Bilder. Ich sehe Bretter, die ich in einen Baum manövriere, ich klettere auf die höchsten Bäume der Gegend, ich stelle Fallen und überhöre die Rufe meiner Mutter, weil ich noch nicht zum Abendessen will. Ich schmökere in Büchern, die selbst damals schon zu den alten Schinken gehörten. Ich bin draußen und bei Tieren. Katzen, Hunde, Fische, sogar Schlangen - diese lebhaften Kreaturen kommen mir in den Sinn, wenn ich mich daran erinnere, wie ich aufgewachsen bin. Outdoor, das war schon immer mein Ding - auch wenn ich damals noch nicht wusste, dass es dieses Wort überhaupt gibt. Ich war noch nicht »bulletproof«, aber auf mich allein gestellt das Leben erfahren, mich durchschlagen, das wollte ich schon immer.

Ich bin das älteste von fünf Geschwistern und so ganz anders als die anderen vier. Ich war immer schon der Junge, der sich draußen herumschlug, der das Abenteuer lebte, und das ist bis heute so geblieben. Ich glaube, es sagt eine Menge über meine Familie aus, wenn ich erzähle, was meine kleineren Geschwister heute machen. Mein zwei Jahre jüngerer Bruder lebt in Wien in einem katholischen Orden und spricht mehrere Sprachen fließend. Während ich draußen herumwanderte, war er im Internat. Danach kam eine Schwester, sie ist inzwischen Lehrerin, war auch mal als Deutschlehrerin in Russland unterwegs und unterrichtet heute Gefängnisinsassen. Meine zweite Schwester lebt ebenfalls in Wien, sie ist Akademikerin und arbeitet dort in einem Museum, nebenher promoviert sie. Und dann ist da noch mein jüngster Bruder, der sich zum Physiotherapeuten hat ausbilden lassen und mit dem Gedanken spielt, nach Norwegen auszuwandern. Als Einziger wie ich ohne Studium, der ich mich früh gegen die Schule entschied, gegen die Uni, gegen die Theorie. Die Vielfalt, die meine Familie hervorgebracht hat, sagt etwas aus über die Möglichkeiten, die wir von unseren Eltern bekommen haben. Sie haben mich immer machen lassen, mir Vertrauen geschenkt, Zutrauen und Unterstützung - und das gilt genauso für meine vier kleineren Geschwister. Ich hatte immer Platz für mich und meine Erfahrungen, die ich gern draußen sammelte. Hier konnten wir wachsen.

Geboren wurde ich über einem Pferdestall, aufgewachsen bin ich auf Gehöften und Bauernhöfen, gelernt habe ich später in der Landwirtschaft und gespielt zwischen Hügeln, Wiesen und Weihern.