Bianca Extra Band 50 - Allison Leigh - E-Book
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Bianca Extra Band 50 E-Book

ALLISON LEIGH

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Beschreibung

LASS UNS BEIDE NEU BEGINNEN von NANCY ROBARDS THOMPSON
Droht Olivias einst so glückliche Ehe mit Senator Jamison Mallory am unerfüllten Kinderwunsch zu zerbrechen? Selbst zum Fest der Liebe verhält ihr Mann sich kühl und distanziert ihr gegenüber. Verzweifelt fasst Olivia einen heimlichen Plan, damit sie wieder zueinanderfinden …

KÜMMERN ERLAUBT, VERLIEBEN VERBOTEN von KAREN TEMPLETON
"Pass auf sie auf!" Levi Talbot hat versprochen, sich um die Witwe seines besten Freundes zu kümmern - nicht, sich in sie zu verlieben! Doch Valerie ist einfach zu betörend. Vergeblich wehrt Levi sich dagegen, dass er die schöne junge Mutter mit jedem Tag heftiger begehrt …

AUSGERECHNET DER BOSS? von NANCY ROBARDS THOMPSON
Groß, breitschultrig, dunkelhaarig: Miles Mercer ist genau Sydneys Typ. Allerdings ist der berühmte Regisseur momentan ihr Boss und Liebe im Job für sie tabu. Aber was spricht gegen eine unverbindliche Affäre auf Zeit? Schließlich wandert sie sowieso bald nach Übersee aus, oder?

DIE NACHT, IN DER ICH MEIN HERZ VERLOR von Allison Leigh
Justin war Tabbys bester Freund. Bis zu ihrer ersten Nacht der Leidenschaft - was für ihn ein Ausrutscher schien, brach ihr das Herz. Als er vor Weihnachten überraschend in ihre Heimatstadt zurückkehrt, will sie ihm nur noch aus dem Weg gehen. Doch beharrlich sucht er ihre Nähe …

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Seitenzahl: 712

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Nancy Robards Thompson, Karen Templeton, Nancy Robards Thompson, Allison Leigh

BIANCA EXTRA BAND 50

IMPRESSUM

BIANCA EXTRA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRABand 50 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2010 by Harlequin Books S.A. Originaltitel: „The Family They Chose“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Renate Hochmann

© 2016 by Karen Templeton-Berger Originaltitel: „A Soldier’s Promise“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Rainer Nolden

© 2013 by Nancy Robards Thompson Originaltitel: „Celebration’s Bride“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Anna-Pia Kerber

© 2016 by Allison Lee Johnson Originaltitel: „The BFF Bride“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: SPECIAL EDITION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Meike Stewen

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733732974

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

NANCY ROBARDS THOMPSON

Lass uns beide neu beginnen

Voller Hoffnung kehrt Senator Jamison Mallory nach einer Trennung auf Probe an Heiligabend zu seiner Ehefrau Olivia zurück. Wird es ihm gelingen, ihr Herz zum Fest der Liebe zurückerobern?

KAREN TEMPLETON

Kümmern erlaubt, verlieben verboten

Von Levis sexy Lächeln wird Valerie ganz warm uns Herz. Dabei kümmert sich der Freund ihres verstorbenen Mannes doch nur um sie, weil er es versprochen hat! Oder spürt auch er die magische Anziehung?

NANCY ROBARDS THOMPSON

Ausgerechnet der Boss?

Fühlt sich so die Liebe an? Sydney ist die erste Frau, mit der Miles sesshaft werden möchte. Doch ausgerechnet sie stellt plötzlich ihre Karriere über alles und will nur eine kurze Affäre. Was nun?

ALLISON LEIGH

Die Nacht, in der ich mein Herz verlor

Justin hat bloß eins im Sinn, als er Tabby vor Weihnachten wiedersieht: dass sie und er endlich wieder beste Freunde sind! Aber woher kommt dann plötzlich dieses rätselhafte Prickeln in ihrer Nähe?

Lass uns beide neu beginnen

1. KAPITEL

Das Geräusch der Alarmanlage durchdrang kurz Olivia Armstrong Mallorys leichten Schlaf. Jemand öffnete die Haustür. Ein quietschendes Geräusch beim Aufdrücken und das Klicken, als die Tür wieder ins Schloss fiel, klangen aus der Eingangshalle herauf.

Als Olivia Schritte auf dem Parkett hörte, setzte sie sich auf und strich ihr dunkelbraunes Haar zurück. Ihr Blick fiel auf den Weihnachtsbaum – die einzige Lichtquelle in dem weitläufigen Wohnzimmer.

Sie war doch nur für einen kurzen Moment eingenickt – zumindest war es ihr so vorgekommen. Doch ein Blick auf die Kaminuhr belehrte sie eines Besseren: Es war bereits nach drei Uhr morgens.

Jamison.

Endlich war ihr Mann nach Hause gekommen!

Als Senator der Vereinigten Staaten, mit Aussicht auf die Präsidentschaft, war Jamison Mallory ein einflussreicher Mann. Doch einige Dinge konnte selbst er nicht beeinflussen, und dazu gehörte auch das Wetter: Es hatte den Flugverkehr in Washington D.C. buchstäblich auf Eis gelegt.

Ein Wunder, dass überhaupt noch Flüge gingen, dachte Olivia, als Jamison im Flur auftauchte. Er hatte seinen Koffer noch in der Hand.

„Bist du noch wach, Liv?“ Jamisons tiefe Stimme klang müde. „Du musst doch nicht auf mich warten.“ Selbst in diesem gedämpften Licht sah sie die Erschöpfung in seinem ebenmäßigen Gesicht. Seine markanten Züge wirkten unter dem blonden Tagesbart leicht eingefallen. Das nervtötende Warten auf dem Flughafen, bis die Maschinen endlich wieder Starterlaubnis bekamen, hatte tiefe Schatten unter seinen hellblauen Augen hinterlassen, und die klirrende Kälte trug das Ihre dazu bei.

„Natürlich habe ich auf dich gewartet! Es ist schließlich Heiligabend, Jamison – zumindest war es das bis vor ein paar Stunden. Frohe Weihnachten!“ Olivia erhob sich, strich ihr rotes Seidenkleid glatt und rückte den Verschluss ihrer Perlenkette zurecht.

Als ihr Mann sich nicht rührte, schluckte Olivia ihren Stolz hinunter und ging quer durch den Raum auf ihn zu.

Einer von ihnen musste schließlich den ersten Schritt tun. Im Geist der Weihnacht und für ihre Ehe war sie dazu bereit.

Zweieinhalb Monate Trennung, mit nur einer einzigen Begegnung zwischendurch am traditionellen ThanksgivingDay, hatten ihr deutlich vor Augen geführt, wie wichtig ihr diese Beziehung war. Niemals zuvor waren sie in den sieben Jahren ihrer Ehe so lange voneinander getrennt gewesen.

Mit jedem dieser Tage war die Sehnsucht nach ihrem Mann zu einem tieferen, nagenden Schmerz herangewachsen.

Jamison stellte sein Gepäck ab und fuhr sich mit der Hand durch sein blondes, welliges Haar, bevor er die Arme ausbreitete. Olivia schmiegte sich in seine Umarmung und suchte den Platz, an dem sie sich sonst immer so geborgen gefühlt hatte. Einfach an seine Brust sinken und sich in der vertrauten Nähe verlieren … Doch Jamisons Umarmung fühlte sich irgendwie seltsam sperrig an, fast abweisend. Als Olivia sich bewegte, um doch noch die richtige Position zu finden, ließ er seine Arme sinken und trat einen kleinen Schritt zurück.

Olivia hielt einen Moment inne. Widerstreitende Gefühle stiegen in ihr hoch für diesen so gut aussehenden Mann, der ihr im Augenblick merkwürdigerweise gleichzeitig ebenso vertraut wie seltsam fremd war. Doch – nein! Davon würde sie sich nicht verunsichern lassen. Sie riss sich zusammen und beschloss, seine Distanziertheit nicht persönlich zu nehmen.

Heiligabend in der Executive Lounge der Airline zu verbringen hatte er sich schließlich nicht ausgesucht. Sicher war er müde, und …

„Du musst ja schrecklich hungrig sein!“ Sie wandte sich zur Küche. „Ich habe das Essen warmgestellt. Setz dich doch. Ich mach dir schnell einen Drink und bringe dir was zu essen.“

Als sie sich nochmals zu ihm umdrehte, sah sie, wie er gequält seine Brauen zusammenzog und den Kopf schüttelte. Sie blieb stehen.

„Olivia, ich bin erschöpft. Ich will nur noch ins Bett.“

Sein abweisender Ton verursachte ihr ein Gefühl der Enge in der Brust. Wie so oft war es weniger, was er sagte, als wie er es sagte.

Doch heute wollte sie sich nicht davon herausfordern lassen.

„Ja, natürlich, du siehst auch wirklich ziemlich fertig aus“, sagte sie nur.

Er nahm seinen Koffer, ging zu Olivia hinüber und küsste sie auf die Stirn. Dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und ging hinauf ins Gästezimmer im ersten Stock, wo er die Tür hinter sich schloss.

Olivia blieb allein im Wohnzimmer zurück. Sie verschränkte die Arme vor der Brust, als ob sie so die Angst, die kalt in ihr aufstieg, abwehren könnte. Wie ein Film spulten sich ihre Gedanken ab. Sie hatte vollstes Verständnis dafür, dass Jamison todmüde war. Sie konnte sogar nachvollziehen, dass er um diese Zeit nicht noch etwas essen und anschließend mit vollem Magen zu Bett gehen wollte. Doch dass er das Gästezimmer ihrem Ehebett vorzog?

Das tat noch mehr weh als sein abweisender Ton.

Plötzlich erschien ihr die kühle Distanz zwischen ihnen wie ein tiefer Abgrund, in dem all die Probleme lauerten, die zu ihrer Trennung auf Probe geführt hatten.

So viel Hoffnung hatte sie in diesen Abend gesetzt! Und nun war alles ganz anders gekommen.

Was, wenn das jetzt so weitergeht? dachte sie entsetzt.

Es hatte auch ganz andere Zeiten gegeben. Noch vor Kurzem war ihre Liebe unüberwindlich erschienen. Es war einfach überwältigend gewesen, vom ersten Moment an. Niemals würde sie den Tag vergessen, an dem sie Jamison zum ersten Mal über den Weg gelaufen war – wortwörtlich, sozusagen. Von ihm gehört hatte sie ja schon vorher. Jamison Mallory war vom Panorama Magazin mehrfach zum „Heißesten Junggesellen des Universums“ gewählt worden und somit so ziemlich jeder Frau in den USA ein Begriff. Groß, sonnengebräunt, mit seinem durchtrainierten Körper, dem blonden Haar und den blauen Augen genügte sein typisches strahlendes Lächeln, um die Frauen reihenweise dahinschmelzen zu lassen.

Mit einem Harvard-Abschluss in Jura und als jüngster U.S. Senator war Jamison an seine Uni zurückgekehrt, um eine Rede für die Abschlussfeier der Absolventen zu halten. Dort waren sie aufeinandergestoßen, und zwar buchstäblich. Olivia kam von einer Probe der Harvard Ballett Company und lief eilig um eine Ecke, als es passierte. Die Tasche mit ihrer Trainingskleidung und ihren Büchern war zu Boden gefallen, und Jamison hatte geholfen, Olivias Ballettschuhe unter einem Strauch hervorzuholen. Irgendwo zwischen „Tut mir leid!“ und „Freut mich, dich kennenzulernen, Olivia“ hatte er gefragt, wohin sie wolle. Vor lauter Aufregung hatte sie etwas über ihre Ballettaufführung am nächsten Abend heruntergespult und nicht mal im Traum damit gerechnet, dass er am nächsten Abend dort auftauchen würde, und auch noch in der Mitte der ersten Reihe.

Immerhin war er Jamison Mallory, und sie war eine schüchterne Erstsemester-Studentin, die zudem kaum Erfahrung mit Männern hatte. Bevor sie Jamison traf, war Tanz ihre einzige Liebe gewesen.

Doch es hatte bei ihnen beiden wie ein Blitz eingeschlagen. „Als ich dir die Ballettschuhe gab und in deine Augen schaute, wusste ich, dass ich den Rest meines Lebens mit dir verbringen will“, hatte Jamison ihr nicht nur einmal versichert.

„Es war Liebe auf den ersten Blick“, hatte er mit seinem umwerfenden Lächeln den Reportern erzählt. „So schlimm hat es mich noch nie erwischt, und ich wusste einfach: Sie ist die Richtige!“

Wo war all das geblieben?

Über den alltäglichen Kleinigkeiten schienen sie einander und das, was wirklich wichtig war, aus den Augen verloren zu haben. Als ob die Perspektive sich verschoben hätte … Und wenn sie nicht mal diese Alltäglichkeiten überwinden konnten, wie sollten sie dann ihr wirkliches Problem lösen?

Als sie in die Küche ging, um das nicht angerührte Essen wegzuräumen, fühlte Olivia sich bleischwer. Bisher hatten sie und Jamison Heiligabend immer mit Olivias Familie und den ersten Weihnachtstag mit dem ganzen Mallory Clan im herrschaftlichen Haus seiner Mutter in den Berkshires verbracht. In diesem Jahr hatte Olivia ihren Eltern und ihren drei Geschwistern abgesagt. Deren ganzes Leben schien sich um das Armstrong-Institut für Fertilisationsmedizin zu drehen. Bis auf das ihres Bruders Paul vielleicht, der vor Kurzem seine große Liebe in Ramona Tate gefunden hatte; kennengelernt hatten die beiden sich allerdings auch im Institut.

Olivia wollte den ersten Abend mit ihrem Mann allein verbringen, nur sie beide. Dass sie nun ganz allein sein würde, hatte sie ja nicht ahnen können.

Niemand in der Familie wusste von ihrer Trennung auf Probe. Auch nicht, dass Jamison während der Sitzungsperiode des Kongresses gar nicht mehr heimgefahren war, weder an den Wochenenden noch wenn Sitzungen ausfielen. Sie hatten allen erzählt, er sei bis Weihnachten intensiv eingebunden in seine Arbeit für ein Gremium. Das hatte so einleuchtend geklungen, dass niemand einen Verdacht hegte, wie es wirklich um ihre Ehe stand.

Olivia sandte ein Stoßgebet gen Himmel, dass ein Weihnachtswunder geschehen möge; denn nur ein Wunder konnte sie jetzt noch retten.

Jamison blinzelte einen Moment lang irritiert in die Sonnenstrahlen, die durch einen Spalt in den weißen Fensterläden direkt auf sein Gesicht fielen. Dann setzte seine Erinnerung wieder ein: Er war zu Hause.

Auch ohne den Blick zum Wecker auf dem Nachtisch hätte er gewusst, dass es halb acht war. Seine innere Uhr weckte ihn immer um diese Zeit, selbst wenn er wie heute nur vier Stunden geschlafen hatte. Weiterschlafen klappte in der Regel nicht, also konnte er ebenso gut aufstehen. Gegen Mittag musste er sich mit Olivia auf die zweistündige Fahrt zur Weihnachtsfeier bei seiner Mutter machen.

Als er sich streckte, streiften seine Arme die kalte, unberührte Seite des Kingsize-Betts. Ein weiterer Morgen, an dem er allein aufwachte – noch dazu am Weihnachtsmorgen im Gästezimmer seines eigenen Hauses. Wie viel lieber läge er jetzt in seinem eigenen Bett mit Olivia im Arm!

Bei seiner Rückkehr letzte Nacht war er so erschöpft gewesen, dass er kaum einen zusammenhängenden Satz herausgebracht hatte. Obwohl ihm gar nicht danach gewesen war, allein im Gästezimmer zu schlafen, hatte er Olivia nach den zweieinhalb Monaten Trennung nicht zu nahe treten wollen und schon gar nicht darüber diskutieren müssen, wo er nun schlafen sollte.

Seine Erschöpfung und die Unsicherheit, wie Olivia nach der Trennungszeit wohl zu ihm stehen mochte – eine gefährliche Mischung, wie ihm selbst bewusst war –, hatten ihn am Vorabend in eine gereizte Stimmung versetzt.

Doch jetzt, hier in der hellen Morgensonne, fühlte er sich wieder besser und frisch gestärkt. Er wollte mit seiner Frau besprechen, wie es weitergehen sollte, bevor sie dem Rest der Familie gegenübertreten mussten. Nach einer ausgiebigen Dusche rasierte er sich, kleidete sich an und ging durch das stille dunkle Haus in die Küche, in der Hoffnung auf einen heißen, starken Kaffee – und Olivia.

Schon bevor er das Licht in der Küche einschaltete, sah er, dass alles wieder blitzblank aufgeräumt war. Als er das Aroma von etwas Köstlichem wahrnahm, vermischt mit dem zarten Duft des Spülmittels und den letzten Resten des Kaminfeuers, fiel ihm wieder ein, dass Olivia ihm etwas zu essen angeboten hatte.

Er atmete tief durch und sog mit den Düften die behagliche Atmosphäre seines Heims ein. Doch sofort befiel ihn ein Schuldgefühl: Seine Frau hatte wahrscheinlich mehrere Stunden in der Küche gestanden, um ein leckeres Weihnachtsessen zuzubereiten, und er hatte es nicht mal gegessen. Stattdessen war er zu Bett gegangen und hatte geschlafen, während sie auch noch alles allein wieder weggeräumt und abgewaschen hatte.

Sie noch schlafen zu lassen und ihr dann einen Kaffee zu kochen war ja wohl das Mindeste, was er jetzt für sie tun konnte, befand er.

Nein, noch besser: Er würde ihr Frühstück ans Bett bringen!

Vor ihrer Trennung war ihm die Küchenarbeit ein Buch mit sieben Siegeln gewesen. Inzwischen konnte er zumindest eine anständige Portion Rühreier zubereiten. Der Trick war, sie bei geringer Hitze zu garen, sodass sie nur langsam stockten und außen nicht trocken wurden. Man musste mit Bedacht vorgehen.

Und das musste er auch im Hinblick auf seine Ehe. Denn was er noch gelernt hatte, war, wie sehr er seine Frau liebte! Er vermisste sie so sehr! Er vermisste das ‚Wir‘. Höchste Zeit, all diese überflüssigen Streitereien und Schuldzuweisungen hinter sich zu lassen und nach vorn zu schauen. Zeit, einander wieder mit Wertschätzung, Respekt und Verständnis zu begegnen.

Dabei lag der Auslöser ihrer Probleme ausgerechnet in dem, was ihnen beiden am meisten bedeutete: in der Familie. Oder vielmehr darin, dass ihnen zu ihrer eigenen kleinen Familie bisher etwas fehlte.

Es war einfach so verzwickt! Er fühlte sich hin- und hergerissen. Einerseits wäre Olivia bestimmt eine ganz wunderbare Mutter. Andererseits – wie konnte man Kinder in die Welt setzen, wenn die Beziehung nicht stabil war?

Wenn sie nicht mal mehr richtig zusammenlebten?

Sie mussten wirklich dringend miteinander reden und wieder zu ihrer einstigen Ausgewogenheit zurückfinden. Doch als Erstes musste er Olivia leider noch etwas ganz anderes beibringen – dass er nämlich früher als geplant nach Washington zurückmusste. Genau genommen bereits morgen früh und nicht erst am dritten Januar.

Das würde bei Olivia sicher genauso wenig gut ankommen wie der Umstand, dass er den gemeinsamen Urlaub absagen musste. Offenbar waren die Umstände zurzeit nicht gerade mit ihnen.

Jamison ging zum Kühlschrank und zog die beiden Edelstahltüren auseinander. Alle Packungen, Gläser und Vorratsbehälter waren ebenso ordentlich und übersichtlich eingeräumt wie alles andere in der Küche auch.

Eines der vielen Dinge, die er an seiner Frau so schätzte, war die Hingabe, mit der sie ihr Zuhause in Ordnung hielt. Er hatte ihr angeboten, einen Koch und eine Haushälterin einzustellen. So hätte sie mehr Zeit für sich und ihre Arbeit für das Kinderheim, eine karitative Einrichtung, zu deren Vorstandsmitgliedern sie gehörte. Doch Olivia hatte abgelehnt. Sie kochte leidenschaftlich gern und sehr gut. Solange sie nur zu zweit waren, wollte sie sich, abgesehen von einer gelegentlichen Hilfe für den gründlichen Hausputz, selbst um ihren Haushalt kümmern. Es machte ihr einfach Freude, ein gemütliches Heim zu schaffen. Ihr Zuhause und die Familie kamen bei Olivia an allererster Stelle.

Deshalb war es umso bedauerlicher, dass ihr Kinderwunsch bisher unerfüllt geblieben war. Was hatten sie nicht schon alles unternommen! Und nichts davon hatte zum Erfolg geführt. Die ganzen Tests und Behandlungen waren wie eine emotionale Achterbahnfahrt gewesen und hatten schließlich zu einer Zerreißprobe für ihre Ehe geführt. Und das, wo doch eigentlich die Ehe das Fundament sein sollte, auf das die Familie gebaut wird!

Auch wenn Liv der Gedanke nicht gefallen würde, wollte er ihr vorschlagen, die Kinderfrage zurückzustellen, bis sie mit ihrer Beziehung wieder ganz im Reinen waren. Aus Jamisons Sicht war nur diese Reihenfolge vernünftig.

Doch eins nach dem anderen. Zunächst musste er ihr beibringen, dass aus den kommenden gemeinsamen Tagen nichts wurde.

Jamison nahm Eier, Butter und Cheddarkäse aus dem Kühlschrank und drehte sich gerade mit vollen Händen um, als Olivia in der Küche erschien.

„Guten Morgen!“, begrüßte er sie. „Ich dachte, du schläfst noch.“

Sie schüttelte den Kopf. „Und ich dachte, du würdest ausschlafen, wo du doch so spät nach Hause gekommen bist.“

Sie ist irgendwie befangen, nicht so unbeschwert wie sonst, stellte Jamison schmerzlich berührt fest. Dabei sah sie bildschön aus, wie immer perfekt geschminkt und gekleidet. Ihr dunkles Haar hatte sie hochgesteckt, was ihren zarten Teint, die feinen Wangenknochen und ihre ausdrucksstarken, braunen Augen wunderbar zur Geltung brachte. Und sie trug die Perlenkette, die er ihr zur Hochzeit geschenkt hatte. Jamison verspürte eine fast schmerzhafte Sehnsucht nach seiner Frau.

„Was machst du da?“, fragte sie leise.

Jamison war etwas verlegen, fühlte sich beinahe ertappt, dass er sich ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten in der Küche zu schaffen machte. Dies war sonst ausschließlich Olivias Reich. In den ganzen sieben Jahren, die sie jetzt verheiratet waren, hatte er kaum je einen Fuß in diesen Raum gesetzt, geschweige denn, dass er etwas zu essen vorbereitet hätte.

„Ich wollte dir Frühstück machen.“ Er grinste unsicher und kam sich etwas albern vor.

„Das musst du aber nicht. Leg das mal wieder weg, und lass mich das machen. Ich hab ein ganz besonderes Frühstück eingeplant.“

Natürlich hatte sie das. Schließlich war ja Weihnachten, fiel ihm ein.

„Klar, ich hatte nur gedacht …“ Ihre Blicke trafen sich nur kurz, dann schaute sie weg. Diesmal spürte er ganz deutlich die Befangenheit zwischen ihnen. Vermutlich war er so sehr darauf fixiert gewesen, die Weichen neu zu stellen, dass er übersehen hatte, dass es vielleicht erst mal etwas aufzuarbeiten gab. Die Zuversicht, die ihn noch vor wenigen Minuten beflügelt hatte, schwand, und Unsicherheit erfasste ihn. Wie sollte er sich jetzt richtig verhalten? Er war ratlos.

Da er nicht reagierte, ging Olivia auf ihn zu und nahm ihm die Lebensmittel aus der Hand. Sie verfiel in ihren üblichen Arbeitsmodus, räumte die Sachen in den Kühlschrank zurück und nahm andere heraus. Jamison stand tatenlos daneben und kam sich überflüssig vor.

Da die Kaffeemaschine noch nicht in Betrieb war, könnte er sich vielleicht darum kümmern. Wo waren doch gleich die Kaffeebohnen? Er öffnete nacheinander mehrere Küchenschranktüren.

„Was suchst du denn?“, fragte Olivia.

„Kaffee“, gab er zurück.

„Der ist im Gefrierfach.“ Sie deutete auf das Fach unterhalb des Kühlschranks. „Ich bewahre ihn dort auf, weil er da länger frisch bleibt. Ich trinke zurzeit keinen Kaffee.“

„Tatsächlich? Also möchtest du jetzt keinen Kaffee?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Wieso das denn? Du liebst doch Kaffee!“

Olivia drehte sich um und warf ihm einen fast ärgerlichen Blick zu. Ihr Tonfall klang leicht ungehalten. „Jamison, ich trinke seit fast zwei Jahren keinen Kaffee mehr! Hast du vergessen, dass der Doktor empfahl, Koffein besser von meinem Speiseplan zu streichen, wenn wir versuchen, schwanger zu werden?“

Versucht haben wir es in den letzten Monaten ja wohl eher nicht, dachte er. Unglücklich kramte er im Gefrierschrank nach dem Kaffee und fühlte sich schuldig. Wenn es um seinen Job ging, merkte er sich alles und jeden, aber offenbar hatte er vergessen, dass seine Frau während der Fruchtbarkeitsbehandlung keinen Kaffee trinken durfte. Schwaches Bild!

Als er eine noch nicht angebrochene Packung Kaffeebohnen mit französischer Röstung hervorzog, stand Olivia schon parat, um sie ihm abzunehmen.

Doch diesmal ließ er nicht locker.

„Ich kann das machen!“, sagte er.

„Seit wann kannst du denn Kaffee kochen?“ Sie griff nach der Packung, doch er ließ nicht los.

„Seit du nicht da warst, um mir welchen zu kochen.“ Er schaute ihr fest in die Augen. Für einen Moment konnte er dort die verschiedensten Emotionen aufblitzen sehen – Überraschung, Verletztheit, Enttäuschung, vielleicht auch eine Mischung aus alldem …

„Ich mache das für dich“, beharrte sie. Dann schienen alle Gefühle plötzlich verschwunden zu sein, und ihre Stimme klang ausdruckslos, ohne jegliche Wärme.

Diese unsichtbare Mauer zwischen ihnen konnte Jamison kaum aushalten. So konnte es nicht weitergehen!

Jamison schaute auf die Kaffeepackung hinunter. Seine Hände waren ganz dicht neben Olivias, doch ohne dass sie sich berührten. Er streckte einen Finger aus, bis er Olivias Hand spürte. Sie zuckte zusammen und zog ihre Hand weg. Hastig machte sie mit der Vorbereitung des Frühstücks weiter, nahm mit zittrigen Händen Eier aus der Schachtel.

„Liv“, sagte er, „wir müssen darüber reden! Das geht nicht einfach so von selbst vorbei!“

Sie legte die Eier in eine Schüssel und hielt dann inne, sagte aber nichts.

„Ich weiß nicht, wie es dir geht“, fuhr er fort, „aber ich hab dich so sehr vermisst, dass ich es kaum aushalten konnte.“

Olivia schloss ihre Hände so fest um den Rand der Arbeitsplatte, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.

„Es tut mir leid, dass das gestern Abend nicht so gelaufen ist, wie wir uns das gedacht hatten. Vielleicht hättest du besser zu deinen Eltern fahren sollen, nachdem klar war, dass mein Flug so viel Verspätung haben würde.“

Als Olivia hilflos die Schultern hob, grauste Jamison schon davon, ihr auch noch sagen zu müssen, dass er schon am nächsten Tag wieder nach Washington zurückfliegen musste.

„Darauf hattest du ja keinen Einfluss, Jamison. Das ist mir doch klar“, sagte sie.

Schließlich drehte sie sich zu ihm um und schaute ihn an. „Aber im Gästezimmer zu schlafen – das war deine Entscheidung!“

„Wie bitte?“ Er hatte zwar gespürt, dass etwas sie bedrückte, und hatte gehofft, dass sie es ansprechen würde. Doch dass es um seine Übernachtung im Gästezimmer ging, überraschte ihn doch. Offenbar interpretierte sie da etwas hinein, das ihm völlig fernlag.

„Du hast mich doch gehört!“ Sie presste ihre Hände so fest zusammen, dass wieder die Knöchel hervortraten. Dabei wirkte sie so klein und zart, dass Jamison fast befürchtete, ihre schmalen Finger könnten brechen wie ein kleiner Zweig.

„Liv, ich war fix und fertig!“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. „Ich war sogar zu müde, dich zu fragen, wo ich schlafen sollte! Ich wollte dir in dieser Situation einfach nicht zu nahe treten!“

Er berührte ihre Hände in der Hoffnung, sie damit beruhigen zu können. „Aber heute ist ein neuer Tag, und wir müssen ein paar Dinge besprechen, bevor wir zu meiner Mutter fahren.“

Olivias Gesichtsausdruck blieb unbeweglich, doch Jamison entging nicht, dass sie schlucken musste.

„Zum Beispiel?“, fragte sie.

„Zum Beispiel, ob wir der Familie sagen sollen, dass wir getrennt leben. Auch wenn ich dich noch so sehr liebe, kann ich ihnen schlecht etwas vorspielen. Was sollen wir tun, Liv? Was sagen wir ihnen?“

2. KAPITEL

Stanhope Manor erstrahlte weithin sichtbar in weihnachtlichem Lichterglanz. Als Jamison und Olivia in die lange, mit Pflastersteinen ausgelegte Zufahrt zum Haus einbogen, sahen sie Scharen von Kindern, die sich im Neuschnee tummelten. Einige lagen auf dem verschneiten Rasen und formten Schneeengel, andere bauten gemeinsam einen Schneemann. Ein bittersüßes Gefühl überkam Olivia, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. So gern würde sie daran glauben, dass eines Tages auch ihre Kinder dabei sein würden!

Doch an diesem Weihnachtsmorgen schien dieser schöne Traum so weit entfernt wie nie zuvor. Erst hatte Jamison ihr eröffnet, dass er schon morgen wieder nach Washington zurückfahren wollte, um gleich hinterherzuschieben, dass er die Familienplanung erst mal auf Eis legen wollte. Damit hatte sie absolut nicht gerechnet, und für den Rest der Fahrt in die Berkshires hatte sie sich in Schweigen gehüllt. Was hätte sie dazu auch sagen sollen? Jamison wollte das genaue Gegenteil von dem, was sie wollte. Er beharrte darauf, dass sie erst dann Kinder in die Welt setzen sollten, wenn ihre Paarbeziehung wieder funktionierte. Doch aus Olivias Sicht funktionierte die Beziehung deshalb nicht, weil der Kinderwunsch bisher unerfüllt geblieben war. Wie sollte sie allein glücklich sein, während Jamison immer häufiger in Washington war?

Selbst ihre wenigen gemeinsamen Weihnachtstage sollten jetzt einem überraschenden Geschäftsbesuch zum Opfer fallen. Bisher war Olivia stolz darauf gewesen, die ehrgeizigen beruflichen Pläne ihres Mannes immer mitgetragen und ihn unterstützt zu haben. Doch allmählich schien es ihr, dass, je mehr sie zurücksteckte, ihre eigenen Wünsche immer mehr in den Hintergrund traten. Ihr ganzes Leben schien aus dem Gleichgewicht zu geraten. Und eine Änderung stand offenbar nicht auf Jamisons Liste seiner guten Vorsätze für das neue Jahr.

Sie versuchte, ihm klarzumachen, dass es niemals einen perfekten Zeitpunkt gab, um Kinder zu bekommen. Diese Vorstellung von optimalen Voraussetzungen schien ihr eher wie ein Vorwand von Jamison, es immer weiter aufzuschieben. Was trieb ihn nur dazu, jetzt auf einmal so zögerlich zu sein? Irgendetwas musste doch dahinterstecken? Doch ganz gleich, wie sehr sie ihm nahezubringen versuchte, dass ein Kind ihre Beziehung bereichern würde – er ließ sich nicht überzeugen und wiederholte nur: „Wir müssen erst mal zu zweit klarkommen.“

Was also blieb ihr noch übrig?

Nachgeben?

Aufgeben?

Auf keinen Fall! Sie würde doch ihre Zukunft nicht einfach aufgeben!

Die Situation war verfahren. Einig waren sie sich lediglich darüber, ihre Trennung vorerst für sich zu behalten, bis sie Gelegenheit hatten, ausführlich miteinander zu sprechen und Klarheit zu finden. Der Gedanke, Jamisons Familie die glückliche Ehefrau vorspielen zu müssen, erfüllte Olivia mit Angst. Doch die Probleme vor ihnen auszubreiten war erst recht keine Alternative. Es war ein regelrechter Teufelskreis, in dem sie gefangen war.

Als Jamison den Wagen in die überdachte Vorfahrt des Portals fuhr, fühlte Olivia sich wie gelähmt. Es erschien ihr unmöglich, nach der unseligen Diskussion mit Jamison jetzt auf Kommando ein glückliches Gesicht aufzusetzen und ihrer Schwiegermutter und der ganzen Verwandtschaft gegenüberzutreten. Doch hatte sie eine Wahl? Mit einem tiefen Atemzug warf sie einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die Kinder und machte sich auf in die Höhle der Löwen.

Ihr einziger Trost war Jamisons ungebrochene Loyalität ihr gegenüber, ganz gleich, wie es gerade zwischen ihnen stand. Wenn seine Mutter, Helen Mallory, wieder ihre Machtspielchen begann und taktlose Bemerkungen hinsichtlich des ausstehenden Enkelkindes machte, sprang Jamison seiner Frau sofort zur Seite. Auch das ewige Thema, dass Jamison das Haus in Boston aufgeben und nach Stanhope Manor ziehen sollte, ließ nie lange auf sich warten. Zwar argumentierte sie immer mit seinem Geburtsrecht als ältestem Sohn, doch das war nur vorgeschoben. Sie wäre keinesfalls ausgezogen, wenn Jamison und Olivia eingezogen wären. Es war offensichtlich, dass es ihr in erster Linie darum ging, am wachsenden Einfluss ihres Sohnes teilzuhaben. Mit einem möglichen Präsidentschaftskandidaten unter einem Dach zu leben war für Helen eine willkommene Gelegenheit, ihre eigene Position in ihren Gesellschaftskreisen zu stärken, das hatte sie früher bereits mit der Stellung ihres Ehemanns so gehalten.

Stanhope Manor war schon seit sieben Generationen im Besitz der Familie und immer auf den jeweils ältesten Sohn übergegangen. Doch Jamison hatte mit seinen gerade mal neununddreißig Jahren noch reichlich Zeit, seine Kinder in dem Anwesen aufwachsen zu sehen, so wie er selbst mit seinen fünf jüngeren Brüdern dort aufgewachsen war.

Prinzipiell war Olivia durchaus bereit, diese Familientradition aufrechtzuerhalten, doch es war einfach zu früh. Was sollte ein junges Paar mit einem so weitläufigen Anwesen von fast zweitausend Quadratmetern mit elf Schlafzimmern anfangen, wenn noch nicht mal das erste Kind geboren war?

In Boston hatte Olivia wenigstens ihre Familie und ihre ehrenamtliche Arbeit. Das gegen ein Zusammenleben mit ihrer Schwiegermutter einzutauschen wäre eine tickende Zeitbombe, umso mehr, als Jamie so viel Zeit in Washington verbrachte und der Kinderwunsch sich nicht ohne Weiteres erfüllen ließ.

Boston bedeutete zwei Stunden Sicherheitsabstand zu Helen. Glücklicherweise rief Helen nur selten in Boston an und ignorierte Olivia ansonsten. So waren Helens Sticheleien, weshalb Olivia immer noch nicht schwanger war, auf Gelegenheiten wie diesen obligatorischen Weihnachtsbesuch beschränkt.

Dabei hatten sie Helen sogar anvertraut, dass sie schon einiges unternommen hatten, um schwanger zu werden; trotzdem ritt Helen auf dem Thema herum, als hätten sie eine Wahl. Bisweilen kostete es Olivia ihre ganze Selbstbeherrschung, Helen nicht gehörig die Meinung zu sagen. Doch mit Rücksicht auf Jamison wollte sie die ohnehin schon komplizierte Beziehung zu seiner Mutter nicht noch weiter belasten.

Jamison konnte seinerseits gut nachfühlen, was es für Olivia bedeutet hätte, mit seiner Mutter unter einem Dach leben zu müssen. Sosehr er sein Elternhaus auch liebte und sich darauf freute, irgendwann wieder dort zu leben, so stand er doch seiner Frau zur Seite und wies seine Mutter notfalls auch mal in die Schranken, wenn sie es mal wieder gar zu arg trieb mit ihrer Einmischung in Themen wie Familienplanung und Umzug.

Als der Jaguar vor dem Portal hielt, öffnete ein Bediensteter die Wagentür und half Olivia beim Aussteigen. Jamison stieg ebenfalls aus, ging um den Wagen herum und nahm Olivias Hand. Schließlich mussten sie das glückliche Paar spielen.

„Alles in Ordnung?“, fragte er.

„Ernsthaft?“ Sie funkelte ihn an. „Nein, es ist nicht alles in Ordnung!“

Sein Lächeln verschwand. Doch bevor er etwas entgegnen konnte, wurde die reich mit Schnitzereien verzierte Eingangstür geöffnet, und ein uniformierter Portier begrüßte sie.

„Frohe Weihnachten, Sir, Madam.“

Jamison setzte sein professionelles Lächeln wieder auf. „Frohe Weihnachten.“

Olivia nickte höflich. Sie hatte den Mann noch nie gesehen; offenbar gehörte er nicht zu den festen Angestellten, die hier auf dem Anwesen wohnten. Helen hatte für die Feiertage vermutlich zusätzliches Personal angeheuert. Auch nach dem Tod ihres Mannes und dem Auszug ihrer sechs erwachsenen Söhne herrschte sie unerschütterlich über ihr Reich und organisierte alles bis ins Letzte.

„Mrs. Mallory ist im großen Salon. Bitte folgen Sie mir.“

„Danke, aber das ist nicht nötig. Ich kenne den Weg. Ich bin hier aufgewachsen.“

Der Portier trat einen Schritt zurück und beschränkte sich auf eine wegweisende Geste. „Sehr wohl, Sir. Angenehme Feiertage.“

Ihre Schritte hallten auf dem Marmorboden. Die Eingangshalle erinnerte ein wenig an ein Museum, in dem man besser still war. Als sie durch den langen Säulengang zum großen Salon auf der Rückseite des Hauses gingen, sagte keiner von beiden ein Wort.

Generationen von Mallorys bis zurück zum Unabhängigkeitskrieg schmückten in großen vergoldeten Rahmen die Wände und schienen Jamison und Olivia hinterherzuschauen. Heute war das Olivia noch unangenehmer als sonst, und sie hielt ihren Blick fest auf das Ende des Flurs gerichtet.

Im großen Salon perlte eine Harfenistin Weihnachtslieder herunter, die in dem Geräuschpegel der mindestens fünfundsiebzig Gäste im großen Salon jedoch fast untergingen. Ein riesiger Weihnachtsbaum stand vor dem Panoramafenster an der Westseite, durch das der schneebedeckte Rasen und der zauberhaft vereiste Teich schimmerten. Dahinter erhoben sich die Berge wie eine majestätische Kulisse. Das Feuer in dem mächtigen Kamin prasselte schwer, und die Luft war schon ein wenig verbraucht von all den vielen Menschen, die sich unterhielten und lachten. An der Wand gegenüber dem Fenster stand fast über die ganze Raumlänge ein antiker Tisch mit köstlichen Vorspeisen aufgebaut, an dem sich die Gäste bedienten.

In der Mitte des Raums hielt Helen Mallory Hof im Kreise ihrer engsten Vertrauten, die sich pflichtschuldig um sie versammelt hatten. Ihr silbergraues Haar, der Hosenanzug aus weißem Kaschmir und die vielen Diamanten verliehen ihr die Aura einer Eiskönigin. Als Jamison und Olivia eintraten, blickte Helen auf.

„Ihr Lieben, da seid ihr ja endlich! Ich dachte schon, ihr kommt gar nicht mehr!“ Sie schwenkte ihr Glas, wobei der Inhalt überschwappte. Es war kaum Mittag, und nach dem Glas zu urteilen, das Helen wie ein Zepter hochhielt, war sie nach den traditionellen Weihnachts-Cocktails mit Granatapfel bereits zu den Martinis übergegangen.

Jamison küsste Helens Wange.

„Frohe Weihnachten, Mutter. Du siehst … gut aus. Wir wären früher gekommen, aber mein Flug gestern hatte Verspätung, und ich war erst um drei Uhr heute früh zu Hause.“

Helen streckte ihrer Schwiegertochter ihre schmuckbeladene Hand entgegen und sah sie missbilligend an.

„Frohe Weihnachten, Liebes. Du bist schön wie immer. Aber schrecklich dürr. Ich hatte gehofft, es würden sich endlich ein paar Rundungen zeigen.“

Sie entzog Olivia ihre Hand wieder und klopfte ihrer Schwiegertochter auf den flachen Bauch.

Olivia gab sich alle Mühe, die unangenehmen Blicke der Umstehenden zu ignorieren und die Fassung zu bewahren. Sie wusste schon, was gleich kommen würde. Drei, zwei, eins …, zählte sie in Gedanken runter.

„Wann bekomme ich denn endlich ein Enkelkind von euch?“

Genau auf den Punkt.

„Du weißt ja sicher, dass Payton wieder schwanger ist?“, setzte Helen etwas schleppend hinzu.

Heißer Schmerz durchfuhr Olivia, und sie musste gegen die aufsteigenden Tränen ankämpfen.

Payton. Die Frau von Jamisons jüngerem Bruder Grant. Die perfekte, fruchtbare Schwiegertochter. Man brauchte das Wort „Schwangerschaft“ in ihrer Nähe nur zu erwähnen, und schon war das nächste Kind unterwegs.

„Fang gar nicht erst an, Mutter“, raunte Jamison.

Helen seufzte und machte eine abwehrende Handbewegung, das Glas noch in der Hand. Wieder schwappte der Drink über den Rand und hinterließ diesmal einen feuchten Fleck auf ihrem weißen Anzug. Sie schien es nicht zu bemerken.

„Ich fange gar nichts an“, widersprach sie leicht nuschelnd. „Ich finde es nur schrecklich witzig, dass Olivias Vater einer der führenden Fertilisationsmediziner ist – der große Gerald Armstrong vom Armstrong-Institut – und sie trotzdem nicht schwanger wird! Das verstehe ich einfach nicht“, posaunte sie in die Runde, als seien Olivia und Jamison gar nicht anwesend.

Olivia wand sich und musste sich heftig auf die Lippen beißen, um ihrer Schwiegermutter nicht Paroli zu bieten.

Offensichtlich war Helen wieder mal betrunken. In dem Zustand hatte sie sich noch weniger unter Kontrolle als sonst. Es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer, und die ganze Familie schaute weg.

Doch diese Gehässigkeiten waren einfach unerträglich, umso mehr bei einem so sensiblen und zutiefst privaten Thema, über das Helen sich hier in aller Öffentlichkeit ausließ.

„Hör auf, Mutter!“, wiederholte Jamison nachdrücklich und legte seinen Arm um Olivia.

Eigentlich waren Helens Angriffe nichts Neues für Olivia, wenngleich sie sonst auch nicht so direkt in die Vollen ging, sondern sich allmählich steigerte. Doch heute, in dieser sensiblen Phase mit Jamison, fühlte Olivia sich völlig ausgeliefert und verletzlich, fast zerbrechlich.

Deshalb war sie höchst dankbar für Jamisons Geste und lehnte sich an ihn. Trotz allem symbolisierte ihr Mann noch immer Solidarität und Schutz in dieser Situation.

Zumindest das hatte sich nicht geändert.

Bevor Helen etwas erwidern konnte, erklang eine helle Stimme in die peinliche Stille hinein.

„Fröhliche Weihnachten alle miteinander!“ Payton kam herangewatschelt mit einer Babykugel unter dem grünen Umstandskleid, die weit mehr als erst den fünften Schwangerschaftsmonat vermuten ließ. Allerdings war dies schon ihr viertes Kind.

Das vierte Baby in viereinhalb Jahren. Der Gedanke brannte wie Feuer in Olivias schlankem Leib.

„Payton, Liebes.“ Helen erhob sich und schloss ihre Lieblingsschwiegertochter zärtlich in ihre Arme. „Wie geht es dir, mein Schatz?“

Payton strich sich eine kastanienbraune Locke aus ihrem rosigen, sommersprossigen Gesicht, strahlte und legte die Hände auf ihren runden Bauch. „Es ging mir nie besser.“

Helen trat einen Schritt zurück, die Hände immer noch an Paytons Seiten. „Das sieht man. Du leuchtest ja förmlich!“

Payton sonnte sich in dem Lob. „Schwanger geht es mir immer am besten.“

Wie schön für sie, sie ist ja ständig schwanger, dachte Olivia bitter. Sieht aus, als produzierten sie und Grant an jedem Hochzeitstag ein weiteres Kind.

„Komm, setz dich! Setz dich zu mir! Du solltest jetzt nicht so viel stehen.“ Helen ließ sich wieder auf dem Sofa nieder und klopfte auf das Kissen neben ihr.

„Ach, Mom, wir haben schon den ganzen Vormittag im Auto gesessen.“ Payton rieb sich ihr Kreuz und streckte den Bauch dabei noch weiter heraus. „Aber einen Moment geht es schon noch zum Plaudern.“

„Weißt du, wenn du mir weiterhin so viele Enkelkinder schenkst, zieht ihr am besten zu mir nach Stanhope Manor. Hier ist Platz genug für uns alle. Jamison scheint daran ja kein Interesse zu haben.“

Während Payton sich neben ihre Schwiegermutter sinken ließ, warf Helen ihrem Sohn einen vielsagenden Blick zu.

„Es wäre sicher wundervoll, hier bei dir zu wohnen. Ich könnte dich glatt beim Wort nehmen“, sagte Payton.

Nur über meine Leiche, schien Jamisons finsterer Blick zu sagen. Das kam nicht nur wegen der Entgleisung seiner Mutter vorhin, dachte Olivia. Er will sich nicht sein Elternhaus von seiner geltungssüchtigen Schwägerin abjagen lassen.

Vielleicht denkt er mal darüber nach, dass dieses Thema sich sofort erledigt hätte, wenn wir ein eigenes Kind hätten. Helen würde allerdings wohl selbst bei einem Dutzend Kindern ihren Platz in Stanhope Manor nicht räumen.

Payton schien Olivias Blick gespürt zu haben. Sie lächelte Jamison und Olivia zu und sagte: „Lange nicht gesehen! Wie geht es euch?“

Sie redeten über Unverfängliches, bis Grant hereinkam, einen Kindersitz in der Hand, ein Kleinkind auf dem anderen Arm und seinen ältesten Sohn im Gefolge. Er schenkte jedem sein strahlendes Lächeln, das jeder Zahnpastawerbung Ehre gemacht hätte, und begrüßte seine Mutter mit einem Kuss auf die Wange.

Grant war ein Spätstarter in der Politik und hatte im letzten Jahr einen Sitz im Kongress von New Hampshire gewonnen. Er und Jamison hatten schon immer miteinander gewetteifert. Es war ein ungeschriebenes Gesetz in der Familie, dass das Weiße Haus allein Jamisons Ziel sein konnte; doch abgesehen davon stand Grant alles offen.

Olivia fragte sich, ob diese Rangfolge auch für Stanhope Manor galt. War es Helen tatsächlich ernst gewesen, Payton und Grant das Haus anzubieten, oder wollte sie Jamison und Olivia damit nur unter Druck setzen? Doch damit mochte Olivia sich jetzt nicht auch noch auseinandersetzen. Das Thema musste warten, bis es wirklich konkret wurde – falls das je eintreten sollte.

„Fröhliche Weihnachten, mein Sohn“, begrüßte Helen ihren Zweitältesten. „Wo ist denn eure Nanny? Ihr habt ihr doch wohl nicht freigegeben? Gerade jetzt kann deine Frau jede Hilfe gebrauchen.“

Grant und Payton hatten ihre Nanny Ingrid extra aus Schweden einfliegen lassen, und da Payton sich gern mit ihr brüstete, überraschte Grants Antwort ein wenig: „Sie ist über die Feiertage nach Hause geflogen.“

„Oh du Ärmste!“, flötete Helen mit Blick auf Payton. „Wie schaffst du das nur?“

Während sich Payton über ihren anstrengenden Alltag als gestresste Mami ausließ, war Olivia heilfroh, dass sie nicht mehr in Helens Fokus stand.

Sie mochte Paytons Berichte nicht mit anhören, also verließ sie die Gruppe und gesellte sich möglichst weit entfernt zu anderen Gästen. Doch auch dort waren Paytons Kindersegen und ihre aktuelle Schwangerschaft ein Gesprächsthema, und sowohl Freunde als auch Verwandte dachten laut darüber nach, weshalb Jamison im Gegensatz zu seinen jüngeren Brüdern noch immer kinderlos war.

Abgesehen davon, dass Schwangerschaft normalerweise das Ergebnis sexueller Begegnung war, die niemanden außer dem Paar etwas anging, machte sich offenbar niemand Gedanken darüber, wie schmerzhaft diese höchst private Frage unter gewissen Umständen sein konnte, wenn nämlich alle medizinischen Möglichkeiten nicht zum Erfolg geführt hatten. Wie konnten die Menschen nur so indiskret und unsensibel ein?

Da es auf natürlichem Wege nicht geklappt hatte, hatten Jamison und Olivia sich für künstliche Befruchtung entschieden, die im Reagenzglas stattfand. Dafür musste Olivia eine Hormonbehandlung über sich ergehen lassen, die die Produktion ihrer Eizellen steigern sollte.

Die Hormone hatten jedoch starke Nebenwirkungen, wie Kopfschmerzen, allgemeine Erschöpfung und Stimmungsschwankungen. Letztlich war Olivia davon so aus dem Gleichgewicht geraten, dass nun sogar ihre Ehe gefährdet war.

Dass etwas so Wundervolles, wie ein Baby bekommen zu wollen, solche Folgen haben konnte, hätte Olivia sich nie träumen lassen.

Wenn sie Jamison doch nur begreiflich machen könnte, dass es nur die Nebenwirkungen der Hormone waren, die ihr so zusetzten! Mit ihrer Beziehung an sich hatte das doch gar nichts zu tun. Und all das wäre ja vorüber, sobald sie endlich schwanger war!

Diesmal wird es klappen! Dieses Mal würde sie vorbereitet sein!

Der neue Arzt am Armstrong Institut für Fertilisationsmedizin, Dr. Chance Demetrios, war einer der weltweit führenden Experten auf diesem Gebiet. Ihr Bruder Paul hatte ihn direkt von einem Lehrkrankenhaus in San Francisco abgeworben. Olivia war schon einmal bei ihm gewesen, kurz bevor sie und Jamison sich auf Probe getrennt hatten. Dr. Demetrios hatte erklärt, es bestehe noch eine geringe Chance, dass sie schwanger werden könne, nicht groß, aber immerhin eine Chance. Während der schmerzhaften Trennung waren Olivia dann Zweifel gekommen, ob es wirklich richtig wäre, jetzt schwanger zu werden, wenn ihr Mann inzwischen so unsicher war, hinsichtlich der Familienplanung.

Doch als sie nun Payton sah, wurde Olivias Sehnsucht nach einem Baby übermächtig. Plötzlich schien es ihr, als dürfe sie keine Zeit mehr verlieren. Mochte Jamison auch zögern, sie fühlte sich mit ihren neunundzwanzig Jahren absolut bereit für ein Kind. Immerhin wurde sie ja nicht jünger! Wenn Jamison nicht mitmachen wollte, würde sie die Dinge in ihre eigenen Hände nehmen und notfalls auch ohne ihn schwanger werden.

Wenn sein Kind erst mal unter ihrem Herzen heranwuchs, würde Jamisons Freude doch alles andere überwiegen.

Oder?

Schon als Kind hatte Jamison sich gern in die stille Bibliothek zurückgezogen, mit ihrer Mahagoni-Vertäfelung und den endlosen Reihen von Büchern, die ihm wie vertraute alte Freunde erschienen waren. Wenn das Leben aus dem Ruder lief oder man ein Problem hatte, konnte man sich hier mit einem Buch auf die breite Fensterbank setzen. Manchmal hatte er sich einfach in einen Klassiker versenkt. Aber gelegentlich hatte er gedankenverloren den Blick über die Berge schweifen lassen, die sich wie ein endloses Gemälde in der Ferne erhoben.

Heute Nacht verdeckten Wolken wie ein samtschwarzer Vorhang den Mond und die Berge. Jamison legte einen Holzscheit im Kamin nach und setze sich mit seinem Weinglas in einen der Ledersessel vor dem Feuer.

Es war spät, eigentlich Zeit, heimzufahren. Doch er brauchte noch ein paar Minuten für sich allein, bevor er mit Olivia wieder zu einer langen, schweigenden Fahrt aufbrach.

Er konnte ihr nicht einmal übelnehmen, dass sie wütend auf ihn war. Ihm war klar geworden, dass er seit seiner Rückkehr aus Washington wirklich gedankenlos mit ihr umgegangen war. Selbst heute Abend, nachdem die Gäste fort waren, es ruhiger geworden war und die Familie die Geschenke geöffnet und ein paar Erinnerungsfotos geschossen hatte, war Olivia verstimmt gewesen. Nicht, dass sie das direkt gesagt hätte; eigentlich hatte sie nicht viel mehr als „Danke“ gesagt. Doch ihr ungläubiger Blick hatte ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, welch ein Missgriff dieser auffällige bunte Cocktailring war, der so gar nicht ihr Stil und auch noch mehrere Nummern zu groß war.

Aus Zeitnot hatte er seine Mutter gebeten, ein Geschenk für Olivia zu besorgen. Ein hübsches Schmuckstück. „Bitte etwas, das zu ihr passt und ihr gefällt.“

Als Olivia, die eleganten Perlenschmuck liebte, die Schachtel mit dem knallbunten klotzigen Ring öffnete, hätte Jamison den Deckel am liebsten sofort wieder geschlossen und behauptet, der Juwelier habe das falsche Stück eingepackt. An Olivias zarter Hand wirkte der Ring wie ein Golfball aus wild zusammengemixten bunten Glassteinen – etwas, das Jamison niemals für seine Frau gekauft hätte. Es war völlig offensichtlich, dass nicht Jamison, sondern seine Mutter diesen Ring ausgesucht hatte.

Wie hatte er nur so dumm sein können, ausgerechnet seine Mutter mit der Aufgabe zu betrauen, etwas für Olivia zu besorgen? Was verlangte er seiner Frau nur alles ab? Dieses lieblose Weihnachtsgeschenk war ja bereits der dritte Tiefschlag für sie an diesem Tag. Zuerst hatte er ihr seine Sicht vermitteln wollen, die Babypläne zurückzustellen; doch statt Verständnis hatte das nur Distanz erzeugt. Ihre Diskussion über Prioritäten und Verpflichtungen war ganz schnell in einer Sackgasse gelandet. Noch frostiger war das Klima zwischen ihnen geworden, als er erwähnt hatte, dass Olivia entgegen der ursprünglichen Planung die restlichen Feiertage ohne ihn verbringen musste, weil er sich um einen Botschafter kümmern musste, der überraschend seinen Besuch angekündigt hatte.

Die Flammen knisterten im Kamin.

Er kehrte doch nicht zum Vergnügen so früh nach Washington zurück! Das Treffen mit dem Botschafter war immens wichtig für seine Karriere. Olivia musste sich darüber klar sein, dass solche Dinge zu ihrem gemeinsamen Leben in der Politik gehörten, erst recht, wenn er es ins Weiße Haus schaffen wollte. Ganz besonders dafür musste ihre Ehe ein solides Fundament haben.

Das bedeutete ja nicht, dass er seine Frau weniger liebte. Ganz im Gegenteil! Gerade deshalb wollte er ja warten, bis sie miteinander wieder im Reinen waren. Jamison wusste, dass Kinder eine ganz eigene Dynamik in eine Beziehung brachten, und gab sich keineswegs der Illusion hin, dass sie eine angeknackste Ehe kitten konnten. Seine Familie war doch das beste Beispiel dafür. Er hatte aus nächster Nähe miterlebt, wie von der Ehe seiner Eltern unter dem Druck des öffentlichen Interesses nur eine hohle Fassade übrig geblieben war, notdürftig kaschiert von einem Deckmantel aus Lug und Betrug. Einzig der überraschende Tod seines Vaters hatte eine Scheidung verhindert.

Im Lauf der Jahrzehnte hatte seine Mutter sich mit dem Nimbus der tragischen Witwe eines glorreichen Beinahe-Präsidenten umgeben. Doch als ältester der sechs Söhne hatte Jamison die Wahrheit über das hochgeschätzte Paar Judson und Helen Mallory sehr wohl durchschaut, auch wenn sie vor den Augen der Öffentlichkeit sorgsam verborgen geblieben war.

Nachdenklich trank Jamison einen Schluck von seinem Cabernet Sauvignon.

Abgesehen vom politischen Ehrgeiz hatte er nicht viel mit seinem Vater gemein; schon gar nicht den Hang zu amourösen Abenteuern, der nicht nur dem Namen Mallory Schaden zufügen konnte, sondern auch für ständige Aufregung in der Familie gesorgt und seine Mutter in den Alkohol getrieben hatte. Wenn er eines aus der zermürbenden Ehe seiner Eltern gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass Kinder eine angeschlagene Beziehung nicht etwa retten konnten, sondern nur die Leidtragenden waren.

Als die Tür zur Bibliothek leise knarrte, hoffte Jamison, Olivia sei ihm gefolgt. Ein Lichtstrahl glitt über die Wand und verschwand wieder, als die Tür geschlossen wurde. Doch im Raum stand seine Mutter – groß und hocherhobenen Hauptes. Im Schein des flackernden Feuers wirkten ihre hageren Gesichtszüge noch schärfer. Sie schritt quer durch den Raum und nahm im Sessel neben Jamison Platz.

Er spürte ihren Blick fast so körperlich wie die Wärme des Feuers zu seinen Füßen. „Ich dachte mir schon, dass ich dich hier finde“, begann Helen. „Immer wenn dich irgendwas beschäftigte, hast du dich hier versteckt.“

„Ich verstecke mich nicht, Mutter. Ich genieße einfach die Stille.“

„Mach mir doch nichts vor!“ Sie drehte sich in ihrem Sessel zu ihm, sodass sie ihm frontal gegenübersaß, die Füße an den Knöcheln gekreuzt und die Hände auf ihrem Schoß gefaltet. „Ausgerechnet du würdest doch nicht vorzeitig eine Party verlassen! Es sei denn, etwas belastet dich.“

Jamison trank gemächlich einen Schluck Wein, um nicht sofort antworten zu müssen. Wirklich bemerkenswert, dachte er. Sie trinkt schon fast den ganzen Tag, und trotzdem durchschaut sie mich noch so gut. Sie hatte seinen Rückzug ganz richtig gedeutet. Vermutlich wäre es klüger gewesen, mit Olivia heimzufahren. Doch die Aussicht auf die lange Autofahrt allein mit Olivia erschien ihm in der derzeitigen Situation tatsächlich wenig verlockend. Er hatte gehofft, hier an seinem vertrauten Rückzugsort, in der Stille, inspiriert zu werden, wie er sich Olivia wieder annähern konnte.

„Ich bin einfach erschöpft“, sagte er schließlich. „So viel Arbeit und dann noch das Wetter – das sind nicht gerade erholsame Feiertage.“

Er stellte sein Weinglas auf den Beistelltisch, erhob sich und wandte sich dem Kamin zu, wo er mit dem Schürhaken die verbliebenen Holzscheite zusammenschob.

„Dass du erschöpft bist, ist ja nicht zu übersehen“, bemerkte Helen, der er jetzt den Rücken zuwandte. „Du bist schon den ganzen Tag nicht gut drauf. Bleibt doch über Nacht, und fahrt morgen ausgeruht zurück. Grant, Payton und die Kinder bleiben auch.“

Jamison stellte den Schürhaken in den Ständer für das Kaminbesteck zurück. „Vielen Dank, aber das geht leider nicht. Ich fliege morgen früh nach Washington zurück. Wir müssen jetzt auch los.“

Einen langen Moment herrschte Schweigen.

Dann sagte Helen: „Diesen Raum hast du immer geliebt. Zu schade, dass du ihn nicht öfter genießen kannst.“

Er hob die Achseln, drehte sich um und blickte seine Mutter an. „Ich kann momentan nicht mal mein eigenes Zuhause so oft genießen, wie ich gern möchte.“

„Weshalb fliegst du denn so schnell nach Washington zurück?“ Ihr forschender Blick ruhte auf ihm.

Jamison wandte sich wieder dem Kaminfeuer zu. „Ein überraschender Geschäftsbesuch hat sich kurzfristig angekündigt.“

„Ein Geschäftsbesuch. Zwischen den Feiertagen.“ Es entstand eine unbehagliche Pause, als hätte sie ihren Sohn bei irgendetwas ertappt. Doch der hatte absolut keine Lust, sich zu rechtfertigen, und schwieg.

Das ungemütliche Schweigen schien sich im Raum auszubreiten.

„Na ja“, sagte Helen schließlich abfällig, „die übliche Erklärung! Das hat dein Vater auch immer gesagt. Geschäftsbesuche… Ich hätte es besser wissen sollen!“

„Hör auf, Mutter!“

Ihr Alkoholpegel war ihrem schleppenden Tonfall jetzt deutlich anzuhören. Wenn sie nur nicht wieder sämtliche Fehltritte seines Vaters hervorkramen und breittreten würde, einschließlich der haltlosen Mutmaßung, dass diese Veranlagung wohl in den Genen läge.

„Die Ehefrau ist immer die Letzte, die davon erfährt. Und dann versucht sie alles, um die Fassade zu wahren und so zu tun, als wüsste sie von nichts. Das ist so ein schreckliches Leben, Jamison. Tu das Olivia nicht an! Sie ist bestimmt nicht stark genug, das auszuhalten.“

Unterstellte sie ihm tatsächlich eine Affäre? Dass sie ihm so etwas zutraute! Aber er würde sich nicht gegen etwas verteidigen, das gar nicht existierte und das er nicht mal im Traum plante. Und so betrunken, wie sie war, würde sie sich am nächsten Morgen sowieso an nichts mehr erinnern.

Doch sie hörte nicht auf. „Das ist natürlich deine Sache, Jamison. Und Olivia muss einfach lernen, dass die Mallory-Männer nun mal so sind. Ich weiß ja, dass sie hier nicht wohnen will, aber ich könnte ihr helfen, damit klarzukommen …“

Er hob entschieden die Hand. „Schluss jetzt, Mutter! Ich habe keine Affäre! Und ich habe auch nicht vor, eine anzufangen! Ich liebe meine Frau!“

Helen warf den Kopf zurück und lachte, aber nicht fröhlich. „Ach Jamison, mir brauchst du doch nichts vorzumachen! Ich werde es ihr bestimmt nicht erzählen!“

Es war sinnlos. Jamison stand auf und ging zur Tür.

Helen fuhr in ihrem Sessel herum.

„Wo willst du hin?“, fragte sie streng.

„Nach Hause, Mutter, es ist spät. Hab Dank für den schönen Abend. Frohe Weihnachten.“

„Warte, Jamison. Ich muss dich noch was fragen.“

Er hielt inne, die Hand schon auf der Türklinke.

„Sieben Generationen Mallorys haben hier gelebt, mein Sohn. Wie lange erlaubst du dieser Frau noch, dir dein Geburtsrecht vorzuenthalten? Sag ihr endlich, dass es an der Zeit ist!“

„Es ist erst dann ‚an der Zeit‘, wenn Olivia dazu bereit ist.“

Helen gab ein glucksendes Geräusch von sich und erhob sich mühsam. Sie schwankte.

„Du bist wie dein Vater, Jamison! Lässt dir von einem hübschen Gesicht den Verstand vernebeln und dich beeinflussen. Sei endlich mal ein Mann!“

„Ach Mutter…“, seufzte Jamison und schüttelte den Kopf, „du verstehst einfach nicht, dass ich im Gegensatz zu Dad ein Mann bin! Das hübsche Gesicht, das mich beeinflusst, gehört meiner Ehefrau! Offenbar hat Dad dir diese Wertschätzung niemals entgegengebracht. Das tut mir sehr leid für dich!“

3. KAPITEL

Wohin geht man, wenn man nicht nach Hause kann?

Zurück in den Hexenkessel nach Washington, dachte Jamison. Auch wenn das so ziemlich der letzte Ort war, an dem er jetzt sein wollte.

Doch die Pflicht rief. Das musste auch Olivia verstehen.

Die Stimmung war angespannt, und entsprechend schweigend war die Heimfahrt verlaufen. Olivia war verletzt, und dafür gab es gleich mehrere Gründe. Leider konnte Jamison keinen davon jetzt ohne Weiteres ausräumen.

Es war fast neun Uhr abends. Jamison goss sich im Esszimmer einen Scotch ein und ging mit seinem Glas ins Wohnzimmer, wo Olivia schon auf ihn wartete. Sie saß auf der Kante des weißen Sofas und drehte nervös immer wieder den viel zu großen Cocktailring – das unglückselige Weihnachtsgeschenk – an ihrem Zeigefinger herum.

Die Arbeit hatte ihm einfach keine Zeit zum Einkaufen gelassen, und er war erleichtert gewesen, als seine Mutter sich angeboten hatte, ein angemessenes Geschenk für Olivia zu besorgen. Stilvoll sollte es sein und großzügig. Hätte sie doch nur ein Armband gewählt oder eine Kette! Obwohl neben dem pompösen Collier mit jeweils einem großen Diamanten für jedes Kind, das Grant für Payton hatte anfertigen lassen, wohl jede andere Kette verblasst wäre. Payton hatte natürlich sofort bemerkt und auch herausposaunt, dass dort noch reichlich Platz für viele weitere Diamanten war. Unbehaglich erinnerte Jamison sich daran, wie Olivia ihren sichtlich viel zu großen Ring ausgepackt hatte, der so gar nicht zu ihr passte, dafür aber ganz dem Geschmack seiner Mutter entsprach.

Vielleicht hatte Olivia sogar teilweise recht. Sie mussten herausfinden, was jetzt wirklich wichtig war, Prioritäten setzen. Sowie er diesen Diplomatenbesuch hinter sich hatte und aus Washington zurück war, würden sie genau das tun und ihre gemeinsamen Werte neu definieren. Und dann konnte die Kinderfrage in Angriff genommen werden.

„Soll ich dir wirklich nichts bringen?“, fragte er, als er zum Kamin hinüberging. Er stellte sein Glas auf den Kaminsims und fuhr mit dem Schürhaken durch das Feuer, das er gleich nach ihrer Ankunft angefacht hatte.

„Nein danke“, sagte Olivia leise. „Alles gut.“

Doch so, wie sie dort kauerte, war offensichtlich gar nichts gut. Jamison fühlte sich höchst unbehaglich. Er schaltete die Weihnachtsbaumbeleuchtung ein und dimmte das Licht in der Hoffnung, dass ein bisschen romantische Atmosphäre das Eis zwischen ihnen doch noch brechen würde.

„Es tut mir leid, dass der Ring zu groß ist. Der Juwelier kann ihn verkleinern.“

„Deine Mutter kannte wohl meine Größe nicht?“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, doch ihr Blick blieb traurig.

Jamison wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Nach einer Pause sagte er stattdessen: „Es ist nicht meine Entscheidung, gleich wieder nach Washington zurückzufliegen. Und ich hatte auch nicht vor, Heiligabend aufgrund des Wetters am Flughafen zu verbringen.“

Olivia atmete tief durch. „Ich dachte, das sei nur die offizielle Version für die Familie …“ Ihre Worte klangen weder anklagend noch aggressiv. Eher enttäuscht oder – schlimmer noch – resigniert.

Einen Moment lang herrschte Stille.

Dann sagte Olivia, als ob sie seine Gedanken erraten hätte: „Ich mag einfach nicht mehr um Zeit mit dir betteln müssen, Jamison.“

„Liebling, als du mich geheiratet hast, wusstest du, dass mein Job Vorrang vor dem Vergnügen haben würde.“

Sogar vor dem Vergnügen, mit deiner Frau zu schlafen? Wie schade, dass wir selbst jetzt noch diskutieren, anstatt das bisschen gemeinsame Zeit dafür zu nutzen.

Doch sie schüttelte nur den Kopf.

„Ich möchte nicht streiten, Jamison. Nicht heute Abend. Das ist alles so anstrengend.“ Sie stand auf.

„Wo willst du hin?“

„Ich nehme ein Bad, und dann gehe ich schlafen. Wann geht dein Flug morgen früh?“

„Um neun. Der Botschafter kommt um eins.“

Sie nickte. „Morgen klappt es sicher besser mit dem Wetter.“

Als sie an ihm vorbeiging, streifte ihn der sanfte Blumenduft, der sie immer umwehte. Wie gern hätte er die Hand nach ihr ausgestreckt und sie festgehalten, sie einfach in die Arme genommen! Doch es fühlte sich an, als ob sie ihm Stück für Stück immer mehr entglitt.

Olivia drehte im Bad den Badewannenhahn auf und ging in das angrenzende Schlafzimmer, um sich einen Augenblick hinzulegen, während das heiße Wasser einlief.

Der großzügige Raum beherbergte außer einem Kingsize-Bett, einem antiken Schrank und einer Kommode auch noch einen großen Kamin, um den sich ein Sofa, zwei Ohrensessel mit Chintz-Bezug und ein Tischchen gruppierten.

Fünf Jahre wohnten sie nun schon in diesem gediegenen, dreistöckigen Backsteinhaus. Als sie eingezogen waren, hatte es sich noch angefühlt wie in den Flitterwochen, obwohl ihre Hochzeit da schon zwei Jahre zurücklag. So verliebt und voller Zukunftspläne …

Olivia ließ sich auf ihre Seite des Bettes fallen und drückte ein seidenbezogenes Kuschelkissen an ihre Brust.

Wann hatte ihre Beziehung sich nur so sehr verändert? Aber vielleicht ließ sich das gar nicht genau festmachen, vielleicht hatten sie einander allmählich im Alltag aus den Augen verloren.

Schon merkwürdig, dass selbst ihre engsten Familienangehörigen und Freunde das nicht bemerkten. Alle sahen nur auf das traumhafte Haus und glaubten, Jamison und Olivia lebten darin den perfekten amerikanischen Traum.

Und nun saß sie hier allein am Weihnachtsabend und fühlte sich ihrem Mann ferner als je zuvor. Dabei sollten sie doch alles versuchen, um wieder zueinanderzufinden! Ihr Kopf dröhnte, ihr Herz fühlte sich an wie zusammengepresst, und sie schloss die Augen, um den Schmerz auszublenden, der – selbst wenn er ihrer Seele entsprang – auch körperlich spürbar war.

Offenbar ließ Jamison nicht mehr mit sich reden, wenn er erst mal einen Entschluss gefasst hatte. Doch ganz gleich, wie sich die Dinge zwischen ihnen weiterentwickelten, Olivia war fest entschlossen, das heiß ersehnte Baby zu bekommen.

Je schneller sie schwanger würde, desto besser. Noch hielten alle Freunde, die Familie und Jamisons Anhänger sie beide für ein glückliches Paar.

Der Schmerz in ihrer Brust nahm zu, als der Gedanke auftauchte, dass ihre Ehe zu Ende gehen könnte. Sie wollte nicht pessimistisch sein, doch in den Jahren an Jamisons Seite war sie zur Realistin geworden. Ein weiterer Gedanke stieg auf: Wenn sie schwanger würde, wäre das fast eine Art Versicherung für ihre Ehe. Schließlich würde Jamison auf seinem Weg zur Präsidentschaft sicher nicht seine schwangere Frau verlassen.

Abrupt setzte sie sich auf. Nein, so wollte sie nicht denken! Nur positive Gedanken sollten das Baby empfangen.

Erst jetzt nahm sie das Blinken des Anrufbeantworters wahr. Sie stand auf, ging zum Telefon und drückte auf den Wiedergabeknopf, um das Band abzuhören.

„Fröhliche Weihnachten, Olivia und Jamison!“, riefen ihr Bruder Paul und seine Verlobte Ramona im Chor. Olivia lächelte unwillkürlich, als sie die Stimmen hörte.

„Wir haben euch gestern Abend vermisst bei Mom und Dad“, fuhr Paul fort. „Ich wollte euch nur alles Liebe wünschen. Meldet euch bitte mal, wenn ihr aus den Berkshires zurück seid!“

Auch wenn sie so verschieden waren wie Tag und Nacht, hatten Olivia und Paul sich immer sehr nahegestanden. Er war Olivia viel vertrauter als ihre jüngere Schwester Lisa oder Pauls Zwillingsbruder Derek. Während ihre drei Geschwister allesamt am Institut ihres Vaters Karriere machten, wünschte sich Olivia nichts sehnlicher als eine eigene Familie. In Kindern und der Unterstützung ihres Mannes sah sie ihre Erfüllung.

Zumindest hatte sie das bisher so gesehen.

Im Moment war sie voll und ganz auf ein Baby ausgerichtet. Deshalb war es jetzt wichtig, so bald wie möglich mit ihrem Arzt, Chance Demetrios, zu sprechen.

Als Chefarzt des Armstrong Instituts hatte Paul sicher Einblick in Chances Terminkalender. Auch wenn Pauls Stimme Balsam auf ihre Seele war, wollte sie auch mit ihm nicht über ihre Eheprobleme sprechen; darüber würde sie mit absolut niemandem reden. Doch dass sie jetzt das neue Verfahren zur künstlichen Befruchtung durchführen lassen wollte, durfte er wissen.

Sie drehte im Bad den Wasserhahn zu, ging zurück ins Schlafzimmer, setzte sich in einen der Ohrensessel vor den Kamin und wählte Pauls Nummer.

4. KAPITEL

So kann ich unmöglich nach Washington zurückfliegen, dachte Jamison, als er die Treppe zum Schlafzimmer hinaufging.

Wie hatte es nur so weit kommen können? Und das an Weihnachten! Sie wollten doch ihre Beziehung in Ordnung bringen, nicht einander vollends verlieren. Ich muss mich zumindest entschuldigen. Er wollte gerade anklopfen, als er Olivias Stimme hinter der Tür hörte. Mit wem sprach sie denn da? Sie klang recht aufgeräumt, fast fröhlich. Doch er konnte nicht verstehen, was sie sagte, bis er unmittelbar vor der Tür stand.

„Ich muss so schnell wie möglich zu ihm. Ich kann es kaum erwarten!“

Zu wem musste sie?

Jamison widerstand dem Impuls zu lauschen und klopfte stattdessen leise an die Tür. Es war weniger der kurze Schreck auf ihrem Gesicht oder wie sie sich abwandte, als vielmehr ihr Tonfall, der sich von fröhlich zu geschäftsmäßig veränderte.

„Ich muss Schluss machen“, sagte sie schnell. „Bis bald.“ Damit war das Gespräch ziemlich abrupt beendet.

Einen Moment schauten sie einander schweigend an. Da Olivia keine Anstalten machte, die merkwürdige Situation aufzuklären, fragte Jamison schließlich: „Wer war denn das?“

„Niemand“, stieß sie hastig hervor, wandte sich ab und strich nicht vorhandene Falten aus der Bettdecke.

„Niemand?“ Sein Ton klang schärfer als beabsichtigt, aber irgendetwas stimmte hier offensichtlich nicht. Sie konnte ja wohl kaum mit niemandem gesprochen haben! „Klang aber durchaus wie jemand.“