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In diesem Buch erzählt meine Mutter, von der Flucht im zweiten Weltkrieg und ihrer schlimmen russischen Gefangenschaft. Zwischendurch schildert sie immer mal von ihrer ehemaligen Heimat in Ostpreußen. Was sie damals als Kind, Jugendliche und junge Frau alles dort erlebt hat. Bilder in dem Buch sind Originale aus Ostpreußen, die von ihren Eltern und Brüdern gemacht wurden.
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Von Elke Truppel
Herausgeberin:
Elke Truppel
Am Räher 8
32278 Kirchlengern
Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin
© Copyright 2022 Alle Rechte vorbehalten.
Vorwort
In diesem Buch erzählt meine Mutter, von der Flucht im zweiten Weltkrieg und ihrer schlimmen russischen Gefangenschaft.
Zwischendurch schildert sie immer mal von ihrer ehemaligen Heimat in Ostpreußen.
Was sie damals als Kind, Jugendliche und junge Frau alles dort erlebt hat.
Bilder in dem Buch sind Originale aus Ostpreußen, die von ihren Eltern und Brüdern gemacht wurden.
Unser Hof in Ostpreußen lag eingebettet in einer herrlichen Landschaft, durch die sich sanfte Hügel zogen. Unendliche Baumreihen säumten die schmalen, ungepflasterten Wege. Ringsherum gab es größere und kleinere Seen, sowie wogende, leuchtende Kornfelder. Hier zu leben war wunderschön.
Unser Zuhause
Der Bauernhof, auf dem wir lebten, war in Form eines Hufeisens gebaut. Vorne war unser Wohnhaus, links davon befanden sich der Hühnerstall und der Geräteschuppen. In dem Schuppen standen Pflüge, Eggen und ein Traktor für die Feldarbeit.
Zur rechten Seite lag der große Viehstall für unsere Kühe, Pferde und Schweine.
Am Ende des Hofes standen vier Kotten. Dort wohnten unsere Knechte mit ihren Familien, die bei uns arbeiteten.
(Damals wurden Arbeiter bei uns, Knechte genannt)
Unser Land zog sich weit nach hinten raus.
Mein Vater, hatte den Hof 1912, schon mit 28 Jahren von seinem Vater übernommen.
Es war die vierte Generation.
Im Frühjahr wurden auf den Äckern Rüben, Kartoffeln und Getreide gepflanzt. Im Sommer und im Herbst bekamen wir jedes Jahr eine gute und reiche Ernte von unseren Feldern.
Wir hatten auch Hühner, Enten, Gänse und ein paar Schafe. Die Hühner liefen oft gackernd auf dem Hof herum, weil sie nicht nur im Stall, sondern ebenfalls auch auf unserem Gehöft ihre Eier legten.
Meine Großmutter hat jeden Tag die Eier im Hühner-
stall und auf unserem Hof gesucht und eingesammelt. Wir Kinder haben ihr gerne dabei geholfen.
Im Schweinestall hatten wir einen Eber und die Sauen tummelten sich mit ihren kleinen Ferkeln im Stall herum.
In unserem Kuhstall standen sechzehn Kühe.
Zwei von unseren Knechten haben jeden Tag die Kühe gemolken und uns früh morgens leckere Milch zum Frühstück in die Küche gebracht.
Anschließend füllten sie die frisch gemolkene Milch in große Kannen, stellten sie auf einen Wagen und brachten sie mit dem Pferdefuhrwerk zur Molkerei.
Nur ein paar Kilometer von uns entfernt gab es eine Milchwirtschaft.
Eines unserer Dienstmädchen hat aus der Milch Butter, Quark, Sahne und auch Käse hergestellt. Das konnte sie sehr gut und es schmeckte immer alles köstlich. Natürlich durfte sie von den leckeren Sachen auch etwas an unsere Knechte verteilen und zu ihrer Familie mitnehmen.
Neben dem Kuhstall war der Pferdestall. Darin hatten wir acht Stuten und einen Hengst. Unsere Pferde waren keine Reitpferde, sondern Arbeitspferde, die auf den Feldern mit den Knechten pflügten, eggten, düngten und ernteten.
Jedes Jahr bekamen wir kleine Kälbchen und Fohlen.
Deshalb ging mein Vater oft nachts mit in die Ställe, um unseren Knechten bei den Geburten der Tiere zu helfen.
Wir hatten auch Haustiere. Es waren zwei hübsche, schwarze Katzen mit weißen Pfötchen. Sie hießen Pisi und Peter. Nelly, unsere Hündin, war eine süße Promenadenmischung.
Nicht weit von uns entfernt gab es eine Dorfschmiede. Sie lag direkt neben einem kleinen Teich, wegen eventueller Brandgefahr.
In der Schmiede wurden Hufeisen, Messer, Nägel und sogar Kerzenständer aus Eisen hergestellt.
Mehrmals im Jahr ging mein Vater mit unseren Pferden dorthin und der Schmied hat sie dann mit neuen Hufeisen beschlagen.
Meine Eltern und meine Großeltern väterlicherseits, lebten mit mir und meinen fünf Brüdern: Alfons, Viktor, Herbert, Hans und Otto auf unserem Bauernhof im Süden Ostpreußens.
Unser Dorf Lekitten lag im Kreis Rössel. Die nächste große Stadt Allenstein, die heute in Polen Olsztyn heißt, war ca. 70 km entfernt.
Wir Kinder saßen abends oft mit unseren Eltern zusammen in der Stube. (Was heute Wohnzimmer genannt wird)
Einmal bat ich meine Mutter mal zu erzählen, wann und wo sie meinen Papa kennengelernt hatte.
Sie schaute mich lächelnd an und schilderte vergnügt: „Damals, bevor ich deinen Vater kennenlernte, wohnte ich mit meinem Bruder Hermann in der kleinen Dorfschule, die schräg gegenüber des Bauernhofes deines Vaters steht. So um 1910 arbeitete mein Bruder dort als Aushilfslehrer. Ich lebte mit ihm zusammen in dem Schulhaus und führte seinen Haushalt. Ich habe für ihn gekocht, gebacken, sauber gemacht und gewaschen. Durch die Nähe der Schule zu dem Hof, habe ich deinen Vater kennengelernt.
Wenn er, mit seinen Knechten und Pferden zu den Feldern ging, um dort zu pflügen, hat er mich häufig auf dem Schulhof gesehen und mich lächelnd winkend begrüßt. Er ist auch immer mal bei mir stehen geblieben und hat sich mit mir unterhalten. Wir beide spürten, dass wir uns gut verstanden haben und uns sehr mochten. Wir trafen uns immer öfter und gingen an Sonntagen gerne über die Feldwege miteinander spazieren. Im Sommer sind wir oft zu Kirmesfeiern in einen unserer Dörfer gegangen und haben dort miteinander getanzt. Mit ihm zu Tanzen war herrlich.
Dein Vater und ich hatten uns ineinander verliebt und wurden ein Paar.
Am 15. Januar 1913 haben wir geheiratet. Schon im selben Jahr, im November 1913, kam unser erster Sohn, dein Bruder Alfons, auf die Welt.“
Es war toll dass sie es erzählt hatte, ich habe es mir gerne angehört.
Meine Brüder Otto, Hans und Viktor, sowie mein Vater, die an dem Abend ebenfalls mit in der Stube waren, fanden es auch interessant, das unsere Mutter erzählt hatte, wann und wo sich unsere Eltern kennengelernt und verliebt haben.
Mein Vater, der neben meiner Mutter saß, schaute sie lächelnd an und streichelte liebevoll über ihre Hand.
Bis in den Sommer 1944 war unser Land, trotz des zweiten Weltkrieges, wie eine Insel des Friedens gewesen. Aber ab dem Herbst veränderte sich dann alles bei uns in Ostpreußen dramatisch.
Damals wussten wir nicht, dass der Führer Adolf Hitler viele Jahre in unserer unmittelbaren Nähe gelebt hat.
1941 -mit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion- war die Wolfsschanze sein Hauptquartier gewesen. Es lag in der Nähe der Stadt Rastenburg. Der Bunker bestand aus meterdickem Beton und wurde von nicht
brennbaren Tannennetzen geschützt. Der Standort lag in einem dichten Wald. Das Gebiet rundherum war abgezäunt und abgesperrt.
Dieser geheime Standort befand sich nur ungefähr 20 Kilometer abseits von unserem Hof.
Im November 1944 verließ Hitler die Wolfsschanze, da die Rote Armee nur noch hundert Kilometer von seinem Bunker entfernt stationiert war. Panikartig hat er deshalb Ostpreußen verlassen und war nach Berlin geflohen.
Viele Jahre später, erst nach Ende des Krieges, haben wir erfahren, wie nahe die Wolfsschanze an unserem Zuhause angegrenzt war. Es hat Entsetzen und eine heftige Gänsehaut in uns ausgelöst. Wir konnten es nicht fassen, dass der Führer Adolf Hitler einige Jahre in unserer unmittelbaren Umgebung gelebt hatte.
Im Oktober 1944 marschierte die Rote Armee aus Russland über die Grenze in das östlichste Gebiet des Deutschen Reiches ein.
Die deutsche Partei hatte damals die Flucht der Zivilisten aus Ostpreußen streng verboten. Trotz dieses Verbotes begannen aber viele Menschen schon im Herbst zu fliehen.
Anke, die Tochter eines Großgutsbesitzers, war mit ihren Eltern Ende September von Goldab, das an der östlichen Russischen Grenze lag, geflüchtet.
Die Herrschaft war geflohen, weil die Rote Armee immer näher kam und sie befürchtet hatten von ihr überrollt zu werden.
Anfang Oktober kamen sie mit einem großen vollgeladenen Flüchtlingswagen, der von zwei ihrer Ochsen gezogen wurde, zu uns nach Lekitten. Auch einige ihrer Arbeiter hatten sie mitgebracht.
Weil zwei unserer Kotten leer standen, konnte Herr Ruppert, der Großgutsbesitzer, mit seiner Familie und seinen Arbeitern dort einziehen und wohnen.
Meine Eltern und ich haben uns mit der Familie gut verstanden. Sie waren sehr dankbar, dass sie zu uns kommen durften und auch mit ihren Arbeitern auf unserem Hof wohnen konnten.
Anke und ich kamen sofort wunderbar miteinander zurecht und wurden schnell Freundinnen.
Da wir uns alle mochten, kam Herr Ruppert mit seiner Frau und seiner Tochter Anke oft abends zu uns in die Stube und sie erzählten von ihrer Heimat. Für die Großgutbesitzer aus Goldab war es schlimm gewesen, dass sie ihr Zuhause verlassen und flüchten mussten.
Was wir gut verstehen konnten.
Ab dem Herbst 1944 wurden einige deutsche Soldaten und Offiziere nach Lekitten geschickt um die drohende Gefahr der Russen aufzuhalten.
Sie wohnten mit bei uns auf dem Hof.
Die Soldaten schliefen in einer unserer Scheunen, wo Stroh und Heu gelagert war. Für die Offiziere hatten meine Eltern die große Stube bereitgestellt.
Silvester 1944 haben wir alle gemeinsam einen
wunderschönen Abend miteinander verbracht.
Die Offiziere begrüßten uns Frauen mit einem Handkuss. So etwas kannte ich noch nicht, fand es aber sehr reizend und habe es lachend genossen.
An dem Silvesterabend saßen wir alle zusammen am Tisch und haben Leckeres gegessen.
Nach dem Abendessen setzte ich mich an mein Klavier und spielte schwungvolle, heitere Lieder.
Wir waren alle sehr fröhlich, haben miteinander gesungen und auch getanzt.
Um 0 Uhr, zu Beginn des neuen Jahres 1945, standen wir alle zusammen in der Stube, nahmen uns in die Arme und stießen mit unseren Gläsern an. Wir wünschten ein Ende des Krieges und Frieden auf der Welt.
Mit einem der Offiziere, der bei uns wohnte, habe ich
mich oft getroffen und wir sind zusammen durch
die schneebedeckten Wege spazieren gegangen. Wenn wir wieder auf unserem Hof angekommen waren, gingen wir in eine Scheune, setzten uns in das Stroh und unterhielten uns. Er war ein Leutnant beim Militär. Privat hatte er Ingenieur studiert.
Als wir uns nach einem Spaziergang wieder in die Scheune auf das Stroh gesetzt hatten, beugte er sich
liebevoll und lächelnd zu mir herüber, strich zart mit seinen Händen über meine Wangen und sagte, dass er sich in mich verliebt habe. Wir schauten uns tief in die Augen und küssten uns.
Das fand ich herrlich, denn auch ich hatte mich in ihn verliebt. So haben wir ein paar wundervolle Wochen miteinander verbracht.
Anfang Januar 1945 kam er zu mir und sagte traurig, dass er den Befehl erhalten habe, wieder an die Front zu ziehen. Darüber waren wir beide sehr entsetzt.
Er gab mir die Adresse von seinen Eltern, wo er mit ihnen zusammen wohnte, nahm mich zärtlich in seine Arme und sagte: „ Meine Liebe, komm bitte dorthin, ich werde auf dich warten. Ich möchte dich heiraten und mein Leben mit dir verbringen.“
Wir liebten uns und wollten uns nach dem Krieg unbedingt wiedersehen. Ich sah ihn glücklich an, gab ihm einen Kuss und versprach ihm, zu kommen.
Nach ein paar Tagen, bevor er wieder zur Front musste, nahmen wir uns traurig in die Arme. Es war ein sehr schmerzlicher Abschied.
Als er gegangen war stand ich noch lange weinend an der Straße und blickte ihm nach. Es war schrecklich für mich, dass er wieder in den Krieg ziehen musste. Ich hatte Angst um ihn.
Unendlich große Trauer kam in mir hoch als ich ein paar Wochen später erfuhr, dass meine große Liebe schon am 2. Februar 1945 im Krieg gefallen war.
Mitte Januar 1945 rückte die Sowjetarmee bei uns in Ostpreußen immer weiter vor. Deshalb flohen Tausende Menschen überstürzt, im härtesten Winter seit Jahren, nach Westdeutschland.
Mein Bruder Herbert, der Weihnachten 1944 noch einmal bei uns gewesen war, hatte meinem Vater gesagt, dass die Russen nicht mehr weit von uns entfernt seien. Herbert bat ihn inständig so schnell wie möglich unseren Hof zu verlassen und mit mir und unserer Mutter in den Westen zu flüchten.
Die Soldaten und Offiziere, die bei uns wohnten, haben zu der Zeit leider noch nicht gewusst, dass die Russen schon so nahe waren.
Erst Ende Januar 1945 erfuhren die Offiziere per Funk, dass die Rote Armee nur noch etwa vierzehn Kilometer von unserem Dorf entfernt sei.
Zwei der Offiziere hatten mit meinem Vater gesprochen und ihm gesagt: „Wir bekamen heute den Befehl morgen früh in Richtung Frisches Haff zu marschieren. Uns wurde per Funk mitgeteilt, dass die Russen immer näher kommen und sie schon halb Ostpreußen eingekesselt haben“.
Sie sagten meinem Vater es wäre gut, wenn auch er sich so schnell wie möglich, auf den Weg machen würde, um mit seiner Familie aus Ostpreußen in den Westen zu flüchten. Sie äußerten, er solle über das Frische Haff der Ostsee laufen um die Frischen Nehrung zu erreichen und von dort aus weiter bis nach Danzig zu gehen. Sie empfahlen ihm von der Danziger Bucht aus mit dem Schiff „Wilhelm Gustloff“ in den Westen zu fliehen.
Die Offiziere haben ihm angeboten: „Wenn wir morgen früh losmaschieren, können Sie zusammen mit uns gehen“.
Nachdem die Offiziere mit meinem Vater gesprochen hatten, wurde ihm klar, dass es auch für uns immer brenzliger wurde, da die Russen permanent näher kamen. Er hatte Angst um seine Familie. Er ahnte, dass die Russen nicht lange fackeln würden und er mit dem Schlimmsten rechnen müsste.
Was mit den Frauen passieren würde, wollte er sich gar nicht vorstellen.
Es war eine einmalige Chance mit dem Militär zusammen gehen zu dürfen. Deshalb zögerte er nicht mehr, denn er verstand, dass wir von hier fliehen mussten, wenn die Russen schon so weit vorgerückt waren.
Kurz entschlossen sagte er den Offizieren: „Wir warten nicht mehr länger, morgen früh marschieren wir zusammen mit Ihnen los “.
Weil mein Vater wusste, dass ein Cousin meiner Mutter in Danzig lebt, fand er den Vorschlag von den Offizieren gut, dorthin zu marschieren, um anschließend von der Danziger Bucht aus mit der Wilhelm Gustloff in den Westen flüchten zu können.
Das Frische Haff lag ca. 200 Kilometer von uns entfernt. Dort angekommen, musste man um die 8 Kilometer über das gefrorene Frische Haff laufen, um die Frische Nehrung, eine schmale Landzunge an der Ostsee, zu erreichen.
Nachdem er mit dem Militär gesprochen hatte, kam er zu uns in die Stube. Wir merkten sofort, dass etwas Bedrückendes auf ihm lastete.
Er setzte sich mit an den Tisch und erzählte meiner Mutter und mir: „Ich habe eben mit den Offizieren gesprochen. Sie haben mir gesagt, dass die Russen nicht mehr weit von uns entfernt sind und immer näher kommen. Das Militär rückt in Richtung Frisches Haff ab und wir können uns ihnen anschließen. Es ist einfach zu gefährlich hier auf unserem Hof zu bleiben, denn wenn die Russen kommen, wird hier bestimmt Grausames passieren. Morgen früh brechen sie auf und ich habe entschlossen, dass wir mit ihnen zusammen losgehen um in den Westen zu flüchten.“
Dann wurde es ganz still in der Stube. Zu hören, dass mein Vater entschieden hatte, schon am nächsten Morgen unsere Heimat zu verlassen – meine Mutter und ich waren geschockt.
Nach ein paar Minuten sagte meine Mutter traurig, dass sie leider nicht mitgehen könne. Sie hatte heftiges, schmerzhaftes Rheuma und Gicht in ihren Gelenken. Deshalb erklärte sie uns: „Es ist so bitterkalt und ihr wisst ich kann nur sehr schlecht laufen. Wenn ich mitkomme, werde ich wahrscheinlich unterwegs erfrieren, deshalb möchte ich lieber hier bleiben und zu Hause sterben“.
Da sie große Angst vor der Flucht in der Kälte hatte und deshalb nicht mitkommen wollte, war ich heftig bestürzte und sehr traurig. Auch meinem Vater ging es damit nicht gut, obwohl er sie verstand.
Weinend sagte sie uns: „Macht euch mit dem Militär auf die Flucht zum Frischen Haff, um Danzig zu erreichen. Von dort könnt ihr mit der Wilhelm Gusloff in den Westen fliehen. Rettet bitte euer Leben“.
Es war für uns alle sehr schlimm.
Herr Ruppert der Großgutsbesitzer, der an dem Tag auch mit in der Stube war und gehört hatte, dass mein Vater mit mir aus Ostpreußen fliehen würde, bat ihn inständig, auch seine Tochter mitzunehmen, weil er überzeugt war, dass Anke durch die Flucht, vor den Russen gerettet werden konnte. Mein Vater schaute ihn an und sagte freundlich: „Herr Ruppert, wenn Sie es möchten können wir selbstverständlich auch Ihre Tochter mitnehmen“.
Er selber wollte leider nicht mitgehen, weil er immer noch hoffte, irgendwann wieder zurück zu seinem Gutshof in Goldap gehen zu können.
Am nächsten Tag holte mein Vater früh morgens einen Wagen aus der Scheune und spannte unsere Stuten Nixe und Isabella an das Fuhrwerk. Obwohl es heftig geschneit hatte, nahmen wir keinen von unseren Schlitten, weil wir nicht wussten, wie weit wir mit ihm kommen würden und ob überhaupt überall Schnee lag.
Anke und ich holten einige Säcke mit Futter für die Pferde aus dem Stall und luden sie auf den Wagen. Jeder von uns hatte am Vorabend einen kleinen Koffer gepackt, den wir mitnehmen wollten und legten ihn dann morgens auch auf unser Fuhrwerk.
Bevor wir losfuhren, gingen mein Vater und ich noch einmal zu meiner Mutter ins Haus und nahmen sie heftig weinend in unsere Arme. Es war ein schrecklicher, bitterlicher Abschied, denn keiner von uns wusste, ob wir uns noch einmal in unserem Leben wiedersehen würden.
Auch für Anke war es tragisch, Abschied von ihren Eltern zu nehmen.
Die Flucht
Am 30. Januar 1945, morgens um halb fünf brachen wir auf. Es ging in eine sehr ungewisse Zukunft.
Es war bitterkalt und der Schnee lag über einen Meter hoch.
Mein Vater, Anke und ich machten uns mit den Soldaten und Offizieren auf den Weg der Flucht.
Als wir losgingen, standen meine Mutter und auch die Eltern von Anke am Ende unseres Hofes und schauten bitterlich weinend hinter uns her.
Flüchtende Menschen, die auf dem Weg zum Frischen Haff vor uns gingen, bekamen von unseren Soldaten, den Befehl am Straßenrand stehen zu bleiben um dem Militär Platz zu machen. Gingen sie nicht an die Seite um den Weg frei zu machen, wurden sie von den Soldaten heftig an den Straßenrand gestoßen und mit ihren Gewehren bedroht.
Weil wir zusammen mit dem Militär gehen durften, kamen mein Vater, Anke und ich sehr zügig vorwärts.
Viele von den Flüchtlingen, an denen wir vorbei gingen, schauten erstaunt -aber teilweise auch wütend zu uns.
In den Dörfern durch die wir gingen, waren schon viele Häuser von den fliehenden Menschen verlassen worden. Abends, wenn wir an einem leer stehenden Haus vorbei kamen, entschieden die Offiziere dort zu übernachten.
Bevor wir hinein gingen, kümmerte ich mich erst um unsere Pferde. Ich habe Nixe und Isabella von dem Fuhrwerk abgespannt, sie gefüttert, ihnen etwas zu trinken gegeben und anschließend neben die Pferde des Militärs gestellt.
Zusammen mit den Soldaten und Offizieren übernachteten wir dann in den leer stehenden Häusern. Wir lagen alle auf dem Boden, ohne Matratzen und Decken.
Von dem anstrengenden Laufen am Tag war ich abends völlig erschöpft und müde und schlief sofort ein.