Blechmeyers Mädchen - Erika Cziesielsky - E-Book

Blechmeyers Mädchen E-Book

Erika Cziesielsky

4,5

Beschreibung

Erika, im Jahr 1949 als fünftes von acht Kindern mit Hüftdysplasie geboren. Nach einem jahrelangen Krankenhausaufenthalt wusste sie mit fünfeinhalb weder, was eine Mutter, noch was eine Schwester ist. Als Kind auf dem Bauernhof hatte sie viel zu schwer körperlich gearbeitet, wurde dann sexuell missbraucht und ist mit 15 weg von zuhause. Danach folgten Ausbildung und Heirat – 11 Umzüge gestalteten ihr Leben. Zwei Kinder, nach 26 Ehejahren Scheidung und dann die Herausforderung, das Leben nach neun Hüftoperationen alleine zu meistern. Dies war alles nicht immer leicht.

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Seitenzahl: 150

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Beerdigung

Krankenhaus

Schulzeit

Angst vor Vater

Nur keine Ferien, bitte

Eine schwere Zeit für mich

Lehrzeit am Steinhuder Meer

Gerd

Stationen: Stozenau, Uchte, Bückeburg

Hartmut mit dem schwierigen Namen

Klaus

Uchte- und dann wieder Hartmut

Hochzeit

Bückeburg

München

Bremen

Hagen – Scheidung

Große Kinder, große Sorgen

Mein 40. Geburtstag

Peggy

Schreibkraft 2.0

Benkeloh – Rotenburg

Mein neues Leben

Mutters Beerdigung

Helmut – Günter

Danke

Beerdigung

Ich habe das Gefühl, ich muss jetzt endlich mal anfangen. Anfangen zu schreiben, all das, was ich schon lange schreiben will. Immer wieder, wenn ich Geschichten von früher erzähle, sagen viele: Schreib das doch mal auf.

Das will ich nun seit 20 Jahren und finde keinen Anfang. Von vielen Leuten bekomme ich gute Ratschläge, und immer wieder sagen sie, schreib es auf. Aber wo fange ich an? Einfach so mein Leben aufzuschreiben - ich weiß nicht....

Der wirkliche Grund alles aufzuschreiben, ist mein Vater. Heinrich Meyer (auch "Blechmeyer" genannt). Den Namen Blechmeyer hat er nach dem Krieg bekommen. Von einer alten Munitionsfabrik hatte er ganz viele Blechplatten geholt und zu Hause davon Schuppen aus Blech gebaut. Daher der Name Blechmeyer.

Er, also Heinrich Meyer, ist am 24.4.1910 geboren und am 22.2.1993 gestorben. Seine Beerdigung war am 26. 2. 1993 und da fängt meine Geschichte an.

83 Jahre alt ist er geworden, doch kein schlechtes Alter, denke ich. Besonders , wenn man bedenkt, dass er mit 70 Jahren schon im Zuckerkoma gelegen hatte (seinerzeit hatte er über 800 Zucker). Zuletzt war er sehr unzufrieden und wollte sterben. Nach seinem Herzinfarkt konnte er sich nur sehr mühsam selbst waschen und anziehen. Seine Kräfte waren am Ende. Zu dieser Zeit nahm er viele Tabletten, und er wollte nicht mehr. Er legte sich ins Bett, verweigerte Essen und Trinken und sagte, er werde am dritten Tage tot sein. Am dritten Tag hat er es nicht geschafft, aber am vierten Tag ist er gestorben.

Die Trauer war groß, aber auch Erleichterung machte sich bei mir breit. Es war nicht immer leicht mit ihm und wehe, er wäre ein Pflegefall geworden. So standen wir nun am Grab und nahmen Abschied.

Er war verheiratet mit Emma, geborene Grafe, aus einem nicht weit entfernten Dorf. Emma, meine Mutter, hatte drei Geschwister. Ihr Vater und ein Bruder sind im Krieg gefallen. Eine Schwester verstarb an Diphterie, die andere an Lungenentzündung. So blieb sie mit ihrer Mutter allein zurück. Als junges Mädchen war sie bei einem Bauern in Stellung, wie man es damals nannte, wenn Mädchen auf einem Bauernhof Haushalt, Nähen, Kochen usw. lernten. Bis sie dann meinen Vater Heinrich Meyer geheiratet hat.

Sie hatten acht Kinder und noch ein Pflegekind. Das Pflegekind Rosi hatte er aus einem Kinderheim geholt. Rosi war zehn Jahre älter als meine beiden ältesten Geschwister Heinrich und Elfriede. Er musste in den Krieg und Rosi sollte meiner Mutter bei der Arbeit auf dem kleinen Hof helfen. Während er im Krieg war, gab es fünf Jahre keine Geschwister. Nach dem Krieg wurden dann Horst, Herbert und ich geboren. So etwa alle zwei Jahre kam ein Kind, und wie ich von meiner elf Jahre älteren Schwester weiß, gab es auch noch einige Fehlgeburten.

Krankenhaus

Ich war also das fünfte von insgesamt acht Kindern, hatte also sechs Brüder und eine Schwester. Am 24.8.1949 bin ich in Liebenau im Krankenhaus zur Welt gekommen, meine Geschwister sind alle Hausgeburten. Als ich mit knapp zwei Jahren immer noch nicht richtig laufen konnte, meinte ein Viehhändler, mit dem mein Vater Geschäfte machte, er solle mal mit mir zum Arzt gehen - da stimme etwas nicht. Es wurde dann eine Hüftdysplasie an beiden Seiten diagnostiziert. Ich hatte erhebliche Fehlstellungen an beiden Hüften und kam nach Hannover ins Annastift. Dort wurde ich dann insgesamt sechsmal an den Hüften operiert. Es waren Umstellungen mit Schrauben und Platten, die dann auch wieder entfernt werden mussten. Eine Platte aus dieser Zeit habe ich heute noch im linken Oberschenkelknochen. Sie ist bei einer der Operationen unbemerkt dorthin gerutscht, und da liegt sie bis heute.

An das Krankenhaus kann ich mich nur teilweise erinnern und auch, dass ich zwischendurch zu Hause war, weiß ich nicht mehr so genau. Nur ein Ereignis habe ich nicht vergessen. Mein Vater hatte mich zu einer Motorradfahrt vorne auf den Tank gesetzt und ist einfach losgefahren. Die Wege waren sehr schlecht, und als wir zurück waren, konnte ich nicht mehr auftreten. Bei dieser Fahrt ist also wieder alles kaputt gegangen, und ich musste erneut ins Krankenhaus.

Ich kann mich an einen großen Saal mit vielen Kindern erinnern. Das älteste Kind bekam die Klingel, aber das war nur für den Notfall, es wurde also mit uns geschimpft, wenn wir zu oft klingelten. Für mich gab es eine Lieblingsschwester, leider weiß ich ihren Namen nicht mehr. Sie hat mich oft getröstet, wenn ich traurig war. Ich war häufig traurig, weil ich keinen Besuch bekam. Sie wollte mich dann sogar adoptieren, wie ich später von meinen Eltern erfuhr. Aber meine Eltern wollten das nicht.

Ich habe mich oft gefragt, was wohl aus mir geworden wäre, hätte diese Krankenschwester mich damals adoptiert.....

Alle Kinder im Krankenhaus bekamen Besuch, nur ich nicht – später wusste ich, warum. Meine Eltern hatten mich einmal besucht und durften mich nur durch eine Glasscheibe sehen. Es war der Konfirmationstag meiner Schwester und sie war ganz traurig, weil sie zur Konfirmation allein zur Kirche musste. Abends sollte sie dann mit den Brüdern das Vieh versorgen und ganz alleine die Kühe melken. Die Fahrt nach Hannover ins Krankenhaus war fast eine Tagesreise. Erst ca. 3 km mit dem Fahrrad zur nächsten Bushaltestelle, dann mit dem Bus nach Nienburg – weiter mit der Bahn nach Hannover und dort mit der Straßenbahn ins Krankenhaus und zurück.

Das haben sie auch nur einmal gemacht, es war viel zu zeitaufwendig. Mit kurzen Unterbrechungen war ich also fast vier Jahre im Krankenhaus, und in dieser Zeit habe ich noch zwei Brüder bekommen – da war für einen Besuch keine Zeit. Im Krankenhaus habe ich Hochdeutsch gelernt, alle schulpflichtigen Kinder wurden nämlich dort auch unterrichtet. Es kam dann eine Lehrerin in den großen Krankensaal und unterrichtete. Die schulpflichtigen bekamen eine Schiefertafel und einen Stift, alle anderen hörten mit. Ich habe da wohl oft um eine Tafel gebettelt und sie schließlich auch bekommen.

Als ich dann mit fast sechs Jahren aus dem Krankenhaus entlassen wurde, standen zwei Frauen an meinem Bett und wollten mich mitnehmen. Ich kannte sie nicht und wollte nicht mit, und sie sprachen ja auch nicht meine Sprache (Hochdeutsch), sondern Plattdeutsch.

Die Schwester sagte mir dann, dass sie meine Mutter und meine Schwester seien. Was ist eine Mutter, was eine Schwester? Ich wusste das nicht und bin widerwillig mitgefahren. In Hannover auf dem Bahnhof habe ich versucht, abzuhauen, es ist mir aber nicht gelungen.

Zu Hause auf diesem schmutzigen Bauernhof habe ich mich nicht wohl gefühlt. Andauernd habe ich mir die Hände gewaschen und mich vor dem Vieh geekelt. Eine Nachbarin fragte, ob ich denn kein Plattdeutsch könne. Ich habe dann den Mund ganz platt gemacht, aber es hat nicht geholfen. Zuhause mochte ich keine Kuhmilch und wurde gefragt, ob ich im Krankenhaus keine Milch getrunken hätte. Doch, sagte ich, aber das war keine Kuhmilch, sondern gekaufte Milch. Warum alle lachten, habe ich damals nicht verstanden. Besonders geekelt habe ich mich, wenn mein Bruder vom Euter der Kuh in seinen Mund gemolken hat. Es hat aber nicht lange gedauert, bis ich auch das Melken lernen musste.

Damals gab es in der Landwirtschaft alles Mögliche in Zentnersäcken, und auch ich schleppte diese Säcke (trotz meiner Hüftdysplasie) und war darauf auch noch ganz stolz. Da war ich zwar schon etwas älter, aber für meine Hüften war das natürlich gar nicht gut. Mein Vater hätte es nicht erlauben dürfen.

Ich habe mich im Krankenhaus immer ganz wohl gefühlt. An große Schmerzen habe ich keine Erinnerung, nur an die Äthernarkose. Das hat widerlich gestunken, und hinterher musste ich mich fürchterlich übergeben. Da ich ein sehr zartes Kind war, musste ich immer den Teller leer essen. Einmal gab es Leber, die ich nicht mochte – aber essen musste. Ich habe sie zu einem Ball zusammengekaut und im Dunkeln unter das Bett geworfen. Am nächsten Morgen wurde die Leber gefunden – und sah aus wie Scheiße. Ich habe gestanden, dass ich es war, und alle durften mich auslachen. Ich esse bis heute keine Leber. Einmal musste ich nachts ein "großes Geschäft" machen und habe klingeln lassen. Aber immer, wenn ich auf dem Topf war, konnte ich nicht. Ich war ja immerhin bis zur Hüfte eingegipst, da war das mit dem Topf nicht so einfach. Das wiederholte sich dreimal, dann verbot mir die Nachtschwester das Klingeln. Ich musste aber wirklich und habe dann notgedrungen ins Bett gemacht. Am nächsten Morgen wurde ich dann auf den Tisch in der Mitte des Raumes gelegt und abgewaschen, wobei mich alle beschimpfen durften.

Aber es gab auch gute Erlebnisse, immer mal wieder gab es Kasperletheater - und das war sehr schön.

Schulzeit

Als ich mit sechseinhalb Jahren eingeschult wurde, hatten meine Eltern wieder keine Zeit und so begleitete mich meine Schwester. Wir hatten einen Schulweg von knapp 3 km und ich kannte nur einen Jungen aus der entfernten Nachbarschaft. Er hieß Edmund und zu seinem Vater gingen meine Brüder zum Haareschneiden. Später musste ich mit den Brüdern zu ihm und sagen, ich hätte Friseur gespielt, wenn mein Vater wieder alles verschnitten hatte. Er lächelte nur. Dass ich später mal Friseurin werden würde, ahnte ich damals allerdings noch nicht. In der Schule saßen wir auf Bänken, vorne die Mädchen und hinten die Jungen. Ich wollte aber unbedingt bei Edmund sitzen, schließlich kannte ich doch sonst niemanden. Der Lehrer hat es erlaubt, aber es hat nicht lange gedauert und ich wollte dann doch lieber zu den Mädchen.

Es war eine kleine Dorfschule mit anfangs nur zwei Klassen, also einer 1.-4. Klasse und einer 5.-8. Klasse. Da ich durch das Krankenhaus perfekt Hochdeutsch und ein wenig schreiben und rechnen konnte, war ich den Mitschülern weit voraus. Sie waren ein bisschen neidisch und nannten mich Huckebein, weil mein Gang hinkend war. Ich bin gerne zur Schule gegangen, dann brauchte ich zu Hause nämlich nicht zu arbeiten.

Ich habe später noch einen Bruder bekommen, und so einmal gesehen, wie das Baby gebadet wurde. Als dann eine Henne ihre Küken ausgebrütet hatte, stand für mich fest, dass auch sie gebadet werden müssen. In einem Wasserbecken habe ich sie gebadet und zum Trocknen in die Sonne gelegt. Leider haben sie das nicht überlebt und es gab großen Ärger mit Vater (welch ein Verlust).

Ich weiß nicht mehr genau, ab welchem Alter, aber bald musste ich kräftig mitarbeiten. Meine erste Aufgabe so gegen 5:30 Uhr bis 6:00 Uhr war es, das Feuer anzuzünden. Das war nur möglich im Wohnzimmer und in der Küche, weil alle anderen Zimmer nicht zu heizen waren. Nach dem Feuer machen ging es in den Stall, melken, ausmisten, füttern und zwischendurch immer nachheizen. Wenn die Stallarbeit fertig war, wurde gefrühstückt, dann ging es zum Waschen, umziehen und danach zur Schule. Im Winter hatten wir immer Eisblumen an den Fenstern. In unserer Kammer standen zwei Betten und ein Schrank. Die Klappe zum Kartoffelkeller darunter musste frei bleiben. In jedem Bett schliefen zwei Kinder, also ich zusammen mit meinem jüngeren Bruder. Vom Krankenhaus hatten wir eine Gipsschale mitbekommen, worin ich mit gespreizten Beinen schlafen sollte. Meine Mutter hat mich zum Schlafen darin festgebunden. Aber kaum hatte sie die Kammer verlassen, hat mein Bruder mich losgebunden, es war sonst viel zu eng für zwei im Bett. Kurze Zeit später lag die Gipsschale nur noch auf dem Schrank. Sie wäre aber so wichtig gewesen....

Vor dem Einschlafen haben wir oft mit den Schuhen auf den Dielenboden geklopft, damit die Mäuse Ruhe geben. Nachts liefen sie nämlich oft über unsere Betten.

Ich war ungefähr acht Jahre alt, als meine Schwester geheiratet hat. Auf dem Hof wurde ein Zelt aufgebaut und die Nachbarn halfen beim Kochen. In dem Zelt spielten Musiker und es gab eine Theke. An der Theke konnten wir uns Bluna (eine gelbe Limonade) holen, und zwar so viel, wie wir wollten. Wir jüngeren Kinder kamen auf die Idee, einen Vorrat anzulegen, und versteckten die geöffneten Flaschen. Am zweiten oder dritten Tag konnte man sie noch trinken, aber dann war die Brause schlecht. Wir aber tranken sie trotzdem und bekamen Durchfall.

Angst vor Vater

Mein Vater war sehr streng, aber eher mit Worten und nicht so sehr mit Schlägen. Ab und zu bekamen wir auch mal Prügel, aber das hielt sich in Grenzen. Er war Milchkutscher, d.h., er sammelte die 20 Liter fassenden Milchkannen der Bauern ein und brachte sie zur Molkerei. Unsere Milch musste als erste gemolken sein, denn bei uns Zuhause begann seine Tour so gegen 6:30 Uhr. Irgendwann an einem Sonntag in den Ferien durften wir Kinder mit zur Molkerei und das war ganz spannend. Wir Kinder saßen vorne auf der Bank (wie viele genau habe ich vergessen). Einer der Bauern meinte auf Plattdeutsch: Mensch Heinrich, sind das alles deine Kinder? Er antwortete: Ja, Papa sagen alle. Sie lachten herzlich und ich wusste war mal wieder nicht, warum. Ich habe oft einiges nicht verstanden. Als zum Beispiel einmal ein Mann auf den Hof kam, und meine Mutter fragte, ob hier Blechmeyer wohne, verneinte es meine Mutter energisch. Wir heißen Meyer, antwortete sie, und der Mann verschwand. Aber Mama, entgegnete ich, wir sind doch Blechmeyer. Wir heißen Meyer, sagte sie, und verschwand ebenfalls. Sie mochte den Namen Blechmeyer nicht, er war für sie abwertend. Kurze Zeit später war der Mann zurück, die Nachbarn hatten ihn wieder zu uns geschickt. Kann ich bitte mit Heinrich Meyer sprechen, fragte der Mann, glaube ich. Der kommt so gegen 12 Uhr von der Molkerei zurück, da müssen Sie warten, antwortete meine Mutter. – Er wartete.

Noch so eine peinliche Situation hatte ich mit dem Postboten. Er hätte Post für Sophie Grafe. Die kenne ich nicht, antwortete ich auf seine frage, ob sie hier wohne. Auch er wurde von den Nachbarn wieder zu uns geschickt. Meine Oma hieß Sophie Grafe, aber das hatte mit niemand gesagt. Für mich hieß sie einfach nur Oma.

Zu besonderen Anlässen, also zum Beispiel zur Konfirmation, zu Ostern usw. gab es von der Molkerei Butter und Sahne. Die Butter lag im Milchkannendeckel und für die Sahne hatten wir eine kleine Kanne. Die Sahne war bereits geschlagen, und wir Kinder naschten immer ein wenig - durften uns aber nicht erwischen lassen. Auch das Brot brachte mein Vater auf seiner Tour vom Bäcker mit. Er tauschte dafür beim Bäcker Korn gegen Brotmarken. Auf dem Hof hatten wir einen Backofen. Zu Festtagen wurde er angeheizt und die Nachbarn kamen mit Teig zum Backen. Es wurden Butterkuchen und Brot gebacken, aber es gab nicht genügend Bleche. So wurde auf der Diele Stroh ausgestreut und der heiße Kuchen kam aufs Stroh. Die Bleche wurden ganz schnell wieder gebraucht. Wir Kinder mussten aufpassen, dass nicht die Hühner und Katzen vom Kuchen naschten – aber oft waren wir selbst die Nascher.

Mein Vater, der Bauer, war eigentlich eher ein Kaufmann. Er machte morgens seine Milchtour und war so gegen 12:00 Uhr zurück. Dann gab es Mittagessen, die Kinder, die noch in der Schule waren, aßen später. Nach dem Mittagessen teilte er die Arbeit für den Tag ein und wartete, bis ihn einer seiner Händler abholte. Wir bekamen immer einen Schreck, wenn kein Händler kam und er mit auf das Feld musste. Wir waren alle froh, wenn er weg war, weil er nur schlechte Laune verbreitete. Zur Haupterntezeit musste er aber leider immer zu Hause mithelfen.

Nur keine Ferien, bitte!

Ich war immer traurig, wenn Ferien waren, weil dann zu Hause von morgens bis abends gearbeitet werden musste. Zu der Zeit war die Arbeit auf dem Hof überwiegend schwere Handarbeit. Das Korn mähen, binden und die Gaben zu Hocken aufstellen. Wenn es trocken war in die Scheune bringen oder dreschen.

Ich war wohl in der dritten oder vierten Klasse, als von der Schule ein Schwimmkurs in den Ferien angeboten wurde. Ich habe so lange gebettelt, bis ich teilnehmen durfte. Am dritten Kurstag sagte mein Vater: Du kommst heute nur zum Schwimmen, wenn die beiden Fuder Korn abgedroschen sind. Ich war sehr bemüht, dass alles schnell ging, und habe mir beim Umschieben der Wagen ganz heftig die Hand geklemmt. Wir mussten sogar ins kleine Krankenhaus, etwa 7 km entfernt, zu Doktor Engelhardt. Die Hand war zwar nicht gebrochen, aber stark gequetscht. Am nächsten Tag habe ich einen kleinen Schlauch in die Wunde gelegt bekommen, damit das Wundwasser ablaufen konnte. Mit dem Helfen in der Ernte war es für Wochen vorbei, und jeden Tag schimpfte mein Vater. Das hätte ich absichtlich gemacht, weil ich mich vor der Arbeit drücken wollte. Viel schlimmer für mich war, dass es mit dem Schwimmunterricht vorbei war. Ich kann bis heute nicht richtig schwimmen. Später habe ich versucht, selber das Schwimmen zu lernen und bin zweimal fast ertrunken. Einmal, ich war wohl 16, hat mich ein Junge aus einer Kiesgrube gerettet. Als Dankeschön habe ich ihm einen Tanzabend versprochen.