Blicke windwärts - Iain Banks - E-Book

Blicke windwärts E-Book

Iain Banks

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Beschreibung

Kenne deinen Feind!

Der idiranische Krieg treibt seinem Höhepunkt entgegen: Als Rache für die Niederlagen, die ihnen die KULTUR beigebracht hat, planen die Chelgrianer einen Anschlag auf das Masaq‘-Orbital, ein künstliches Gebilde von drei Millionen Kilometern Durchmesser, bewohnt von fünfzig Milliarden Menschen. Zwar wird das Orbital von einer KI geleitet, die Jahrhunderte lang an Raumschlachten teilgenommen hat – doch wie soll sie einen Gegner erkennen, der eine unsichtbare Waffe in sich trägt?

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IAIN BANKS

BLICKE WINDWÄRTS

Roman

Das Buch

Der idiranische Krieg treibt seinem Höhepunkt entgegen: Als Rache für die Niederlagen, die ihnen die KULTUR beigebracht hat, planen die Chelgrianer einen Anschlag auf das Masaq‘-Orbital, ein künstliches Gebilde von drei Millionen Kilometern Durchmesser, bewohnt von fünfzig Milliarden Menschen. Zwar wird das Orbital von einer KI geleitet, die Jahrhunderte lang an Raumschlachten teilgenommen hat – doch wie soll sie einen Gegner erkennen, der eine unsichtbare Waffe in sich trägt?

Der Autor

Titel der Originalausgabe

LOOK TO WINDWARD

Aus dem Englischen von Irene Bonhorst

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 2000 by Iain M. Banks

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Heide oder Jude

O du, der das Rad dreht und windwärts lugt,

Bedenke Phlebas, der einst schön und stark wie du.

T.S. Eliot

Inhalt

Prolog

1   Das Licht alter Fehler

2   Wintersturm

3   Infra-Dämmerung

4   Versengter Boden

Luftsphäre

5   Ein sehr anziehendes System

6   Widerstand formt den Charakter

7   Bezugsgruppe

8   Rückzug bei Cadracet

Lenkschiff

Erinnertes Laufen

9   Land der Masten

10 Die Meeressäulen von Youmier

11 Nicht vorhandene Schwerkraft

12 Besiegte Echos

Flug

13 Einige Todesarten

14 Rückkehr zum Abschied, Gedenken ans Vergessen

15 Ein gewisser Beherrschungsverlust

16 Erlöschendes Licht

Raum, Zeit

Schluss

Prolog

Um die Zeit, da wir beide wussten, ich würde ihn verlassen müssen, war es schwer zu unterscheiden, welche Lichtzuckungen Blitze waren und welche von den Energiewaffen der Unsichtbaren stammten.

Eine gewaltige Explosion aus blau-weißem Licht erhellte den Himmel, machte aus der Unterseite der gezackten Wolken eine auf dem Kopf stehende Landschaft, durchbrach den Regenschleier und enthüllte die Verwüstung um uns herum: das Gerippe eines fernen Gebäudes, dessen Inneres bei einer früheren Katastrophe ausgehöhlt worden war, die ineinander verhakten Überreste von Schienen in der Nähe des Kraterrands, die zerbrochenen Versorgungsrohre und eingestürzten Tunnel, die der Krater freigelegt hatte, sowie den gewaltigen Körper des Landzerstörerwracks, das halb untergetaucht in dem schmutzigen Wasserteich am Grund des Loches lag. Als der Lichtblitz erstarb, hinterließ er nur eine Erinnerung im Auge und das matte Flackern des Feuers im Innern des Zerstörerwracks.

Quilan umklammerte meine Hand noch fester. »Du musst dich unbedingt in Sicherheit bringen. Und zwar sofort, Worosei.« Ein weiterer, kleinerer Blitz beleuchtete sein Gesicht und den ölschaumigen Dreck um seinen Leib, wo dieser unter der Kriegsmaschine eingesunken war.

Ich rief mit viel Aufhebens die Meldungen ab, die mein Helm mir anzeigte. Der Flieger des Schiffs war auf dem Heimweg, allein. Das Display verriet mir, dass er von keinem größeren Gefährt begleitet wurde; das Ausbleiben jeglicher Meldung auf dem allgemeinen Kanal bedeutete nichts Gutes. Es war kein Schwerlifter, keine Rettung in Aussicht. Ich schaltete aufs Nahbereichsbild um. Auch von dort gab es keine bessere Meldung. Die wirren, pulsierenden Schaltbilder besagten, dass die Darstellung auf großer Unsicherheit beruhte (an sich schon ein schlechtes Zeichen), aber es sah ganz so aus, als befänden wir uns genau in der Angriffslinie der vorrückenden Unsichtbaren und würden bald überrannt werden. Vielleicht in zehn Minuten. Oder in fünfzehn. Oder in fünf. Unbestimmt. Trotzdem versuchte ich zu lächeln, so gut ich konnte, und bemühte mich um einen möglichst gelassenen Ton.

»Ich kann mich erst dann in Sicherheit bringen, wenn der Flieger hier ankommt«, erklärte ich ruhig. »Das Gleiche gilt für dich.« Ich verlagerte mein Gewicht an dem schlammbedeckten Hang und versuchte, einen besseren Halt zu finden. Mehrmaliges Knallen erschütterte die Luft. Ich beugte mich über Quilans ungeschützten Kopf. Ich hörte, wie Schutt auf den Hang gegenüber polterte und etwas ins Wasser platschte. Ich blickte zu dem Teich in der Talsohle des Kraters, wo die Wellen gegen die meißelförmige Frontpanzerung des Landzerstörers schlugen und wieder zurückfielen. Wenigstens stieg das Wasser anscheinend nicht weiter.

»Worosei«, sagte er. »Ich glaube, ich komme hier nicht mehr raus. Das Ding, das auf mir drauf liegt, ist zu schwer. Bitte, sieh das ein! Ich versuche nicht, heldenhaft zu sein, und das solltest du auch nicht. Hau jetzt einfach ab. Verschwinde.«

»Es ist noch Zeit genug«, entgegnete ich. »Wir schaffen es. Du darfst nicht immer so ungeduldig sein.« Wieder pulsierte Licht über uns und hob jeden einzelnen Regentropfen in der Dunkelheit hervor.

»Und du darfst nicht …«

Was immer er auch hatte sagen wollen, seine Worte wurden von einer weiteren ohrenbetäubenden Kanonade übertönt, der mehrere heftige Erschütterungen folgten; der Krach rollte über uns hinweg, als ob die Luft zerrissen würde.

»Ziemlich laut heute Nacht«, bemerkte ich, während ich mich wieder über ihn beugte. In meinen Ohren war ein Klingeln. Weitere Lichtblitze zuckten auf, und aus der Nähe sah ich den Schmerz in seinen Augen. »Sogar das Wetter ist gegen uns, Quilan. Dieser schreckliche Donner!«

»Das war kein Donner.«

»O doch! Da! Jetzt blitzt es wieder«, sagte ich, während ich mich tiefer über ihn beugte.

»Geh jetzt! Schnell, Worosei!«, flüsterte er. »Du benimmst dich töricht.«

»Ich …«, setzte ich an. Da rutschte mir das Gewehr von der Schulter, und der Schaft traf ihn an der Stirn. »Autsch!«, rief er.

»Tut mir Leid.« Ich warf mir die Waffe wieder über die Schulter.

»In bin schuld, weil ich meinen Helm verloren habe.«

»Aber immerhin« – ich schlug auf ein Stück Raupenkette über uns – »hast du einen Landzerstörer gewonnen.«

Er wollte lachen, doch dann zuckte er zusammen. Er zwang sich zu einem Grinsen und legte eine Hand auf die Oberfläche eines der Antriebsräder des Fahrzeugs. »Komisch«, sagte er. »Ich bin mir nicht mal sicher, ob es einer von ihnen oder einer von uns ist.«

»Ehrlich gesagt, ich auch nicht«, erklärte ich. Ich blickte zu der zerbrochenen Karkasse hinauf. Anscheinend breitete sich das Feuer im Innern aus; dünne blaue und gelbe Flammen zeigten sich in dem Loch, wo der Hauptgefechtsturm gewesen war.

Auf dieser Seite waren die Raupenketten des angeschlagenen Landzerstörer, der halb trudelnd, halb rutschend in den Krater gestürzt war, noch an ihrem Platz. Auf der anderen Seite lag die weggerissene Raupenkette flach am Kraterhang, ein schrittbreiter Streifen flachen Metalls, der wie eine baufällige Rolltreppe beinahe bis an den ausgefransten Rand des Loches hinaufreichte. Vor uns ragten riesige Antriebsräder aus dem Rumpf der Kriegsmaschine heraus; die mit dicken Scharnieren verbundenen Glieder des oberen Laufs der Raupenkette ruhten darauf. Quilan war unter dem unteren Raupenband gefangen, in den Schlamm gedrückt, sodass nur der obere Teil seines Torsos frei war.

Unsere Kameraden waren tot. Nur noch Quilan und ich waren übrig, sowie der Pilot des Leichtfliegers, der auf dem Rückweg war, um uns zu holen. Das Schiff, das sich nur ein paar hundert Kilometer über uns befand, konnte nicht helfen.

Ich hatte versucht, Quilan herauszuziehen, ohne auf sein unterdrücktes Stöhnen zu achten, aber er steckte fest. Ich hatte die AG-Einheit meines Anzugs bei dem Versuch, das Kettenstück, das ihn gefangen hielt, zu bewegen, ausgebrannt, und ich verfluchte unsere angeblich so wundervollen Projektilwaffen der x-ten Generation; sie waren bestens geeignet, um unseresgleichen zu töten und Schutzanzüge zu durchdringen, aber überaus ungeeignet, um durch dickes Metall zu schneiden.

In der Nähe knisterte etwas sehr laut; Funken flogen aus dem Feuer in der Gefechtsturmöffnung, stoben in alle Richtungen und vergingen im Regen. Ich spürte die Detonationen an der Erschütterung des Bodens, übertragen durch den Körper des Maschinenwracks.

»Die Munition explodiert«, stellte Quilan mit angespannter Stimme fest. »Höchste Zeit, dass du verschwindest.«

»Nein. Ich glaube, als der Gefechtsturm gesprengt wurde – auf welche Weise auch immer –, ist auch die ganze Munition mit in die Luft gegangen.«

»Das glaube ich nicht. Sie könnte immer noch explodieren. Hau endlich ab!«

»Nein. Ich fühle mich hier wohl.«

»Wie bitte?«

»Ich fühle mich hier wohl.«

»Jetzt bist du völlig übergeschnappt.«

»Ich bin überhaupt nicht übergeschnappt. Warum willst du mich unbedingt loshaben?«

»Warum sollte ich nicht? Du bist eine Vollidiotin.«

»Nenn mich nicht Idiotin, ja? Du bist streitsüchtig.«

»Ich bin überhaupt nicht streitsüchtig. Ich versuche nur, dich zur Vernunft zu bringen.«

»Ich bin bei Vernunft.«

»Den Eindruck habe ich ganz und gar nicht. Es ist übrigens deine Pflicht, dein eigenes Leben zu retten.«

»Und deine Pflicht ist es, nicht zu verzweifeln.«

»Nicht zu verzweifeln? Meine Kameradin und Gefährtin benimmt sich wie eine Schwachsinnige, und ich habe …« Quilan riss die Augen weit auf. »Da oben!«, zischte er und deutete hinter mich.

»Was denn?« Ich drehte mich blitzschnell um, brachte das Gewehr in Anschlag – und erstarrte.

Der Kämpfer der Unsichtbaren war am Rand des Kraters und spähte herunter zum Wrack des Landzerstörers. Er hatte so etwas wie einen Helm auf, doch das Gebilde bedeckte seine Augen nicht und war wahrscheinlich wenig sinnvoll. Ich blickte durch den Regen nach oben. Er wurde vom Feuerschein aus dem brennenden Landzerstörer beleuchtet; wir waren vermutlich weitgehend im Dunkeln. Der Kämpfer hielt das Gewehr in einer Hand, nicht in beiden. Ich verhielt mich sehr still.

Er hielt sich etwas vor die Augen und spähte prüfend um sich. Dann hielt er inne und blickte genau in unsere Richtung. Ich hatte das Gewehr erhoben und schoss, als er das Nachtsichtgerät fallen ließ und seinerseits die Waffe ansetzte. Er explodierte in einem Lichtgestöber, als auch schon ein zweiter Blitz am Himmel über uns aufzuckte. Der größte Teil seines Körpers taumelte und rutschte hangabwärts zu uns herunter, um einen Arm und den Kopf ärmer.

»Plötzlich kannst du einigermaßen ordentlich schießen«, stellte Quilan fest.

»Das konnte ich immer schon, mein Lieber«, entgegnete ich und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich habe es nur für mich behalten, weil ich dich nicht in Verlegenheit bringen wollte.«

»Worosei«, sagte er und ergriff erneut meine Hand. »Der da war bestimmt nicht allein. Jetzt ist wirklich allerhöchste Zeit, dass du verschwindest.«

»Ich …«, setzte ich zu einer Erwiderung an, dann bebte der Rumpf des Landzerstörers und der Krater um uns herum, als etwas im Innern des Wracks explodierte und glühende Schrapnellsplitter aus der Öffnung zischten, wo der Gefechtsturm gewesen war. Quilan rang vor Entsetzen um Luft. Schlammbrocken rutschten zu uns herunter, und die Überreste des toten Unsichtbaren wurden noch ein paar Schritte näher herangeschoben. Sein Gewehr war immer noch von einem Panzerhandschuh umklammert. Ich warf wieder einen Blick auf den Bildschirm meines Helms. Der Flieger war beinahe hier. Mein Geliebter hatte Recht, es war wirklich höchste Zeit zu verschwinden.

Ich wandte mich um und wollte etwas zu ihm sagen.

»Hol mir das Gewehr von diesem Scheißkerl«, sagte er und deutete mit einem Nicken in Richtung des toten Kämpfers. »Wir wollen mal sehen, ob ich den einen oder anderen von denen mitnehmen kann.«

»Mach ich«, sagte ich, und schon krabbelte ich durch den Schlamm und Schutt hinauf und packte das Gewehr des toten Soldaten.

»Und schau mal nach, ob er sonst noch was bei sich hat!«, rief Quilan. »Granaten – irgendwas.«

Ich glitt wieder hinunter, überschlug mich und landete mit beiden Stiefeln im Wasser. »Das ist alles, was er bei sich hatte«, sagte ich und reichte ihm das Gewehr.

Er prüfte es, so gut er konnte. »Das wird reichen.« Er legte den Schaft an die Schulter und drehte sich um, so weit es ihm seine gefangene untere Körperhälfte erlaubte, um eine Stellung einzunehmen, die einer Schießposition einigermaßen nahe kam. »Jetzt verschwinde endlich, bevor ich dich eigenhändig erschieße.« Er musste die Stimme erheben, um den Krach weiterer Explosionen zu übertönen, die das Wrack des Landzerstörers erschütterten.

Ich warf mich nach vorn und küsste ihn. »Wir treffen uns im Himmel«, sagte ich.

Für einen kurzen Augenblick wurde sein Gesichtsausdruck zärtlich, und er sagte etwas, doch Explosionen ließen den Boden erbeben, und ich musste ihn bitten, das Gesagte zu wiederholen, während der Nachhall verebbte und weitere Röhrenblitze am Himmel über uns zuckten. In meinem Visier blinkte ein dringendes Signal, um mir mitzuteilen, dass der Flieger direkt über uns war.

»Wie gesagt, alles halb so schlimm«, tröstete er mich und lächelte. »Lebe einfach, Worosei. Lebe für mich. Lebe für uns beide. Versprich es!«

»Ich verspreche es.«

Er deutete mit einem Nicken zum Hang des Kraters. »Viel Glück, Worosei.«

Ich hatte die Absicht, ihm ebenfalls viel Glück zu wünschen oder wenigstens Lebewohl zu sagen, aber leider brachte ich keinen Ton heraus. Ich sah ihn nur hoffnungslos an, blickte ein letztes Mal zu meinem Mann auf, dann wandte ich mich ab und schleppte mich den Hang hinauf, wobei ich im Schlamm immer wieder rückwärts rutschte, mich aber dennoch mehr und mehr von ihm entfernte, vorbei an der Leiche des Unsichtbaren, den ich getötet hatte, am Rumpf der brennenden Maschine entlang und unter dem bauchigen Hinterteil um den hinteren Gefechtsturm herum, während weitere Explosionen Wrackteile zum regenverhangenen Himmel hinauf schleuderten, aus dem sie herunter ins ansteigende Wasser klatschten.

Die Seiten des Kraters waren glitschig von Schlamm und Öl; mir kam es so vor, als ob ich eher tiefer hinabrutschte, als dass ich aufwärts kletterte, und einige Augenblicke lang glaubte ich, dass ich es niemals aus dieser schrecklichen Grube hinaus schaffen würde, bis ich das breite Metallband erreichte, das die herausgerissene Kettenraupe des Landzerstörers war. Das, was meinen Geliebten letztendlich töten würde, rettete mich; ich benutzte die miteinander verbundenen Teile der im Schlamm eingebetteten Raupe als Treppe, die beinahe bis zum Kraterrand führte. Ich hievte mich vollends hinauf.

Hinter dem Rand, in der von Flammen erhellten Ferne, zwischen Ruinen und Regenschwaden, sah ich die wuchtigen Umrisse weiterer großer Kriegsmaschinen sowie die winzigen, wuselnden Gestalten dahinter, die sich allesamt in meine Richtung bewegten.

Der Flieger sank aus den Wolken herab; ich warf mich an Bord, und wir hoben sofort ab. Ich versuchte mich umzuwenden und zurückzublicken, doch die Türen flogen zu, und ich wurde durch das vollgepackte Innere geschleudert, während das winzige Fahrzeug den Strahlen und Geschossen auswich, die auf es gerichtet waren, und zum wartenden Schiff Wintersturm

1 Das Licht alter Fehler

Die Kähne lagen auf der Dunkelheit des stillen Kanals; ihre Umrisse waren verfälscht durch den Schnee, der auf ihren Decks zu sanften Polstern aufgehäuft war. Die waagerechten Flächen der Kanalstraßen, Piers, Poller und Hebebrücken trugen das gleiche bauschige Gewicht des Schnees; die Fenster, Balkone und Dachrinnen der hohen Gebäude, die etwas zurückgesetzt vom Kai aufragten, waren in Weiß geätzte Linien.

Dieser Teil der Stadt war zu fast allen Zeiten ruhig, wie Kabo wusste, doch heute Nacht schien er nicht nur, sondern war tatsächlich noch ruhiger als sonst. Er hörte seine eigenen Schritte, die sich in das unberührte Weiß senkten. Jeder Schritt erzeugte ein Knirschen. Er blieb stehen und hob den Kopf, um in die Luft zu schnuppern. Sehr still. Er hatte die Stadt noch nie so lautlos erlebt. Anscheinend dämpfte der Schnee vollends die wenigen Geräusche, die es noch gab. Außerdem herrschte heute Nacht kein wahrnehmbarer Wind in Bodennähe, sodass der Kanal, auf dem sich keinerlei Verkehr bewegte, vollkommen ruhig und still dalag, ohne das Klatschen von Wellen oder das Gurgeln einer Brandung, obwohl er noch nicht zugefroren war.

Es gab keine Lichter in der Nähe, die sich in der schwarzen Oberfläche des Kanals gespiegelt hätten, sodass er wie nicht vorhanden erschien, eine Leere, auf der die Kähne lagen. Auch das war ungewöhnlich. Die Lichter waren in der ganzen Stadt erloschen, beinahe auf der ganzen Seite dieser Welt.

Er blickte nach oben. Der Schneefall ließ jetzt nach. Spinwärts, über dem Zentrum der Stadt und den noch weiter entfernten Bergen, rissen die Wolken auf und enthüllten einige der helleren Sterne, während das Wetter aufklarte. Eine schmale, schwach leuchtende Linie direkt über ihm durch die langsam ziehenden Wolken blinkend spendete etwas Licht. Er sah kein Fluggerät und kein Schiff. Selbst die Vögel der Luft waren anscheinend in ihren Nestern geblieben.

Und es gab keine Musik. Gewöhnlich hörte man in Aquime City Musik, die von irgendwoher kam, wenn man nur aufmerksam lauschte (und er war gut darin, aufmerksam zu lauschen). Doch heute Abend hörte er überhaupt nichts.

Gedämpft. Das war das richtige Wort. Der Ort war gedämpft. Heute war eine seltsame, eine ziemlich düstere Nacht (›Heute Nacht tanzt man im Licht alter Fehler‹, hatte Ziller am Morgen in einem Interview gesagt, allerdings eine Spur zu genüsslich), und diese Stimmung hatte anscheinend auf die gesamte Stadt übergegriffen, auf die ganze Xaravve-Platte, sogar auf das gesamte Masaq-Orbital.

Und trotzdem bewirkte der Schnee zusätzlich eine ganz besondere Stille. Kabo blieb noch einen Augenblick lang stehen und überlegte, was wohl die Ursache für diese übermäßige Dämpfung sein mochte. Es war etwas, das ihm zuvor schon aufgefallen war, dem er jedoch nie genügend Aufmerksamkeit geschenkt hatte, um den Versuch zu unternehmen, es wirklich aufzuspüren. Es hatte irgendetwas mit dem Schnee an sich zu tun …

Er blickte zu seinen Spuren in der Schneedecke auf der Kanalstraße zurück. Drei Reihen von Fußabdrücken. Er fragte sich, was ein Mensch jeder Zweifüßer von einer solchen Spur halten mochte. Wahrscheinlich, so vermutete er, würden sie ihnen gar nicht auffallen. Und selbst wenn, dann würden sie einfach fragen und sofort eine Erklärung bekommen. Nabe würde es ihnen sagen: das sind die Spuren unseres ehrenwerten homomdanischen Gastes, Ar Kabo Ischloear.

Ach, es gab heutzutage einfach keine Mysterien mehr! Kabo blickte sich um, dann vollführte er schnell einen kleinen hüpfenden, klackenden Tanz, mit einer Leichtfüßigkeit, die man seinem plumpen Körper niemals zugetraut hätte. Wieder blickte er sich um und war froh, dass er allem Anschein nach von niemandem beobachtet wurde. Er betrachtete das Muster, das sein Tanz im Schnee hinterlassen hatte. Das war besser … Aber woran hatte er gedacht? An den Schnee, und an seine Stille.

Ja, das wars; er bewirkte eine Verringerung des Schalls, während man üblicherweise daran gewöhnt war, dass Witterungserscheinungen von bestimmten Geräuschen begleitet wurden: Wind seufzte oder heulte, Regen trommelte oder rauschte oder wenn es sich um dunstigen Niederschlag handelte, der zu leicht war, um unmittelbar ein Geräusch zu erzeugen bildete zumindest glucksende Tropfen. Doch Schnee, der ohne die Begleitung von Wind fiel, schien der Natur zu trotzen; es war, als ob man einen Bildschirm mit abgeschaltetem Ton betrachtete, es war, als ob man taub wäre. Das wars.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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