Förchtbar Maschien - - Iain Banks - E-Book

Förchtbar Maschien - E-Book

Iain Banks

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Beschreibung

Der letzte Ausweg

Die meisten Menschen haben die Erde verlassen, als sie erkannten, dass das Sonnensystem eine Dunkelwolke durchqueren und die Erde von der aufgeblähten Sonne verschlungen werden würde. Geblieben sind ein paar Menschenabkömmlinge, einige in virtueller, andere in biologischer Form. Schließlich wird auch ihnen klar, dass sie die Katastrophe nicht überdauern können. Nun suchen sie ratlos in den uralten Resten einstiger Größe nach einer rettenden Möglichkeit: der „förchtbar Maschien“. Aber die technische Zivilisation ist längst zu Staub zerfallen, und die Funktionen ihrer seltsamen Relikte sind nur schwer zu greifen …

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IAIN M. BANKS

FÖRCHTBAR MASCHIEN

Roman

Das Buch

Die meisten Menschen haben die Erde verlassen, als sie erkannten, dass das Sonnensystem eine Dunkelwolke durchqueren und die Erde von der aufgeblähten Sonne verschlungen werden würde. Geblieben sind ein paar Menschenabkömmlinge, einige in virtueller, andere in biologischer Form. Schließlich wird auch ihnen klar, dass sie die Katastrophe nicht überdauern können. Nun suchen sie ratlos in den uralten Resten einstiger Größe nach einer rettenden Möglichkeit: der „förchtbar Maschien“. Aber die technische Zivilisation ist längst zu Staub zerfallen, und die Funktionen ihrer seltsamen Relikte sind nur schwer zu greifen …

Der Autor

Titel der Originalausgabe

FEERSUM ENDJINN

Aus dem Englischen von Horst Pukallus & Michael Iwoleit

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1994 by Iain M. Banks

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

1

Dann schien es, als sei alles abhanden gekommen: Empfindungen, Erinnerungen, das Ich, selbst der Begriff des Daseins, der aller Wirklichkeit zugrundeliegt – all das schien restlos verschwunden zu sein, und geblieben war nur die Erkenntnis, dass etwas verschwunden war, bevor auch dies keine Bedeutung mehr hatte, und für einen unbestimmten, unendlichen Augenblick gab es nur das Bewusstsein eines Etwas; eines Etwas, das keinen Geist hatte, keinen Zweck und keine Gedanken, außer dem Wissen, dass es existierte.

Danach erfolgte ein Wiederaufbau, ein Auftauchen durch Schichten des Denkens und Reifens, Lernens und Gestaltfindens, bis etwas, das ein Individuum war, eine Form hatte und das man beim Namen nennen konnte, schließlich erwachte.

Ein Summen. Etwas summt. Liege auf etwas Weichem. Dunklem. Versuche die Augen zu öffnen. Etwas klebt. Versuche es noch einmal. Lichtblitze in der Form 00. Augen sind jetzt wohl auf, nicht mehr verklebt, doch noch alles dunkel. Gerüche; vital und entartet zugleich, schwer von Leben und Tod, rühren an eine Erinnerung, frisch und doch verblasst wie nach Ewigkeiten. Dann Licht; ein schwaches Licht … überlege, wie die Farbe heißt … eine leichte Rötung in der Luft. Bewege einen Arm, hebe eine Hand; den rechten Arm; höre Haut über Haut gleiten, dabei kehrt das Gefühl zurück.

Arm, Hand, Finger: heben und richten sich aus, der Blick wird scharf. Der weiche rote Lichtfleck verschwindet. Drücke drauf. Der Arm zittert, fühlt sich schwach an; sinkt zurück auf die Seite. Haut über Haut.

Klick.

Höre ein Summen, wieder gleitet etwas, doch nicht Haut über Haut; etwas Härteres. Dann Licht von hinten/von oben. Das kleine rote Licht ist verschwunden. Dann Bewegung; oben/hinten weicht die Dunkelheit, Gesicht Hals Schultern Brust/Arme Rumpf/Hände jetzt im Licht; Augen blinzeln im Licht. Grau-rosa Licht, das von oben scheint; blaue Strahlen durchs Loch in der gewölbten Wand oben/ringsum.

Warten. Ausruhen. Augen brauchen Zeit, sich zu gewöhnen. Ringsum Klänge, oben/ringsum eine Mauer (eine Mauer; keine Wand), herumgewölbt, übergewölbt (eine Decke; ein Dach). Ein Loch in der Wand, die Helligkeit dort nennt man Fenster.

Liege da, drehe den Kopf auf die Seite; sehe über die Schulter noch ein Loch; reicht bis zum Boden und heißt Tür. Dahinter Tageslicht und das Grün von Gras und Bäumen. Boden unter der Schlafstatt; gepresste Erde, hellbraun mit ein paar kleinen Steinen. Die Klänge sind Vogelgezwitscher.

Langsam aufrichten, die Arme nach hinten, auf die Ellbogen gestützt, schaue ans Fußende; eine Frau, nackt, in der Farbe des Bodens.

Der Boden ist ganz nah; könnte auch aufstehen. Weiter aufsetzen, wirr im Kopf (schwindlig für einen Moment, dann klar), dann Füße/Beine über die Kante des … des … des Dings wie eine Tafel aus einem Loch in der Gebäudemauer, eine Tafel zum Drauf-Liegen, und dann … Stehen.

Auf die Tafel Tablett gestützt, komisches Gefühl in den Beinen, dann richtig stehen, ohne Stütze, und sich strecken. Sich zu strecken tut gut. Tafel rutscht in die Wand zurück; sehe, wie es verschwindet und ein Stück der Wand runtergleitet, um das Loch zu schließen, aus dem es kam. Empfinde … Traurigkeit, aber auch … auch angenehme Gefühle. Atme tief durch.

Atmen macht Geräusche, auch Husten macht Geräusche, und dann … eine Stimme. Erst räuspern, sage dann:

»Sprechen.«

Leicht erschrocken. Spüre Stimme im Gesicht und in der Kehle. Berühre Gesicht, fühle … ein Lächeln. »Lächeln.« Spüre von innen etwas hochkommen. »Gesicht.« Kommt weiter hoch. »Gesicht Lächeln.« Und weiter. »Gesicht Lächeln angenehm Loch rot Wand ich sehe Tür draußen Sonne Garten, ICH!«

Dann bricht das Lachen hervor, erfüllt die kleine Steinrotunde und dringt in den Garten hinaus; in einem Wirbel von Blättern und Fliegen saust ein kleiner Vogel, von den Klängen getragen, durch die Luft.

Das Lachen verstummt. Sitze im Gebäude auf dem Boden. Fühl mich innen leer; Hunger. »Lachen. Hunger. Habe Hunger. Ich bin hungrig. Ich lache, ich habe gelacht, ich bin hungrig.« Stehe auf. »Auf.« Kichere. »Kichere. Stehe auf und kichere, ich. Ich lerne. Ich gehe jetzt.«

Dreh mich aber um und schau mir das von innen an; die gewölbten Wände, die gepresste Erde auf dem Boden, die polierten rechteckigen Steine in den Wänden mit den Buchstaben drauf, einige mit kleinen Bechern/Körben/Haltern dran. Weiß nicht genau, welcher der mit dem Tablett und welcher der mit dem kleinen roten Licht war; weiß nicht genau, wo was herauskam. Bin ein bisschen traurig.

Drehe mich wieder um und gehe zur Tür und schau übers flache Tal hinaus; Bäume und Büsche und Gras, ein paar Blumen, ein Flüsschen im Talgrund.

»Wasser. Ich Durst. Ich habe Durst, ich bin durstig. Ich werde trinken. Gehe jetzt trinken. Gut.«

Verlasse das Geburtsgewölbe.

»Himmel. Blau. Wolken. Gehen. Spazierweg. Bäume. Busch. Spazierweg. Anderer Spazierweg. Wieder Himmel. Hügel. Oh! Oh, Schatten. Schrecken. Lachen! Größerer Busch. Flaches Gras. Durstig. Mund trocken. Besser nicht mehr reden. Ha-ha!«

2

Am Morgen des einhundertdreiundvierzigsten Tages in jenem Jahr, das nach neuer Einschätzung als vorletztes galt, saß Hortis Gadfium, Chefwissenschaftlerin der Interorga-Gilde für Gratifikations- und Finanzkompensation, auf einem Stahlträger, blickte zum nahezu fertiggestellten Bau der neuen Verflüssigersektion Nr. 2 in der Sauerstoffanlage der Großen Halle empor und schüttelte den Kopf.

Sie sah einen Kran, der eine Palette Stahlplatten zu den Arbeitern hinüberschwenkte, die auf dem höchsten Punkt der Konstruktion warteten, während über dem zierlichen Gitterwerk des Krans die wuchtige Masse eines Lastenluftschiffs hinwegschwebte und mit dröhnenden Turbinen eine neue Ladung Material ablieferte. Sie schaute durch das Gewimmel mannshoher Schlingen, aus dem die neue Sauerstoffanlage bestand und in dem Turbinen arbeiteten und hin und wieder Dampf ausstießen, in dem Maschinen herumkrochen, -schwebten, -rollten oder -hockten, in dem Chimären schwitzten, ackerten, hoben und zogen, und in dem auch Menschen arbeiteten, herumschrien oder einfach dastanden und sich den Kopf kratzten.

Gadfium fuhr mit einem Finger durch die Staubschicht auf dem Träger unter ihr, hielt sich den beschmierten Finger vors Gesicht und fragte sich, ob in diesem Schmutzfleck Nanomaschinen steckten, die binnen eines Tages weitere Maschinen herstellen konnten, die wiederum weitere Maschinen und mit ihrer Hilfe noch mehr Maschinen herzustellen vermochten, die allen Sauerstoff erzeugen würden, den sie je brauchten, und das bis zum Ende der Jahreszeit, nicht bis Ende nächsten Jahres. Sie wischte den Finger an ihrem Uniformrock ab, blickte wieder zur Verflüssigersektion Nr. 2 hinauf und zweifelte, ob sie je ordentlich funktionieren, und wenn ja, ob es je funktionsfähige Raketen geben würde, die sie mit Treibstoff versorgten.

Sie sah zu den drei riesigen Fenstern der Halle hinüber, wo sich – unter einer hohen, regenlosen Wolkendecke – der Sonnenschein in großen, breiten Lichtbändern in der staubgeschwängerten Luft fing, in einigen Kilometern Entfernung einen Abschnitt der Landschaft beleuchtete und auf den Türmen und Kuppeln der Hallen-City funkelte, zweitausend Meter unter der extravaganten Hängearchitektur des Lüster-Palastes.

Es war hell draußen, und an solchen Tagen konnte man sich vormachen, dass mit der Welt noch alles in Ordnung sei, dass keine Bedrohung bestünde, kein Schatten das Gesicht der Nacht verdunkelte, keine unbarmherzige, systemweite Katastrophe herannahte. An solchen Tagen konnte man sich einreden, dass all das ein gewaltiger Irrtum oder eine Massenhalluzination und dass der Anblick vergangene Nacht, als sie vor der Kuppel des Observatoriums über dem verdunkelten Palast gestanden hatte, nur ein Produkt ihrer Phantasie gewesen sei, ein Traum, den ihr Wachbewusstsein nicht vertrieben oder richtig eingeordnet hatte und der deshalb als Alptraum fortlebte.

Sie stand auf und ging zu ihrem Unteradjutanten und ihrer Forschungsassistentin zurück, die auf sie warteten, sich mitten im konstruktiven Chaos der Sauerstoffanlage leise unterhielten und gelegentlich mit einer Art verächtlicher Duldsamkeit das unwürdige physische Spektakel beobachteten, das mit einer so grobschlächtigen Technik einherging. Und, daran hatte Gadfium keinen Zweifel, belustigt darüber spekulierten, was das alte Mädchen gerade machte, denn sie wollten sich nicht länger als unbedingt nötig auf dieser Baustelle aufhalten.

Wahrscheinlich war ihre Teilnahme an dieser Baukonferenz überhaupt nicht nötig; die wissenschaftlichen Hintergründe des Projekts waren längst geklärt und die Bürde der Organisation an die Gilde Technik und Bauwesen übergeben; dennoch wurde sie weiterhin aus Höflichkeit (und mit Rücksicht auf ihre Stellung am Hof) zu solchen Sitzungen eingeladen und wohnte ihnen bei, so oft sie konnte, weil sie fürchtete, dass den anderen in ihrem Eifer, seit Jahrtausenden überholte Techniken und Verfahren wiederzubeleben, etwas entgehen könnte, sie einen einfachen Sachverhalt außer acht ließen, eine offenkundige Gefahr übersahen. Solche Versäumnisse ließen sich rasch beheben, aber sie hatten ohnehin so wenig Zeit, dass jegliche Unterbrechung des Programms verheerende Folgen haben musste, und auch wenn Gadfium in ihren düstersten Momenten mitunter argwöhnte, dass eine Unterbrechung nahezu unvermeidlich sei, wollte sie alles in ihrer Macht Stehende tun, damit kein Mangel an Einsatz auf ihrer Seite zu einer Verzögerung führte.

Natürlich wäre es alles sehr viel einfach gewesen, hätten sie nicht in Konflikt mit der Techniker-Gilde gestanden, deren (im Übrigen belagertes) Hauptquartier sich in der Kapelle befand, die dreißig Kilometer von hier entfernt am anderen Ende der Feste und drei kilometerhohe Geschosse über der Großen Halle lag. Es gab durchaus Techniker, die auf ihrer Seite standen – so wie abtrünnige Kryptographien, Wissenschaftler und Mitglieder anderer Gilden auf der anderen –, aber nur wenige, und Gadfium teilte mit vielen Wissenschaftlern die zusätzliche Last, dass sie in einem praktischen industriellen Maßstab denken musste.

Ihr Bedürfnis, einfach nur dazusitzen und die Anlage zu betrachten, hatte wahrscheinlich etwas mit ihrem Zweifel zu tun, ob dieses Projekt etwas an ihrer unangenehmen Lage ändern mochte, selbst wenn alles nach Plan lief; sie vermutete, dass sie unbewusst die Hoffnung hegte, die schiere Präsenz und Größe dieses industriellen Unternehmens – und der materielle Aufwand zu seiner Verwirklichung – würde sie irgendwie davon überzeugen, dass das Ganze überhaupt einen Sinn hatte.

»Chefin?«

»Hmmm?« Gadfium wandte sich ihrem Adjutanten Rasfline zu, der einige Meter hinter ihr stand. Rasfline – dünn, asketisch, von steifer Korrektheit in seiner Adjutantenuniform – nickte ihr zu.

»Chefin, eine Nachricht aus dem Palast.«

»Ja?«

»Es gibt eine neue Entwicklung in der Ebene der Wandernden Steine.«

»Eine Entwicklung?«

»Etwas Ungewöhnliches. Mehr weiß ich nicht. Man erwartet dort ihre Anwesenheit. Die entsprechenden Reisevorbereitungen sind bereits getroffen.«

Gadfium seufzte. »Na schön. Gehen wir.«

Der Hubgleiter schwebte aus der Sauerstoffanlage und folgte einer staubigen, windigen Straße mit schweren Maschinen- und Chimärenverkehr nach Osten. Die gepflegte, sorgsam arrangierte Parklandschaft, die diesem Teil der Großen Halle über tausend Generationen seinen Glanz verliehen hatte, war ohne Zögern dem Erdboden gleichgemacht worden, als dem König und seinen skeptischeren Beratern – ganz offensichtlich – die Folgen der Großen Verfinsterung zu Bewusstsein gekommen waren; normalerweise blieben Industrien dieser Art auf die inneren Tiefen der Feste beschränkt, wo wenig natürliches Licht schien und anstößig hässliche oder schmutzige Anlagen bedenkenlos betrieben werden konnten, ohne dass sie die Sicht oder die Reinheit der Luft beeinträchtigten, und wo zu leben sich nur die Verzweifelten und Gesetzlosen bereitfanden.

Dennoch hatte der König – ungeachtet aller Empörung und der Selbstmorde einiger Gärtner und Förster – entschieden, dass eine solche Anlage gebaut werden musste, und zwar schnell; in Sichtweite des Palastes waren die eigens zu diesem Zweck konstruierten Abraumgeräte ans Werk gegangen. Die Wäldchen, Seen und Lichtungen, an denen sich alle Kasten und Klassen über Jahrtausende erfreut hatten, waren von Schaufelbaggern, Planierraupen und Gleiskettenfahrzeugen eingeebnet worden.

Die Chefwissenschaftlerin sah die Sauerstoffanlage hinter einem bewaldeten Hügel verschwinden, und zuletzt war das Baugelände nur noch an einem Rauch- und Staubschleier auszumachen, der über den Bäumen in der Luft hing. Es würde wieder auftauchen, wenn sie sich über die Ebene dem Ostkliff näherten; die Sauerstoffanlage stand auf einem kleinen Plateau und war von beinahe jedem Punkt in der zehn Kilometer durchmessenden Großen Halle zu erkennen. Gadfium fragte sich wieder einmal, ob der König nicht bloß deshalb die Anlage hier errichten ließ, um seinen Untertanen den ganzen Ernst ihrer Lage vor Augen zu führen und ihnen einen ersten Eindruck von der Art der Opfer zu verschaffen, die sie in Zukunft erbringen mussten. Gadfium schüttelte den Kopf, trommelte mit den Fingerspitzen auf die hölzerne Armlehne des Sitzes und öffnete ein Ventil neben dem Fenster, damit die warme Luft einströmen konnte. Sie betrachtete den Mann und die Frau, die ihr gegenüber saßen.

Rasfline und Goscil begleiteten sie seit Beginn des gegenwärtigen Notstands vor zehn Jahren, als die Wissenschaft wieder an Bedeutung gewonnen hatte. Rasfline verkörperte beispielhaft die Offizierskaste und legte offenbar Wert darauf, einer Maschine so ähnlich wie möglich zu sein; in den ganzen zehn Jahren hatte er Gadfium kein einziges Mal anders als mit »Chefin« oder »Madame« angeredet.

Goscil – mit ihrem rundlichen Gesicht, zerzaustem Haar und einem Uniformrock, der nie ganz richtig und stets etwas eng zu sitzen schien – war im Laufe der Jahre unübersehbar schlampiger geworden, als reagierte sie damit auf Rasflines strenge Ordentlichkeit. Sie hatte einige Dateien der Sauerstoffanlage abgerufen und saß nun mit geschlossenen Augen da, während sie die Informationen in sich aufnahm und dabei gelegentlich unfreiwillig leise Geräusche von sich gab; Schnalzen, Zischen, Schnauben, Summen. Rasfline biss die Zähne zusammen und sah zum Fenster hinaus.

»Weitere Einzelheiten von der Ebene?«, fragte Gadfium ihn.

»Nein, Madame.« Rasfline machte eine Pause, in der er offensichtlich kommunizierte, dann schüttelte er den Kopf. »Wie gehabt. Das Observatorium hat etwas Ungewöhnliches gemeldet, und der Palast hat seinem Antrag entsprochen und Sie hinzugezogen.«

»In der Ebene der Wandernden Steine?«, fragte Goscil und schlug unvermittelt die Augen auf. Sie blies eine Haarsträhne weg, die ihr quer ins Gesichts hing, und warf Rasfline einen Blick zu. »Ich habe im Wissenschaftssender Gerüchte mitbekommen, dass die Steine sich merkwürdig verhalten sollen.«

»So?«, äußerte Rasfline trocken.

»Und in welcher Hinsicht merkwürdig?«, fragte Gadfium.

Goscil zuckte die Achseln. »Das wurde nicht erwähnt. Es gibt nur einen gespeicherten Bericht von einem nachgeordneten Mitarbeiter, der etwa zur Dämmerung datiert ist und besagt, dass die Steine sich bewegten und etwas Merkwürdiges geschehen sei. Seitdem nichts mehr.« Sie warf Rasfline noch einen Blick zu. »Wahrscheinlich herrscht eine Nachrichtensperre.«

Gadfium nickte. »Gab’s da oben in letzter Zeit viel Wind und Niederschläge?«

Rasfline und Goscil verstummten beide für einen Moment. Goscil antwortete zuerst. »Ja. Genug Schmelzwasser, dass sie sich bewegen können, und etwas Wind. Aber …«

»Ja?«, hakte Gadfium nach.

Goscil zuckte die Achseln. »Der Bericht des Mitarbeiters klang irgendwie sonderbar. Er sagte, es … darf ich wörtlich zitieren?«

Gadfium nickte. »Nur zu.«

Goscil schloss die Augen. Rasfline sah wieder weg. »Hmm«, sagte Goscil, »die üblichen Absenderangaben, Observatorium Steinebene und so weiter, und dann, ich zitiere …« Ihre Stimme schlug nun einen beschwörungsartigen Ton an. »›Etwas Seltsames geht vor. Etwas ganz Seltsames. O Scheiße. Schaun wir mal genauer nach, zuerst die allgemeinen Daten: Aufgefrischter Wind aus nordwestlicher Richtung, Windstärke vier, Niederschlag gestern drei Millimeter, Reibungsfaktor der Ebene sechs. Oh, schaut sie euch an! Schaut euch das an! Das geht doch gar nicht. Das haben sie doch noch nie gemacht, oder? Ich warte, bis …‹ Unverständlich. ›Verständige den Chef … Speichere das erst mal so ab. Ende.‹«

Goscil schlug die Augen auf. »Zitat Ende. Danach kam nichts mehr. Seitdem wird versucht, mit dem Observatorium Kontakt aufzunehmen, aber es antwortet niemand.«

»Von wann stammt der Bericht?«

»Sechs-dreizehn.«

Gadfium sah Rasfline an, der dünn lächelte. »Stand der Palast seither mit dem Observatorium in Kontakt?«

»Darüber liegen mir keine Angaben vor, Chefin«, erwiderte der Adjutant. »Die Nachricht, in der Sie um Ihr Kommen gebeten werden«, fügte er hinzu, als versuchte er dennoch hilfreich zu sein, »ist mir um zehn-fünfundvierzig zugestellt worden.«

»Hmm«, brummte Gadfium. »Bitten Sie doch den Palast höflich um weitere Einzelheiten und dass uns gestattet wird, direkt mit dem Observatorium zu sprechen.«

»Jawohl, Madame«, sagte Rasfline und setzte den glasigen Blick einer Person auf, die höflich darauf aufmerksam machen wollte, dass sie kommunizierte.

Gadfiums Stellung befreite sie von der Notwendigkeit einer implantierten Direktverbindung, denn sie gehörte zu jenen erhabenen Seelen, deren Gedanken von den Störungen einer permanenten Wechselkommunikation verschont bleiben sollten, damit sie unverwässert ihre Schlüsse ziehen konnten, solang sie nicht beschlossen, über externe Hilfsmittel auf den Datenkorpus zuzugreifen. Sie wusste, dass sie sich mit diesem Zustand abzufinden hatte, schwankte aber ständig zwischen einem schuldbewussten Stolz auf ihre privilegierte Position und einer immer wiederkehrenden Frustration darüber, dass sie sich so oft auf andere verlassen musste, um an die vielen Detailinformationen zu gelangen, die ihre Arbeit erforderte.

»Wir werden in einem Ballonlift die Ostwand hochsteigen«, erklärte Goscil nach einer kurzen Pause. »Uns steht eigens der Privatballon des Königs zur Verfügung«, sagte sie der Chefwissenschaftlerin. »Wir werden dort wohl sehr dringend gebraucht.«

3

Die Marschkolonne holperte durch die zerklüftete Landschaft des eingestürzten Südlichen Vulkansaals; eine Reihe riesiger, zylindrisch-rundlicher, vielrädriger Schwertransporter, dazwischen kleinere Fahrzeuge und Chimären. Einige der größeren Chimären, die durchweg der Inkarnosaurier-Spezies angehörten, beförderten Truppen; die meisten anderen künstlichen Geschöpfe galten zumindest teilweise als empfindungsfähig und waren selbst Soldaten, vielseitig bewaffnet, biologisch eingeschränkt, aber gepanzert.

Die anderen Bodenfahrzeuge umfassten vergitterte Buggy-Typ-Allradkübelwagen, bewaffnete Begleitpanzer, mit ein oder zwei Kanonen ausgestattete Landromonds und die riesigen, mit zahlreichen Geschütztürmen bestückten Panzer, die Bassinale genannt wurden. Der schwerfälligen Kolonne gehörte gut ein Sechstel der Militärtransporter des Königs an, und er stellte entweder ein brillantes Manöver zur Aufstockung des Truppenkontingents der belagerten Garnison dar, die die Arbeiten in der südwestlichen Lichthalle im fünften Geschoss bewachte, oder eine verzweifelte und wahrscheinlich vergebliche Finte, um einen Krieg zu gewinnen, der nicht nur nicht zu gewinnen, sondern ohnedies sinnlos war; Sessine wusste noch nicht recht, was eher zutraf.

Graf Alandre Sessine VII., Oberkommandierender des II. Expeditionskorps, wandte den Blick von dem trägen Heerwurm aus Tieren und Maschinen ab, die seiner Verantwortung unterstanden, betrachtete ringsum die kahlen Ruinen eingestürzter Mauern, die bloßgelegte Topographie der Mega-Architektur und die Wolken dahinter.

Während er bis zur Hüfte im Geschützturm des führenden Begleitpanzers stand, immer wieder durchgerüttelt von dem rauen, unwegsamen Untergrund, den die Kolonne befuhr, und sein Küraß dumpf gegen den Innenrand der Luke klirrte, kostete es einige Anstrengung, die Aufmerksamkeit auf die gewaltige, düstere Erhabenheit der Umgebung zu richten, und noch mehr, um die offenkundige Bedeutungslosigkeit solcher Maßstäbe für die anstehende (oder besser anliegende, quasi näherrollende und -stapfende) Aufgabe zu übersehen.

Dennoch ließ er sich hin und wieder gern darauf ein, wenn die Dampf- und Rauchwolken sich ausreichend lichteten, und er betrachtete es nicht als extravagante Beanspruchung seiner vermeintlich kostbaren Aufmerksamkeit; schärfere Augen und subtilere Sinne als seine sorgten für das Vorankommen der Kolonne in Zeitmaßstäben, die er einer weiteren Perspektive zuliebe vernachlässigte, und wozu war – ganz allgemein betrachtet – sein stiller, auf sich selbst bezogener Geist denn noch gut, wenn nicht, um (dank des gnädigen Wohlwollens des Königs) die weitere Welt jenseits der vulgären Intimität des Unmittelbaren zu erfahren?

Der eingestürzte Südliche Vulkansaal bestand eigentlich aus vielen Räumen und dazu aus mehreren Geschossen; die stehengebliebenen Mauern bildeten eine riesige zusätzliche Felseinfassung in Form eines C, zwischen zehn und dreizehn Kilometer im Durchmesser und zwischen einem und sechs Kilometer hoch. Der zerfurchte Boden, über den der Heerwurm mit so außerordentlicher Langsamkeit hinwegkroch, bestand aus den Trümmern von fünf oder sechs Geschossen, zusammengepresst von den Kataklysmen, die diesen Abschnitt der Feste bis in eine Höhe von weniger als zwei großen Stockwerken heimgesucht hatte, und wurde noch immer etwa einmal im Jahr von kleineren Erdbeben erschüttert. Dampf und Rauch drangen aus hundert Spalten und Rissen quer durch die wirr verwinkelte Geographie des Saals, und wenn keine Windwirbel die Luft in dem riesigen Kessel umwälzten, drang einem Schwefelgeruch in die Nase.

Es war ein verhältnismäßig milder Tag, und die Wolken aus gelbgetöntem Rauch und strahlend weißem Dampf, die über diesen geschundenen Nachlass der Landschaft trieben, boten dem mühsamen Vorankommen der Marschsäule Deckung, auch wenn sie gelegentlich den Blick auf die ganze Majestät des Schlosses im Hintergrund verwehrten.

Sessine schaute durch das tief eingeschnittene Tal zurück, den Bruch im Gefüge der Festung, den der verschüttete Vulkan verursacht hatte. Die Einfassungsmauern bildeten eine gewellte Linie am Rande der Landschaft, die in der Ferne hinter den schemenhaft erkennbaren Wäldern, Seen und Parkanlagen des Außenhofs bläulich wirkte. Dahinter zeichnete sich eine vage Andeutung der Hügel und Ebenen jener Provinzen ab, die die Extremadura bildeten.

Hier unten hat es einmal warm ausgesehen, dachte Sessine und stellte sich die Gerüche der sommerlichen Weiden und Wäldchen vor und das Gefühl von Teichwasser auf der Haut. Obwohl sich die Schneegrenze einen guten Kilometer über ihnen befand, war die Luft hier kühl, wenn sie nicht vom brandigen Geruch des halb untätigen Vulkans unter der Kolonne erwärmt wurde. Sessine fröstelte trotz Küraß und Pelz.

Er lächelte, während er umherblickte. Für das Privileg, sich in dieser eisigen Hölle aufzuhalten und sein Leben für einen Auftrag aufs Spiel zu setzen, deren Zweck nicht einmal er ganz begriff, hatte er sich auf ein langwieriges und mühseliges Fädenziehen eingelassen, das ihm normalerweise zuwider gewesen wäre. Vielleicht bin ich im Herzen doch ein Masochist, dachte er. Vielleicht ist diese Veranlagung (er sah den stark ansteigenden Geländeabschnitt hinauf, den sie gerade erklommen) in den letzten sieben Leben latent geblieben, verborgen. Der Gedanke amüsierte ihn. Er setzte seinen Rundblick über das Panorama fort, das zwischen den treibenden Wolken kurz zum Vorschein kam.

An einem Ende des riesigen, aus dem Schloss gebissenen Cs stand, nahezu unversehrt und fünf Kilometer hoch, ein einziger großer Bastionsturm und warf einen kilometerbreiten Schatten über den zerklüfteten Boden vor der Marschkolonne. Rings um den Turm waren die Mauern eingestürzt, auf einer Seite sogar völlig verschwunden, und hatten nur einen Grat aus Trümmerstücken von kaum fünf Kilometern Höhe auf der anderen Seite zurückgelassen. Massige Babilia-Wucherungen, die man nur in der Feste, dort aber überall antraf, bedeckten alle bis auf die glattesten vertikalen Flächen mit einem krankhaft üppigen Gehänge aus lindgrünem, königsblauem und blass roströtlichem Buschwerk; nur die höchsten Punkte der schroffen Mauern unweit der aktiveren Entgasungsrisse und Fumarolen blieben von der hartnäckigen Vegetation unberührt.

Über ihnen wuchsen Bäume auf dem Kamm des ausgezackten Grats, der einen unregelmäßigen, zerklüfteten Kranz um den gewaltigen Kessel des Vulkansaals bildete und stufenweise über die Baumreihe hinaus anstieg, bis er unmittelbar vor ihnen mit dem intakten Bau der Feste Serehfa verschmolz, wo die Mauern – einige von riesigen Fenstern und Lichtgaden durchlöchert, einige glatt, einige von makellosem Glanz und einige rau genug, um mit Schnee bedeckt oder mit der blaugrünen Abart einer in Höhen wachsenden Babilia bewuchert zu sein – durch die Wolken in den Himmel emporragten.

Sessine blickte nun fast senkrecht empor, versuchte die Spitze des Festenturms selbst zu erkennen, den mächtigsten der mächtigen Türme Serehfas, der in glitzernder Einsamkeit alle außer die flüchtigsten Spuren der Atmosphäre überragte, ganze fünfundzwanzig Kilometer über die Oberfläche und fast bis in den Weltraum hinaufreichte.

Wolken verhüllten die geheimnisvolle Krone der Burg, und Sessine lächelte wehmütig, als ein weiterer Schleier aus Dampf und faulig riechendem Rauch, vom Wind getrieben, die Sicht verwehrte. Der Graf behielt den Anblick dieser gewaltigen, fernen Mauern für einen Augenblick im Gedächtnis und rümpfte die Nase, als die Dünste und Gase das langsame Fahrzeug einhüllten. Er hob den Breitband-Feldstecher, der stets an einem Haken in der Luke hing, an die Augen und beobachtete die Umgebung, aber durchs Fernglas wirkten der Ausblick und vor allem die Maßstäbe gänzlich anders.

Dennoch verliehen die Nebel etwas zusätzliche Sicherheit. Er fragte sich – so wie er es immer in einem Moment während einer dieser entspannenden Rundblicke tat –, ob man sich auf irgendeine Weise für seine Inspektion revanchiert hatte.

Er wusste, dass für den König eigene Späher Dienst taten, von Türmen und hohen Mauern das offene Gelände unter ihnen beobachteten und dem Armee-Geheimdienst Bericht erstatteten, und er hatte nie recht glauben können, dass die Techniker niemals die gleiche Idee gehabt hatten. Er hängte den Feldstecher zurück. Die vulkanischen Nebel schienen sich nicht verziehen zu wollen; wenn überhaupt, dann wurden sie nur noch dichter und ungesünder.

Er hörte ein Knistern aus dem Innern des Wagens, dann sagte jemand etwas. Es klang, als sei eine Funkabstrahlung empfangen worden. Die Kolonne hatte die Kommunikationsfrequenzen vollkommen frei zu halten, die Armee konnte allerdings immer noch über Funk mit ihr Kontakt aufnehmen. Das bedeutete, dass alle Männer in ihren Köpfen oder zumindest in ihren Fahrzeugen allein blieben. Der Beitritt zur Armee kam einem Verzicht auf einen ungehinderten Zugriff auf den Datenkorpus gleich; alles musste durchs Armee-Funknetz umgeleitet werden.

Keinen Kontakt zu den fernen Lieben aufnehmen zu können, war schlimm genug für Truppen, die nicht an den Krieg, dafür von klein auf an die Möglichkeit gewöhnt waren, auf Wunsch jeden durch den Korpus zu erreichen, aber immerhin konnten die Angehörigen der meisten übrigen Truppenteile untereinander reden. Für die Dauer dieser Unternehmung war Sessines Männern sogar das untersagt, sofern sie ihre Position nicht verraten wollten, und nur in der Isolation ihrer geschlossenen Transporter konnten sie ihre Implantate benutzen.

Sessine warf einen Blick auf den knolligen Bug des Provianttransportfahrzeugs unmittelbar hinter dem Begleitpanzer – mehr war hinten nicht zu sehen, so wie er auch vor sich nur das Hinterteil einer waffenbeladenen Chimäre erkennen konnte –, dann rutschte er in den Begleitpanzer zurück und zog die Luke über sich zu.

Das Innere des Begleitpanzers war warm und roch nach Öl und Plastik; in den zwei Tagen, seit sie den neugebauten Hydrolift an der Bruchkante gegenüber dem Bastionsturm verlassen hatten, war ihm das von Summen und Maschinengerüchen erfüllte Interieur geradezu ans Herz gewachsen. Vielleicht lag es daran, dass die hermetische, dumpfe Röte etwas von einem Mutterleib hatte.

Sessine machte es sich im Kommandositz bequem und streifte die Handschuhe ab. »Luke zu«, sagte er.

»Luke zu«, rief die Fahrzeugkommandantin über die Schulter. Der Fahrer an ihrer Seite drehte das Lenkrad des Begleitpanzers, den Blick starr auf das klare Bild des Bodens vor ihnen gerichtet, das vom Breitband-Display angezeigt wurde.

»Irgendwelche Meldungen?«, fragte Sessine den Kommunikator. Der junge Leutnant nickte zittrig. Er wirkte erschrocken, seine Haut war grau. Sessine rätselte, um welche Neuigkeiten es sich handeln mochte, und spürte schon einen Knoten in den Eingeweiden.

»Ordnungsgemäß empfangen, Sir«, rief die Fahrzeugkommandantin und ließ den Blick nicht vom Bildschirm. »Routine-Update-Code. Keine besonderen Vorkommnisse.«

»Keine besonderen Vorkommnisse?«, fragte Sessine und starrte ins ängstliche Gesicht des Leutnants. Was hatte der Mann bloß?

»Ich … ich habe …«, begann der Kommunikator und schluckte dann. »Ich habe noch etwas gehört, Sir, und zwar über die Bereitschaftsfrequenz der Maschine, vom Geheimdienst«, stammelte er und stützte eine zitternde Hand auf die Kommunikationskonsole.

Die Fahrzeugkommandantin drehte sich an ihrem Platz um und runzelte die Stirn. »Was?«

Der Leutnant warf ihr einen Blick zu, dann sagte er zu Sessine: »Sie haben einen Späher auf der nördlichen Randmauer, Sir. Er meldet … einen …« – der junge Mann zögerte, dann platzte es heraus – »… einen Luftangriff.«

»Was?«, schrie die Fahrzeugkommandantin, wirbelte herum und hämmerte mit der Faust auf die Sensortasten des Wagens, lehnte sich dann zurück und hielt eine Hand ans Ohr und die Augen geschlossen.

»Einen … einen Luftangriff, Sir«, wiederholte der Leutnant mit Tränen in den Augen und blickte zur Luke hinauf.

Die Fahrzeugkommandantin murmelte etwas. Der Fahrer fing an zu pfeifen. Sessine wusste nicht, was er sagen sollte. Er sprang auf seinen Turmsitz, stieß die Luke wieder auf und rief noch im letzten Moment »Luke offen«, ehe er den Kopf in den Dampf und Rauch über dem Fahrzeug steckte. Dann hob er den Feldstecher.

Als er sich die Okulare vor die Augen hielt, hörte er zwei Schüsse unter sich, aus dem Innern des Wagens, rasch gefolgt von zwei weiteren Schüssen. Der Wagen geriet ins Schlingern und brach nach rechts aus.

Sessine ließ sich durch die Luke fallen und erkannte im selben Moment, dass er möglicherweise einen schrecklichen Fehler gemacht hatte.

Er griff mit einer Hand nach seiner Waffe, bemerkte den ekelhaft süßlichen Geruch von verbranntem Fleisch und sah sich unversehens dem tränenüberströmten Gesicht des Kommunikators gegenüber, der seine Waffe geradewegs auf ihn richtete.

Die beiden Leichen im vorderen Teil des Begleitpanzers schwankten schlaff hin und her, als der Wagen über ein Hindernis holperte. Der Leutnant stützte sich mit der freien Hand an der Decke des Wagens ab und schniefte laut. Sessine streckte eine Hand nach ihm aus und ließ die andere auf dem Griff seiner Waffe sinken. »Komm schon …«

»Es tut mir leid, Sir.«

Dann entflammte die Welt, und ein fürchterlicher Schlag traf Sessines untere Gesichtshälfte. Er stürzte hin und wusste, dass er starb, als er in Rauch gehüllt auf dem Boden aufschlug, aller Schmerzen ledig, mit einem Geräusch in den Ohren, das von innen kam, ohne einen Rest von Luft in der Lunge und nicht mehr zum Atmen imstande, und während er dort lag, stand für einen schrecklichen Augenblick alles still, ehe er spürte, wie der junge Leutnant sich über ihn beugte und ihm die Waffe an den Hinterkopf setzte, und er hatte gerade noch Zeit zu denken Warum?, ehe er starb.

4

W8e auf. Zoch mich an. Aas frühschdük. Unterhield mich mit ameise Agathe sie s8e: In ledzder zeid hazd du nur xocht xocht xocht meizder Baskül warum lekzd du nüch x n freien tach 1? Isch gab ihr räschd + so kam unz die ide mr. Soloparia im augappel dez Rosbrith-mammuments zu besuchen.

Isch fand ez bezer drüber erzd mit dem zuschdändschen mann zu rehn damit wir k1e schwierichkeiten kriechten (anderz alz ledzdes x) alzo gingen wir zu mentor Scalopin.

Ja sicher sach isch opwol ez schdreng gönummi nüch schdimmte eigendlüch warz sogar unwar abba isch konnd sie noch unterwex erledigen.

Waz haßt du da in der sch8el?, fr8 er.

1e ameise sach isch + hald ihm die sch8el unter die naze.

Ach d1en kl1en froind waz? Isch hab göhörd daz du n schoztier haßt. Daaf isch ihn sehn?

O ja sehr hübsch s8 er 1e ziemlich seltsame bemerkunk über 1e ameise wenn man mich fr8 abba egal. Hat sie fr8 er 1en namen?

Ja sach isch sie heizd Agathe.

Ach so s8 er + gukkd mich so komisch an.

Schprächen kann sie ach ferzähl isch ihm abba isch glaab nüch daz Sie sie hörn kunni.

(Scht Baskül!, zischd Agathe + isch werd 1 pißken rod. So-so warhafftich?, m1t mentor Scalopin mit s1em üblichen dolleranten . Alzo scheen s8 er + tatschd mir n kopp (waz isch offen göschdanden ungarn hab abba manches x muz man sich so waz göfallen lassen. Ja wo warn wir denn? Ach ja er tatschd m1en kopp + s8) dann nix wie wech mit dir (s8 er) abba sei zum ahmdessen widder da.

Huppheidi ruf isch übermütich + schwirr ab.

Auf dem hinabwech lauf isch in die küche + zwinker meizderin Blyke mit m1en grozen seelenfollen augen zu + schenk ihr gantz schüchtern + scheu 1 öligez + nehme mir waz ezbares mit. Sie tätscheld mir auch den kopp. Waz finden die loite bloz an so waz?

Isch ferlaz daz kloßder ca. ½ 9 + far mit dem lifd nach oben; dursch die hohn fenzder über der grozen halle sch1t die sonne mir drekkd ins gösichd. Isch bin mir ächd sicher daz sie nüch aussiehd alz ob sie schwächer wird abba alle sahn ez alzo muz ez wol so s1.

Isch mag die kliffschdraze wail man übern rand + biß auf den gr+ der grozen halle schaun + sogar die grozen r+en dinger sehn kann wo die schublahngriffe fom Schreibtisch wärn hätte hir allez die richtiche gröze anschdatt so GROZ zu s1. Mr. Soloparia s8 türlich hätt ez nie riesen gögehm + isch glaab ihm abba manches x kann wenn man fon oben in die groze halle gukkd sich berge alz kommoden + andre berge alz schdühle + sofaz längs 1er wand forschdellen + dazwischen tische + so weiter im raum ferteilt + sich frahn: Wann kummi die riezenj+els heim? (J+elz hab isch mir selbschd ausged8 + bin mazzich stolz drauf – ez heizd jungz + mädelz. Agathe s8 so waz nennt man 1 nakronüm. Ja wo warn wir denn? Ach ja wir hängen am hek dez lazderz der die kliffschdraze lankfärd.)

Ameise Agathe sitzd in ihrer sch8el in der linken bruzdtasche m1er gud zugeknöffden fieltaschenjake. Allez frisch Agathe?, frach isch ½ laut wärnd wir die schdraze lankholpern.

Gehd mir gläntzend s8 sie. Wo sünd wir?

Atildeh auf 1em lazder ½ lüge isch.

Hängen wir edwa am heck 1es farzeuchs?, fr8 sie.

(§δ$ǂ%#Φ! Offenbar kann man for diezer ameise 1fach nix ferheimlichen.) Wie kommzd auf so waz?, weiche isch mit 1er gögenfrage aus.

Muzd du eigendlüch bei jehm befördrunksmittel imma die grözde göfar 1gehn?, fr8 sie one sich um die gögenfrage zu kümmern.

Isch d8e du wärzd dursch 1en schdurz egal aus waz für höhe wegen dez ferhäldniz d1er göringen körpermaze + mazze-zu-auzenfläche-relaschjon zur gröze der luffdmolenkülens unkaputtbar sach isch.

Ha isch wüßt x gern waz bei 1em schdurz aus der höhe beim aufprall die richtiche saite s1 soll ruf isch lehn mich über den abgr+ daz mir der wind dursch die haare sauud + gukke hinab auf die baumwiffel dez waldz der wol gud 2h+erd m tiefer schdehd.

Du haßt mich mistferschdanden s8 ameise Agathe laicht ferschnupfd.

Isch denke kurtz nach. Isch sach dir waz sach isch.

Ja?, fr8 sie.

Wenn wir mit dem hüdrolifd daz kliff hinauffarn sidzen wir drinni. Wie finzd du daz?

D1 grozmud haud mich um s8 sie.

Isch bin mediator drum muz isch die terminkontakde eben erledichen würd isch sahn.

Isch such mir 1e ruhige schdelle in der nähe dez 1gankz wo der wind r1feiffd sedz mich hin lehn mich zürich schlieze fazd gantz die augen + zapf die krüpta an wo die toten sünd.

Fon der obern hüdrolifd-schdattjon überkwer isch den wartepladz auf dem felssims nah unterm dach der grozen halle geh dursch ferschiedne schdollen + tunnel in die felzwand + nehm 1e u-bahn die durschs innre der felzwand zum andern ente der grozen halle färt.

1 klapprichter aldi sessellifd brinkd mich aufwärtz + dursch 1e art fon sch8 mitten dursch die hängenden babbel-flanzen + ez dauert nüch lank + isch erreisch die ekke der grozen halle + die schdelle wo die arschstrologen&alchimisten hängen. Alzo sie hängen da buchschdäblich for allem mr. Soloparia der alz bedoitender aldi promi fon hohm ansehn s1en wonsidz an 1em der bezden auzgukkplätzken der schdadt hat nehmlich im räschden augappel dez Rosbrith-mammuments.

Fiellaichd hättzd du ihm ankünden sollen daz wir ihn besuchen s8 Agathe aus ihrer sch8el.

Du hättzd wem 1e nachrichd mitgehm kunni s8 Agathe.

Ja-ja-ja endgechne isch ser ferärgerd wail isch weiz sie räschd hat. Warsch1lich muz isch nun m1 scheißimplantat benutzen opwol isch fersuchen wolld die welt nüch über die toten zu kontaktiern. Isch möcht 1 dizzident wie mr. Soloparia s1.

Mr. Soloparia!, schrei isch noch x. Isch hab mir gehn die dämfe die fom podezd heraufkwellen den schal um m+ + naze göschlungen.

O du liepe gyte.

Ferwended da jmd. salzsäure?, fr8 Agathe. Auf holtz? Sie wirkd total endgeizdert.

K1e ahnunk antword isch abba daz aldi mädchen daz da unten den podezd schrubbd benuzzd jägerpfalz waz elend toxisches.

Baskül rufd er hätt isch mir ja denken kunni daz duz bißt. Er schaud zu der aldi hinab dann winkd er mich hin1 + isch kraxele fon der leiter in den augappel.

Zieh die schuh aus junge s8 mr. Soloparia wennu in daz zeuchs unten auf dem podezd götreten bißt fersauzd du mir den teppich. Anschlüzend kannzd du dich nüdzlich machen + mir n glühw1 wärmen. Er zupfd daz badetuch hoch + ladschd dafon hinterläzd auf dem bohn 1e wazerschpur.

Isch zieh m1e schuh auz.

Hahm Sie 1 bad gönummi mr. Soloparia frach isch.

Er gukkd mich bloz an.

Du machzd dir zufiel sorgen s8 Agathe. Isch bin 1e hochgradich fielsaitich kwalifitzierte ameise + könnd dich finden.

(Darauf erwider isch nix wail Mr. Soloparia görade reded + ez dez½ unhöflich wär.) Offen göschdanden hätt isch Agathe lieper noch in m1er tasche abba sie s8e sie brauchd frische luffd + auzerdem göfiele ihr die auzsicht.

Baskül wenn du schon göwize möglischkeiten haßt sollzd du sie auch auznudzen s8 mr. Soloparia.

Ach ja sach isch. Hab isch fergezzen. Isch schlüze die augen. X sehn … Nach 1em weilchen sach isch: Aha ja hospiz … 1 hauz wohin man im gr+e gönummi bloz zum schderben gehd.

Ja gönau s8 mr. Soloparia der ferschdimmd wirkd. Jezd haßt du mich rausgebr8 isch hab den fahn ferlorn.

Daz weiz isch noch s8 er.

Tut mir ächdleid antworte isch.

ENDE DER LESEPROBE