Blinde Augen. Verfilmt als Serie »Dark Winds – Der Wind des Bösen« - Tony Hillerman - E-Book

Blinde Augen. Verfilmt als Serie »Dark Winds – Der Wind des Bösen« E-Book

Tony Hillerman

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Beschreibung

Bei einer Verkehrskontrolle entgeht Lieutenant Joe Leaphorn von der Navajo-Police nur knapp einem Mordversuch. Während er sich bemüht, den flüchtigen Täter ausfindig zu machen, wird ihm ein neuer Fall übertragen: ein Doppelmord in einem abgelegenen Hogan. Die alte Margaret Cigaret will ihn in einer Vision vorhergesehen haben. Leaphorn folgt den verschlungenen Wegen der beiden Fälle und findet sich bald in einem Labyrinth aus Täuschungen, Widersprüchen und Geheimnissen wieder – ein Labyrinth, das ihn in eine gefährliche Richtung zwingt. Der zweite Fall für Joe Leaphorn führt hoch hinauf ins Monument Valley und hinter die Grenzen des Greifbaren. Verfilmt als Serie »Dark Winds – Der Wind des Bösen«.

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Über dieses Buch

Lieutenant Joe Leaphorn entgeht nur knapp einem tödlichen Angriff, und kurz darauf wird er zu einem Doppelmord gerufen. Die Zeugin: die alte Margaret Cigaret, die den Mord in einer Vision vorhergesehen hat. Leaphorn folgt den Hinweisen tief ins Monument Valley und gerät in ein gefährliches Labyrinth aus Täuschungen und Geheimnissen.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Tony Hillerman (1925-2008) besuchte ein Internat für Native Americans, kämpfte im Zweiten Weltkrieg, studierte Journalismus und war als Journalist und Dozent tätig. Seine Romane um die Navajo-Cops Joe Leaphorn und Jim Chee wurden vielfach ausgezeichnet und in siebzehn Sprachen übersetzt.

Zur Webseite von Tony Hillerman.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Tony Hillerman

Blinde Augen

Mit einem Nachwort von Claus Biegert

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Friedrich A. Hofschuster

Ein Fall für die Navajo-Police (2)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 2 Dokumente

Worterklärungen und Hintergrundinformationen zu diesem Buch auf https://ehillerman.unm.edu/encyclopedia-main

Für die vorliegende Ausgabe wurde die Übersetzung von Vroni Straass-Lieckfeld nach dem Original durchgesehen und überarbeitet.

Die Originalausgabe erschien 1978 bei Harper & Row, New York.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1989 im Rowohlt Verlag, Hamburg.

Originaltitel: Listening Woman

© by Tony Hillerman 1978

Diese Ausgabe erscheint in Vereinbarung mit HarperCollins Publishers LLC

© by Unionsverlag, Zürich 2023

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Hintergrund - Arny Raedts (Alamy Stock Foto); Symbol - Tetiana Lazunova (Alamy Vektorgrafik)

Umschlaggestaltung: Sven Schrape

ISBN 978-3-293-31160-2

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 24.01.2023, 14:32h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

BLINDE AUGEN

1 – Der Südwestwind ließ sich von den San Francisco …2 – Der Lautsprecher des Funkgeräts knackte und knisterte …3 – Die Büroangestellte in der Außenstelle der Navajo-Police in …4 – Es macht keinen Unterschied, ob ein Mann oder …5 – Die Stimme von Listening Woman begleitete Joe Leaphorn …6 – Es erwies sich als unnötig, Theodora Adams zu …7 – Nach den lockeren Standards des Navajo-Reservats galten die …8 – Wäre Leaphorns Zeiteinteilung perfekt gewesen, dann hätte er …9 – Vorsichtig goss sich McGinnis den Bourbon ein …10 – Der Wind folgte Leaphorns Geländewagen den halben Weg …11 – Special Agent George Witover, der Leaphorn in den …12 – Das rechte Auge von John Tull starrte direkt …13 – Die Wolke begann sich gegen Mittag über der …14 – Leaphorn war fast drei Stunden lang gegangen …15 – Das Problem würden die Flammen, die Hitze und …16 – Die Zeiger der Armbanduhr und die Ziffern leuchteten …17 – Leaphorn kroch vorsichtig zurück in das Labyrinth …18 – Nein, nein«, sagte Goldrims. »Schau her. Da muss …

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1

Der Südwestwind ließ sich von den San Francisco Peaks ein paar heftige Böen und Wirbel mitgeben, er heulte über die Weiten des Moenkopi Plateau und entlockte den Fenstern der alten Hopi-Dörfer in Shongopovi und auf dem Tafelberg, der Second Mesa, tausend seltsame Geräusche. Zweihundert menschenleere Meilen weiter nach Norden und Osten bearbeitete er die Steinskulpturen des Monument Valley Tribal Park wie mit einem Sandstrahler und pfiff weiter östlich durch das Labyrinth der Canyons an der Grenze zwischen Utah und Arizona. Über der ausgedörrten Unendlichkeit der Nokaito Bench erfüllte er den leeren blauen Himmel mit seinem Rauschen. Beim Hogan von Hosteen Tso, genau um 15.17 Uhr, wurden die wirbelnden Böen zum Staubteufel, der quer über den Feldweg strudelte, brüllend über den alten Dodge-Pick-up von Margaret Cigaret hinwegkreiselte und dicht an Tsos Buschlaube vorbeifegte.

Die drei Menschen unter der Laube duckten sich, um sich vor dem dahintreibenden Staub zu schützen. Tso hielt sich die Hände vor die Augen und beugte sich in seinem Schaukelstuhl nach vorn, während der Sand wie mit tausend Nadeln in seine nackten Schultern stach. Anna Atcitty drehte dem Sturm den Rücken zu und legte die Hände schützend auf ihr Haar, denn wenn das hier vorbei war und sie Margaret Cigaret wieder nach Hause gebracht hatte, würde sie sich mit dem neuen, jungen Gehilfen von der Short-Mountain-Handelsstation treffen. Und Mrs Margaret Cigaret, die auch Blind Eyes und Listening Woman genannt wurde, warf ihren Schal über den magischen Krimskrams, den sie auf dem Tisch in der Laube ausgebreitet hatte, und zog die Enden des Schals fest nach unten, damit nichts davonfliegen konnte.

»Verdammter Dreckswind«, sagte sie. »Verdammter Scheißkerl.«

»Das sind die Blue Flint Boys; die haben ihn geärgert«, sagte Hosteen Tso mit seiner zittrigen Altmännerstimme. Er wischte sich mit den Handrücken über die Augen und schaute dem Staubteufel nach. »Das hat mir mein Großvater gesagt. Die Blue Flint Boys sind es, die den Wind zu solchem Unsinn anstacheln, wenn sie ihre Spielchen treiben.«

Listening Woman legte sich den Schal wieder um die Schultern, tastete sich bedächtig durch die Sammlung von Fläschchen, Bürsten und Fetischen auf dem Tisch, wählte ein durchsichtiges Plastikfläschchen aus der Apotheke und schraubte es auf.

»Denkt nicht an die Blue Flint Boys«, sagte sie. »Denkt lieber an das, was wir hier tun. Denk darüber nach, wie du dieses Leiden in deinen Körper bekommen hast.« Sie schüttete eine Portion gelben Maispollen aus dem Fläschchen und wandte ihre blinden Augen dorthin, wo das Mädchen stand. »Pass jetzt gut auf, Tochter meiner Schwester. Wir werden diesen Mann mit dem Pollen segnen. Weißt du noch, wie wir das machen?«

»Du singst das Lied des Talking God«, sagte Anna Atcitty. »Das Lied über Born of Water und den Monster Slayer.« Sie war ein hübsches Mädchen, vielleicht sechzehn Jahre alt. Auf die Vorderseite ihres T-Shirts waren die Worte GANADO HIGH SCHOOL und TIGER PEP gedruckt.

Listening Woman streute den Pollen sorgfältig über die Schultern von Hosteen Tso und sang dazu leise in der melodischen Navajosprache. Die linke Gesichtsseite des alten Mannes war vom Wangenknochen bis zum Haaransatz blauschwarz bemalt. Ein weiterer blauschwarzer Fleck war auf den mageren Brustkorb dorthin gemalt, wo das Herz sitzt, und darüber wölbte sich von einer Brustwarze zur anderen die farbenfrohe Strichmännchen-Gestalt des Regenbogenmannes, die Anna Atcitty in den Ritualfarben Blau, Gelb, Grün und Grau gestaltet hatte. Tsos magerer, sehniger Körper hielt sich jetzt kerzengerade im Schaukelstuhl, sein Gesicht war von Krankheit, Geduld und unterdrückten Schmerzen gezeichnet. Der Gesang von Listening Woman wurde plötzlich lauter. »In Schönheit sei es vollendet«, sang sie. »In Schönheit sei es vollendet.«

»Gut«, sagte sie. »Jetzt gehe ich und lausche der Erde, damit sie mir sagt, was dich krank macht.« Sie tastete wieder vorsichtig auf dem Bohlentisch herum, sammelte die Fetische und Amulette ein, die zu ihrem Beruf gehörten, und suchte dann ihren Gehstock. Margaret Cigaret musste früher einmal schön gewesen sein. Jetzt war sie eine füllige Frau und trug den traditionellen, weiten Rock und die blaue Samtbluse der Diné. Sie steckte die letzten Fläschchen in ihre schwarze Plastikhandtasche, ließ sie zuschnappen und richtete dann ihre blicklosen Augen auf Tso. »Denk jetzt noch einmal genau nach, bevor ich gehe. Wenn du träumst, dann träumst du von deinem Sohn, der tot ist, und von dem Ort, den du die bemalte Höhle nennst – ist das richtig? Kommt in deinem Traum keine Hexe vor?« Sie hielt inne, um Tso für seine Antwort Zeit zu lassen.

»Nein«, sagte er. »Keine Hexen.«

»Keine Hunde? Keine Wölfe? Keine Spur von Navajo-Wölfen?«

»Keine Spur von Hexen«, sagte Tso. »Ich träume von der Höhle.«

»Warst du vielleicht bei den Huren drüben in Flagstaff? Oder hast du es mit einer aus deiner Verwandtschaft getrieben?«

»Zu alt«, erwiderte Tso und lächelte ein wenig.

»Hast du Holz verbrannt, das von einem Blitz getroffen worden ist?«

»Nein.«

Listening Woman starrte mit ihren blinden Augen streng an ihm vorbei. »Hör zu, alter Mann«, sagte sie, »es wäre besser, wenn du mir mehr darüber erzählen würdest, wie diese Sandbilder entweiht worden sind. Wenn du nicht willst, dass andere Leute etwas davon erfahren, kann Anna hinter den Hogan gehen. Dann weiß es niemand außer dir und mir. Und ich verrate keine Geheimnisse.«

Hosteen Tso lächelte wieder, der Hauch eines Lächelns. »Aber jetzt weiß es niemand außer mir«, sagte er, »und ich verrate erst recht keine Geheimnisse.«

»Wenn du mir mehr erzählst, kann ich dir vielleicht sagen, warum du krank bist«, gab ihm Listening Woman zu bedenken. »Mir kommt es wie Hexerei vor. Sandbilder werden entweiht, hast du gesagt. Wenn dort mehr als ein Sandbild war, muss jemand die Zeremonie falsch abgehalten haben. Eine falsch ausgeführte Zeremonie würde den Segen ins Gegenteil verkehren. Das wäre dann Hexerei. Wenn du dich mit Navajo-Wölfen herumgetrieben hast, brauchst du eine andere Behandlung.«

Tsos Miene wurde jetzt störrisch. »Du musst eines begreifen, Mrs Cigaret: Ich habe vor langer Zeit ein Versprechen gegeben. Es gibt Dinge, über die ich nicht reden darf.«

Das Schweigen zog sich hin. Listening Woman sah unterdessen irgendeine der Visionen, wie sie die Blinden oft in ihren Köpfen haben, während Hosteen Tso über die Hochebene starrte und Anna Atcitty mit ausdruckslosem Gesicht auf das Ergebnis dieser Geduldsprobe wartete.

»Eines habe ich vergessen, dir zu sagen«, begann Tso endlich. »An dem Tag, als die Sandbilder zerstört wurden, habe ich einen Frosch getötet.«

Listening Woman sah ihn bestürzt an. »Wie ist das passiert?«, fragte sie. Nach der komplizierten Metaphysik der Navajo waren Frösche heilig, sie standen in Verbindung zu den Holy People und wurden mit großem Respekt behandelt. Wenn man Tiere oder Insekten tötete, die heilige Gedanken verkörperten, verstieß man gegen ein elementares Tabu, und die Folge davon waren Krankheiten, die zu Lähmungen führten.

»Ich bin zwischen den Felsen herumgeklettert«, sagte Tso. »Ein Felsbrocken ist heruntergefallen und hat den Frosch zerquetscht.«

»War das, bevor die Sandbilder entweiht wurden oder danach?«

»Danach«, sagte Tso. Er hielt inne. »Ich werde nicht mehr über die Sandbilder sprechen. Ich habe alles gesagt, was ich sagen kann. Ich habe dieses Versprechen meinem Vater gegeben und dem Vater meines Vaters. Wenn ich eine Geisterkrankheit habe, kommt sie vom Geist meines Urgroßvaters, weil ich dort war, wo sein Geist sein könnte. Mehr kann ich dir wirklich nicht sagen.«

Listening Woman sah finster drein. »Warum willst du dein Geld verschwenden, alter Mann?«, fragte sie. »Du lässt mich den ganzen weiten Weg hierherkommen, damit ich herausfinde, was für eine Behandlung du brauchst. Und jetzt willst du mir nicht sagen, was ich wissen muss.«

Tso saß reglos da und starrte vor sich hin.

Listening Woman wartete stirnrunzelnd.

»Verdammt noch mal!«, sagte sie schließlich. »Ich muss einfach ein paar Dinge wissen. Du glaubst, du seist in der Nähe von ein paar Hexen gewesen. Allein das Beisammensein mit diesen Skinwalkers kann schon krank machen. Ich muss mehr darüber wissen.«

Tso sagte nichts.

»Wie viele Hexen waren es?«

»Es war dunkel«, sagte Tso. »Vielleicht zwei.«

»Haben sie dir etwas angetan? Haben sie etwas auf dich geblasen? Haben sie Leichenpulver auf dich gestreut? Irgendetwas in der Art?«

»Nein«, sagte Tso.

»Und warum nicht?«, fragte Mrs Cigaret. »Bist du vielleicht selbst ein Navajo-Wolf? Bist du einer von den Hexern?«

Tso lachte. Es war ein nervöses Lachen. Er warf einen Blick auf Anna Atcitty – einen Hilfe suchenden Blick.

»Ich bin kein Skinwalker«, sagte er.

»Es war dunkel«, wiederholte Listening Woman fast spöttisch. »Aber vorhin hast du gesagt, dass es Tag war. Bist du vielleicht in der Höhle der Hexen gewesen?«

Tsos Verlegenheit verwandelte sich in Zorn. »Mrs Cigaret«, fuhr er sie an, »ich sagte dir schon, ich kann nicht darüber sprechen, wo es war. Ich habe ein Versprechen gegeben. Wir reden nicht mehr darüber.«

»Großes Geheimnis«, sagte Mrs Cigaret in sarkastischem Ton.

»Jawohl«, bekräftigte Tso. »Es ist ein großes Geheimnis.«

Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. »Ach, zum Teufel«, sagte sie. »Du willst offenbar dein Geld vergeuden, aber ich habe keine Lust, meine Zeit zu vergeuden. Wenn ich beim Lauschen nichts höre oder wenn ich mich irre, liegt es daran, dass du mir nicht genug erzählt hast. Anna wird mich jetzt dahin bringen, wo ich die Stimme der Erde hören kann. Lass das Bild auf deiner Brust in Ruhe. Wenn ich zurückkomme, versuche ich dir zu sagen, was für einen Gesang du brauchst.«

»Warte.« Tso zögerte. »Eines noch. Weißt du, wie man einen Brief an jemanden schickt, der auf der Jesus Road geht?«

Listening Woman runzelte wieder die Stirn. »Du meinst jemanden, der aus dem Großen Reservat weggegangen ist? Frag Old Man McGinnis. Er schickt den Brief für dich.«

»Ich habe ihn gefragt. McGinnis weiß nicht, wie man das macht«, erklärte Tso. »Er sagt, man muss draufschreiben, wohin der Brief geschickt werden soll.«

Listening Woman lachte. »Sicher«, sagte sie. »Die Adresse. Wie Gallup, oder Flagstaff, oder wo immer sie leben, und auch noch den Namen der Straße, in der sie wohnen, solche Dinge. Wem willst du denn schreiben?«

»Meinem Enkel«, sagte Tso. »Ich möchte unbedingt, dass er herkommt. Aber ich weiß nur, dass er sich den Jesus People angeschlossen hat.«

»Ich habe keine Ahnung, wie du ihn finden willst«, sagte Listening Woman. Sie hatte ihren Gehstock gefunden. »Mach dir deshalb keine Sorgen. Jemand anderer kann dir einen Singer besorgen und sich auch um alles Weitere kümmern.«

»Aber ich muss ihm etwas sagen«, erklärte Hosteen Tso. »Ich muss ihm etwas sagen, bevor ich sterbe. Dringend.«

»Ich kann dir da nicht weiterhelfen.« Listening Woman wandte sich ab und tastete mit ihrem Stock nach dem Stützpfeiler in der Mitte der Laube, um sich zu orientieren. »Komm jetzt, Anna. Bring mich an die Stelle, wo ich lauschen kann.«

Listening Woman fühlte die Kühle des Felsens schon, bevor sein Schatten auf ihr Gesicht fiel. Sie hatte sich von Anna zu einer Stelle führen lassen, wo die Erosion eine sandbedeckte Ausbuchtung, eine Art Sackgasse im Gestein geschaffen hatte. Dann schickte sie das Mädchen weg. Anna solle erst zurückkommen, wenn sie nach ihr rief. Anna war in mancherlei Hinsicht eine gute Schülerin, dann wieder ließ sie zu wünschen übrig. Aber wenn sie erst einmal nicht mehr so verrückt nach Jungs ist, könnte sie ein guter Listener werden. Die Nichte von Listening Woman hatte wie ihre Tante die seltene Gabe, die Stimmen im Wind zu hören und die Visionen zu empfangen, die aus der Erde kamen. Es war ein Talent, das in der Familie lag – eine Gabe, mit deren Hilfe sich die Ursachen von Krankheiten aufspüren ließen. Der Onkel ihrer Mutter war als Hand-Trembler für die Diagnose der Blitzkrankheit im ganzen Short-Mountain-Gebiet berühmt gewesen. Und Listening Woman selbst war, wie sie sehr wohl wusste, in diesem Teil der Big Reservation weit und breit bekannt. Eines Tages würde auch Anna berühmt sein.

Listening Woman ließ sich auf dem Sand nieder, drapierte dann ihren Rock um sich und lehnte die Stirn gegen den Stein. Er war kühl und rau. Anfangs ging ihr noch durch den Kopf, was Old Man Tso erzählt hatte, und sie versuchte, daraus seine Krankheit zu diagnostizieren. Dieser Tso hatte etwas an sich, das sie beunruhigte und sehr traurig machte. Dann bekam sie endlich den Kopf frei und dachte nur an den Abendhimmel und an das Licht eines einzelnen Sterns. Sie ließ den Stern in ihren Gedanken größer werden und erinnerte sich daran, wie er ausgesehen hatte, bevor die Blindheit über sie gekommen war.

Eine Windbö pfiff durch die Pinien an der Mündung der Felsausbuchtung und wirbelte den Rock von Listening Woman durcheinander, sodass einer ihrer blauen Tennisschuhe zum Vorschein kam. Aber sie atmete jetzt tief und gleichmäßig. Der Schatten des Felsens wanderte Zentimeter um Zentimeter über den sandigen Boden. Listening Woman stöhnte, stöhnte noch einmal, murmelte etwas Unverständliches und verfiel dann in tiefes Schweigen.

Irgendwo weiter unten am Abhang flog krächzend ein halbes Dutzend Raben auf. Irgendetwas hatte sie erschreckt. Der Wind frischte kurz auf und verebbte dann wieder. Eine Eidechse kam aus einer Spalte im Felsen, sah die Frau, ohne zu blinzeln, aus ihren kalten Augen an und huschte dann zu ihrem Nachmittags-Lauerplatz unter dem Stängelgewirr eines Steppenläufergewächses. Halb verweht von den Windgeräuschen, drang ein Ton von weit her bis in den sandigen Winkel. Der Schrei einer Frau. Er schwoll an und verklang in einem Schluchzen. Dann war alles wieder still. Die Eidechse fing eine Pferdebremse. Listening Woman atmete gleichmäßig.

Als der Schatten des Felsens fünfzig Meter hangabwärts gewandert war, rappelte sich Listening Woman mühsam aus dem Sand hoch auf die Beine. Einen Moment lang blieb sie mit gesenktem Kopf stehen, beide Hände aufs Gesicht gepresst und noch halb versunken in diese seltsame Trance. Es war, als wäre sie in den Felsen hineingegangen und durch ihn in die Schwarze Welt gelangt, wo einst der Anfang aller Dinge gewesen war – damals, als es nur Holy People gab und als das, was später einmal die Navajo werden sollten, noch Nebel war. Schließlich hatte sie die Stimme gehört und sich in der Vierten Welt wiedergefunden. Sie hatte durch das Ausstiegsloch im Felsen hinuntergeschaut und Hosteen Tso in dem gesehen, was Tsos bemalte Höhle gewesen sein musste. Ein alter Mann hatte auf dem Boden der Höhle in einem Schaukelstuhl gesessen und geschaukelt, und dabei hatte er sein Haar mit Bändern geflochten. Zuerst war es Tso gewesen, aber als der Mann dann zu ihr aufschaute, hatte sie gesehen, dass das Gesicht des Mannes tot war. Rings um den Schaukelstuhl quoll unaufhaltsam Schwärze nach oben.

Listening Woman rieb sich mit den Händen die Augen, schüttelte den Kopf und rief nach Anna. Sie wusste jetzt, welche Diagnose sie stellen musste. Hosteen Tso brauchte Gesänge, einen Mountain Way Chant und einen Black Rain Chant. In der bemalten Höhle war eine Hexe gewesen, und Tso war dort gewesen und hatte sich mit irgendeiner Geisterkrankheit angesteckt. Das bedeutete, dass er sich einen Singer – wie man die rituellen Sänger nennt – suchen musste, der den Mountain Way singen konnte, und einen, der den Black Rain beherrschte. Sie wusste es – aber zugleich fürchtete sie, dass es zu spät sein würde. Wieder schüttelte sie den Kopf.

»Mädchen«, rief sie, »ich bin jetzt so weit.«

Was würde sie Tso sagen? Mit dem sensiblen Gehör der Blinden lauschte sie auf Anna Atcittys Schritte, doch sie hörte nichts als das Säuseln des Windes.

»Mädchen!«, brüllte sie. »Mädchen!« Als sie immer noch nichts hörte, tastete sie sich am Felsen entlang und fand ihren Stock. Vorsichtig fanden ihre Füße zurück auf den Weg, der zum Hogan führte. Sollte sie Tso von der allumfassenden Dunkelheit berichten, die sie gesehen hatte, als die Stimme zu ihr sprach? Sollte sie von den Schreien der Geister berichten, die sie im Inneren des Felsens gehört hatte? Sollte sie ihm sagen, dass er bald sterben würde?

Zurück auf dem Pfad, rief sie wieder nach Anna, dann brüllte sie nach Old Man Tso, er solle herkommen und sie führen. Wieder wartete sie, doch sie hörte nichts als die Bewegung der Luft. Vorsichtig arbeitete sie sich mit dem Stock den Schafspfad entlang, während sie wütend vor sich hinmurmelte. Ihre Stockspitze warnte sie vor einem Kaktus, half ihr, einer Senke und gleich danach einem Felsvorsprung auszuweichen. Der Stock tippte gegen eine ausgetrocknete Grasbulte und berührte den kleinen Finger der ausgestreckten, linken Hand von Anna Atcitty. Ihre Hand lag mit der Handfläche nach oben, der Wind hatte etwas Sand hineingeweht, und selbst für Listening Woman, die darin geübt war, ihre Umwelt über feinste Berührungen wahrzunehmen, fühlte sich der Finger nur wie ein Stückchen Holz an. Und so tastete sie sich weiter den Pfad hinunter, rief immer wieder und brummte unwillig vor sich hin. Schließlich kam sie zu der Stelle, wo der Leichnam von Hosteen Tso ausgestreckt neben dem umgekippten Schaukelstuhl lag. Noch immer hatte er die Zeichnung des Rainbow Man auf der Brust.

2

Der Lautsprecher des Funkgeräts knackte und knisterte, und dann hörte man: »Tuba City.«

»Einheit neun«, antwortete Joe Leaphorn. »Habt ihr was für mich?«

»Einen Moment, Joe.« Die Stimme, die aus dem Lautsprecher kam, klang angenehm feminin.

Der junge Mann, der auf dem Beifahrersitz im Wagen der Navajo-Police saß, starrte durchs Fenster auf den Sonnenuntergang. Das restliche Licht der untergehenden Sonne umrahmte die zerklüfteten San Francisco Peaks am Horizont mit leuchtenden Konturen, färbte das feine Gespinst hoher Wolken leuchtend rosa und hinterließ auf der Wüstenlandschaft und auf dem Gesicht des Mannes einen rötlichen Widerschein. Es war ein flaches, mongolisches Gesicht mit feinen Linien um die Augen, die ihm einen etwas spöttisch boshaften Ausdruck verliehen. Er trug einen schwarzen Stetson aus Filz, dazu eine Jeansjacke und ein Cowboyhemd im Rodeostil. An seinem linken Handgelenk saß eine Timex für 12.95 $ mit einem schweren silbernen Uhrenarmband in Sandgusstechnik, außerdem eine Polizei-Handschelle in Standardausführung, die sein linkes ans rechte Handgelenk fesselte. Er warf Leaphorn einen kurzen Blick zu und nickte Richtung Sonnenuntergang.

»Ja«, sagte Leaphorn. »Hab ich schon gesehen.«

Das Funkgerät fing wieder an zu knacken. »Also, zwei oder drei Dinge liegen an«, sagte die Frauenstimme. »Der Captain hat gefragt, ob Sie den Begay-Typen haben. Er meinte, Sie sollten ihn nicht wieder entwischen lassen.«

»Jawohl, Ma’am«, sagte jetzt der junge Mann. »Sie können dem Captain sagen, dass der Begay-Typ verhaftet ist.«

»Ich hab ihn hier«, bestätigte Leaphorn.

»Und sagen Sie ihr, dass ich diesmal die Zelle mit Aussicht buchen will«, fügte der junge Mann hinzu.

»Begay sagt, er möchte die Zelle mit Aussicht«, gab Leaphorn durch.

»Und mit Wasserbett«, sagte Begay.

»Und der Captain möchte mit Ihnen sprechen, wenn Sie hier sind«, kam es aus dem Lautsprecher.

»Worüber?«

»Das hat er nicht gesagt.«

»Aber ich wette, Sie wissen es.«

Der Lautsprecher schepperte, so sehr lachte sie. »Na ja«, sagte die Stimme. »Window Rock hat angerufen und den Captain gefragt, warum Sie nicht drüben sind und bei den Pfadfindern aushelfen. Wann können Sie hier in Tuba City sein?«

»Wir sind auf der Navajo-Route 1 westlich von Tsegi«, sagte Leaphorn. »In ungefähr einer Stunde sind wir in Tuba City.« Er schaltete den Sender aus.

»Was ist das für eine Sache mit den Pfadfindern?«, fragte Begay.

Leaphorn seufzte. »In Window Rock hatte man die grandiose Idee, die Boy Scouts of America zu einer Art regionalem Feldlager im Canyon de Chelly einzuladen. Die Jungs kommen aus dem ganzen Westen und fallen ein wie ein Schwarm Heuschrecken. Und natürlich soll sich der Hüter des Gesetzes darum kümmern, dass sich niemand verläuft oder von einer Klippe fällt oder sonst was.«

»Na ja«, sagte Begay. »Dafür bezahlen wir euch ja auch.«

Weit links, vielleicht zehn Meilen das dunkle Klethla Valley hinauf, glitt ein Lichtpunkt über die Route 1 genau auf sie zu. Begay unterbrach sich und beobachtete das Licht. Dann pfiff er durch die Zähne. »Da kommt ein schneller Indianer.«

»Ja«, sagte Leaphorn. Er ließ den Kombi den Hügel hinunter auf den Highway zurollen und schaltete dann die Scheinwerfer aus.

»Das ist hinterlistig«, sagte Begay.

»Aber es schont die Batterie«, erwiderte Leaphorn.

»Genauso hinterlistig, wie Sie mich geschnappt haben«, fügte Begay hinzu. In seinen Worten lag kein Groll. »Parkt auf der anderen Seite des Hügels und kommt dann einfach harmlos auf den Hogan zu, sodass kein Mensch ihn für einen Polizisten hält.«

»Yeah«, sagte Leaphorn.

»Wieso haben Sie überhaupt gewusst, dass ich auf dem Fest bin? Haben Sie rausbekommen, dass die Endischees meine Leute sind?«

»So ist es«, sagte Leaphorn.

»Und außerdem sind Sie dahintergekommen, dass eine Kinaalda-Zeremonie für dieses Endischee-Mädchen gefeiert wird?«

»Yeah«, bestätigte ihm Leaphorn. »Und ich habe damit gerechnet, dass du dazukommst.«

Begay lachte. »Selbst wenn nicht, wäre das immerhin viel besser gewesen, als überall rumzurennen und nach mir zu suchen.« Er warf einen Blick auf Leaphorn. »Lernt man so was auf dem College?«

»Ja«, sagte Leaphorn. »Wir haben ein Extra-Seminar absolviert: Wie fängt man Begays.«

Der Kombi holperte über einen Weiderost, dann das Gefälle am Straßenrand hinunter, wo Leaphorn den Wagen parkte und den Motor abschaltete. Es war inzwischen fast dunkel geworden. Nur am westlichen Horizont war noch ein letztes Nachglimmen zu sehen; die Venus stand hell auf halber Höhe am Himmel. Mit dem Licht war auch die Hitze verschwunden. Jetzt machte sich die Kühle der Nacht in der dünnen Höhenluft bemerkbar. Eine Brise wehte durch die offenen Wagenfenster herein und brachte leise Insektengeräusche mit und den Ruf eines Ziegenmelkers, der seine nächtliche Jagd begonnen hatte. Die Brise verebbte, und als sie wieder auffrischte, trug sie das hohe Heulen eines Motors und das Kreischen von Reifen heran – noch ein paar Meilen entfernt.

»Der Schweinehund kommt ganz schön voran«, sagte Begay. »Hören Sie sich das an.«

Leaphorn lauschte.

»Hundert Meilen pro Stunde.« Begay kicherte. »Wahrscheinlich sagt er Ihnen, dass sein Tacho kaputt ist.«

Das Scheinwerferlicht kam über den Hügel, kippte dann nach unten und raste die kleine Anhöhe hinter ihnen hinauf. Leaphorn ließ den Motor an und schaltete seine Scheinwerfer und die rote Warnblinkleuchte auf dem Dach ein. Einen Augenblick lang blieb das Heulen des heranrasenden Wagens gleich. Dann veränderte sich plötzlich die Tonhöhe. Man hörte kurzes Quietschen von Gummi auf dem Asphalt und das Aufjaulen eines Motors, der abrupt runtergeschaltet wird. Der Fahrer steuerte den Wagen auf den Seitenstreifen und brachte ihn etwa fünfzehn Meter hinter dem Polizeiwagen zum Stehen. Leaphorn nahm sein Notizbrett von der Ablage und stieg aus.

Zuerst konnte er im aufgeblendeten Scheinwerferlicht nichts sehen. Dann erkannte er den Mercedesstern auf der Motorhaube und dahinter die Windschutzscheibe, die alle zwei Sekunden von Leaphorns rotierendem Blinklicht beleuchtet wurden. Leaphorn ging über den Kies des Seitenstreifens auf den Wagen zu und ärgerte sich über die unhöflich aufgeblendeten Scheinwerfer. In der pulsierenden roten Beleuchtung des Warnlichts sah er das Gesicht des Fahrers, der ihn durch runde Brillengläser mit Goldrand anstarrte. Und dahinter, auf dem Rücksitz, sah er ein anderes Gesicht, ungewöhnlich groß und merkwürdig in seiner Form.

Der Fahrer lehnte sich aus dem Fenster. »Officer«, brüllte er, »Ihr Wagen rollt zurück.« Er grinste über beide Ohren, breit und voller Vorfreude, während das Warnlicht des Polizeiwagens sein Gesicht rhythmisch rot beleuchtete. Und hinter dem grinsenden Mann starrte aus dem Halbdunkel vom Rücksitz ein weiteres Augenpaar nach vorn – mit einem Ausdruck, der irgendwie gierig wirkte.

[Ende der Leseprobe]

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Bei einer Verkehrskontrolle entgeht Lieutenant Joe Leaphorn von der Navajo-Police nur knapp einem Mordversuch. Während er sich bemüht, den flüchtigen Täter ausfindig zu machen, wird ihm ein neuer Fall übertragen: ein Doppelmord in einem abgelegenen Hogan. Die alte Margaret Cigaret will ihn in einer Vision vorhergesehen haben.

Leaphorn folgt den verschlungenen Wegen der beiden Fälle und findet sich bald in einem Labyrinth aus Täuschungen, Widersprüchen und Geheimnissen wieder – ein Labyrinth, das ihn in eine gefährliche Richtung zwingt.

Der zweite Fall für Joe Leaphorn führt hoch hinauf ins Monument Valley und hinter die Grenzen des Greifbaren.

»Blinde Augen ist einer der besten von Hillermans außergewöhnlichen Kriminalromanen.«

The Washington Post

»Hillerman versteht es meisterhaft, die Stimmung der Mesas, der Canyons und des Himmels in der Four-Corner-Region einzufangen, das Licht, die Atmosphäre zu beschreiben. Einfühlsam erzählt er von Geschichte, Kultur und Religion der Navajo.«

Los Angeles Times

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Über Tony Hillerman

Tony Hillerman wurde am 27. Mai 1925 in Sacred Heart, Oklahoma, als jüngstes von drei Kindern geboren. Seine Eltern waren Farmer und führten einen kleinen Laden. Von 1930 bis 1938 besuchte er die St. Mary’s Academy, ein Internat für indianische Mädchen, als einer der wenigen Jungen, die dort eingeschrieben waren.

1943 trat Hillerman in die US-Armee ein und nahm in Europa an den Kämpfen des Zweiten Weltkriegs teil. 1945 kehrte er schwer verwundet und mit mehreren Auszeichnungen (unter anderem dem Purple Heart) in die USA zurück. Er besuchte die University of Oklahoma und schloss 1948 sein Journalismus-Studium ab. Im selben Jahr heiratete er Mary Unzer, eine Kommilitonin, die Mikrobiologie und Sprachen studiert hatte. Bis 1962 schrieb er über Politik und war Polizeiberichterstatter für Zeitungen in Texas, Oklahoma und New Mexico.

1963 zog das Paar nach Albuquerque in New Mexico. An der dortigen Universität von New Mexico machte er einen Master in Kreativem Schreiben und unterrichtete ab 1966 über zwei Jahrzehnte lang Journalismus.

1970 erschien sein erster Kriminalroman in der Serie der Navajo-Kriminalromane, die im und um das Navajo-Reservat im Nordosten Arizonas und im Nordwesten New Mexicos spielen und die Welt, die ihm von Kindsbeinen an vertraut war, aufleben lassen.

Seine Romane gaben der amerikanischen Kriminalliteratur bahnbrechende Impulse, sie wurden zu Bestsellern und vielfach ausgezeichnet: 1974 mit dem Edgar Allan Poe Award, 1987 in Frankreich mit dem Grand Prix de Littérature Policière sowie mit zahlreichen weiteren Preisen (unter anderen Macavity Award, Anthony Award, Nero Wolfe Award, Agatha Award). Die Auszeichnung Special Friend of the Diné, die Hillerman 1987 vom Navajo Tribal Council erhielt, war ihm persönlich die wichtigste.

Seine Romane wurden mehrfach verfilmt, zuletzt in der Serie Dark Winds, die seit 2022 in den USA mit großem Erfolg ausgestrahlt wird.

Tony Hillerman starb am 26. Oktober 2008 in Albuquerque im Alter von 83 Jahren.

»Hillermans Romane sind wie die Landschaft, in der sie spielen – von klassischer, zeitloser Schönheit.«

Newsweek

»Tony Hillermans Romane sind nicht einfach Krimis, sondern sie entfalten geradezu panoramatisch Geschichten aus dem Leben in den Reservationen der Navajos in der monumental roten Landschaft Nord-Arizonas. Die Spannung zwischen dem Navajo-Denken und dem American Way of Life erfüllt vielfarbig Hillermans vitale, mehrfach ausgezeichnete Werke, die in siebzehn Sprachen übersetzt wurden.«

Süddeutsche Zeitung

»Tony Hillerman entführt uns in packenden und unkonventionellen Krimis in die Welt der Navajos.«

Arte

»Seine Serienfiguren, die Reservationspolizisten Joe Leaphorn und Jim Chee, bilden einen starken Kontrast: Leaphorn ist aus den alten Gewissheiten hinausgefallen, für Chee ist das Mystische so real wie die Wüste. Seine Polizisten hat Hillerman wie Wundklammern behandelt, die versuchen, das Auseinanderklaffende zusammenzuhalten.«

Stuttgarter Zeitung

»Mit seinen stimmungsvollen Kriminalromanen, die bei den Navajos im Südwesten der USA spielen, schlug Hillerman neue Wege in der amerikanischen Kriminalliteratur ein und wurde zum Bestsellerautor.«

Marilyn Stasio, The New York Times

»Tony Hillerman hat sich mit seinen Navajo-Krimis in die Oberliga der Kriminalautoren hineingeschrieben.«

Hamburger Abendblatt

»Tony Hillerman zieht uns von der ersten Seite an in seinen Bann.«

Publishers Weekly

»Hillerman hat ein Händchen für Action und Spannung, aber es ist sein Gespür für Ort und Landschaft, mit dem er sich wahrlich von der Masse abhebt. Mit jedem Roman wird sein Schreiben vielschichtiger und kenntnisreicher. Die Zusammenführung seiner Hauptfiguren Chee und Leaphorn schärft deren jeweiliges Profil noch mehr.«

Neil Nyren, CrimeReads

»Tony Hillermans spannende und oft lyrische Detektivromane sind im Südwesten der USA angesiedelt.«

Frankfurter Rundschau

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Über Tony Hillerman

»Der Angst vor seinem Pferd hat«

Tony Hillermann über sein Leben und seine Romane

Ich bin in Sacred Heart, einer winzigen Siedlung an einer Straßenkreuzung in der Weite Oklahomas, aufgewachsen. Sie war in den Zeiten entstanden, als das Gebiet noch indianisches Territorium war, rund um ein Kloster. Fünfundsiebzig Menschen lebten dort. Es gab ein Postamt und die einzige Baumwoll-Entkörnungsmaschine weit und breit. Mein Vater hatte eine kleine Farm und kümmerte sich außerdem um die Tankstelle mit dem angeschlossenen Dorfladen. Wir waren arm, hatten kein fließendes Wasser im Haus, keinen Strom, kein Telefon. Viele der Bewohner waren Potawatomi, manche Seminole. Ihre Kinder waren meine Freunde, wir waren alle gleich arm. Die Benediktiner-Mönche führten die Knabenschule, Barmherzige Schwestern die Mädchenschule. Zwei armselige Schulzimmer gab es, für alle Jahrgänge. Als die Benediktiner gingen, vermutlich, weil sie hier drauf und dran waren, zu verhungern, überzeugten unsere Eltern die Nonnen, uns Jungen in die Mädchenklasse aufzunehmen. So wuchs ich auf mit indianischen Kindern. In der Highschool-Football-Mannschaft stellten Seminole die Verteidigung, den Sturm bildeten Potawatomi, und der Coach war ein Choctaw. Er war unser Algebra-Lehrer. Weil Mädchen damals keine Algebra lernten, studierten wir in seinen Stunden die verschiedenen Formen der Mannschafts-Aufstellung und Spielstrategien.

*

Als ich später nach New Mexico kam, begegnete ich zum ersten Mal den Navajo. Sie hatten sich ihre Kultur wirklich bewahrt, und das hat mich sofort gefesselt. Es war einer jener entscheidenden Momente, wie es sie in jedem Leben gibt. Ich war verwundet aus dem Krieg in Europa zurückgekommen, war arbeitslos, trug wegen einer Verletzung eine Augenklappe über dem linken Auge, humpelte am Stock, hatte noch nie einen Lastwagen gefahren und fand dennoch einen Job als Fahrer bei dem Vater einer Freundin. Er transportierte die Ausrüstung zu den Ölbohrfeldern in der Region.

Eines Tages bogen wir von der Hauptstraße auf einen Feldweg ab und sahen eine große Gruppe Navajo: Frauen und Männer, die hoch zu Ross aus den Hügeln kamen. Ich staunte, so prächtig und zeremoniell gekleidet hatte ich Navajo noch nie gesehen. Wir hielten am Wegrand an und ließen sie vorüberziehen. Ich erfuhr, dass einige junge Männer gerade aus dem Krieg gegen Japan zurückgekommen und auf dem Weg zu einer Enemy-Way-Heilzeremonie waren. Ich wollte das unbedingt erleben und war tief beeindruckt. Die Clans der jungen Soldaten hatten sich vollständig versammelt. Es ging nicht darum, Schusswunden oder gebrochene Knochen zu heilen. Es ging darum, die Männer von bösen Erinnerungen, von Hass und Zorn zu befreien, und von der Empörung über die Art und Weise, wie man sie angegriffen hatte. Es ging darum, sie wieder in Harmonie mit der Welt zu vereinen. Ich werde das nie vergessen. Großartig, so sollte es sein, dachte ich.

*

In diese Kultur der Navajo will ich meine Leserinnen und Leser hineinziehen. Ich hatte keine Mühe, mit den Navajo in Kontakt zu treten und mich mit ihnen auszutauschen. Vor allem wollte ich nicht den Eindruck erwecken, ich halte sie für seltsam oder fremdartig. Sie erkannten, dass mein Interesse aufrichtig war, und bald gaben sie mir Auskünfte, auch über verborgene Dinge, wie Tabus und die Holy People.

Ihre Welt öffnete sich mir mehr und mehr. Ich schloss Freundschaft mit Archäologen, fand in der Universität ganze Regale mit Studien von Soziologen, Anthropologen, Beschreibungen von Zeremonien, Tabus und versteckten Gebräuchen. Ich verbrachte Nächte mit diesen Lektüren und sprach dann mit vielen Navajo darüber. Bei manchen Details meiner Romane haben Leser Ungenauigkeiten bemängelt, zum Beispiel, dass jemand auf dem Weg nach Gallup nach rechts vom Highway abbiegt, wo es doch nach links gehen müsse. Aber bei religiösen Dingen der Navajo-Kultur kam das nie vor, da war ich ganz besonders sorgfältig.

Ich habe als Freund der Navajo sogar einen Navajo-Namen bekommen. Ich kann ihn nicht aussprechen, aber er bedeutet »Der Angst vor seinem Pferd hat«. Während ihres jährlichen Festivals wollten sie mich auf ein Pferd setzen. Mir war das zunächst recht, aber als ich das Pferd sah, wurde mir mulmig, es war ein junges, kleines Pferd, das mich zornig ansah. Auf ein großes, altes Ross wäre ich gerne gestiegen.

*

Im Grunde meines Herzens hatte ich schon früh den Ehrgeiz, eines Tages große klassische Romane zu schreiben, »The Great American Novel«. Ich begann mit Kurzgeschichten, die aber von den Redaktionen allesamt abgelehnt wurden. Dann las ich Eric Ambler und Graham Greene. Die Romane von Arthur Upfield beeindruckten mich, sie spielten in Australien bei den Aborigines. Ich wusste, dass ich Stimmungen und Hintergründe recht gut beschreiben konnte, und dachte, so etwas könnte mir auch gelingen und würde die Leute interessieren. Zunächst plante ich, über Apachen zu schreiben. Aber dann wuchs mein Interesse für die Navajo, weil ihre Kultur komplexer war und thematisch so viele Variationsmöglichkeiten bot. Also beschloss ich, es mit einem Kriminalroman zu versuchen. Wenn ich das schaffte, würde vielleicht etwas entstehen, das von Belang war und Leserinnen und Leser zu fesseln vermochte.

*

Am Anfang war mein Ermittler, Joe Leaphorn, ein Navajo, noch gar nicht richtig ausgearbeitet, eine Nebenfigur. Als ich das Manuskript meines ersten Romans vom Verlag Harper & Row zurückbekam, sagten sie, sie würden es veröffentlichen, aber es fehle noch ein ordentliches letztes Kapitel. Das gab mir die Chance, den Text nochmals zu überarbeiten – im Wissen, dass er als Buch erscheinen würde! Dabei verliebte ich mich gewissermaßen in Leaphorn und verstärkte seine Rolle im ganzen Geschehen.

Bei meinem ersten Job als Polizeireporter in Borger, Texas, hatte ich den Sheriff von Hutchinson County kennengelernt, einen feinen Kerl, der eine ganz eigene Art hatte, über Dinge nachzudenken. Er ist eine Art Urbild für Joe Leaphorn geworden. Zugleich ist Leaphorn eine Art Spiegelung von mir selbst, er gehört meiner Generation an und teilt viele meiner Einstellungen. Und von Zeit zu Zeit kann er etwas mürrisch werden.

Als ich an der Serie weiterschrieb, stieß ich mit Leaphorn allerdings auch an gewisse Grenzen, ich merkte, dass er mich in mancher Hinsicht einschränkte. Er war schon in fortgeschrittenem Alter, eher intellektuell und gebildet. Die Kultur der Weißen war ihm vertraut. Nicht, dass er sie besonders schätzte, aber nichts daran schien ihn mehr zu überraschen, er begegnete ihr nicht mehr mit Neugier.

Ich brauchte also einen jungen Ermittler, der mit Interesse und Erstaunen auf die Kultur der Weißen reagieren konnte. Ich wollte Zeugen der Nacht in einer Region spielen lassen, wo die Navajo stärker assimiliert sind und in gemischten Umgebungen leben. Also schuf ich die Figur des Jim Chee, auch er ein Navajo, aber jünger, weniger assimiliert, weniger akademisch und versiert. Ein bestimmtes Vorbild für ihn gab es nicht. Ich lehrte damals an der University of New Mexico und erlebte all diese jungen, brillanten Studenten mit ihren klaren, entschiedenen Meinungen über alles und jedes. Nach ihrem Muster brachte ich ihn ins Spiel, um den Romanen zusätzliche Facetten zu geben.

Das Spannungsverhältnis zwischen dem älteren, eher angepassten Cop und dem Neuling, der tief in seiner Kultur verwurzelt ist, schien mir fruchtbar und nötig. Mit der Zeit, von Band zu Band, wuchs dann auch der gegenseitige Respekt der beiden füreinander.

Als ich das realisierte, kam noch etwas hinzu: Ich hatte die Verfilmungsrechte für einen Leaphorn-Band verkauft und in meiner Sorglosigkeit nicht beachtet, dass ich im Vertrag auch die Rechte an dieser Figur abgetreten hatte. Ich hätte so oder so eine neue Figur eingeführt, aber so hatte ich noch einen weiteren Grund. Als der Vertrag nach einigen Jahren ausgelaufen war, konnte ich Leaphorn wieder in die Romane zurückkehren lassen.

*

Ich verbringe immer viel Zeit in den Gegenden, über die ich schreiben will. Ich muss zuerst ein Gefühl für sie entwickeln, mir die Einzelheiten einprägen. Erst dann fühle ich mich dort heimisch. Ich entwickle meine Romane aus Szenen heraus. Also verbringe ich zunächst viele Stunden mit den Füßen auf dem Schreibtisch und lasse meine Fantasie daran arbeiten, was in einer Szene geschehen könnte. Nicht nur die Ereignisse, sondern auch, wie der Wind bläst, welche Tageszeit herrscht, wie das Licht fällt, wie die Wolkenformationen aussehen, was man riecht, ob und wie heiß es ist und wie die Figuren sich gerade fühlen. Wenn ich mich dann an den Computer setze, sehe ich die Szene schon vor mir. Im Grunde berichte ich nur, was sich vorher in meinem Kopf schon ereignet hat.

Und natürlich muss die Landschaft zur Handlung passen. In Jagd ohne Beute zum Beispiel war ich auf der Suche nach einer verlassenen Mine im Grenzgebiet zwischen den Territorien der Navajo und der Ute, denn ich wollte über die Erinnerungen an die Kämpfe zwischen diesen beiden Völkern schreiben. Also kreuzte ich auf endlosen holprigen Feldwegen durch die Gebiete zwischen Utah und Arizona. Mir war immer wichtig, dass man beim Lesen auch die Weite, die Größe und die Leere dieser Landschaften spürt, nur so hat die Story den Raum, um sich zu entfalten. Ich liebe diese Gebirge des Westens, diese trockenen Hochebenen. Den Navajo sind sie heilig. Darum nimmt diese Region auch so viel Platz ein in meinen Romanen.

*

Zusammengestellt aus folgenden Interviews mit Tony Hillerman: Los Angeles Review of Books, Alan Wahrhaftig, Oktober 1984; Bookpage, Bruce Tierney, Dezember 2004; Book Browse, Mai 2005; Wild West, Juni 2008; National Public Radio, Lynn Neary, Oktober 2008. Links zu den Texten auf der Webseite des Unionsverlags zu Tony Hillerman: www.unionsverlag.com.

Über Tony Hillerman

Claus Biegert

Die Navajo-Romane — ein Fall von Kultureller Wertschätzung

Bericht von einer Reise mit Tony Hillerman

Tony Hillermans Thriller spielen in einer doppelten Realität: in der Dinétah, den Siedlungsgebieten der Diné, die sich heute über die vier US-Bundesstaaten Utah, Colorado, New Mexico und Arizona erstrecken, sowie in der Welt außerhalb der Reservatsgrenzen, die in einigen Romanen bis Washington und Los Angeles reicht. An der Schwelle zwischen diesen Welten kommt es noch immer zu Missverständnissen, und aus diesem Raum der Diskrepanz schöpfte der Autor seine Handlungsstränge, seine Spannung. Es ging ihm darum, dem von Hollywood-Klischees geprägten und vereinheitlichten Bild der »Ureinwohner« die präzisen Rituale und Wertvorstellungen der Diné entgegenzusetzen. Die Navajo sprechen von sich als Diné, dem Menschenvolk. Die meisten Selbstbezeichnungen der indianischen Völker bedeuten »Menschenwesen, echte Menschen, Menschenvolk«, in Unterscheidung zu den Völkern der Geflügelten, Vierbeinigen, Schwimmenden, Wurzelnden.

Der Autor stammt aus Oklahoma. Als Anthony Grove Hillerman wurde er 1925 in der ehemaligen Mission Sacred Heart nahe dem Reservat der Potawatomi geboren. Der Vater betrieb einen Gemischtwarenladen und eine winzige Farm. Es gab weder einen Traktor noch elektrisches Licht; die nächste Bücherei war fünfunddreißig Meilen entfernt. Oklahoma war Indian Country, dorthin hatte man ein Jahrhundert zuvor jene »umgesiedelt«, die der weißen Expansion im Weg standen, nachdem der Indian Removal Act von Präsident Andrew Jackson 1830 zum Gesetz geworden war. Im Weg waren die Choctaw, Chikasaw, Creel, Seminole, Cherokee, Shawnee, Ottawa, Sauk and Fox, Osage, Kickapoo, Wyandot, Ho-Chunks, Kaskakia, Peoria, Miami, Leni-Lenape, Illinois, Modoc, Oto, Ponca, Seneca, Cayuga, Tuskee, Quapaw – und die Potawatomi. Bei diesen »Umsiedelungen« starben Frauen und Kinder zu Tausenden. Der indigene, in Kanada beheimatete Schriftsteller Thomas King nennt die Tragödie in seinem Werk The Inconvenient Indian (erschienen 2012) einen »Twin Tower Moment«.

Tony Hillermans Umfeld war geprägt von Menschen, die Flüchtlinge im eigenen Land waren. Er besuchte als Tagesschüler ein Internat für indianische Mädchen, eine Off Reservation Boarding School. »Ich war ein Ein-Mann-Minderheiten-Problem und weiß seitdem, was es heißt, einer Minderheit anzugehören.« Nach dem Schulabschluss folgte der Zweite Weltkrieg; in Österreich wurde er hinter den deutschen Linien von einer Granate verletzt. Zunächst erblindet, konnte er bald wieder sehen; das rechte Knie aber blieb beschädigt. Er beschloss, Journalist zu werden, schloss 1946 sein Studium an der University of Oklahoma ab und leitete mit siebenundzwanzig Jahren bereits das Büro der Nachrichtenagentur United Press International in Santa Fe. Er wurde Herausgeber des New Mexican und hielt an der University of New Mexico in Albuquerque viele Jahre Vorlesungen über Ethik, Literatur und Kommunikationswissenschaft. Daneben begann er, Romane zu schreiben. Für Tanzplatz der Toten erhielt er den renommierten »Edgar« der Mystery Writers of America. Nach zwölf Bänden mit den Navajo-Polizisten Joe Leaphorn und Jim Chee verlieh ihm der Navajo Tribal Council den Titel Special Friend of the Diné, eine Ehrung, die vor und nach ihm bis heute niemand anderem zuteilwurde. Hillerman starb 2008; er schrieb achtzehn Navajo-Romane.

On the Road mit Tony Hillerman

Vor der Jahrtausendwende, 1991, reiste ich zwei Tage mit ihm und seiner Frau Marie durch die Gebiete der Navajo und der Hopi, deren Dörfer auf drei Tafelbergen in einem eigenen Reservat inmitten des Navajo-Territoriums liegen. Ganz im Westen, im Motel neben dem Trading Post der (damals 8600 Einwohner zählenden) Siedlung Tuba City, erlebte ich, wie die Kellnerinnen sich in eine Reihe stellten und um ein Autogramm baten; in Händen hielten sie bis zu fünf Taschenbücher.

Auch anderswo war ich bereits Zeuge seiner Anhängerschaft geworden: Bei den jährlichen Treffen der »Arbeitsgruppe für indigene Völker« an der UNO in Genf kam ich in den Achtzigerjahren mit einer Menschenrechtsaktivistin der Navajo auf Tony Hillerman zu sprechen. Ihr Freund, so erzählte sie lachend, habe gerade seine Stelle bei der Navajo Tribal Police angetreten. »Ich habe ihm alle Hillermans geschenkt, damit er weiß, wie er sich zu benehmen hat.«

Als ich Tony Hillerman diese Geschichte erzählte, freute er sich, sie lockerte seine Zunge. Wir saßen im Auto. Vor uns die sandfarbene Kulisse der Hopi-Mesas. Er erzählte, dass es seine ursprüngliche Intention war, aufseiten der Weißen eine Empfindungsfähigkeit für die Welt der Menschen auf der fremden, indianischen, als »exotisch« erlebten Seite in den Reservaten zu schaffen. »Es hat mich immer geärgert, dass die Amerikaner sich nicht um die Kulturen in ihrer Nachbarschaft kümmern, sie haben keine Ahnung, was sich hinter den Reservatsgrenzen abspielt.« Wie sollte er vorgehen? Er fing an, Krimis zu schreiben, die nicht dem bekannten Muster entsprachen, denn seine Helden stammten nicht aus der weißen Welt. Das klingt, als würden Extraterrestrische die Szene betreten, und das kam der Realität durchaus nahe: Das Reservat der Diné glich in den Köpfen vieler Weißer einem anderen Planeten.

Ein anderer Planet?

Vor dem neunten bemannten Mondflug 1971 erhielt das Navajo Nation Tribal Office in Window Rock, Arizona, einen Anruf aus Houston, Texas. Es war die NASA. Man bereitete die Apollo-15-Mission vor und wolle die Astronauten Jim Irwin und David Scott in ihren neuen Weltraumanzügen und Moon Boots einer möglichst realistischen Umgebung aussetzen. Das Gebiet im südwestlichen Arizona sei der Mondoberfläche ähnlich, so der Pressesprecher, ob man nicht auf dem Reservat eine Art Test Walk durchführen könne? Peter McDonald, damals Tribal Chairman, liebte das Licht der Öffentlichkeit und war begeistert. Eine Raumkapsel wurde aufgebaut, die Männer waren in ständigem Funkdialog mit Houston.

Die Astronauten in ihren Raumanzügen und Sauerstoffhelmen waren gerade bei einer Übung, als ein Ältester der Navajo des Wegs kam. Er war ein Yataalii, ein Medizinmann. Was hier vorgehe, was diese seltsamen Figuren vorhätten, wollte er von McDonald wissen. »Diese Männer fliegen nächsten Monat auf den Mond«, sagte McDonald. »Sie proben bei uns ihre Landung.«

»Hm, auf den Mond…«, sinnierte der Yataalii. »Unsere Legenden erzählen, dass wir früher auch zum Mond gereist sind, auf unserem Weg zur Sonne. Allerdings brauchten wir keine derartige Ausrüstung – wir benutzten unseren Geist. Wer weiß, vielleicht ist noch einer der Unseren dort oben. Ich würde den Männern gern eine Nachricht mitgeben.«

In der nächsten Kaffeepause stellte McDonald den Yataalii den Besuchern aus Texas vor und erklärte den Sachverhalt. »Sure«, sagte Irwin, »wir bringen auch Post zum Mond. Wenn wir dort oben irgendwelchen Navajo begegnen, übergeben wir den Brief.« Da gebe es nur ein Problem, erwiderte McDonald, Diné Bizaad sei nämlich keine Schriftsprache. »Dann soll er doch seine Nachricht auf Band sprechen!« Irvin holte ein Kassettengerät und übergab es McDonald, der es an den Medizinmann weiterreichte.

Am Abend erkundigte sich Irvin, ob der Yataalii die Botschaft habe aufnehmen können. McDonald bejahte, spielte die Nachricht ab und musste dabei lachen. Irvin konnte natürlich nichts verstehen, also übersetzte Peter McDonald: »Er sagt: Wenn diese zwei seltsamen Gestalten mit euch einen Vertrag schließen wollen, unterschreibt nichts!«

Tatsächlich hatten die Navajo lange kein Bedürfnis, mit der weißen Außenwelt im Austausch zu sein. Seit sie in den Jahren 1864 bis 1866 von der US-Kavallerie aus ihrer Heimat im Nordosten Arizonas nach Bosque Rodondo im Osten New Mexicos »umgesiedelt« worden waren, hegten sie kein Verlangen nach Kontakt zu den Weißen. Hunderte waren auf dem Long Walk gestorben, viele Hunderte starben später in der kargen Gegend, die nun ihre Heimat sein sollte. Es gab kein Feuerholz, kaum Lebensmittel. Nach drei Jahren mit Missernten forderten sie von Präsident Ulysses Grant die Rückkehr in ihr altes Land. Tatsächlich wurde 1868 ein Vertrag unterzeichnet, der ihre Rückkehr garantierte. Nach dem Long Walk zurück fanden sie ihre Hogans – sechseckige, erdgedeckte Holzhäuser – zerstört oder verbrannt, die Obstgärten und Maisfelder vernichtet, die Brunnen vergiftet, die Schafe verschwunden. Es dauerte lange, bis sie ihren alten Lebensrhythmus wieder aufnehmen konnten.

Code Talker für die US-Armee

Der Zweite Weltkrieg führte beide Seiten unerwartet zusammen. Ein Ingenieur der Stadtverwaltung von Los Angeles, er hieß Philip Johnston und war ein Veteran des 1. Weltkriegs, schlug dem US-Marine Corps vor, Navajo als Code zu benutzen. Johnston war als Sohn von Missionaren im Reservat der Navajo aufgewachsen und sprach fließend Diné Bizaad. Man folgte seinem Rat. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour hatten sich viele junge Navajo zum Militär gemeldet. Neunundzwanzig von ihnen wurden als Code Talker für den Krieg im Pazifik ausgewählt. Einer war Peter McDonald, der bereits erwähnte Tribal Chairman. Bei Kriegsende dienten fünfhundertvierzig Navajo bei den Marines, die meisten als Funker. Das waren mehr als ein Prozent des gesamten Volkes. Auch Soldaten anderer indigener Völker wurden zum Chiffrieren herangezogen.

Bis heute bewerben sich in den Reservaten viele für den Wehrdienst, da es vielerorts weiterhin an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen fehlt und sich in diesem Vakuum Alkohol- und Drogenkonsum ausbreiten – trotz der inzwischen über dreißig selbst verwalteten Native American Colleges. Generell fehlt es den indigenen Verwaltungen an den finanziellen Mitteln, eine selbst verwaltete Infrastruktur aufzubauen, die sich an ihren kulturellen Werten orientiert und die eigene Sprache fördert. Im Vietnam-Krieg (1955–1975) kämpften viele Navajo gegen den Vietkong und mussten dabei auch verarbeiten, dass sie Menschen töteten, die ihnen ähnlich waren und – wie einst sie selbst – ihr Land gegen das US-Militär verteidigten.

Die hohen Selbstmordraten unter den heimgekehrten Veteranen lösten bald Debatten aus. Die Gesamtzahl der Vietnam-Heimkehrer, die ihrem Leben ein Ende gesetzt haben, wird auf über 58 000 angesetzt. Diese Zahl übertrifft die Zahl der US-amerikanischen Kriegstoten. Doch der indianische Anteil daran ist prozentual überraschend niedrig.

Die Antwort liegt in der Kultur. Wenn ein Mensch einen anderen getötet hat, hat er die kosmische Harmonie zerstört. Die Navajo nennen diese Harmonie Hózhó (auch Hozro), sie wird mit »Schönheit« übersetzt, sie gilt zwischen allen Lebewesen, sie ist ihre Verbindung zum Universum. Ist sie aus dem Gleichgewicht, muss sie wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Dazu gibt es Rituale, zu denen alle Verwandten geladen werden, denn sie gehören zum Hózhó, das es wiederherzustellen gilt. Kriegstraumata verlangen Heilungszeremonien; erst sie ermöglichen die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Bei seinem ersten Besuch in Window Rock kam Tony Hillerman mit zwei Männern ins Gespräch, die als Marines und Code Talker im Pazifikkrieg gekämpft hatten. Für sie, so erfuhr er, wurde ein Yataalii gerufen, der die Zeremonie des Enemy Way durchführte, damit sie wieder »in Harmonie mit ihrem Volk leben konnten.« Diese Bedeutung von Zeremonien hat ihn nachhaltig beeindruckt, sie wollte er seiner industriellen, nicht-indigenen Gesellschaft nahebringen.

Das Echo aus dem Reservat bereitete ihm große Genugtuung: wenn die Schüler und Schülerinnen der St. Catherine Indian School ihn zum beliebtesten Schriftsteller kürten oder Erwachsene auf ihn zukamen und erzählten, seine Bücher hätten das Interesse ihrer Kinder an der Diné-Kultur wieder geweckt. Als ihn der Brief eines Gefängniswärters erreichte, wusste er, dass er mit seinen Romanen den richtigen Weg eingeschlagen hatte. »Dank Ihrer Bücher«, so schrieb der Aufseher, »sehe ich die indianischen Gefangenen jetzt mit anderen Augen.« Für Gesinnungswandel dieser Art hatte die Navajo-Regierung ihn, den Autor Hillerman, geehrt.

Woher hatte Hillerman sein Wissen? Wenn wir dieser Frage folgen, stoßen wir auf eine Arbeitsweise, die von Anstand und Respekt zeugt. Er nahm sich Zeit, wenn er Navajo-Familien suchte, die an seinem Vorhaben Gefallen finden würden. Er verarbeitete das Gehörte in seinen Texten, kam wieder, korrigierte, wenn ihm Fehler unterlaufen waren. Er war immer willkommen, denn was er wiedergab, war das, was ihm erzählt worden war. Für seinen Roman Sprechende Götter besuchte er Mae Thompson, die für ihr großes kulturelles Wissen bekannt war. Als das Buch auf den Markt kam, wurde ihr von verschiedenen Navajo vorgeworfen, zu viel spirituelle Informationen an einen Nicht-Diné weggegeben zu haben. Der Navajo Way, so ihre Antwort, sei so wertvoll, dass er mit der Welt geteilt werden müsse. »Unsere Leute haben ihm alles offenbart«, berichtete James Peshlakai, der Hillerman in Klagender Wind als Vorbild diente, einem Reporter der Associated Press. »Unsere Ältesten waren froh, die Geschichten zu erzählen, nach denen sie von ihren Kindern nie gefragt wurden.«

Hier berührte Peshlakai einen wunden Punkt, der viele indigene Völker Nordamerikas betraf: das während langer Zeit fehlende Interesse der jungen Generation an der eigenen Kultur. Ich konnte dies in den Neunzigerjahren, als Hillerman seine Romane schrieb, während Filmaufnahmen im Reservat Six Nations in der kanadischen Provinz Ontario erleben. Der Cayuga-Historiker Jake Thomas schilderte mir, wie ihm das Wissen der Haudenosaunee (Völkerbund der Irokesen) von seinen Ältesten übergeben worden war, ein Wissen, das fast tausend Jahre zurückreicht und auf Perlengürteln, Wampums genannt, in grafischen Mustern und Symbolen zu »lesen« ist. Auch The Great Law of Peace, die Verfassung der Haudenosaunee, ist auf Wampums festgehalten. Es dauerte vier Tage, das Große Gesetz zu interpretieren und für die Nachkommen mündlich »festzuhalten«. Es berührt mich immer wieder, wenn ich die Szene in meinem Film Exit 16 – Onondaga Nation Territory anschaue: »Maybe it ends here«, sagt dort Jake, »vielleicht endet es hier«. Er deutet dabei auf sich.

Der Fluch des Urans

Ich sprach mit Tony Hillerman auch über Uran. In der Navajo Nation gibt es kaum eine Familie, die nicht Angehörige durch Krebs verloren hat. Gegen radioaktive Strahlung sind die Rituale des Yataalii machtlos. Laut der US-Umweltbehörde EPA gibt es auf dem Reservat 523 verlassene Uranminen; »Clean Up the Mines«, eine Initiative von Navajo-Aktivisten, schätzt die Zahl auf über 1200. In diesen Minen arbeiteten Navajo, die nicht über die Strahlengefahr aufgeklärt wurden. Die hohe Zahl der Krebskranken führte 1990 – nach drei Jahrzehnten zäher Lobbyarbeit – zur Verabschiedung des Radiation Exposure Compensation Act. Die Abwicklung der Wiedergutmachung verläuft bis heute zäh. Wenn die erforderlichen Papiere fehlen, verfällt der Anspruch; ebenso, wenn beim Interview durch Regierungsvertreter die Frage nach Tabakkonsum mit Ja beantwortet wird. Tabak gilt als heilige Pflanze und wird in Zeremonien verwendet. Die Befragten wussten nicht, dass sie deswegen als Raucher eingestuft wurden.

Hillerman hat Uranerz in seinem Roman Dunkle Winde thematisiert. Ich kam während unserer Reise auf die Tatsache zu sprechen, dass die Männer, die in Uranmühlen und untertags in den Gruben arbeiteten und radioaktiven Staub einatmeten, keine Schutzkleidung trugen. »Auch wir wurden nicht gewarnt«, sagt Tony, »es war die Zeit der Atom-Euphorie.« Er erzählt, dass er als Kind seine Füße beim Schuhkauf immer wieder in einen Röntgenkasten stecken musste, um sicherzugehen, dass die Größe richtig war. Und plötzlich sah ich eine Szene vor mir, die ich vergessen hatte: Kaufhaus Hertie in München. Ich blicke durch ein Guckloch auf meine Füße, die in Salamander-Schuhen stecken. Ich sehe, wie sich meine Fußskelette in den Schuhen bewegen, und bin fasziniert, will gar nicht aufhören mit dem Anprobieren. Ich war zehn Jahre alt.

Aneignung oder Wertschätzung?

Noch im letzten Jahrhundert entfachte sich rund um die bislang nicht infrage gestellte koloniale Vergangenheit des Westens der Funke zu einer heftigen Debatte. Sie führte zu neuen Bewertungen. Geraubte Objekte und Kunstwerke des Südens in den Museen des Nordens wurden jetzt Diebesgut genannt, ihre Rückgabe gefordert. Ein neuer Begriff machte die Runde: Kulturelle Aneignung. Diese Aneignung konnte auch in der Modeindustrie, in der Medienwelt und im Alltag beobachtet werden. Der New Yorker Journalist Greg Tate brachte den Tatbestand auf einen Nenner: »Everything But the Burden«. Wir in der dominanten Gesellschaft nehmen uns von Fremden, Verfolgten, Farbigen, Unterprivilegierten, was uns gefällt: Musik, Muster, Mode, Kunst, Ideen, Rezepte – »alles, bis auf die Last«. Es überrascht nicht, dass auch die Werke von Tony Hillerman diesem Test unterzogen wurden.

Die englische Sprache unterscheidet zwischen Cultural Appropriation (kulturelle Aneignung) und Cultural Appreciation (kulturelle Wertschätzung). Bei Tony Hillerman, so zeigt sich in dieser Diskussion, handelt es sich um Wertschätzung. Er agierte als Botschafter der Navajo und wurde von jenen auch als solcher gesehen. So ist es nicht überraschend, dass jetzt aus seinen Romanen eine groß angelegte TV-Serie mit mehreren Staffeln entstanden ist: Dark Winds.

Gedreht wurde ausschließlich in New Mexico, Produktionszentrale war das Camel-Rock-Film- und TV-Studio (ein ehemaliges Casino) des Tesuque Pueblo, nördlich von Santa Fe. Schon früher hatte es Verfilmungen seiner Werke gegeben, aber hätte Tony Hillerman es sich träumen lassen, dass eine Autostunde entfernt von Albuquerque, seinem Wohnsitz, einmal mit überwiegend indigener Crew eine Filmserie mit seinen Romanfiguren entstehen würde? Im fünfköpfigen Team der Scriptwriter waren zwei Navajo, Chris Eyre (Cheyenne/Arapaho) führte Regie, die Hauptrollen sind besetzt mit Zahn McClarlan (Lakota) als Joe Leaphorn, Kiowa Gordon (Hualapai) als Jim Chee, Jessica Matten (Red River Metis Cree) als Sergeant Bernadette Manuelito, Diana Ellison (Navajo) als Emma Leaphorn, Eugene Brave Rock (Kanai) als Yataalii Frank Nakai. Die Produzenten sind Graham Roland (Chickasaw), George R. R. Martin, ein langjähriger Freund Hillermans, und Robert Redford. Noch nie zuvor hatte eine Filmproduktion dieser Größe (Produktionskosten pro Episode: fünf Millionen US-Dollar) einen indigenen Mitarbeiteranteil von 85 Prozent. Tony Hillerman hätte es gefreut zu erleben, dass die Serie seit ihrem Start zu den erfolgreichsten des Landes gehört, dessen Blick auf sich selbst und seine indigenen Nachbarn er mit seinen Romanen verändern wollte.

Claus Biegert, geboren 1947, Autor und Journalist, war bis 2012 Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks. Er recherchierte und publizierte zu Themen der indigenen Völker Nordamerikas und initiierte 1992 die Weltkonferenz World Uranium Hearing in Salzburg. 1991 reiste er mit Tony Hillerman zu den Schauplätzen von dessen Romanen.

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Geheime Kanäle

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Der junge Billy gerät in einen Überfall, bei dem ein verschollener Diamant wieder auftaucht. Um Billys Unschuld zu beweisen, muss Jim Chee weit in die Vergangenheit: Der Stein war zuletzt im Besitz eines Händlers, der vor Jahrzehnten im Grand Canyon umkam. Dort pflegt nun ein alter Mann einen Kult um Masaaw – den Wächter zur Unterwelt.

Jagd ohne Beute

Ein gewaltsamer Casino-Überfall ruft ein Großaufgebot des FBI auf den Plan, aber Jim Chee sieht eine gefährliche Schwachstelle in deren Ermittlungen. Während er beginnt, mit seinem ehemaligen Vorgesetzten Leaphorn selbst zu ermitteln, setzt die Flucht der Täter in das Labyrinth der Canyons eine beispiellose Fahndungsaktion in Gang.

Klagender Wind

Ein Toter im Auto liefert neue Erkenntnisse zu einem alten Fall, der Leaphorn noch immer beschäftigt: Ein Betrug um die legendäre Golden Calf Mine endete mit einem Mord, und ein klagender Wind soll die Schreie einer Frau durch die Luft getragen haben. Sergeant Chee unterstützt seine Kollegin bei den Ermittlungen, doch Leaphorn zieht eigene Schlüsse.

Sturz in den Canyon

Joe Leaphorn ist eigentlich im Ruhestand, und Jim Chee schlägt sich mit Papierkram herum. Als aber die Überreste eines seit Jahren verschollenen Kletterers am Fuße des Shiprock Mountain gefunden werden und der damalige Bergführer angeschossen wird, wittert Leaphorn die Lösung zu einem Rätsel, das er nie hat lösen können.