Tanzplatz der Toten. Verfilmt als Serie »Dark Winds – Der Wind des Bösen« - Tony Hillerman - E-Book
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Tanzplatz der Toten. Verfilmt als Serie »Dark Winds – Der Wind des Bösen« E-Book

Tony Hillerman

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Beschreibung

Lieutenant Joe Leaphorn von der Navajo-Police ermittelt im zerklüfteten Canyon Country, beschattet von den scharfkantigen Felsen des Corn-Mountain-Massivs. Aus den Angelegenheiten der benachbarten Zuñi hält er sich eigentlich raus. Als aber zusammen mit dem jungen Zuñi Ernesto auch dessen bester Freund George, ein Navajo, verschwindet, wird Leaphorn hinzugezogen. Die beiden Jungen waren fasziniert von den Ritualen des Zuñi-Volkes und deren rachsüchtigen Göttern. Die aber, so heißt es, zeigen sich nur jenen, denen der Tod seine Aufwartung macht. Atmosphärisch dicht, kenntnisreich und respektvoll verwebt Tony Hillerman die Farben der Natur mit dem Alltagsleben und der Magie indigener Kulturen des nordamerikanischen Südwestens. Der Auftakt zu einer einzigartigen Krimireihe. Verfilmt als Serie »Dark Winds – Der Wind des Bösen«.

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Seitenzahl: 324

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Über dieses Buch

Lieutenant Joe Leaphorn von der Navajo-Police hält sich aus den Angelegenheiten der Zuñi eigentlich raus. Dann aber verschwindet dort ein Navajo-Junge, der fasziniert war von den rachsüchtigen Göttern der Zuñi. Und die zeigen sich der Legende nach nur jenen, auf die der Tod wartet. Der Auftakt zu einer einzigartigen, stimmungsvollen Krimireihe.

Zur Webseite mit allen Informationen zu diesem Buch.

Tony Hillerman (1925-2008) besuchte ein Internat für Native Americans, kämpfte im Zweiten Weltkrieg, studierte Journalismus und war als Journalist und Dozent tätig. Seine Romane um die Navajo-Cops Joe Leaphorn und Jim Chee wurden vielfach ausgezeichnet und in siebzehn Sprachen übersetzt.

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Helmut Eilers ist Übersetzer aus dem Englischen, er hat u. a. Werke von Tony Hillerman, James M. Cain, und Michael Kenyon ins Deutsche übertragen.

Zur Webseite von Helmut Eilers.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Tony Hillerman

Tanzplatz der Toten

Mit einem Anhang: Tony Hillerman über sein Leben und Schreiben

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Helmut Eilers

Ein Fall für die Navajo-Police (1)

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 2 Dokumente

Worterklärungen und Hintergrundinformationen zu diesem Buch auf https://ehillerman.unm.edu/encyclopedia-main

Für die vorliegende Ausgabe wurde die Übersetzung von Veronika Straaß-Lieckfeld nach dem Original durchgesehen und grundlegend überarbeitet.

Die Originalausgabe erschien 1973 bei Harper & Row, New York.

Die deutsche Erstausgabe erschien 1976 im Rowohlt Verlag, Reinbek.

Originaltitel: Dancehall of the Dead

© by Anthony G. Hillerman 1973

Alle Rechte an der deutschen Übersetzung von Helmut Eilers beim Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

© by Unionsverlag, Zürich 2023

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: Hintergrund - Michele Falzone (Alamy Stock Foto); Symbol - Tetiana Lazunova (Alamy Vektorgrafik)

Umschlaggestaltung: Sven Schrape

ISBN 978-3-293-31159-6

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Produziert mit der Software transpect (le-tex, Leipzig)

Version vom 24.05.2023, 17:48h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

Unsere Angebote für Sie

Inhaltsverzeichnis

TANZPLATZ DER TOTEN

Vorbemerkung des AutorsSonntag, den 30. November, 17.18 UhrMontag, den 1. Dezember, 12.20 UhrMontag, den 1. Dezember, 15.50 UhrMontag, den 1. Dezember, 16.18 UhrMontag, den 1. Dezember, 20.37 UhrMontag, den 1. Dezember, 21.11 UhrDienstag, den 2. Dezember, 7.22 UhrDienstag, den 2. Dezember, 18.11 UhrDienstag, den 2. Dezember, 22.15 UhrMittwoch, den 3. Dezember, 10 UhrMittwoch, den 3. Dezember, 12.15 UhrMittwoch, den 3. Dezember, 15.48 UhrMittwoch, den 3. Dezember, 17 UhrDonnerstag, den 4. Dezember, 10.30 UhrDonnerstag, den 4. Dezember, 14.17 UhrDonnerstag, den 4. Dezember, 18.08 UhrFreitag, den 5. Dezember, 14 UhrSonnabend, den 6. Dezember, 16.19 UhrSonntag, den 7. Dezember, 2.07 UhrSonntag, den 7. Dezember, 9 Uhr

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Vorbemerkung des Autors

Die Orte und Hintergründe der Handlung dieses Buches sind real. Ich habe versucht, das Dorf Zuñi und die Landschaft des Zuñi-Reservats, wie auch das angrenzende Ramah-Reservat der Navajos so genau zu schildern, wie es mir möglich war. Die Shalako-Religion könnte so von einem Navajo mit ethnologischem Interesse beschrieben werden. Dieses Buch gibt nicht vor, mehr zu sein als das.

Sonntag, den 30. November, 17.18 Uhr

Little Fire God, Mitglied im Rat der Götter und Stellvertreter der Sonne – auch Shulawitsi genannt –, hatte die Laufschuhe an seinen Füßen geschnürt, und zwar so, wie es ihn sein Trainer gelehrt hatte: straff über den Rist. Wenn sich die Spikes in den festgetretenen Boden des Schaftrails bohrten, fühlte es sich an, als seien die Schuhe mit ihm verwachsen. Er lief mit vollkommener Anmut, sein Körper arbeitete wie eine gut geölte Maschine, sein Geist war völlig losgelöst und mit anderen Dingen beschäftigt. Dort vorne, wo der Trail von der Hochebene abbog und hangabwärts führte, würde er wie immer anhalten, seine Laufzeit messen und sich eine Verschnaufpause von vier Minuten gönnen. Voller Freude wurde ihm bewusst, dass er es jetzt ganz sicher schaffen würde. Seine Lungenflügel hatten sich geweitet, seine Beinmuskeln gefestigt. Wenn er in zwei Tagen Longhorn und den Rat vom Dorf der Ahnen nach Zuñi führen würde, dann würde er nicht wieder vor Erschöpfung den Text des großen Gesangs vergessen, und auch bei den Schritten des Ritualtanzes würden ihm keine Fehler unterlaufen. Und wenn Shalako kam, würde er die ganze Nacht ohne einen einzigen Fehler durchtanzen. Dann hätten die Salamobia nicht den geringsten Grund, ihn zu bestrafen. Er konnte sich noch gut an dieses Jahr erinnern, als er gerade neun gewesen war. Hu-tu-tu war damals auf dem Fußweg über den Zuñi Wash gestolpert, und die Salamobia hatten ihn mit ihren Yucca-Ruten geschlagen, und alle hatten gelacht. Selbst die Navajo, und die lachten sonst sehr selten beim Shalako-Fest. Ihn sollten sie nicht auslachen. Little Fire God ließ sich auf den Felsvorsprung fallen, auf dem er sich immer ausruhte. Er warf einen raschen Blick auf seine Uhr. Elf Minuten und vierzehn Sekunden hatte er diesmal für die Strecke gebraucht – das waren elf Sekunden weniger als gestern. Aber das Gefühl der Zufriedenheit hielt nicht lange an. Der schlacksige Junge mit dem schwarzen Haar in der schweißnassen Stirn saß auf dem Felsvorsprung und massierte seine Beine durch den Baumwollstoff der Jogginghose. Als er an die lachenden Navajo dachte, kam ihm George Bowlegs in den Sinn. Ganz behutsam tastete er sich an diese Gedanken heran, denn er durfte auf keinen Fall zornig werden. Zorn war nie gut, aber in diesen Tagen war er strikt verboten. Vor zwei Tagen waren die Koyemshi im Dorf erschienen und hatten auf jedem der vier Plazas von Zuñi verkündet, dass acht Tage später der Shalako aus der Tanzhalle der Toten kommen würde, um ihr Volk zu besuchen und ihm seinen Segen zu spenden. Deshalb war das nicht die Zeit für zornige Gedanken. Bowlegs war sein Freund, aber Bowlegs war verrückt. Und wenn jetzt nicht gerade die falsche Zeit wäre, hätte er allen Grund, auf Bowlegs wütend zu sein. George hatte zu viele Fragen gestellt, und weil George sein Freund war, hatte er ihm mehr Antworten gegeben, als eigentlich zulässig war. Sosehr sich George auch wünschen mochte, ein Zuñi zu sein und in den Badger Clan von Little Fire God aufgenommen zu werden, er war und blieb ein Navajo. Er hatte das Initiationsritual nicht miterlebt, er kannte nicht dieses Gefühl, wenn einem die Maske auf den Kopf gesetzt wird und man die Finsternis körperlich fühlt und man durch die Augen des Kachina-Geistes sieht. Darum gab es Dinge, die George nicht wissen durfte. Und einige davon, dachte Little Fire God bedrückt, hatte er wohl doch an George weitergegeben. Father Ingles glaubte das zwar nicht, aber Father Ingles war schließlich ein weißer Mann. Hinter ihm über der roten Sandstein-Steilwand der Mesa hatte sich aus fiedrigen Zirruswolken nach Süden, Richtung Mexiko, eine ganze Himmelslandschaft gebildet. Westwärts, über der Painted Desert, glühten die Wolken im restlichen Licht des Sonnenuntergangs. Im Norden überzog der Widerschein des Lichts die Felsen der Zuñi-Buttes mit zartem Rosa. Tief unter ihm im Schatten der Mesa ging in dem Camper neben der Grabungsstelle der Anthropologen das Licht an. Ted Isaacs kocht gerade das Abendessen, dachte Little Fire God. Und das war noch etwas, woran er nicht denken durfte, wenn er nicht wütend auf George werden wollte. Denn George war auf die Idee gekommen, sie könnten in der Kiste des Doktors mit all den Tonscherben, den bunten Perlen und Pfeilspitzen nachsehen, ob sie dort nicht ein paar alte Gegenstände fänden, die von den Old People gemacht worden waren. Er könnte so etwas für einen Jagdfetisch gut gebrauchen, hatte George gesagt. Vielleicht könnte man daraus für jeden einen machen. Und der Doktor war fuchsteufelswild geworden, und jetzt erlaubte Isaacs niemandem mehr, ihm bei der Arbeit zuzusehen. Dieser verrückte George. Little Fire God knetete seine Beine. Er spürte, wie sich die Oberschenkelmuskeln verkrampften, weil der Wind den Schweiß trocknete. In genau siebzehn Sekunden würde er wieder losrennen. Er musste nur noch eine Meile den Mesa-Hang hinunter schaffen, wo George mit seinem Fahrrad auf ihn wartete. Dann würde er nach Hause gehen und seine Schularbeiten zu Ende machen.

Er lief wieder los. Zuerst trabte er locker, doch als die Steifheit aus seinen Beinen verschwand, legte er Tempo zu. Bald tränkte wieder Schweiß den Rücken seines Sweatshirts und verdunkelte die aufgedruckten Buchstaben »Eigentum der Gemeinschaftsschulen von Zuñi«. Er lief unter dem zornigen roten Himmel dahin, in die aufziehende Dunkelheit hinein und dachte dabei an den verrückten George, seinen ältesten und besten Freund. Er dachte daran, wie George für die Junkies von der Hippie-Kommune Kaktusköpfe gesammelt hatte und wie er sie dann selbst gegessen hatte, um herauszufinden, wie das ist, wenn man Visionen hat. Und er dachte daran, wie George zu dem alten Mann am Dorfrand von Zuñi gegangen war, um von ihm zu lernen, wie man ein Zauberer wird, und wie böse der alte Mann geworden war, weil George kein Navajo mehr sein wollte, damit er ein Zuñi werden konnte. George war ganz bestimmt ein bisschen durchgeknallt, aber er war sein Freund und würde hier mit seinem Fahrrad auf ihn warten.

Die Gestalt, die hinter den Felsen hervor in die rote Finsternis trat, war nicht George. Es war ein Salamobia, der ihn mit seinen gelb umrandeten Augen anstarrte. Little Fire God blieb stehen, öffnete seinen Mund, brachte aber keinen Laut hervor. Das war der Salamobia der Mole-Kiva, denn seine Maske war mit den Farben der Finsternis bemalt. Und doch war er es nicht. Little Fire God starrte die Gestalt an, den muskulösen Körper unter dem dunklen Hemd, die gesträubte Halskrause aus Truthahnfedern, die schwarzen leeren Augen, den furchterregenden Schnabel, den Federbusch oben auf dem Kopf. Schwarz war die Farbe des Mole-Salamobia, aber das hier war nicht die Maske, denn die kannte er. Der Onkel seiner Mutter hatte den Mole-Salamobia verkörpert, und die Maske lebte in einem Schrein in seinem Haus. Aber wenn das hier nicht die Maske war …

Dann sah Little Fire God, dass die Rute in der Hand dieses Salamobia nicht aus geflochtener Yucca war. Sie glitzerte im rötlichen Zwielicht. Und ihm fiel ein, dass die Salamobia genauso wie alle anderen Geister der Ahnen, die hinter den Zuñi-Masken lebten, nur denen erscheinen, die der Bruderschaft der Zauberer angehören. Oder den Todgeweihten.

Montag, den 1. Dezember, 12.20 Uhr

Lieutenant Joe Leaphorn sah der Fliege zu. Eigentlich hätte er aufmerksam den Worten von Ed Pasquaanti lauschen sollen, der auf einem Drehstuhl hinter einem Schreibtisch mit dem Schild »Chief of Police, Zuñi« thronte und unentwegt mit schneidender Stimme auf ihn einredete. Pasquaanti sprach über das Problem der Zuständigkeit im juristischen Sinne, aber das wusste Leaphorn alles längst, und er wusste auch, warum Pasquaanti sich darüber ausließ. Pasquaanti wollte eben ganz sichergehen, dass Leaphorn, Cipriano (»Orange«) Naranjo, der Hilfssheriff von McKinley County, und State Policeman J. D. Highsmith begriffen, dass innerhalb der Zuñi-Reservation die Zuñi-Police für die Ermittlungen zuständig war. Leaphorn konnte das nur recht sein. Je früher er hier wegkam, desto besser. Gerade eben hatte ihn die Fliege abgelenkt. Sie war auf seinem Notizbuch gelandet und krabbelte nun mit der Trägheit, die alle Insekten vor Winteranbruch an den Tag legen, an der Papierkante entlang auf seinen Finger zu. Sollte sich eine Zuñi-Fliege tatsächlich herablassen, über die Haut eines Navajo zu spazieren? Leaphorn bedauerte diesen Gedankengang sofort wieder. Das war mal wieder ein Rückfall in diese unlogische Feindseligkeit, gegen die er schon den ganzen Vormittag angekämpft hatte – genauer gesagt von dem Augenblick an, als ihn im Klubhaus von Ramah die Nachricht erreichte, die ihn hierher zitiert hatte.

Alle Funksprüche, die Leaphorn von Shiprock bekam, hatten eines gemeinsam: Sie lieferten nur ein Minimum an Information. Leaphorn solle unverzüglich nach Zuñi rüberfahren und bei der Suche nach George Bowlegs helfen, einem vierzehnjährigen Navajo-Jungen. Weitere Einzelheiten würde er von der Zuñi-Police erfahren, mit der er zusammenzuarbeiten hatte.

Der Funker in der Ramah-Nachrichtenzentrale übergab ihm die Meldung mit einem breiten Grinsen. »Bevor du fragst«, sagte er, »ja, das ist alles, was sie gesagt haben. Und nein, ich habe nicht die leiseste Ahnung, worum es geht.«

»So ein Mist«, sagte Leaphorn. Er ahnte schon, wie das hier ablaufen würde. Er würde dreißig Meilen nach Zuñi fahren, nur um festzustellen, dass der Bengel irgendetwas geklaut oder sonst was angestellt und sich dann aus dem Staub gemacht hatte. Aber die Zuñi wüssten natürlich rein gar nichts über den Jungen. Also würde er die dreißig Meilen zurück in die Ramah-Reservation fahren und herausfinden, wo er diesen Jungen überhaupt suchen sollte. Und dann … »Wissen Sie irgendwas über diesen George Bowlegs?«, fragte er.

Von dem Funker erfuhr Leaphorn auch nicht viel. Vielleicht – er war sich nicht sicher – war der Junge der Sohn eines Mannes namens Shorty Bowlegs. Shorty war aus der Great Reservation fortgezogen, nachdem irgendetwas mit einer Frau schiefgegangen war, die er in der Gegend von Coyote Canyon geheiratet hatte. Dieser Shorty Bowlegs gehörte zum High Standing House-Clan und war einer der Söhne von Old Woman Running. Und irgendwann nach seiner Rückkehr vom Coyote Canyon hatte er eine Landzuteilung bei der hiesigen Kommission für Weideland beantragt. Aber dann war er woanders hingezogen. Vielleicht war er ja sowieso der falsche Mann.

»Na gut«, sagte Leaphorn. »Falls jemand was von mir will, ich bin auf der Polizeistation von Zuñi.«

»Nun machen Sie nicht so ein mürrisches Gesicht«, sagte der Funker und grinste wieder. »Ich glaube, bei den Zuñi gab es in letzter Zeit keine Anwärter für die Bow Society.« Leaphorn musste lachen. Früher einmal – jedenfalls glaubten das die Navajo – mussten die Anwärter für die Priesterwürde der Zuñi Bow den Skalp eines Navajo herbeischaffen. Er lachte, aber seine Stimmung blieb trübe. Er fuhr auf der Nationalstraße 53 nach Zuñi – etwas schneller als erlaubt. Seine schlechte Laune irritierte ihn, denn es gab keinen plausiblen Grund dafür. Warum sträubte er sich gegen diesen Auftrag? Schließlich war er ursprünglich wegen einer ziemlich lästigen Aufgabe nach Ramah gekommen, sodass ihm eigentlich jede Abwechslung hätte recht sein können. Ein alter Singer hatte sich beklagt: Er habe einer Nachbarin achthundert Dollar anvertraut. Mit diesem Geld sollte sie nach Gallup fahren und eine Anzahlung für einen Kleinlaster leisten. Aber die Frau hatte das Geld anderweitig ausgegeben. Leaphorn hatte ziemlich schnell herausgefunden, was in etwa vorgefallen war. Die Frau hatte an dem fraglichen Tag in einem Laden in Gallup fast achthundert Dollar hingeblättert, um verpfändetes Eigentum wieder auszulösen. Dem Autohändler dagegen hatte sie kein Geld gegeben. Alles sah ganz einfach aus, aber dann war es das doch nicht. Die Frau behauptete, der alte Singer habe ihr das Geld geschuldet, und überhaupt sei er ein Hexenmeister, ein Navajo-Wolf. Außerdem war noch nicht geklärt, auf welcher Seite des Grenzzauns sie gestanden hatten, als das Geld übergeben wurde. Wenn sie in diesem Augenblick wirklich dort gestanden hatten, wo sie behauptete, gestanden zu haben, waren sie auf dem Gebiet der Navajo-Reservation gewesen und unterstanden damit der Gerichtsbarkeit des Stammes. Doch nach Darstellung des alten Singers hatten sie im Moment der Geldübergabe außerhalb des Reservationsgebiets gestanden. Dann würde der Fall vermutlich nach der Rechtssprechung von New Mexiko unter der Rubrik Betrug und Unterschlagung verhandelt. Leaphorn hatte keine Ahnung, wie er dieses Problem lösen sollte, und normalerweise wäre ihm jede noch so kurze Unterbrechung in dieser verzwickten Lage höchst willkommen gewesen. Aber dieser neue Auftrag war ihm zuwider: einen Stammesbruder der Navajo auf Anordnung der Zuñi jagen zu müssen. Pasquaanti redete immer noch auf sie ein. Die Fliege krabbelte zögernd auf Leaphorns harten, braunen Fingerknöchel zu, dann hielt sie inne. Plötzlich wusste Leaphorn, warum er so schlecht gelaunt war: weil er den Eindruck hatte, dass sich die Zuñi den Navajo überlegen fühlten. Vor langer Zeit hatte er während seines ersten Jahres auf der Arizona State University sein Zimmer mit einem Zuñi geteilt. Er, Joe Leaphorn, hatte dem Zimmergenossen gegenüber einen lächerlichen Minderwertigkeitskomplex entwickelt. Für seine schlechte Laune heute gab es also ganz und gar keine logische Erklärung. Unlogik konnte er schon bei anderen nicht leiden, bei sich selber verachtete er sie geradezu. Die Fliege krabbelte um seinen Finger herum und verschwand dann kopfüber unter dem Notizbuch. Pasquaanti hatte aufgehört zu reden. 

»Ich glaube nicht, dass wir rechtliche Probleme bekommen«, sagte Leaphorn ungeduldig. »Warum tragen Sie uns nicht einfach für diesen Auftrag ein?« Es wäre natürlich höflicher gewesen, Pasquaanti das Tempo vorgeben zu lassen. Leaphorn wusste das, und er sah in Pasquaantis Gesicht, dass auch der Zuñi wusste, dass er es wusste.

»Hier ist alles, was wir bisher wissen«, sagte Pasquaanti und schob jedem von ihnen eine Fotokopie zu. »Zwei Jungen werden vermisst, und es sieht ganz so aus, als hätte einer von ihnen dran glauben müssen.«

Zwei Jungen? Leaphorn überflog den Text auf der Fotokopie. Und dann erwachte plötzlich sein Interesse. Sorgfältig, Zeile für Zeile, las er das Ganze noch einmal durch. Zwei Jungen wurden vermisst. Bowlegs und ein Zuñi namens Ernesto Cata, außerdem das Fahrrad von Ernesto. Und an der Stelle, wo das Fahrrad gestanden hatte, war »eine beträchtliche Menge« Blut im Boden versickert.

»Hier steht, die beiden waren Klassenkameraden«, sagte Leaphorn. »Aber Bowlegs ist vierzehn und Cata erst zwölf. Und die waren in einer Klasse?« Leaphorn biss sich sofort auf die Lippen. Diese Frage hätte er besser nicht stellen sollen. Gleich würde Pasquaanti ihn daran erinnern, dass Bowlegs ein Navajo war – das reichte, um die unterschiedliche Schulbildung zu erklären.

»Beide gingen in die siebte Klasse«, sagte Pasquaanti. »Der kleine Cata war fast dreizehn. Sie waren seit zwei oder drei Jahren eng befreundet. Sehr gute Freunde. Das sagen alle.«

»Keine Spur von einer Waffe?«, fragte Naranjo. »Nichts«, sagte Pasquaanti. »Nur Blut. Die Waffe kann alles gewesen sein, was jemanden verbluten lässt. So viel Blut haben Sie noch nie gesehen. Aber ich glaube nicht, dass es eine Schusswaffe war. Niemand kann sich erinnern, so was wie einen Schuss gehört zu haben, und es ist so nah am Dorf passiert, dass irgendjemand etwas hätte hören müssen.« Pasquaanti hielt kurz inne. »Es könnte ein Messer, eine Axt oder so etwas Ähnliches gewesen sein. Die Kiefernnadeln ringsum waren blutbespritzt, und dann noch all das Blut, das in den Boden gesickert ist. Vielleicht wurde eine Arterie verletzt. Wer auch immer der Täter war, auf alle Fälle muss er die Waffe mitgenommen haben.«

»Wer auch immer?«, fragte Leaphorn. »Dann sind Sie also nicht überzeugt, dass dieser Jemand Bowlegs war?«

Pasquaanti sah ihn nachdenklich und prüfend an. »Wir sind von gar nichts überzeugt. Alles, was wir wissen, steht hier auf diesem Blatt Papier. Cata ist letzte Nacht nicht nach Hause gekommen. Bei Tagesanbruch haben sie nach ihm gesucht und haben dort, wo er sein Fahrrad abgestellt hatte, die Blutlache gefunden. Der kleine Bowlegs hatte sich das Fahrrad ausgeliehen, und er sollte es dorthin zurückbringen, wo sie sich immer trafen. Klar? Bowlegs ist heute Morgen wie immer in die Schule gegangen, aber als wir die Sache mit dem Fahrrad und alles andere herausgefunden hatten und einen Mann rübergeschickt haben, der ihn befragen sollte, war er nicht mehr da. Wir haben gehört, dass er mitten im Sozialkundeunterricht aufstand, dem Lehrer etwas von Übelkeit sagte und verschwunden ist.« 

»Wenn er den Mord begangen hat«, sagte Naranjo, »warum ist er dann nicht gleich nach der Tat abgehauen?«

»Noch wissen wir ja gar nicht, ob es überhaupt einen Mord gab«, sagte Pasquaanti. »Das Blut kann ja auch von einem Tier sein. Im Augenblick wird ’ne Menge geschlachtet. Beim Shalako-Fest wird groß aufgekocht. Darauf bereiten sich die Leute schon vor.«

»Vielleicht war dieser Bowlegs ziemlich gerissen und dachte, dass kein Verdacht auf ihn fällt, solange er nicht davonläuft«, meinte Naranjo. »Also ist er erst mal zur Schule gegangen, und dann hat er die Nerven verloren und ist doch getürmt.«

»Ich glaube, in dem Bericht steht das nicht drin«, sagte Pasquaanti, »aber die anderen Kinder haben gesagt, dass Bowlegs nach Cata gesucht hat, als er in die Schule kam. Er hat gefragt, was denn los sei mit Cata und wo er steckt.«

»Das könnte Teil seines Plans gewesen sein«, sagte Leaphorn. Erleichtert stellte er fest, dass er wieder wie ein Polizist denken konnte.

»Möglich«, sagte Pasquaanti. »Aber der Junge ist erst vierzehn, vergessen Sie das bitte nicht.«

Leaphorn zeigte auf den Bericht. »Hier steht, dass Cata aus dem Haus gegangen ist, um zu laufen. Was soll das heißen? Gehörte er zu einem Leichtathletik-Team oder so was?«

Drei Sekunden lang sagte niemand ein Wort – lange genug, dass Leaphorn verstand: Hier ging es nicht um einen Geländelauf oder etwas Ähnliches. Pasquaanti wog seine Worte sorgfältig ab, bevor er zu sprechen begann.

»Der junge Cata war auserwählt worden, bei den religiösen Zeremonien in diesem Jahr eine bestimmte Rolle zu übernehmen«, sagte Pasquaanti. »Einige dieser Kulthandlungen ziehen sich stundenlang hin, das Tanzen ist anstrengend, und man muss dafür schon Kondition haben. Cata ist jeden Abend gelaufen, um sich in Form zu bringen.«

Leaphorn erinnerte sich noch gut an das Shalako-Fest, an dem er vor vielen Jahren teilgenommen hatte – damals, als er einen Zimmergenossen vom Stamm der Zuñi hatte. »War Cata Little Fire God?«, fragte er. »Der schwarz angemalt ist, die gefleckte Maske trägt und das Feuer bringt?«

»So ist es«, sagte Pasquaanti. »Cata war Shulawitsi.« Man sah ihm an, wie unangenehm ihm das Thema war. »Aber das hat sicher nichts mit dem Fall zu tun. Das kann ich mir nicht vorstellen.« Leaphorn dachte darüber nach. Nein, wahrscheinlich hatte Pasquaanti recht. Wenn er doch nur mehr über den Glauben der Zuñi wüsste! Aber letzten Endes ging ihn das nichts an. Er musste George Bowlegs aufspüren, sonst nichts.

Pasquaanti blätterte in einer Akte. »Das einzige Foto, das wir bis jetzt von den Jungs haben, stammt aus dem Jahrbuch der Schule.« Er reichte jedem von ihnen eine Seite mit Fotos. Zwei Gesichter auf den Bildern waren rot eingekreist. »Wenn wir sie nicht sehr schnell finden, lassen wir uns im Fotolabor Vergrößerungen von den Originalen machen. Dann schicken wir Abzüge rüber ins Sheriffbüro und an die State Police von New Mexico und von Arizona. Und wenn wir irgendwas Neues erfahren, benachrichtigen wir Sie sofort, damit Sie nicht unnötig Ihre Zeit verschwenden.« Pasquaanti erhob sich. »Ich bitte Lieutenant Leaphorn hiermit, sich im Wesentlichen auf die Suche nach George Bowlegs zu konzentrieren. Wir versuchen, Ernesto und das Fahrrad zu finden und auch sonst noch möglichst viel herauszubekommen.«

Leaphorn fiel auf, dass Pasquaanti jetzt, da er die Frage der Zuständigkeit so schön in seinem Sinne geklärt hatte, nicht den kleinsten Hinweis rausließ, wie sie George Bowlegs finden könnten. Er ging offenbar davon aus, dass Naranjo, Highsmith und Leaphorn als Profis schon wüssten, wie sie vorzugehen hätten.

»Ich muss wissen, wo Bowlegs gewohnt hat, und ob dort jemand gesehen hat, wie er nach Hause gekommen ist.«

»Shorty Bowlegs hat seinen Hogan etwa vier Meilen von hier«, sagte Pasquaanti. »Ich glaube, das muss ich Ihnen aufzeichnen. Wir sind schon dort gewesen, aber herausgefunden haben wir nichts.«

Leaphorn sah ihn fragend an.

Pasquaanti schaute etwas verlegen drein: »Shorty war zu Hause, aber er war zu betrunken, um zu sprechen.«

»Okay«, sagte Leaphorn. »Haben Sie Spuren rings um die Blutlache gefunden?«

»Sehr viele Fahrradspuren. Schließlich ist er seit Monaten zum Trainieren dorthin gefahren. Und dann war da noch eine Stelle, wo jemand mit Mokassins oder flachen Schuhen herumgestanden hat. Sieht so aus, als hätte er dort eine ganze Weile gewartet. Wir haben auch die Stelle gefunden, wo er sich unter die Pinie gesetzt hat. Da waren Stängel umgeknickt. Und dann waren da natürlich die Spuren von Ernestos Laufschuhen. Aber der Boden dort ist ziemlich felsig. Da erkennt man kaum etwas.«

Leaphorn überlegte, ob er nicht selbst hinfahren sollte. Wahrscheinlich würde er Spuren finden, die ein Zuñi gar nicht sehen konnte. Pasquaanti schaute ihn an, als könnte er seine Gedanken lesen. »Sie haben also nicht viel gefunden, mit dem sich etwas anfangen ließe, oder?«, fragte Leaphorn.

»Nicht viel, das stimmt«, sagte Pasquaanti mit einem verbissenen Lächeln, »nur, dass unser kleiner Ernesto eine Menge Blut in seinen Adern gehabt hat.«

Montag, den 1. Dezember, 15.50 Uhr

Auf dem Rückweg von Shorty Bowlegs’ Hogan, etwa auf halber Strecke, platzte der Reifen. Es war doch immer das Gleiche! Tage, die schlecht anfangen, gehen auch schlecht zu Ende – davon war Leaphorn überzeugt. Die Straße – eigentlich nur ein wenig befahrener Feldweg – schlängelte sich durch das zerklüftete Land jenseits des Corn Mountain. Es war zwar nicht völlig unmöglich, der Straße im Sommer durch die hoch aufgeschossenen Stauden und das Büffelgras zu folgen, wenn man gut aufpasste. Aber Leaphorn hatte nicht aufgepasst. Statt sich auf den Weg zu konzentrieren, hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, was er mit dem Wenigen anfangen sollte, das er über Bowlegs erfahren hatte. Dabei war er mit dem linken Vorderrad in ein überwuchertes Schlagloch geraten, und der Reifen war an der Seite aufgeplatzt.

Er setzte den Wagenheber unter der vorderen Stoßstange an. Bowlegs war zu betrunken für ein halbwegs zusammenhängendes Gespräch gewesen. Doch anscheinend hatte er George noch am Morgen gesehen, als sich der Junge mit seinem jüngeren Bruder auf den langen Weg zur Bushaltestelle machte. Der alte Bowlegs hatte offenbar nicht die leiseste Ahnung, wann George in der Nacht von Sonntag auf Montag nach Hause gekommen war. Das konnte zweierlei bedeuten: Entweder hatte Shorty um diese Zeit schon geschlafen, oder er war zu betrunken, um etwas zu bemerken.

Leaphorn kurbelte den Wagenheber hoch. Er war verärgert und tat sich selbst ein bisschen leid. Bestimmt hatte Highsmith längst die Personenbeschreibungen von George Bowlegs und Ernesto Cata durchgegeben und gondelte jetzt seelenruhig über den Highway 40, während sämtliche Streifenpolizisten nach zwei verdächtigen Pueblojungen Ausschau hielten, die eine Mitfahrgelegenheit suchten. Und Orange Naranjo war schon wieder in Gallup, hatte seinen Bericht geschrieben und an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Pasquaanti hatte inzwischen sicherlich die Spurensuche aufgegeben und harrte nun der Dinge, die auf ihn zukamen. Viel mehr gab es jetzt in Zuñi nicht zu tun. Es würde keine Stunde dauern, bis jeder in den roten Steinhäusern des Dorfes und im ganzen Reservat wusste, dass einer der Söhne der Zuñi vermisst wurde, dass er vielleicht tot war und dass der Navajo-Junge, der sich immer hier herumtrieb, von der Polizei gesucht wurde. Sollte irgendein Zuñi George Bowlegs zu Gesicht bekommen, würde Pasquaanti das sehr schnell erfahren.

Der Wagenheber rutschte an der Kante des Schlaglochs ab. Leaphorn fluchte. Er kurbelte den Wagenheber wieder herunter und hackte mit dem Metallgriff mühsam eine kleine Vertiefung in den felsigen Boden, damit der Heber eine bessere Standfläche hätte. Sein Wutausbruch hatte ihm gutgetan; er fühlte sich jetzt besser. Schließlich war das, was der Sergeant, der Deputy und der Zuñi-Polizist taten, das einzig Sinnvolle. Falls Bowlegs auf dem Weg nach Albuquerque, Phoenix oder Gallup war oder sich hier irgendwo im Zuñi-Gebiet herumtrieb, würde er wahrscheinlich schnell und ohne viel Federlesens aufgegriffen werden. Sollte er sich aber irgendwo im Navajo-Gebiet verkrochen haben, war das einzig und allein Leaphorns Problem – und niemand konnte etwas dafür, dass es ein sehr viel größeres Problem war, das sich nur mit Hartnäckigkeit und Ausdauer lösen ließ. Leaphorn setzte den Wagenheber wieder an, streckte und dehnte seine verkrampften Muskeln und ließ seinen Blick den Feldweg entlang über die waldbedeckten Mesas und das zerklüftete Canyon Country schweifen, das sich bis zum südlichen Horizont hinzog. Er sah die Schönheit dieses Landes, das Fleckenmuster der Wolkenschatten auf dem Boden, das Rot der Felswände, und überall Blau, Gold und Grau, die Farben des Herbstes in diesem trockenen Landstrich. Aber schon bald würde der Nordwind die letzten Blätter mitnehmen, und nach einer einzigen kalten Nacht wäre das Land von einer dicken weißen Decke überzogen. Und dann würde es brenzlig für George Bowlegs, falls er sich hier irgendwo versteckt hielt. Bis zum ersten Schnee konnte er hier leicht durchhalten. Da gab es trockene Beeren und essbare Wurzeln und Kaninchen, und ein Navajo-Junge wusste, wo er danach suchen musste. Aber eines Tages wären die endlosen sonnigen Herbsttage in den Bergen vorbei. Ein arktisches Sturmtief würde sich vom westlichen Kanada herüberschieben, immer entlang der Westseite der Rocky Mountains. Dieser Landstrich hier lag gut und gerne anderthalb Meilen über dem Meeresspiegel, und frühmorgens war es jetzt schon empfindlich kalt. Mit dem ersten Sturm würde der Frost kommen, und wenn erst der Schnee übers Land fegte, wäre nichts Essbares mehr zu finden. Am ersten Tag wäre George Bowlegs hungrig. Dann würden seine Kräfte nachlassen. Und dann würde er erfrieren.

Leaphorn verzog das Gesicht und machte sich wieder an dem Wagenheber zu schaffen. Da erst sah er den Jungen, keine zwanzig Meter entfernt. Schüchtern stand er da und wartete darauf, dass er ihn bemerkte. Leaphorn erkannte ihn sofort, von dem Klassenfoto her. Die gleiche runde Stirn, die gleichen wachen Augen, der gleiche große Mund. Leaphorn kurbelte seinen Wagenheber wieder hoch. »Ya-ta-hey«, sagte er.

»Ya-ta-hey, Onkel«, antwortete der Junge. Er hatte ein in braunes Pergamentpapier eingeschlagenes Buch in der Hand.

»Willst du mir beim Reifenwechseln helfen? Ein bisschen Hilfe könnte ich gut gebrauchen.«

»Mach ich«, sagte der Junge. »Gib mir den Schlüssel für den Kofferraum, dann hole ich das Reserverad.«

Leaphorn angelte den Schlüssel aus der Tasche und überlegte: George Bowlegs konnte das nicht sein – George war älter. Das musste Cecil sein, der jüngere Bruder.

Cecil brachte das Reserverad, während Leaphorn die letzten Radmuttern löste. Leaphorn dachte angestrengt nach. Er musste sehr vorsichtig vorgehen.

»Sie sind ein Navajo-Polizist«, sagte der Junge. »Erst habe ich gedacht, das ist ein Streifenwagen von der Zuñi-Police.«

»Der Wagen gehört zu den Diné«, sagte Leaphorn. »Genauso wie du und ich zu den Diné gehören.« Leaphorn unterbrach seine Arbeit und sah Cecil an. »Und genauso wie dein Bruder George.« Einen kurzen Moment lang wirkte der Junge überrascht, dann wurde sein Gesicht völlig ausdruckslos.

»Wir alle gehören zu The People«, sagte Leaphorn.

Der Junge sah ihn schweigend an. »Es wäre gut, wenn George mit einem Polizisten der Diné sprechen würde«, sagte Leaphorn. Er betonte das Wort Diné, das so viel hieß wie The People.

»Sie sind hinter ihm her«, sagte der Junge vorwurfsvoll. »Sie glauben das, was die Zuñi in der Schule gesagt haben – dass er weggelaufen ist, weil er Ernesto getötet hat.«

»Ich weiß doch noch nicht mal, ob der Zuñi-Junge tot ist. Ich weiß nur, was der Zuñi-Polizist mir erzählt hat«, sagte Leaphorn. »Und jetzt interessiert mich, was dein Bruder dazu sagen würde.«

Cecil schwieg. Prüfend sah er Leaphorn an.

»Ich glaube nicht, dass George abgehauen ist, weil er Ernesto Cata umgebracht hat«, sagte Leaphorn. »Vielleicht ist er weggelaufen, weil er Angst hatte, dass ihn der Zuñi-Polizist ins Gefängnis stecken würde.« Leaphorn hob das linke Vorderrad herunter und setzte das Reserverad auf die Schrauben. Cecil sah er dabei nicht an. »Vielleicht war es eine gute Idee wegzulaufen. Vielleicht aber auch nicht. Wenn er Ernesto nicht getötet hat, war Weglaufen nicht gerade clever. Denn das hat die Zuñi auf den Gedanken gebracht, dass er es vielleicht gewesen ist. Wenn er Cata aber tatsächlich umgebracht hat, kann das eine gute oder auch eine ganz schlechte Idee gewesen sein. Denn wahrscheinlich werden sie ihn erwischen, und dann wird alles nur noch schlimmer für ihn. Und wenn sie ihn nicht kriegen, dann muss er sein ganzes Leben lang davonlaufen.« Leaphorn griff nach dem Schraubenschlüssel und sah Cecil an. »Ewig auf der Flucht, das ist kein schönes Leben. Dann ist es schon besser, ein paar Jahre im Gefängnis zu sitzen und die Sache hinter sich zu bringen. Vielleicht stecken sie ihn ja auch für eine Weile in eine Klinik. Wenn der Junge tot ist, und wenn George der Täter ist, dann ist er nicht ganz richtig im Kopf. Dann braucht er Hilfe. Die Behörden würden ihn in eine Klinik stecken und nicht ins Gefängnis.«

Leaphorn schwieg. Ein Windstoß strich über das Büffelgras und zauste die Halme. Es war kalt geworden.

Cecil leckte sich über die Lippen. »George ist nicht weggelaufen, weil er Angst vor der Zuñi-Police hatte«, sagte er. »Das war nicht der Grund.«

»Warum dann, Neffe?«, fragte Leaphorn.

»Wegen der Kachinas.« Der Junge sprach so leise, dass Leaphorn nicht sicher war, ob er ihn richtig verstanden hatte. »Er ist vor der Kachinas weggelaufen.«

»Kachinas? Welche Kachinas?« Ein seltsames Gefühl beschlich Leaphorn. Es lag nicht an dem abrupten Themawechsel. Er hatte vielmehr das Gefühl, plötzlich von der Wirklichkeit ins Surreale zu wechseln. Leaphorn starrte Cecil an. Das Wort Kachina konnte dreierlei bedeuten. Einmal waren das die Geister der Zuñi-Ahnen. Es konnten aber auch die Masken sein, die getragen wurden, um diese Geister zu verkörpern. Oder die kleinen Holzpuppen, die die Zuñi schnitzten, um die Geister darzustellen. Der Junge wollte offenbar nicht mehr sagen. Die Sache mit den Kachinas hatte er wohl nur so dahingesagt, um von dem abzulenken, was er wirklich wusste.

»Ich kenne den richtigen Namen nicht«, meinte Cecil schließlich. »Es ist ein Wort aus der Zuñi-Sprache. Aber ich glaube, es sind dieselben Kachinas, die Ernesto erwischt haben.«

»Aha«, sagte Leaphorn. Er prüfte, ob die Muttern festsaßen, ließ den Wagenheber herunter und dachte nach. Er lehnte sich gegen den Kotflügel und sah Cecil Bowlegs an. In der zerknitterten Tüte, die aus der Jackentasche des Jungen ragte, war sicher sein Pausenbrot gewesen. Jetzt war sie leer. Was mochte Cecil wohl im Hogan seines ständig betrunkenen Vaters finden, das er zum Lunch mit in die Schule nehmen konnte?

»Waren es tatsächlich Kachinas, die Ernesto Cata erwischt hatten? Wie hast du das herausgefunden?«

Cecil wirkte verlegen. Es war nicht zu übersehen, dass er log. Und kein Junge in diesem Alter war gut im Lügen. Leaphorn hatte die Erfahrung gemacht, dass es oft schon genügt, einem Lügner aufmerksam zuzuhören, um ihm auf die Schliche zu kommen.

»Wieso waren die Kachinas denn hinter Ernesto her? Weißt du, warum?«

Cecil kaute auf seiner Unterlippe und schaute grübelnd an Leaphorn vorbei.

»Weißt du denn, warum George vor diesen Kachinas davonläuft?«

»Na ja, sicher aus demselben Grund«, sagte Cecil.

»Du weißt also nicht, warum. Aber was es auch ist, die Kachinas sind hinter allen beiden her, oder?«

»Ja«, sagte Cecil. »Das glaube ich.«

Leaphorn glaubte nun nicht mehr, dass Cecil log. Was immer er auch wusste, er musste es von George erfahren haben.

»Ich nehme mal an«, sagte Leaphorn, »dass Ernesto und George etwas getan haben, was die Kachinas böse gemacht hat.«

»Ernesto hat es getan. George hat ihm nur zugehört. Wenn man darüber spricht, bricht man das Tabu, und Ernesto hat darüber gesprochen.« Cecil sprach sehr ernst. Es lag ihm offenbar viel daran, dass niemand glauben sollte, sein Bruder habe ein Tabu der Zuñi missachtet.

»Was hat er ihm denn erzählt?«

»Das weiß ich nicht. George meinte, er würde es mir lieber nicht sagen. Aber mit den Kachinas hatte es was zu tun.«

Leaphorn setzte sich ein Stück vom Wagen entfernt mit gekreuzten Beinen ins dürre Gras. Was er herausfinden musste, lag klar auf der Hand. Hatte George schon gewusst, dass der kleine Cata tot war, als er sich heute Morgen mit Cecil zusammen auf den Weg zur Schule machte? Wenn er es wusste, dann konnte das nur heißen, dass George seinen Freund Ernesto entweder selbst getötet oder aber zumindest beobachtet hatte, wie er getötet wurde. Vielleicht hatte er auch gesehen, wie die Mörder die Leiche beiseiteschafften. Aber wenn er Cecil geradeheraus fragte und eine negative Antwort bekam, wäre die Antwort für Leaphorn wertlos. Cecil würde lügen, um seinen Bruder zu schützen. Leaphorn fischte seine Zigaretten heraus. Ihm war nicht sehr wohl bei dem, was er jetzt vorhatte. Mein Job ist es, George Bowlegs zu finden, sagte er sich. Ich muss ihn unbedingt aufspüren. »Rauchst du manchmal?«, fragte er Cecil. Er hielt ihm die Packung hin.

Cecil nahm eine. »Manchmal ist das ganz gut«, sagte er.

»Na ja, gut ist es nie. Für die Lunge ist es sogar schädlich. Aber manchmal braucht man es einfach, und dann raucht man eben eine.«

Cecil saß auf einem Stein, inhalierte tief und ließ den Rauch langsam wieder durch die Nase entweichen. Offensichtlich war es nicht seine erste Zigarette.

»Du glaubst also, Cata hat ein Tabu gebrochen, und die Kachinas haben Cata dafür bestraft und sind nun hinter George her.« Leaphorn wählte seine Worte sorgfältig. Der Rauch seiner Zigarette stand als blaues Wölkchen im Sonnenlicht. »Weißt du, wann George gestern Abend nach Hause gekommen ist?«

»Da habe ich schon geschlafen«, sagte Cecil. »Als ich heute Morgen aufgewacht bin, hat er sich gerade für die Schule angezogen.«