Boulder Lovestories - Märchenzauber - Mila Brenner - E-Book

Boulder Lovestories - Märchenzauber E-Book

Mila Brenner

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Beschreibung

Märchenhaft und gefühlvoll: Die Boulder Lovestories! Rina ist 26 Jahre und die Besitzerin eines Blumenladens in der idyllischen Kleinstadt Boulder. Der von ihrem Vater geerbte Laden läuft schlecht, die Familienbande ist nach dem tragischen Unfalltod ihres Vaters zerrüttet und sie selbst hatte seit ihrem High School Abschluss keine Beziehung mehr, die über One Night Stands hinaus gegangen wäre. Auf ihrer Suche nach dem persönlichen Happy End tritt der neu in die Stadt gezogene, attraktive Blair in ihr Leben. Für Rina ist das Happy End zum Greifen nah, doch der Blumenstrauß, den er bei ihr in Auftrag gibt, ist für eine andere Frau in seinem Leben... »Märchenzauber« ist der erste Band der gefühlvollen »Boulder Lovestories«. Band 2, »Boulder Lovestories: Amazing Grace«, erscheint im Januar 2016. Bei »Märchenzauber« handelt es sich um eine überarbeitete Neuausgabe des bereits von der Autorin selbst unter demselben Titel publizierten Romans. feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Erotik: 1, Humor: 0, Gefühl: 3 Begeisterte Leserstimmen: »...eine süße, bezaubernde und kurzweilige Liebesgeschichte im modernen "Cinderella"-Style« »...einfach zum Seufzen schön« »Ein richtiges Wohlfühlbuch« »Boulder Lovestories: Märchenzauber« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Mila Brenner

Boulder Lovestories - Märchenzauber

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

CinderellaGeldsorgenPrinz CharmingGeburtstagsbluesCinderella geht zum BallMitternachtsmagieFrühstück für PrinzessinnenCinderellas SchwesterEmmaHerzklopfen zum MittagDie TänzerinZeit für MärchenVom Kochen und TanzenCinderellas MutterAnastasia und DrisellaDas Boulder CaféKarliMärchenzauberEin Schuh aus GlasWahre LiebeCinderellas EntscheidungKeine PrinzessinDie gute FeeBibbidi-Bobbidi-BuHappy EndDanksagungAlle Teile der zauberhaften Boulder Lovestories
[home]

Cinderella

Ich glaubte immer schon daran, dass ich meinen Märchenprinzen finden würde. Irgendwo da draußen wartet er auf mich. Woher ich diesen Glauben nehme? Das frage ich mich selbst auch ständig. Denn, um ehrlich zu sein, es gibt in meinem Umfeld leider nicht viele Vorbilder für ein Märchen mit glücklichem Ende.

Meine Großeltern zum Beispiel führten eine alles andere als märchenhafte Ehe.

Meine Großmutter mütterlicherseits war Japanerin und mein Großvater Amerikaner. Er bekam von der Firma, für die er arbeitete, ein lukratives Angebot und ließ sich dafür nach Tokio versetzen. Die erste Begegnung meiner Großeltern zog angeblich »Liebe auf den ersten Blick« nach sich. Ein perfekter Anfang für ein Märchen.

Allerdings ging mein Großvater während der Ehe fremd, feierte überschwängliche Partys mit seinen weiblichen Angestellten und starb schließlich mit dreiundvierzig an einem Herzinfarkt. Kein Happy End in Sicht.

Doch immerhin bekamen die beiden ein Kind. Meine Mutter, die sie auf den Namen Jasmin tauften. Jasmin muss man sich so zart und schön vorstellen, wie ihr Name vermuten lässt. Mein Vater, John, beschrieb sie gern als die hübscheste Frau, die er je gesehen hatte. Er war einundzwanzig Jahre, als er ihr begegnete. Sein Charakter war das genaue Gegenteil von meinem Großvater. Damit bot er meiner Mutter eben das, was sie sich immer von ihrem zukünftigen Ehemann gewünscht hatte: Bodenständigkeit, Treue und Ehrlichkeit. Auch sie war auf der Suche nach einem Happy End, und mein Vater wirkte wie jemand, mit dem sie genau das finden würde.

Mein Vater wurde in Boulder geboren und studierte an der dortigen Universität Geschichte. Als er zu einem Auslandssemester nach Tokio kam, lernten sich die beiden durch Zufall in der Mensa kennen. Sie mochten einander auf Anhieb und trafen sich anschließend häufiger. Natürlich nicht nur zu Studienzwecken. Drei Monate später war ich unterwegs. Ich war auch der Grund für ihre Hochzeit. Ein nicht ganz so perfekter Einstieg für ein Märchen.

Während der drei Monate, in denen sie miteinander ausgingen, vergaßen sie scheinbar, über ihre Zukunftswünsche zu sprechen. So war ihnen nicht klar, wie unterschiedlich sie sich ihr Leben vorstellten. Meine Mutter wollte in Tokio bleiben und dort ihr Studium beenden. Mein Vater jedoch wollte unbedingt nach Boulder zurück. Seine Eltern waren früh gestorben, aber er hatte noch Granny, seine Großmutter, die ihn aufgezogen hatte. Sie war ihm so wichtig, dass er sich nicht vorstellen konnte, für immer in Tokio zu bleiben.

Letzten Endes gab meine Mutter nach, als mein Vater eine Anstellung an der Universität in Boulder erhielt. Er malte ihr Boulder in den schönsten Farben aus, aber er verschwieg den kleinen, jedoch wichtigen Fakt, dass es sich um eine amerikanische Kleinstadt in Colorado handelte. Mit einer pulsierenden Großstadt wie Tokio ist Boulder nicht zu vergleichen.

Folglich litt meine Mutter unter Anpassungsschwierigkeiten und bekam mitten in dieser depressiven Phase meinen zwei Jahre jüngeren Bruder Rian. Ri-an gesprochen, nicht etwa Ryan. Jasmin hatte ihr Studium meinetwegen unterbrechen müssen; nun spürte sie, dass ihr Studium mit der Geburt ihres zweiten Kindes in weite Ferne gerückt war. In einem Märchen hätte ihr das nichts ausgemacht. Sie hätte entdeckt, dass sie die perfekte Mutter ist und dass sie das allein vollkommen ausfüllt. In der Realität machte sie uns Kinder für ihr nicht perfektes Leben verantwortlich und verbrachte so wenig Zeit wie möglich mit uns.

Mein Vater war darüber nicht sehr glücklich. Da er aber ein Mann weniger Worte war, dachte er sich seinen eigenen Racheplan aus. Jedenfalls unterstellte meine Mutter ihm immer wieder, dass es Rachegedanken waren, als er seinen Job an den Nagel hängte und Grannys Blumenladen übernahm. Zu Anfang erwies sich das als Katastrophe. Für Blumen hatte mein Vater sich nämlich bis dato nie interessiert, aber es zeigte sich zum Glück für uns alle, dass er ein gutes Händchen fürs Geschäft und auch für Blumen besaß. Mit den Jahren entwickelte sich das Fiori Flowers zum Besten, was meinem Vater hätte passieren können. Und mir auch.

Schon im Alter von acht folgte ich ihm auf Schritt und Tritt. Ich lernte von ihm und half ihm bald im Laden aus. Rian zog es dagegen mehr ins Haus. Er war eine absolute Leseratte, und das ist er wohl bis heute geblieben. Er konnte sich jedenfalls, im Gegensatz zu meiner kleinen Schwester, sehr gut selbst beschäftigen.

Von Rubye habe ich noch nicht erzählt? Sie war die Rache des Universums, das sich gegen meine Mutter verschworen hatte. Gegen meine Mutter verschwor sich laufend irgendwas. Menschen, ominöse Mächte. Warum nicht auch das Universum?

Rubye war so unerwünscht wie mein Bruder und ich, wenn es nach Mutters Plänen gegangen wäre. So war es nicht verwunderlich, dass sie nach ambulanter Entbindung sofort auf Flaschennahrung umstellte und Rubye Grannys Obhut überließ. Ohne sie wäre aus uns Kindern nie etwas annähernd Anständiges geworden.

Vor meinem Vater rechtfertigte Jasmin ihr Verhalten damit, dass sie ihr Studium nicht erneut für eines der Kinder opfern würde. An den Satz erinnere ich mich sehr gut. Immerhin war ich bereits sechs Jahre alt und entwickelte mich schnell zu einer Art Mutterersatz für Rubye. Das bin ich auch bis heute geblieben, denn eins ist bei meiner Erzählung sicher abzusehen: Geändert hat sich meine Mutter nicht. Ein Happy End gibt es nicht.

Warum ihre Geschichte so traurig enden musste, ist eine Frage, die mir keiner beantworten kann.

Ich arbeitete mittlerweile bei meinem Vater im Laden, mein Bruder Rian kehrte der Familie auf seine stille Art den Rücken und studiert im Ausland. Es überrascht sicher keinen, wenn ich verrate, dass er nach langem Hin und Her in Tokio gelandet ist. Auf der Suche nach Wurzeln, die zu entdecken mich nie gereizt hat.

Rubye war in ihrem Abschlussjahr, und wir warteten beide darauf, dass meine Eltern uns zu diesem berüchtigten Gespräch beim Abendessen baten, um uns schonend beizubringen, dass sie sich scheiden lassen. Nicht dass es ihnen lag, etwas schonend zu erklären, oder dass sie es überhaupt hätten erklären müssen. Stattdessen erzählten sie uns von einer gemeinsamen Reise nach Europa. Sie wollten sich Europas Hauptstädte anschauen. Eine Hochzeitsreise hatten sie schließlich – wegen mir natürlich – nie machen können. Wir verstanden ihre Beweggründe nicht, und sie verrieten nichts darüber. Stattdessen flogen sie, und zurück kam nur meine Mutter.

Meine Eltern wurden in einen Autounfall verwickelt. Mein Vater starb in einem Berliner Krankenhaus, und meine Mutter ist seit dem Unfall nicht mehr dieselbe. Das Trauma löste eine Amnesie aus, und sie erkrankte infolge des Unfalls an Alzheimer.

Rian kam nur einmal in den zwei Jahren nach Boulder zurück, um sie zu sehen. Rubye geht seit einem Jahr nicht mehr ins Pflegeheim, um sie zu besuchen. Ich denke, es ist zu hart für sie. Sie ist noch jung, und ich fürchte, sie will ihre Mutter nicht so erleben. Sie behält sie lieber als den Menschen in Erinnerung, der sie vor der Krankheit war. Niemand möchte gerne vergessen werden.

Also besuche ich Mom regelmäßig jeden Sonntag allein. An manchen Sonntagen erwische ich einen guten Tag. Dann fragt sie nach meinem Vater, wenn auch nach einer viel jüngeren Ausgabe von ihm. Sie scheint nämlich alles vergessen zu haben, was nach ihrer Hochzeit passierte. In ihrer Welt gibt es weder Rubye noch Rian. Obwohl sie sich manchmal daran erinnert, eine Tochter zu haben, erkennt sie auch mich nicht wieder. Die Krankheit hat uns aus ihrem Gedächtnis gestrichen, als gäbe es uns gar nicht.

Ob ich sie deswegen nur einmal die Woche besuche?

Nein, aber öfters schaffe ich es nicht, denn ich habe ja den Blumenladen. Dass ich ihn mit all der Verantwortung von heute auf morgen erbe …, damit habe ich nicht gerechnet und darauf war ich auch nicht vorbereitet.

Wahrscheinlich sitze ich deswegen jetzt hier und warte auf den Mann von der Bank. Weil ich mich mit Hypotheken, Versicherungen und all dem, was hinter Grannys Laden steckt, nicht auskenne. Die einzigen beiden Menschen, die ich hätte fragen können – meinen Vater und Granny –, leben nicht mehr. Also habe ich keine andere Wahl, als ins kalte Wasser zu springen. Und nach dem ersten Jahr, in dem ich mich fast nur um unsere Mutter gekümmert habe, so lange, bis ich einen geeigneten Platz in einem Pflegeheim für sie fand, läuft es in diesem Jahr endlich besser.

Ich arbeite immer noch Vollzeit und ohne Angestellte oder Aushilfen. Keine Ahnung, wovon ich die bezahlen sollte. Doch seit drei Monaten steigen die Umsatzzahlen. Allerdings muss ich von den Einnahmen auch Steuern, Versicherungen und den Großmarkt bezahlen – als würde die Miete für Rubyes und meine Wohnung und das Leben nicht schon genug kosten. Aber wie bereits gesagt: Das Leben ist kein Märchen. Trotzdem glaube ich an Happy Ends.

In meinem soll Cinderellas Traumprinz vorkommen. Ich muss nur vorher noch die gute Fee finden und den Glasschuh bekommen, dann werde ich ihn treffen. Denn obgleich ich chaotisch und mit vielen Dingen überfordert bin, kann ich doch gut tanzen. Nett und mitfühlend bin ich ebenfalls, und mehr hat Cinderella auch nicht gebraucht, um ihr Glück zu finden, oder?

[home]

Geldsorgen

Ms. Landon?«

Ich sah von der Zeitschrift auf und blickte in das freundliche Gesicht der brünetten Angestellten. Sie musste etwa in meinem Alter sein, und obwohl ich erst vor zwei Tagen mit ihr telefoniert hatte, fiel mir ihr Name nicht ein. Im Namenmerken war ich ein echtes Desaster.

»Sie dürfen jetzt hineingehen.« Sie brachte mich in einen angrenzenden Raum. »Setzen Sie sich. Mr. Kelly wird gleich kommen.«

Ich kam mir vor wie beim Zahnarzt. Für das blöde Gefühl konnte sie jedoch nichts, also lächelte ich ihr dankbar zu.

Sobald sie die Tür angelehnt hatte, sah ich mich in dem Büro um. Der Schreibtisch, die Aktenschränke und die Sitzgruppe aus Metall wirkten schlicht. Auf dem Tisch standen ein Computer, ein Drucker, ein Fax und all das, was man im Büro eines Bankangestellten erwartete. Eine Handvoll Prospekte zum Thema Baufinanzierungen, Kredite und Altersvorsorge lagen ausgebreitet auf dem Tisch. Sie waren wie ein Fächer angeordnet, sodass man die Titel nicht ganz lesen konnte. Aber genug, um die Neugierde der Kunden zu wecken.

»Interessieren Sie sich für Altersvorsorge, Ms. Landon?«

Ich zuckte zusammen. Ich hatte Mr. Kelly nicht eintreten hören. Als ich mich zu ihm umdrehte, blickte ich in ein freundliches Lächeln. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig. Er trug einen dunkelblauen Anzug, ein hellblaues Hemd und eine passende Krawatte. Sein braunes Haar war modisch kurz geschnitten. Er hätte mir gefallen können, wenn seine Augen Freundlichkeit statt des kühlen Geschäftssinns ausgestrahlt hätten. So wirkte sein Lächeln unecht, und mir kroch Unbehagen den Rücken hinauf.

Geschäftsleuten gegenüber war ich sehr unsicher. Was daran lag, dass ich mich in ihrer Welt so gar nicht auskannte und ständig Angst hatte, über den Tisch gezogen zu werden.

Mr. Kelly reichte mir die Hand, und ich drückte sie ohne allzu viel Enthusiasmus. Er deutete, von meiner Zurückhaltung völlig unbeeindruckt, auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.

»Setzen Sie sich doch, bitte. Darf es etwas zu trinken sein? Ein Kaffee vielleicht?«

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte das hier nicht unnötig in die Länge ziehen. Außerdem befürchtete ich, der Kaffee könnte meinen eh schon aufgewühlten Magen noch zusätzlich reizen. Da ich bezweifelte, dass er mir Pfefferminztee kochen würde, lehnte ich ab und gab vor, keinen Durst zu haben.

»Okay, gut. Dann sehen wir uns an, wie ich Ihnen behilflich sein kann.« Er tippte etwas in seinen Computer und machte ein paar nachdenkliche Laute.

Wie ich wusste, dienten die Geräusche nur der Show. Ich war keineswegs so dumm, anzunehmen, dass er nicht genauestens vorbereitet war. Er kannte meine finanzielle Lage garantiert besser als ich selbst.

Mr. Kelly druckte ein Blatt aus und reichte es mir. Ich erkannte nicht mehr als Zahlen. Zahlen und Gleichungen, um präzise zu sein. Ich hob den Blick und sah ihn an. In vollem Bewusstsein, dass er meine Unsicherheit deutlich erkennen würde. Ich war ein offenes Buch, was meine Gefühle anging. Das sagten jedenfalls alle, die mich kannten, und ich bezweifelte nicht, dass es stimmte.

»Ich … ähm«, räusperte ich mich. »Was ist das genau?«

»Das ist die Aufrechnung Ihres Kredits.«

»Meines Kredits?«

»Entschuldigen Sie. Das war etwas salopp formuliert. Was Sie da in Händen halten, sind die konkreten Kreditmodalitäten Ihres Vaters. Als Ihnen der Laden überschrieben wurde, vereinbarten Sie mit uns die Übernahme des Vertrags, so wie er ihn abgeschlossen hatte. So steht es in meinen Unterlagen. Das ist doch korrekt, nicht wahr?«

Ich nickte.

Vor zwei Jahren war ich zum Notar und danach zur Bank gegangen. Die Überschreibung des Fiori Flowers war eine schnelle und rein formelle Angelegenheit. Die Kreditübernahme hatte ich bei irgendeinem Angestellten der Bank unterzeichnet. Ich war damals von der Trauer und den Ereignissen noch so betäubt gewesen, dass ich vermutlich alles unterschrieben hätte. Auf Details hatte ich sicher nicht geachtet.

»Sie sehen dort die Höhe der vereinbarten Raten und wann sie zu zahlen sind.«

»Und die zehntausend Dollar am Ende der Aufstellung?«

Ich traute mich kaum, ihn anzusehen. Ich fürchtete mich vor dem, was er gleich sagen würde. Und ich bezweifelte nicht eine Sekunde, dass er es trotzdem aussprechen würde.

»Das ist die festgelegte Abschlussrate.«

Genau das, was ich nicht hatte hören wollen. Ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Die nächste Frage hätte ich am liebsten gar nicht gestellt, aber es ließ sich nicht vermeiden. Solange sich kein Loch auftat und mich verschluckte, musste ich der Wahrheit ins Auge sehen, selbst wenn sie mir den Boden unter den Füßen wegriss.

»Und wann ist diese Abschlussrate zu zahlen? Hier steht kein Datum.«

Mr. Kelly lächelte mich wieder an. Mir wurde langsam schlecht, je öfter er mich mit diesem gespielten Verständnis ansah.

»Bis zum dreißigsten Juni müssen Sie Ihre Schulden bei uns tilgen. Sie können sich also entspannen. Bis zur Fälligkeit sind es noch etwas mehr als vier Wochen.«

Ich schluckte panisch. Ich sollte mich entspannen, sagte er? Was glaubte er, wen er vor sich sitzen hatte? Wusste er überhaupt, dass ich einen Blumenladen betrieb und keine Goldgrube? Waren ihm die Zahlen meines Unternehmens doch nicht so geläufig, wie ich angenommen hatte? Wenn ich nicht aufpasste, fing ich gleich zu hyperventilieren an.

10.000 $ in etwas mehr als vier Wochen! Mr. Kelly hatte gut reden. Was glaubte der Kerl, wo ich in so kurzer Zeit eine solche Summe hernehmen sollte? Wir redeten hier von einem Blumenladen, den ich ganz allein betrieb, den ich gerade wieder einigermaßen auf Kurs gebracht hatte und mit Mühe über Wasser hielt.

»Möchten Sie das Geld einzahlen, oder sollen wir es Ihnen direkt vom Konto abbuchen? Ihr Vater hat uns eine Einzugsermächtigung erteilt. Von Ihnen liegt eine solche nicht vor. Die Formalität können wir gleich jetzt nachholen.«

»Mr. Kelly«, unterbrach ich ihn, bevor er noch per Mausklick veranlasste, die fehlende Summe gleich hier und jetzt abzubuchen. Das bot sich ja bestimmt an, wo ich schon einmal persönlich hier war.

»Ich habe keine zehntausend Dollar. Und um ehrlich zu sein …«, ich seufzte und fuhr mir durch mein halblanges Haar, das ich heute offen trug, »ich werde so viel Geld nicht bis Ende Juni auftreiben können. Gibt es nicht eine Möglichkeit, diese Rate aufzuschieben?«

»Hm.« Er legte den Finger nachdenklich ans Kinn und wandte sich dem Computer zu.

Das Schweigen, das sich die nächsten Minuten ausdehnte, setzte mir zu. Ungeduldig rieb ich die Hände aneinander.

»Der Laden ist ja bezahlt?«, fing ich an zu plappern. »Es handelt sich um einen Kredit, der nichts mit dem Besitz des Ladens zu tun hat. Das stimmt doch, oder? Die Unterlagen meines Vaters sind nicht sehr übersichtlich, und ich kann nicht mehr alles nachvollziehen. Er hatte ein fürchterliches Ablagesystem, das außer ihm niemand verstand.«

Ich wollte ihm nicht auf die Nase binden, dass ich von Existenzgründungen keine Ahnung hatte. Mein Vater hatte immer darauf bestanden, sich selbst um den anfallenden Papierkram zu kümmern. Er hatte mir versprochen, es mir irgendwann zu zeigen. Doch jetzt war es zu spät dafür.

»Bei dem Kredit, von dem wir reden, geht es nicht um den Besitz des Ladens. Der ist vollständig abbezahlt und gehört Ihnen. Das ist ein Kredit, den er für die Renovierung und den Ausbau vor fünf Jahren aufgenommen hat.«

Ich erinnerte mich daran. Dass er für den Umbau der Garage einen Kredit bei der Bank abschließen musste, hatte er mir selbstverständlich nie erzählt. Mein Vater hatte grundsätzlich nicht über die Finanzen der Familie gesprochen. In dieser Hinsicht hatte er mich wie ein Kind behandelt.

»Allerdings dient das Fiori Flowers als Sicherheit.«

»Sicherheit?«

»Wenn der Kredit nicht bezahlt werden kann, sind wir berechtigt, Ihr Geschäft als Hypothek einzusetzen.«

»Ich könnte den Laden verlieren?«, fragte ich entsetzt nach.

»Sehen Sie, Ms. Landon, die Sache ist so. Ihr Vater hat sich fünfundzwanzigtausend Dollar von uns geliehen. Im ersten Jahr hat er ausgesetzt mit der Zahlung. Das war sein Wunsch, und so vereinbarten wir eine jährliche Rate und die Abschlussrate von zehntausend Dollar.«

Er zeigte auf verschiedene Summen, die auf dem Blatt standen, das er mir zu Anfang gereicht hatte. Die Zahlen ergaben immer noch keinen Sinn, aber ich verstand auch ohne die Statistiken, was Mr. Kelly mir sagen wollte.

Die Bank bestand auf pünktlicher Tilgung.

»Meine Mutter ist in einem Pflegeheim«, versuchte ich trotzdem, sein Mitgefühl zu wecken.

Welche andere Wahl hatte ich?

»Sie ist an Alzheimer erkrankt und muss besonders betreut werden. Der Pflegeplatz ist nicht billig, und um das alles zu finanzieren, arbeite ich bereits zehn Stunden sechs Tage die Woche. Die Vor- und Nachbereitungszeit gar nicht mit eingerechnet. Außerdem habe ich eine jüngere Schwester, die auf meine finanzielle Unterstützung angewiesen ist. Zehntausend Dollar!« Ich sah ihn bittend an. »So viel Geld kann ich unmöglich in vier Wochen auftreiben.«

Meine Kontrolle hing am seidenen Faden. Doch ich musste ihm klarmachen, dass ich eine Alternative brauchte, dass der Vertrag und die alten Konditionen für mich nicht einzuhalten waren.

»Dieses Geschäft ist Familienbesitz. Er ist alles, was mir von meinem Vater geblieben ist. Ich kann das Fiori Flowers nicht verlieren, verstehen Sie?«

Er nickte. Langsam und bedächtig, so kam es mir vor. Sein Blick blieb weiterhin undurchdringlich, und das beruhigte meine Nerven kein bisschen.

»Also gut, es besteht folgende Möglichkeit«, gestand er mir endlich etwas Erleichterung zu. Er drehte sich um, tippte auf einem Taschenrechner, gab danach etwas in den Computer ein und druckte ein zweites Blatt aus.

»Wir können Ihnen bis Ende des Jahres Zeit geben. Sie zahlen fünftausend Dollar jetzt und zum Jahresabschluss die andere Hälfte plus diesen Aufschlag an neu anfallenden Zinsen.«

Ich atmete durch. Das war nicht unbedingt ideal. Wahrscheinlich würde ich Ende des Jahres immer noch keine Ahnung haben, wie ich die Summe aufbringen sollte, doch das Weihnachtsgeschäft war eine gute Zeit, und wenn ich sparsam blieb, würde es gehen. Auf jeden Fall waren 5.000 $ in vier Wochen nicht das Ende der Welt. Es reichte für eine Migräne, aber Aspirin würde ich mir noch leisten können.

Ich nickte also, und in fünf Minuten hatten wir den neuen Vertrag aufgesetzt und unterschrieben. Samt Einzugsermächtigung, damit ich auch nicht vergaß, das Geld einzuzahlen. Bei dem Stress, den ich hatte, könnte das ja leicht passieren, lautete Mr. Kellys Hinweis. Seine Freundlichkeit erinnerte mich an die Freundlichkeit der bösen Stiefmutter Cinderellas, aber ich sah darüber hinweg und verabschiedete mich lieber schnell.

Draußen vor der Bank atmete ich erst einmal tief durch und umklammerte den Vertrag mit beiden Händen. Lächerlicherweise musste ich gegen das Gefühl ankämpfen, es könnte doch noch jemand kommen und mir diesen Deal entreißen. Diesen minimalen Ausweg aus einer Lage, über die ich mit niemandem reden konnte, wie mir jetzt bewusst wurde. Meine Mutter verstand Dinge dieses Ausmaßes nicht. Sie wusste nicht mal, wer ich war, und hielt mich die meiste Zeit für eine der Pflegerinnen. Und meine Schwester …

Meine Schwester war zwanzig Jahre jung. Ihre Welt drehte sich um ihr Studium, ihre Freunde, ihre Hobbys und ihre Zukunftspläne. Mit ihr konnte ich schlecht besprechen, wie düster ihre Zukunft aussah, falls ich das Fiori Flowers schließen musste und wir plötzlich kein Geld mehr für die Miete und alles andere hatten. Nein, das war ein Problem für meinen Traumprinzen. Nur ließ der sich immer noch nicht blicken.

Bitte, gute Fee, falls es dich wirklich gibt, dann wäre ein bisschen Hilfe jetzt sehr willkommen.

Wenn das Leben mir ein Happy End zudachte, wäre das der ideale Zeitpunkt, meinen Traumprinzen alsbald auftauchen zu lassen.

[home]

Prinz Charming

Nachdem ich die Ladentür aufgeschlossen hatte und eingetreten war, erfüllte mich ein warmes Gefühl von Glück. Ich konnte nicht behaupten, dass ich Blumen besonders liebte, aber sie gehörten einfach schon immer zu meinem Leben dazu und gaben mir daher ein Gefühl von Geborgenheit. Wenn ich mich im Laden umsah, war alles hier vertraut. Rechts standen die Regale mit verspielten Accessoires. Unter anderem lagen dort Postkarten, Geschenkanhänger, Magnete und Notizbücher aus. Am Fenster standen die weißen Regale mit Rankenornamenten, die den Passanten Kerzengläser, Kerzenständer und Duftlampen in verschiedenen Formen und Motiven zeigten. Rechts vom Fenster gab es das Regal mit einer Vielzahl von Kerzen mit und ohne Duft. Ich führte auch bekannte Duftmarkengläser und ein paar exotische Räucherstäbchen. Daran schloss sich ein Regal mit Holz-, Glas- und Porzellandekoration an, hauptsächlich Figuren oder Jahreszeitendekoration, die man ins Fenster hängen konnte. In einer Nische gab es ein Regal mit Tee, ein paar Tassen und kleine Kannen. Auf der anderen Seite neben der Tür folgten in mehreren Stufen die Kübel mit frischen Schnittblumen und nahe der Kasse ein paar dekorative Zusammenstellungen für Häusereingänge oder Terrassen. Balkonpflanzen hatte ich für Holzregatten vor der Tür vorgesehen.

Ich brachte sie gerade hinaus und reihte sie dort schön auf, wobei ich die magentafarbenen und dunkelgrünen Holzschilder so platzierte, dass man den Namen und den Preis gut sehen konnte. Die Kunden suchten nicht gerne danach. Als ich fertig war, ging ich wieder hinein.

Ein Perlenvorhang hinter der Theke führte in den Anbau; hier hatte ich ein WC, eine kleine Küche und meinen Bürobereich mit bequemem Sofa untergebracht, um mal die Füße hochzulegen – wenn ich mich entschied, für eine halbe Stunde Mittagspause zu machen und den Laden vorübergehend zu schließen. Das lief alles nach Gefühl und Kraft. An den meisten Tagen hatte ich rund um die Uhr von neun Uhr am Morgen bis sieben Uhr am Abend geöffnet.

Ich hing meine Jacke an die Garderobe und zog mir meine Schürze über. Sie passte mit ihrem englischen Blumendesign zur Einrichtung, aber nicht zu meinem schwarzen T-Shirt mit Glitzeraufdruck. Doch das sah unter der Schürze zum Glück niemand. Ich band mir meine schulterlangen blonden Haare zu einem Zopf zusammen, damit sie mich nicht bei der Arbeit behinderten, und kochte mir einen Pfefferminztee.

Für Kräutertees hatte ich eine Schwäche. Außerdem beruhigte er meine Nerven, und zurzeit konnte etwas Beruhigung nicht schaden. Ich fühlte mich noch immer nicht wieder ganz hergestellt nach dem Termin mit Mr. Kelly. Solche Gespräche, die sich um Existenzbedrohungen drehten, lagen mir schwer im Magen. Das hatte ich schon früher herausgefunden. Allerdings hoffte ich, diese Erfahrungen nicht mehr allzu oft machen zu müssen.

Auf der Theke lag mein Organizer. Ich öffnete den Kalender und sah mir die Termine für den heutigen Vormittag an. Ich musste noch ein paar neue Sträuße fürs Krankenhaus binden. Den Auftrag hatte ich vor zwei Monaten ergattert und war mächtig stolz darauf. Das Geschäft mit dem Hospital brachte gutes Geld. Sie orderten wöchentlich zwanzig Gebinde für den Empfang und die Aufnahmen jeder Station. Heute gegen Mittag kam jemand, um die Sträuße abzuholen.

Ich bewahrte die Blumen für die Großaufträge hinten in meinem eigenen Lager auf. Dieses Lager war das Ergebnis des Kredits, der mir so viel Kopfzerbrechen bereitete. Es handelte sich um eine ehemalige Garage, die an den Blumenladen in der Spruce Street anschloss. Es gab eine Verbindungstür neben meinem WC, und so ließ ich den Laden kurz unbeaufsichtigt, um die Blumen zu holen. Ich schloss nicht ab, weil so etwas in dieser Gegend zum Glück nicht notwendig war. Wenigstens nicht, wenn man nur fünf Minuten das Geschäft verließ.

Im Lager gab es genug Licht, das durch die Fenster fiel, die mein Vater nachträglich hatte einbauen lassen, und es herrschte ein feuchtes Klima im Raum. Der vielfältige, süße Blumenduft überlagerte die Nässe, die sonst klamm gewirkt hätte. Er lag schwer in der Luft, was mich jedoch nicht störte. Stattdessen atmete ich den vertrauten Duft tief ein und seufzte. Dann überlegte ich, welche Blumen ich nun für die Krankenhaussträuße nehmen sollte. Ich entschied mich schließlich für eine Auswahl, die farblich sehr gut harmonierte und garantierte, dass die Blumen die gleiche Haltbarkeit hatten. Es sah nicht schön aus, wenn bereits ein paar der Pflanzen den Kopf hängen ließen oder verwelkten, während andere noch frisch waren und kräftig blühten.

Mit meiner Auswahl an Blumen kam ich zurück in den Ladenbereich. Ich legte sie ab, sah mich nach meiner Arbeitsvase um und warf dabei einen irritierten Blick nach oben an die Decke. Irgendwas hatte meine Aufmerksamkeit erregt. Als ich den dünnen Körper und die langen Beine sah, wusste ich auch ziemlich schnell, was es gewesen war.

Die Spinne saß direkt über meinem Arbeitstisch und damit genau über mir. Wie hervorragend.

Mit der Natur hatte ich normalerweise kein Problem. Mit Würmern, Bienen, Wespen und all dem, womit man bei Blumen zwangsläufig in Berührung kam. Bei Spinnen jedoch schlug bei mir total das Mädchengen durch. Ich hatte schreckliche Angst vor ihnen, und ich schaffte es nicht mal, sie einfach zu erschlagen.

Die Vorstellung, das Biest könnte mir jede Sekunde auf den Kopf fallen, brachte mich dazu, erst einmal bis zur Wand zurückzuweichen.

Ganz ruhig Rina. Es ist nur eine Spinne.

Und weil das hier kein Stephen-King-Film war, musste ich mir keine allzu großen Sorgen machen, richtig?

Trotzdem war sie superekelig, und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie da wegbekommen sollte. Es blieb eigentlich nur die Möglichkeit, auf die Theke zu klettern und sie mit irgendeinem Glas einzufangen. Ich konnte sie auf keinen Fall erschlagen. Ich wäre garantiert nicht schnell genug, und überhaupt wollte ich sie ja auch gar nicht töten. Sie sollte nur nicht in meinem Laden leben und über meinem Kopf sitzen.

Ich seufzte und sah zu der Spinne hoch. »Na schön, jetzt heißt es du und ich, meine Liebe. Ich würde dich bitten, dich nicht zu bewegen und ein bisschen zu kooperieren. Das wäre echt klasse.«

Dass ich mit Spinnen sprach, war nicht unbedingt normal. Allerdings sprach ich häufig mit mir selbst, falls ich mir Mut machen musste. Wenn ich richtig nervös war, fing ich auch an zu plappern. Meistens sinnloses Zeug. Gerade war so ein Moment. Und da es der Spinne vermutlich ziemlich egal war, dass sie genau über meinem Kopf thronte, machte ich mir gar nicht die Mühe, besonders sinnvoll zu sein.

Ich griff nach einer Vase mit breiter Öffnung und kletterte auf die Theke, bevor ich es mir anders überlegte. Sobald ich auf Augenhöhe mit der Spinne war, überkam mich der Drang, runterzuspringen und davonzulaufen. Doch statt meinem Gefühl nachzugeben, trippelte ich ungraziös auf der Stelle, schüttelte den Kopf und flüsterte mir selbst zu, dass die Spinne gar nicht so ekelig war, wie sie aussah.

»Ich schaffe das schon. Ich kann das.«

»Brauchen Sie vielleicht Hilfe?«

Vor Schreck hätte ich beinah die Vase fallen lassen. Ich war so vertieft in meinen Beschwörungstanz und malte mir aus, wie ich den Mut fand, die Spinne einzufangen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie Kundschaft in den Laden gekommen war. Ich sah mich um und blinzelte sprachlos. Ich war an seinen grünblauen Augen hängen geblieben, mit denen er zu mir aufsah. Verdattert stellte mein Gehirn fest, dass ich ihn nicht kannte.

So klein war Boulder zwar nicht, dass man jeden kannte, aber in fünfundzwanzig Jahren lernte man doch die meisten Bewohner kennen. Und meine Kunden kannte ich sowieso fast alle, da es in der Regel immer die gleichen Leute waren, die bei mir kauften.

Der Fremde trug eine dunkelblaue Jeans, ein weißes Polohemd und hatte einen echt attraktiven Körperbau. Ja verdammt attraktiv sogar, wenn ich ihn mir genauer ansah.

Sein Lächeln verriet mir, dass ich ihn anstarrte und dass er es bemerkt hatte.

Ich lief daraufhin rot an. Das konnte ich in etwa so gut wie plappern, sobald ich nervös war. Am schlimmsten war es um meine Fassung bestellt, wenn ich beides gleichzeitig machte. Das war dann ein sicheres Anzeichen von Panik.

»Hi«, grüßte ich nach einer gefühlten Ewigkeit und dazu völlig idiotisch.

Er wirkte amüsiert von mir oder der Situation, was im Grunde das Gleiche bedeutete. »Sie kämpfen mit einem Spinnenproblem?«, wollte er wissen.

»Ja«, gab ich zu. »Ja, ich kämpfe mit einem kleinen Spinnenproblem. Also nicht im Allgemeinen, aber die dort oben bereitet mir gerade Kopfzerbrechen.«

»Ich verstehe. Darf ich Ihnen meine Hilfe anbieten? Ich bin zwar kein Spinnenbeschwörer, doch ich habe auch kein Problem mit ihnen.«

»Ehrlich?« Ich kam von der Theke herunter. »Das wäre wirklich super. Ich möchte nur nicht, dass Sie sie … Also ich will nicht, dass Sie sie erschlagen. Ich wollte sie einfangen und vor die Tür setzen.«

»Ihnen ist bewusst, dass Sie damit ein Risiko eingehen? Vielleicht fühlt sich die Spinne bei Ihnen so wohl, dass sie beschließt, wiederzukommen?«

»Nun, dann muss ich sie eben so oft vor die Tür setzen, bis sie es versteht.« Ich lachte und fügte hoffnungsvoll an. »Ich hoffe allerdings, dass es ihr da draußen viel besser gefällt.«

»Ich schätze, das ist unwahrscheinlich. Aber ich sehe schon, Sie sind nicht davon abzubringen.«

Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht, dass er sie erschlug. Sie war eklig und hässlich, doch sie war trotzdem nur eine Spinne, und auch sie verdiente zu leben.

»Aye, na schön.«

Und mit den Worten griff er sich meine Trittleiter, die in der Ecke stand. Einige Sekunden später hatte er die Spinne einfach mit der Hand gefangen und kam wenig später zurück in den Laden.

Er schüttelte die Hände aus und sah mich lächelnd an. »Weg ist sie. Das Spinnenproblem haben wir gelöst. Vielleicht können Sie sich revanchieren und mir bei meinem Blumenproblem helfen?«

»Ich bin sicher, ich finde eine Möglichkeit, mich zu bedanken. Wonach suchen Sie denn?«

»Es soll ein Strauß für eine junge Frau sein.«

»Das ist ein Anfang.« Ich sah ihn fragend an. »Dachten Sie an etwas Bestimmtes?«

Er sah sich im Laden um. Sein Blick blieb an den Blumen hängen, die in Eimern, Kübeln und Vasen zum Binden bereitstanden. Er wirkte nicht so recht hilflos, aber mein großes Sortiment überforderte ihn. Das kannte ich sehr gut. Er war nicht der erste Mann, der daran dachte, einen Strauß Blumen für eine Frau zu kaufen, ohne eine Ahnung zu haben, was er wollte. Einen Strauß Blumen eben. Dabei handelte es sich nie einfach nur um irgendeinen Strauß.

»Ich weiß nicht.« Er sah mich an. »Um ehrlich zu sein, dachte ich bloß an einen Blumenstrauß.«

»Okay, versuchen wir es anders. Zu welchem Anlass soll er denn sein? Genesungswünsche, Geburtstagsgrüße oder Herzensangelegenheiten?«

Er sah aus wie jemand, der nach einem Blumenstrauß für die letztere Kategorie suchte.

»Herzensangelegenheiten, denke ich.«

Er weiß nicht, ob es um eine Herzenssache geht?

Ich bemühte mich, mir meine Verwunderung nicht anmerken zu lassen. »Gibt es Lieblingsblumen? Lieblingsfarben?«

Er schüttelte den Kopf und wirkte jetzt eindeutig hilflos.

»Kein Problem«, beruhigte ich ihn. »Ich binde Ihnen den passenden Strauß.«

Ich trat zu den Kübeln und griff mir zunächst etwas Grünes als Basis. Weißes Schleierkraut passte zu allem und machte sich zu jedem Anlass gut.

»Ich möchte sie aufheitern. Es ist sozusagen …«

»Ein Gruß, um zu sagen, Sie sind für sie da?«, unterbrach ich ihn, und sein Lächeln zeigte mir, ich hatte ihn verstanden.

»Na das bekomme ich hin. Wir nehmen noch etwas Blaues Halskraut. Das passt in seiner Farbe toll zu dem Schleierkraut und zu dem, was ich mir vorstelle.«

Ich ging zu den Hortensien. Ich nahm drei der großen fliederfarbenen und drei von denen, die eher ins Rosafarbene verliefen. Ich steckte sie zusammen mit dem Beiwerk in meine Arbeitsvase und ging zurück zu den Blumen.

Wie immer legte ich den Finger ans Kinn, während ich nach dem richtigen Gefühl suchte. Dann griff ich entschlossen zu den Inkalilien. Zwei von den dunkelpinken und zwei von den weißen. Diese Blumen zeichneten sich durch ihre schöne Blütenpracht aus und passten in ihrer zierlichen, aber hohen Wuchsform besonders toll zu den Hortensien. Sie ließen sich außerdem sehr gut arrangieren und stecken. Bisher war ich zufrieden und lächelte. Der Strauß fühlte sich gut an. Das war wichtig. Wenn ich keine Verbindung zu ihm aufbauen konnte, hatte ich nicht die richtige Wahl getroffen.

»Wie machen Sie das nur?«

Ich sah auf zu meinem Kunden. Er lehnte locker am Tresen und schaute mir zu. Sein Mund war zu einem Lächeln geschwungen, das mich für den Moment völlig von meiner Arbeit ablenkte. Ich starrte hoffentlich nicht zu lang auf seine Lippen, bevor ich mich wieder im Griff hatte.

»Was meinen Sie?«

»Das Aussuchen des Straußes? Wie sorgen Sie dafür, dass er passt?«

»Passt er denn?«, wollte ich wissen.

»Er passt so gut, als würden Sie sie persönlich kennen.«

»Genau so sollte es sein.«

»Aber Sie kennen sie nicht.«

Ich schüttelte den Kopf. Natürlich kannte ich sie nicht.

»Ich wollte schon immer wissen, was es mit dem Mysterium des Blumenmädchens auf sich hat.«

Sprachlos sah ich ihn an und begann zu lachen. Er lachte ebenfalls, und sein Lachen vibrierte in meinem Körper und fühlte sich so gut an, dass es mich überraschte.

Natürlich war er nicht der erste Mann, den ich attraktiv fand, aber irgendwas an ihm war anders. Ein bisschen so, als hätten wir eine echte Verbindung zueinander aufgebaut. Und das in so kurzer Zeit und nur dadurch, dass wir über Blumen redeten.

»Da gibt es kein Mysterium. Ich kann es nicht mal erklären. Ich habe ein Gefühl, und dem folge ich.«

»Es ist umwerfend.«

»Wenn Sie das sagen«, stammelte ich verlegen. Seine Worte klangen ehrlich, aber ich wusste dennoch nicht, wie ich mit ihnen umgehen sollte.

Ich ging zu den Strauchrosen und zog drei von den roséfarbenen heraus. Sie passten perfekt zum Strauß. Dann kam ich zurück zum Arbeitsbereich und arrangierte die Rosen ins Bouquet.

»Ich sollte jedoch nicht überrascht sein. Sie sehen aus wie jemand, der wirklich schöne Sträuße macht. Ihr Laden hat so etwas Verträumtes und Romantisches. Noreen würde es mögen. Deswegen bin ich überhaupt erst auf die Idee gekommen, ihr ein paar Blumen mitzubringen.«

Es war schön zu hören, dass ihm meine Art, den Laden zu dekorieren, gefiel. Und dass ihn die romantische Atmosphäre dazu bewogen hatte, hereinzukommen und einen Blumenstrauß zu kaufen.

Er sah zu dem Bouquet in der Vase. »Das sieht ganz toll aus.«

»Danke, aber er ist noch nicht fertig. Die Empfängerin mag es also gerne verträumt? Dann fehlt etwas Entscheidendes.«

Ich ging zu meinem Apothekerschrank. Das alte Teil stammte noch aus Grannys Zeit, doch ich liebte den Schrank wegen seiner vielen Schubladen. Es war so unheimlich praktisch, das Dekorationsmaterial darin zu verstauen.

Ich suchte nach passenden Perlen und fädelte sie auf einen durchsichtigen Nylonfaden. Danach nahm ich ein paar größere perlmuttfarbene Perlen und zog sie auf ein fliederfarbenes Band aus Organza. In den Stoff waren silberne Fäden eingearbeitet, und so schimmerte es je nach Lichteinfall ab und an auch silbern. Die beiden Bänder arbeitete ich so in das Bouquet, dass es einen kompakten Halt bekam, aber gleichzeitig durch die Perlen etwas Verwunschenes erhielt. Ich muss zugeben, dass der Strauß auch mir sehr gut gefiel. Er sah wie ein typischer Märchenstrauß aus, und hoffentlich wirkte er gegen Kummer ebenso gut wie ein schöner Disney-Film.

»Und gefällt er Ihnen?«

»Ich finde ihn großartig. Noreen wird ihn bestimmt lieben.«

Ich lächelte zufrieden, doch rasch verblasste es, und ich seufzte.

»Stimmt etwas nicht?«

»Anfängerfehler.«

Er hob fragend die Augenbrauen.

»Ich habe vergessen zu fragen, wie Ihre preislichen Vorstellungen sind. Das sollte man normalerweise klären, bevor man den Strauß bindet.«

»Hm, das empfiehlt sich. Aber keine Sorge, es kommt nicht auf den Preis an. Den Strauß kaufe ich, egal, was er kostet.«

»Sie ist Ihnen sehr wichtig, ja?«

Er nickte aufrichtig, und ich war neidisch auf die Liebe, die sich in seinen Augen abzeichnete.

»Da habe ich ja noch mal Glück gehabt.« Ich ging zu den Rollen mit Zellophanfolie und riss genug ab, um den Strauß vorsichtig einzupacken. Ich entschied mich für fliederfarbenes Papier.

»So ist die Überraschung größer«, erklärte ich, als ich ihm den Strauß reichte.

»Danke.«

Er holte sein Portemonnaie aus der Hosentasche, und nachdem ich ihm den Preis genannt hatte, bezahlte er mit seiner Kreditkarte. Dabei stellte ich fest, dass er nicht aussah, als sei ihm der Strauß zu teuer gewesen.

Noreen hat wirklich Glück, dachte ich neidisch. Hoffentlich konnten meine Blumen sie aufmuntern.

»Dann …«, merkte mein Kunde an.

»Dann bis bald. Vielleicht sieht man sich ja wieder.«

»Ja, wer weiß.«

Er ging, blieb aber doch noch einmal an der Tür stehen.

Ich sah fragend zu ihm. »Haben Sie etwas vergessen?«

»Ja, wissen Sie zufällig, wo man in der Nähe guten Kaffee zum Mitnehmen bekommt und eventuell Kuchen?«

Ich runzelte die Stirn, und er deutete das als Frage.

»Ich bin neu in der Stadt. Heute hergezogen sozusagen.«

Das erklärte, weshalb ich ihn noch nie vorher gesehen hatte. Jedenfalls nicht in meinem Laden.

»Weiter die Straße runter, fast am Ende gibt es ein Café. Wenn Sie wirklich nur was zum Mitnehmen suchen, empfehle ich Ihnen das Crêpes and more. Gleich schräg gegenüber. Da bekommen Sie sehr guten Kaffee, und meistens haben sie auch ein paar Teilchen.«

»Das klingt gut, danke.«

»Gern geschehen.«

Ich seufzte laut, als er gegangen war. Warum waren die gutaussehenden Typen, mit denen ich mich gerne getroffen hätte, immer bereits vergeben?

Und dabei war er neu hier! Da könnte es das Schicksal doch mal gut mit mir meinen und mir einen attraktiven Mann schicken, der mich vor einer Spinne rettete und nicht vergeben war, oder? Aber nein, so viel Glück war mir nicht vergönnt. Ich seufzte noch einmal, dann widmete ich mich wieder meiner Arbeit.

Gerade hatte ich mit dem ersten Strauß für das Krankenhaus begonnen, als eine meiner Stammkundinnen den Laden betrat. Annie Tavish kam eigentlich jeden Montag oder Dienstag und holte einen Strauß roter Rosen mit weißem Schleierkraut und Farn, um ihn auf das Grab ihres Mannes zu legen. Seitdem sie Probleme mit dem Gedächtnis hatte und sich nicht mehr so gut an alles erinnern konnte, kam sie einfach immer Anfang der Woche, um ihm Blumen zu bringen. Fünfundfünfzig Jahre war sie verheiratet gewesen, und das war eine lange Zeit.

Ich kannte Annie schon mein ganzes Leben. Sie war früher die beste Freundin meiner Granny und hatte mich und meine Geschwister somit aufwachsen sehen. Nach Grannys Tod hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht, sich um uns zu kümmern, wie sie es ausdrückte. Irgendwie war sie ein Teil der Familie, obwohl Annie davon nichts hören wollte.

»Guten Morgen Mrs. Tavish.«

Annie reagierte empfindlich, wenn ich sie nicht mit dem Vornamen ansprach, und es machte mir Freude, es immer wieder darauf ankommen zu lassen.

Sie gab den süßen Laut empörter Entrüstung von sich, den ich erwartet und in mein Herz geschlossen hatte. »Du sollst doch Annie zu mir sagen, Mädchen.«

»Ich weiß, Annie. Es ist nur immer wieder schön, wenn du mich daran erinnerst.«

Sie lachte leise, und ich war wie eh und je davon fasziniert, dass mich ihr Lachen an das eines vierzehnjährigen Mädchens erinnerte. Es klang eher nach einem Kichern als nach einem Lachen und ließ sie viel unschuldiger wirken, als sie war.

»Du kommst wegen deiner Rosen, ja?«

»Graham wartet doch auf mich. Heute bin ich spät dran.«

»Spät? Ach was. Du bist wie immer genau richtig.«

Ich schob die Blumen fürs Krankenhaus beiseite und fing an, den Strauß für sie zu binden, als die Klingel an meiner Ladentür erneut läutete. Ich warf einen Blick in die Richtung und hielt überrascht inne.

Da war mein Spinnenritter wieder! Mit zwei Bechern Kaffee in der Hand tauchte er vor mir auf. Er sah Annie an und grüßte sie freundlich. Mir fiel auf, wie sie mir zulächelte, und ich verdrehte die Augen. Sie kam nicht darüber weg, dass ich noch unverheiratet war. Sie selbst hatte ihren Graham mit siebzehn geheiratet. Nach ihren Standards war ich bereits eine alte Jungfer.

»Ich wollte mich mit einem Kaffee bedanken.«

»Bedanken? Doch nicht etwa für den Strauß, den Sie eben gekauft und bezahlt haben?«

Er lachte. »Aye, für den auch, aber eigentlich dafür, dass Sie mir meine Frage zum Mysterium der Blumenmädchen beantwortet haben.«

Er zwinkerte mir zu, und ich war mir nicht ganz sicher, ob er mit mir flirtete.

»Ich wusste nicht, wie Sie Ihren Kaffee mögen. Daher habe ich einen mit Milch und einen schwarz mitgebracht.«

»Ich trinke ihn mit Milch.«

Er reichte mir einen der Becher und sah dann zu Annie. »Sie haben Kundschaft. Da will ich Sie nicht aufhalten.«

»Laden Sie sie mal zum Essen ein. Das Boulder Café ist ein schöner Ort für eine Verabredung. Mein Graham hat mich jeden Samstag dorthin ausgeführt.«

»Annie!«

Ich konnte ihr nicht böse sein, stattdessen musste ich kopfschüttelnd lächeln, aber es war mir trotzdem unangenehm.

Mein Spinnenritter reagierte jedoch lässig und nickte Annie zu. »Das klingt romantisch. Vielleicht führe ich das Blumenmädchen tatsächlich mal dahin aus.«

Er verabschiedete sich und verließ meinen Laden so schnell, wie er gekommen war. Ich sah ihm sprachlos hinterher.

»Das lief ja ausgezeichnet.« Annies Stimme brachte mich zurück in die Wirklichkeit.

Ich schüttelte den Kopf, als fiele damit die Benommenheit von mir ab.

»Ein gutaussehendes Exemplar Mann.«

Für eine Dame über siebzig besaß sie verdammt moderne Ansichten. Und sie verfügte über einen natürlichen Charme, der mir vollkommen fehlte. Jedenfalls verhinderte meine Schüchternheit, dass er sich Männern gegenüber zeigte.

Wem will ich was vormachen?

Ich war ziemlich schlecht darin, mit Männern zu flirten. In meinem Kopf mochte das alles ganz gut funktionieren, und ich hatte auch stets die passende Antwort parat, aber in der Realität fühlte ich mich viel zu befangen. Meistens interessierten die Männer sich nicht mehr für mich, bis ich endlich genug Vertrauen gefasst hatte und über meinen schüchternen, überdimensional großen Schatten sprang, um zurückzuflirten.

»Warte nur ab, mein Mädchen. Den siehst du wieder. Den Hinweis mit dem Boulder Café hat er verstanden. Ich würde mich in den nächsten Tagen besonders hübsch machen und bereithalten, wenn ich noch fünfzig Jahre jünger wäre.«

Beinah hätte ich gelacht, aber ich sah sie nur kopfschüttelnd an. »Du übersiehst das Wesentliche, Annie. Er hat eben einen traumhaft schönen Blumenstrauß gekauft.«

»Ja, was auch sonst?«

»Er hat einen übergroßen, wunderschönen, verträumten Blumenstrauß für eine Frau gekauft.«

»Alle Männer kaufen Blumen für eine Frau.«

Ich seufzte. »Das bringt alles nichts. Er ist bestimmt vergeben. Und mit vergebenen, womöglich verheirateten Männern fange ich ganz sicher nichts an.«

An die Regel hielt ich mich. Mein Leben war kompliziert genug. Ein Liebesdrama, in dem ich die Rolle der ehebrechenden Geliebten einnahm, war das Letzte, was ich gebrauchen konnte. Und meinem Happy End räumte solch eine Konstellation auch nicht viele Chancen ein.

Ich stritt ja gar nicht ab, dass mein Spinnenritter mit mir geflirtet hatte, aber ich führte es auf seinen Charme zurück. Er hatte schließlich weder nach meinem Namen noch nach meiner Telefonnummer gefragt. Das mit der dahingesagten Einladung war vermutlich reine Höflichkeit gegenüber Annie gewesen. Männer benahmen sich so in der Gegenwart der liebenswerten, alten Frau.

Ich band Annies Strauß schneller als gewöhnlich fertig. Ich wollte sie nicht direkt loswerden, obwohl das ein kleiner Hintergedanke war, aber ich hatte auch viel zu tun. Die Krankenhaussträuße warteten auf mich, und wenn ich Glück hatte, gab es noch weitere Laufkundschaft. Ich hatte wirklich keine Zeit, zu träumen und mir Gedanken über meinen Retter zu machen. Und um ehrlich zu sein, versank ich meistens ohnehin in meiner Arbeit.

Ich verlor mich beim Binden in der Vorstellung, was die Blumen den Menschen geben würden, sobald sie sie ansahen. Welche Gefühle sie ihnen entlockten. Im Krankenhaus heiterten sie zum Beispiel einen traurigen Patienten auf. Sie gaben der überarbeiteten Krankenschwester neue Kraft oder schenkten den besorgten Angehörigen Hoffnung. Diese Dinge machten mich glücklich. Das klang ziemlich kitschig, aber ich mochte die Idee, dass ich mit dem, was ich tat, anderen eine Freude bereiten konnte. Ich hing wegen mehr als meinem Vater am Fiori Flowers. Und deswegen vergaß ich auch jeden Gedanken an attraktive, neu zugezogene, vermutlich vergebene Männer und kümmerte mich stattdessen um meine Arbeit.

Als ich abends das Geschäft zuschloss, war ich kaputt und extrem müde. Es war schon wieder kurz nach acht. Ich hatte eine Stunde gebraucht, um den Laden aufzuräumen, sauber zu machen, die Blumen aufzustocken und alles für den nächsten Tag vorzubereiten. Nachdem ich die Kasse abgerechnet hatte, konnte ich endlich nach Hause.

Ich radelte von der Spruce Street in die Walnut Street. Ich brauchte dafür nur ein paar Minuten. Ziemlich am Anfang der Straße stand der vierstöckige Altbau, in dem ich mit Rubye wohnte.

Ich kettete mein Fahrrad an und warf einen Blick in den zweiten Stock; dort lag der untere Teil unserer Maisonette-Wohnung. Rubyes Zimmerfenster ging nach hinten raus, genau wie die Fenster des Wohnzimmers, aber die Küche lag zur Straße hin, und dort brannte Licht. Ich lächelte und schloss das Haus auf. Ich lief die Stufen hinauf und war froh, dass unsere Nachbarin im ersten Stock mich nicht abfing.

Mrs. Miller wartete gerne abends auf mich, um mir ihre Sorgen mitzuteilen. Entweder beunruhigte sie die laute Musik meiner Schwester oder ihr Kleidungsstil. In letzter Zeit bereitete ihr Rubyes angeblicher Umgang Sorgen. Manchmal konnte mir Mrs. Miller richtig Angst einjagen, wenn sie es so aussehen ließ, als würde sich meine Schwester mit den zwielichtigsten Gestalten abgeben, die Boulder zu bieten hatte. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass das nicht stimmte. Ich hoffte es jedenfalls. Und da Mrs. Miller ein Klatschweib war, allein lebte und den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hatte, als Leute zu beobachten, ging ich davon aus, dass es okay war, meiner Schwester mehr zu glauben als meiner tratschsüchtigen Nachbarin.

In der Wohnung hing ich meine Jacke an die Garderobe im Flur und kickte meine Ballerinas unters Schuhregal. Das war mal wieder belegt. Meine Schwester liebte Schuhe: Chucks in allen Farben, High Heels und Lederstiefel waren vertreten. Ich selbst besaß gerade mal halb so viele Schuhe, und die Auswahl war noch geringer. Ich blieb eigentlich ganz gern bei meinen Ballerinas. Es sei denn, es lag Schnee oder es war Hochsommer. Oder ich musste zu einem wirklich festlichen Anlass gehen. Dafür besaß ich noch irgendwo ein paar schwarze Pumps. Dass ich nicht wusste, wo genau sie sich befanden, sagte viel darüber aus, wie oft ich sie brauchte. Selten. Sehr, sehr selten.

Ich warf meinen Schlüsselbund in die Schale auf der Kommode. Dann kam ich in die Küche. Rubye saß am Esstisch, der für zwei gedeckt war, und sah mich vorwurfsvoll an. Ihre Stimme konnte ihren Ärger nicht verbergen.

»Du kommst schon wieder so spät.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich habe viel zu arbeiten. Du weißt doch, wie das ist.«

»Und warum holst du dir nicht endlich jemanden, der dir im Laden hilft?«

»Müssen wir noch vor dem Essen darüber reden, Rubye? Ich hab schon das Mittagessen verpasst und wirklich Hunger.«

Außerdem wollte ich mich hinsetzen. Meine Füße schmerzten vom vielen Stehen. Von meinem Rücken fing ich gar nicht erst an. Ich sehnte mich nach etwas Warmem und Leckerem. Nach einem Glas Wein, einem heißen Schaumbad und einem guten Buch zum Abschalten. Das war nicht besonders viel, aber ich kannte den Blick, den Rubye mir zuwarf. Die Entspannung konnte ich erst mal ad acta legen.

Ich setzte ein bittendes Lächeln auf. Rubye grummelte etwas, wie furchtbar ich doch sei, doch sie füllte mir von den Nudeln auf.

»Makkaroni-Auflauf?«, fragte ich, um Versöhnung bemüht.

»Mit extra viel Käse.«

Ich seufzte zufrieden. Ich liebte Käsemakkaroni. Ob als Auflauf oder anders. Außerdem kochte Rubye sehr gut. Besser als ich selbst. Von wem auch immer sie das gelernt hatte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass unsere Mutter es ihr gezeigt hatte. Und Granny hatte niemals jemanden in der Küche geduldet. Das war ihr Hoheitsgebiet gewesen, über das sie wie die First Lady persönlich gewacht hatte. Allerdings war ich auch viel im Laden bei meinem Vater gewesen, als Rubye in das Alter kam, in dem Kochen für sie interessant wurde. Vielleicht hatte ich es nur nicht mitbekommen.

»Von wem hast du eigentlich so gut kochen gelernt?« Ich verdrehte die Augen nach der ersten Gabel. »Es schmeckt himmlisch, Rubye.«

»Lenk nicht ab. Und mit Essenslob kannst du mich schon gar nicht ködern.«

Da hatte sie recht. Meine Schwester zeigte sich leider immun gegen jede Art der Bestechung.

»Also, warum hast du noch immer keine Aushilfe eingestellt? Und wieso erzählst du mir nicht, dass du einen Termin bei der Bank hattest?«

Ich verschluckte mich fast an einem sehr zähen Stück Käse. »Woher weißt du denn davon?«

Sie schob mir ein Fax über den Tisch. Die Kopie des neu verhandelten Vertrags und meiner Einzugsermächtigung.

Na klasse.

Warum hatte ich nicht daran gedacht und war am Mittag noch mal nach Hause gekommen?

Dämlich! Dämlich!