Chefarzt Dr. Holl 1980 - Lotta Carlsen - E-Book

Chefarzt Dr. Holl 1980 E-Book

Lotta Carlsen

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Beschreibung

In der Notaufnahme der Berling-Klinik schwingen die Türen auf. Eingeliefert wird Roman Tomasi, einer der beliebtesten Filmschauspieler Deutschlands. Bei Dreharbeiten ist er von einem Gerüst gestürzt und hat zahlreiche Brüche erlitten.
Am nächsten Morgen tritt Schwester Larissa ihren Dienst auf der chirurgischen Station an. Immer noch herrscht großer Trubel um den prominenten Patienten. Was niemand weiß: Larissa schwärmt seit Jahren mit Haut und Haaren für den Schauspieler. Jeden Zeitungsartikel über ihn schneidet sie aus. Auf Instagram kommentiert sie alle seine Beiträge. Sie tut das unter falschem Namen - so peinlich ist ihr diese alberne Teenager-Schwärmerei.
Nun ist es ihre Aufgabe, den verletzten Filmstar zu pflegen. Sie tritt an die Tür seines Krankenzimmers. Ihre Knie werden weich, und ihr Herz schlägt Purzelbäume ...


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Inhalt

Cover

Wie in Hollywood

Vorschau

Impressum

Wie in Hollywood

Ein Filmstar wird in die Berling-Klinik eingeliefert

Von Lotta Carlsen

In der Notaufnahme der Berling-Klinik schwingen die Türen auf. Eingeliefert wird Roman Tomasi, einer der beliebtesten Filmschauspieler Deutschlands. Bei Dreharbeiten ist er von einem Gerüst gestürzt und hat zahlreiche Brüche erlitten.

Am nächsten Morgen tritt Schwester Larissa ihren Dienst auf der chirurgischen Station an. Immer noch herrscht großer Trubel um den prominenten Patienten. Was niemand weiß: Larissa schwärmt seit Jahren mit Haut und Haaren für den Schauspieler. Jeden Zeitungsartikel über ihn schneidet sie aus. Auf Instagram kommentiert sie alle seine Beiträge. Sie tut das unter falschem Namen – so peinlich ist ihr diese alberne Teenager-Schwärmerei.

Nun ist es ihre Aufgabe, den verletzten Filmstar zu pflegen. Sie tritt an die Tür seines Krankenzimmers. Ihre Knie werden weich, und ihr Herz schlägt Purzelbäume ...

»Schwester Larissa!« Auf dem bleichen Gesicht des älteren Patienten, der mit zwei eingegipsten Armen in seinem Bett lag, breitete sich ein Strahlen aus. »Dass Sie noch vorbeikommen! Dabei haben Sie doch schon Feierabend und müssten längst unterwegs sein, um Ihren Jungen abzuholen.«

Larissa erwiderte das Strahlen. »Ich habe Ihnen doch versprochen, noch einmal vorbeizukommen, um nach Ihnen zu sehen, Herr Witkowski. Und was ich verspreche, das halte ich. Mein Mäxchen ist ja ein vernünftiger Junge. Er weiß, dass ich ab und zu nicht ganz pünktlich im Kindergarten sein kann, weil ein kranker Mensch mich noch braucht. Er wartet dann eben und spielt noch ein bisschen länger mit Katharina, seiner allerliebsten Erzieherin.«

Anfangs hatte Larissa tatsächlich oft ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie sich entweder von einem Patienten viel zu hektisch verabschieden oder aber ihren kleinen Sohn im Kindergarten warten lassen musste. Als alleinerziehende Mutter mit einem anstrengenden Beruf als Krankenschwester hätte sie sich eigentlich verdoppeln müssen, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die sympathische Erzieherin Katharina hatte ihr jedoch versichert, dass es ihr nichts ausmachte, an manchen Tagen noch ein wenig länger auf Larissas Sohn aufzupassen.

»Er ist so ein liebenswerter, aufgeweckter kleiner Kerl«, hatte sie Mäxchen gelobt. »Machen Sie sich keine Sorgen, Larissa. Es ist eine Freude, mit ihm zusammen zu sein.«

Vor Stolz war Larissa das Blut ins Gesicht geschossen. Sie hatte ein unglaubliches Glück mit ihrem lieben kleinen Jungen – dem besten auf der ganzen Welt.

Und auf ihren Arbeitsplatz war sie auch stolz. Die Berling-Klinik gehörte zu den renommiertesten Krankenhäusern in ganz München, und Larissa hatte es kaum fassen können, als sie als Berufsanfängerin vom Fleck weg eingestellt worden war.

Anfangs hatte das Wissen um den Ruf von Chefarzt Dr. Holl und um seine Leistungen als Mediziner sie ein wenig eingeschüchtert, doch dazu bestand nicht die geringste Notwendigkeit. Stefan Holl war nicht im Mindesten arrogant, sondern gehörte zu den angenehmsten, freundlichsten Menschen, die Larissa je begegnet waren.

Seine Patienten lagen ihm am Herzen, wie sie es nie zuvor bei einem Arzt erlebt hatte. Oft arbeitete er doppelte Schichten, um einen Menschen in Not nicht allein zu lassen, und wenn eine Operation gelang, ein Schwerkranker geheilt wurde, ein Kind gesund zur Welt kam, zeigte er eine Freude, die durch und durch echt war.

Bei ihm war kein Patient nur ein Fall oder Routine.

Und den Stab seiner Mitarbeiter behandelte er mit dem gleichen Respekt und dem gleichen Verständnis.

Wenn Mäxchen krank war oder Larissa zu Veranstaltungen in den Kindergarten musste, war es selbstverständlich, dass ihr Dienstplan umgestellt wurde, sodass sie freibekam. Einmal, als der Kindergarten wegen einer Weiterbildung geschlossen hatte, hatte sie Mäxchen sogar in die Klinik mitbringen dürfen. Er hatte im Spielzimmer der Kinderstation spielen dürfen und hatte Dr. Holl zum Dank sogar ein selbstgemaltes Bild geschenkt, das dieser über seinem Schreibtisch aufgehängt hatte.

Darauf war ein strahlender Dr. Holl abgebildet, der ein Paar Engelsflügel auf dem Rücken trug und an einem Krankenbett stand.

In der Erinnerung musste Larissa lächeln. Ihr Max war unglaublich kreativ, und nicht nur die Erzieherinnen im Kindergarten waren begeistert von seinem Zeichentalent. »Es ist wirklich ungewöhnlich, dass ein Vierjähriger ein derartig ausdrucksvolles Bild zustande bringt«, hatte Dr. Holl, der selbst Vater von vier Kindern war, gesagt.

Wie so oft fühlte Larissa sich überrollt von einer Welle der Dankbarkeit. Nein, ihr Leben war nicht immer einfach gewesen. Ihre Mutter war alleinerziehend gewesen wie sie selbst, aber anders als Larissa hatte sie sich um ihr Kind wenig gekümmert. Larissa war mehr oder weniger auf sich selbst gestellt gewesen. Umso glücklicher war sie gewesen, als sie mit Nicholas zusammengekommen war. Sie war sicher gewesen, den Mann gefunden zu haben, mit dem sie ihr Leben teilen wollte.

Als sie jedoch schwanger geworden war, hatte Nicholas sein wahres Gesicht gezeigt. Von einem Tag zum anderen hatte er Larissa sitzen lassen, und an seinem Kind hatte er nie das geringste Interesse gezeigt. Auch Unterhalt wollte er nicht zahlen. Eine Zeit lang war Larissa verzweifelt gewesen und hatte nicht gewusst, wie sie ihrem Kind etwas bieten sollte.

Dann aber war ihr kleines Mäxchen auf die Welt gekommen, und beim ersten Blick in seine wundervollen himmelblauen Augen hatte Larissa sich geschworen, dass sie es schaffen würde. Für ihren Sohn! Er hatte eine schöne Kindheit verdient, und er würde eine schöne Kindheit bekommen.

Sie hatte eine kleine, aber sonnige Wohnung gefunden und sie mit gebrauchten Möbeln, die sie selbst aufarbeitete, gemütlich eingerichtet. Als Max ein Jahr alt gewesen war, hatte sie eine gute Kinderkrippe für ihn gesucht und ihre unterbrochene Ausbildung zur Krankenschwester fortgesetzt. Es war ihr Traumberuf, weil sie es liebte, Menschen zu helfen. Sie war entschlossen, für sich und ihren geliebten Sohn damit eine Zukunft zu schaffen.

Und genau das hatte sie erreicht.

Natürlich verdiente sie keine Reichtümer, aber sie und Max kamen gut aus, hatten alles, was sie brauchten, und konnten sich im Sommer eine kleine Urlaubsreise leisten.

Natürlich war sie abends, wenn Max schließlich in seinem Kinderbettchen lag und schlief, so müde, dass auch sie selbst nur noch ins Bett fiel, und natürlich blieb ihr neben Beruf und Kind keine Zeit für aufwendige Hobbys oder neue Bekanntschaften.

Aber was machte das schon aus? Sie hatte Max, sie hatte ihre allerbeste Freundin Johanna, die sie schon seit der Kinderzeit kannte, und sie hatte ihre netten Kollegen in der Klinik. Außerdem war da noch die freundliche Frau Huber, die unter ihr in der Erdgeschosswohnung wohnte und sie und Mäxchen sozusagen adoptiert hatte.

Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn waren bei einem Unfall ums Leben gekommen, und ihr war nur ihr Enkel geblieben, der jedoch als Software-Entwickler in Berlin lebte und seine Großmutter nur selten besuchte.

Umso glücklicher war die reizende ältere Dame, dass Mäxchen sich so eng an sie anschloss. Zwischen den beiden war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, und inzwischen nannte er sie vertraut »Omi Huber«.

Omi Huber hatte immer Zeit, auf Max aufzupassen, wenn Larissa schnell noch etwas einkaufen musste, und oft luden die beiden ihre Nachbarin abends noch zu einem Stück Pizza, einer Runde Schwarzer Peter oder Mensch ärgere dich nicht ein.

Außerdem sprang Omi Huber nur zu gern als Babysitterin ein, wenn Larissa sich einen kinderfreien Abend gönnte, um ihrer großen Leidenschaft nachzugehen. Es kam nur selten vor – aber wenn, dann führte sie ihr Weg ins Kino.

Niemandem außer Omi Huber und Johanna hatte sie diesen Tick je anvertraut: Larissa schwärmte mit Haut und Haaren für Roman Tomasi, der zu den beliebtesten Schauspielern Deutschlands gehörte. In Larissas Lieblingsfilm ›Retter in der Nacht‹ hatte der umwerfend attraktive, dunkelhaarige Mann mit den seelenvollen Augen einen Arzt gespielt, der einer jungen Frau das Leben rettete. Natürlich hatten sich die beiden ineinander verliebt, und am Ende hatte Larissa in Tränen aufgelöst das Kino verlassen.

Seither sammelte sie jeden noch so kleinen Artikel, den sie über Roman Tomasi finden konnte, und hatte alle seine Filme gesehen. Abends sah sie auf Twitter und Instagram nach, ob Roman Tomasi eine neue Nachricht oder sogar ein Foto gepostet hatte. Irgendwann hatte sie unter ein Szenenbild aus einem seiner Filme sogar einen kurzen Kommentar geschrieben.

Sie waren wieder einfach toll in ›Die Reise nach Athen‹.

Weil es ihr peinlich war, diese alberne Teenager-Schwärmerei mit ihrem richtigen Namen zu betreiben, hatte sie dafür eigens ein neues Instagram-Konto unter ihrem zweiten Vornamen Inga eröffnet.

Am nächsten Morgen hatte sie kaum fassen können, dass Roman Tomasi ihr tatsächlich mit einem »Vielen Dank« und einem Herzen geantwortet hatte.

Seither tauschten sie gelegentlich solche kleinen Nachrichten aus. Nicht mehr als Komplimente für seine Leistung als Schauspieler und ein freundliches Dankeschön von seiner Seite, aber es machte Larissa glücklich. Natürlich wusste sie, dass daraus nichts entstehen konnte.

Sie war schließlich kein Schulmädchen mehr, sondern eine Mutter und Frau, die mit beiden Beinen im Berufsleben stand. Nach der schmerzlichen Enttäuschung mit Nicholas lag ihr sowieso nichts an einer neuen Beziehung mit einem Mann, und außerdem hatte sie dafür ja auch gar keine Zeit. Der kurze Austausch mit dem wundervollen Roman Tomasi war alle Romantik, die sie in ihrem Leben brauchte.

Bei dem Gedanken an Roman wurde sie ein wenig verlegen und glaubte zu spüren, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.

Hastig schüttelte sie den Gedanken ab und trat zu Herrn Witkowski and Bett. Der alte Herr war auf der Treppe zu seiner Wohnung gestürzt und hatte sich an beiden Armen komplizierte Brüche zugezogen. Wann und ob er in seine Wohnung zurückkehren konnte, stand in den Sternen, und seine Tochter, die in Kalifornien lebte, war wohl nicht in der Lage, nach Deutschland zu kommen und sich um ihren Vater zu kümmern.

Es war so traurig, wie viele alte Menschen nach einem langen Leben allein in der Welt standen. Dass sie stürzten und im Krankenhaus landeten, kam allzu leicht vor, und dann gab es nicht einmal jemanden, der sie besuchte.

Herr Witkowski war dabei ein so netter Herr, der sein Los tapfer annahm, den Lebensmut nicht verlor und sich über jede kleine Geste freute. Mit ein paar Blicken versicherte sich Larissa, dass mit ihm alles in Ordnung war. Seine Medikamente würde er von Schwester Birthe bekommen, die Larissa ablöste und ihm auch helfen würde, sein Abendessen zu sich zu nehmen. Für den Augenblick aber war wichtig, dass er sich nicht einsam fühlte und ein wenig Ablenkung und Unterhaltung hatte.

Sie schob ihm die Fernbedienung des Fernsehapparats so hin, dass er sie mit den beiden Fingern, die aus dem Gips ragten, bedienen konnten. »Sie wissen ja, wo Sie drücken müssen, wenn Sie das Gerät einschalten oder das Programm wechseln wollen, nicht wahr, lieber Herr Witkowski?«

»Aber sicher.« Herr Witkowski zwinkerte ihr zu. »Sie haben es mir doch gestern erst wunderbar erklärt. Wollen wir hoffen, dass es etwas Ordentliches gibt heute Abend! So wird mir die Zeit nicht lang, bis die alten Knochen zusammengeheilt sind.«

»Um viertel nach acht kommt ›Mord in München‹«, entfuhr es Larissa, ehe sie sich bremsen konnte. »Mit Roman Tomasi in der Hauptrolle als Kommissar Sperling.«

Auch wenn sie ihn in seiner Rolle als Arzt immer am meisten lieben würde, gefiel er ihr doch auch als der besonnene, einfühlsame Polizeibeamte, dem jedes Opfer persönlich am Herzen lag.

»Oh, der Tomasi«, bemerkte Herr Witkowski. »Den mag ich. Ein ausgezeichneter Schauspieler – und bei der Damenwelt kommt er ja auch gut an, wie man hört.«

Wieder zwinkerte er Larissa zu, die nun endgültig sicher war, knallrot im Gesicht zu sein.

»Ich finde einfach, dass er gut spielt«, erklärte sie eilig. »Ich hoffe, Sie haben heute Abend ein bisschen Spaß bei der Sendung – das trägt zur Heilung bei und sorgt für guten Schlaf.«

»Zu meiner Heilung tragen vor allem Sie bei, liebe Schwester Larissa«, sagte Herr Witkowski lächelnd. »Ihre Fürsorge und Ihr Mitgefühl tun so gut, das können Sie sich überhaupt nicht vorstellen. In der modernen Welt, in der niemand Zeit hat, erwartet man so etwas nicht mehr, und umso schöner ist es. Nun aber rasch nach Hause mit Ihnen. Ihr Junge wartet. Und Sie haben sich Ihren Feierabend redlich verdient. Mit Roman Tomasi, wenn Ihnen das ein bisschen Freude bereitet.«

Nicht nur ein bisschen, durchfuhr es Larissa. Diesmal verkniff sie sich jedoch eine Bemerkung. Stattdessen verabschiedete sie sich von dem freundlichen Herrn Witkowski, wünschte ihm gute Besserung und eilte los, um ihren geliebten Sohn abzuholen.

***

»Ach, Albertchen. Wenn du doch noch hier wärst, wenigstens jeden Tag ein halbes Stündchen, um ein paar Worte mit mir zu wechseln.« Gretel Huber saß an ihrem gemütlichen kleinen Küchentisch aus Fichtenholz und blickte zu dem Bilderrahmen auf, aus dem ihr verstorbener Ehemann ihr liebevoll entgegenlächelte.

Vierzig Jahre hatten sie miteinander verbracht, ein Kind aufgezogen und es zu Grabe tragen müssen, ihren Enkel ins Erwachsensein begleitet und sich in all den Wirrnissen und Herausforderungen des Lebens innig geliebt.

Vor sieben Jahren aber war ihr geliebter Albert viel zu früh aus seinem Erdenleben abberufen worden, und seitdem lebte Gretel Huber in der Wohnung, die einst das Leben ihrer Familie gefüllt hatte, allein.

An den meisten Tagen kam sie gut damit zurecht. Das Leben war nun einmal, wie es war, und eine Frau, die so viel Liebe genossen hatte wie sie, durfte sich nicht beklagen. Sie war rüstig, hatte Freundinnen und nette Nachbarn und wusste sich zu beschäftigen. Von Zeit zu Zeit konnte sie jedoch nicht verhindern, dass die Stille in den Räumen ihr zusetzte und ihr die Decke buchstäblich auf den Kopf fiel.

Einer von diesen Tagen war heute.

»Ich bin zu viel alleine«, sagte sie zu Albert auf dem Bild. »Deshalb bilde ich mir all diese komischen Sachen ein. Schon seit heute Morgen dröhnt mir der Kopf, als hätte ich gestern viel zu viel getrunken. Dabei weißt du ja, dass ich mir nie mehr gönne als höchstens ab und zu mal ein kleines Likörchen oder ein halbes Glas Wein mit der lieben Larissa. Gestern Abend habe ich überhaupt nichts getrunken. Nur meine heiße Milch zur guten Nacht.«

Gretel überlegte. Gegessen hatte sie auch nichts Ungewöhnliches, und soweit sie wusste, war sie nicht erkältet oder etwas in der Art. Dennoch fühlte sie sich krank. Ihr Kopf schmerzte nicht nur, sondern alles darin schien sich zu drehen, als säße Gretel auf einem Karussell. Außerdem musste sie in einem fort ihre Brille putzen, weil sie ihr beschlagen vorkam. Wenn sie sie hinterher wieder aufsetzte, war ihre Sicht jedoch überhaupt nicht besser.

Schon wieder hob sie die linke Hand, um die Brille abzunehmen, doch etwas an der Bewegung stimmte nicht. Ihr Arm war wie taub, er ließ sich nur mit unendlicher Langsamkeit heben. Erschrocken wollte sie aufstehen, doch auch ihr Bein schien ihr taub und wollte ihr den Dienst versagen.

Steif und unbeholfen ließ Gretel sich wieder auf den Küchenstuhl sinken.

»Ich weiß ja, Albertchen, ich bilde mir das alles nur ein«, versuchte sie, sich zu beruhigen, indem sie wie so oft zu dem geliebten Bild sprach. »Deine Gretel ist eine verschrobene Alte und noch dazu eine Hypochonderin geworden. Wart's nur ab, bald wird sie anfangen, mit ihren eingebildeten Krankheiten die armen Ärzte zu belagern.«

Sie wollte lachen, aber es gelang ihr nicht. Schon die Worte zu formen, war ihr auf merkwürdige Weise schwergefallen, so als wäre ihre Zunge geschwollen und liege wie ein Stein in ihrem Mund.

Was war das nur?