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»Gestatten, Clete Purcel. Ex-Cop aus New Orleans, Privatermittler und bester Freund von Dave Robicheaux. Seit Ewigkeiten helfe ich Dave, die schwersten Fälle zu lösen und die härtesten Gangster zu stellen. Doch jetzt bin ich es, der die Zügel in die Hand nimmt. Mein 1959er Eldorado wurde demoliert und für einen illegalen Transport benutzt. Drogen? Oder Waffen? Nein – es ist ein hochbrisanter Giftstoff, der jetzt in einem Schließfach in einem Bahnhof liegt. Gemeinsam mit Dave werde ich alles daransetzen, eine Katastrophe zu verhindern.«
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Seitenzahl: 422
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Für Nils und Amy Lofgren
Danke für die jahrelange Unterstützung, eure Musik und Spiritualität, von der ich glaube, dass ihr sie aus den Sphären mitgebracht habt. Bleibt bei dem alten E-Street E-Dur. Egal, was die Leute sagen, Rock’n’Roll is here to stay.
In ewiger Freundschaft, James Lee Burke
JAMES LEE BURKE
Ein Dave-Robicheaux-Krimi Band 24
Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bürger
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Epilog
Danksagungen
Diese Geschichte über Louisiana spielt in den späten Neunzigern, vor Katrina und vor 9/11, als mein Podjo Dave Robicheaux und ich unsere Zeit zwischen New Orleans und New Iberia aufteilten, unten am Golf, im Herzen des Dixie, wo an Weihnachten 22 Grad herrschen.
Louisianas Süden ist himmlisch, sofern man ein Auge zudrückt und sich nicht länger mit der Korruption aufhält, die hier zum Alltag gehört. Louisiana ist eine Lebenseinstellung. Einer unserer Politiker hat mal vorgeschlagen, auf dem Kapitol die Flagge des Mineralölkonzerns Exxon zu hissen. Ich kenne keinen einzigen Menschen, der das für abwegig hielt. Unsere Politiker sind eher wie die Anführer Guatemalas gestrickt und weniger wie Thomas Jefferson. Dave Robicheaux sagte mal, wer Louisiana liebt, liebt die Hure Babylon. Ich sagte, stimmt, aber wenigstens hat man Spaß.
Diese Bemerkung hat Dave eindeutig nicht gefallen, er nannte sie vulgär und einfältig. Dave hätte Priester werden sollen statt Cop, dann hätte er aus seinem Leben auch nicht so ein Schlamassel gemacht, und Leute wie ich müssten ihn nicht vor sich selbst beschützen.
Aber mir macht das nichts aus. Ich liebe Dave, und das kann ruhig jeder wissen. Wir waren beide in Shitsville und haben zur selben Zeit beim NOPD angefangen. Als Frischlinge gingen wir am Canal und im French Quarter Streife und ließen unsere Gummiknüppel auf dem Bordstein tanzen, im Wind der warme Duft des Lake Pontchartrain, am blauen Himmel Wolken so pink wie Flamingos. Abends, gegen zehn, landeten wir im Café du Monde gegenüber vom Jackson Square, tranken Café au Lait, vertilgten einen Haufen Beignets und verloren nie ein Wort über Shitsville. Mussten wir auch nicht. Wir hatten die gleichen Albträume. Nach der Rückkehr aus dem Krieg gibt es keinen Freifahrschein. Es sind immer dieselben Szenen, die sich im Kopf festsetzen. Hier ist der Filmstreifen: Eine verstreute Kolonne auf einem Nachtmarsch, Regen klatscht auf Ponchos und Stahlhelme, es tropft vom Laub, grün und dunkel und heiß, Blitze eines Hitzegewitters zucken geräuschlos über den Himmel, dann stolpert jemand an der Spitze über einen Draht und ein 105er-Blindgänger detoniert. Die Explosion ist wie ein Glassplitter im Trommelfell. Einer am Boden brüllt sich die Seele aus dem Leib, ein anderer schreit nach Sanitätern. Dann hörst du das Dröhnen von Helikoptern oder das Summen von Malariamücken, das Rattern der Gatling-Geschütze oder einen Doorgunner im Tiefflug, oder alles gleichzeitig. Und wenn du aufwachst, gehst du direkt zum Kühlschrank und ziehst mit zitternden Fingern die erste Flasche raus, die du zu fassen bekommst.
Aber genug von Vietcong und der North Vietnamese Army und den Erinnerungen an Shitsville. Wie sich herausstellte, wurde mein Werdegang beim NOPD ein völlig anderer als Daves. Dave entehrte nie seine Marke. Ich schon. Ich habe mich vom Mob bestechen lassen, versehentlich einen Zeugen in einem Bundesverfahren ausgeschaltet, musste aus dem Big Sleazy verduften und habe mich den Linken in El Sal angeschlossen. Außerdem habe ich für die Schmalzlocken in Las Vegas, Reno und auch oben in Montana gearbeitet, wo sie versuchten, am Flathead Lake mehrere Casinos aufzuziehen, die ihren Bundesstaat in ein Scheißhaus verwandelt hätten.
Was Letzteres betrifft: Ein Flugzeug voller Mafiosi krachte nicht weit vom See entfernt in eine Bergflanke. Ihre sterblichen Überreste musste man mit Harken aus den Bäumen kämmen. Dann setzte jemand das Gerücht in die Welt, im Tank ihres Flugzeugs hätte sich Sand befunden. Ich hielt es für eine gute Gelegenheit, mal rauf nach Alaska zu fahren und vielleicht später im Big Sleazy eine Detektei zu eröffnen.
Also tat ich genau das. Doch während ich diese Worte schreibe, möchte ich eine Sache klarstellen. Alles, was mit Gesetzesvollzug, Strafaussetzung, Bewährung, Kautionsstellern und Privatermittlern zu tun hat, ist eine einzige Kloake, in der es mehr Perverse als Normalos gibt. Genau genommen weiß ich gar nicht, ob es überhaupt Normalos gibt. Ich lebe mit einem Totschläger, einer .38er Stupsnase und einer leeren Dienstmarken-Hülle auf dem Küchentresen. Das soll zeigen, dass ich meine Karriere als echter Cop an die Wand gefahren habe und zu einem Säufer geworden bin, samt Magengeschwür und einer Leber, die inzwischen vermutlich aussieht wie eine Aubergine. Außerdem habe ich für Leute gearbeitet, bei denen mir übel wurde, und eine schwierige Beziehung zu den Cops, die ich beim NOPD mal Freunde genannt habe. Kanns ihnen nicht verübeln, muss aber sagen, dass es trotzdem weh tut.
Diese Geschichte beginnt jedenfalls an einer Autowaschanlage, ist das zu glauben?
Wenn ich es mir leisten konnte, bin ich immer ein Caddy Cabrio gefahren, mit Heckflossen und einer Innenausstattung aus gewalztem Leder. Aber natürlich habe ich nie sonderlich viel verdient, also bin ich am Ende meistens bei einem Wagen vom Schrottplatz gelandet, den ich wieder auf Vordermann gebracht habe. Dann hatte ich irgendwann Glück und hab einen lavendelfarbenen 1959er Eldorado mit löcherigem weißen Verdeck ergattert. Ich habe die kleinen Macken ausgebessert, ihn frisch lackiert, die Innenausstattung erneuert und ein Verdeck aus zweiter Hand gekauft, das ich in eine schneeweiße Schönheit verwandelt habe. Dann habe ich eine Stereoanlage installiert und das Handschuhfach mit Jazz-, R&B- und Rock- ’n’-Roll-Kassetten vollgestopft. Zum Schluss ging es noch in eine Autowaschanlage namens Eddy’s in Algiers, auf der anderen Seite des Flusses.
Besitzer war Eddy Durbin, mit dem ich im alten Irish Channel aufgewachsen bin, als es noch eine anständige Gegend war, in der alle bestens miteinander auskamen. Bis darauf, dass wir uns ständig mit den Italienern geprügelt haben. Es waren Schlägereien in dunklen Gassen, mit Knüppeln, Ketten und kurzen Eisenstangen und ohne Erwachsene. So bin ich an die Narbe über der einen Augenbraue gekommen.
Eddy war ein echter ”Mick“ – irisch durch und durch. Beide Elternteile stammten aus Dublin und waren Unterstützer der IRA. Eddy hatte mehrfach in der Louisiana State Penitentiary, auch bekannt als Die Farm, die Angola Plantage oder kurz Angola eingesessen, war dann aber sieben Jahre lang sauber geblieben und hatte seine Autowaschanlage zu einem erfolgreichen Geschäft gemacht. Ich finde, Eddy ist ein guter Kerl in einem schlechten Umfeld, aber ich will solche Sachen nicht mehr beurteilen. Es war Dave Robicheaux, der mich aus El Sal rausgeholt hat, 30 Pfund leichter, an Ruhr erkrankt und mit Dschungel-Geschwüren an den Waden. Ich war komplett zugedröhnt mit Gras und Koks, während in meinem Kopf permanent Moskitos summten.
Vier Tage später habe ich meinen Caddy abgeholt, weil ich für einen Kautionsagenten aus Biloxi auf der Bourbon Street eine Tänzerin ausfindig machen musste. Davon später mehr. In der Zwischenzeit lasst euch von keinem erzählen, das Leben eines Privatermittlers hätte irgendwas mit Professionalität zu tun. Die meisten Privatschnüffler sind genau wie ich. Entweder waren sie korrupt oder sie gaben sich die Kante. So was wird ein Cop nie mehr los.
Ich wohnte nur zwei Blocks von Jackson Square, St. Louis Cathedral und Pirate’s Alley entfernt, wo immer jede Menge Touristen und Besoffene herumlaufen, weswegen ich in meinem Innenhof parkte, dessen eisernes Tor ich stets verschlossen hielt.
An einem Sonntagmorgen, zwei Tage, nachdem ich meinen Eldorado Caddy bei Eddy’s Car Wash abgeholt hatte, hörte ich ein metallisches Scheppern, das ich zunächst für das Angelusläuten der Kathedrale hielt. Fehlanzeige. Aus dem Innenhof kamen Stimmen, als würde sich dort irgendwer streiten. Ich zog meinen Bademantel über, schlüpfte in die Puschelslipper mit den Hasenohren und Plastikaugen und ging die Hintertreppe runter. Seit meine Frau mich vor Jahren verlassen hat, gehört mir ein zweistöckiges, hellgelb verputztes Haus, in dem ich oben wohne und unten meine Detektei habe. Es hat einen Innenhof mit Ziegelsteinboden, einen Wunschbrunnen und Beete voller Bananenpflanzen, Elefantenohren und Kaladien, die mich an pinkfarbene Herzen erinnern. Über beiden Balkonen hängen Bougainvilleen rot wie Blut, die den ganzen Winter über blühen. Das Haus war für mich schon immer ein besonderer Ort.
Mein Eldorado Caddy parkte nach wie vor neben dem Wunschbrunnen und meinen Hanteln und Gewichten, doch alle vier Türen standen offen. Ein Kerl, der mit so vielen Tattoos bedeckt war, dass ich seine Hautfarbe nicht erkennen konnte, und zwei weiße Typen schlachteten den Caddy förmlich aus. Die Lederpolsterung lag bereits auf den Backsteinen. Die dichten Palmen und Bananenstauden bei der Treppe blockierten die Sicht, aber bei dem, was ich ausmachen konnte, musste ich mir die Augen reiben.
”Was macht ihr da?“, fragte ich.
Der Tätowierte hielt ein Brecheisen in der rechten Hand. Er trug Tennisschuhe ohne Socken, eine Trainingshose, die über seinem Hintern spannte und eine Lederweste über dem nackten Oberkörper. Sein Bauch erinnerte an ein Waschbrett und die tätowierte Haut schien wie mit braunem Lack überzogen, als hätte er sich in einem Farbengeschäft aufgehalten, als es von einem Tornado erwischt wurde.
”Wer bist du denn, Bluto?“, fauchte er.
”Der Typ, dem der Caddy gehört, den ihr gerade demoliert.“
”Zisch ab in deine Kemenate, Beate“, spottete er. ”Und lass die Finger vom Telefon.“
Meine .38er steckte im Bademantel. Es gibt eine Menge Möglichkeiten, wie man zwielichtigen Typen gegenübertritt. Die letzte beinhaltet eine Kanone. Hast du sie erst mal in der Hand, wirst du sie wahrscheinlich auch benutzen.
”Wie seid ihr reingekommen?“, fragte ich.
”War nicht abgeschlossen.“
”Ganz sicher doch.“
Mein Blick fiel auf die beiden weißen Kerle. Sie waren unrasiert und schmutzig. Der eine trug eine Cargohose, die unter seinem Nabel zugeknöpft war. Der andere ein T-Shirt mit dem Aufdruck 6 MILLIONEN SIND NICHT GENUG. Sein dichtes, fettiges und verfilztes Haar hing ihm in die Augen, was ihn allerdings nicht groß zu stören schien; seine Haut erinnerte an geronnene Milch.
”Ich gehe jetzt rauf “, sagte ich. ”Lasst die Finger von meinem Auto, während ich weg bin.“
”Hör zu, Arschloch“, schnauzte der Mann mit der Lederweste. ”Du hast deine Karre zu lange in der Werkstatt gelassen. Sie ist mit einem anderen Auto verwechselt worden. Also bringen wir die Sache jetzt in Ordnung. Wir geben dir eine Chance.“
”Hast du sie noch alle?“, fragte ich.
”Bislang haben wir noch nicht gefunden, was uns gehört“, sagte derselbe Kerl. ”Was bedeutet, du hast es vielleicht schon genommen. Das wird dann ein großes Problem, Karnickel-Mann.“
”Karnickel-Mann?“ Ich blickte auf meine Puschen. Die Sonne tauchte gerade über dem Dach auf und meine Augen begannen zu tränen. Ich spürte, wie ein Gummiband in meinem Kopf immer weiter gedehnt wurde. ”Wo ist Eddy?“
”In der Kirche“, antwortete er. ”Ist Sonntag.“
”Du wirst für den Schaden aufkommen, den du an meinem Wagen angerichtet hast“, sagte ich. ”Und zwar jetzt sofort.“
”Vielleicht kannst du später deine Versicherung anrufen.“ Der Kerl in der Lederweste zuckte die Schultern. ” Aber zuerst möchte ich mich mal in deiner Bude umsehen.“
”Du willst was?“
”Wir sind zu dritt, du bist allein. Ich sehe die Beule in deinem Bademantel – denk nicht mal dran. Wir können dir ernsthaft wehtun, Bluto. Oder heißt du Blimpo?“
Er warf das Brecheisen in die Luft und fing es wieder auf.
Ich sah die beiden anderen Kerle kurz an. Ich hatte sie noch nie gesehen, obwohl ich die meisten miesen Typen in den Orleans und St. Bernard Parishes kannte. Bei denen gibt es Psychosen und Neurosen; und dann gibt es noch die wirklich Bösen. Viele Wiederholungstäter sind faul, blöd und kommen allein nicht klar. Die sind gar nicht so übel. Das Gefängnis ist ein sicherer Ort. Wie Casinos. Es gibt keine Uhren und keine Spiegel. Doch diese drei Typen gehörten zu der Sorte, mit der sich der durchschnittliche Knacki keine Zelle teilen möchte. Der mit dem 6-MILLIONEN-T-Shirt beunruhigte mich am meisten.
”Woher hast du deine Klamotten?“, fragte ich ihn.
”Weiß ich nicht mehr“, antwortete er.
Dieser Mann stammte nicht aus New Orleans. New Orleans ist praktisch das Flatbush des Südens, mit seinen ganzen ethnischen Vierteln. Hier haben sich vor allem die Iren und die Italiener angesiedelt. Dieser Kerl jedoch war ein weißer Prolet wie er im Buche stand.
”Du redest von meinem Shirt, stimmt’s?“
” Ja“, sagte ich. ”Sind die sechs Millionen Juden gemeint, die in den Konzentrationslagern der Nazis umgebracht wurden?“
Er schob sich einen Kaugummi in den Mund. ” Ja. Ich würde sagen, das ist eine korrekte Interpretation.“
”Wie kommt man dazu, so was zu sagen?“
”Ich kann die nicht leiden“, sagte er und kaute grinsend.
Ich nickte und sah zu den Bougainvilleen hinüber, die direkt neben den gelben Blüten einer Zaunwinde von meinem hinteren Balkon herabhingen. Die Sonne brannte heiß auf meine Stirn. Eine Schweißperle löste sich aus meinem Haaransatz. Ich konnte die Minze riechen, die im Schatten zwischen den Backsteinen wuchs, und auch die Pfützen, die noch vom Regen letzte Nacht geblieben waren. So roch es damals frühmorgens im French Quarter, während Kisten voller Obst vor den kleinen Lebensmittelläden auf dem Bürgersteig standen. Manchmal kaufte ich mir ein paar Beignets und aß sie auf der steinernen Bank unter den Eichen hinter der Kathedrale, direkt auf der Pirate’s Alley. William Faulkner lebte mal in dem Haus, in dem sich heute eine Buchhandlung befindet. Tennessee Williams wohnte nicht weit entfernt.
”Bist du eingepennt, Alter?“, fragte der Kerl in dem T-Shirt, das mich langsam richtig störte.
” Alle runter auf den Bauch“, sagte ich.
”Du verstehst da was falsch, Blimpo“, sagte der Mann in der Weste. ”Du legst dich hin. Nicht wir. Du gehst auf die Knie. Mit ein bisschen Glück werd ich dir nicht ins Maul pissen. Vielleicht wenn …“
Weiter kam er nicht. Dave Robicheaux und ich haben eine Menge gemeinsam. Mein Vater war ein Milchmann, der immer nach Alk roch, wenn er nachmittags nach Hause kam, und manchmal ließ er mich die ganze Nacht auf Reiskörnern knien und er schlug mich mit seinem Rasierriemen. Daves Vater war ein ungebildeter Cajun, der aus schierem Spaß mit einem Queue Antlers Pool Room und ein halbes Dutzend anderer Läden verwüstete und schließlich bei einem Blow-out im Golf von Mexiko auf der Gestängebühne eines Bohrturms starb. Kurz bevor die Flammen die Spitze der Bohrinsel verschlangen, versuchte er noch, sich mithilfe des Geronimo-Drahts zu retten, wurde aber nie mehr gesehen.
Ich mähte Rasen und holte Laub aus Regenrinnen im Garden District und wurde für gewöhnlich an der Hintertür bezahlt. Die Toilette in ihren Häusern durfte ich nicht benutzen. Dave war ein Cajun, der kein Wort Englisch sprach, als er das erste Mal in den Schulbus stieg. Am selben Tag wusch er sich die Hände in der Schüssel der Schultoilette, weil er noch nie eine Innentoilette gesehen hatte. Seine Mutter arbeitete für 20 Cent die Stunde in einer Wäscherei und ließ sich später von einem Zuhälter zum Anschaffen in einen Nachtclub in Breaux Bridge schicken. Keiner von uns ging aus patriotischen Gründen nach Shitsville. Wir gingen dorthin, um uns zu rächen.
Zuerst brach ich dem Typen mit den Ganzkörper-Tattoos die Nase. Als nächstes bekam der mit der dreckigen Cargohose, die ihm unter dem Nabel hing, eine Faust in den Bauch. Dem Antisemiten riss ich das T-Shirt vom Leib, stopfte es ihm ins Maul und versuchte, ihm noch einen Tritt in die Visage zu verpassen, der leider daneben ging. Ich fasste meine .38er nicht an, dafür aber den Totschläger, den ich ebenfalls im Bademantel dabei hatte. Dann wurde ich unvorsichtig. Ich kehrte dem Typen mit den Ganzkörper-Tattoos zu lange den Rücken zu. Er erwischte mich mit dem Brecheisen seitlich am Kopf. Ich stolperte über meine Hanteln, schlug hart auf den Boden und wachte erst wieder auf, als sich eine meiner Katzen auf meiner Brust zusammenrollte und mir mit ihrem Schwanz durchs Gesicht wischte.
Ich rief 911 an, allerdings nur, weil meine Kfz-Versicherung das von mir verlangte. Selbst im Garden District belief sich die Reaktionszeit bei einem aufgebrochenen Auto auf etwa drei Stunden. Dazu kam, dass die wenigsten NOPD-Cops mich mochten. Ihr Problem, sagte ich mir. Ihnen selbst sagte ich, ich hoffte, dass ihre Frauen ihnen Krypton übers Essen streuten.
An einem Samstagnachmittag mietete ich mir einen Wagen, fuhr über die Brücke nach Algiers und bog nur zwei Blocks vom Fluss entfernt auf das Gelände von Eddy’s Car Wash ein. Obwohl ich im Orleans Parish geboren bin, bin ich nie darüber hinweggekommen, wie breit der Mississippi ist. Es wird einem ganz schwindelig dabei, ihn anzusehen, besonders im Frühjahr. Ein Stück weiter den Fluss runter, da wo die Sümpfe in den Golf von Mexiko übergehen, befinden sich Überreste von Batterien der Konföderierten und die Knochen britischer Soldaten aus dem Krieg von 1812. Ist alles da, ragt aus dem Boden, jedenfalls früher mal. Dave Robicheaux bestand darauf, gesehen zu haben, wie ein Trupp Grauröcke durch eine Backsteinmauer marschierte und im Nebel verschwand. Ich glaube ihm. Louisiana ist eine Nekropole. Wenn ihr mir nicht glaubt, macht einen Spaziergang über die Friedhöfe an der Basin Street oder der Esplanade Avenue (und achtet darauf, nicht allein zu sein).
Als ich auf das Gelände der Waschanlage einbog, warf Eddy Durbin mir einen kurzen Blick zu, stieg in einen Wagen, den seine Angestellte gerade von Hand trockneten, und fuhr weg, wobei er ein Stopp-Schild ignorierte.
Das sah Eddy so gar nicht ähnlich. Ich erwähnte ja bereits, dass er zweimal direkt hintereinander fünf Jahre abgesessen hat. Nicht erzählt habe ich, dass er sie voll durchgezogen hat – kein ehelicher Besuch, keine Freistellung von der Arbeit, keine Anrechnung von guter Führung. Zehn Jahre Knast, wo man rund um die Uhr entweder die Schreie von Männern oder das Klappern von Stahl hört. Diese permanente Geräuschkulisse sollte nicht unterschätzt werden, was die Wirkung auf die geistige Gesundheit angeht.
Eddy war ein Kleinkrimineller von der Sorte, wie man sie in New Orleans oder in Bostons Southie findet. Bei meinen Freunden im Channel war Diebstahl ein fester Bestandteil des Lebens. Vielleicht hatte es etwas mit den Iren, den Totenschiffen und der Begrüßung zu tun, die sie bei ihrer Ankunft in Amerika erwartete. Andy, sein kleiner Bruder und ein paar kleine Gauner aus New Jersey waren in Geldwäsche auf Pferderennbahnen und in Casinos in ganz Louisiana und Florida verwickelt. Nur, dass einer der Jersey-Jungs ein Informant oder eher ein Undercoveragent war, der gegen die ganze Bande aussagte, als sie aufflogen. Eddy log und sagte, Andy habe nichts mit dem ergaunerten Geld in Höhe von über 300000 Dollar zu tun. Also wanderte er anstelle seines kleinen Bruders in den Knast. Mit anderen Worten, Eddy war ein verlässlicher und loyaler Bursche. Warum also lief er dann jetzt vor mir weg? Ich hasste es, darüber nachzudenken.
Er sah mehrmals in den Rückspiegel, gab es dann auf und bog ab auf einen städtischen Park in einem Armenviertel von Algiers. Familien grillten Würstchen, Kinder warfen Frisbees oder spielten Softball. Ich stieg aus meinem Mietwagen, ging zur Beifahrerseite von Eddys Auto und stieg ohne Erlaubnis ein. Eddy hatte ein rundliches Gesicht und einen kleinen, spitzen Mund wie ein Fisch. Ich habe ihn noch nie lächeln gesehen.
”Willst du mir vielleicht mal verraten, warum mein Eldorado von drei Ekelpaketen auseinandergenommen wurde, die ganz offensichtlich was mit deiner Waschanlage zu tun haben?“, fragte ich.
”Tut mir echt leid.“
”‚Tut mir leid‘, reicht hier nicht, Eddy.“
”In einem anderen Eldorado war Zeug, das ein Typ abholen sollte. Muss wohl was verwechselt worden sein.“
”Das hab ich schon mal gehört, Eddy. Ist aber auch keine akzeptable Entschuldigung. Was war das für ein ‚Zeug‘?“
”Hab das Gefühl, muss wohl ziemlich ernster Scheiß gewesen sein.“
”Was für eine Art von ernstem Scheiß?“
”Keine Ahnung. Andy hat sich mit ein paar üblen Typen eingelassen. Ich wusste nichts davon.“
”Und warum machst du dich dann nicht schlau?“
” Andy ist abgehauen.“
”Was für eine Überraschung“, sagte ich. ”Der hat doch in der Vergangenheit nie was anderes gemacht, als den Kopf einzuziehen. Was dir übrigens fünf zusätzliche Jahre in Angola gesichert hat, falls du es vergessen hast. Deinem kleinen Bruder hätte man einen Telefonmast in den Arsch rammen sollen. Woher kommen diese Typen?“
”Ich glaube, die gehören zur Dixie Mafia.“
” Am Arsch. Die Typen, die an die Dixie Mafia glauben, könnten Gettysburg nicht mal finden, wenn man ihnen eine Landkarte auf den Bauch tätowiert. Was verheimlichst du, Eddy?“
”Nichts.“
”Du machst mich langsam sauer, Eddy.“
”Du bist in dieser Sache nicht unvoreingenommen“, erwiderte er.
”Schnee?“
”Könnte sein.“
”Könnte, aber ist nicht?“
”Wahrscheinlich nicht.“
”Was dann?“
”Ich kann nur raten. Nicht mal Andy ist sicher.“
”Ich verpass dir gleich einen Satz heiße Ohren, Eddy. Dann kannst du deine Kopfhaut auch mit 13 Stichen nähen lassen, genau wie ich.“
”Fentanyl.“
Ich spürte, wie sich meine Hände auf den Oberschenkeln zu Fäusten ballten. Ich starrte durch die Windschutzscheibe. Ein paar Kinder spielten Badminton oder machten Purzelbäume auf dem Gras, andere aßen Hotdogs und Eiscreme. Ihr Lachen war wie ein Lied.
”Ich weiß, was du empfindest, Purcel. Ich möchte nur …“
”Nein, du weißt nicht, was ich empfinde. Nicht mal annähernd. Also sag so was nicht.“
”Entschuldigung“, sagte er.
”Hör mit deinen sinnlosen Entschuldigungen auf. Meine Großnichte ist tot wegen der Scheiße, die dein Bruder hilft auf die Straße zu bringen. Also, wo ist er?“
”Ich weiß es nicht. Und wenn ich’s wüsste, würde ich ihn nicht verraten. Also, leck mich.“
Ich starrte ins Leere und kratzte mit vier Fingern gedankenverloren an meiner Wange. Dann stieg ich aus Eddys Wagen, schloss die Tür und beugte mich durchs Fenster. ”Denk drüber nach, Eddy“, sagte ich. ”Pass auf, dass du nicht auf der falschen Seite landest. Du hast nie irgendwem was getan. Die Kerle, die bei mir waren, sind miese Typen. Die brauchen keinen Grund, um anderen wehzutun.“
Sein Kopf war zur Seite geneigt, als wäre sein Genick gebrochen, seine Arme lagen auf dem Lenkrad, sein Gesicht war völlig ausdruckslos.
”Hast du mich verstanden?“, fragte ich.
” Ja, hab ich“, antwortete er. ”Du kannst mich kreuzweise. Und nimm deine Finger von meinem Wagen. Der ist frisch gewaschen.“
Ich ging, doch hielt dann inne. Was er gerade gesagt hatte, konnte ich nicht so stehen lassen. Ich kehrte zurück zur Beifahrerseite und beugte mich herunter.
”Ich sag dir was, Eddy. Ich hab noch einen Grund, warum ich diese Typen hinter Gittern sehen will. Vielleicht ist das einer, den du nicht verstehst.“
” Ach, ja? Dann schieß mal los.“
”Vielleicht, wenn ich mal bessere Laune hab. Bis dahin sei dankbar, dass ich dich nicht auf die öffentliche Toilette schleife und dir den Seifenspender ins Maul ramme.“
”Du hattest mal ne Marke und hast es verbockt“, sagte er. ” Jetzt lässt du’s an deinen eigenen Leuten aus. Wer ist hier der eigentliche Loser, Purcel? Du tust mir echt leid.“
”Netter Versuch, Eddy. Aber ich hab für alles bezahlt. Sprich nie wieder so mit mir.“ Und ich richtete meinen Finger auf sein Gesicht.
Bevor das alles passierte, war Dave Robicheaux zum Forellenbarsch-Angeln unten im Naturschutzgebiet Barataria Preserve. Er hatte mich eingeladen, mitzukommen, aber ich hatte am Caddy geschraubt, und jetzt hatte ich den Schlamassel. Was für einen Schlamassel? Die drei Ekelpakete wussten, wer ich war und wo ich wohnte, und ich wusste gar nichts über sie. Also rief ich Dave auf seinem Handy an und erzählte ihm alles. Dave war ein guter Cop, weil er aufmerksam zuhören konnte.
Als ich fertig war, sagte er: ”Bist du zu Hause?“
” Ja“, sagte ich.
”Ich bin in zwei Stunden bei dir. Geh nirgends hin und rede mit niemandem.“
”Mit wem sollte ich schon reden?“, fragte ich.
Er versuchte nicht mal, mir darauf eine Antwort zu geben.
Eine Stunde und 43 Minuten später bog er mit seinem Pick-up samt Bootsanhänger auf meinen Hof.
”Was hat dich aufgehalten?“, fragte ich.
Er warf einen kurzen Blick auf den Kopfverband und die Schürfwunde in meinem Gesicht. ”Wer sind diese Dreckskerle, Clete?“
”Keinen Schimmer, mein Großer.“
Wir gingen nach oben. Ich gab ihm ein Dr Pepper und öffnete mir selbst ein Bier, das mir, wie immer in Daves Gegenwart, sofort ein schlechtes Gewissen bescherte. Er hatte wirklich Fortschritte mit dem Programm der AA gemacht, von dem einen oder anderen Ausrutscher über die Jahre mal abgesehen. Seine feste Gruppe in New Orleans befand sich in der Nähe des Quarters. Es war das Meeting mit dem schönen Namen Halt-dich-an-die-Schritte-oder-Kratz-ab-Motherfucker.
”War Eddy aufrichtig, was seinen Bruder betrifft?“, fragte er.
”Hm, ja, vielleicht. Wie sagt man noch? Eher ‚unredlich‘?“
”Der Bruder hat doch einen Hirnschaden, oder?“
” Ja, ist falschrum auf die Welt gekommen. Aber was hat das mit Stehlen, Lügen und andere Leute für sich in den Knast gehen lassen zu tun? Das hat er jedenfalls drauf.“
Dave stand vor der Spüle, trank sein Dr Pepper und schaute aus dem Fenster. Schatten legten sich über den Innenhof. Dave war ein nachdenklicher, gutaussehender Kerl, 1,85 Meter groß, breite Schultern, sonnengebräunte Haut, eine weiße Strähne in dem ansonsten schwarzen Haar. Bei anderen Cops hatte er deshalb den Spitznamen Streak bekommen. Sie wussten nicht, dass die Strähne auf Mangelernährung in seiner Kindheit zurückzuführen war.
”Du hast Eddy gesagt, du hättest besonderes Interesse daran, diesen Typen das Handwerk zu legen?“
” Ja. Und ich hab’s nicht in Watte verpackt. Fentanyl ist der neue Killer auf den Straßen. Ich kann mich nicht kontrollieren, wenn ich davon anfange.“
Dave stützte sich mit den Armen ab und nickte. Er trug ein lila Hemd mit aufgedruckten Lilienemblemen, eine gebügelte graue Hose und polierte Slipper. Ich wusste, dass er später ausgehen wollte, allerdings nicht, weil es Samstagabend war. Er hatte mehrere Ehefrauen verloren und trauerte auf besondere Art und Weise. Die meiste Zeit lebte er im Zölibat und ging bei Sonnenuntergang allein zu ihren Grabstätten. Es war schon irgendwie unheimlich. Ein mit ihm befreundeter Priester am Bayou in Jeanerette versuchte ihm zu helfen, aber zu Dave Robicheaux Seele gab es keine Tür, nicht einmal für seine Frauen, die er bedingungslos liebte. Er war wohl der einsamste Mensch, dem ich je begegnet war.
Hey, was Schmerz betrifft, hat Streak durchaus seine Zeit im Garten Getsemani verbracht. Scheiße, ja. Davon abgesehen trug er seine eigene Feldflasche, respektierte die Privatsphäre anderer und missbrauchte weder seine Macht noch demütigte er den Abschaum. Genau deshalb sagte er auch nichts zu dem Widerling mit dem 6-MILLIONEN-SIND-NICHT-GENUG-T-Shirt und dem Foto, das ich aus einer Illustrierten herausgerissen hatte und seit mindestens zwei Jahrzehnten in meiner Brieftasche bei mir trug.
Es zeigte eine Jüdin mit drei Kindern hinter sich, auf dem Weg zu den Duschen in Auschwitz. Sie versuchte, die Kinder zusammenzuhalten. Wahrscheinlich hatten sie keine Ahnung, was schon bald mit ihnen passieren würde, aber ich glaube, die Mutter wusste es. Ihre Entschlossenheit und Trauer schienen von den Seiten der Illustrierten aufzusteigen. Ich habe mich nie von diesem Foto befreien können. Ich glaube, das kann niemand, bis wir die Erde von denen befreit haben, die für das Schicksal dieser Frau und ihrer Kinder verantwortlich waren. So sehe ich das. Daran wird sich nie etwas ändern.
Mehr sage ich nicht. Psychiater und Therapeuten der Navy haben versucht, mich nach meiner Rückkehr aus Shitsville zu behandeln. Das waren gute Leute. Aber die Zange ist noch nicht erfunden, mit der man gewisse Bilder aus dem Kopf entfernen kann. Die wird man nicht mehr los, und weder harter Stoff noch ein Tumbler Black Jack mit einem Bier zum Nachspülen wird einen davon befreien. Ich weiß das. Ich hab alles versucht, außer mich selbst umzubringen.
”Clete?“, sagte Dave.
” Ja?“
”Keiner verarscht die Bobbsey Twins von der Mordkommission.“ Er zwinkerte mir zu.
”Genau, was ich gerade auch gedacht hab, mein Bester. Aber jetzt lass uns doch erst mal gebratene Austern essen, und vielleicht auch ein Poorboy-Sandwich mit Seewolf, Mayo, Tomaten und scharfer Soße.“
”Kann mir nichts Besseres vorstellen“, sagte er.
Ich liebte Dave Robicheaux. Wie Waylon Jennings sagte: ”Ich war schon immer verrückt, aber es hat mich davon abgehalten, den Verstand zu verlieren.“
Also, erwähnte ich schon, dass ich mal für einen Kautionsvermittler aus Biloxi eine Tänzerin auf der Bourbon Street aufspüren musste? Der Kautionssteller hieß Winston Sellers, auch bekannt unter dem Spitznamen Sperm-O Sellers und manchmal auch Die Krake, denn genau so sah die obere Hälfte seines Kopfes aus. Er stammte aus Jersey, versuchte aber so zu tun, als wäre er von hier unten. Sperm-O war betrunken und versuchte, den Knöchel einer Tänzerin auf dem Laufsteg zu packen, aber sie verpasste ihm einen Tritt ins Gesicht, mit dem sie ihm die Brücke zerbrach, die er daraufhin verschluckte. Der Barkeeper musste sie ihm mit den Fingern wieder aus dem Hals ziehen. Die Tänzerin kam auf Kaution frei, erschien aber nicht zu ihrem Gerichtstermin, weswegen sie wieder im Knast landete. An dem Punkt kam ich ins Spiel. Sie hieß Gracie Lamar und kam aus einem Drecksloch in Alabama, bei dem man froh war, dass der Süden den Bürgerkrieg verloren hatte. Sie veranstaltete im Gefängnis einen solchen Aufstand, dass eine Wächterin ihr durchs Gitter eine Ladung Pfefferspray verpasste.
Aber sie war schon eine echte Augenweide. Die Striplokale an der Bourbon Street hatten die Eingangstüren außer bei Regen immer offen, und man konnte sie auf dem Laufsteg sehen. Sie war kleiner als die anderen Frauen. Silberne Sterne glitten über ihre Haut, rotblonde Strähnen hingen ihr ins Gesicht, und ihre Augen sagten: Träum weiter, Kumpel.
Also versuchte ich, alles mit meinem zwielichtigen Kollegen in Biloxi zu besprechen. Er meinte, er wolle, dass Gracie Lamar in das übelste Rattenloch von Knast im Orleans Parish gesteckt wird, eines mit verstopften Toiletten und Sexualstraftätern als Wärter, und die Tür sollte zugeschweißt werden, damit sie nie wieder herauskam. Ich bot an, für Sperm-Os Brücke und etwaige Arztkosten aufzukommen, legte weitere 500 Dollar drauf, damit er die Anzeige zurückzog. Er sagte, er müsse darüber nachdenken, und legte auf.
Eine Stunde später rief er zurück. ”Ich hab die ärztlichen und zahnärztlichen Kosten sowie ein angemessenes Schmerzensgeld schätzen lassen. Es beläuft sich auf 4500 Dollar. Sie können es auf mein Bankkonto überweisen. Sie haben zwei Stunden.“
Ja, er hat mich abgezogen, aber was willst du machen? Sollte ich eine junge Frau an die Piranhas verfüttern, die wir in unseren Gefängnissen haben, sowohl unter dem Personal als auch unter den Insassen? Ich hab das Geld auf sein Konto überwiesen und in der Nacht für keine Minute die Augen zugemacht. Sperm-O rief am nächsten Tag an, glücklich und zufrieden, weil er mich abgezogen hatte und er jemandem den Tag mehr vermiesen konnte als sich selbst, wann immer er in den Spiegel schaute. ”Ihr Geld ist angekommen“, sagte er. ”Glückwunsch, mein Großer. Da haben Sie ja einen richtigen Hauptgewinn.“
”Ich verstehe Sie laut und deutlich, Sperm-O“, sagte ich. ” Aber werden wir doch nicht persönlich und konzentrieren uns stattdessen auf Grundsätzliches, okay?“
”Wovon zum Teufel reden Sie?“, fragte er.
”Dass Sie vielleicht eine Runde in Ihrem Pool schwimmen gehen sollten. Sie haben doch noch einen, richtig? Lassen Sie Ihre Masseurin kommen. Und achten Sie auf ausreichend Sonnenschutz.“
”Höre ich da eine leichte Feindseligkeit heraus?“
”Nein, ich lasse mich gern abzocken. Aber falls Sie hier aufkreuzen, lasse ich eine Ladung Kuhscheiße in Ihren Pool kippen. Soll heißen: Halten Sie sich von uns fern. Oder noch besser: Machen Sie einen großen Bogen um New Orleans.“
”Sagten Sie, uns? Bevor’s vorbei ist, wird sie Ihnen Ihre Kanone ins Maul stecken“, sagte er. ”Viel Spaß dabei.“
Ich bat Dave Robicheaux, für ein paar Tage bei mir einzuziehen für den Fall, dass diese drei Widerlinge beschlossen, mich noch mal zu besuchen. Meinen Caddy brachte ich in die Werkstatt und versuchte herauszufinden, wie dieser ganze Scheiß auf meinem Kopf gelandet war.
Dave und ich lieben die Jazzschuppen und die Cafés im Quarter und auch die schrägen Typen, die dort leben. Das Quarter riecht, wie es im mittelalterlichen Europa gerochen haben muss – nach Kloaken und Nachtfeuchte und Flechten auf Stein und im Keller gelagerten Weinkrügen und geräuchertem Fisch auf Freiluftmärkten. Es war andauernd nasskalt und lag außer zur Mittagsstunde immer im Schatten. Wenn die Leute an einem vorbeigehen, könnte man meinen, sie nehmen die moderne Welt um sich herum nicht wahr. Wie Quasimodo, der übers Kopfsteinpflaster stapft.
Wie auch immer, Dave und ich trieben uns in den Cafés an der Decatur und am Jackson Square herum, von wo aus man einen hervorragenden Blick auf die Straßenkünstler, Jongleure, Pantomimen, Musiker, Einradfahrer und die blühende Myrte hat. Außerdem wollte ich mal tief durchatmen und erklären, warum ich mich für Gracie Lamar in Unkosten gestürzt hatte.
Ich habe eine Menge charakterliche Mängel, und wahrscheinlich wirft es kein gutes Licht auf mich, dass ich jemanden wie Sperm-O kenne, aber hier kommt die Geschichte dazu, und es ist bei Gott die Wahrheit: Ich hab noch nie eine Frau ausgenutzt, die in Schwierigkeiten war. Darauf könnt ihr Gift nehmen. Niemals würd ich lügen. Und S.D.H.D., und ihr wisst, was das bedeutet. Scheiß.Der.Hund.Drauf.
Außerdem hatte die Frau großes Talent, und das nicht auf dem Laufsteg. Sie konnte singen wie Linda Ronstadt, mit einem Akzent wie Loretta Lynn. So einer Frau muss man doch einfach helfen, oder? Mit anderen Worten: Ich brachte das Opfer und schrieb es ab. Scheiß drauf, ich hab schon Unsinnigeres getan als das.
Es war später Abend, das Sommerlicht hing gefangen hoch am Himmel und der Wind wehte vom Lake Pontchartrain herüber, ein schwarzer Typ auf einem Balkon in den Pontalba Apartments blies Trompete, der Kellner servierte uns zwei großen Schalen Krebs-Gumbo, dazu mit Knoblauch und Butter getränkte Baguettes, als Grace Lamar um die Ecke kam – sie sah aus, als wäre sie in einem Waschsalon aus dem Trockner gefallen – und sagte: ”Warum gehst du nicht an dein scheiß Telefon, Clete?“ Bevor ich mir den Mund abwischen und antworten konnte, sah sie Dave an und fügte hinzu: ”Wer bist du denn, Schätzchen?“
”Dave Robicheaux“, sagte Dave. ”Sehr erfreut.“
”Du musst nicht aufstehen“, sagte sie zu ihm, bestellte sich einen Wodka-Collins und legte einen Briefumschlag vor mich. ”Da drin sind 36 Dollar. Das kann ich dir jede Woche zahlen, solange ich arbeite, aber mehr ist nicht drin. Und übrigens, dieses Arschloch hat mich heute Morgen angerufen.“
”Welches Arschloch?“, fragte ich.
”Sperm-O Sellers, wer sonst? Was für ein Schwanz. Sein Kopf sieht aus wie ein Penis. Unglaublich.“
”Wie wär’s, wenn wir ein wenig auf unsere Ausdrucksweise achten?“, sagte ein Typ mit Sonnenbrille am Nachbartisch. Seine Lady trug ebenfalls eine Sonnenbrille, obwohl der sanfte Sonnenuntergang überhaupt nicht grell war.
”Hast du mal unsere Verfassung gelesen? Erster Satz, Redefreiheit. Wenn’s dir nicht passt, geh und blas dir einen“, sagte Gracie.
”Ich brauch ne Serviette. Bin sofort zurück“, sagte Dave.
Gracie sah ihm hinterher, als er durch die Tür nach drinnen verschwand. ”Was ist mit deinem Freund?“
”Nichts. Was hat Sperm-O gesagt?“, fragte ich.
”Dass ich einen Haufen Geld machen kann, wenn ich ihm sage, wo etwas ist, das in deinem Cadillac war. Wovon redet der?“
”Vergiss es. Falls Sperm-O noch mal anruft, lässt du’s mich wissen, okay?“
”Rück raus mit der Sprache. Ich möchte mit dem Abschaum in dieser Stadt nichts zu tun haben. Ich fand Alabama ja schon übel. Den Insassen in diesem Gefängnis, in dem ich war, müsste man Schutzanzüge oder Ganzkörperkondome geben. Ich hab das auch dem Wärter gesagt, und der meinte, ich sollte erst mal die Küche sehen.“
Der Kellner stellte einen Wodka-Collins vor sie und ging. Dafür kehrte Dave zurück und setzte sich. Er hatte eine Papierserviette in der Hand. ”Entschuldigen Sie, wenn ich vor Ihnen esse.“
”Schon in Ordnung“, sagte sie. Sie sah zu, wie er seinen Eistee an den Mund hob. ”Trinkst du nicht?“
”Nein“, antwortete er. Dann lächelte er. Dave hatte schon immer ein gutes Lächeln. ”Das habe ich früher schon zu Genüge getan.“
”Du arbeitest doch als Detective im Iberia Parish?“
”Momentan bin ich ohne Bezahlung beurlaubt“, sagte er.
”Beurlaubt wegen was?“, fragte sie.
”Weil ich auf der Herrentoilette des Departments einem Detective eins auf die Nase gegeben habe.“
Sie blies zuerst die eine Wange, dann die andere auf. ”Machst du so was öfters?“
”Nur bei diesem einen speziellen Kerl“, antwortete Dave. ”Seit der aus der Anstalt entlassen wurde, muss er eine Diät aus Steroiden, Alligatorschwanz und Wasserspinat zu sich nehmen. Viele von uns Cajuns sind so. An den Rändern leicht ausgefranst.“
Sie lächelte nicht, aber ihre Augen leuchteten.
”Sie glauben mir nicht?“, fragte Dave.
Sie sah ihn weiter an und sagte kein Wort. Als der Kellner vorbeikam, hob sie ihr Collins-Glas. ”Noch so einen. Auf meinen Deckel.“
”Wollen Sie nichts essen?“, fragte Dave.
”Was? Sehe ich vielleicht zu dünn aus?“
”Nein“, sagte Dave. ”Sie sehen prima aus. Ich wollte Ihnen nicht vorschreiben, was Sie tun sollten.“
”Hast du nicht“, sagte sie und sah mich an. ”Ich bin wirklich sehr froh über das, was du getan hast, Clete. Ich werde alles tun, um dir das Geld zurückzuzahlen. Aber ich muss diesen Schwanzlutscher Sperm-O aus meinem Leben bekommen. Wenn er hier auftaucht, knalle ich ihn ab.“
” Jetzt reicht’s mir mit Ihrer Ausdrucksweise“, sagte der Sonnenbrillenmann und erhob sich von seinem Stuhl. Er war erheblich größer, als er im Sitzen gewirkt hatte, und hatte große Pranken mit kräftigen Knöcheln. Er schnipste dem Kellner zu. ”Wir benötigen mal Hilfe hier.“
”Setz dich wieder“, sagte ich zu ihm. ”Nichts für ungut. Es ist ein wunderschöner Abend. Wir würden dich gern zu einem Dessert einladen.“
Aber der große Mann beachtete mich nicht und schnipste weiter wie wild mit den Fingern. Gracie erhob sich von ihrem Platz und nahm ihre Handtasche. Sie war aus Jeansstoff und mit einem indischen Ornament bestickt. ”Du kannst dich wieder setzen, Bozo“, sagte sie zu dem Mann mit Brille. ”Ich gehe.“ Dann drehte sie sich zu Dave und mir. ”Das mit Sperm-O ist mein Ernst. Ich will diese Idioten nicht in meinem Leben haben. Ich niete ihn um.“
Dann drückte sie Dave mit den Fingern die Schulter und verschwand über die Natursteinplatten in den kühlen Abend, wobei sich die letzten Sonnenstrahlen in ihren Haaren verfingen.
Dave und ich kehrten zu Fuß die zwei Blocks vom Jackson Square zu meinem Haus zurück. Wir lesen beide gern. Ich besaß eine Sammlung von Taschenbüchern über den Bürgerkrieg und den amerikanischen Westen, Titel wie A. B. Guthries Der weite Himmel und Der Weg nach Westen und John Neihardts Schwarzer Hirsch: Ich rufe mein Volk. Aber ich war mit den Gedanken nicht bei meinen Büchern.
”Sie mag dich“, sagte ich.
”Sie ist noch ein Kind“, antwortete Dave und schaute die hintere Treppe hinauf, zu den Bananenblättern und den tropfenden Palmwedeln. ”Kinder mögen alle.“
”Sie mag dich ganz besonders.“
”Du warst es, bei dem sie sich wegen ihrer Probleme mit Sperm-O bedankt hat.“
” Ja, und hat mich damit zum Komplizen eines Mordes gemacht, falls sie ihn aus dem Verkehr zieht.“
”Das ist doch nur Gerede, Clete.“
Genau.
Dave schützte immer meine Gefühle. Dabei war er es, der Schutz brauchte. Das hab ich ihm nie verklickern können.
Ich schloss die Haustür auf und schaltete das Licht ein. Das Geräusch des Regens auf den Blättern in den Blumenbeeten rief in mir manchmal Erinnerungen an Shitsville hervor. Daves Karre stand im Hof, mein Wagen nicht. Der war in der Werkstatt. Wodurch ich mich aus irgendeinem Grund einsam fühlte, so als hätte ich mein Leben gerade nicht im Griff und die Zeit liefe mir davon. Ich legte eine Hand auf den Türknauf und tastete ihn gründlich mit den Fingern ab, danach das Türschild.
” Alles in Ordnung?“, fragte Dave.
”Nein, jemand hat versucht, hier reinzukommen.“
”Bist du sicher?“
Ich trat zur Seite. ”Sieh selbst.“
Dave betastete die Kratzer auf dem Messing. ”Wer sind diese Typen?“, fragte er.
”Da bin ich überfragt. Sie haben Knasterfahrung. Inzwischen wissen sie, dass ich ihr Fentanyl nicht habe.“
”Dann suchen sie vielleicht was anderes.“
Ich hatte keine Antwort darauf. Ich war Privatdetektiv. In der Welt der Gesetzesvollstreckung war das ungefähr dasselbe, wie einen Mülllaster zu fahren. Damals konnte man sich in einer Pfandleihe für 20 Dollar eine Dienstmarke kaufen. Ich hatte keinen Computerzugang zum FBI oder dem National Crime Information Center, und das NOPD konnte mich auf den Tod nicht ausstehen. Wollt Ihr einen guten Rat? Wenn Ihr eine Detektei seht, dann geht entweder schnell dran vorbei, oder geht nur rein, wenn ihr Desinfektionsmittel dabei habt. Und lasst eure Kreditkarten zu Hause. Dieses Milieu ist wirklich zum Kotzen.
”Willst du immer noch keine Alarmanlage?“, fragte Dave.
” Alles nur Schrott. Der Typ von der Firma sitzt in Tennessee. Der macht auch nichts anderes, als die Bullen hier zu verständigen. Ich würde gern zurück zur guten alten Zeit.“
”Was war noch mal die gute alte Zeit?“, fragt Dave.
Ich musste einen Moment nachdenken. ”Bin nicht ganz sicher.“
Dave nahm ein Buch von meinem Regal, knipste eine Lampe an und begann, im Wohnzimmer zu lesen. Ich ging zu meinem Schreibtisch, nahm einen Kugelschreiber und einen frischen Block aus der Schublade, legte beides auf die Schreibunterlage und setzt mich hin, wild entschlossen, herauszufinden, wer meinen Caddy zerfetzt hatte und warum Sperm-O versuchte, sich in Gracie Lamars Leben einzuschleichen. Ich muss zugeben, dass mir Gracie nicht aus dem Kopf ging.
Nachdem ich fertig war, stand Folgendes auf meinem Notizblock:
1. Ich habe versucht, Eddy Durbin eine Chance zu geben, indem ich ihn meinen neuen Caddy durchchecken ließ.
2. Eddy hat seinem kleinen Bruder Andy erlaubt, die Autos von Kunden zu benutzen, um damit irgendeinen Superscheiß zu transportieren, auf den Big Sleazy ganz sicher verzichten kann.
3. Andy, Informant und Kanalratte, der seinen großen Bruder im Regen stehen ließ, hat meinen Caddy versehentlich irgendwelchen Arschlöchern überlassen.
4. Die Arschlöcher, die nach eigener Aussage angeblich der Dixie Mafia angehören, haben die Verkleidungen meines Caddys mit Fentanyl oder Heroin oder kolumbianischem Koks vollgestopft, das über den Highway 10 aus Miami in die Stadt kommt.
5. Dann hat irgendwer die ganze Ladung geklaut und mir den schwarzen Peter zugeschoben. Oder vielleicht läuft auch eine ganz andere Scheiße.
6. Sie kommen in meinen Hof gewalzt und fangen an, das Lederpolster meines Caddys herauszureißen, als wär das kein großes Ding, als würde mir ohnehin keiner glauben oder sich groß drum kümmern, vor allem nicht das NOPD, diese miesen Wichser.
7. Was mich zu genau welcher Frage führt?
8. Dass die drei Penner meine Vergangenheit beim NOPD kennen und auch die Verachtung, die mir dort entgegengebracht wird, weil ich einen wichtigen Zeugen entlarvt habe, der außerdem eine notorische Ratte war und die Luft nicht wert, die er atmen durfte.
9. Dann ist es immer noch sehr gut möglich, dass diese Typen eine Scheißangst haben. Was bedeutet, sie werden wieder aufkreuzen. Allerdings nicht hier. Irgendwo in einem Sumpf. Vielleicht in einer Hütte im Bayou Lafourche. Vielleicht an einem Ort, wo es Werkzeuge gibt, über die man nicht nachdenken will.
Ich schob mich vom Schreibtisch weg, hatte einen trockenen Mund und versuchte, mich zu räuspern. Es ging nicht. Ich habe mal ein Foto von einem Schwarzen gesehen, das in Mississippi aufgenommen worden war, der auf die Art und Weise starb, die ich gerade angedeutet habe. Wie das Bild der Jüdin mit ihren drei Kindern ging mir auch das Foto des Schwarzen viele Jahre lang nicht aus dem Kopf. Es gibt Momente, da frage ich mich, ob es eine böse Saat unter uns gibt, die einfach nicht zugrunde geht.
”Hast du’s geknackt?“, fragte Dave mit einem Blick über den Rand seines Buchs.
”Was geknackt?“
”Woran auch immer du arbeitest.“
” Ja“, sagte ich.
Er nickte, steckte sich dann ein Hustenbonbon in den Mund und ließ es hinter seinen Zähnen kreisen. ” Auch eins?“
”Nee.“
”Ich glaube, der Schlüssel ist der Kerl mit dem T-Shirt, Clete.“
”Der Kerl mit der Botschaft, dass sechs Millionen Leute in Hitlers Öfen nicht genug sind? Warum der?“
”Du weißt schon.“
”Er machts gratis und hat auch noch Spaß dabei?“
Dave klappte sein Buch zu. Es war Zwölf Jahre ein Sklave. ”Hast du Lust, morgen mit mir rüber nach Mississippi zu fahren?“
Früh am nächsten Morgen überquerten wir in Daves Pick-up die Staatsgrenze und fuhren Richtung Norden zum Pearl River. Der Name sagt euch vielleicht was. Dave meint, alle Südstaaten haben sich gewandelt, aber die stärkste Veränderung von ihnen hat Mississippi erfahren. Doch der Pearl und Tallahatchie River und der ländliche Raum an ihren Ufern werden für das Schlimmste in Erinnerung bleiben, zu dem Menschen fähig sind.
Ich rede nicht gern drüber. Dave auch nicht. Die Menschen, die die Morde und die Bombardierungen und die Verbrennungen verübt haben, waren keine gewöhnlichen Leute, die in ihrer Zeit gefangen waren. Glaubt das nicht. Wie Dave sagt, Menschen sind das, was sie tun. Das war der Abschaum der Menschheit. Ich glaube, in manchen Gegenden gab es spezielle Förderprogramme für weißes Pack.
Wisst ihr, was vergangen ist, ist vergangen. Aber die Vergangenheit hält sich oft hartnäckig. Der Kerl, den Dave und ich besuchen wollten, war ein Typ namens Hap Armstrong. Welches Bild erscheint vor eurem geistigen Auge, wenn ihr diesen Namen hört? Der Pilot einer B-25, der zusammen mit Jimmy Doolittle 1942 die Japaner bombardierte? Ein GI, der am D-Day durch eine rote Brandung watet, während seine toten Freunde auf den Wellen treiben? Ein GI mit einem Seesack über der Schulter, der zu seinem Mietshaus aufschaut, während ihm die ganze Nachbarschaft zuwinkt, ein glücklicher Mann, den Norman Rockwell gern gemalt hätte?
Nope, unser Hap würde es niemals aufs Cover der Saturday Evening Post schaffen. Unserem Hap und seinen Cousins gehörte ein Schuppen mit Blechdach, in dem sie schweißen konnten, und eine drittklassige Autowerkstatt, mit der sie kaum ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Haps Kunden waren Schwarze, arme Weiße und alte Leute. Die einzige Auszeichnung in seinem Leben waren 30 Jahre als Funktionär in einer Ortsgruppe des Ku-Klux-Klans, einer Klavern. Zum ersten Mal war ich ihm nach meiner Rückkehr aus Shitsville begegnet. Er hasste Juden, Farbige und jene, die er ”Untermenschen“ nannte: Asiaten, Mexikaner, Katholiken, Yankees und die meisten Frauen. Dann wurden er und acht andere Männer seiner Klavern beschuldigt, eine Bombe in einer Kirche gezündet zu haben. Zwei Kinder starben. Ein weiteres erlitt schreckliche Verbrennungen.
Hap behauptete, unschuldig zu sein. Andere sagten, er habe die ganze Sache angeführt. Haps Ehefrau schwor, er sei zu Hause gewesen, im Bett, hätte ihr ”ein Baby gemacht“. Die Geschworenen grinsten und glaubten ihr, denn keine wahre Christin würde sich so bloßstellen, wenn sie nicht die Wahrheit sagte.
Wir bogen auf den mit Muschelsand ausgestreuten Weg ein, der in das Eichenwäldchen führte, wo die Schweißerei war. Ich erkannte einen Acetylen-Schweißbrenner, der wie ein heißer, roter Schürhaken in der Dunkelheit des Schuppens leuchtete. Hap machte den Brenner aus, schob seine Schutzbrille auf die Stirn und kam nach draußen. Sein kurzärmeliges Jeanshemd war unter den Achseln durchgeschwitzt, die Haut hing ihm wie nasser Teig von den Knochen. Vor vier oder fünf Jahren hörte ich, dass er Krebs hätte. Meiner Meinung nach hatte er sich den schon lange vorher geholt. Haps Krebsgeschwür war der Hass. Wie alle seines Schlages nährte er ihn Tag für Tag, ob es einen Grund gab oder nicht.
Als ich ihn jetzt ansah, konnte ich ihn nur bemitleiden. ”Wie gehts, Bub?“
”Okay“, erwiderte er. Ich wartete, dass er fortfuhr. Aber da kam nichts. Sein Gesicht war wie eine Maske, zeigte kein Interesse an der Frage, keine Neugier auf irgendwas.
”Du erinnerst dich an Dave Robicheaux?“, fragte ich.
” Ja.“ Er nickte. ”Was wollt ihr?“
”Ein paar Typen haben meinen Caddy auseinandergenommen“, sagte ich. ”Da ist dieser eine Kerl, von dem ich dachte, du könntest schon mal von ihm gehört haben.“
”Ich weiß von gar nichts.“
”Ist uns bewusst, Mr. Armstrong“, sagte Dave. ” Aber Sie leben schon lange hier in der Gegend und wissen ziemlich gut, was so abgeht.“
”Wovon redest du?“
”Wir reden von einem gefährlich aussehenden Kerl. Er hat fettige Haare und seine Haut sieht aus wie ein löchriges Wäschefaltbrett. Er ist ziemlich besessen von Juden. So in der Richtung von: So viele von denen umbringen wie nur möglich.“
”Mit so Leuten hab ich nichts mehr zu schaffen“, erwiderte er. Er wischte sich die Nase am Arm ab und fügte hinzu: ”Weder mit den einen noch den anderen.“
”Hab gehört, Sie haben sich im Fluss taufen lassen“, sagte Dave.
” Ja und? Was soll damit sein?“, erwiderte Hap.
Oh, oh!, dachte ich. Dave hatte gerade den Turbo eingelegt. Man lässt sich im Süden mit Leuten wie Hap Armstrong nicht auf theologische Diskussionen ein, es sei denn, man hat Freude daran, mit Leuten ohne jegliches logisches Denkvermögen zu reden.
”In Vietnam hab ich erlebt, wie ein Arschloch den Einsatz von Gunships gegen ein Dorf anforderte, in dem sich vielleicht oder vielleicht auch nicht der Vietcong versteckte“, sagte Dave. ”Ich glaube, der Vietcong hat uns eine Falle gestellt und das Dorf den Preis dafür zahlen lassen. Wie dem auch sei, das Dorf bekam einen Napalm-Teppich. Ich konnte sehr lange nachts nicht mehr schlafen. In Shitsville nicht, und in Louisiana auch nicht. Wissen Sie, wovon ich rede, Mr. Armstrong?“
”Verpisst euch von hier“, sagte Hap.
”Tun Sie sich einen großen Gefallen, Mr. Armstrong“, sagte Dave. ”Wenn Sie getauft wurden und ehrlich zu dem Mann oben im Himmel sind, dann können Sie Ihr Schwert und Ihr Schild zur Seite legen und aufhören, weiter in diesem Krieg zu kämpfen.“
”Du hast ja keine Ahnung, was ich durchgemacht habe, du Scheißkerl.“ Er wischte sich wieder die Nase ab, diesmal noch kräftiger.
”Da haben Sie völlig recht“, sagte Dave. ”Ich entschuldige mich. Ich kann Ihr Päckchen nicht für Sie tragen. Aber irgendwann, an einem Scheideweg …“
”Was meinen Sie mit ‚Scheideweg‘?“
”Wenn Sie sich an einer Wegkreuzung wiederfinden, warum nicht einfach zu einer Bürgerversammlung, Kirche, Bushaltestelle oder in eine Kneipe gehen und erzählen, was Sie getan haben, und dann scheiß doch auf den ganzen Rest.“
”Verschwindet von meinem Grundstück!“
” Alles klar, mein Freund“, sagte Dave.
Danke, Streak, dachte ich. Du hast wirklich ein Händchen für so was.
Wir kehrten zu Daves Pick-up zurück, waren niedergeschlagen und müde. Der Wind war kühl, über uns raschelten die Blätter, der Pearl River verlief den Horizont entlang. Dann hörte ich Schritte von hinten und drehte mich um, halb in der Erwartung, dass Hap Armstrong mit einer Sichel oder einer Hacke auf uns zugestürmt kam. Aber er hielt nichts in Händen. Es war sein Gesicht, das einen zusammenzucken ließ. Es war völlig verzerrt, das eine Auge größer als das andere, in einem eine Träne.
”Es gibt da einen Mann, der heißt Baylor Hemmings“, sagte er. ”Er macht sich gerade im New Rising einen Namen.“
”Was ist denn New Rising?“, fragte ich.
