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Zwischen benetzten Lippen am Glas verbirgt sich so manches Geheimnis … Hoch frequentierte Bars und geheime Flüsterkneipen – seit jeher Orte der Lust und dunkler Geschäfte. Hier haben sich schon Zungen unfreiwillig gelöst oder in einen fremden Mund verirrt. Und so mancher Pakt mit dunklen Mächten wurde geschlossen … Welchen Zauber hat der Barkeeper ins Glas gemischt? Wer ist die Dame mit den Dämonenaugen, die zur späten Stunde noch einen Cocktail trinkt? Welche düstere Inspiration treibt den Pianisten um? Sechs Autor:innen aus der Schwarzen Szene öffnen den Vorhang zum düsteren Separée der Bar Macabre.
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Seitenzahl: 106
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Jessica Iser & Lily Magdalen (Hrsg.)
Cocktail Macabre
Trink- und Kinkgeschichten
Anthologie
Inhalt
Impressum
Holger Much: Ode an die Nacht
Christel Scher: Exit
Lily Magdalen: Nocturne in f-Moll
Markus Heitz: The Observation Room
Der Déjà-vu
Der Jamais-vu
Cocktails
Jessica Iser: Nightshifters
Daeny Levi: Erinnere dich an die Nacht
Absacker
Die Bargesellschaft
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind online unter http://dnb.dnb.de abrufbar.
Lektorat: Elisa Garrett | www.lektorat-garrett.de
Korrektorat: Sarah & Lauren | Enchanted Editing | www.enchanted-editing.de
Satz: Lily Magdalen
Covergestaltung: Jessica Iser & Lily Magdalen
unter Verwendung von Stockmaterialien, bereitgestellt durch Canva Pro
© 2025 | 1. Auflage | Jessica Iser & Lily Magdalen (Hrsg.)
c/o Autorenglück #67671
Albert-Einstein-Straße 47
02977 Hoyerswerda
Herstellung: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Bedenket beim Betreten der Bar Macabre:
Die Komponenten der hier kredenzten Geschichten sind unterschiedlich stark abgemischt – von sanftem Fruchtwein bis hin zu klarem Hochprozentigem.
Drink and read responsibly.
Samten legt der warme Abend
dir schlanke Finger um den Hals,
Sternenblicke, tief wie Brunnen,
laden zum Ertrinken ein.
»Schließ die Augen, folge mir,
dorthin, wo die Lippen blüh’n.
Komm und lass dich träumend geh’n,
dann bist du für immer mein –
nie mehr einsam, nie allein.«
Und es treibt dich der Mond
in die lockende Nacht
und du lauschst seinem Summen
und es zieht dich mit Macht
hinab zu den Lichtern,
den Leibern, der Pracht
einer fremden Welt – im Zauberschein.
Und du strauchelst und tauchst
verzaubert ein:
»Die Lichter leuchten, komm nur herein.«
Du lernst zu tanzen in dieser Nacht,
zum Herzschlag von wilden Dämonen.
Ihr Lächeln haben Engel gemacht,
die in der Hölle wohnen.
Und du trinkst
und du stürzt
und du spürst keinen Grund
und du spürst ihre Finger
an deinem Mund.
Ihr Blick – ein Rätsel, düster und warm,
und sie legt über euch
einen uralten Bann.
Und es treibt dich der Mond
in die lockende Nacht
und du lauschst seinem Summen
und es zieht dich mit Macht
hinab zu den Lichtern,
den Leibern, der Pracht
einer fremden Welt – im Zauberschein.
Und du wiegst dich
und schmiegst dich
verzweifelt an sie!
An die Nacht,
an die Lust
und an die Magie.
Deine alte Liebe liegt im Sterben,
während Sylphen um dich werben,
zerfällt, vergeht sie ungeseh’n.
Und du trinkst und du stürzt
und du spürst keinen Grund
und du spürst ihre Zunge
in deinem Mund.
Und du gleitest ganz sachte
in sie hinein.
Und alles ist Rausch
und alles ist Traum,
alles ist flirrender Schein …
Verdammte Stadt, verdammte Gasse, verdammter Job. Ich tippte wild auf dem Handydisplay herum, zog Karten hin und her, schaute kurz hoch – das Handy war am Lenker meines Motorrollers befestigt – und inspizierte die Straße. Nassglänzender Asphalt, kein einziges parkendes Auto. Nur eine Katze umschlich den flackernden Lichtkegel einer Straßenlaterne und erstarrte kurz, als sie mich bemerkte. Kein Fenster in den umliegenden Gebäuden war hell, die meisten vernagelt, als müssten Scharen von Menschen davon abgehalten werden, sich im Industriegebiet illegal niederzulassen. Hier wohnte schon lange niemand mehr.
Das kann hier doch nicht …
Mein Handy rutschte aus der Halterung. Ich griff ihm nach, ins Leere. Es knallte auf die Kante des Bürgersteigs; fluchend hob ich es auf. Ein Spinnennetz aus Rissen zog sich über das Display, auf dem ein roter Pfeil mir noch immer weismachen wollte, an der richtigen Adresse zu sein. Geile Sache.
Ich fuhr mir durchs Haar, drückte mit dem Daumen auf dem Display herum. Tot.
Tot, wie diese Gegend.
Das Gebäude vor mir lag still und verlassen da, wie die anderen. Nur die Haustür wirkte verkehrt, wirkte viel älter als der Backsteinbau. Eine zweiflügelige Tür, oben rund. Ich suchte eine Klingel, einen Türklopfer … Fehlanzeige.
Die schmalen eingelassenen Fenster gaben nichts preis. Zugestaubt, Gardinen aus Spinnweben. Auf einem war ein rotes Herz gemalt. War das Lippenstift? Nett.
Ich legte meine Hände auf die verschnörkelten Schnitzereien und drückte. Die Tür klackte, schwang nach innen. Das Quietschen hallte durch den leeren Flur, langgezogen und schrill – als wollte es meine Ankunft verkünden. Ich schluckte.
»Hallo?« Ich steckte den Kopf leicht über die Schwelle und lauschte. Irgendwo wummerte ein Bass. Es roch nach Patchouli, ich rümpfte die Nase. Immerhin tat die warme Luft gut, die mir entgegenstob. Umdrehen is nich’. Reiß dich zusammen.
Ich hob die zwei Kartons aus dem Anhänger meines Rollers, kämpfte mich durch den düsteren Flur. Verdammt schwer. Ich war gut in Form, so hatte ich zumindest gedacht, aber sperrige Kisten waren auch keine Hanteln. Mein Bein blieb an etwas hängen. Ich strauchelte. Eine Spinnwebe fing mein Gesicht und ich pustete sie hektisch weg. Eklig! Ich schaute mich um, nur das Licht der Straßenlaterne fiel durch die offene Tür. Ein verdammter Leinensack lag auf dem Boden, gefüllt mit … Ein Sandsack?
»Hallo?«, rief ich erneut. Oggi muss sich geirrt haben. Der Idiot hat mir die falsche Adresse gegeben.
Ganz hinten öffnete sich eine Tür und ein Lichtkegel wuchs in den Flur. Also ist hier jemand? Ich ging darauf zu. Das ist doch … Oh, nicht euer Ernst!
Ich starrte die Treppe hinunter, beleuchtet von Grablichtern und klassischen Kerzenständern, an denen das Wachs unzähliger Nächte hinunterlief. Menschenleer, doch das Wummern war lauter geworden. Bässe, Snares, elektronische Melodien. Nicht aggressiv. Ein hypnotischer Sound.
Die Arme wurden mir lang. »Das ist eigentlich echt nicht im Preis mit drin, hör’n Sie?!« Ich kämpfte mich die Treppe nach unten. Der Inhalt der Kartons klirrte, als ich sie endlich abstellte und versuchte zu Atem zu kommen.
Eine Frau lächelte mich durch einen Türspalt an und verschwand. Ich folgte ihr zögerlich.
Ein Gewölbekeller gefüllt mit schwarz gekleideten Menschen. Ein Kronleuchter hing von der Decke, reflektierte rotes Licht wie eine Diskokugel. Glassteine zitterten im Klang der Bässe, warfen kleine Spots auf die Menschen, die sich zu düsterer Musik wiegten. Hochtoupierte Haare, zerrissene Strumpfhosen in Boots, Herrenröcke mit glänzenden Silberknöpfen. Ein Mann in einem langen Rock tanzte selbstvergessen. Die Sonnenbrille auf seiner Nase schien zu unterstreichen, dass er sich an einem Ort befand, der nur ihm allein gehörte.
War ich schon mal hier? Ein Déjà-vu kribbelte mir im Nacken. Gott im Himmel. Direkt unter dem Kronleuchter tanzte die Frau aus dem Türspalt, deren schlichtes Outfit aus Boots, Hotpants und einem rückenfreien Shirt sie umschmeichelte. Ein Pentagramm war auf ihren Rücken tätowiert. Es zeigte nach unten. Ihr Haar wirkte flüssig, wie es ihren geschmeidigen Bewegungen folgte. Sie wiegte sich hin und her, die Augen geschlossen. Ihre ebenfalls tätowierten Arme schlängelten sich um ihren Körper, dann weit über ihren Kopf und zurück. Ich starrte wie gebannt.
Wie ein Vollidiot.
Die Frau blinzelte und senkte ruckartig ihre Arme. Sie sondierte mich vom Scheitel bis runter zu meinen Sneakern, ihre Iriden die gelben Augen einer wachsamen Katze. Kontaktlinsen. Wer’s mag …
Ich deutete hinter mich auf die Kartons, die noch immer im Vorraum standen. Sie nickte.
»Ich hab die Lieferung!«, rief ich, auch wenn man es bei der Lautstärke wohl kaum hörte, und stopfte mir das blaue Hemd zurück in die Jeans. Ich holte die Kartons, drängelte mich damit durch die Tanzenden. Rüschen streiften meinen Arm, kitzelten meine Haut. Unter einer Kapuze blitzten mir empörte Augen entgegen, als ich ihren Träger anrempelte. »Verzeihung«, murmelte ich, auch wenn er es nicht hörte. Die Frau griff meinen Ärmel, zog mich aus dem Gedränge. Ein kleines Schild über ihrer Brust verriet ihren Namen. Succu. Sie zeigte Richtung Bar und tänzelte galant bis hinter den Tresen.
Ächzend stellte ich die Kartons ab und massierte mir die malträtierten Finger und Handgelenke.
Die Bar lag in einer Nische, was die Lautstärke dämpfte.
»Schau mal, ob alles da ist«, rief ich ihr zu. Sollte ich sie siezen? Keine Ahnung.
»Nett hier«, sagte ich stattdessen.
Ihre Nägel trommelten zum Takt der Musik auf dem alten Holz, das uns trennte.
Gott, was für Nägel. Lang und schwarz lackiert. Feine weiße Kreise und Wirbel waren darauf gemalt. Edle Raubtiernägel, so glatt poliert, dass sie in der Beleuchtung glänzten. Ich starrte darauf wie eine Elster auf funkelnden Schmuck. Sie hielt inne, kratzte leicht übers Holz. Ich schluckte.
Reiß dich zusammen.
Sie lächelte. Guter Gott! Ich zuckte zurück. Ihre Zähne hatte sie sich allesamt spitzgefeilt. Warum hatte sie das getan? Dabei war ihr Gesicht echt schön. Eine Elfe.
»Findest du mich hässlich?«, fragte sie und lächelte etwas giftiger.
»Nein, nicht hässlich … ungewöhnlich.« Ich zeigte mit beiden Händen auf mich, breitete sie dann aus. »Gewöhnlicher Typ, weißt du?«
Succu lachte und wieder klackten ihre Fingernägel auf den Tresen und brachten etwas in mir zum Vibrieren. Sie nickte in Richtung des Barhockers, ich zögerte nicht und setzte mich.
»Deine Tattoos, die sind schön. Und deine Nägel haben das gleiche Muster, richtig?«
»Wie aufmerksam.« Sie widmete sich dem Karton, doch ließ den Blick nicht von mir, während sie das Klebeband mit dem Daumennagel durchschnitt.
Flasche um Flasche eines grünen Gesöffs fand seinen Platz. Absinth in edlen Flaschen. Alles dieselbe Sorte. Sie wirkten verloren in dem ansonsten leeren Regal in Form hoher Kathedralenfenster.
»Seltsame Bar, mit nur einem Getränk«, sagte ich und hatte es plötzlich gar nicht mehr eilig zu gehen. Sie drehte sich zu mir um.
»Die Leute kommen nur dafür. Für meinen Cocktail. Den allerbesten.«
»Eine Zutat macht noch keinen Cocktail.« Ich lachte auf. Sie nicht. Sie musterte mich wieder mit diesem Blick, der genauso interessiert wie abfällig wirkte. Beiläufig fuhr sie sich mit dem Zeigefinger über die Lippen. Ihre Nägel passten so perfekt zu ihrem Lippenstift …
»Also, was treibt dich in diesen Keller?«, unterbrach sie meine Gedanken.
Ich schluckte, brauchte einen Moment, um ihre Frage zu verstehen.
»Bin Student, Germanistik. Aber läuft grad nicht so.«
Sie hob die Augenbrauen.
»Hab Mist gebaut und brauchte den Job«, ergänzte ich und nestelte an dem Namenschild von »Oggis exklusiv Getränkeservice«.
»So schlimm?«
»Noch schlimmer.«
Sie stützte die Ellenbogen auf und legte ihren Kopf auf den Handflächen ab. Ihre Krallenfinger bildeten einen teuflischen Kelch um ihr Gesicht.
»Ich weiß, was für junge Männer Oggi einstellt. Brauchst nicht drum rumreden, also, was hast du angestellt? Drogen? Schlägerei?«
Ich roch ihr Parfum. Rosen und … Opium? Ich beugte mich etwas vor, nur ganz leicht. »Nichts Großes, wirklich. Ich bin kein Badboy oder sowas.«
Sie legte den Kopf leicht schief, fixierte mich hartnäckig.
»Ein Gefallen, für einen guten Freund«, fuhr ich fort. »Hat sich von den falschen Leuten Geld geliehen, der Idiot. Er wollte am Hafen einen der Container aufbrechen. Einen aus China mit Tablets und allem. Ich hab nur Schmiere gestanden.«
»Und wie ging’s aus?« Ihre Augen wurden ganz groß.
»Ein Wachmann mit Taschenlampe, zwei Idioten, die über ihre eigenen Füße stolperten bei der Flucht, und … die Überstunden schiebende Sekretärin. Tauchte plötzlich vor uns auf zwischen den Containern mit ihrem roten Lederhandtäschchen, und was war drin? Mein Kumpel hat Pfefferspray abbekommen, mich hat sie einfach getasert. Getasert! Das is’ nicht mal erlaubt.«
Ihre glänzenden Lippen teilten sich in Erstaunen. Zeigten diese spitzen Zähne, dennoch perfekt weiß. Warum erzählte ich ihr das bloß? Ich fuhr mir nervös durchs Haar. »Jedenfalls … der Richter meinte, es wäre Knast fällig, wenn nicht alles stimmt. Also Wohnsitz, Umfeld, Job und das alles. Und vorm Gericht hat mir so ein Kerl Oggis Visitenkarte gegeben, als hätt’ er auf mich gelauert. So kam ich auf deinen Barhocker.« Sie stellte zwei Pinnchen auf den Tresen, goss uns beiden einen klaren Schnaps ein. Also gab’s hier doch noch was anderes. Ich kippte den Klaren herunter, hustete leicht. »Und du? Wie kommt eine Frau wie du in so einen düsteren Keller?«
Ihr Blick verfinsterte sich. Idiot.
»Ist mein Club.« Sie setzte den Daumennagel an den zweiten Karton, glitt langsam über den Klebestreifen und trennte ihn vorsichtig auf.
»Ziemlich versteckt, dein Club.«
»Ich habe nur selten geöffnet. Ein exklusiver Abend.« Sie sortierte Absinthgläser auf einem Silbertablett.
»Gothic, oder? Konnt ich früher auch was mit anfangen.«
Sie warf mir einen strengen Blick zu.
»Du bist spät, hättest fast die Veranstaltung ruiniert«, sagte sie scharf. »Ich werd’ Oggi schreiben. Wenn seine Leute nicht pünktlich sind, kann er das nächste Mal selbst kommen.«
Panik kroch in mir hoch. »Bitte sag ihm nichts. Mein Handy, das Internet … Ich konnte die Route …«
»Halt die Kappe!« Ihr eisiger Blick ließ mich auf dem Barhocker zusammensacken. Wieder kribbelte es mir im Nacken, genau wie damals am Hafen. Eine vage Vermutung … Was zur Hölle? Ich schaute irritiert hinter mich. Wo war die Tür? Nur blanke Backsteinwand, wo ich glaubte, den Club betreten zu haben. Eine Sitzgruppe fiel mir ins Auge, blitzte in den Lücken zwischen den Tanzenden auf. Leere Schnapsgläschen. Bunte Cocktails mit blutroten Schirmchen. Eine junge Frau mit blaugefärbtem Haar. Das konnte unmöglich …
»Hey!«, zischte Succu. »Starr meine Gäste nicht an.«