Covrutân - Erik Schreiber - E-Book

Covrutân E-Book

Erik Schreiber

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Beschreibung

In einem abgelegenen Tal macht sich ein Wissenschaftlerteam daran, die Grenzen der Lichtgeschwindigkeit zu übertreten und den Raumschiffantrieb zu revolutionieren. Doch unterschiedliche menschliche und nichtmenschliche Interessengruppen stören die Forschung.

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Seitenzahl: 298

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alfred Ph. König

Covrutân

Saphir im Stahl

e-book 294

Alfred Ph. König - Covrutân

Erscheinungstermin: 01.06.2025

© Verlag Saphir im Stahl

Herausgeber Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Igor Shaganov

Lektorat: Saphir im Stahl

Vertrieb: neobooks

ALFRED PH. KÖNIG

Fortführung von: Die Galaxis steht offen

1

Die Galaxis stand offen.

Im Barren Forest Institute (BFI) überwand man die Lichtbarriere, lernte die Gravitation zu beherrschen, entwickelte die überlichtschnelle Raumfahrt und erfand die wellenunabhängige Kommunikation. Die Physik des 22. Jahrhunderts wurde durch die Experimente mit dem kosmischen Ausdehnungszustand auf neue Grundlagen gestellt.

Schon seit den ersten Versuchen dazu war die galaktische Zivilisation der Covrutân auf die Entwicklungen im Solarsystem aufmerksam geworden. Kontakte in die Weite der Galaxis hinein entstanden, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Menschen zur covrutanischen Heimatwelt aufmachten.

*

Die Gästeführung begann.

Präsentiert würden jene Labore des BFI, in denen die Grundlagen der interstellaren Raumfahrt entwickelt worden waren, und außerdem, mit Spannung erwartet, Informationen zu den Covrutân.

Man betrat einen Vorführraum mit holografischen Projektionen. Dort sollte das Meiste gezeigt und erklärt werden, denn die Besuchsgruppe würde man anschließend nicht direkt in die Labore lassen, sondern hatte deren Räume mit separaten Gängen versehen, abgetrennt durch Glaswände, die einen Blick von außen in die Arbeitsbereiche ermöglichten. Grund war, dass Experimente stattfanden, die durch flanierendes Publikum gestört würden.

Die Gästeführerin berichtete vom derzeit wichtigsten Projekt: „Jetzt, zur gleichen Zeit, sind zwei Institutsangehörige zu einem Besuch auf Covrutân unterwegs. Der Name ›Covrutân‹ ist Ihnen sicher bereits geläufig; er bezeichnet sowohl den Planeten wie auch seine Bewohner. Es gibt keine Verwechslungen, da der Planetenname keinen Artikel trägt, wohl aber die Covrutân selbst. Man sagt in der Übernahme aus dem Covrutanischen ein oder eine Covrutân. Mehrere Covrutân ohne bestimmten Artikel erkennt man im Satz.“ Die Referentin flocht ein: „Auf Covrutân leben Covrutân – ganz einfach, wie Sie hören.“

„Ist es schon möglich, Näheres über den Planeten mitzuteilen, oder liegen noch keine Hinweise vor?“, fragte eine Teilnehmerin.

„Recht Ausführliche sogar! Zum Planeten haben uns die Covrutân umfangreiche Informationen zur Verfügung gestellt. Zur covrutanischen Gesellschaft wissen wir dagegen weniger. Wir erhoffen uns Aufschlüsse aus der derzeitigen Mission.“

Die Vortragende rief eine Projektion von Covrutân auf. Die Aufnahme erinnerte entfernt an den Mars, aber auf den zweiten Blick waren Meere und Seen erkennbar. „Der Planet kreist 564 Lichtjahre von uns entfernt um den Stern Kepler-10, den die Covrutân ›Cov‹ nennen – und davon auch ihren Planetennamen ableiten. Übertragen auf uns, würde die Erde ›Land unter der Sonne‹ heißen. Covrutân ist nur wenig kleiner als die Erde und besitzt eine Atmosphäre, die ungefähr der unserer Hochgebirge entspricht.“

Das seien nahezu erdähnliche Bedingungen, warf jemand ein.

„Ja, und doch wieder nicht ganz. Covrutân besitzt weniger Wasser als die Erde. Dennoch lässt er sich nicht als Wüstenplanet bezeichnen; die dortige Umwelt ist eingestellt auf die geringen Wasservorkommen – übrigens sehr salzarmes Wasser. Es gibt starke periodische Nebelbildungen. Dies hat zur Folge, dass die Chlorophyllbildung erschwert wird, denn die direkte Lichteinstrahlung wird häufig gedämpft. Zudem ist Covrutân weiter von Cov entfernt als die Erde von der Sonne und wird schwächer bestrahlt.“

Die Vortragende blendete eine weitere Abbildung ein, diesmal aus größerer Nähe zum Planeten. Deutlich traten die Wasseroberflächen hervor. „Ich möchte Ihnen einige Daten nennen. Das Jahr auf Covrutân umfasst 464 Tage, was 493 Erdtagen entspricht. Ein Trabant mit Namen ›Soûr‹ von der Größe unseres Mondes umrundet den Planeten in etwas mehr als 46 Covrutân-Tagen. Das covrutanische Jahr umfasst ziemlich genau zehn Soûr-Zyklen. Soûr besitzt zwei kleine, in geringen Höhen kreisende natürliche Satelliten. Sie sind nicht sehr groß, aber vom Planeten aus gut sichtbar.“

„Die Monde des Mondes!“

„So könnte man sagen. Der covrutanische Tag beträgt 25,5 Erdstunden und wird entsprechend der Fingerzahl der Covrutân in zwölf Stunden zu je 2,125 Erdstunden und diese wiederum in Stundensechstel von etwas mehr als 21 Minuten eingeteilt.“

Die nächste Projektion wurde angekündigt. „Wir kommen zum Aussehen der Covrutân. Wir zeigen Sie unseren Besuchern und Besucherinnen exklusiv und erlauben keine Aufnahmen während der Führung. Ihre visuellen Aufnahmegeräte haben Sie zu Beginn der Führung abgegeben. Vielen Dank. Wer sein Gerät aus Versehen behalten hat, bringe es bitte vor die Tür. Dort steht ein Korb. Ich mache darauf aufmerksam, dass eine Schranke automatisch alle Fotos beim Verlassen dieses Raums löscht, auch jene, die sich sonst auf Ihren Geräten befinden.“

Ob man sich dadurch die Rechte für eine eventuelle Vermarktung vorbehalten wolle?

„Nein. Das Institut finanziert sich aus anderen Mitteln. Dies geschieht aus Sicherheitsgründen, da der Kontakt mit den Covrutân nicht unumstritten ist. Doch weiter! Die Haut der Covrutân ist blass grünlich, und sie sind haarlos. Zwei leicht erhabene, im Nacken beginnende, über den Kopf laufende Wülste münden in eine menschenähnliche Nase und vereinigen sich zu einer einzelnen Öffnung. Sie haben vier Finger an jeder Hand, dazu zwei Daumen.“

Die Vortragende öffnete ein Bild, das einen oder eine Covrutân zeigte. „Nun weiter zum Aussehen der Covrutân. Ihre Körpergröße variiert im selben Maß wie bei Menschen. Die beiden Kopfwülste haben einen halbrunden Querschnitt mit einem maximalen Radius von fünf Millimetern. Sie sind Sinnesorgane. Die Covrutân können mit ihnen in einem noch nicht erforschten Umfang elektromagnetische Wellen erfassen. Die Augen schließen sich, indem deren umgebende Gesichtshaut sich wenige Male pro Minute rund zusammenzieht. Die Ohren sind Öffnungen ohne Ohrmuscheln, sitzen aber an derselben Stelle wie bei Menschen. Statt Einzelzähnen haben sie eine obere und untere Leiste, die, von weitem betrachtet, menschlichen Zahnreihen ähneln.“

Sie sähen aus wie als Außerirdische verkleidete Menschen, stellte jemand fest.

„Im direkten Kontakt werden aber auch Abweichungen deutlich. Ihr Mund öffnet und schließt sich beim Sprechen in vergleichbarer Weise wie die Augen. Das ergibt a-o-u-Laute in verschiedenen Färbungen, dazu ein enges u, das in der Übertragung als w wiedergeben wird, jedoch keine e-i-Laute. Soviel zu den Covrutân und ihrem Planeten. Ich bitte Sie, mir weiter auf das Gelände des Instituts zu folgen.“

2

Seit den ersten Flügen des Raumschiffs Surpasser hatte man im Barren Forest Institute wesentliche Fortschritte gemacht, was die Verkürzung der Flugdauer betraf. Hätte aufgrund der ersten Versuche ein Flug nach Covrutân vier Wochen beansprucht, waren insbesondere die Phasen von Beschleunigung und Drosselung der für den Antrieb aufgebauten Kaskade wesentlich verkürzt worden. Möglich wurde dies, weil die Arbeiten des Instituts zunehmend unterstützt wurden von Entwicklungen anderer Forschungsstätten und Universitäten des solaren Raums. Auch die unter besonderen Bedingungen möglichen Experimente auf Mond, Mars und der orbitalen Station um Ceres wurden einbezogen. Das zunächst von einer einzelnen Einrichtung begonnene Projekt war nach und nach im gesamten Solarsystem aufgegriffen worden.

Sein Zentrum lag aber nach wie vor im Barren Forest Institute.

*

… Lichtjahre entfernt in der Galaxis: Cov war kein Lichtpunkt mehr unter anderen Sternen. Nach einwöchiger Reise näherte sich die Surpasser Covrutân.

„Man ruft uns“, informierte Bariga seinen Reisegenossen Kandt.

Der Translator übermittelte eigenartige Sätze. „Haben in Erfassung unter Glanz. Halten bereit für Ankommen.“ Die Surpasser wurde vorerst in eine Näherungsparabel eingewiesen, denn das Schiff reagierte nicht reibungslos auf die covrutanische Technik.

Nach der Landung gingen Kandt und Bariga von Bord. Sie hielten ihre Helme geschlossen. Die atmosphärischen Bedingungen auf Covrutân hatten sie vor der Reise zwar trainiert, aber sie wollten bis zur Erledigung der Formalitäten nicht von Schwindelgefühlen behelligt werden.

Sie kamen zum Terminal. Zwei Bedienstete traten auf sie zu, gaben Zeichen und führten sie zu einem gesonderten Bereich. Dort wartete ein Covrutân, aus dessen Translator eine fremd klingende Stimme in die Helmlautsprecher drang. „Haben anzugeben? Akustische Speicherungen? Optische Träger? Schriftliche Erzeugnisse?“

Man verneinte.

„Dürfen passieren.“

Sie gingen weiter. Bariga wunderte sich. „Wäre nicht ein bisschen mehr Respekt angebracht, Viktor? Vor uns war schließlich noch niemand aus dem Solarsystem hier!“

„Es sind wir, die entdeckt worden sind, nicht umgekehrt. Weil wir über Licht geflogen sind. Eine weitere Zivilisation in der Galaxis. Das ist alles aus Sicht der Covrutân.“

„Aufbruch in die Weiten der Galaxis! Und dann stehen wir vor einem Beamten. Der hat auch noch zwölf Finger statt zehn, um unser Gepäck zu durchwühlen.“

„Hat er doch gar nicht. Er hat ganz höflich gefragt.“

Ein Covrutân kam auf sie zu und kreiste mit dem Kopf. „Vasûr twlâr.“ Dann begann sein Translator zu arbeiten. „Ich begrüße Sie im Namen des Regierenden Rates unumwunden. Man erhofft, Sie herzlich wie auch immer auf dem Ursprung der covrutanischen Zivilisation willkommen zu heißen … meinen … sollen. Bitte zu folgen.“

Mit einem, ihnen als Zeichen der Bestätigung inzwischen geläufigen, leicht kreisenden Nicken schlossen sich Kandt und Bariga der Einladung an. Sie wurden durch mehrere Korridore geführt und gelangten zu einem Büro.

„Schau mal, wer da ist!“, sagte Bariga leise.

„Parucûn [Kapitän] Lovâcul!“, erkannte auch Kandt den Covrutân. „Schön, Sie zu treffen!“

Lovâcul benutzte eine bessere Übersetzungsmatrix, wenngleich auch sie Tücken aufwies: „Vasûr twlâr. Unsere Wege kreuzen sich offensichtlich öfter. Der Regierende Rat hat mich beauftragt, mit Ihnen in Kontakt zu treten, zu bleiben, zu sein oder so … entschuldigen, Moment, was ist … wie das … so zu machen“, unterbrach er sich und bediente ein Tastenfeld, „… mit Ihnen in Kontakt zu treten. Jedenfalls also. Wir haben die Koordinaten unseres Heimatplaneten übermittelt, weil wir denken, dass von Ihnen keine Gefahr droht. Das ist wegen Ihrer geringeren Entwicklung. Sie verstehen?“

„Ja. Schon. Wenn wir uns Mühe geben. So als geringer Entwickelte“, antwortete Bariga.

Der Parucûn stülpte seinen Mund nach vorne und ließ ein rhythmisches Geräusch entweichen. „Sie sind mir einer! Sagt man? Zur Sache aber jedoch wenn auch. Wir versprechen uns Hilfe von Ihnen.“

„Von uns?“, fragte Kandt. „Schwer vorstellbar. Auf der Erde haben ein paar Leute gerade den Kaskadenflug geschafft. Wir sitzen auf unserem Planeten wie seit Jahrzehntausenden, die Evolution davor nicht mitgerechnet, haben vor kosmisch kurzer Zeit das Metallschmelzen gelernt, die Schrift erfunden und wirkungsvolle Methoden, einander umzubringen. Schließlich die Elektrizität und den Rechner. Das war’s. Was könnten wir Ihnen schon nützen?“

„Mit nichts, was Technik betrifft.“

„Mit Sicherheit“, bestätigte Bariga. „Aber auch sonst haben wir Ihnen wenig zu bieten.“

„Ist nicht richtig so festzustellen. Ihr Volk verfügt über ausgeprägte Impulse. Primitiv und faszinierend.“

„Möglicherweise“, entgegnete Kandt. „Aber wir geben uns Mühe und sind dabei, das in zivilisiertere Bahnen zu lenken. Vielleicht wartet Covrutân noch ein wenig, ehe es um Hilfe bittet.“

„Eine Zivilisation kann irgendwann stagnieren. Wissen Sie, – ›wissen Sie‹ sagt man doch auf San.3, wenn man einen neuen Gedanken einleitet, von dem eigentlich niemand etwas wissen kann, weil er ja neu ist?“ Sie hörten wieder das rhythmische Geräusch. „Wissen Sie, die Covrutân sind aufgrund zurückliegender Beschlüsse früherer Regierungen ein Volk vernünftiger Wesen geworden, rational handelnd in allen seinen Lebensbereichen.“

„Das ist an und für sich zu begrüßen“, kommentierte Kandt höflich.

Lovâcul machte eine unbestimmbare Geste. „Aber wo bleibt das Irrationale? Der Impuls? Das noch nicht Gedachte? Das Innovative? Die Faszination des Neuen? Covrutân wird noch unter seiner Vernünftigkeit zusammenbrechen!“

„Haben Sie Ihren Translator mit einem Rhetorikprogramm ausgestattet?“, fragte Bariga.

Lovâcul spreizte seine Daumen und schwieg eine Weile. „Peinlich zu sagen. Habe mich gehen lassen.“

„Hätte ein Lob sein sollen. Das gäbe eine Ansprache im Parlament ab oder etwas in dieser Art.“

Lovâcul schaute Kandt und Bariga still an, als wäge er etwas ab. Dann sagte er: „Ich stelle Sie einigen Leuten vor.“

*

Lovâcul ging voraus. Kandt und Bariga blieben in ihren Druckanzügen, die für ihren Aufenthalt entworfen worden waren und die Bewegung nur wenig behinderten. Einige Gänge und Fluchten weiter betraten sie einen Raum, der offensichtlich Besprechungen diente. Lovâcul schloss die Tür, ging zur Wand und betätigte dort Kontaktflächen. „Bitte nehmen Sie Platz, soweit es Ihnen bequem ist in den Anzügen. Ich stelle eine Atmosphäre her, die in Druckniveau und Sauerstoffanteil einen Kompromiss bietet zwischen San.3 und Covrutân. Es dauert nicht lange.“

In den folgenden Minuten erkundigte sich Lovâcul nach dem Flug und ähnlichen Dingen. Kandt und Bariga setzten sich und überbrückten den sich entspinnenden Smalltalk so elegant wie möglich, bis Lovâcul mitteilte, dass sie ihre Helme öffnen könnten.

Die Luft entwich mit einem leisen Pfeifen aus dem Spalt am Hals. „Mir wird schwindlig. Ein Glück, dass wir sitzen“, sagte Bariga.

„Nehmen sie diese Atemhilfen!“ Lovâcul reichte zwei kleine Apparate. „Ich habe sie eigens anfertigen lassen. Ihre Nasenform gleicht der unseren nur bedingt.“

„Vielen Dank“, antwortete Kandt und betrachtete die Vorrichtung. „Praktisch.“

Lovâcul erläuterte, wie das kleine Sauerstoffaggregat am Körper befestigt werden konnte. „Ein Sauerstoffvorrat ist nicht notwendig, weil die Umgebungsluft gewandelt wird. Die Energieversorgung reicht für einen Monat sanarer … solarer Rechnung.“

„Bleibt der niedrigere Druck“, sagte Bariga. „Ich denke aber, daran gewöhnen wir uns.“

„Bestimmt. Nehmen Sie außerdem diese passiven Ohrtranslatoren hier“, bot Lovâcul weiterhin an. „Dann können wir uns besser als mit Lautsprechern unterhalten.“

„Was ich vorhin andeutete“, kam Lovâcul zum Thema: „Auf Covrutân gibt es seit etwa einem halben Jahrhundert Ihrer Zeitrechnung das Tûdol-Movâr.“

Der Translator übersetzte etwas zeitversetzt den Begriff als ›Kunstverbot‹. Lovâcul erklärte: „Es handelt sich um das Gesetz der Großen Ratsversammlung, alle Tätigkeiten, die nicht dem Broterwerb, der Lebenssicherung oder der elementaren Triebbefriedigung dienen, zu untersagen. Alles, was Sie auf San.3 … der Erde als ›Kunst‹ bezeichnen, ist unter Strafe gestellt.“

„Aus welchem Grund?“, fragte Kandt.

„Ursprünglich wohl aus einem religiösen. Aber das ist in den Hintergrund getreten. Als das Verbot erlassen wurde, hatte eine Fraktion in der Großen Ratsversammlung das Sagen, die eine postmortale Existenz nur dann gewährleistet sah, wenn auf Dinge, die uns an das diesseitige Leben binden, verzichtet würde.“

„Dann auch auf Sexualität?“, fragte Bariga. „So etwas gab es auf der Erde einmal. Zumindest für bestimmte Gruppen.“

„Nein. Sexuelle Triebe dienen der Fortpflanzung und beschäftigen außer ihrer jeweiligen Stillung nicht weiter. Eine darüber hinausgehende Kultivierung ist auf Covrutân unbekannt.“

„Auf Erotik legt man keinen Wert?“, erkundigte sich Bariga.

Lovâcul schien auf etwas zu lauschen. „Mit der Lautbildung und Bedeutung kommt der Translator nicht zurecht. Aber was es auch bedeutet: Man ist gemäß dem Tûdol-Movâr der Auffassung, Künste oder andere sinnfreie, rein die Zeit vertreibende Tätigkeiten beanspruchten unter Umständen eine dauerhafte Aufmerksamkeit und lenkten von Wichtigerem ab.“

„Was hätten wir damit zu tun?“, fragte Kandt.

„Das Wissen um Dichtung, Malerei, Musik und so weiter droht verloren zu gehen“, antwortete Lovâcul. „Deshalb hat sich eine Bewegung gebildet, welche die Aufhebung des Tûdol-Movâr erreichen will. Dabei könnten Sie helfen.“

Bariga hob hilflos die Arme. „Ich höre Musik und spiele ein Instrument – ein bisschen jedenfalls. Ein Gedicht habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Malen kann ich überhaupt nicht. Wir sind die Falschen.“

„Aber Sie sind der Beweis für eine vitale Kultur, die im Begriff ist, die galaktische Bühne zu betreten – der Beweis, dass kreative Tätigkeiten keineswegs eine Kultur beschädigen, sondern im Gegenteil beflügeln.“

Kandt beschäftigte eine Frage. „Ihre Translatoren leisten wirklich Erstaunliches. Das können doch nur Covrutân entwickelt haben, die kreativ sind – trotz des Tûdol-Movâr.“

Lovâcul kreiste mit dem Kopf. „Eben dies wollen wir erhalten, solange es noch nicht zu spät ist. – Wir beginnen uns zu verstehen. Aber nun bitte ich Sie, mir zu folgen. Wir fliegen zu einem Kloster.“

„Ein seltsamer Ort für eine erste Besichtigung von Covrutân“, sagte Bariga. „Worum geht es dort?“

„Sie werden es schon bald erfahren.“

*

Der Schweber zog seine Bahn knapp oberhalb der Baumkronen. Weit ausladende Äste ließen das Licht zu den Blättern dringen, um auf so viele Strahlen Covs wie möglich in Chlorophyll zu wandeln. Die rauen Blattoberflächen, erklärte Lovâcul, nähmen optimal den Dunst auf. Dass der Planet von weitem dem Mars ähnele, sei darauf zurückzuführen, dass es weniger geschlossenen Bewuchs wie auf der Erde gebe, wie etwa dichte Wälder. Die Pflanzen ständen in größeren Abständen voneinander.

Die Tiergruppe, die Insekten auf San.3 entspräche, besitze vier Beine, aber ähnlich gebaute Flügel. Vögel gebe es nicht, aber schuppige Hautgleiter. Sie würden nicht so groß wie auf der Erde, da die Luft weniger dicht sei und geringeren Widerstand für die Flügel böte. Außerdem wirke sich die Thermik weniger aus. Die Meere seien flach, salzarm und mit nur wenigen Tierarten bevölkert. Sie stünden unter der festen Oberfläche in untergründigen Flüssen miteinander in Verbindung. Da die Landmassen alle zusammenhingen, zum Teil über schmale Verbindungen, hätten sich aufgrund unbeschränkter Wege große Pflanzenfresser entwickelt, die auf ausgedehnten Wanderungen genug Futter fänden. Die covrutanischen Städte seien so angelegt, dass sie von diesen sich nur schwerfällig bewegenden Giganten nicht erreicht werden könnten, nämlich auf Hochplateaus oder auch in Senken mit sie umgebenden Gebirgsgürteln. Die Großstädte würden weiträumig von aufgeworfenen Wällen und umlaufenden ebenen Gürteln geschützt.

Lovâcul interessierte sich offensichtlich für die covrutanische Biologie und erzählte ausführlich. Kandt und Bariga gewannen den Eindruck, dass er vermeiden wollte, auf den Zweck der Reise angesprochen zu werden, und unterließen Zwischenfragen.

*

Nach etwa einer Stunde terrestrischer Zeit setzte der Schweber am Fuß einer Anhöhe auf. Lovâcul erklärte, dass sie aussteigen und den Rest des Weges zu Fuß gehen müssten. Eine Landung direkt beim Kloster sei nicht erwünscht.

Kandt und Bariga trugen ihre Atemhilfen und kamen mit dem geringen Druck zurecht, aber spürten dennoch die Anstrengung. Es ging bergauf einem Kamm entgegen. Lovâcul marschierte einige Meter vor ihnen. Oben blieb er stehen, drehte sich ihnen zu und winkte.

Schwer atmend schlossen sie zu ihm auf und blickten, oben angekommen, in das weite Rund eines Talkessels mit abfallenden, glatten Wänden, die unten in eine ebene Fläche ausliefen, in deren Mitte ein mehrstöckiges Gebäude mit einem runden, spitz zulaufenden, schwach geneigten Dach stand. Vor ihnen schlängelte sich ein Weg hinunter. Wie sie erkennen konnten, endete er vor einem Portal.

„Ein so großes Haus in dieser einsamen Gegend?“, wunderte sich Kandt. „Was ist der Grund dafür?“

„Sehen Sie die Kanäle an den Abhängen?“, wich Lovâcul aus. „Sie laufen nicht senkrecht nach unten, sondern in einem Winkel zu den Talwänden. Darin fängt sich der Dunst und kondensiert zu Wasser. Es wird unten in Zisternen aufgefangen. Das Kloster ist eines der Zentren des Großen Synkretismus – der Zusammenschau aller religiösen Kulte auf Covrutân.“

Bariga fragte: „Befinden wir uns gerade in einer touristischen Führung?“

„Ich werde es im Kloster erklären.“

Mehr war aus Lovâcul nicht herauszubekommen. Der Abstieg dauert länger als es von oben den Anschein gehabt hatte, und die dünne Luft verstärkte die Anstrengung. Schließlich standen sie vor einer Pforte mit einem darüber angebrachten, antik anmutenden Schild.

„Da oben steht …“, antwortete Lovâcul. Die Translatoren stockten kurzzeitig. Bariga und Kandt hörten unübersetzt „Ûlwd-Fanôr“.

Lovâcul bemerkte den Hänger der Technik. „Altes Covrutân. Wird noch als Kultsprache verwendet. Das Wort bedeutet ›Lebensquell‹.“

„Lebensquell – eine blumige Bezeichnung für diese karge Gegend“, wunderte sich Kandt.

„Ich gebe Ihnen recht. Ohne Zisterne wäre ein Leben in der Region nicht möglich. Sie ist der Quell, von dem die Rede ist. Wir befinden uns in einer einsamen, weil dunstarmen Zone. Jeder aufgefangene Tropfen zählt.“

„Ist die Einsamkeit auch der Grund, weswegen wir hergekommen sind?“, fragte Kandt.

Ehe Lovâcul antworten konnte, öffnete sich eine kleine ins Portal eingefügte Tür. Ein Covrutân in bräunlicher Kutte trat heraus. „Wir haben Sie kommen sehen, Parucûn. Der Ruqsôq erwartet sie.“

Sie betraten ein Atrium, wo der Mönch – oder was das für einer ist, Viktor – sie durch eine daraus abgehende Tür in einen Raum führte, und um einige Augenblicke Geduld bat.

*

Wenig später betrat ein kleiner Covrutân, offenkundig in ehrwürdigem Alter stehend, das Zimmer und grüßte mit gespreizten Daumen: „Tânsog dûgwf nurâ hon hôcwd lasulrôs …“, wurde aber von Lovâcul höflich unterbrochen. „Entschuldigt bitte, ehrwürdiger Ruqsôq, aber die Translatoren unser Gäste übertragen Kultcovrutân nicht.“

Der Ruqsôq wechselte ins moderne Covrutân. „Wie konnte ich so töricht sein! Sehen Sie es einem betagten Grübler nach, dass er der Gegebenheiten des Technischen nicht immer gewärtig ist. Nun also und nicht weniger entgegenkommend grüße ich Sie! Was führt Sie zu uns? Ihre Namen wurden uns übermittelt und dass sie vom Planeten San.3 kommen. Leider ist mir nicht geläufig, wo in der Galaxis dies sein könnte, aber das soll unserer Begegnung keinen Abbruch tun. Vielleicht sind Sie so freundlich, Parucûn Lovâcul, und berichten mir Einzelheiten – vor allem auch, weswegen Sie uns besuchen?“

Lovâcul bedankte sich für den Empfang, erläuterte die Situation, stellte seine Begleiter vor und blickte vielsagend zum Ruqsôq. „Im sanaren System gibt es kein Kunstverbot.“

Der Ruqsôq schaute Kandt und Bariga prüfend an und nahm seine Hände nachdenklich zur Vierdaumengeste zusammen. „Das gibt es außerhalb der covrutanischen Einflusssphäre öfter.“

Der Parucûn schilderte, wie es zum Kontakt mit der Erde gekommen war und endete: „Nähere Aufschlüsse besitzt zwar die Dienstbesatzung meines Schiffs, aber für die besonderen Eigenschaften der Sanaren interessiert man sich bei uns nicht. Das könnte von Vorteil sein.“

„Gehen wir doch in die hinteren Räume! Bitte, Kandt Con und Bar’ga Con! Sie sind herzlich eingeladen.“

Der Ruqsôq spreizte die rechten Daumen zu einem V und wies zu einer weiterführenden Tür. Sie mündete in einen großen Raum. Ein weiteres, kleineres Atrium.

Der Ruqsôq ging zielstrebig auf eine Tür zu. Sie betraten ein mit Gerätschaften vollgestelltes Zimmer. Ein in seine Arbeit versunkener Covrutân umfing mit beiden Händen einen Balken mit Knöpfen, Tasten und Feldern, vorne die vier Finger, hinten die beiden Daumen. Er blickte konzentriert auf einen Schirm, lauschte auf leise Töne, als schien er etwas zu komponieren. Sie hörten Wiederholungen und Korrekturen.

Der Ruqsôq wartete, bis der Komponist eine Pause einlegte und stellte ihm die Gäste vor. Danach erklärte er: „Wir versuchen im Schutz des Großen Synkretismus das Kunstschaffen vergangener Generationen am Leben zu erhalten. Das ist nicht einfach, denn vieles an Wissen, das an den Kunstwerken selbst nicht ablesbar ist, insbesondere die handwerklichen Fertigkeiten zu ihrer Herstellung, sind verloren gegangen. Sie können auch aus Aufzeichnungen nicht rekonstruiert werden. Râgutwp Con arbeitet gerade an einem kleinen Stück.“

Der covrutanische Komponist erhob sich, befestigte den von Lovâcul mitgebrachten passiven Translator über seinem Ohr und zeigte Kandt ein Blatt mit Zeilen einer Notenschrift, wie sie früher, so sagte er, vor dem Kunstverbot, in Gebrauch gewesen sei. „Der Beginn eines eigenen kleinen Werkes für ein Instrument, das mehrere Töne zugleich erzeugen kann.“

„Mach du!“, gab Kandt an Bariga weiter. „Mit Musik hatte ich noch nicht viel zu tun.“

Bariga warf einen kurzen Blick auf die Notation. „Ich vermute Tonhöhenzeichen und rhythmische Einteilungen, zum Teil mehrstimmig“, sagte er und wandte sich zu Râgutwp. „Stücke für ähnliche Instrumente gibt es auch auf der Erde. Sie heißen Orgeln.“

„Sie wecken meine Neugier. Haben Sie Tonaufnahmen davon?“

„Wir können welche besorgen. Den richtigen Eindruck erhalten Sie aber nur, wenn Sie ein solches Instrument im Original hören.“

„Dazu müsste ich mich an die Umweltverhältnisse auf San.3 gewöhnen. Aber dennoch vielen Dank!“, antwortete Râgutwp höflich.

Sie verabschiedeten sich. Der Ruqsôq bat sie, schon vorauszugehen; er wolle noch etwas besprechen.

„Woher weißt du diese Dinge über Musik?“, fragte Kandt, als sie ein paar Schritte entfernt waren. „Seit wir uns kennen, hast du nie etwas davon erzählt.“

„Das liegt hinter mir. Als Schüler habe ich mit Freunden Musik gemacht. Wir fanden uns genial.“

Sie kamen zum Eingangsbereich und warteten auf den Ruqsôq.

*

Plötzlich entstand Unruhe. Der Mönch vom Empfang kam in den Raum, in seinem Gefolge einige Covrutân mit eng zusammengezogenen Mundpartien. Einer trug einen Ohrtranslator.

Bariga flüsterte: „Ich habe zwar keine Ahnung von den Verhältnissen hier, aber eins ist klar: Die Neuen da sind keine angenehmen Zeitgenossen.“

Man hatte keine Eile. Die Gruppe verteilte sich an den Wänden und nahm die Hände zur Vierdaumengeste zusammen.

Kandt sprach schnell und undeutlich, um den Translator zu irritieren. „Am besten, wir warten. Irgendwas passiert, was wir nicht verstehen.“

Als Lovâcul mit dem Ruqsôq eintraf, kam Bewegung in die Wartenden.

„Parucûn, meine Behörde …“, begann einer von ihnen, schaute kurz zu Kandt und Bariga und betätigte ein Gerät an seinem Handgelenk. Die Translatoren Kandts und Barigas verstummten, und sie hörten nur noch „Lo saldâgo tânmucw vûco“, worauf Lovâcul ebenfalls Unverständliches antwortete.

Die Entgegnung des Behördenvertreters und der weitere Gesprächsfortgang ließen keine Rückschlüsse darauf zu, worum es gehen mochte. Mimik und Gestik der Covrutân waren Kandt und Bariga nicht vertraut.

Es entspann sich eine längere Unterredung.

Bariga nuschelte: „Irgendwas Unangenehmes.“

Kandt nuschelte zurück: „Hoffentlich nicht für uns.“

Der Covrutân mit dem Translator begann, an seinem Handgelenk zu nesteln, aber man war in der Zwischenzeit wohl zu Rande gekommen. Die Translatoren wurden wieder aktiviert.

„Ich bedauere, Ihnen Umstände gemacht zu haben, aber es war etwas zu klären“, führte der Behördenvertreter aus. „Es wäre zu kompliziert, das in wenigen Worten zu schildern. Vasûr twlâr. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Aufenthalt.“

Man entfernte sich.

Unter den Covrutân entstand eine Pause.

„Lovâcul, was war das?“, fragte Kandt.

Der Parucûn strich sich nachdenklich über die Kopfwülste. „Im Kloster sind Beamte stationiert, welche die Einhaltung des Kunstverbots beaufsichtigen. Das Kloster gilt als zu wichtige Einrichtung auf Covrutân, um es ohne Kontrollen zu lassen.“

Kandt verstand. „Klar. Wegen des Tûdol-Movâr. Ist das nicht ziemlich aufwendig?“

„Der Große Synkretismus steht im Verdacht, sich mit künstlerischen Dingen zu beschäftigen.“

„Man lässt demnach im ›Lebensquell‹ alles weg, was Verdacht erregen könnte?“

„Haben Sie etwas anderes bemerkt?“

„Keineswegs, keineswegs.“

Der Ruqsôq mischte sich ins Gespräch. „Bleiben Sie doch zum Essen. Wir verfügen über ausgezeichnete Speisen, die Ihrer Physiologie sicher zuträglich sind.“

Bariga antwortete: „Herzlichen Dank! Aber nicht, dass Sie es zu schön anrichten! Wegen des Tûdol-Movâr.“

Der Ruqsôq, der Parucûn und der Mönch ließen jenes rhythmische Geräusch hören, das Kandt und Bariga als Lachen deuteten.

*

Nach dem Essen drängte Lovâcul zur Eile. „Wir müssen unseren Besuch beenden. Man wartet in der Administration auf uns.“

„Seltsam …“, entgegnete Kandt, „ich hatte den Eindruck, wir seien zwei x-beliebige Reisende. Jedenfalls kam mir das im Raumhafen so vor.“

„Ihr Flug wurde genau beobachtet. Man unterschätzt keineswegs die Bedeutung Ihrer Ankunft. Zu einem offiziellen Empfang hätten jedoch hochrangige Vertreter einer solaren Regierung kommen müssen.“

„Das nicht auch noch“, wehrte Bariga ab. „Lassen wir es, wie es ist.“

Sie flogen nach Banôlwpu, einer entfernt gelegenen großen Stadt und Regierungssitz der 51. Provinz. Ihre Türme hoben sich schon von Weitem aus dem Horizont und ragten über niedrige Hügel hinweg in den Dunst. Bei der Annäherung erkannten sie von kleinen Teichen umgebene Gebäude. Lovâcul erklärte, dass dies nicht nur der Wasserbevorratung diente, sondern auch eine angenehme Umgebung bereitete. „… nahezu das einzige, was nach dem Kunstverbot an Ästhetik übrig geblieben ist.“

„Das lässt hoffen“, erkannte Kandt an. „Auch die Architektur gefällt mir.“

„Man wollte die Hinterlassenschaften früherer Zeiten nicht dem Verbot opfern. Abrisse oder Bilderstürme gab es nicht nach dem Inkrafttreten des Verbots. Die modernen Bauten sind allerdings wesentlich funktionaler gehalten. Direkt betroffen waren aber die ausübenden Künste wie Musik, Tanz, Schauspiel und Literatur.“

„Ist das nicht langweilig?, fragte Bariga. „Was tun die Covrutân an den Feierabenden?“

„Das Arbeitsethos hat einen hohen Stellenwert“, antwortete Lovâcul. „Auch die arbeitsfreie Zeit versucht man sinnvoll zu verbringen – wozu ja auch die Erholung gehört. Aber es gibt auch Suchtprobleme mit einer Flüssigkeit, die Ihrem Alkohol entspricht.“

Das Gespräch wurde von der Einweisung des Schwebers zu einer der Landeplattformen unterbrochen. Sie betraten den Eingangsbereich eines Verwaltungstraktes, und Lovâcul wechselte einige Worte mit den Bediensteten. Über Laufbänder und Aufzüge gelangten sie ins Innere und zu einem Vorraum.

Dort mussten sie warten. Es zog sich.

„Das gehört nun mal dazu“, knurrte Bariga irgendwann. „Von wegen der Majestät und all dem.“

Lovâcul spitzte wortlos den Mund und kreiste unmerklich mit dem Kopf.

Sie wurden vorgelassen.

*

Man stand. Tische an den Wänden dienten offensichtlich nur der Ablage; Stühle oder vergleichbares Mobiliar gab es nicht. Etwa ein Dutzend Covrutân, angetan mit tunikaähnlichen Gewändern, die länger waren als die von den Covrutân üblicherweise über den Hosen getragenen, bildeten einen Halbkreis.

Einer oder eine der Covrutân rückte den Translator über der Ohröffnung zurecht und begann das Gespräch.

„Ich begrüße Sie offiziell im Namen des Ausführenden Rates der 51. Provinz. Wir haben im Rahmen unserer Sitzung Zeit eingeräumt, um Sie kennenzulernen. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind.“

Sie oder er verlor sich in einigen Anfragen allgemeiner Art über die Erde und das Solarsystem, die Kandt und Bariga – wie es den Anschein hatte, ausreichend – zu beantworten wussten. Dann wurde man konkreter: Ob es auf der Erde Bestrebungen gäbe, eventuell vorhandene Tätigkeiten zu fördern, die der Ablenkung von wichtigen Tätigkeiten dienten.

Bariga sah sich an der Grenze seiner diplomatischen Fähigkeiten angekommen und blieb stumm.

In Kandts Gedanken traten die Erläuterungen Lovâculs und das Erlebte im Kloster. „Die Erde“, begann er vorsichtig, „hat vielfältige Kulturen hervorgebracht. Es herrscht, so wie die Dinge stehen, noch kein vollständiges Einverständnis darüber, in welcher Weise das für alle erstrebenswerte Ziel, mit Vernunft die Lebensgestaltung aller vorzunehmen, letztendlich umzusetzen ist. Aber seien Sie versichert, dass auf Basis dessen, was die Menschheit in die Galaxis vorstoßen ließ, stets sorgsam erwogenes Handeln Ausgangspunkt und Zielorientierung bleibt.“

Mit dieser Auskunft schien der Kreis der hochrangigen Covrutân zufrieden. Man wünschte einen angenehmen Besuch und entließ die Gäste. Parucûn Lovâcul wurde gebeten, behilflich zu sein, was Aufenthalt und Versorgung betreffe.

Auf dem Weg zurück zum Schweber fragte Lovâcul Kandt: „Diplomatisch geantwortet! Haben Sie diesbezügliche Erfahrungen?“

„Ich verfolge die Stellungnahmen solarer Politiker in den Nachrichten“, antwortete Kandt. „Man beherrscht bei uns vortrefflich die Kunst der semantischen Pause.“

Lovâcul verstand nicht gleich. „Die letzten Worte höre ich als … ›Bedeutungsintervall‹. Was ist das?

„Reden, ohne etwas zu sagen.“

„San.3 ist in seiner politischen Kultur offenbar weiter fortgeschritten, als wir aufgrund der technischen Entwicklung angenommen haben.“

„Ach, das beherrschten wir schon, noch ehe das Rad erfunden worden war.“

„Eine Bereicherung der Galaxis“, stellte Lovâcul fest.

Kandt war unschlüssig, ob er gerade eine Ironie vernommen hatte.

*

Kandt und Bariga oblagen keine detailliert vorgegebenen Aufgaben, sondern die Beobachtung. Allein schon der Flug der Surpasser war ein Forschungsauftrag: Starten, fliegen, landen, den Kaskadenflug testen, Asteroiden ausweichen. Sie sollten dann nach der Ankunft auf Covrutân im Auftrag des Instituts wie auch der zuständigen Behörden für planetare Beziehungen das covrutanische Leben kennenlernen.

Lovâcul schlug vor, einen Markt zu besuchen, um das Leben und Treiben vor Ort erfahren.

„Dass es das in Ihrer Gesellschaft überhaupt noch gibt!“, wunderte sich Bariga. „Wird auf Covrutân nicht schon längst alles mit künstlicher Intelligenz gesteuert?“

„Fortschritt vollzieht sich nicht immer in derselben Richtung“, antwortete Lovâcul. „Weil man auf Covrutân musische Bestrebungen nicht für sinnvoll hält, brauchen die Bürger andere Beschäftigungen. Auf den Märkten findet man zwar nur lebensnotwendige Dinge, aber dennoch bereitet es Freude, sich dieses oder jenes anzuschauen, auszuwählen, den Preis auszuhandeln und so weiter.“

„Das gibt es auf der Erde auch“, bemerkte Kandt. „Auch ohne Kunstverbot. Ich denke sogar, dass manchen die Künste genauso fern liegen, wie den Covrutân und deshalb Einkaufen als überwiegende Freizeitausfüllung betreiben. Sofern sie es sich leisten können.“

Sie flogen mit einem Schweber zur nicht weit entfernt gelegenen kleinen Stadt Pwtôca und wanderten durch die Reihen der Stände. Man sah aufgeräumte, heitere Covrutân, die ihre Waren feilboten. Fast wähnten sich Kandt und Bariga in einem Vergnügungspark mit Statisten. Aber Lovâcul widersprach. Das gehöre zur Freude in einer Gesellschaft, die sich im Übrigen einer sehr geregelten Lebensführung verschrieben habe.

Sie fielen auf, denn Besuche von Exocovrutânen waren selten und beschränkten sich meistens auf die offiziellen konsularischen Kanäle, da es nicht viele galaktische Völker gab, deren Umweltgegebenheiten eine freie Bewegung auf Covrutân erlaubt hätten: Zu ungleich waren die planetaren Verhältnisse der verschiedenen Zivilisationen, ihre Umweltbedingungen und ihr Äußeres, und der Markt war für aufrecht Gehende aufgebaut.

„Vor einigen Jahren gab es eine Unruhe,“ erzählte Lovâcul, „als ein großer Patpûvon über den Markt streifte, auf vier Extremitäten gehend und mit zwei anderen alles anfassend, was in seiner Nähe war. Dabei riss er um, was im Weg stand. Schließlich ging ihm die Luft aus, und er musste zurück in seine Unterbringung.“

Kandt und Bariga bemühten sich, ein wohlgefälliges Auge auf die Angebote zu richten, senkten ihre Lidschläge auf eine niedrige Frequenz, um der bedächtigen Umschließung covrutanischer Augen möglichst nahe zu kommen, und bekundeten mit einem leichten Kreisen der Köpfe ihr generelles, wenn auch nicht im einzelnen zum Kauf geneigtes Interesse.

In der Ferne ragte mit einem Mal ein runder Kopf über die Menge. Als sie näher kamen, offenbarte sich die Gestalt eines Exocovrutânen, auffallend größer als die ihn Umgebenden, mit einem Körperumfang, der ungefähr dem der Covrutân und der beiden Solaren entsprach, aber weder Hals noch andere Konturen aufwies. Ein beweglicher Kopf war erkennbar. Bei einer zufälligen Drehung in Richtung der Drei wurde der Marktbesucher auf sie aufmerksam.

Als Lovâcul das Erstaunen der beiden Solaren wahrnahm, schien er amüsiert. „Natürlich kaufen hier auch Exocovrutâne“, kommentierte er. „Wir unterhalten mit den Pnetmîr seit jeher freundschaftliche Beziehungen.“

Der Pnetmîr hatte offensichtlich Lovâcul mit seinen Gästen erblickt und hob zum Gruß die Arme. Sie kamen näher, und Kandt und Bariga vernahmen über ihre Ohrtranslatoren, dass man sich offensichtlich kannte.

„Ich grüße dich“, eröffnete Lovâcul. „Wir haben uns lange nicht persönlich getroffen. Was tust du hier auf unserem bescheidenen Planeten?“

Die Antwort erfolgte in fließendem Covrutanisch. „Ich habe mich wieder einmal an eure seltsame Aussprache gewöhnen müssen, aber jetzt geht es einigermaßen.“ Er wandte sich den beiden Solaren zu. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Mein Name ist Ecôto.“

Kandt und Bariga stellten sich vor.

„Lovâcul und ich sind alte Freunde“, fuhr der Pnetmîr fort. „Wir haben schon manche Schlacht an späten Tischen geschlagen.“ Er wandte er sich Lovâcul zu. „Das sollten wir übrigens bald einmal wiederholen!“

Es war nicht schwer zu erkennen, dass Lovâcul von einer gewissen Verlegenheit berührt wurde.

Bariga fragte nach: „Was sind ›späte Tische‹?“

„Eine Geselligkeit in kleiner Runde mit dem einen oder anderen belebenden Getränk“, erklärte Lovâcul.

„Das kenne ich“, sagte Bariga. „Wir feiern hie und da auch bis in den Morgen.“ – Kandt bedeutete ihm mit einem Blick, das Thema aus Gründen der Höflichkeit nicht weiter zu vertiefen.

Sie blieben noch eine kurze Zeit stehen. Es wurden einige Neuigkeiten ausgetauscht, dann verabschiedete sich der Pnetmîr, und die Drei gingen weiter über den Markt.

*

Bei einem der nächsten Stände spürte Kandt eine Veranlassung, stehen zu bleiben. Ein vermutlich rein technischem Bedarf dienendes Utensil trug eine Verzierung. Er nahm es aus der Auslage, um es zu betrachten.

Im Translator knisterte es. Der Verkäufer sprach Kandt an. „Interessieren Sie sich dafür? Ein ausnehmend schönes Stück!“

Ihnen standen keine covrutanischen Zahlungsmittel zur Verfügung, und Kandt legte deshalb den Gegenstand rasch wieder hin. Außerdem war er misstrauisch geworden. Ein ›schönes‹ Stück? Auf Covrutân eigentlich eine sinnleere Beschreibung. Aber der Verkäufer bedeutete mit unmissverständlicher Geste, Kandt möge nach hinten kommen, und wies in Richtung eines Vorhangs, der den Verkaufsbereich von einem kleinen Büro trennte.

„Bleibst du mit Lovâcul hier, Arno?“, fragte Kandt. „Vielleicht gerate ich da drin in unvorhersehbare Geschichten. In spätestens fünf Minuten solltest du nachsehen.“

Bariga nickte stumm. Lovâcul zeigte keine Reaktion, schien aber die Umgebung im Blick zu behalten.

Der Verkäufer teilte den Vorhang für Kandt. Im Halbdunkel des Hinterzeltes kramte er etwas hervor und zeigte es: eine etwa dreißig Zentimeter hohe Statuette aus grünem Gestein, ähnlich wie Jade, mit der Darstellung eines Covrutân. Auf den zweiten Blick fiel auf, dass die Figur einen dritten Kopfwulst trug.

„Was ist das?“, fragte Kandt den Verkäufer und versuchte eine Geste, die als Frage interpretiert werden konnte, denn der Covrutân trug keinen Translator.

„Das ist Hucarwsân, der Gott mit dem magischen dritten Notusvâ. Ein garantiert echter Fund aus dem Tal der Tocôrhu, der Herrscherdynastie des antiken Ucodûn. Mit Expertise.“

Kandt sah sich genötigt, mit mehr als lediglich Gesten antworten. Er kramte in seiner Umhängetasche nach dem aktiven Translator, initiierte das Programm und fragte: „Warum bieten Sie gerade mir das an? Ich bin kein Covrutân.“

Über Kandts Ohrtranslator kam die Antwort: „Ein Angebot an jemandem von hier würde mich ins Gefängnis bringen. Wegen des Kunstverbots.“

„Als Gast auf dem Planeten achte ich die Vorschriften und halte mich an das Tûdol-Movâr.“

Covrutanische Mimik und Gestik gaben Kandt nach wie vor Rätsel auf, aber er meinte, so etwas wie das Entwerfen eines anderen Gesprächsthemas aus dem Verhalten des Verkäufers zu entnehmen – wie auf allen Märkten: Gelingt ein erstes Angebot nicht, versucht man über Umwege ein Zweites. Kandt hatte ihm mit seinem aktiven Translator das Mittel dazu in die Hand gegeben.

„Ihr Aussehen und ihre Zivilisation sind mir nicht bekannt. Darf ich fragen, woher Sie stammen?“

„Vom Rand der Galaxis. Von dort ist meine Zivilisation erst kürzlich aufgebrochen, und wir wollen uns nicht in die Angelegenheiten anderer Völker einmischen.“