Das brennende Land - Bernard Cornwell - E-Book + Hörbuch

Das brennende Land Hörbuch

Bernard Cornwell

4,5

Beschreibung

Was ist das stärkste Heer gegen den Hass einer Frau? Eine tödliche Gefahr bedroht Wessex: Harald Bluthaar. Nur Uhtred erkennt den Schwachpunkt des mächtigen Feindes. Es ist eine Frau, Skade, die Hure und Zauberin, der der Dänenherrscher gänzlich verfallen ist. Als Uhtred sie in seiner Gewalt hat, ist eine der großen Schlachten der englischen Geschichte schon gewonnen. Skade verflucht ihn, doch Uhtred fühlt sich unbesiegbar. Bis ihn die Nachricht ereilt, dass seine geliebte Frau Gisela im Kindbett gestorben ist. Und über das Land zieht wieder Rauch von brennenden Dörfern …

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Zeit:14 Std. 22 min

Veröffentlichungsjahr: 2010

Sprecher:Reinhard Kuhnert

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Bernard Cornwell

Das brennende Land

Historischer Roman

Deutsch von Karolina Fell

Informationen zum Buch

Was ist das stärkste Heer gegen den Hass einer Frau?

Eine tödliche Gefahr bedroht Wessex: Harald Bluthaar. Nur Uhtred erkennt den Schwachpunkt des mächtigen Feindes. Es ist eine Frau, Skade, die Hure und Zauberin, der der Dänenherrscher gänzlich verfallen ist. Als Uhtred sie in seiner Gewalt hat, ist eine der großen Schlachten der englischen Geschichte schon gewonnen. Skade verflucht ihn, doch Uhtred fühlt sich unbesiegbar. Bis ihn die Nachricht ereilt, dass seine geliebte Frau Gisela im Kindbett gestorben ist. Und über das Land zieht wieder Rauch von brennenden Dörfern…

Informationen zum Autor

Bernard Cornwell, geboren 1944, machte nach dem Studium Karriere bei der BBC, doch nach Übersiedlung in die USA – seine Frau Judy ist Amerikanerin – war ihm die Arbeit im Journalismus mangels Green Card verwehrt. Und so entschloss er sich, einem langgehegten Wunsch nachzugehen, dem Schreiben. Im englischen Sprachraum gilt er als unangefochtener König des historischen Abenteuerromans. Seine Werke wurden in über 20Sprachen übersetzt – Gesamtauflage: mehr als 20Millionen.

Weitere Veröffentlichungen:

Die Uhtred-Serie

Band1: Das letzte Königreich

Band2: Der weiße Reiter

Band3: Die Herren des Nordens

Band4: Schwertgesang

Die Artus-Chroniken

Band1: Der Winterkönig

Band2: Der Schattenfürst

Band3: Arthurs letzter Schwur

Gemeinsam mit seiner Frau hat Bernard Cornwell unter dem Pseudonym «Susannah Kells» zwei weitere historische Romane verfasst:

Das Hexen-Amulett

Die dunklen Engel

Zuletzt erschien bei Wunderlich der Roman «Das Zeichen des Sieges», der im Heimatland des Autors auf Anhieb auf Platz 1 der Verkaufs-Charts landete.

Das brennende Land

ist für Alan und Jan Rust

Ortsnamen

Die Schreibung der Ortsnamen im angelsächsischen England war eine unsichere Angelegenheit, in der nicht einmal über die Namen selbst Übereinstimmung herrschte. London etwa wurde abwechselnd als Lundonia, Lundenberg, Lundenne, Lundene, Lundenwic, Lundenceaster und Lundres bezeichnet. Zweifellos hätten manche Leser andere Varianten der Namen, die unten aufgelistet sind, vorgezogen, doch ich habe mich in den meisten Fällen nach den Schreibungen gerichtet, die entweder im Oxford Dictionary of English Place-Names oder im Cambridge Dictionary of English Place-Names für die Jahre um die Herrschaft Alfreds von 871 bis 899 zu finden ist. Aber selbst diese Lösung ist nicht narrensicher. So wird die Insel Hayling dort für das Jahr 956 sowohl Heilincigae als auch Hæglingaiggæ geschrieben. Auch bin ich selbst nicht immer konsequent geblieben; ich habe die moderne Bezeichnung England dem älteren Englaland vorgezogen und statt Norðhymbraland Northumbrien geschrieben, weil ich den Eindruck vermeiden wollte, dass die Grenzen des alten Königreiches mit denjenigen des modernen Staates identisch sind. Aus all diesen Gründen folgt die untenstehende Liste ebenso unberechenbaren Regeln wie die Schreibung der Ortsnamen selbst.

Æsc’s Hill: Ashdoen, Berkshire

Æscengum: Eashing, Surrey

Æthelingæg: Athelney, Somerset

Beamfleot: Benfleet, Essex

Bebbanburg: Bamburgh Castle, Northumberland

Caninga: Insel Canvey, Essex

Cent: Kent

Defnascir: Devonshire

Dumnoc: Dunwich, Suffolk (heute größtenteils im Meer versunken)

Dunholm: Durham, Grafschaft Durham

East Sexe: Essex

Eoferwic: York, Yorkshire

Ethandun: Edington, Wiltshire

Exanceaster: Exeter, Devon

Farnea-Inseln: Farne-Inseln, Northumberland

Fearnhamme: Farnham, Surrey

Fughelness: Insel Foulness, Essex

Gleawecestre: Gloucester, Gloucestershire

Godelmingum: Godalming, Surrey

Grantaceaster: Cambridge, Cambridgeshire

Hæthlegh: Hadleigh, Essex

Haithabu: Hedeby, südliches Dänemark

Hocheleia: Hockley, Essex

Hothlege: Hadleigh Ray, Essex

Humbre: Fluss Humber

Hwealf: Fluss Crouch, Essex

Lecelad: Lechlade, Gloucestershire

Liccelfeld: Lichfield, Staffordshire

Lindisfarnea: Lindisfarne (Heilige Insel), Northumberland

Lundene: London

Sæfern: Fluss Severn

Scaepege: Insel Sheppey, Kent

Silcestre: Silchester, Hampshire

Sumorsæte: Somerset

Suthriganaweorc: Southwark, Groß-London

Swealwe: Fluss Swale, Kent

Temes: Fluss Thames

Thunresleam: Thundersley, Essex

Tine: Fluss Tyne

Torneie: Insel Thorney, diese Insel gibt es heute nicht mehr, sie lag in der Nähe der U-Bahn-Station West Drayton beim Flughafen Heathrow

Tuede: Fluss Tweed

Uisc: Fluss Exe, Devonshire

Wiltunscir: Wiltshire

Wintanceaster: Winchester, Hampshire

Yppe: Epping, Essex

Zegge: erfundene friesische Insel

Die Königsfamilie von Wessex

Erster Teil

Der Kriegsherr

Vor kurzem war ich in einem Kloster. Ich habe vergessen, wo genau es lag, aber es war in dem Gebiet, das früher zu Mercien gehörte. Ich zog mit einem Dutzend Männern nach Hause. Es war ein feuchter Wintertag, und wir wollten nur Unterkunft, Essen und ein bisschen Wärme. Doch die Mönche benahmen sich, als wäre ein Trupp Nordmänner vor ihrem Tor aufgetaucht. Sie hatten Uhtred von Bebbanburg unter ihrem Dach, und bei meinem Ruf erwarteten sie, dass wir sie sofort abschlachten würden. «Ich will nur Brot», konnte ich ihnen schließlich verständlich machen, «Käse, wenn Ihr welchen habt, und etwas Ale.» Ich warf Münzen auf den gefliesten Boden des Saales. «Brot, Käse, Ale und eine warme Schlafstatt. Nichts weiter!»

Am nächsten Morgen regnete es, als sei der Jüngste Tag angebrochen, also wartete ich, bis sich Wind und Wetter beruhigt hatten. Ich streifte im Kloster umher und fand mich schließlich in einem feuchtkalten Durchgangsraum wieder, in dem drei armselige Mönchlein dabei waren, Manuskripte abzuschreiben. Überwacht wurden sie von einem sauertöpfischen, älteren Mönch mit weißem Haar. Er trug eine Fell-Stola über seinem Habit. In der Hand hielt er eine Lederrute, mit der er zweifellos den Eifer der drei Kopisten förderte. «Sie sollten nicht gestört werden, Herr», wagte er mich zu tadeln. Er saß auf einem Stuhl neben einer Kohlenpfanne, deren Wärme die drei Schreiber nicht erreichte.

«Die Latrinen sind nicht sauber geleckt worden», erklärte ich ihm, «und Ihr seht aus, als hättet Ihr gerade nichts zu tun.»

Der ältere Mönch verstummte, und ich sah den tintenbefleckten Schreibern über die Schulter. Einer von ihnen, ein schlaffgesichtiger Jüngling mit dicken Lippen und einem riesigen Kropf, transkribierte das Leben des Sankt Ciaran, in dem berichtet wurde, wie ihm ein Wolf, ein Dachs und ein Fuchs dabei geholfen hätten, in Irland eine Kirche zu bauen, und wenn der junge Mönch diesen Unsinn glaubte, dann war er genau der Narr, nach dem er aussah. Der zweite tat etwas Sinnvolles, indem er eine Landzuweisung abschrieb, wenn sie auch aller Wahrscheinlichkeit nach eine Fälschung war. In Klöstern ist man sehr geschickt darin, sich alte Landzuweisungen auszudenken, die beweisen sollen, dass irgendein halbvergessener König aus alter Zeit der Kirche reichen Landbesitz zugesprochen hat, sodass der rechtmäßige Eigentümer gezwungen ist, entweder das Land abzutreten oder eine gewaltige Ausgleichszahlung zu leisten. Mit mir haben sie das auch einmal versucht. Ein Priester hat die Dokumente gebracht. Ich habe daraufgepisst. Dann habe ich zwanzig Schwertkrieger auf dem betreffenden Stück Land postiert und dem Bischof die Nachricht zukommen lassen, dass er sich das Land nehmen könne, wann immer er es wünsche. Er hat es nie getan. Die Leute erzählen ihren Kindern, dass man mit harter Arbeit und Sparsamkeit zu Erfolg kommt, aber das ist genauso unsinnig wie zu glauben, ein Dachs, ein Fuchs und ein Wolf könnten eine Kirche bauen. Der Weg zum Reichtum liegt darin, ein christlicher Bischof oder der Abt eines Klosters zu werden und so mit dem Segen des Himmels lügen, betrügen und sich ein Vermögen zusammenstehlen zu dürfen.

Der dritte junge Mann schrieb eine Chronik ab. Ich schob seine Feder zur Seite, sodass ich sehen konnte, was er gerade geschrieben hatte. «Ihr könnt lesen, Herr?», fragte der alte Mönch. Er wollte es wie eine unschuldige Frage klingen lassen, aber seine Herablassung war nicht zu überhören.

«‹In diesem Jahr›», las ich laut, «‹kamen die Heiden erneut nach Wessex, es war eine so große Horde, wie sie noch niemals gesehen worden war, und sie verwüsteten das Land und brachten Leid ohnegleichen über die Gottgläubigen, die durch die Gnade Unseres Herrn Jesus Christus und durch Herrn Æthelred von Mercien errettet wurden, der mit seinem Heer nach Fearnhamme zog, wo er die Heiden gänzlich niederschlug.›» Ich tippte mit dem Finger auf den Text. «In welchem Jahr ist das passiert?», fragte ich den Kopisten.

«Im Jahre Unseres Herrn 892», sagte er ängstlich.

«Und was ist das hier?», fragte ich und blätterte durch die Pergamentseiten, von denen er abschrieb.

«Das sind Annalen», antwortete der alte Mönch für den jüngeren. «Die Annalen von Mercien. Das ist das einzige Manuskript, und wir fertigen eine Zweitschrift an.»

Ich richtete meinen Blick wieder auf die frisch geschriebene Seite. «Æthelred hat also Wessex gerettet?», fragte ich lauernd.

«So war es», sagte der alte Mönch, «mit Gottes Hilfe.»

«Mit Gottes Hilfe? Mit meiner Hilfe! Ich habe diese Schlacht geschlagen, nicht Æthelred!» Keiner der Mönche sagte etwas. Sie starrten mich nur an. Einer meiner Männer erschien an dem Ende des Durchgangsraums, an das sich der Kreuzgang anschloss, lehnte sich an die Wand und grinste so breit, dass man seine Zahnlücken sah. «Ich war bei Fearnhamme!», setzte ich hinzu. Dann griff ich mir das einzige Exemplar der Annalen von Mercien und blätterte durch die steifen Seiten. Æthelred, Æthelred, Æthelred und kein einziges Mal Uhtred, kaum dass je Alfred erwähnt wurde, auch Æthelflæd kam nicht vor, nur Æthelred. Ich blätterte zu der Seite, auf der von den Ereignissen nach der Schlacht von Fearnhamme berichtet wurde. «‹Und in diesem Jahr›», las ich laut, «‹führten durch Gottes Gnade der Herr Æthelred und der Ætheling Edward die Männer von Mercien nach Beamfleot, wo Æthelred reiche Beute machte und zahllose Heiden niedermetzelte.›» Ich sah dem alten Mönch direkt in die Augen. «Æthelred und Edward haben diese Armee geführt?»

«So heißt es, Herr.» Die Missachtung in seinem Blick war verschwunden.

«Ich habe sie geführt, du Bastard!» Ich raffte die neubeschriebenen und die Seiten der Erstschrift zusammen und ging zur Kohlenpfanne.

«Nein!», begehrte der alte Mann auf.

«Das sind Lügen», sagte ich.

Er hob beschwichtigend die Hand. «Vierzig Jahre lang, Herr», sagte er bescheiden, «sind diese Berichte zusammengetragen und aufbewahrt worden. Sie sind die Geschichte unseres Volkes. Und dies ist die einzige Ausfertigung!»

«Das sind Lügen! Ich war dort. Ich war auf diesem Hügel bei Fearnhamme und in dem Graben bei Beamfleot. Wart Ihr auch dort?»

«Ich war noch sehr jung, Herr.»

Er quiekte entsetzt auf, als ich die Manuskripte auf die Kohlenpfanne warf. Hastig versuchte er, die Pergamente zu retten, aber ich schlug seine Hand weg. «Ich war dort», wiederholte ich und starrte auf die Pergamentseiten, die sich dunkler färbten und zusammenrollten, bevor sie von den Rändern her knisternd Flammen fingen. «Ich war dort.»

«Vierzig Jahre Arbeit und Mühen!», rief der Mönch fassungslos.

«Wenn Ihr wissen wollt, was geschehen ist», sagte ich, «dann kommt zu mir nach Bebbanburg, und ich erzähle Euch die Wahrheit.»

Sie kamen nie.

Aber ich war bei Fearnhamme, und das war nur der Anfang der Geschichte.

Eins

Es war Morgen, und ich war jung, und auf der See lag ein silbrig-rosafarbener Schimmer unter dem Nebelhauch, der die Küste verhüllte. Südlich von mir lag Cent, nördlich Ostanglien und hinter mir Lundene. Vor mir ging die Sonne auf und vergoldete die wenigen Wolken, die über den Himmel zogen.

Wir befanden uns im Mündungsgebiet der Temes. Mein Schiff, der Seolferwulf, war neu und leckte, wie es alle neuen Schiffe tun. Friesische Handwerker hatten es aus ungewöhnlich hellen Eichenbalken gebaut. Daher hatte es seinen Namen: Silberwolf. Hinter mir waren der Kenelm, der von König Alfred nach irgendeinem ermordeten Heiligen benannt worden war, und der Drachenfahrer, den wir den Dänen abgenommen hatten. Der Drachenfahrer war eine wahre Schönheit, ein Schiff, wie allein die Dänen es bauen können. Es hatte einen schlanken Körper, war leicht zu lenken und doch tödlich in der Schlacht.

Auch der Seolferwulf war eine Schönheit: langkielig, breit und mit hohem Bug. Ich hatte ihn selbst bezahlt, den friesischen Schiffszimmerern Gold gegeben und zugesehen, wie seine Rippen wuchsen, die Plankenhaut entstand und wie schließlich der stolze Bug über der Werft aufragte. Am Bug war ein aus Eichenholz geschnitzter Wolfskopf befestigt, der zuerst ganz weiß und dann noch mit einer roten, heraushängenden Zunge, roten Augen und gelben Fängen bemalt worden war.

Bischof Erkenwald von Lundene hatte mich getadelt. Seiner Meinung nach hätte ich das Schiff nach einem dieser Heiligen, dieser christlichen Weichlinge, nennen sollen. Dann hatte er mir ein Kruzifix überreicht, das ich an den Mast des Seolferwulfs nageln sollte, doch stattdessen verbrannte ich den hölzernen Gott an seinem hölzernen Kreuz, mischte die Asche unter zerstampfte Äpfel und fütterte meine Säue damit.

Ich bete zu Thor.

An diesem fernen Morgen also, an dem ich noch jung war, ruderten wir ostwärts auf der silber- und rosafarbenen See. Mein Wolfsbug war mit einem belaubten Eichenzweig geschmückt. Wir zeigten damit, dass wir unsere Feinde nicht angreifen wollten, auch wenn meine Männer ihre Kettenrüstungen trugen und ihre Schilde und Waffen griffbereit neben den Ruderbänken lagen. Finan, mein zweiter Befehlshaber auf dem Schiff, hockte sich neben mich auf die Steuerplattform und hörte belustigt Pater Willibald zu, der ohne Unterlass plapperte. «Andere Dänen haben Gottes Gnade empfangen, Herr Uhtred», sagte er. Er schnatterte diesen Unsinn, seit wir in Lundene abgelegt hatten, aber ich ertrug es, denn ich mochte Willibald. Er war ein eifriger, hart arbeitender und immer fröhlicher Mann. «Mit Gottes Hilfe», fuhr er fort, «werden wir das Licht des Glaubens unter diesen Heiden verbreiten.»

«Warum schicken uns die Dänen eigentlich keine Missionare?», fragte ich.

«Das verhüte Gott, Herr.» Sein Begleiter, ein Priester, dessen Namen ich längst vergessen habe, nickte ernst.

«Haben sie vielleicht etwas Besseres zu tun?», fragte ich.

«Wenn die Dänen Ohren haben zu hören, Herr, dann werden sie die Botschaft Christi mit Jubel und Entzücken vernehmen!»

«Ihr seid ein Narr, Pater», entgegnete ich milde. «Wisst Ihr, wie viele von Alfreds Missionaren schon niedergemetzelt wurden?»

«Wir müssen alle zum Märtyrertod bereit sein, Herr», sagte er, wenn auch mit etwas ängstlicher Stimme.

«Ihnen werden die priesterlichen Gedärme aus dem Leib geschnitten, die Augen aus dem Kopf geholt, die Eier aufgeschlitzt und die Zungen herausgerissen. Erinnerst du dich an den Mönch, den wir in Yppe gefunden haben?», wandte ich mich an Finan. Finan war ein Flüchtling aus Irland. Er war dort als Christ aufgewachsen, doch seine Religion war so durchmischt mit den Mythen seiner Heimat, dass man sie kaum als denselben Glauben erkannt hätte, den Willibald predigte. «Wie ist dieser bedauernswerte Mann gestorben?», fragte ich.

«Sie haben die arme Seele bei lebendigem Leib gehäutet», antwortete Finan.

«Haben sie bei den Zehen angefangen?»

«Sie haben ihm ganz langsam die Haut abgezogen. Es muss Stunden gedauert haben.»

«Sie haben die Haut nicht einfach abgezogen», verbesserte ich. «Man kann einen Mann nicht einfach wie ein Lamm häuten.»

«Das stimmt», sagte er. «Man muss zerren und reißen. Und man braucht viel Kraft dafür.»

«Er war ein Missionar», erklärte ich, an Willibald gewandt.

«Und ebenso ein gesegneter Märtyrer», fügte Finan heiter hinzu. «Aber irgendwann muss es ihnen langweilig geworden sein, weil sie ihm schließlich doch noch den Rest gegeben haben. Sind mit einer Baumsäge auf seinen Bauch losgegangen.»

«Ich glaube, es war eher eine Axt», sagte ich.

«Nein, nein, es war eine Säge, Herr», beharrte er grinsend, «noch dazu eine mit wahrhaftig großen Zähnen. Haben ihn damit in zwei Hälften gerissen.» Pater Willibald, der schon immer ein Märtyrer der Seekrankheit gewesen war, schwankte zur Reling.

Wir lenkten das Schiff Richtung Süden. Die Mündung der Temes ist ein trügerisches Gewässer voller Sandbänke und starker Strömungen, aber ich hatte es schon seit fünf Jahren überwacht und musste kaum noch auf die Landmarken achten, als wir nun ans Ufer von Scaepege ruderten. Und dort vor mir, zwischen zwei auf den Strand gesetzten Schiffen, wartete der Feind. Die Dänen. Es mussten hundert oder mehr Männer sein, alle in Kettenrüstung, alle mit Helmen und blitzenden Waffen. «Wir könnten die ganze Mannschaft niedermachen», sagte ich zu Finan. «Wir haben genügend Männer.»

«Wir haben angekündigt, dass wir in Frieden kommen!», begehrte Willibald auf und wischte sich den Mund am Ärmel ab.

Das hatten wir, und so geschah es auch.

Ich hieß den Kenelm und den Drachenfahrer, nahe am schlammigen Ufer zu warten, während wir den Seolferwulf auf den Schlick zwischen den beiden dänischen Schiffen steuerten. Der Bug machte ein zischendes Geräusch, als wir schließlich auf Grund liefen. Ich sprang vom Bug, landete spritzend im tiefen Schlick und watete auf festeren Grund, wo unsere Feinde warteten.

«Mein Herr Uhtred», grüßte mich der Anführer der Dänen. Grinsend breitete er die Arme aus. Er war stämmig, hatte goldfarbenes Haar und ein eckiges Kinn. Sein Bart war in fünf einzelne Zöpfe geflochten, die mit Silberspangen zusammengehalten wurden. An seinen Unterarmen blitzten silberne und goldene Reifen, und sein Gürtel, an dem ein Schwert mit breiter Klinge hing, war mit noch mehr Gold besetzt. Er sah wohlhabend aus, was er auch war, und sein offener Blick ließ ihn vertrauenswürdig erscheinen, was er nicht war. «Ich bin sehr glücklich, Euch wiederzusehen», sagte er, noch immer lächelnd, «mein geschätzter alter Freund!»

«Jarl Haesten», gab ich zurück. Ich redete ihn mit dem Titel an, den er selbst gerne benutzte, auch wenn Haesten meiner Ansicht nach nichts weiter war als ein Pirat. Ich kannte ihn seit Jahren. Ich hatte ihm einmal das Leben gerettet, was keine gute Idee war, und seit diesem Tag hatte ich immer wieder versucht, ihn umzubringen, doch er war mir jedes Mal entwischt. Zuletzt war er mir vor fünf Jahren entkommen, und seither war er auf seinen Raubzügen tief ins Frankenreich vorgestoßen. Dort hatte er Silber angehäuft, seiner Frau einen weiteren Sohn gemacht, und er hatte Gefolgsleute gewonnen. Und nun war er mit achtzig Schiffen nach Wessex zurückgekehrt.

«Ich habe darauf gehofft, dass Ihr es wärt, den Alfred schicken würde.» Er streckte mir die Hand entgegen.

«Wenn Alfred mir nicht befohlen hätte, in Frieden zu kommen», sagte ich und nahm seine Hand, «hätte ich dir jetzt schon den Kopf abgeschlagen.»

«Ihr bellt immer sehr laut. Aber je lauter ein Köter bellt, desto schwächer ist sein Biss.»

Das ließ ich ihm durchgehen. Ich war nicht zum Kämpfen gekommen, sondern um Alfreds Auftrag zu erfüllen, und der König hatte mir befohlen, ein paar Missionare zu Haesten zu bringen. Meine Männer halfen Willibald und seinem Begleiter an Land, dann stellten sie sich bang lächelnd neben mich. Beide Priester sprachen Dänisch, daher waren sie für diese Mission ausgewählt worden. Ich hatte eine Botschaft zu überbringen, die ich Haesten mit einer wertvollen Gabe schmackhaft machen sollte, doch er spielte den Gleichgültigen und beharrte darauf, dass ich ihn in sein Lager begleitete, bevor Alfreds Geschenk gebracht würde.

Scaepege war nicht Haestens Hauptlager; das befand sich ein gutes Stück weiter östlich. Dort hatte er seine achtzig Schiffe auf den Strand gezogen und eine Verteidigungsanlage errichtet. In diese Festung hatte er mich nicht einladen wollen und deshalb darauf bestanden, sich mit Alfreds Abgesandten in der Ödnis von Scaepege zu treffen, die sogar im Sommer nur aus feuchten Tümpeln, Bittergras und düsteren Marschen besteht. Er war vor zwei Tagen dort angekommen und hatte hier ein einfaches Lager gebaut. Dazu hatte er eine erhöhte Stelle mit einem Wall aus Dornengewirr umgeben und in der Mitte zwei Segeltuchzelte aufgestellt. «Essen wir zusammen, Herr», lud er mich ein und deutete mit großartiger Geste auf einen langen Tisch auf Holzböcken, um den ein Dutzend Stühle standen. Finan, zwei weitere Krieger und die beiden Priester begleiteten mich, doch dann weigerte sich Haesten, die Priester mit am Tisch sitzen zu lassen. «Ich traue den Christenzauberern nicht», erklärte er, «also sollen sie auf dem Boden hocken.» Das Essen bestand aus Fischeintopf und steinhartem Brot, das von halbnackten Sklavenmädchen gebracht wurde. Keine von ihnen war älter als vierzehn oder fünfzehn Jahre, und alle waren Sächsinnen.

Haesten demütigte die Mädchen, um mich herauszufordern und zu beobachten, wie ich mich verhalten würde. «Sind sie aus Wessex?», fragte ich.

«Natürlich nicht», sagte er und gab vor, gekränkt zu sein. «Ich habe sie aus Ostanglien mitgenommen. Wollt Ihr eine von Ihnen, Herr? Die Kleine dort hat schöne, feste Apfelbrüste!»

Ich fragte die Kleine mit den Apfelbrüsten, wo sie gefangen worden sei. Aber sie schüttelte nur stumm den Kopf, zu verängstigt, um mir zu antworten. Dann schenkte sie mir Ale ein, das man mit Beeren gesüßt hatte. «Woher kommst du?», fragte ich sie erneut.

Haesten ließ den Blick auf ihren nackten Brüsten ruhen. «Antworte dem Herrn», sagte er barsch auf Englisch.

«Ich weiß es nicht, Herr», sagte das Mädchen.

«Wessex?», fragte ich, «Ostanglien? Von wo?»

«Aus einem Dorf, Herr», sagte die Kleine. Das war alles, was sie wusste, und ich schickte sie mit einer Handbewegung fort.

«Befindet sich Eure Frau wohl?», fragte Haesten, der dem Mädchen nachsah.

«Das tut sie.»

«Ich bin froh, das zu hören.» Dann trat ein belustigter Blick in seine verschlagenen Augen. «Und welche Nachricht schickt mir nun Euer Herr?» Er löffelte sich Fischbrühe in den Mund, von der ein Gutteil durch seinen Bart wieder herabtröpfelte.

«Du sollst Wessex verlassen», sagte ich.

«Ich soll Wessex verlassen!» Er heuchelte Entsetzen und wedelte mit der Hand in Richtung der trostlosen Marschen. «Was sollte einen Mann dazu bringen, das alles hinter sich zu lassen, Herr?»

«Du sollst Wessex verlassen», wiederholte ich ungerührt, «einwilligen, nicht in Mercien einzumarschieren, meinem König zwei Geiseln geben und seine beiden Missionare bei dir aufnehmen.»

«Missionare!», sagte Haesten und deutete mit seinem Hornlöffel auf mich. «Das könnt Ihr doch nicht billigen, Herr Uhtred! Ihr verehrt immerhin noch die wahren Götter.» Er drehte sich auf seinem Stuhl um und starrte die beiden Priester an. «Vielleicht bringe ich sie einfach um.»

«Tu das, und ich sauge dir die Augen aus dem Kopf.»

Er bemerkte die Gehässigkeit in meiner Stimme und war überrascht. Einen winzigen Moment lang blitzte Feindseligkeit in seinem Blick auf, doch seine Stimme blieb ruhig. «Seid Ihr Christ geworden, Herr?»

«Pater Willibald ist mein Freund.»

«Das hättet Ihr mir gleich sagen sollen. Dann hätte ich keine solchen Scherze gemacht. Freilich bleiben die beiden am Leben, und sie dürfen sogar zu uns predigen, aber sie werden nichts damit erreichen. Also– Alfred befiehlt mir, meine Schiffe wegzubringen?»

«Sogar sehr weit weg», sagte ich.

«Aber wohin nur?», fragte er mit gespielter Unschuld.

«Ins Frankenreich?»

«Die Franken haben mich dafür bezahlt, dass ich sie in Frieden lasse. Sie haben uns sogar Schiffe gebaut, damit wir schneller wegkommen! Wird Alfred uns ebenfalls Schiffe bauen?»

«Du sollst Wessex verlassen», sagte ich hartnäckig, «du sollst Mercien nicht bedrohen, du sollst die Missionare aufnehmen, und du sollst Alfred Geiseln schicken.»

«Ah.» Haesten lächelte. «Die Geiseln.» Er starrte mich unbewegt an, schien dann die Sache mit den Geiseln vergessen zu haben und deutete in Richtung See. «Und wohin sollen wir gehen?»

«Alfred bezahlt dich dafür, dass du Wessex verlässt», sagte ich, «und wohin du gehst, ist nicht meine Sorge, aber ich rate dir, dich möglichst außer Reichweite meines Schwertes zu halten.»

Haesten lachte. «Euer Schwert, Herr, rostet in der Scheide.» Er richtete einen Daumen über die Schulter nach Süden. «Wessex brennt», sagte er genüsslich, «und Alfred lässt Euch schlafen.» Er hatte recht. Weit im Süden stiegen hellgraue Rauchtürme in den Sommerhimmel. Ein Dutzend oder mehr Dörfer mussten brennen, und das war nur das, was ich sehen konnte. Der ganze Osten von Wessex wurde verwüstet, und statt mich bei der Vertreibung der Eindringlinge zu Hilfe zu rufen, hatte mir Alfred befohlen, in Lundene zu bleiben und die Stadt vor Angriffen zu schützen. Haesten grinste. «Denkt Alfred vielleicht, Ihr wäret zu alt zum Kämpfen, Herr?»

Auf diese Stichelei ging ich nicht ein. Wenn ich nach all den Jahren heute zurückschaue, sehe ich mich damals als jungen Mann, obwohl ich zumindest fünfunddreißig oder sechsunddreißig gewesen sein muss. Die meisten Männer werden nicht einmal so alt, aber ich war vom Glück begünstigt. Ich hatte nichts von meinem Geschick am Schwert oder meiner Kraft verloren. Zwar hinkte ich aufgrund einer alten Verletzung ein wenig, aber ich hatte auch das Wertvollste gewonnen, was ein Krieger erringen kann: einen bedeutenden Ruf. Doch Haesten glaubte mich reizen zu können, weil er wusste, dass ich als Bittsteller zu ihm kam.

Ich kam als Bittsteller, weil zwei dänische Flotten in Cent, dem östlichsten Teil von Wessex, gelandet waren. Haesten befehligte die kleinere der beiden Flotten, und bislang hatte er sich damit zufriedengegeben, die Festung zu bauen und seine Männer nur gerade so viele Raubzüge unternehmen zu lassen, dass er genügend Nahrungsmittel und ein paar Sklaven zur Verfügung hatte. Er hatte sogar die Schifffahrt auf der Temes unbehelligt gelassen. Noch vermied er den Kampf gegen Wessex, denn er wollte abwarten, was im Süden geschehen würde, wo eine weitere, viel größere Dänenflotte gelandet war.

Jarl Harald Bluthaar hatte mehr als zweihundert Schiffe voll gieriger Männer nach Wessex gebracht, und sein Heer hatte eine halbfertige Burgfeste gestürmt und die Männer darin abgeschlachtet. Jetzt zogen seine Krieger durch Cent, brandschatzend und mordend, raubend und Sklaven nehmend. Es waren Haralds Männer, die den Himmel mit Rauch erfüllt hatten. Alfred war gegen beide Eindringlinge gezogen. Der König war inzwischen alt, alt und noch schwerer krank als zuvor, und deshalb wurden seine Truppen angeblich von seinem Schwiegersohn, dem Herrn Æthelred von Mercien, und Alfreds ältestem Sohn, Edward dem Ætheling, befehligt. Ætheling bedeutete Thronfolger. Edward sollte nach Alfreds Tod die Krone übernehmen.

Doch sie hatten nichts getan. Sie hatten ihre Männer an den langen, bewaldeten Höhenzug in der Mitte von Cent geführt, wo sie Richtung Norden gegen Haesten und Richtung Süden gegen Harald losschlagen konnten, und dann hatten sie bewegungslos dort verharrt. Vermutlich befürchteten sie, nach einem Angriff auf eine der dänischen Armeen könnte ihnen die zweite in den Rücken fallen. Und nun hatte mich Alfred geschickt, überzeugt von der übermächtigen Stärke seiner Gegner, um Haesten dazu zu bringen, aus Wessex abzuziehen. Alfred hätte mir befehlen sollen, meine Garnison gegen Haesten zu führen, mir erlauben sollen, die Marschen mit Dänenblut zu tränken, doch stattdessen wurde mir aufgetragen, Haesten zu bestechen. Der König glaubte, dass er es mit Haralds wilden Horden aufnehmen könnte, wenn Haesten erst einmal verschwunden wäre.

Haesten nahm einen Dorn, stocherte sich zwischen den Zähnen herum und förderte schließlich ein Stückchen Fisch zutage. «Warum greift Euer König Harald nicht an?», fragte er.

«Das würde dir wohl gefallen», sagte ich.

Er grinste. «Wenn Harald mitsamt seiner stinkenden Hure verschwunden wäre, würden viele Männer in mein Heer eintreten.»

«Stinkende Hure?»

Er grinste vor Freude darüber, dass er mir etwas an Kenntnis voraushatte. «Skade», sagte er.

«Das ist Haralds Frau?»

«Seine Frau, seine Hure, seine Geliebte, seine Zauberin.»

«Nie von ihr gehört.»

«Das werdet Ihr noch», versprach er. «Und wenn Ihr sie seht, mein Freund, dann wollt Ihr sie. Sie dagegen nagelt Euren Schädel an den Giebel ihrer Wohnhalle, wenn ihr das irgendwie gelingt.»

«Hast du sie schon gesehen?» Er nickte.

«Und wolltest du sie?»

«Harald ist ein Hitzkopf», sagte er, ohne meine Frage zu beachten. «Und Skade wird ihn noch bis zur Blödheit aufstacheln. Und wenn das geschieht, werden sich viele seiner Männer einen neuen Herrn suchen.» Er lächelte hinterhältig. «Mit hundert Schiffen mehr bin ich in einem Jahr der König von Wessex.»

«Ich werde es Alfred ausrichten. Vielleicht bringt es ihn ja dazu, dich zuerst anzugreifen.»

«Das wird er nicht tun», sagte Haesten im Brustton der Überzeugung. «Denn wenn er mich angreift, lässt er Haralds Männer ungehindert auf ganz Wessex los.»

Das stimmte. «Und warum greift er dann nicht Harald an?»

«Ihr wisst genau, warum.»

«Erklär’s mir.»

Er hielt inne. Sollte er mir alles offenbaren, was er wusste? Doch dann konnte er der Versuchung nicht widerstehen, mit seinem Wissen zu glänzen. Er benutzte den Dorn, um eine Linie auf die hölzerne Tischplatte zu kratzen, und zog dann einen Kreis, der von der Linie halbiert wurde. «Die Temes», sagte er und tippte auf die Linie; «Lundene», und er zeigte auf den Kreis. «Ihr liegt mit tausend Männern in Lundene. Und dahinter», er deutete etwas flussaufwärts auf die Temes, «hat Lord Aldhelm fünfhundert Mercier. Wenn Alfred Harald angreift, wird er Aldhelms und Eure Männer nach Süden schicken, und das würde Mercien einem Angriff schutzlos preisgeben.»

«Und wer sollte Mercien angreifen?», fragte ich in aller Unschuld.

«Die Dänen aus Ostanglien?», gab Haesten ebenso unschuldig zurück. «Alles, was sie dazu brauchen, ist ein mutiger Anführer.»

«Und unser Abkommen verlangt, dass du nicht in Mercien einmarschierst.»

«So ist es», sagte Haesten mit einem Lächeln. «Nur dass wir noch gar kein Abkommen haben.»

Doch, das hatten wir. Ich musste ihm den Drachenfahrer übergeben, und in seinem Kielraum standen vier mit Eisenbändern beschlagene Kisten voller Silber. Das war der Preis. Für das Schiff und das Silber versprach Haesten, aus Wessex abzuziehen und Mercien in Frieden zu lassen. Außerdem erklärte er sich bereit, die Missionare aufzunehmen und mir zwei Jungen als Geiseln zu übergeben. Er behauptete, der eine sei sein Neffe. Das mochte sogar stimmen. Der andere war jünger und in feines Leinen gekleidet, das von einer schweren Goldfibel zusammengehalten wurde. Er sah auffallend gut aus, hatte hellblondes Haar und ängstliche blaue Augen. Haesten stand hinter ihm und legte die Hände auf die schmalen Schultern. «Das hier, Herr», sagte er ehrerbietig, «ist mein ältester Sohn, Horic. Ich gebe ihn Euch als Geisel.» Er unterbrach sich und blinzelte. «Ich gebe ihn Euch als Geisel, Herr, um meinen guten Willen zu zeigen, aber ich bitte Euch – kümmert Euch um ihn. Ich liebe ihn über alles.»

Ich sah Horic an. «Wie alt bist du?», fragte ich.

«Er ist sieben», sagte Haesten und tätschelte seine Schultern.

«Lass ihn für sich selbst antworten», sagte ich. «Wie alt bist du?»

Der Junge machte ein kehliges Geräusch, und Haesten beugte sich hinab, um ihn zu umarmen. «Er ist taubstumm, Herr Uhtred. Die Götter haben beschlossen, mir einen tauben und stummen Sohn zu schicken.»

«Die Götter haben beschlossen, dich zu einem lügnerischen Bastard zu machen», sagte ich zu Haesten, aber so leise, dass nur er mich hören konnte. Seine Gefährten hätten mir diese Bemerkung vielleicht übelgenommen.

«Und wenn ich es bin? Was ist dann? Und wenn ich sage, dass dieser Junge mein Sohn ist, wer will mir dann das Gegenteil beweisen?»

«Du wirst Wessex verlassen?», fragte ich.

«Ich werde diesen Vertrag einhalten.»

Ich tat so, als glaubte ich ihm. Ich hatte Alfred erklärt, dass Haesten nicht zu trauen sei, doch Alfred war in einer verzweifelten Lage. Er war alt, er sah den Tod kommen, und er wollte Wessex von den verhassten Heiden befreien. Also bezahlte ich das Silber, nahm die Geiseln und ruderte in der Abenddämmerung nach Lundene zurück.

Lundene ist an einem Ort erbaut, an dem riesenhafte Geländestufen zum Fluss Temes hin abfallen. Eine Stufe folgt der anderen vom Ufer bis zur obersten Ebene. Dort haben die Römer ihre prächtigen Gebäude errichtet, von denen einige noch immer stehen, auch wenn sie in einem jämmerlich verfallenen Zustand sind, geflickt mit Flechtwerk und bedrängt von den strohgedeckten Hütten unserer Sachsen.

In diesen Tagen war Lundene ein Teil Merciens, doch Mercien war es ebenso wie den großen Römerbauten ergangen: Es war halb zusammengebrochen und von dänischen Jarls bedrängt, die sich auf seinen fruchtbaren Landstrichen angesiedelt hatten. Mein Cousin Æthelred war der oberste Aldermann von Mercien, der vermeintliche Anführer, doch Alfred von Wessex hielt ihn an der kurzen Leine. Alfred hatte auch dafür gesorgt, dass in Lundene seine eigenen Leute herrschten. Ich hatte den Befehl über die Garnison, während Bischof Erkenwald über alles andere bestimmte.

Heutzutage kennt man ihn nur noch als Sankt Erkenwald, aber ich erinnere mich an ihn als einen verdrießlichen Fuchs von einem Mann. Er war tüchtig, das spreche ich ihm nicht ab, und die Stadt wurde in seiner Zeit gut geführt, doch sein grenzenloser Hass auf alle Heiden machte ihn zu meinem Gegner. Ich verehrte Thor, also war ich für Erkenwald böse. Doch zugleich brauchte er mich: Ich war der Krieger, der seine Stadt beschützte, der Heide, der die heidnischen Dänen seit mehr als fünf Jahren in Schach hielt, der Mann, der in dem Gebiet um Lundene für Sicherheit sorgte, sodass Erkenwald seine Steuern erheben konnte.

Nun stand ich auf der obersten Treppenstufe eines Römerhauses. Von hier aus sah man weit über die Stadt. Bischof Erkenwald stand zu meiner Rechten. Er war viel kleiner als ich, aber das sind die meisten Männer, und dennoch ärgerte ihn meine Körpergröße. Ein Schwarm tintenfleckiger, bleichgesichtiger, ängstlicher Mönche drückte sich auf den unteren Stufen der Treppe herum. Ich hatte Finan, meinen irischen Kämpfer, zu meiner Linken. Und alle starrten wir Richtung Süden.

Wir sahen das Dächergewirr aus Stroh und Ziegeln, über dem sich die gedrungenen Türme der Kirchen erhoben, die Erkenwald hatte bauen lassen. Rote Milane schwebten in der Höhe darüber, ließen sich von den warmen Luftströmungen tragen, und über ihnen zogen erste Gänse südwärts über die Temes, über die Überreste einer römischen Brücke, eines wundervollen Bauwerks, das in der Mitte eingestürzt war. Ich hatte einen Balkengang darüberlegen lassen, doch sogar ich war jedes Mal angespannt, wenn ich dieses notdürftige Flickwerk überqueren musste. Doch nur so konnte man nach Suthriganaweorc gelangen, der Festungsanlage aus Erdwällen und Palisaden, die das südliche Ende der Brücke schützte. Um sie herum war ein kleines Hüttendorf entstanden. Hinter der Brücke erstreckte sich weites Marschland, und dahinter wiederum stieg das Land zu den niedrigen, grünen Hügeln von Wessex an. Über diesen Hügeln standen in weiter Ferne Rauchsäulen wie geisterhafte Pfeiler im Spätsommerhimmel. Ich zählte fünfzehn, doch Wolken verhüllten den Horizont, und es konnten leicht noch mehr sein.

«Sie überfallen die Dörfer!», sagte Bischof Erkenwald. Er klang gleichzeitig überrascht und empört. Wessex war seit Jahren von größeren Wikingerüberfällen verschont geblieben, weil die Burgfesten es schützten. Das waren Städte, die Alfred mit Wallanlagen umgeben und mit einer Garnison hatte ausstatten lassen, und dennoch brannten, schändeten und raubten Haralds Männer im gesamten östlichen Teil von Wessex. Sie umgingen die Burgfesten und griffen nur kleinere Siedlungen an. «Sie sind schon weit hinter Cent!», rief Erkenwald.

«Und sie stoßen noch tiefer nach Wessex vor», sagte ich.

«Wie viele sind es?»

«Es sollen zweihundert Schiffe angekommen sein. Also müssen sie wenigstens fünftausend Kämpfer haben. Ungefähr zweitausend davon werden wohl mit Harald auf Beutezug gegangen sein.»

«Nur zweitausend?», fragte der Bischof scharf.

«Es hängt davon ab, wie viele Pferde sie haben», erklärte ich. «Nur berittene Krieger beteiligen sich an den Überfällen, die übrigen bewachen die Schiffe.»

«Dennoch ist es eine gewaltige Horde.» Er berührte das Kreuz, das um seinen Hals hing. «Unser Herr König», fuhr er fort, «hat entschieden, diese Heiden bei Æscengum zu schlagen.»

«Æscengum!»

«Und warum nicht?» Der Bischof zuckte zurück, als ich auflachte. «Da gibt es nichts zu lachen», giftete er. Doch, das gab es! Alfred, es mochte auch Æthelred gewesen sein, hatte die Armee von Wessex nach Cent geführt, sie auf einem bewaldeten Bergkamm zwischen den Kräften von Haesten und Harald aufgestellt, und dann hatten sie nichts weiter getan. Nun schien es so, als habe Alfred, oder vielleicht auch sein Schwiegersohn, beschlossen, sich mit dem Heer nach Æscengum zurückzuziehen, einer Burgfeste mitten in Wessex. Vermutlich hofften sie, Harald würde sie dort angreifen und sie könnten ihn an den Wällen niederschlagen. Es war eine läppische Idee. Harald war ein Wolf, Wessex war eine Schafherde, und Alfreds Armee war der Wolfshund, der die Schafe beschützen sollte, doch nun leinte Alfred den Wolfshund an, weil er hoffte, der Wolf käme herbei und würde sich totbeißen lassen. Stattdessen gab er dem Wolf die Freiheit, sich in aller Ruhe an der Schafherde gütlich zu tun. «Und unser Herr König», sagte Erkenwald hochmütig, «hat darum gebeten, dass Ihr Euch ihm mit einigen Truppen anschließt, aber nur, wenn ich sicher sein kann, dass Haesten in Eurer Abwesenheit nicht Lundene angreift.»

«Das wird er nicht», sagte ich und spürte, wie ein Hochgefühl in mir aufstieg. Endlich hatte Alfred meine Hilfe erbeten, und das bedeutete, dass der Wolfshund ein paar scharfe Zähne bekommen würde.

«Fürchtet Haesten, dass wir die Geiseln töten?»

«Haesten gibt nicht mal einen stinkenden Furz auf die Geiseln. Der eine, den er seinen Sohn nennt, ist irgendein Bauernjunge, den er in ein prächtiges Gewand gesteckt hat, um uns zu täuschen.»

«Und warum habt Ihr Euch dann mit ihm einverstanden erklärt?», fragte der Bischof entrüstet.

«Was hätte ich denn Eurer Meinung nach tun sollen? Haestens Hauptlager angreifen, um nach seinen ungewaschenen Abkömmlingen zu suchen?»

«Also betrügt Haesten uns?»

«Natürlich betrügt er uns, aber er wird Lundene nicht angreifen, bevor Harald nicht Alfred geschlagen hat.»

«Ich wünschte, da könnten wir sicher sein.»

«Haesten ist vorsichtig», sagte ich. «Er kämpft nur, wenn er sicher ist, siegen zu können, andernfalls wartet er ab.»

Erkenwald nickte. «Also führt Ihr morgen Eure Männer nach Süden», befahl er. Dann ging er davon, und seine Priester wieselten hinterher.

Jetzt, mit dem Abstand so vieler Jahre, erkenne ich, dass Bischof Erkenwald und ich Lundene gut regiert haben. Ich mochte ihn nicht, und er hasste mich, und wir fluchten auf die Zeit, die wir miteinander verbringen mussten, aber er mischte sich nie in meine Garnisonsführung ein und ich mich nicht in seine Stadtregierung. Ein anderer Mann hätte mich vielleicht gefragt, mit wie vielen Kämpfern ich nach Süden ziehen oder wie viele ich zum Schutze der Stadt zurücklassen wollte, doch Erkenwald traute mir die richtige Entscheidung zu. Er war ein Fuchs.

«Wie viele Männer reiten mit dir?», fragte mich Gisela an diesem Abend.

Wir waren in unserem Haus, dem Haus eines römischen Händlers am Nordufer der Temes. Der Fluss verbreitete oft üblen Gestank, aber wir hatten uns daran gewöhnt und waren glücklich. Wir hatten Sklaven, Diener und Wächter, Kinderfrauen und Köche, und unsere drei Kinder. Da war zunächst Uhtred, unser Ältester, der damals etwa zehn Jahre alt gewesen sein muss, dann Stiorra, seine Schwester, und Osbert, der Jüngste, gerade zwei geworden und unfassbar neugierig. Uhtred war nach mir benannt, so wie ich nach meinem Vater benannt worden war und er nach seinem, aber dieser jüngste Uhtred brachte mich zur Weißglut, denn er war ein bleiches, ängstliches Kind, das immerzu an den Rockschößen seiner Mutter hing.

«Dreihundert», antwortete ich.

«Nur?»

«Alfred hat genügend Männer. Ich muss eine Garnisonsbesatzung hierlassen.»

Gisela zuckte zusammen. Sie war wieder schwanger, und bis zur Geburt konnte es nicht mehr lange dauern. Sie sah meinen besorgten Blick und lächelte. «Ich spucke Kinder aus wie Kirschkerne. Wie lange dauert es, bis du Haralds Männer besiegt hast?»

«Einen Monat?»

«Dann wird die Geburt vorüber sein», sagte sie, und ich berührte den geschnitzten Thorshammer, der um meinen Hals hing. Gisela lächelte mich erneut an. «Ich habe Glück, was Geburten angeht.» Und das stimmte. Die Geburten unserer Kinder waren leicht gewesen, und alle drei hatten überlebt. «Wenn du zurückkommst, schreit hier ein neuer Säugling herum», sagte sie, «und du hältst dir die Ohren zu.»

Ich beantwortete diese Wahrheit mit einem kurzen Lächeln, dann drückte ich den Ledervorhang zur Seite und trat auf die Terrasse hinaus. Es war dunkel. Auf der anderen Seite des Flusses, dort, wo die Festung über die Brücke wachte, schimmerten ein paar Lichter, die sich im Wasser brachen. Im Westen zeigte sich in einem Wolkenspalt ein purpurfarbener Streifen. Der Fluss rauschte zwischen den engstehenden Brückenpfeilern hindurch, doch davon abgesehen war es still in der Stadt. Nur gelegentlich hörte man einen Hund bellen oder Gelächter aus einer Küche dringen. Der Seolferwulf, der an der Anlegestelle neben dem Haus vertäut war, bewegte sich knarrend in einer leichten Brise. Ich blickte flussabwärts, wo ich am Ende der Stadt einen kleinen Turm aus Eichenholz am Ufer hatte errichten lassen. Von diesem Turm aus hielten Tag und Nacht Männer nach den tierköpfigen Schiffen Ausschau. Auf dem Turm war noch kein Warnfeuer zu sehen. Alles war ruhig. Die Dänen waren in Wessex, und Lundene schlief.

«Wenn das vorbei ist», sagte Gisela vom Türdurchgang aus, «sollten wir vielleicht in den Norden gehen.»

«Ja», sagte ich. Dann drehte ich mich zu ihr um. Sie war eine Schönheit mit schmalem Gesicht und dunklen Augen, eine Dänin wie ich, und sie war des Christentums in Wessex überdrüssig. Ein Mann sollte Götter haben, und vielleicht ergibt es Sinn, nur einen einzigen Gott anzuerkennen, aber warum dann ausgerechnet einen, der es so sehr liebt, seine Anhänger zu strafen? Der Christengott war nicht unser Gott. Aber wir waren gezwungen, unter Menschen zu leben, die ihn fürchteten und uns verdammten, weil wir zu anderen Göttern beteten. Doch ich hatte Alfred Treue geschworen, und so blieb ich dort, wo er mir zu bleiben befahl. «Er kann nicht mehr lange leben», sagte ich.

«Und wenn er stirbt, bist du frei.»

«Ich habe niemand anderem einen Schwur geleistet.» Das war ehrlich gemeint. Doch in Wahrheit hatte ich längst einen anderen Eid geschworen, und dieser Eid würde kommen und mich finden, aber er war an diesem Abend meiner Erinnerung so fern, dass ich glaubte, ich hätte Gisela wahrheitsgemäß geantwortet.

«Und wann stirbt er?»

«Wir gehen nach Norden», sagte ich. Nach Norden, zurück zum Stammsitz meiner Ahnen an der northumbrischen Küste, zurück in das Haus, das sich mein Onkel angeeignet hatte. Nach Norden zur Bebbanburg, nach Norden in das Land, in dem Heiden ohne das ständige Genörgel des angenagelten Christengottes leben konnten. Wir würden nach Hause gehen. Ich hatte Alfred lange genug gedient, und ich hatte ihm gut gedient, aber jetzt wollte ich nach Hause gehen. «Ich verspreche es», erklärte ich Gisela, «auf mein Wort, wir werden nach Hause gehen.»

Und die Götter lachten.

Wir überquerten die Brücke in der Morgendämmerung, dreihundert Krieger und noch einmal halb so viele Knaben, die sich um die Pferde kümmerten und zusätzliche Waffen trugen. Die Hufe dröhnten laut auf der behelfsmäßigen Brücke, als wir auf die Rauchsäulen zuritten, die vom Überfall auf Wessex kündeten. Wir ritten durch das weite Marschland, auf dem der Fluss bei Flut schwarz in den Senken steht, und erstiegen die sanften Hügel dahinter. Ich hatte den größten Teil der Garnisonsbesatzung in Lundene gelassen und nur meine eigenen Haustruppen mitgenommen, meine Krieger und Schwurmänner, die Kämpfer, denen ich bis in den Tod vertraute. Sechs dieser Männer hatte ich angewiesen, in Lundene zu bleiben, um mein Haus zu bewachen. Den Befehl über sie führte Cerdic, mein Kampfgefährte seit vielen Jahren. Er hatte mich angefleht, ihn mitzunehmen, und dabei beinahe geschluchzt. «Du musst Gisela und meine Familie beschützen», hatte ich ihm erklärt, und so blieb Cerdic zurück. Wir ritten auf dem Viehweg, auf dem Schafe und Rinder zum Schlachten nach Lundene getrieben wurden, zunächst Richtung Westen. Die Leute hielten ihren Blick auf die Rauchsäulen in der Ferne gerichtet, und viele Thegn unterhielten einen Ausguck auf Dächern oder hohen Bäumen. Aber sie schienen nicht sehr aufgeregt zu sein. Mehr als einmal wurden wir für Dänen gehalten, und dann flohen die Leute in aller Hast in die Wälder, doch sobald klar wurde, wer wir waren, kehrten sie zurück. Sie hätten ihr Vieh zur nächsten Burgfestung treiben sollen, denn schließlich drohte Gefahr, aber das Volk zögert immer, sein Heim zu verlassen. Ich befahl ganzen Dörfern, mit den Rindern, Schafen und Ziegen nach Suthriganaweorc zu gehen, aber ich bezweifle, dass die Leute mir gehorchten. Sie blieben lieber, wo sie waren, bis sie den heißen Atem der Dänen im Nacken spürten.

Und die Dänen blieben im Süden, also hatten die Dorfbewohner vielleicht recht. Wir wandten uns nun selbst nach Süden, ritten hoch auf die Hügel und erwarteten jeden Augenblick, die Plünderer zu entdecken. Ich hatte meine Späher ein gutes Stück vorausreiten lassen. Es war schon später Vormittag geworden, bis einer von ihnen ein rotes Tuch schwenkte, zum Zeichen, dass er etwas Auffälliges gesehen hatte. Ich galoppierte auf den Hügelkamm, doch ich sah nichts Besonderes im Tal unter mir.

«Da sind Leute geflohen, Herr», berichtete der Späher. «Sie haben mich gesehen und sind zwischen den Bäumen verschwunden.»

«Vielleicht sind sie ja vor dir davongelaufen.»

Er schüttelte den Kopf. «Sie waren schon in heller Aufregung, als ich sie bemerkte, Herr.»

Wir ließen unseren Blick über das weite Tal schweifen, das in saftigem Grün unter der Sommersonne lag. An seinem gegenüberliegenden Ende erhoben sich baumbestandene Hügel, und die nächste Rauchsäule erhob sich hinter diesem Hügelkamm. Das Tal wirkte friedlich. Ich sah kleine Felder, die Strohdächer eines Dorfes, einen breiten Weg, der nach Westen führte, und das Glitzern eines Flusses, der sich zwischen feuchten Auen dahinwand. Einen Feind sah ich nicht, doch die vollbelaubten Bäume hätten Haralds gesamte Horde verbergen können. «Was genau hast du gesehen?», fragte ich.

«Frauen, Herr. Frauen und Kinder. Und ein paar Ziegen. Sie sind in diese Richtung gerannt.» Er deutete westwärts.

Also flohen sie aus dem Dorf. Der Späher hatte ein paar von ihnen zwischen den Bäumen entdeckt, aber jetzt war keine Spur mehr von ihnen zu sehen. Was immer sie in die Flucht getrieben haben mochte, man konnte nichts erkennen, keinen Rauch in dem langen, weiten Tal, aber das musste nicht heißen, dass Haralds Männer hier nicht lauerten. Der Späher saß dicht neben mir auf seinem Pferd. Ich nahm sein Zaumzeug und führte sein Pferd ein Stück vom Hügelkamm hinunter. Ich dachte an den Tag vor so vielen Jahren, an dem ich zum ersten Mal in die Schlacht gezogen war. Ich war mit meinem Vater zusammen, der den Fyrd befehligte, diese Schar von Männern, die zum Kampf von ihren Feldern gerufen werden und als Waffen meist nur Hauen oder Sensen oder Äxte haben. Wir waren zu Fuß und deshalb ein langsames, schwerfälliges Heer. Die Dänen, unsere Feinde, waren beritten. Nachdem ihre Schiffe gelandet waren, hatten sie sich als Erstes Pferde gesucht, und dann hatten sie uns tanzen lassen. Wir hatten daraus gelernt. Wir hatten gelernt, wie die Dänen zu kämpfen, doch jetzt vertraute Alfred nur noch auf seine befestigten Städte, um Haralds Überfall aufzuhalten, und das bedeutete, dass Harald in den ländlichen Gegenden von Wessex frei umherziehen konnte. Seine Männer, das wusste ich, waren beritten. Vermutlich hatte er mehr Krieger als Pferde, sodass seine Truppen nach Pferden suchten. Unsere erste Aufgabe war es daher, diese Plünderer zu töten und uns die erbeuteten Pferde zurückzuholen. Sicher befand sich solch ein Trupp am östlichen Ende des Tals. Ich fragte einen Mann in meinen Reihen, der diesen Teil des Landes gut kannte. «Hier hat Edwulf einen Besitz, Herr», sagte er.

«Edwulf?»

«Ein Thegn, Herr.» Grinsend machte er mit der Hand eine Bewegung, als streiche er über einen enormen Bauch. «Dick und fett ist er.»

«Also ist er reich?»

«Sehr, Herr.»

All das deutete darauf hin, dass die Dänen ein lohnendes Nest zum Ausplündern gefunden hatten, und auch wir würden leichte Beute machen. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, dreihundert Männer über den Hügelkamm zu führen, ohne vom östlichen Ende des Tales aus entdeckt zu werden. Doch dann fanden wir einen Weg, den die Bäume verbargen, und um die Mittagszeit hatte ich meine Männer im Wald westlich von Edwulfs Besitz versteckt. Dann legte ich den Köder aus.

Ich schickte Osferth mit zwanzig Männern einen Pfad hinunter, der direkt auf die Rauchsäulen im Süden zuführte. Ich befahl ihnen, nie unmittelbar zu Edwulfs Palas hinüberzusehen, wo die Dänen jetzt plünderten, wie ich inzwischen wusste. Finan nämlich, der sich wie ein Geist zwischen den Bäumen bewegen konnte, war nahe an den Palas herangekrochen und berichtete bei seiner Rückkehr von einem Dorf mit etwa zwanzig Häusern, einer Kirche und zwei großen Scheunen. «Sie reißen das Stroh von den Dächern», sagte er. Das bedeutete, dass die Dänen die Dächer aller Häuser durchsuchten, weil einige Leute ihre Schätze dort im Stroh versteckten. «Und sie wechseln sich an ein paar Frauen ab.»

«Was ist mit Pferden?»

«Sie machen es nur mit Frauen», sagte Finan. Dann sah er meinen Blick, und sein Grinsen erstarb. «Sie haben eine ganze Herde in einer Koppel.»

Also ritt Osferth los, und die Dänen schnappten nach dem Köder wie eine Forelle, die auf der Jagd nach einer Fliege aus dem Wasser steigt. Sie sahen ihn, aber er gab vor, sie nicht zu sehen, und plötzlich galoppierten vierzig oder mehr Dänen los, um Osferth abzufangen, der so tat, als erschrecke er sich ganz furchtbar, und sich dann westwärts wandte, um vor der Linie meiner versteckten Männer entlangzupreschen.

Und dann war es so leicht, wie das Silber aus einer Kirche zu stehlen. Hundert meiner Männer brachen zwischen den Bäumen hervor und fielen den Dänen in die Flanke. Sie hatten keine Möglichkeit zu entkommen. Zwei unserer Feinde rissen die Zügel ihrer Pferde zu stark herum, und die Tiere stürzten in einem Wirbel von Hufen und Erde zu Boden. Andere versuchten, in die Richtung zu fliehen, aus der sie gekommen waren, und wurden von Speeren in den Rücken getroffen. Die erfahreneren Krieger schwenkten auf uns zu, weil sie hofften, unsere Angriffslinie durchbrechen zu können, aber wir waren zu viele, und meine Männer kreisten die feindlichen Reiter ein. Ich war nicht dabei. Ich führte meine übrigen Männer zu Edwulfs Palas, wo die restlichen Dänen zu ihren Pferden hasteten. Ein Mann, dem noch das Untergewand um die Beine hing, stolperte von einer schreienden Frau weg und wollte einen Haken schlagen, als er mich kommen sah. Smoka, mein Pferd, verlangsamte seinen Schritt, der Mann wollte ausweichen, doch Smoka brauchte keine Führung, und Schlangenhauch, mein Schwert, fuhr in den Schädel des Mannes. Die Klinge blieb stecken, sodass ich den sterbenden Dänen beim Weiterreiten mitschleifte. Blut spritzte an meinem Arm empor, dann endlich fiel der zuckende Körper zu Boden.

Ich trieb Smoka weiter, tötete die meisten Männer östlich der Siedlung und schnitt den überlebenden Dänen den Rückzug ab. Finan hatte inzwischen Späher auf den Gipfel des südlich gelegenen Hügels geschickt. Warum, fragte ich mich, hatten die Dänen keine Kundschafter auf dem Hügelkamm postiert, von dem aus wir die Flüchtlinge gesehen hatten?

Es gab unendlich viele kleinere Gefechte in diesen Tagen. Die Dänen von Ostanglien plünderten die Bauerngehöfte in der Gegend von Lundene, und wir rächten uns, indem wir tief in den dänischen Herrschaftsbereich eindrangen, um zu brennen, zu töten und zu plündern. Es bestand zwar ein Friedensvertrag zwischen Alfreds Wessex und Ostanglien, aber einen gierigen Dänen kümmerten die Worte nicht, die auf irgendeinem Pergament standen. Ein Mann, der auf Sklaven, Vieh oder einfach nur auf ein Abenteuer aus war, konnte über die Grenze Merciens reiten und sich nehmen, was er wollte, und wir ritten nach Osten und taten das Gleiche. Mir gefielen solche Raubzüge. Ich konnte dabei meine jüngsten Männer den Kampf üben, sie im Angesicht des Feindes die Waffen erheben lassen. Man kann einen Mann ein Jahr lang die Kriegskunst lehren, ihm die Geschicklichkeit am Schwert und den Umgang mit einem Speer beibringen, und dennoch lernt er in fünf Minuten des Kampfes viel mehr.

Es gab so viele Gefechte in jener Zeit, dass ich die meisten vergessen habe, doch an den Kampf bei Edwulfs Palas erinnere ich mich, obwohl er nichts Besonderes war. Die Dänen waren leichtsinnig gewesen, und wir hatten keine Opfer zu beklagen, doch ich erinnere mich daran, weil mich einer meiner Männer, nachdem der Kampf vorüber war und die Schwerter wieder in den Scheiden steckten, in die Kirche rief.

Die Kirche war klein, kaum groß genug für die fünfzig oder sechzig Seelen, die um den Palas lebten. Das Gebäude bestand aus Eichenbalken und hatte ein Strohdach, über dem ein hölzernes Kreuz aufragte. Eine plumpe Glocke hing am westlichen Giebel über der einzigen Tür. In den Seitenwänden befanden sich je zwei große Fenster mit Holzläden, durch die das Licht auf einen dicken Mann fiel, der nackt auf einen Tisch gefesselt war, der vermutlich als Altar der Kirche diente. Der Mann stöhnte. «Bindet ihn los», knurrte ich, und Rypere, der die Männer angeführt hatte, die gegen die Dänen in der Kirche gekämpft hatten, hastete voran, als hätte ich ihn aus einem Traum geweckt.

Rypere hatte trotz seiner jungen Jahre schon viel Schreckliches gesehen, dennoch schien er, ebenso wie seine Gefolgsleute, wie betäubt von den Grausamkeiten, die man diesem Mann angetan hatte. In seinen Augenhöhlen stand ein Gemisch von Blut und Gallert, seine Wangen waren blutverschmiert, seine Ohren und seine Männlichkeit abgeschnitten, seine Finger zuerst gebrochen und dann mit einem Meißel von den Handflächen abgetrennt. Zwei Dänen standen hinter dem Tisch, bewacht von meinen Männern, und ihre blutverschmierten Hände verrieten sie als die Folterer. Aber es waren nicht sie allein, sondern ihre Anführer, die für diese Gräuel verantwortlich waren, und deshalb erinnere ich mich an dieses Gefecht.

Denn an diesem Tag traf ich zum ersten Mal auf Skade, und wenn je eine Frau den Apfel von Asgard gegessen hat, der den Göttern ewigliche Schönheit verleiht, dann war es Skade. Sie war groß, beinahe so groß wie ich, und trug ein Kettenhemd über dem sehnigen Körper. Sie mochte etwa zwanzig Jahre alt sein, auf ihrem schmalen Gesicht lag ein stolzer, überheblicher Ausdruck, und sie blickte mich mit den blauesten Augen an, die ich jemals gesehen hatte. Ihr Haar, so schwarz wie die Federn von Odins Raben, hing lang und glatt bis zu ihrer schlanken Taille hinab, an der eine leere Scheide an einem Schwertgürtel hing. Ich starrte sie an.

Und sie starrte mich an. Und was sah sie?

Sie sah Alfreds Kriegsherrn. Sie sah Uhtred von Bebbanburg, den Heiden im Dienst eines christlichen Königs. Ich war hochgewachsen, und in diesen Tagen waren meine Schultern breit und kräftig. Ich war ein Schwertkrieger, ein Speerkrieger, und der Kampf hatte mich so reich gemacht, dass meine Kettenrüstung schimmerte und der Helm mit Einlegearbeiten aus Silber geschmückt war und die Armringe über den Ärmeln meines Kettenhemdes glitzerten. Mein Schwertgürtel war mit silbernen Wolfsköpfen verziert, Schlangenhauchs Scheide mit Jettsplittern besetzt, und meine Gürtelschnalle und die Gewandfibel bestanden aus reinem Gold. Nur der kleine Thorshammer, den ich um den Hals trug, war von billiger Machart, doch ich besaß diesen Talisman seit meiner Kindheit. Ich habe ihn immer noch. Heute ist meine Jugendherrlichkeit dahin, von der Zeit aufgefressen, doch Skade konnte sie damals erkennen. Sie sah einen Kriegsherrn.

Also spuckte sie mich an. Die Spucke traf meine Wange, und ich wischte sie nicht weg. «Wer ist diese Hündin?», fragte ich.

«Skade.» Rypere nannte mir ihren Namen und nickte dann in Richtung der beiden Folterer. «Sie sagen, Skade führt den Angriff hier.»

Der fette Mann stöhnte. Er war losgebunden worden und krümmte sich nun zu einer Kugel. «Sucht jemanden, der sich um ihn kümmert», sagte ich gereizt, und Skade spuckte mich erneut an. Dieses Mal traf sie meinen Mund. «Wer ist er?», fragte ich, ohne sie zu beachten.

«Wir glauben, das ist Edwulf», sagte Rypere.

«Bringt ihn hier heraus.» Dann drehte ich mich um, damit ich die Schönheit betrachten konnte, die mich angespuckt hatte. «Und wer ist Skade?»

Sie war Dänin, und sie war auf einem Gehöft geboren, das im nördlichen Teil ihres trostlosen Landes lag. Sie war die Tochter eines wenig vermögenden Mannes, der seine Witwe arm zurückgelassen hatte, doch die Witwe hatte Skade, und ihre Schönheit war sondergleichen, und deshalb war sie mit einem Mann verheiratet worden, der bereit war, für diesen langen, geschmeidigen Körper in seinem Bett zu bezahlen. Der Ehemann war ein friesischer Anführer gewesen, ein Pirat, doch dann war Skade Harald Bluthaar begegnet, und Jarl Harald hatte viel mehr zu bieten als ein Dasein hinter einer verrottenden Palisade auf einer wasserumspülten Sandbank, und deshalb war sie mit ihm fortgelaufen. All das sollte ich noch erfahren, doch zunächst wusste ich nur, dass sie Haralds Frau war und dass Haesten die Wahrheit gesagt hatte: Sie zu sehen bedeutete, sie zu wollen. «Ihr werdet mich gehen lassen», sagte sie mit staunenswerter Sicherheit.

«Ich tue, was ich will», erklärte ich ihr, «und ich nehme keine Ratschläge von einer Närrin an.» Sie warf den Kopf zurück vor Ärger, und ich sah, dass sie mich wieder anspucken wollte, also hob ich die Hand, wie um sie zu schlagen, und sie rührte sich nicht mehr. «Keine Wachtposten. Was für ein Anführer stellt keine Wachtposten auf? Nur ein Narr», sagte ich. Hass blitzte aus ihren Augen. Hass, weil ich recht hatte.

«Jarl Harald wird Euch Geld für meine Freiheit geben.»

«Mein Preis für deine Freiheit ist Haralds Leben.»

«Seid Ihr Uhtred?», fragte sie.

«Ich bin Herr Uhtred von Bebbanburg.»

Ein kaum merkliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. «Bebbanburg wird einen neuen Herrn brauchen, wenn Ihr mich nicht gehen lasst. Ich werde Euch verfluchen. Ihr werdet unerträgliche Qualen leiden, Uhtred von Bebbanburg, noch größere Qualen als er.» Sie nickte in Edwulfs Richtung, der gerade von vieren meiner Männer aus der Kirche getragen wurde.

«Auch er ist ein Narr», sagte ich, «weil er keine Späher ausgeschickt hat.» Skades Reiter waren im Licht der Vormittagssonne zum Dorf hinabgaloppiert, und niemand hatte sie kommen sehen. Einigen Dorfbewohnern, nämlich denjenigen, die wir vom Hügelkamm aus entdeckt hatten, war die Flucht gelungen, doch die meisten waren gefangen genommen worden. Von den Gefangenen lebten nur noch die jungen Frauen und die Kinder, die man als Sklaven verkaufen konnte.

Wir ließen einen Dänen am Leben, einen Dänen und Skade. Die übrigen töteten wir. Wir nahmen ihre Pferde, ihre Kettenrüstungen und ihre Waffen. Ich befahl den überlebenden Dorfbewohnern, ihr Vieh nach Suthriganaweorc zu treiben, denn Haralds Männer durften keine Verpflegung vorfinden, auch wenn das kaum zu machen war, nachdem die Ernten schon eingebracht waren und die Obstbäume voller Früchte hingen. Wir waren noch dabei, die letzten Dänen niederzumachen, als Finans Kundschafter von Reitern berichteten, die sich dem südlich gelegenen Hügelkamm näherten.

Ich machte mich mit siebzig meiner Männer, dem einen Dänen, den ich am Leben gelassen hatte, Skade und dem Stück Hanfseil, das an den Klöppel der Kirchenglocke geknotet gewesen war, auf den Weg, um die dänischen Reiter zu treffen. Ich ritt neben Finan auf den Gipfel des Hügels, der sanft in eine Wiese abfiel. Von dort aus hatten wir einen weiten Blick nach Süden. In großer Entfernung standen neue Rauchsäulen am Himmel, doch näher, viel näher, war eine Gruppe Reiter, die am Ufer eines weidenbestandenen Flusses entlang auf uns zukam. Ich schätzte, dass es etwa ebenso viele waren wie meine Männer auf dem Hügel, die nun rechts und links von meinem Banner mit dem Wolfskopf Aufstellung nahmen. «Steig ab», befahl ich Skade.

«Diese Männer suchen nach mir», sagte sie trotzig und machte eine Kopfbewegung zu den Reitern, die beim Anblick meiner Kampflinie angehalten hatten.

«Dann haben sie dich gefunden. Also steig ab.»

Sie starrte mich mit ihrem stolzen Blick an. Diese Frau hasste es, wenn man ihr Befehle gab.

«Du kannst absteigen, oder ich kann dich aus dem Sattel zerren. Du hast die Wahl.»

Sie stieg ab, und ich bedeutete Finan, ebenfalls abzusteigen. Er zog sein Schwert und stellte sich dicht neben die junge Frau. «Jetzt zieh dich aus», befahl ich ihr.

Nackter Zorn verdunkelte ihren Blick. Sie rührte keinen Finger, doch ich spürte ihre Wut wie eine angriffslustige Natter in ihrem Körper. Sie wollte mich töten, sie wollte schreien, sie wollte die Götter aus dem rauchverhangenen Himmel herabrufen, doch sie konnte nicht das Geringste tun. «Zieh dich aus», sagte ich, «oder ich lasse es meine Männer tun.»

Sie sah sich um, als suchte sie nach einem Fluchtweg, aber es gab keinen. Eine Träne schimmerte in ihrem Auge auf, doch sie hatte keine andere Wahl. Finan sah mich fragend an, denn es war nicht meine Art, grausam gegen Frauen vorzugehen, aber ich schwieg. Ich erinnerte mich an das, was mir Haesten über Haralds Unbeherrschtheit erzählt hatte. Ich wollte Harald Bluthaar reizen. Ich wollte seine Frau beleidigen, damit Harald in wildem Zorn und nicht nach kühler Überlegung handelte.

Skades Miene war ausdruckslos, als sie ihr Kettenhemd, eine Lederjacke und die leinenen Hosen auszog. Ein oder zwei meiner Männer jubelten auf, als unter der Jacke hohe, feste Brüste zum Vorschein kamen, doch dann knurrte ich sie an, und sie verstummten. Ich warf Finan das Seil zu. «Bind es ihr um den Hals», sagte ich.

Sie war so schön. Noch jetzt kann ich die Augen schließen und sehe diesen hochgewachsenen, schlanken Körper auf der Butterblumenwiese stehen. Die Dänen starrten vom Tal aus zu uns herauf, meine Männer gafften sie an, und Skade stand einfach da wie ein Geschöpf aus Asgard, das zur Mittelerde herabgestiegen war. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass Harald für sie bezahlen würde. Jeder Mann hätte sich in Armut gestürzt, um Skade zu besitzen.

Finan gab mir das Ende des Seils in die Hand, und ich ließ meinen Hengst ein Stück den Abhang hinuntergehen. Sie ging neben mir her. «Ist Harald dabei?», fragte ich sie und nickte in Richtung der Dänen, die nun noch etwa zweihundert Schritte entfernt waren.

«Nein», sagte sie. Ihre Stimme klang verbittert und angespannt. Sie schämte sich, und sie war wütend. «Dafür tötet er Euch.»

Ich lächelte. «Harald Bluthaar ist eine erbärmliche, stinkende Ratte.» Ich drehte mich im Sattel um und winkte Osferth mit dem einzigen dänischen Gefangenen heran. Es war ein junger Mann, der mit angsterfüllten blauen Augen zu mir emporsah. «Das ist die Frau deines Anführers», sagte ich zu ihm. «Sieh sie dir an.»

Er wagte es kaum, die Augen auf Skades Nacktheit zu richten. Er streifte sie nur mit einem kurzen Blick und sah dann wieder mich an.

«Geh und sag Harald Bluthaar, dass Uhtred von Bebbanburg seine Hure hat. Sag Harald, dass sie nackt ist und dass ich sie für mein Vergnügen benutze. Geh und sag ihm das. Geh!»