Das Geheimnis von Gisors - Marc Debus - E-Book

Das Geheimnis von Gisors E-Book

Marc Debus

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Inhaltsverzeichnis

Südfrankreich, Juni 1252 - Prolog

Gisors, Ende Januar 2012 - Begegnung

Brest, August 1944 - Das Kommando

Gisors, Februar 2012 - Die Burg

U-989, August 1944 - Feindfahrt

Gisors, März 1964 - Die Lieferung

Gisors, Februar 2012 - Das erste Treffen

Gisors, 1946 - Gefangenschaft

Gisors, Februar 2012 - Spurensuche

Atlantikküste nahe Boulogne-sur-Mer, August 1944 - Die Ladung

Frankreich, März 1964 - Ein Transport

Frankreich, Februar 2012 - Teambildung

Atlantikküste nahe Boulogne-sur-Mer, August 1944 - Gestrandet

Südfrankreich, März 1964 - Der Konvoi

Rouen, Militärhospital 1946 - Ein neuer Freund

Rouen, Februar 2012 - Das Militärarchiv

Atlantikküste nahe Boulogne-sur-Mer, August 1944 - Flucht

Gisors - Hamburg, Februar 2012 - Zurück in die Heimat

Südfrankreich, März 1964 - Der Bestimmungsort

Atlantikküste, August 1944 - Identitätswechsel

Wöhrden, Februar 2012 - Hinterlassenschaften

Gisors, April 1964 - Alte Freunde

Rouen, Militärhospital 1946 - Fragen über Fragen

Amiens, Ende August 1944 - Invasionswirren

Wöhrden - Bremerhaven - Gisors, Februar 2012 - Im Marinearchiv

Rouen, Militärhospital 1946 - Ausbruch

Gisors, Februar 2012 - Neue Erkenntnisse

Südfrankreich, Mai 1942 - Die Grabung

Gisors, Februar 2012 - Materialsichtung

Deutschland, Hamburg 1946 - Die Rückkehr

Gisors, Mai 1964 - Zurück in Frankreich

Südfrankreich Mai 1942 - Einstieg

Montségur, März 1244 - Die Belagerung

Gisors, Mai 1964 - Gleiche Interessen

Gisors, Februar 2012 - Weitere Puzzleteile

Südfrankreich, Mai 1942 - Der Befehl

Gisors, Februar 2012 - Nächtliche Erkundung

Norddeutschland, Mai 1946 - Endlich zu Hause

Gisors, Februar 2012 - Die Kapelle

Südfrankreich, Mai 1942 - Der Vorgesetzte

Gisors, Februar 2012 - Zusammenhänge

Rennes-le-Château / Südfrankreich, Juni 1888 - Der Pfarrer

Frankreich, Februar 2012 - Suche im Süden

Deutschland, Wöhrden 1964 - Der Entschluss

Rennes-le-Château / Südfrankreich, Januar 1917 – Das Ende

Südfrankreich, Februar 2012 - Das Steinkreuz

Montségur, Mai 1942 - Eine weitere Entdeckung

Südfrankreich, Februar 2012 - Geheime Orte

Deutschland, Hamburg 2012 - Resümee

Montségur, Mai 1942 - Abbrechen der Zelte

Südfrankreich, Februar 2012 - Kunstwerke

Rennes-le-Château, Juni 1942 - Zähe Untersuchungen

Rennes-le-Château, Februar 2012 - Der Legionär

Rennes-le-Château, Juni 1942 - Eigene Entscheidungen

Rennes-le-Château, Februar 2012 - Die Befreiung

Südfrankreich, Anfang Februar 2012 - Die Gefangene

Rennes-le-Château, Juni 1942 - Ein neues Leben

Südfrankreich, Anfang Februar 2012 - Jäger und Gejagter

Rennes-le-Château, Juni 1942 - Der Plan

Carcassonne, Februar 2012 - Erwischt?

Rennes-le-Château, Juni 1942 - Ein offizieller Fund

Carcassonne, Anfang Februar 2012 - Die Verfolgung

München, Anfang Februar 2012 - Der Händler

Rennes-le-Château, Juni 1942 - Hoher Besuch

Carcassonne, Anfang Februar 2012 - Ein abruptes Ende

Gisors, Mai 2012 - Nachlese und späte Ehrung

Fougax-et-Barrineuf, Südfrankreich 2012 - Epilog

Über dieses Buch und seine Handlung

Danksagung

Das Geheimnis von Gisors

Marc Debus

Schreibstark Verlag 2016

Saalburgstr 30

61267 Neu Anspach

2. Auflage

ISBN: 978-3-946922-14-8

Südfrankreich, Juni 1252 - Prolog

Eduardo de Escoba stand an einem großen Holztisch in seiner Werkstatt in Béziers. Er hatte verschiedene Gegenstände vor sich auf dem Tisch stehen, überall lagen Werkzeuge herum. Sein Wissen und seine Sachkenntnisse über Schlösser und Schließmechanismen hatten ihm in den letzten Jahren im Templerorden immer wieder Aufträge hoher Ordensführer eingebracht, die sich vornehmlich um die Schatzkammern und Transporttruhen des Ordens gedreht hatten. Dies hatte ihn in weit entlegene Gebiete Europas gebracht und er hatte seine eigentliche Heimat Spanien schon lange nicht mehr gesehen.

Dieses Mal war das Projekt, das man ihm angetragen hatte, etwas größer. Der Orden hatte verschiedene Räumlichkeiten und Lagerorte in ganz Frankreich bestimmt, die durch ein von ihm entwickeltes System geschützt werden sollten. Dabei sollte der Zugang überall ähnlich angelegt sein, um den eingeweihten Personen in jeder der Lagerstätten mit denselben Handgriffen den Zugang zu gewähren. Die Aufgabe war schwierig gewesen, aber er hatte sie gelöst.

Der Orden hatte einige Lagerräume von den Katharern übernommen, zu denen immer freundschaftliche Kontakte bestanden hatten. Eduardo probierte den Mechanismus, den er entworfen hatte, ein weiteres Mal an dem Modell aus, das er gebaut hatte. Der Mechanismus musste einfach, aber vor allem haltbar sein. Dass er nicht offensichtlich sein sollte, verstand sich von selbst. Er drückte das kleine Kreuz auf dem viereckigen Kasten nach hinten und ein leises Klicken ertönte. Eine Seite des Kastens sprang auf. Eduardo war zufrieden.

Seine nächste Aufgabe bestand darin diesen Mechanismus in den verschiedenen Lagerräumen einzubauen. Im Hof der Komturei lagerte ein Tross Handwerker, die ihm dabei behilflich sein sollten. Verschiedene Bauteile waren bereits angefertigt worden und lagen auf Karren, die im Hof standen. Einige Männer hatten angefangen Pferde vor die Wagen zu spannen, da Eduardo vor einer Stunde den Aufbruch befohlen hatte.

Er räumte sein Modell und einige Werkzeuge und Pläne in eine Truhe und ließ auch diese durch einen Knecht auf einem der Wagen verstauen. Er ging hinunter in den Hof, wo sich neben den Handwerkern einige Tempelritter neben ihren gesattelten Pferden aufhielten. Ein Stallknecht hatte Eduardos Pferd vorbereitet und er ging zu dem prachtvollen schwarzen Tier. Er tätschelte ihm die Flanke, redete ihm gut zu und stieg auf.

Er sah sich die bereitstehende Kolonne an und rief dann laut den Befehl zum Aufbruch durch den Hof. Er setzte sich an die Spitze der Gruppe und passierte als Erster das Tor der Komturei. Insgesamt folgten ihm über vierzig Männer auf die Straße hinaus. Beim Verlassen Béziers wendete sich der Trupp nach Süden. In zwei bis drei Tagen würden sie ihr erstes Ziel erreicht haben.

Gisors, Ende Januar 2012 - Begegnung

Ein schmaler Lichtstreifen war an der Decke des Hotelzimmers zu sehen, als Gerhard erwachte. Er blickte ihn eine ganze Zeit lang an, bevor ein weiterer Blick zur anderen Bettseite ihn in seine Realität zurückholte. Es war ein fremdes Zimmer, ein großes ebenso fremdes Doppelbett, aber er war alleine hier. Sein Kopf schmerzte leicht, was deutlich vom Rotwein des gestrigen Abends herrühren musste. Seit der Trennung von seiner langjährigen Lebensgefährtin nahm Gerhard das alleine wach werden immer noch als störend und unwirklich wahr, dafür waren diese Kopfschmerzen vom übermäßigen Alkoholkonsum umso vertrauter geworden.

Er ging ins Bad und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Rasiert hatte er sich bereits seit einigen Tagen nicht mehr. Nirgendwo am Spiegelrahmen fand sich ein kleiner Zettel, wie sie sie ihm früher immer morgens hinterlassen hatte, um ihm einen schönen Tag zu wünschen oder ihm zu sagen, dass sie ihn liebte. Er musste mehrmals schlucken und sah sich wieder im Spiegel an. Für sein Alter wirkte er an für sich noch sehr jung. Er war gut durchtrainiert und hatte noch immer ausreichend dichtes, braunes Haar auf seinem Kopf. Der Dreitagebart unterstützte sein sportliches, individuelles Auftreten eher noch. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren der einzige Hinweis auf seinen momentan nicht ganz gesunden Lebenswandel. Er wusch sich das Gesicht, stutzte den Bart ein wenig und machte sich dann auf zum Frühstücksraum in die untere Etage.

Das „Bonjour“ der Hotelangestellten und der Geruch nach frischen Croissants erinnerte ihn wieder daran, in welchem Land er sich befand und das hob seine Laune gleich wieder ein wenig. Auch die Einrichtung des kleinen Speisesaals und die Bilder an den Wänden waren typisch französisch. Das kleine Hotel am Bahnhof von Gisors war generell sehr gemütlich eingerichtet und das internationale Frühstücksbuffet ausgesprochen gut und reichlich.

Während er die frischen Croissants, Rühreier mit Speck und schwarzen Kaffee genoss, machte sich Gerhard über seinen bereits gestern gefassten Tagesplan Gedanken. Er hatte sich für den heutigen Tag vorgenommen die Burg und die Kirche der Stadt zu besichtigen. Er las noch einmal in seinem Reiseführer nach, was er über die Sehenswürdigkeiten von Gisors finden konnte, während er noch einen Erdbeerjoghurt zum Abschluss seines Frühstücks löffelte.

Dies war seit langer Zeit der erste Urlaub, den er alleine verbrachte und er hatte deshalb beschlossen seinen historischen Interessen nachzugehen. Die letzten Jahre war er immer in Begleitung verreist und war es gewohnt mit jemandem gemeinsam die Urlaubstage zu planen und zu verbringen. Er hatte dabei seine Besichtigungsvorlieben auf ein verträgliches Maß reduziert. Schon wieder stahl sich ein Hauch Melancholie in seine besser gewordene Laune.

Während er sein Frühstück beendete betrachtete er auf dem Display seiner Spiegelreflexkamera, einer Canon 650D, die Bilder der letzten Tage, in denen er sich bereits Einiges im Norden Frankreichs angeschaut hatte. Die letzten Bilder zeigten die kleine Templerkappelle in Laen und die riesige, beeindruckende Kathedrale der Stadt, mit den berühmten Ochsenfiguren, die die Abschlusskapitäle ihrer beiden Türme trugen.

Gerhard hatte auch den ungewöhnlichen Zeitpunkt seines Trips bisher nicht bereut. Eigentlich war der Februar nicht die Jahreszeit, um sich in der Bretagne und der Normandie herumzutreiben, aber das Wetter war ausgesprochen mild und der positivste Effekt dieser Jahreszeit war, das fast keine Touristen anzutreffen waren. Bisher hatte er alle Orte seiner Besichtigungen in Ruhe genießen können und an den Abenden immer nette Kontakte zu Einheimischen in kleinen Bars gefunden, die er dann mit seinen eher ungenügenden Französischkenntnissen und auf Englisch bestritten hatte. Trotz der Verständigungsschwierigkeiten hatte es immer ausgereicht, um sich mit französischem oder belgischem Bier, Rotwein und einigen Gläsern Pastis in Gesellschaft so weit zu benebeln, dass er danach in seinem Zimmer ohne zu viele negative Gedanken hatte einschlafen können.

Abends war die Einsamkeit eines Hotelzimmers, die eigentlich immer mit einem Doppelbett ausgestattet waren, für ihn noch immer schwer zu ertragen. Leider waren die leichten Kopfschmerzen und Augenringe ein weniger schöner Nebeneffekt dieser feucht fröhlichen Abende.

Auf dem Weg zurück in sein Hotelzimmer machte er sich Gedanken darüber, ob er den heutigen Abend einmal anders ausklingen lassen sollte. Er sah sich im Zimmer genötigt, eine Aspirin Tablette zu sich zu nehmen, um damit die Nachwirkungen des Abends zu bekämpfen. Er wollte sich immerhin nicht den Spaß an seiner Besichtigungstour verderben lassen.

Danach packte er seine Canon-Kamera und ein paar andere Sachen zusammen, um sich den Sehenswürdigkeiten der Stadt zuzuwenden. Er überprüfte noch einmal, ob die Akkus geladen waren und packte zur Sicherheit auch eine weitere SD-Speicherkarte für die Kamera ein.

Als er am Ausgang des Hotels angekommen war, begrüßten ihn eine herrliche Februarsonne und ein wolkenloser, blauer Himmel. Allerdings machte ihn das Licht auch gleich darauf aufmerksam, dass seine Kopfschmerzen noch immer nicht erfolgreich durch das Aspirin bekämpft worden waren. Der Vorsatz den Abend anders zu gestalten nahm in seinem Kopf immer mehr Gestalt an. Leider wusste er auch, dass er solchen Vorsätzen viel zu häufig im Laufe des Tages wieder untreu wurde.

Da er bereits am frühen Abend des Vortages die Stadt Gisors erreicht hatte, hatte er die Innenstadt und die Lage, der um diese Uhrzeit bereits geschlossenen Burg bei einem Spaziergang schon erkundet. Er wusste, dass ein zwanzigminütiger Fußmarsch mit seinem Kameragepäck notwendig war, um die Stadtmitte zu erreichen.

Er dachte nach und seufzte, während sein Blick auf seinen alten strichachter Mercedes viel, der gegenüber dem Hotel in einer Parkbucht parkte. Er nestelte in seiner rechten Hosentasche und das vertraute Klimpern sagte ihm, dass er den Autoschlüssel in der Tasche stecken hatte. Die Kopfschmerzen erleichterte ihm die schnell gefällte Entscheidung mit dem Auto zur Burg zu fahren.

Er liebte seinen 240er Mercedes, das große alte Lenkrad und die alten Ledersitze. Alles war in einem guten, restaurierten Zustand und passte zu seinem Job als Antiquitätenhändler. Viele seiner Kunden hatten ihm den Wagen schon abkaufen wollen, aber sein Geschäft lief so gut, dass er darüber noch nie hatte nachdenken müssen. Er drehte den Schlüssel und startete den Motor.

Nach einer kurzen Fahrt durch die Innenstadt erreichte er den weitläufigen Parkplatz vor der Burganlage. Er parkte den Mercedes in einer der Parkbuchten und ging zum Tor der Burg, deren Anlagen direkt an den Parkplatz grenzten. Als er durch das Tor trat und den mächtigen Donjon in der Mitte der Burgmauern erblickte, ließ er revuepassieren, was er über die im Jahre 1113 fertiggestellte Burg und deren Geschichte gelesen hatte.

Die Festung hatte in früheren Zeiten wegen ihrer strategischen Lage in der Normandie eine große Bedeutung gehabt, da sie den Zugang zwischen England und Frankreich beherrschte. 1158 wurde die Anlage dann vom Templerorden übernommen, der sie später durch einen Verrat an den englischen König Heinrich II verlor.

Weitaus spannender waren allerdings die unzähligen, neuzeitlichen Varianten des Gerüchts das besagte, der Schatz der Templer sei irgendwo in der Burg von Gisors versteckt. Lange hatten sich die Vermutung gehalten, dass die Tempelritter im Jahr 1307 ihren Schatz, oder Teile davon, in der Motte, das war der Hügel auf welchem der Donjon der Burg thronte, versteckt hätten. In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg hatte dieses Gerücht neuen Auftrieb erhalten. Der Gärtner der Burg Robert Lhomoy hatte nach eigenen, illegalen Grabungen, im Jahr 1946 behauptet, eine Kapelle mit Truhen in der Motte entdeckt zu haben.

Die Behörden gingen der Meldung Lhomoys allerdings nicht nach, sondern schütteten die von ihm angelegten, einsturzgefährdeten Gänge unter Zuhilfenahme deutscher Kriegsgefangener einfach wieder zu. Die Geschichte Lhomoys verarbeitete der französische Journalist Gérard de Sède im Jahr 1962 in seinem Buch „Die Templer sind unter uns“. Lhomoy erzählte ihm seine Geschichte, in der Zeit in der er als Stallknecht auf dem Landgut von de Sède gearbeitet hatte.

Danach kamen viele Abenteurer und Schatzsucher nach Gisors und gruben an und im Umfeld der Burg nach dem vermeintlichen Schatz. Lhomoy konnte nach beharrlichen Versuchen beim Staatspräsidenten Charles de Gaulle dann doch noch eine offizielle Grabung erwirken. Die Burganlage wurde deshalb im Jahr 1964 für die staatlich beauftragten Grabungen militärisch gesperrt. Bereits nach kurzer Zeit wurde dieses Projekt allerdings wiedereingestellt, weil der Turm der Burg durch die Grabungsmaßnahmen einzustürzen drohte. Die bis zu dieser Zeit angestellten Untersuchungen waren angeblich ergebnislos verlaufen. Später gab es allerdings Behauptungen, es habe doch Funde auf dem Gelände gegeben und diese seien in mehreren Kisten mit Lastkraftwagen abtransportiert worden. Aber auch das konnte nie bewiesen werden.

Zumindest eine interessante Geschichte, wie Gerhard befand. Er betrat nun den Innenhof der Burg, in deren Mitte der Donjon auf der Motte das gesamte Gelände überragte. Sein eigentliches Interesse bestand darin, den Donjon zu besichtigen, was, wie er herausgefunden hatte, nur mit einem Führer gestattet war. Als er das kleine Büro auf der linken Seite des Eingangs erreichte, wurde er allerdings herb enttäuscht. Ein kleines Schild besagte, dass der Donjon in der Zeit von November bis März zur Besichtigung nicht geöffnet und ein Betreten desselben nicht gestattet sei.

Gerhard war enttäuscht. Er beschloss trotzdem, sich die Anlage genauer anzusehen und wendete sich nach rechts in den ausgedehnten Innenhof. Die frühen Morgenstunden und die frische Luft hatten den gleichen Effekt auf seinen Körper wie bereits an den Tagen zuvor. Er fühlte sich ein wenig elend und verfluchte ein weiteres Mal den Rotwein, den er am Vorabend getrunken hatte.

Bis auf einen alten Mann, der seinen Hund spazieren führte, war niemand im Park des Burghofes zu sehen. Gerhard hatte auf einem weiteren Schild gesehen, dass das kleine Büro ab 10 Uhr besetzt sein würde. Er fasste den Plan nachzufragen, ob er trotzdem einen Führer außerhalb der Öffnungszeiten engagieren könnte, um den Donjon zu besichtigen. Er wollte keine Chance ungenutzt lassen, wenn er schon einmal in Gisors war. Ein Blick auf die Uhr seines Mobiltelefons verriet ihm, dass es schon kurz nach neun Uhr war.

Gerhard schritt an der vorderen Seite der Motte entlang, langsam durch den Burghof. Er erreichte den Punkt, an dem ein Weg die Motte hinauf zum Donjon führte. Neben dem Eingang zu diesem Aufweg, der kreisförmig um den Hügel herum nach oben führte, war ein Abgang in ein Gewölbe zu sehen, das durch ein Stahlgitter versperrt war. Er passierte die Stelle und entdeckte auf dem weiteren Weg nach einigen Minuten auf der Rückseite des Hügels einen mit einer Tür verschlossenen Ausgang, Dahinter schien ein Gang zu liegen, der ins Innere der Motte führte. Durch ein kleines, vergittertes Fenster in der Tür konnte er ein Stück des Ganges erkennen und er nahm im hinteren Teil einen schwachen Lichtschein wahr. Auch Geräusche waren aus dem Gang zu vernehmen, die auf Arbeiten im Inneren des Hügels hindeuteten.

Gerhard setzte seinen Weg fort und kam nach zehn Minuten wieder am Tor an. Er hatte einige Bilder der Anlage mit seiner Canon geschossen und beschloss nun die Kirche der Stadt zu besichtigen, die unterhalb der Burg am Parvais de l´Eglise lag. Das würde die Zeit überbrücken, bis das kleine Büro in der Burg geöffnet würde.

Auf dem Weg die Straße hinunter suchte er eine Patisserie auf und kaufte sich einen Take-away Kaffee. Irgendetwas musste er nämlich gegen das flaue Gefühl in seinem Magen tun und ein Kaffee schien ihm dafür am besten geeignet zu sein.

Auf der Straße entfernte er zuerst den Deckel des Bechers, damit der Kaffee schneller abkühlen konnte. Er erreichte, kleine Schlucke Kaffee trinkend, den kleinen Platz, an dem die Kirche stand. Er betrat diese durch die linke der beiden, mächtigen Hauptportaltüren. Gerhard schaute sich im Inneren des Gotteshauses um und stellte fest, dass er auch hier wiederum alleine zu sein schien. Er stellte seinen Kaffeebecher auf einer Kirchenbank ab und zog seine Kamera aus der Tasche. Er hängte den Fotoapparat um seinen Hals und schaltete ihn ein. Ein kurzer Test zeigte ihm, dass er so fotografieren und gleichzeitig den Kaffee in der anderen Hand halten konnte. Er wendete sich ins Innere der Kirche und machte Bilder von Fenstern, Figuren, Wandgemälden und dem mächtigen Altar.

Er hörte wie eine der Fronttüren geöffnet wurde und geräuschvoll wieder ins Schloss viel. Jetzt war doch noch jemand in der Kirche aufgetaucht und Gerhard war nicht mehr alleine. Er bewegte sich vom Altar kommend wieder Richtung Eingang und machte einige weitere Bilder von verschiedenen Fenstern der Kirche. Er kam an einer dicken Säule an und richtete die Kamera auf ein Kapitel, das sich im oberen Bereich der Deckenbögen befand und reichlich verziert war.

Ein plötzlicher Stoß in seinen Rücken ließ ihn nach vorne straucheln. Er konnte zwar die Kamera festhalten, den Kaffeebecher entleerte er allerdings auf seine Jacke. „Scheiße“, entfuhr es ihm und er drehte sich verärgert um, um die Ursache des Stoßes zu ergründen. Er blickte in die Augen einer erschrocken wirkenden jungen Frau mit roten Haaren, die ein leises „Entschuldigung“, murmelte. Gerhard zögerte, bevor er antwortete. Ihr bemitleidenswerter Anblick hatte seinen Ärger direkt weggewischt. „Nicht gerade toll, aber sowas kann passieren.“ Er zog die Jacke aus und stellte fest, dass außer ihr nichts nass geworden war. Er hatte Glück gehabt, dass er sich den Kaffee nicht über die Kamera geschüttet hatte. Während er noch die Kaffeeflecken auf seiner Jacke betrachtete, drehten sich seine Gedanken bereits um die Lederjacke im Kofferraum des Mercedes. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass die junge Frau, die immer noch neben ihm stand, Deutsch mit ihm geredet hatte. Er drehte sich zu ihr und fragte: “Sie sind Deutsche?“ - „Ja“, sagte die junge Frau, „ich komme aus Hamburg und bin im Urlaub hier.“ Sie wirkte noch immer verlegen und es war ihr deutlich anzusehen, dass der Vorfall ihr sehr unangenehm war.

„Kann ich sie zu einem neuen Kaffee einladen, um mein Missgeschick ein wenig auszubügeln?“, fragte sie. Gerhard dachte darüber nicht lange nach, zumal es immer noch mehr als eine halbe Stunde dauern würde, bis das Büro an der Burg öffnete. „Gerne“, antwortete er, „mein Name ist übrigens Gerhard Maibach.“ - „Jasmin Pandle“, sagte sie und hielt ihm ihre Hand hin. Er schüttelte ihre Hand mit einem Lächeln und sagte: „Dann lassen sie uns gehen.“

Die beiden verließen die Kirche und gingen die kleine Gasse an der Seite der Kirche hinunter, die zur Rue du Dauphine führte. Da es keine sehr große Auswahl an Geschäften in diesem Bereich gab, führte der Weg in eine kleine Brasserie, in der Gerhard sich bereits gestern einen Kaffee geholt hatte. Sie nahmen an einem kleinen Tisch mit alten Holzstühlen im inneren der Brasserie de l´Etoile Platz.

Sie bestellten zwei große, amerikanische Kaffee und Gerhard hängte seine nasse Jacke über die Lehne eines weiteren Stuhles. Jasmin blickte auf Gerhards Jacke. „Das mit ihrer Jacke tut mir wirklich leid. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass jemand hinter der Säule steht.“ - „Ist nicht wirklich tragisch“, antwortete Gerhard, „ich habe noch eine Jacke in meinem Auto, das in der Nähe der Burg steht.“ Er lachte auf: “Wenn ich heute Morgen gleich die Lederjacke angezogen hätte, wäre durch den Kaffee gar nichts passiert.“ Nun lachte Jasmin ebenfalls und ihre Gesichtszüge entspannten sich zum ersten Mal seit dem kleinen Unglücksfall.

Gerhard schätzte die junge Frau bei näherer Betrachtung auf Mitte zwanzig. Ihr rotes Haar war gelockt und schulterlang und auf der Nase in ihrem etwas bleichen, sommersprossigen Gesicht saß eine schmale, feinwirkende randlose Brille. Sie hatte eine sehr sportliche Figur und machte einen weltoffenen Eindruck. „Was treiben sie zu dieser Jahreszeit hier in Nordfrankreich. Es gibt bei weitem bessere Orte um seinen Urlaub zu verbringen, wenn man an das kalte verregnete Wetter in Deutschland dieses Jahr denkt.“ - „Da gebe ich Ihnen recht, aber ich wollte die Orte sehen, von denen mein Großvater mir immer erzählt hat, als ich ein kleines Mädchen war. Außerdem ist der Geldbeutel einer Studentin nicht so prall gefüllt, als dass man mal eben auf die Malediven fliegen kann.“ Gerhard lachte.

Es war erfrischend nach zwei Wochen wieder einmal Deutsch zu reden. Dabei einen Kaffee, anstatt Pastis zu trinken, kam zudem seinem morgendlichen Vorsatz sehr entgegen. „Was studieren Sie?“, fragte Gerhard. „Ich studiere Kunstgeschichte in Hamburg“, antwortete sie. „Dann bieten Ihnen die Sehenswürdigkeiten hier in Gisors sicherlich einiges, das sie interessieren dürfte.“ - „Da gebe ich Ihnen recht. Ein netter Nebeneffekt der Reise ist es auf alle Fälle.“

Gerhard trank einen großen Schluck seines warmen Kaffees. „Was hat ihr Großvater in Frankreich gemacht?“ - „Mein Opa war im Krieg hier in Frankreich stationiert und später auch in Kriegsgefangenschaft, aus der er aber bereits 1946 nach Hause gekommen ist. Bei uns in der Familie hat ihm selten jemand zugehört, weil er im Alter sehr oft vom Krieg und vor allem den Erlebnissen in Gisors geredet hat. Dabei hat er einige der Geschichten mehr als einmal erzählt. Mich hat es immer fasziniert, weil er sich so genau an alles erinnern konnte und sich die Geschichten nie veränderten. Daten, Personennamen und Ereignisse waren bei ihm so abgespeichert, dass man den Eindruck hatte er lese seine Erzählungen ab.“ - „Das hört sich sehr interessant an. Ich kann gut verstehen, dass man sich für historische Dinge interessiert, vor allem dann, wenn es die Familie betrifft. Ich selbst bin auch so - Ich schätze auch, dass mein Beruf dies mit sich bringt - Wollen sie noch einen Kaffee?“ - „Gerne!“, antwortete Jasmin.

Gerhard ging zum Tresen und bestellte zwei weitere Tassen Kaffee. Er genoss das unbeschwerte Gespräch nach all den Monaten der Grübelei, seit der Trennung von seiner Freundin. Das war auch der Grund, warum er beschlossen hatte, dieses erfrischende Gespräch, um einen weiteren Kaffee zu verlängern. Er kehrte mit den beiden Tassen an den Tisch zurück. Jasmin legte ihr Mobiltelefon zur Seite, mit dem sie beschäftigt war und rührte Zucker und Milch in ihren Kaffee. „Mein Freund hat nicht so viel Glück wie ich“, sagte sie, „er muss leider arbeiten. So ist das Leben. Sie erwähnten eben ihren Beruf. Was machen sie eigentlich?“ - „Ich war Geschichtslehrer an einem Gymnasium bis ich das Geschäft meines Vaters übernommen habe. Ich kam mit den meisten meiner hochnäsigen Kollegen sowieso nicht klar. Heute handele ich mit Antiquitäten, was meinen geschichtlichen Interessen natürlich sehr entgegenkommt. Sicher war der Beruf meines Vaters auch ein Grund für die Wahl meines Berufes. Ich habe es geliebt in seinem Geschäft mit all den alten Sachen zu sitzen und mir abenteuerliche Geschichten zu den Gegenständen auszudenken. So geht es mir oft heute noch, wenn ich alte Sachen auspacke und sie betrachte.“

Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile über das Geschäft von Gerhard und Jasmin hatte einige Fragen die mit ihrem Kunstgeschichtsstudium in Zusammenhang standen. Gerhard beantwortete gerne, was er beantworten konnte und die junge Frau begann ihm immer mehr Freude zu bereiten. Es war bereits kurz vor Elf, als er auf seine Armbanduhr schaute. Er wollte immer noch seinen Plan umsetzen, die Burg zu besichtigen, hatte aber auch große Lust sich noch weiter zu unterhalten.

„Ich werde mir jetzt noch ein wenig die Stadt anschauen. Sie haben ja sicher auch noch etwas vor. Falls sie aber heute Abend Lust hätten mit mir zu Essen und noch etwas zu plaudern, könnten wir uns gerne in dem kleinen Restaurant unten an der Flussbrücke treffen. Es heißt Royal Asie. Ich hätte nämlich sonst nichts vor außer mit alten Franzosen zu viel Pastis zu trinken“, er lachte. “Liebend gerne, zumal es mir mit der Abendgestaltung ähnlich geht. Ich versuche noch das eine oder andere von meinem Opa in Erfahrung zu bringen und könnte ab 19 Uhr zum Essen kommen.“- „Dann ist das abgemacht“, sagte er und stand auf.

Gerhard freute sich sehr und er hoffte gleichzeitig, dass ein netter Abend mit weniger französischen Getränken ihn vor den üblichen Kopfschmerzen bewahren würde. Sie einigten sich auf zwanzig Uhr und verließen die Brasserie. Jasmin gab Gerhard zum Abschied die Hand und sie gingen in unterschiedliche Richtungen davon.

Gerhard war froh. Jasmin brachte ihn auf andere Gedanken und das war gut so. Sie war jung und nett. Er war sich sicher, dass sein Handeln nicht sexuell motiviert war, obwohl er Jasmin ausgesprochen hübsch fand. Wichtig war, dass sie ihn lachen ließ und die Melancholie dadurch ein wenig vertrieben wurde.

Gerhard schlug den Weg zum Parkplatz ein, um seine Jacken auszutauschen. Am Mercedes angekommen, nahm er seine Lederjacke aus dem Kofferraum und wandte sich Richtung Burganlage. Er beobachtete dabei einen großen silbernen BMW, der auf den Parkplatz fuhr „Noch mehr Deutsche“, dachte er als er das Düsseldorfer Nummernschild erblickte. Er ließ das Fahrzeug passieren und ging mit großen Schritten auf das Burgtor zu. Er hoffte jetzt doch noch eine Besichtigung des Donjons möglich zu machen.

Brest, August 1944 - Das Kommando

Der junge Offizier lehnte an der Turmbrüstung des VIIC Bootes, das am Ausleger des mächtigen U-Boot-Bunkers von Brest lag. Er schaute hinauf zur Militärschule, die als Hauptquartier der 1.sten und 9.ten U-Boot-Flottille diente, zu der auch sein Boot gehörte. Die Spuren der Fliegerangriffe in den letzten Wochen waren überall zu sehen. Sogar das Dach des U-Boot-Bunkers hatte einen Bombentreffer abbekommen, der ein kleines Loch in der Decke hinterlassen hatte, das allerdings bedeutungslos war. Dieser Bunker war für die Ewigkeit konstruiert worden und würde wohl in hundert Jahren noch hier stehen.

Kaleun Erich Wahrenberg betrachtete nachdenklich sein Boot, das sich nach der letzten Feindfahrt ebenfalls in nicht gerade gutem Zustand befand. Wie die meisten anderen Boote, hatte auch dieses viele Schäden durch Wasserbombenangriffe und Flugzeugbeschuss hinnehmen müssen. Viele Reparaturen konnten nicht ausgeführt werden, da die Versorgung mit Ersatzteilen seit einiger Zeit nicht mehr die Beste war. Auch die Stimmung der Männer war an einem Tiefpunkt angekommen, was die riesigen Verluste unter den Bootsmannschaften wiederspiegelte. Jeder hatte in den letzten Wochen und Monaten Freunde verloren und die Wahrscheinlichkeit von einer Feindfahrt nicht zurückzukehren war so groß, dass die Männer vor jeder Feindfahrt ihren letzten Willen und die letzten Briefe in die Heimat überarbeiteten.

Gerade zu diesem Zeitpunkt hatte Erich den Marschbefehl nach Brest erhalten, um das Kommando über U-989 zu übernehmen. Der Kommandant Hardo Rodler von Roithberg war kurzfristig nach Deutschland abberufen worden und sollte das Boot in Flensburg nach der Fahrt wieder übernehmen. Überall in der Festung von Brest herrschte Aufbruchsstimmung, da sämtliche Boote aus dem Hafen abgezogen werden sollten. Das war auch mehr als verständlich, da die Invasion der amerikanischen Streitkräfte kurz bevorstand. Korvettenkapitän Lehmann-Willenbrock, der die Flottille leitete, wollte selbst das letzte Boot befehligen, das den Hafen von Brest verlassen sollte.

Erich fragte sich, warum er gerade jetzt dieses Kommando erhalten hatte. Gegen die Beförderung hatte er nichts gehabt, er hatte vorher auf einem Boot in La Rochelle als erster Wachoffizier gedient. Auch dort waren die Verluste hoch und die Stimmung schlecht. Aber er hatte die meisten verbliebenen Kameraden gekannt, was die Lage für ihn erträglicher gemacht hatte. In dieser Situation ein befristetes Kommando zu übernehmen erschien ihm nicht richtig zu sein.

Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: „Die Kisten sind fast alle verladen Kaleun!“, meldete sein erster Offizier. „Wir werden kaum noch Platz haben Torpedos zu laden, halten sie das für ratsam?“ - „Ich bin kaum in der Lage die Befehle in Frage zu stellen Müller, oder wollen sie das gerne tun? Sie haben die Möglichkeit sich oben in der Leitstelle der Flottille zu beschweren, wenn sie das für eine gute Idee halten.“

Erich mochte den Mann nicht, was ihm sein neues Kommando sicher nicht erleichtern würde, aber Befehle in Frage zu stellen kam ihm im Moment ebenfalls nicht hilfreich vor. „Wie lange wird das Verladen noch dauern Müller?“ - „Ich denke, dass in einer halben Stunde alles an Bord sein wird“, war die eher unfreundlich klingende Antwort. „Wenn es so weit ist, sorgen sie dafür, dass wir zum Auslaufen bereit sind und machen sie oben Meldung, dass wir den Ritt beginnen können. Falls sie dann noch Fragen bezüglich der Torpedos haben, können sie sich diese gleich beantworten lassen.“ - „Jawohl Kaleun“, brummelte Müller in seinen Bart. Er sah den Mann an, der dringend eine Wäsche nötig gehabt hätte. Früher hätte Erich an dieser Stelle insistiert, aber auf Grund der Lage waren solche Feinheiten nebensächlich geworden. Auch Erichs Uniform hatte bereits bessere Tage gesehen.

Eine Stunde später wurde der Auslaufbefehl erteilt und nur Minuten später löste sich das Boot langsam rückwärts vom Anleger. Erich beobachtete den Vorgang genau und blickte dabei unruhig auf die Wasseroberfläche, da bei den letzten Fliegerangriffen auch Minen abgeworfen worden waren. Der Wachhabende der Festung, Alfred Nell, winkte ihm vom hinteren Teil des Anlegers zu. Mit ihm hatte Erich in den letzten Tagen einige Flaschen Rotwein geleert und eine ausgesprochen gute Zeit in der Bar verbracht. Der Mann war auf U-984 als Zentralemaat gefahren, das allerdings vor einigen Tagen, wegen seines Lazarettaufenthaltes, ohne ihn ausgelaufen war. Jetzt war er bei der Wache. „Vielleicht ein glücklicher Umstand, bei den Verlusten“, dachte Erich und winkte zurück.

Die plötzlich ertönenden Fliegersirenen sorgten auf dem gesamten Gelände, und auf U-989, augenblicklich für eine hastige Betriebsamkeit. Überall rannten Leute herum und Erich geriet wegen der Lage, in der sie sich mit dem Boot befanden, in Panik. Er bot mit seinem aufgetauchten, langsam auslaufenden Metalleimer eine gute Zielscheibe für die angreifenden Jagdbomber der Alliierten. Erstes Geschützfeuer war bereits von den Küstenstellungen bei Camaret-sur-Mer, am Eingang der langgezogenen Bucht, zu vernehmen.

Erich brüllte den Befehl zum Alarmtauchen in das Turmluk. Im Boot wurden sofort die hundertfach eingeübten Vorgänge abgespult. Jeder Einzelne wusste genau, was zu tun war. Die Brückenwache verließ Mann für Mann den Turm, während Erich die größer werdenden Punkte der Flugzeuge am Horizont im Auge behielt. Er dachte kurz darüber nach, dass sein erstes Kommando mit einer ausgesprochen kurzen Feindfahrt enden würde, bevor auch er ins Turmluk sprang und den Lukendeckel hinter sich zuzog. Er drehte mit schnellen Bewegungen das Rad zur Verriegelung des Luks zu. Man hörte, wie das Boot unter die Wasseroberfläche glitt. Zum Glück hatten sie schon genug Fahrt aufgenommen, um nicht gänzlich zur Zielscheibe zu werden.

Nur Sekunden später wurde das Boot von einer nahegelegenen Detonation durchgeschüttelt - weitere folgten unmittelbar. Die Flugzeuge warfen Wasserbomben auf das Boot, das sie sicher noch unter der Wasseroberfläche als langgezogenen Schatten wahrnehmen konnten. Die Mannschaft von U-989 arbeitete im gesamten Boot fieberhaft um Tiefe zu gewinnen. Erich brüllte Befehle durch das Boot, ein Wassereinbruch im Maschinenraum wurde notdürftig gestoppt, bevor es im Boot ruhiger wurde.

Sie hatten eine ausreichende Tauchtiefe erreicht und somit war das Boot wenigstens den Flugzeugen entkommen. Die Frage die sich Erich nun stellte war, wie man durch den breiten Gürtel von feindlichen Zerstörern schlüpfen sollte, die vor der Bucht im Atlantik lagen. Die Piloten hatten das auslaufende Boot mit Sicherheit bereits gemeldet.

Erichs Augen fielen auf den verschlossenen Umschlag, den ein Bote von der Kommandantur kurz vor dem Auslaufen gebracht hatte. In dem Chaos hätte er ihn fast völlig vergessen. Der Mann hatte nicht viel gesagt, als er den Umschlag übergeben hatte. Er hatte erklärt, dass der Befehl streng geheim sei und war wieder verschwunden. In dem Brief war das Ziel ihrer Reise vermerkt. Erich öffnete den Umschlag und begann zu lesen.

Gisors, Februar 2012 - Die Burg

Ein Blick auf die Uhr seines Handys sagte Gerhard, dass es zwanzig Minuten nach elf war. Es befanden sich noch immer nur wenige Besucher auf dem Gelände der Burg. Ein älteres Ehepaar schlenderte an der Burgmauer zum gegenüberliegenden Tor hin, das wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war. Gerhard hielt auf das kleine Büro zu und musste feststellen, dass es noch immer geschlossen war. Laut des Schildes hätte es seit mehr als einer Stunde geöffnet sein müssen. Man konnte wohl davon ausgehen, dass hier heute niemand mehr erscheinen würde. Gerhard ärgerte sich.

Er stand unschlüssig herum und betrachtete dabei die Motte und den Donjon in der Mitte des Geländes. Das ältere Ehepaar hatte die Motte halb umrundet und Gerhard schlenderte abermals zu dem ringförmigen Weg hin, der den Hügel hinauf zum Donjon führte. Er betrachtete den Weg längere Zeit. Er war auf der gesamten Länge durch Büsche gesäumt, die trotz der Jahreszeit recht dicht bewachsen waren. Auch dem Eingang zu dem Gewölbekeller schenkte er ein weiteres Mal seine Aufmerksamkeit. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass das Ehepaar durch das Eingangstor den Burghof verlies. Nun war er alleine auf dem Gelände.

Eine spontane Eingebung sagte ihm, dass dies die einmalige Gelegenheit war, unbemerkt die Motte über den Weg hinaufzusteigen, um ein paar Bilder vom Donjon zu machen. Er kletterte über das mit einem Vorhängeschloss versehene kleine Tor und hastete leicht gebückt im Schutz der Büsche den Berg hinauf. Auf dem letzten Stück des Weges, das dem Haupttor zugewandt war, kam ein kurzes Stück Weg, dass nicht von Büschen gesäumt war. Er behielt den Eingang im Auge und bewegte sich schnell auf den Eingang der Ringmauer zu, die den Donjon umgab. Er hastete durch das Tor in den Innenhof und befand sich jetzt im Sichtschutz der Mauer. Hier konnte man ihn vom Burghof aus nicht mehr sehen.

Er atmete erst einmal durch, bevor er die Muse fand den Turm und die Mauern auf sich wirken zu lassen. Dann nahm er seine Kamera aus dem Rucksack und fing an Bilder von der Anlage zu machen. Tief im Inneren freute er sich diebisch über dieses kleine Abenteuer. Er befand für sich, dass der Tag bereits die zweite positive Wendung genommen hatte.

Er fotografierte den Aufgang des Turms und die Nischen der Ringmauer, als er einen abgesperrten Bereich im Innenhof bemerkte. Dicht an der Turmmauer befand sich ein mit Baustellenband abgegrenzter Bereich, in dem der Boden eindeutig abgesunken war.

Gerhard glaubte sich daran zu erinnern, dass dies der Bereich der Festung gewesen war, in der Lhomoy seine Grabungen ausgeführt hatte. Nun griff Gerhard zu seinem Mobiltelefon und freute sich gleich darüber einen guten Empfang zu haben. Dem mobilen Zugang zum Internet stand so nichts im Wege. Er recherchierte über Lhomoy bei Google und fand das Bild, an das er sich erinnert hatte. Auf dem Bild war der Gärtner zu sehen, wie er aus dem Schacht seiner Grabung stieg und der Hintergrund bestätigte Gerhard in seiner Vermutung.

Er schoss einige Bilder von der Stelle und bewegte sich danach wieder auf das Tor in der Ringmauer zu. Während er seine Kamera wegpackte, hörte er hinter sich ein leises Geräusch. Er legte sich direkt eine Entschuldigung zurecht, weil er glaubte, dass ein Wächter sich im Inneren des geschlossenen Donjons befinden würde. Er rechnete damit, dass dieser ihn nun sehr bestimmt darauf aufmerksam machen würde, dass er hier oben nichts verloren hatte. Gerhard drehte sich gelassen herum und war erstaunt, dass niemand zu sehen war.

Gerhard lachte über sich selbst. Da hatte ihm sein Gehirn einen Streich gespielt, weil er hier etwas Verbotenes machte. Dieser Umstand amüsierte ihn sehr. Er kannte das Gefühl noch aus der Schule, wenn sie beim Schwänzen erwischt worden waren. Er griff nach der kleinen Flasche Wasser im Seitenfach seines Rucksacks und trank einen Schluck, als er das Geräusch erneut hörte. Er ging einige Schritte vorwärts und lauschte. Das Geräusch war nicht permanent vorhanden, sondern in unregelmäßigen Abständen zu hören.

Gerhard näherte sich wieder dem abgesperrten Bereich. Als er am Rand der Grube stand, vernahm er das Geräusch wesentlich deutlicher. Gerhard blickte in die Grube und sah, dass an einer Stelle ganz langsam Erde tiefer in das Loch rutschte. Man konnte sehen, dass sich ein Teil des Bodens ganz langsam weiter absenkte. Er dachte einen Moment darüber nach und kam zu dem Schluss, dass dies mit den Arbeiten zusammenhängen könnte, die er am Morgen in dem Stollen am Fuß der Motte bemerkt hatte. Lediglich die Tatsache, dass die alte Grabung dann mit diesem Stollen in Verbindung stehen müsste, machte ihn nachdenklich, zumal Lhomoy dies erwähnt hätte, wenn es so gewesen wäre.

Da nur minimale Bewegungen innerhalb der Grube wahrzunehmen waren, schenkte Gerhard dem Phänomen keine weitere Beachtung. Er packte seine Sachen zusammen und huschte den Weg wieder leicht geduckt hinunter. Er kletterte über das Tor und ging nach rechts, weil just in dem Moment, als er den Weg verlassen hatte, einige Leute den Burghof betraten. Auf seinem Weg um die Motte herum, näherte er sich wieder dem Stollen mit der Tür. Er blieb verwundert stehen, als sich die Holztür öffnete und ein älterer Mann den Stollen verließ. Er war groß, schwarzhaarig mit grauen Strähnen und gut gekleidet. Der Mann verschloss die Tür und grüßte Gerhard mit einer freundlichen Handbewegung, als er ihn wahrnahm. Er ging vor Gerhard her über den Burghof und verschwand am Eingangstor in dem kleinen Büro der Burg. Gerhard überlegte, ob er ihn wegen der Führungen befragen sollte, aber der Mann trat schon wieder aus dem Gebäude heraus und verschloss die Tür. Er verließ vor Gerhard den Burghof und wandte sich dem Parkplatz zu.

Gerhard ging ebenfalls zum Parkplatz, erreichte seinen Mercedes und öffnete den Kofferraumdeckel. Er wollte gerade die Kameratasche im Kofferraum verstauen, als er hörte, wie ein Fahrzeug gestartet wurde. Ein kurzer Blick verriet ihm, dass es sich dabei um den silbernen BMW des Vormittags handelte. Gerhard sah den Fahrer am Steuer des Wagens und er überlegte kurz. Er zog seine Rückschlüsse aus der Tatsache den Mann von vorhin wiederzusehen: „Die deutschen Archäologen haben auch überall ihre Finger drin.“ Er schloss den Kofferraum, setzte sich in seinen Wagen und fuhr zurück ins Hotel.

In seinem Zimmer angekommen, legte er seine Sachen ab und duschte ausgiebig. Er hätte das warme Wasser stundenlang über sich rieseln lassen können. Er rasierte sich und danach gönnte er sich etwas von den Vorräten, die er sich im „Le Clerk“ organisiert hatte. Ein gutes Stück französische Wurst, Käse und ein leider nicht mehr ganz frisches Baguette. Ein gutes Glas französischer Weißwein gehörte natürlich auch dazu. Danach legte er sich auf das Bett, stellte seinen Wecker um sein Date nicht zu verschlafen, drehte sich um und schlief direkt ein.

Als Gerhard wieder zu sich kam, war es bereits vier Uhr. Da noch genug Zeit bis zu seinem Treffen mit Jasmin war, beschloss er in den Supermarkt zu fahren und einzukaufen. Das wollte er deshalb noch angehen, weil seine „Zwischendurch – Verpflegung“ sich dem Ende zuneigte. Er setzte sich ins Auto und fuhr in den Supermarkt. Er kaufte gerne in Frankreich ein und so verging die Zeit schnell. Als nach dem Einkauf wieder ins Hotel zurückkehrte, war es bereits kurz vor sieben Uhr.

Gerhard ging kurz ins Bad und wusch sich noch einmal das Gesicht. Er wollte vor dem Abendessen noch ein wenig spazieren gehen und sich dann im Restaurant einfinden. Gerhard verließ das Hotel und wandte sich zu Fuß in Richtung Stadtmitte. Er schlenderte die Straße hinunter und verweilte kurz auf der kleinen Brücke über dem Flüsschen L´Epte, das weiter oben von einer hölzernen Überdachung gesäumt war. Er ging dorthin und setzte sich auf die Brüstung der Holzüberdachung. Er griff in die Innentasche seiner Lederjacke, wo er, wie vermutet, seinen kleinen silbernen Flachmann fand. Diesen hatte er mit einem 21 Jahre alten Mortlach, seiner Meinung nach einem der besten Single-Malt-Scotch-Whiskys die es gab, befüllt. Gerhard nahm einen kräftigen Schluck und genoss den süßen, sherrylastigen Geschmack des Getränks.

Er warf einen Blick auf die Uhr seines Mobiltelefons und schlenderte weiter. Er betrachtete die Auslagen der kleinen Geschäfte, bog irgendwann links ab und passierte die Rückseite der Kirche. Einige hundert Meter weiter erreichte er das kleine Restaurant und trat ein. Er war zehn Minuten zu früh und ließ sich einen kleinen Ecktisch mit Aussicht auf die Straße zuweisen. Er studierte die Karte, bestellte eine Flasche Coté de Bergerac, zwei Gläser und wartete auf Jasmin.

Jasmin war von der pünktlichen Sorte und betrat in diesem Moment das kleine Lokal. Sie strahlte schon wieder über das ganze Gesicht, als sie ihn sah. Gerhard winkte und sie kam zu ihm an den Tisch. „Hallo“, sagte sie fröhlich, „wie ich sehe haben Sie für die Getränke schon gesorgt.“ - „Ja, aber das Essen müssen Sie selbst aussuchen“, frotzelte er. Sie plauderten eine Weile über belanglose Dinge und bestellten das Essen. Gerhard entschied sich für einen Flammkuchen Elsässer Art und Jasmin wählte einen Salat mit Putenbruststreifen. Während des Essens unterhielten sie sich wieder über Jasmins Studium und bestellten, nachdem sie aufgegessen hatten, noch einen Espresso.

Jetzt kamen sie auf den Tag zu sprechen und Gerhard berichtete von seinem kleinen Abenteuer in der Burg. Als er bei der Erzählung im Donjon angekommen war und von der nachrutschenden alten Grabung berichtete, unterbrach ihn Jasmin, als sie sagte: „Mein Großvater war einer der Männer, die 1946 die Erde in den Donjon schleppen mussten um das Loch von Lhomoy zu verfüllen“, sie musste grinsen bei dem Gesichtsausdruck den Gerhard jetzt machte. Er war verblüfft: „Dann war ihr Großvater als Kriegsgefangener direkt hier in Gisors?“ - „Genau so war´s!“, sagte sie, „und dieser Ort hat ihn, wie ich bereits gesagt habe, sehr gefesselt. Er hat auch Jahre nach der Gefangenschaft immer wieder Zeit in Gisors verbracht. Er hatte sogar einige Freunde hier. Einen von ihnen besuche ich gerade, um mehr über seine Zeit hier zu erfahren und darüber was mein Opa hier gemacht hat.“ - „Wie lange war er hier in Gefangenschaft?“, hakte Gerhard nach. „Es wird ja vermutlich eine längere Zeit gewesen sein, wenn er sich der Stadt so verbunden gefühlt hat.“

Jasmin wurde nachdenklich. „Eigentlich nicht. Mein Großvater war nur wenige Wochen hier in einem Lager in der Nähe. Er ist wegen einer Verletzung in ein größeres Lager in der Nähe von Rouen verlegt worden, wo es ein Lazarett gab. Ich habe ihn hier in den Listen des Lagers namentlich auch nicht gefunden, vermutlich weil er viel zu kurz hier gewesen ist.“

Gerhard begann sich immer mehr für die Geschichte von Jasmins Großvater zu interessieren. „Wie hieß ihr Großvater eigentlich?“, fragte er nach. „Heinrich Krämer“, antwortete sie.

„Erzählen sie mir mehr über ihren Opa“, sagte Gerhard. „Er war mein Großvater mütterlicherseits und hat nach dem Krieg, in einem kleinen norddeutschen Küstenort gelebt. Da haben wir ihn als Kinder - Ich habe noch einen Bruder müssen sie wissen - Mit unseren Eltern zusammen immer besucht. Später in den Neunzigern musste er in ein betreutes Wohnen wechseln, weil er wegen seiner Kreislauferkrankung häufig ärztliche Betreuung brauchte. Das war schwer für ihn, weil er an seinem Häuschen sehr hing. Deshalb haben wir es auch behalten und meine Eltern vermieten es in den Sommermonaten an Urlauber. - Manchmal trifft sich auch die Familie dort, um ein Wochenende zusammen auszuspannen.“ - „Wann ist ihr Großvater verstorben Jasmin?“ - „Das war vor zwei Jahren, ich hatte gerade mit dem Studium begonnen. Ich war sehr traurig, weil ich meinen Großvater sehr gemocht habe. In den folgenden zwei Jahren habe ich dann beschlossen mir die Zeit zu nehmen und mir die Orte anzuschauen, an denen er so viel Zeit verbracht hat. Ich wollte auch versuchen noch alte Freunde von ihm aufzusuchen, um mehr über ihn, und das was ihn beschäftigte, zu erfahren. Ich habe einige alte Briefe meines Großvaters in einer Kommode gefunden. So habe ich Herrn Deneuve ausfindig gemacht, mit dem mein Großvater befreundet war. Er lebt heute noch hier in Gisors und ist für sein Alter noch ausgesprochen rüstig. Ich werde mich morgen früh noch einmal mit ihm treffen.“ Gerhard dachte nach. Er hatte Feuer gefangen und fragte sich, ob es unverschämt wäre Jasmin zu fragen, ob er sie begleiten dürfe.

Die Tatsache, dass Heinrich Krämer dabei war als die Grabungen des Gärtners Lhomoy zugeschüttet wurden, interessiere ihn sehr. Irgendwie witterte er ein Geheimnis, so wie er sie als Kind in den Antiquitäten seines Vaters immer gewittert hatte. Er hatte zwar nie eines entdeckt und glaubte auch jetzt nicht wirklich daran eines aufzudecken, war aber hochgradig neugierig ob mehr über die Geschichte des alten Herrn zu erfahren war.

Jasmin riss ihn aus seinen Gedanken: „Herr Maibach?“, Gerhard blickte sie an. „Ich hatte sie gerade gefragt ob sie morgen früh Lust hätten mit mir zum Frühstück in das Café zu kommen, wo ich mich mit Herrn Deneuve treffen will?“ Gerhard war sichtlich verwirrt wegen dieser Frage, mit der er überhaupt nicht gerechnet hatte und die er vor allem nicht mitbekommen hatte. Man schien ihm seine Verwirrung anzusehen. Jasmin hakte nach: „Sind Sie morgen eventuell schon wieder auf dem Heimweg? Das wäre sehr schade.“ - „Nein…Nein!“, sagte Gerhard. “Ich bin noch hier und würde mich sehr freuen, wenn ich sie begleiten darf. Darauf sollten wir einen Schluck Wein trinken - und nennen sie mich Gerhard!!“ Er lachte. „Jasmin, wie sie wissen - oder Jessy.“ Gerhard hob sein Glas „Ich denke ich bevorzuge Jasmin…dann mal Prost!“

U-989, August 1944 - Feindfahrt

Das Boot fuhr aufgetaucht durch die Dunkelheit. Es war ungefähr Mitternacht und Erich sog die frische Seeluft in seine Lungen. Die letzten Tage der Fahrt waren die Hölle gewesen. Die feindlichen Zerstörer hatten das Boot wie einen Hasen gejagt. Unzählige Wasserbomben waren während der Tauchfahrten um das Boot herum detoniert und die Nerven der Männer hatten blank gelegen. Alle an Bord wussten, dass keine Torpedos an Bord waren, mit denen man sich hätte verteidigen können. Einmal hatten sie für Stunden unter Beschuss auf Grund gelegen und waren dabei durch die Detonationen so eingegraben worden, dass sie mehrere Male die Tauchtanks anblasen mussten, um vom Grund frei zu kommen.

Ein aktives Verteidigen war dem Boot ja nicht möglich und sich mit den Deckgeschützen auf einen Überwasserkampf einzulassen, wäre einem Selbstmord gleichgekommen. Mehrmals war das Boot so lange getaucht geblieben, dass ein Zwangsauftauchen kurz bevorgestanden hatte. Jedes Mal hatten sie das Glück, dass die Zerstörer-Verbände vorher abgelaufen waren. Es wäre sicherlich einfacher gewesen, wenn das Boot bereits einen Schnorchel besessen hätte, der sollte aber erst im Zielhafen Flensburg eingebaut werden.

Dies war ihre erste Überwasserfahrt, die im vorangegangenen Tauchgang keinen Wasserbombenbewurf gehabt hatte. Im Horchraum waren keine feindlichen Schiffe zu hören gewesen und die Männer wechselten sich nun bei der Turmwache ab, um eine Zigarette zu rauchen, oder einfach einmal wieder keine nach Öl stinkende Luft zu atmen.

Erich betrachtete nachdenklich die Turmverkleidung, die durch die Wasserbombenangriffe erheblichen Schaden genommen hatte. Auch einer der beiden Schiffsdiesel brachte nicht mehr die volle Leistung. Der Maschinen-Maat ging davon aus, dass die Schraubenwelle einen Schlag abbekommen hatte. Das Boot hatte wegen dieser Umstände auf seiner Fahrt viele Haken geschlagen, war aber dem Zielort an der Nordküste Frankreichs nähergekommen. Allerdings hatten sie Tage für die relativ kurze Strecke gebraucht.

Von zwei anderen Booten, die sich in ihrer Nähe aufgehalten hatten, hatten sie seit zwei Tagen nichts mehr gehört. Auch die erfolglosen Anfunkversuche des BDU, der Leitstelle für die Flotte, an die besagten Boote sprachen dafür, dass man von den Booten vermutlich nie wieder etwas hören würde. Erich fröstelte es bei diesem Gedanken.

Der Marschbefehl sagte, dass sich das Boot vor der Nordküste mit einem zivilen Boot treffen sollte, um die Ladung zu übergeben. Das gesamte Gebiet westlich vom Treffpunkt befand sich, durch die Invasion der Alliierten, in Kampfhandlungen und es würde nicht leicht sein die Koordinaten ungeortet zu erreichen. Erich hoffte am nächsten Abend vor Ort sein zu können, um diese Mission möglichst schnell zu beenden. Er wollte raus aus diesem Gebiet.

Nach dem Löschen der Ladung sollte das Boot weiter nach Bergen in Norwegen laufen, dem ursprünglichen Stützpunkt des Bootes. Weiter nördlich würde die Fahrt bedeutend ungefährlicher werden. Erich blickte sich um und hatte das Gefühl, das Boot war lange genug über Wasser gelaufen: „Müller! Geben sie Befehl zum Abtauchen, wir wollen nicht wieder Gefahr laufen, von irgendwelchen Zerstörern beharkt zu werden, der Kahn hat schon genug abbekommen.“

Müller brüllte nach unten: „Klar machen zum Tauchen!“, und die Brückenbesatzung verschwand im Turm. Erich folgte wie üblich als Letzter nach. Er ließ Kurs auf die Zielkoordinaten setzen und das Boot schüttelte sie beim Abtauchen ordentlich durch. Der Zentrale-Maat gab sein Bestes das Boot zu trimmen und pendelte es in einer Tiefe von vierzig Metern ein. Das Boot ächzte und quietschte fürchterlich dabei. Erich dachte darüber nach, dass man bei den Schäden jederzeit mit plötzlichen Wassereinbrüchen rechnen musste. Er beschloss einfach nicht weiter darüber nachzudenken.

Der Marschbefehl sagte, dass er vor Erreichen des Treffpunktes eine verschlüsselte Nachricht per Funk absetzen sollte, die die Verantwortlichen vor Ort über ihre Ankunft in Kenntnis setzt. Sie sollten dann den größten Teil der Ladung auf ein anderes Boot löschen. Er wünschte sich er wäre den Kram bereits los.

Gisors, März 1964 - Die Lieferung

Jaques biss in sein frisches Croissant und trank einen Schluck Kaffee aus seiner Thermoskanne. Er saß hinter dem Lenkrad seines Lieferwagens und wartete in der Rue-de-Penthièvre, die zum Burggelände von Gisors führte. Er hatte gestern Morgen einen Anruf erhalten, in dem man ihm diese Fuhre angeboten hatte. Dazu sollte er sich hier nachmittags um 17.30 Uhr einstellen.

Nun war er hier. Schnell hatte er gemerkt, dass er nicht der Einzige war, dem man hier eine Fuhre versprochen hatte. Weitere 12 Last- und Lieferwagen standen in der Straße und warteten. Einige der Männer hatte er schon einmal gesehen. Der Eingang zur Burg wurde von mehreren bewaffneten Soldaten bewacht. Es hatte sich herumgesprochen, dass die Burg wegen Grabungen der Regierung militärisch gesperrt worden war, aber mit einem solchen Militäraufmarsch hatte er hier nicht gerechnet.

---ENDE DER LESEPROBE---