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Der Kaiser Wilhelm II. hält eine Festrede in der Aula der Königlichen Akademie zu Münster i. W. am 15. Januar 1900. Dr. Joseph Schröder, Dekan der theologischen Fakultät hat diese Rede dokumentiert und der Nachwelt erhalten. Der Kaiser offenbart in seinen Worten sein religiöses Verständnis, das im engen Verhältnis mit seinem staatsmännischen Auftreten und Ansichten einher-geht. Die Zeiten sind seit der französischen Revolution unruhig geworden und die Ablehnung gegenüber sozialistischen revolutionären Bestrebungen ist sehr groß. Vier Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges ist diese Festrede durchaus ein Wegweiser, warum manche Entscheidungen so waren, die zum Ersten Weltkrieg beitrugen.
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Seitenzahl: 45
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Prof. Dr. Joseph Schröder
Das Kaiserwort vom Neujahrstage 1900
Gehalten zur Feier der Jahrhundertwende in der Aula der Königlichen Akademie zu Münster i.W. am 15. Januar 1900
Herausgeber: Ulrike Bauer
Herausgeber: Ulrike Bauer
Cover, Design, Layout und Satz aischab
ISBN 978-3-946182-37-5
© Copyright aischab Münster 2017
Festrede, gehalten zur Feier der Jahrhundertwende in der Aula der Königlichen Akademie zu Münster i. W. am 15. Januar 1900
1. Neuauflage Münster 2014 (PRINT ISBN 978-3-943312-12-6), Erstausgabe erschienen im Aschendorffschen Verlag Münster i.W. 1900
Ein erhebendes und großartiges Schauspiel hat nicht nur den deutschen Landen, sondern der ganzen Welt die hehre Feier geboten, mit welcher gemäß der Anordnung unseres Allgnädigsten Kaisers und Königs am Morgen des Neujahrstages in der Hauptstadt des deutschen Reiches die Jahrhundertwende eingeleitet wurde. An der Seite seiner erlauchten Gemahlin, begleitet von den Prinzen und Prinzessinnen des Königlichen Hauses, umgeben von seinen Paladinen wollte Deutschlands erhabener Herrscher angesichts der lorbeergeschmückten Fahnen unserer glorreichen Armee in seinem Namen sowie im Namen seines getreuen Volkes der neuen Zeit den ersten Gruß entbieten und zugleich die hohe Bedeutung jener Embleme der nationalen Kraft und Wehr durch einen feierlichen Weiheakt versinnbilden.
Und dieser Kaisergruß – er war vor allem eine Kundgebung tiefreligiöser Gesinnung, ein Aufblick zum Himmel, ein Gebet! Der Weihespruch aber stellte die ruhmgekrönten Feldzeichen unter den Schutz des Allerhöchsten und gipfelte in dem altehrwürdigen Wahlspruche des Hohenzollernhauses:
Mit Gott für König und Vaterland!
„So beugt dem die Knie und senket die Fahnen und Standarten vor dem Herrn der Heerscharen drohen.“
So Schloss der Feldpropst als Vertreter der geistlichen Gewalt die Weiherede.
„Und der Kaiser“ – so berichten die Augenzeugen – „ließ sich auf beide Knie nieder; ein Gleiches taten die Prinzen und Offiziere, die entblößten Hauptes und mit gefalteten Händen um den Kaiser geschart die Segensworte vernahmen.“
Alsdann hielt Seine Majestät mit tiefbewegter Stimme eine Ansprache an sein Volk in Waffen, die mit den Worten begann:
„Der erste Tag des neuen Jahrhunderts sieht unsere Armee und ihre Feldzeichen geschart vor dem Herrn der Herrscharen. Und wahrlich, wenn irgendwer besonderen Grund hat, sich heute vor Gott zu beugen, so ist es unser Heer.“
Und in dem herrlichen Erlass, welchen der oberste Kriegsherr an demselben Morgen der Armee zugehen ließ, heizt es nach einem kurzen Rückblick auf die vaterländische Geschichte der letzten hundert Jahr in demselben Sinne:
„Dankerfüllten Herzens richtet sich am Wendetage des Jahrhunderts mein Auge zu dem Throne des Allmächtigen, der so Großes an uns getan hat. Zu Ihm stehe ich mit meinem Volke in Waffen, dass er auch in Zukunft mit uns sein möge.“
Hochgeehrte Anwesende! Erlauben Sie mir, ich sage nicht das offene Geständnis, nein, die freudige Versicherung, dass ich den Bericht über jene Kundgebung meines kaiserlichen Herrn und Gebieters mit berührtem und zugleich mit jubelndem Herzen gelesen habe. Ich dachte dabei an den großen Seher des Alten Bundes, der mit besorgtem Blick in schwerer Zeit Wache hielt, um zu Israels Rettung dessen Geschichte ratend und mahnend zu lenken:
„Custos, quid de nocte?“
„Wächter, was findet uns die Nacht der Vergangenheit?“, fragten Jakobs Stämme den treuen Führer und Berater Jesaias.
„Custos, quid de nocte?“,
so hörte ich im Geiste bei der Jahrhundertwende das deutsche Volk seinen auf hoher Warte stehenden Landesvater fragen. Und auch hier vernahm ich aus dem Munde des königlichen Wächters das zuversichtliche Wort, das einst der Seher zu den Mannen Israels sprach:
Quae audivi a Domino Exercituum Deo Israel, annuntio vobis…venit mane…quaerite…venite! (Js. 21)
Unter Anrufung unseres Herrn und Gottes rede ich zu meinen Getreuen in dieser weihevollen Stunde! Zu ihm wenden wir Auge und Herz empor, ihm soll unser demütiges Bekenntnis, ihm unsere Anbetung gelten. Dann darf unser teures Vaterland dem Morgen einer neuen Zeit getrost entgegensehen!
Im Gedanken an das christliche Glaubensbekenntnis, welches Seine Kaiserliche Majestät von der ganzen Welt so oft und so feierlich abgelegt hat, erinnerte ich mich dabei auch an den Tag, an welchem die Erstlinge der irdischen Machthaber im Stalle zu Bethlehem dem menschgewordenen Könige des Himmels und der Erde in gläubiger Demut ihre Huldigung darbrachten. An den Tag, der das Morgenrot der christlichen Zivilisation nicht nur über Israel, sondern über alle Völker der Erde aufsteigen, sah seit dem Augenblicke, wo es von den Weisen und Mächtigen der Erde hieß:
Sie gaben dem göttlichen Kinde alle Ehre, weihten ihm das Kostbarste, was sie besaßen, „und sie fielen nieder und beteten es an: Et procidentes adoraverunt eum!“ (Matth. 2.)