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Martin Salger hat versucht sich umzubringen. Sein Finanzimperium, das er im Biafra-Krieg mit Waffengeschäften aufbaute und im Kalten Krieg vergrößerte, stand kurz vor dem Kollaps. Freunde, die er jetzt am meisten bräuchte, gibt es nicht in seinem Leben. Es gab immer nur Interessen. Der einzige Freund, den er zu haben glaubte, wurde Opfer einer Intrige. Lucy Fiawo, die Tochter des Freundes, glaubt, dass Salger sie angezettelt hat. Sie vermutet, dass ihr Vater ermordet wurde und hat Salger in Verdacht daran beteiligt gewesen zu sein. Salger verlässt Europa als verwundeter Mensch. Er geht zurück auf seine Farm in Südafrika. Sein Sohn, von dem er lange nicht wusste, dass er existiert, versucht von Salgers Finanzimperium zu retten, was zu retten ist. Dabei merkt er, wie ähnlich er seinem Vater wird. Das Kuvert ist der zweite Teil von Dunkle Wahrheiten. Es beginnt mit dem gescheiterten Selbstmordversuch Salgers am Beginn der Finanzkrise von 2008 und endet im syrischen Bürgerkrieg und den politischen Wirren Afrikas. Das Buch ist eine Geschichte von Zerrissenheit, Freundschaft und Verantwortung. Es handelt von den Zwängen der Macht und den Fallstricken einer globalisierten Welt.
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Seitenzahl: 431
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Martin Salger hat versucht sich umzubringen. Sein Finanzimperium, das er im Biafra-Krieg mit Waffengeschäften aufbaute und im Kalten Krieg vergrößerte, stand kurz vor dem Kollaps. Freunde, die er jetzt am meisten bräuchte, gibt es nicht in seinem Leben. Es gab immer nur Interessen. Der einzige Freund, den er zu haben glaubte, wurde Opfer einer Intrige. Lucy Fiawo, die Tochter des Freundes, glaubt, dass Salger sie angezettelt hat. Sie vermutet, dass ihr Vater ermordet wurde und hat Salger in Verdacht daran beteiligt gewesen zu sein.
Salger verlässt Europa als verwundeter Mensch. Er geht zurück auf seine Farm in Südafrika. Sein Sohn, von dem er lange nicht wusste, dass er existiert, versucht von Salgers Finanzimperium zu retten, was zu retten ist. Dabei merkt er, wie ähnlich er seinem Vater wird.
Das Kuvert ist der zweite Teil von Dunkle Wahrheiten. Es beginnt mit dem gescheiterten Selbstmordversuch Salgers am Beginn der Finanzkrise von 2008 und endet im syrischen Bürgerkrieg und den politischen Wirren Afrikas. Das Buch ist eine Geschichte von Zerrissenheit, Freundschaft und Verantwortung. Es handelt von den Zwängen der Macht und den Fallstricken einer globalisierten Welt.
Eckhard Polzer hat Luft- und Raumfahrt in München studiert. Er hat viele Jahre im Ausland gearbeitet u.A. in Afrika und den USA.
Er schreibt seit 2003 und hat mehrere Romane veröffentlicht: Die Weltverbesserer, Tod am Sambesi, Die im Schatten sieht man nicht, Dunkle Wahrheiten.
Er ist verheiratet, hat zwei Töchter und lebt in München.
“And you want to travel with her, and you want to travel blind, and you know that you can trust her, for she’s touched your perfect body with her mind.”
Leonard Cohen
Für Fedor, Gomolemo, Ramaru und Kasia
MARTIN SALGER
Waffenhändler
LUCY FIAWO
Journalistin
KWAME FIAWO
Lucys Vater, Idealist
HANNA PAUTZ
Lucys Mutter
LEONHARD RUETI
Schweizer Fahnder
CÉLIA
Salgers Geliebte
VIKTOR PAULSEN
Salgers Sohn
INKA PAULSEN
Viktors Mutter
VERENA KRAMER
Ärztin, Joao’s Freundin
HERNAN MWENZA
Verwalter auf Salgers Farm
JOAO MWENZA
Sohn Hernans, Verenas Freund
JAMES GODDARD
CIA Agent
JOHN GOFFIN
Agent und Waffenschmuggler
ARRI SIDIQUE
Anwalt in Singapur
SAM CALDWELL
Fonds Manager in New York
FRANK ACHEBE
Salgers Partner in Nigeria
OBA ACHEBE
Franks Vater
GENERAL ABICHI
Kommandeur im Biafrakrieg
AARON
Joao’s Freund
JASON
Joao’s Freund
OBERST DIMITROV
Partner bei Waffengeschäften
GEORGI
Milizionär
Und weitere Menschen, die einfach nur über die Runden kommen wollen.
Ein Leben
Viktors Dilemma
In der Höhle des Löwen
Berlin
Auf Salgers Farm
Das Geld eines Schattenmanns
In der Hochburg des Geldes
Joao erfindet sich neu
Lagos, 2011
Waffenhandel
Apokalypse
In einem anderen Land
Zurück auf Salgers Farm
Das Ende einer Beziehung
Hernans Abschied
Showdown
Auf jeden Morgen folgt die Nacht
In jedem Ende liegt ein Anfang
Martin Salger hat überlebt. In den Wochen, die er im Krankenhaus verbringt, hat er Zeit sich über sein Leben klar zu werden. Jeder Kontakt nach außen ist ihm untersagt, vor allem keine Telefonate. Viktor, sein Sohn, besucht ihn gelegentlich, doch er hat wenig Zeit, wenn er aus dem Chaos, das ihm Salger übergeben hat, retten will, was zu retten ist.
Nachts, wenn er nicht schlafen kann, und der Kopf sich anfühlt, als wäre er ein einziger Gedankenbrei, sieht sich Salger, als junger Mann, bei der Ankunft in Lagos. Das Unwetter am Flughafen, das er als schlechtes Omen empfand. Doch er war nicht abergläubig und es gab viel zu tun. Erst als sich alles gegen ihn zu wenden schien, erinnerte er sich wieder an das Gefühl von Verlorensein bei der Ankunft. Ich hätte nie zustimmen sollen, in dieses Waffengeschäft einzusteigen, aber sie haben mich scheibchenweise gekriegt. Erst die Eisenbahntrassen, dann der Krieg, die Waffen waren eigentlich nur eine logische Konsequenz, denkt er in seinem vernebelten Gehirn, mit dem, was die Kugel übrig gelassen hat.
Den Fischern vor seinem Fenster in Kaduna, die mit längen Stangen ihre Einbäume um die blanken Felsen des Niger manövrierten, und deren Fang er häufig kaufte, sah er gerne zu. Oba Achebe, wie er in seiner weißen Djelaba auf dem Thron saß, als er ihn anheuerte. Gerechtigkeit versprach er, obwohl er selbst über Leichen ging, und jeden Vorteil für sich beanspruchte, den er nur bekommen konnte. Frank, dessen Sohn, mit all seinen Weibergeschichten, die ihm am Ende doch nichts nutzten, außer ein paar verschwitzten Stunden in den Betten der Minister-Gattinnen. Es reichte, um aus ihm einen notorischen Angeber zu machen. Und dann Celia, am liebsten dachte er an Celia, wenn alles in seinem Kopf durcheinander ging, und er nicht wusste, ob es die Nachwirkungen der Verwundung waren oder doch bereits die ersten Anzeichen einer beginnenden Demenz, wie manche Ärzte meinten.
Häufig, wenn er nach unruhigem Schlaf mitten in der Nacht aufwachte, dachte er an Kwame, den er für seinen Freund hielt, bis er erfuhr, dass er ihn verraten hatte. Und er dachte an Lucy, Kwames Tochter, die nach Berlin gekommen war, um ihn den Behörden auszuliefern, weil sie glaubte, dass er am Tod ihres Vater mitschuldig war. Und dann tat sie es doch nicht, weil sie zu zweifeln begann. Vielleicht, hoffte Salger, in Momenten wo das Leben zurückzukommen schien, dass es auch etwas anderes sein könnte. Verständnis, Sympathie, alles Mögliche ging ihm durch den Kopf. In diesen Momenten wünschte er sich, dass Kwame keine Waffen mit den Medikamenten von Kamerun nach Biafra geschmuggelt hätte. Und er fragte sich, ob er es tat, weil er ein großes Herz besaß oder einfach nur naiv gewesen war. Das Letztere, darüber war er sich im Klaren, konnte man ausschließen, aber es tat gut, im hintersten Winkel seines verwundeten Gehirns daran zu glauben.
Manchmal sah er auch Abichi vor sich, seine Motorrad Eskorte vor dem improvisierten Hauptquartier der Südfront. Wie er aus dem Auto stieg, die schweinsledernen Stiefel vorsichtig aufsetzte, um jeden Schmutz zu vermeiden, und sich mit der Gerte auf den rechten Schaft schlug, als wolle er sich zur Eile antreiben. Er verdrängte diese Gedanken immer ganz schnell, weil ihm der Mann zuwider war. Aber auch weil er sich nicht daran erinnern konnte, in welcher Versenkung er letztlich verschwand, als er seine Karten überreizt hatte.
Und dann sah er Kwame in dem schummrigen Lokal am Gendarmenmarkt in Berlin sitzen, nachdem er ihn zuvor bei seinem Vortrag über den Biafrakrieg, niedergebrüllt hatte. Seine Verzweiflung über den Putsch in Ghana, der verhinderte, dass er in der DDR bleiben konnte. Wie er ein paar Monate später mit Lucy auf dem Arm, in Lagos vor ihm stand, und nicht ein noch aus wusste. Wie sie Freunde wurden und Kwame das Bild malte, ein großes, wundervolles Ölgemälde, das er immer noch in seinem Büro in Zürich hängen hatte, obwohl es Lucy gehörte.
Jedesmal, wenn er an das Treffen mit Kwame denkt, sieht er auch Inka vor sich. Ihre schlanken Schenkel, das Becken voller Lust, die rotblonden Haare wie ein Vorhang über den Augen. Was wäre gewesen, wenn sie an dem Tag, als ich Kwame getroffen habe, gekommen wäre. Alles wäre anders geworden, ich hätte Viktor aufziehen können, wie einen Sohn, und ihn nicht erst kennengelernt, als alles zu spät war. Das letzte Gespräch mit Viktor in seinem Haus in Zürich verfolgt ihn wie ein Albtraum. Wo er sich bemüht hatte Kontakt zu seinem Sohn zu finden, aber nur Misstrauen erntete. Wo er ihm reinen Wein einschenkte, aber alles nur noch schlimmer machte. Und jetzt ist er der Einzige, auf den ich mich verlassen kann, verlassen muss, denkt er, und verdrängt alles, was damit zusammenhängt.
Damals, als sie General Dimitov mitsamt Fahrer in die Luft jagten, hätte ich mit den Waffen aufhören sollen, denkt er zuweilen, und weiß doch, dass es längst zu spät gewesen war. Dass er das Geld aus den Waffengeschäften brauchte, um seinen Fonds zu füttern, weil ihn die Krise sonst umgebracht hätte. Weil ihm eine Beteiligung nach der anderen an seinen startups wegbrach, und er nichts dagegen tun konnte. Dann schilt er sich, dass es keinen Sinn hat, verpassten Gelegenheiten nachzutrauern. Dass er schließlich ein Leben lang ein Macher war, der nicht lange gefragt hatte, welche Auswirkungen sein Handeln hätte, solange nur genügend Geld dabei heraussprang.
Als er nach Wochen wieder die ersten Wörter formen kann, ruft er Lucy an.
Viktor Paulsen hat am Tag zuvor seinen Vater, Martin Salger, im Krankenhaus besucht, wo der ihn bat, ihn nach Südafrika auf seine Farm zu bringen. Es war kein gutes Gespräch gewesen, weil er spürte, wie wenig ihm Salger vertraute, obwohl er sich die Nächte um die Ohren schlug, um dessen Finanzimperium zu retten.
Er steht vor dem Haus seiner Mutter im Münchner Süden und fragt sich, ob es ein Fehler war zu kommen. Es hat die ganze Nacht geregnet, doch jetzt, unter dem tiefen Blau des bayrischen Himmels, erscheint die Natur wie frisch gewaschen. Vor Jahren waren seine Mutter und Jonas, sein Stiefvater, von einer Reise nach Japan zurück gekehrt und hatten das Haus in eine fernöstliche Insel verwandelt. Holzpaneele und Schiebetüren aus Reispapier, ein ganzes Zimmer zur Meditation mit Tatamimatten ausgelegt. Als Teenager fand Viktor das ganze Getue übertrieben. Aus Protest gegen diesen Purismus, wie er es nannte, strich er die Wände seines Zimmers knallrot und bekleisterte sie mit den Heroen seiner Musik.
Er kramt den Hausschlüssel hervor und ist dabei abzulegen, als Inka aus der Küche tritt.
„Du bist schon da?“, fragt sie erstaunt, als hätte sie ihn noch nicht erwartet.
„Ja, die Autobahn war frei, es ging schneller als ich dachte. Und ich hab sogar meinen Hausschlüssel gefunden.“ Er lacht und hält einen Schlüsselbund in die Höhe. „Ein schönes Bild.“ Mit einem Nicken zeigt er auf den Heckel an der Schmalseite der Wohnzimmerwand.
„Finde ich auch. Jonas’ Anflug von Großzügigkeit. Du hast es immer gemocht, schon als kleiner Junge. Sogar als Teenager noch und das hieß schon etwas.“ Mit einer flüchtigen Geste streicht sie ihm übers Haar und küsst ihn. „Ein schöner Kontrast zu unserer minimalistischen Umgebung. Willst du etwas trinken, essen? Ich hab eine Kleinigkeit vorbereitet. Oder willst du lieber ausgehen?“
„Lass uns hier bleiben. Ein Glas Wein zur Einstimmung wäre schön. Bist du allein?“
„Ja, Jonas ist auf einem Kongress in den USA.“
„Immer noch voll im Saft ihr beide. Wird es dir nicht langsam zu viel?“
„Sollen wir herumsitzen und Händchen halten?“ Inka lächelt, hebt die Schultern und geht zurück in die Küche. Kurz darauf kehrt sie mit einem Tablett zurück, darauf zwei Gläser und eine Flasche Rotwein. „Schön, dass du an mich gedacht hast. Am Telefon hast du dich ziemlich gestresst angehört.“
„Nicht verwunderlich. Salger hat mir einen riesigen Saustall übergeben. Wenn er nicht mein Vater wäre, würde ich einfach hinschmeißen.“
„Wie geht es ihm? - Machst du bitte die Flasche auf.“
Viktor sieht sie bewundernd an. Der Duft ihres leichten Parfums hängt in der Luft und er fragt sich, woher sie diese Souveränität nimmt. Sie ist nicht mehr jung, aber vielleicht gerade deshalb. Ihr erfolgreiches Leben gibt ihr Sicherheit, auch wenn sie ihre Männer gelegentlich durcheinander brachte. „Besser, er lässt dich grüßen“, erwähnt er beiläufig, auch wenn es Salger mit keinem Wort erwähnt hat. „Der Besuch im Krankenhaus war nicht gerade erbaulich. Er ist ein durch und durch misstrauischer Mensch, das bin ich nicht gewöhnt. Ich dachte, als ich dich anrief, dass du mehr von Salger weißt, was mir helfen könnte, den Mann zu verstehen. Als noch unklar war, ob er den Selbstmordversuch überlebt, war es nicht so wichtig, aber jetzt, wo er mir seine ganze Vergangenheit aufgeladen hat, ist es wohl besser ich fange an nachzufragen.“
„Bist du deshalb hier?“
„Ja, und um dich mal wieder zu sehen, natürlich. Das letzte Mal, wann war das? Vor ein paar Monaten“, gibt er sich selbst die Antwort, „war das eher unerfreulich. - Halt dich bitte nicht zurück, und möglichst emotionslos, wenn es geht.“
Sie betrachtet ihn neugierig, zieht die Augenbrauen hoch und schiebt das Weinglas weg von der Kante des Couchtischs.
„Wie geht es ihm?“, wiederholt sie ihre Frage, ohne auf seine versteckte Anschuldigung einzugehen.
„Er kämpft, lernt wieder zu sprechen, aber es geht noch nicht gut. Ich glaube sein Kopf ist noch ganz schön durcheinander. Und misstrauisch ist er, wie gesagt. Er will mir partout nicht sagen, warum er es getan hat. Die Ärzte meinen, er könnte wieder auf die Beine kommen. - Sag schon, wer ist Salger in deinen Augen?“
Sie zieht die Beine auf die Couch und umfängt die Knie mit beiden Armen, ohne Viktor aus den Augen zu lassen.
Wie ein kleines Mädchen, denkt der.
„Emotionslos, wie soll das gehen, du bist mein Sohn, er ist dein Vater. - Am Telefon klangst du ziemlich verwirrt. Private Equity, ein Fonds der seit Jahren in den Miesen ist und nur durch Waffengeschäfte gestützt wurde. Tarnfirmen auf den Caymans. Lauter Sachen von denen ich nichts verstehe. Was hat Salger dir von mir erzählt?“ Sie stellt die Beine zurück auf den Boden und nimmt einen Schluck Wein. Dabei schwappen ein paar Tropfen auf den Tisch. Mit einer flüchtigen Bewegung der Serviette wischt sie sie weg.
„Nicht viel. Dass es eine magische Nacht war, als ihr mich gemacht habt. Dass er dich eigentlich nie vergessen konnte, oder so ähnlich. Was man halt so sagt, wenn man nicht weiß, wie man mit seinem neu gefundenen Sohn umgehen soll. Vermutlich wollte er mir nur das Gefühl geben, dass ich kein reines Zufallsprodukt bin. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Ich habe mich auf ein gefährliches Spiel eingelassen, das merke ich jeden Tag mehr, und ich weiß nicht, ob ich es hinkriege, dass mir nicht alles um die Ohren fliegt. Vor allem will ich nicht, dass du auch noch hinein gezogen wirst.“
„Mach dir wegen mir keine Sorgen. Es geht nur um dich und um Salger. Der hat sein Leben lang allein gekämpft und muss wohl erst lernen, mit einem Sohn umzugehen. War es überhaupt ein Selbstmordversuch?“
Viktor zuckt nur mit den Schultern.
„Kannst du offen mit ihm reden?“
„Er ist halbseitig gelähmt, das Sprechen fällt ihm schwer. Manchmal kommt er mir vor wie Konrad im Endstadium, den hatte ich auch kaum noch verstanden.“
„Wir können nicht aussuchen, was uns aufgebürdet wird.“
Wie treffend, denkt Viktor. „Ich hoffe, du meinst nicht mich, dass ich dir ein Leben lang eine Bürde war.“
Sie sieht ihn lange schweigend an. Es arbeitet in ihr. Sie versucht es zurückzuhalten, aber dann bricht es doch aus ihr heraus. „Immer noch die beleidigte Leberwurst. Niemand hat dir je das Gefühl gegeben, eine Bürde zu sein. Jonas hat dich wie seinen Sohn behandelt, obwohl du schwierig warst. Dir hat nichts, aber auch gar nichts gefehlt. Wie oft haben wir dich aus irgendeiner Bredouille befreit, in die du dich wegen deiner unsäglichen Teenager-Arroganz hinein manövriert hattest. Und jetzt….“
„Ist gut, Mutter, ich bin nicht gekommen, um mit dir zu rechten. Das ist längst vorbei. Ich will nur deinen Rat.“
„Rechten? Wir sind weit gekommen.“
„So war es nicht gemeint.“
„Aber gesagt. Das ist schlimmer.“
Viktor verzieht das Gesicht, als ginge ihm ihre Empfindlichkeit auf die Nerven. „Erzähl mir lieber, was dich damals geritten hat, mit einem wildfremden Mann zu schlafen, der sich heute mein Vater nennt, und dem ich den ganzen Schlamassel zu verdanken habe.“
„Was spielt das noch für eine Rolle“, sie schüttelt den Kopf, weigert sich für einen Moment darauf eingehen, tut es dann aber doch. „Ich habe dich ohne diesen wildfremden Mann, wie du ihn nennst, groß gezogen. Aber natürlich können wir über die damalige Zeit reden, wenn es dir hilft.“ Sie überlegt eine Weile, irritiert über das, was ihr durch den Kopf zu gehen scheint. Dann zupft sie die Bluse zurecht und lehnt sich zurück. „Mein Vater war ein Despot, ich wollte so früh wie möglich weg von Zuhause, aber Berlin blieb mir lange fremd. Eines Abends, Konrad und ich hatten uns zuvor fürchterlich gezankt, ging ich in eine politische Diskussion, die es in den Achtundsechzigern zuhauf gab. Neben mir saß ein junger Mann, der mich zum Essen einlud, als die Veranstaltung aus dem Ruder lief. Ich willigte ein, weil ich den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Er kam aus Bayern, lebte aber in Nigeria und erzählte faszinierende Geschichten. - Kurzum wir verbrachten die Nacht zusammen. Danach habe ich nie mehr etwas von ihm gehört. Zwei Monate später merkte ich, dass ich schwanger war. Es war kein ordinärer one night stand. In dieser Nacht wäre ich mit diesem Mann überall hingegangen, aber er hat mich nicht gefragt. Ich habe ihn nie vergessen.“ Inka wartet ab und betrachtet Viktor, der gedankenverloren vor sich hinstarrt.
„Du hast es erst erfahren, nachdem er bei der Mikro System einstieg?“
„Ja.“
„Warum sagst du, du hättest ihn nie vergessen. Macht es das leichter? Weil es mich gab, der dich täglich an ihn erinnerte?“
„Nein, ich will nicht, dass du glaubst, du wärst ein Zufallsprodukt. Es macht dich klein und es behindert dich in dem, was du tun willst.“
„Ok, lässt sich nicht mehr ändern. Reden wir darüber, weshalb ich gekommen bin.“
„Ja, möglichst emotionslos, wie du sagst“, lächelt sie.
Die Mutter, wie ich sie kenne, denkt Viktor. Emotionen verstellen dir die klare Sicht auf das Wesen der Dinge, hat sie einmal gesagt, als ich mir vor Liebeskummer nicht mehr zu helfen wusste.
„Was hat Salger denn gesagt, als er dir die Firma übertrug?“, fragt Inka.
„So genau kann ich mich nicht daran erinnern. Es ging für eine Weile drunter und drüber, sein Anwalt musste mir auf Salgers ausdrücklichen Wunsch das Testament vorlesen. Ich bin der Alleinerbe.“
„Aber er lebt doch noch.“
„Ja, aber er hat mich allumfassend bevollmächtigt. Ich kann tun und lassen, was ich will.“
„Wie geht es ihm?“, fragt sie erneut und ihre Stimme klingt ganz weich.
„Besser, aber nicht gut. Er will, dass ich ihn nach Südafrika bringe, auf die Farm. Er meint, es sei der einzige Ort, an dem er sich halbwegs geborgen fühlt. Er will auch keine Reha, will dort zu Kräften kommen. Ein Sturkopf eben.“
„Erzähl mir, was er gesagt hat, als ihr euch zum letzten Mal traft, bevor er versuchte sich umzubringen.“
„Genau weiß ich es nicht mehr, aber eins war klar, er wollte zurück nach Afrika. Und dass er das Unternehmen nicht ein paar anonymen Leuten anvertrauen könne. Sein Einstieg in der Mikro System wäre eigentlich nur ein Test für mich gewesen, weil er längst vermutete, dass ich sein Sohn sein könnte.“
„Was stört dich daran? Du hast die Fusion toll hingekriegte. Und das, was er jetzt von dir erwartet, kriegst du auch hin, wenn du nur willst“, sagt sie streng.
„Ich will ihn nicht enttäuschen, es reicht schon, dass ich dich enttäuscht habe.“
„Hör auf Viktor, dein Selbstmitleid geht mir auf die Nerven. Du hast mich nicht enttäuscht, du warst nur schwierig. Was genau macht dir zu schaffen?“
Warum habe ich nur versucht, mit ihr zu reden, denkt er, lehnt sich weit zurück und streckt die langen Beine unter den Couchtisch: „Also gut. Das mit der Seed Private Equity hast du ja hautnah erlebt, als es um die Übernahme der Mikro System ging.“
„Und? Ist doch prima gelaufen, alle sind glücklich“, wirft sie ein.
„Ja, aber darum geht es nicht mehr. Die Seed war immer nur ein Cover für andere, brisantere Geschäfte. Er hat es mir selbst gesagt.“
„Wenigstens hat er dich nicht im Unklaren gelassen.“
„Unklar?“ Er schüttelt den Kopf. „Ist das falsche Wort. Er hat mir lediglich den Nebel gezeigt, in dem ich mit der Stange herumstochern darf. Weißt du, Waffenhandel ist jenseits von allem, was ich mir je vorstellen konnte. Ich kenne die Regeln nicht, nicht die Leute, einfach gar nichts.“
Sie sieht ihn fassungslos an, sodass er verwundert nachfragt: „Was ist, habe ich etwas Falsches gesagt?“
„Ich kann es nicht fassen. Du willst seinen Waffenhandel weiter betreiben. Das ist ein durch und durch verwerfliches Geschäft.“
„Soweit bin ich noch nicht. Wie gesagt, ich befinde mich noch im Nebel. Es könnte ja auch sein, dass es sich tatsächlich nur um ein lukratives Logistik- und Transportunternehmen handeln. Er hat beim Auseinanderbrechen der Sowjetunion ein paar gebrauchte Militärflugzeuge gekauft, Antonovs, riesige Transporter. Mit denen schippert er alle möglichen Sachen durch die Luft, darunter vermutlich auch Waffen. Wie, von wo, oder wem er die bekommt, kann ich noch nicht sagen. Ich spüre nur, dass da ein großes schwarzes Loch existiert.“
„Eigentlich nicht verwunderlich, findest du nicht.“
„Ja, wäre komisch, wenn er alles schön sauber aufgelistet hätte.“ Viktor lacht kurz auf, wird aber sofort wieder ernst. „Irgendwie muss ich aber an die Details kommen: Wer sind die wesentlichen Spieler? Wem kann ich vertrauen? Alles, was ich nur von Vater persönlich erfahren kann, aber bisher hat er nichts gesagt. Ich hoffe sein Zustand bessert sich, sodass er mir wenigstens sagt, wo ich meine Nase besser nicht hineinstecke.“
Inka hat ihr Gesicht in beide Hände vergraben. „Und jetzt machst du mir Vorwürfe, dass ich dich nicht vor diesem Mann gewarnt habe, ist es so? Zumindest im Unterbewusstsein denkst du das, oder etwa nicht?“
„Nein, ich wäre nicht hier, wenn es so wäre.“
„Danke, das macht es leichter, zumindest für mich. Was willst du tun?“
„Mit ein paar Leuten reden, deren Namen ich in den Akten gefunden habe. Vaters Sekretärin, Janet, ist sehr hilfsbereit, aber bei den entscheidenden Sachen hat er sie nicht eingeweiht.“
„Pass auf, dass du nicht zu tief in seinen Strudel gerätst. Schaff dir eine Reißleine, an der du dich abseilen kannst, wenn es zu eng wird. - Bleibst du über Nacht?“
Viktor blickt auf den Garten, der ihm in seiner absoluten Ordnung wie ein unentrinnbares Labyrinth vorkommt. Er wirkt, als hätte er die Frage nicht gehört.
„Bleibst du über Nacht, ich habe das Gästezimmer für dich hergerichtet“, wiederholt Inka.
Das Gästezimmer, denkt Viktor. „Ja, wenn ich dich nicht störe.“
„Wir haben wirklich eine eigenartige Mutter-Sohn-Beziehung“, sagt sie achselzuckend, als ließe sich daran nichts mehr ändern.
Als Viktor endlich John Goffin unter der Nummer erreicht, die er in Salgers persönlicher Adressenkartei gefunden hat, überrascht ihn dessen Jovialität. Die raue Stimme eines Rauchers, denkt er, schwerer Körper vermutlich. Goffin spricht die ersten Worte in ungelenkem Deutsch und wechselt sofort ins Englische, nachdem er Viktor um Verständnis gebeten hat.
„Ich darf dich doch Viktor nennen, Martin hat mir von dir erzählt. Die Vorstellung, noch so spät zu einem Sohn gekommen zu sein, hat ihn fast verrückt gemacht.“ Goffin lacht polternd über seine Formulierung. „Versteh das nicht falsch Viktor, ich glaube er war stolz und glücklich, dass es dich gibt. - Was kann ich für dich tun?“
„Ich würde Sie gerne treffen, um ein paar Dinge zu besprechen, bevor ich mit Vater nach Südafrika reise. Wäre das möglich?“
„Wann fliegst ihr? Ist er schon transportfähig?“
„In zwei Wochen.“
„Das ist schneller, als ich dachte.“ Für eine Weile herrscht Stille in der Verbindung. Als Goffin zurück kommt, ist alles Joviale aus seiner Stimme verschwunden. „Wie wär’s mit Freitag diese Woche.“
„Passt gut“, sagt Viktor schnell, bevor Goffin es sich anders überlegen kann. „Wann und wo genau?“
„Ich schicke Janet eine e-mail mit allen Details. - Wie geht es Martin, hast du mit ihm über mich gesprochen?“
„Nein, bis vor kurzem, konnte er noch nicht sprechen. Jetzt geht es langsam besser. Ihren Namen habe ich in den Akten gefunden und Janet hat gemeint, ich solle Sie anrufen, wenn ich einen Rat bräuchte.“
„Danke, welche Akte war das denn?“
„Nichts besonderes, eine Transaktion mit russischen Transportflugzeugen in Vaters Logistikfirma.“
„In den Akten“, wiederholt Goffin. „Ich reserviere uns dasselbe Restaurant, wo ich auch Martin immer traf, wenn es etwas zu besprechen gab. Dann bis Freitag.“
Am Ende hörte er sich an, wie ein alter Mann, dem die Luft ausgeht, denkt Viktor.
Goffin, in seiner Leibesfülle ruhend, fixiert Viktor, als suche er Spuren von Martin Salger in ihm. Um überhaupt etwas zu sagen, fragt Viktor, was Goffin von der Lage in Syrien hält, und merkt sofort, dass er einen Fehler begangen hat. Vater hätte so etwas fragen können, denkt er, aber ich doch nicht. Ich sehe diesen fetten Mann zum ersten Mal, und jetzt fragt er sich vermutlich, wie Salger so einen vorlauten Menschen wie mich, zu seinem Nachfolger machen konnte.
Während Viktor noch überlegt, wie er die Scharte wieder auswetzen kann, zuckt Goffin mit den Schultern und sagt in seiner gutturalen, aus den Tiefen des massigen Körpers kommenden Stimme: „Wenn ich die Leitartikel zum Thema richtig verstehe, fliegt uns gerade der ganze Mittlere Osten um die Ohren.“ Er schnauft, wie ein Walross nach dem Tauchgang. „Wenn ich wetten sollte, würde ich sagen, das Theater wird noch eine Weile dauern, bis alle Beteiligten so erschöpft sind, dass sie sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. Und das ist dann wohl wieder Assad. Aber ich wette nicht, habe ich noch nie getan.“ Er nimmt einen Schluck Wasser und betrachtet Viktor, als hätte er sich entschlossen, ihn ernst zu nehmen. „Warum bist du hier, was willst du wissen? Am Telefon klangst du ziemlich gehetzt. Mit Martin direkt, nehme ich an, kannst du noch nicht alles besprechen, und die Zeit drängt, deshalb bist du auf mich gekommen.“
Viktor räuspert sich. „Stress“, sagt er ausweichend. „Vater ist noch nicht richtig belastbar. Er hat mir einige offene Baustellen hinterlassen, und die Zeit drängt in der Tat. Ich hoffe, Sie können mir helfen einzuordnen, was wichtig und weniger wichtig ist. Vater hat gesagt, dass Sie einer seiner besten Freunde sind.“
„Kann man wohl sagen, zumindest einer der treusten“, sagt Goffin und grinst unverschämt. „Wie wär’s mit einer richtig guten Flasche Wein zur Feier das Tages? Die trinken wir auf deinen Vater, immerhin hat er überlebt. Martin und ich haben es immer so gehalten, zuerst eine gute Flasche Wein, der Rest läuft dann von alleine.“
„Gerne, aber bitte wählen Sie aus.“
Goffin ruft den Kellner, der sich vertraulich über seine Schulter beugt, als wüsste er längst, was er bestellen wird.
„Eine Flasche Brunello wie immer, Leonhard, und das Lamm für mich. Mein Gast hat sich noch nicht entschieden, wird es aber wahrscheinlich gleich tun.“
„Ich schließe mich an“, sagt Viktor, den stört, wie der Kellner die Augenbrauen hochzieht.
„Gut. Sehr gut, schnelle Entscheidung, klares Wort, mag ich“, sagt Goffin. „Hast du anscheinend von deinem Vater, er wollte sich auch nie mit Nebensächlichkeiten abgeben. Sag, Viktor, was genau hast du in diesen Akten gefunden?“, ein leichtes Lauern liegt in seiner Stimme.
Es geht los, denkt Viktor. Er reibt sich die Nase, unschlüssig auf was Goffin hinaus will. „Nichts Spezifisches. In der Seed Private Equity ist alles klar, die verschiedenen Beteiligung, sonst nichts. Hätte mich auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Aber als ich tiefer einstieg, fand ich in einer der off-shore Firmen einen versteckten Hinweis auf drei Antonov-Transporter, weitgehend abgeschrieben. Keine Rede davon, was die transportieren, wer sie fliegt, wo sie stationiert sind. Da habe ich gedacht, dass Sie vielleicht mehr darüber wissen und ich mir das Graben in den Akten ersparen kann.“
Goffin nickt, als wüsste er von was Viktor redet. „Akten“, sagt er und zieht die Mundwinkel nach unten. „Hast du Martin gefragt, wegen der Flugzeuge, meine ich?“
„Nur einmal. Dazu gäbe es nichts zu sagen, hat er gemeint, Transporter eben, aber das wüsste ich ja bereits.“
Goffin beugt sich vor, stützt die Ellenbogen auf den Tisch und hält die gefalteten Hände vor’s Gesicht, wobei er das Kinn mit beiden Daumen unterstützt. Dabei sieht er Viktor unentwegt an. „Ich kenne die Antonovs. Anfang der neunziger Jahre habe ich sie Martin vermittelt, als die Sowjetunion auseinander brach. Was er damit anfing, was er transportiert, wo sie stationiert sind und unter welcher Flagge sie fliegen, keine Ahnung.“
Er lügt, denkt Viktor, ich hätte gedacht, dass so ein alter Fuchs das Lügen besser beherrscht. „Bestimmt kann mir Vater mehr dazu sagen, wenn ich ihn nächste Woche treffe. Darf ich Sie etwas Persönliches fragen, Herr Goffin, auch wenn Sie nicht in alle Details von Vaters Geschäften eingeweiht sind?“
„Selbstverständlich, als Martins Sohn sind wir ja fast verwandt.“
Viktor deutet ein Lächeln an. „Sollte ich feststellen, dass Vater sowohl am Kapitalmarkt als auch im Waffenhandel tätig war, welches davon sollte ich kappen?“
Goffin wiegt den Oberkörper hin und her. Die Frage scheint ihm nicht zu behagen. Er zieht ein Taschentuch aus der Brusttasche seines Jacketts und schnieft lautstark hinein. „Waffenhandel, wie kommst du darauf?“
„War nur so eine Vermutung. Die Antonovs können alles möglich transportieren, bis zu tonnenschweren Panzern, habe ich gelesen. Was würden Sie tun an meiner Stelle?“
Die Art, wie Goffin sich versteift, zeigt, wie unangenehm ihm das Thema ist. „Du spekulierst, das liegt mir nicht. Da sagt man schnell etwas, das man später, wenn es erstmal in der Welt ist, nicht mehr einfangen kann. Aber wenn es so sein sollte, wie du vermutest, dann hat Martin sicher beides so kunstvoll miteinander verknüpft, dass es sich nicht so leicht aufdröseln lässt. Wenn du anfängst an einem losen Faden zu ziehen, kann es sein, dass du den ganze Pullover auftrennst. Und bevor du dich versiehst, fällt dir alles auf die Füße.“
„Ja, das befürchte ich, deshalb bin ich hier.“
Goffin nickt, als hätte er nichts anderes erwartet. „Wenn dir das Waffengeschäft nicht behagt, falls es tatsächlich um Waffen geht“, schiebt er schnell hinterher, „oder weil so ein Handel nicht deinen moralischen Vorstellungen entspricht, dann solltest du die Finger davon lassen. In meinen Augen sind Waffen aber auch nur Waren, wie alles, was sich transportieren lässt. Etwas stressiger vielleicht. Du könntest Anlageberatung betreiben, das bringt viel Geld, ist aber eher langweilig, habe ich gehört. Aber auf dem Sektor kommen sich Finanzmenschen und Waffenhändler am nächsten: Beide handeln sie mit toxischem Zeug. Und noch ist nicht erwiesen, was von den beiden mehr Menschen umgebracht hat. Martin hat einmal so Andeutungen gemacht, nichts Konkretes. Falls er doch mit Waffen zu tun hatte, verstand er es sicher, perfekt auf beiden Klavieren zu spielen. Dein Vater ist ein erfahrener Fuchs, er wagt sich selten auf offenes Terrain oder unspielbare Partituren, wenn du weißt, was ich meine.“
Was immer das heißen mag, denkt Viktor. Auf jeden Fall weiß Goffin über alles Bescheid, aber er wird mir nichts sagen, nicht schon jetzt. Vielleicht später, wenn er mit Vater gesprochen hat, und der ihm grünes Licht gibt. „Bis ihm die Noten durcheinander gerieten“, sagt Viktor lapidar.
„Das kann passiere. Aber vergiss nicht: Mit dem Geld, das Martin machte, standen ihm lange alle Türen offen. Solltest du dich für seinen Weg entscheiden, musst du aufpassen, dass du immer die nötige Distanz hältst. Allzu persönliches Engagement bringt dich um. Es soll Menschen geben, die um des Geldes willen Geld scheffeln. Scheint mir eher verwerflich. Irgendeine Idee hinter dem Geld sollte es schon sein, meiner Meinung nach. Und wähl dir ein Ziel, das macht es leichter, dann kannst du dich wenigstens vor dir selbst verstecken, wenn es hart auf hart geht, und irgendwann wird es das tun.“
Viktor schiebt seinen Teller zur Seite und sieht lange auf Goffin. „Danke“, sagt er, steht auf und reicht dem Koloss die Hand. „Danke, Sie haben mir sehr geholfen. Mehr als Sie vielleicht denken. Entschuldigen Sie, aber ich muss jetzt gehen, sonst verpasse ich noch den Rückflug.“
„Na dann hat sich dein Kommen ja gelohnt.“
Im Hintergrund kreischen Papageie, versteckt in mannshohen tropischen Pflanzen. Gelegentlich rattert ein Zug auf der Hochbahn der Schönhauser Allee vorbei. Berlin, Prenzlauer Berg, dort wo es laut ist, aber nichts im Vergleich zu Lagos. Vor ein paar Tagen ist Lucy gelandet, um ihre Mutter zu besuchen. Jetzt wartet sie auf Verena, in dem Blumenladen, in der Nähe von Verenas Praxis, wo sie sich zum ersten Mal getroffen hatten, nachdem es ihr gelungen war, mit Salger Kontakt aufzunehmen.
„Seit wann bist du schon hier?“, fragt Verena zur Begrüßung. Sie streicht sich die kastanienfarbenen Haare aus dem Gesicht, nimmt das Gummiband, das sich gelöst hat, und formt einen Pferdeschwanz. In ihrer weißen Bluse strahlt sie Sauberkeit und Unschuld aus. Den breiten Mund hat sie zu einem Lächeln verzogen.
Sie hat zwei grundverschiedene Gesichtshälften, denkt Lucy, ist mir früher nie aufgefallen. Unbewusst fährt sie sich durch die ultrakurzen Haare. Die ganze Erscheinung ein schlankes, hochgewachsenes Model. Früher störten sie die Blicke der Männer, die ihren Körper taxierten, als wäre er jederzeit zu haben. Doch seit sie die vierzig überschritten hat, ist ihr das egal. Nur manchmal wünscht sie sich mehr Anerkennung als investigative Journalistin.
„Seit zwei Tagen, Mutter ging es nicht gut. Ich konnte nicht gleich anrufen.“
„Wie lange warst du weg?“
„Weg? Lagos ist mein Zuhause, hier bin ich weg. - Ich arbeite an einem Projekt im Norden Nigerias, dort breitet sich Boko Haram aus. Ein Bericht darüber, wie sich der Terror ins Alltagsleben der Menschen dort eingräbt und es verändert, aber ich kam nicht gut voran, am wenigsten an die Terroristen selbst, die ich über ihre Beweggründe fragen will. Wenn ich zurück bin, versuche ich’s erneut. Ich brauche bessere Unterstützung vor Ort, sonst wird es aber wieder nichts. Meine Zeitung kümmert sich darum, jedenfalls haben sie es versprochen.“
„Und Hanna, wie geht es ihr jetzt?“
„Es war eine Blutvergiftung, zumindest besteht keine akute Gefahr mehr. - Warum kommst du mich nicht einmal besuchen in Lagos? Die Stadt ist so anders als Berlin, pulsierender finde ich. Es gibt dort einen Hund, ein Haus, ein Bett, alles was du brauchst“, lacht sie. „Sobald Mutter gesund ist, will ich sie für eine Weile nach Lagos holen, sie soll sehen, wo ich aufgewachsen bin. Schon seltsam, in Berlin genieße ich die Ordnung, die Museen, und in Lagos die Musik. Und manchmal vermisse ich sogar die vielen Chaoten“, lacht sie kurz auf, um gleich wieder ernst fortzufahren. „Wenn ich hier bin, träume ich von dort, und dort träume ich von hier. Zerrissen nennt man das wohl, ich bin eine zerrissene Person.“
„Machst du dir Vorwürfe?“
„Wegen was?“
„Dass du deine Wurzeln verlierst, nicht mehr weißt, wo du hingehörst.“
„Wurzeln? Vielleicht hatte ich die nie. Die Welt ist komplex geworden, Verena. Nigeria wird zunehmend fragmentiert in Ethnien, die sich gegenseitig misstrauen. Politiker, Geschäftsleute und pensionierte Offiziere nützen das aus. Sie finanzieren eigene Milizen, um ihre Macht zu stärken.“ Sie atmet tief ein und lässt resigniert die Schultern sacken. „Entschuldige, ich überfahre dich richtiggehend mit meinem Kram. Interessiert dich Afrika überhaupt?“
„Ich war nach dem Studium lange in Südafrika und ich habe einen schwarzen Freund, reicht das nicht?“
„Stimmt, hatte ich vergessen. Wie geht es Joao?“
„Gut, er steigt weiter auf, und je höher er kommt, desto weniger Zeit hat er für mich. So ist das halt mit Beziehungen über große Distanz.“
„Höre ich Resignation?“
„Nur ein wenig Traurigkeit.“
Ein schrilles Kreischen lässt die Beiden zusammenzucken. Lucy dreht sich um und sucht die Vögel. „Papageie in Berlin, hat mich schon beim ersten Mal gewundert, als wir uns hier trafen. Ist lange her.“
„Zehn Jahre. Erzähl mir von Lagos, wenn du willst, dass ich dich besuchen komme.“
„Die Stadt ist ein Moloch. Eine gigantische Ansammlung von Opportunisten, die nur an sich selbst denken. Vor einiger Zeit fuhr ich eigens nach Ghana um das Elmina Castle zu besuchen. Dort wurden die Sklaven geparkt, bis die europäischen Schiffe kamen, um sie abzuholen. Eine schreckliche Burg, deren Bilder mir immer noch Schauer den Rücken hinunter jagen. Dabei hätte ich gar nicht dahin gebraucht, denn letzthin las ich, dass die eigentliche Hochburg der Sklaverei Lagos war. Die Schiffe lagen oft monatelang in dem verzweigten Gebiet zwischen Nigerdelta und Calabar. Dort konnten sie ungestört darauf warten, dass ihnen die Stämme aus dem Inneren ihre Menschen brachten. Pro Kopf eines gesunden Mannes fünfunddreißig englische Pfund. Ein lukratives Geschäft, aber in Lagos findest du keinerlei Hinweis auf seine Sklavenvergangenheit. Es ist, als sähe die Stadt nur nach vorne. - Vor einem Monat gab es Unruhen in Ajegunle, einem multiethnischen Slum in Lagos. Man hatte einen Haussa als vermeintlichen Dieb beschuldigt. Er sollte gelyncht werden und konnte sich nur retten, weil er an die Unterstützung anderer Haussa appellierte. Aber die Yoruba-Milizen gaben nicht nach. Sie hätten das Recht, meinten sie, in ‚ihrer’ Stadt für Ordnung zu sorgen. Sie forderten Verstärkung an, riegelten das Wohngebiet ab und begannen eine ‚burn-and-kill’ Operation. Drei Tage später, als wir erstmals in die ‚Kriegszone’ hinein konnten, ohne selbst massakriert zu werden, fanden wir die Straßen mit Leichen übersät. - Warum erzähle ich das?“
„Vermutlich, weil du willst, dass ich dich besuchen komme“, sagt Verena mit hochgezogenen Brauen und der Andeutung eines Lächelns. „Ich habe nichts davon gehört.“
„Wie könntest du. Der IS, Irak und Syrien haben seit Jahren die Schlagzeilen gekapert. Nur Boko Haram schafft es gelegentlich eine Anekdote dazwischen zu schieben. Uns ist es recht, wir sind nicht gerade stolz auf unsere periodisch ausbrechenden Straßenkämpfe. Vielleicht sollten wir lieber über etwas Fröhliches reden, den arabischen Frühling zum Beispiel, wie wär’s damit?“ Sie setzt ein breites Grinsen auf und lacht so laut, dass die Papageie aufschrecken.
Verena spürt Lucys Verunsicherung. „Und dann gehst du durch Berlin und deine Gedanken sind in Lagos. Ich stelle mir das schwer vor.“ Sie zögert für einen Moment, scheint zu überlegen, ob sie es überhaupt sagen soll. „Hasst du uns Europäer, für all das, was wir euch angetan haben?“
Lucy reagiert überrascht. „Hassen, nein, ein starkes Wort. In meinen Augen zu stark. Die Sklaverei, der Kolonialismus, alles lange her. Es war eine andere Zeit. Heute müssen wir Schwarze endlich anfangen uns selbst zu kurieren, anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen. - Salger habe ich gehasst, bevor ich ihn kennenlernte. Europa war für mich nur ein Gefühl, mit dem ich nichts anfangen konnte. Ich kam, um Salger zu finden, und ich fand meine Mutter. Und jetzt stehe ich mit einem Bein hier und mit dem anderen in Afrika. - Und was meinst du mit ‚euch’, es gibt viele Afrikaner, die sich an Europa gemästet haben“, sagt sie bitter.
Es zerreißt sie, denkt Verena. „Viktor hat gesagt, Salger wollte sich umzubringen“, wechselt sie das Thema.
„Ich weiß, Leonhard Rueti hat ihn gefunden und die Ambulanz gerufen. Er hätte es besser nicht getan. Tut mir leid, es klingt, als würde ich Salger den Tod wünschen, ist aber nicht so, jetzt nicht mehr. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass er noch viel Spaß hat. Der Mann ist halbseitig gelähmt.“
Verena schüttelt missbilligend den Kopf.
„Ich weiß, du bist Ärztin, und Spaß ist nicht das richtige Wort“, sagt Lucy. „Vor ein paar Tagen rief mich Salger an, noch aus dem Krankenhaus. Ich habe ihn kaum verstanden, anscheinend ist sein Sprachzentrum beschädigt worden. Danach habe ich mit Viktor telefoniert, er meinte, Salger wolle zurück ins Leben, was immer das heißen mag. Sicher nicht raus aus dem Rollstuhl, ein paar Schritte vor und zurück und schwupp machst du da weiter, wo du aufgehört hast, bevor du dir eine Kugel in den Kopf gejagt hast. - Übrigens, er wollte mich einladen, soviel konnte ich verstehen.“
„Wer, Viktor? Wozu?“
„Nein, Salger, ich soll ihn auf der Farm besuchen, er möchte sich aussprechen. Es wäre an der Zeit, hat er gesagt.“
Verena nickt, als ginge ihr ein Licht auf. „Er hat mich auch eingeladen“, sagt sie lapidar.
„Wer, Viktor?“
„Nein, Salger persönlich. Er rief mich an, in der Praxis. Ich hab es Viktor erzählt, er war nicht gerade begeistert.“
„Aber Salger ist noch im Krankenhaus.“
„Nein, nicht mehr. Viktor hat ihn auf die Farm gebracht, sobald er transportfähig war. Dabei dachte ich immer, es müsse unerträglich für Salger sein, einem Sohn zur Last zu fallen, den er kaum kennt.“
„Warum, die beiden arbeiten schon lange zusammen“, widerspricht Lucy. „Du denkst, Salger will uns alle gemeinsam auf der Farm haben, Viktor, Joao, dich und mich?“, bohrt sie nach. „Dabei kennt er dich doch kaum.“
„Vermutlich will er, dass Joao kommt, und mit mir ist das wahrscheinlicher. Zumindest nehme ich das an.“ Erklärend schiebt sie hinterher: „Salger meinte am Telefon, ich sei ihm die Liebste aus dem ganzen Kramer-Klan und immer willkommen auf seiner Hazienda.“
„Ich hab ihm gesagt, dass ich ohne dich nicht komme. Vielleicht hat er deshalb angerufen.“
„Schon möglich. Bist du immer noch hinter ihm her?“
„Nein, das ist längst vorbei“, sagt Lucy, als wäre ihr das Thema unangenehm. „Hazienda, wie kommt er darauf? Die Farm liegt in Südafrika? Hast du ihn überhaupt verstanden? Er nuschelt und bringt kaum einen Satz zu Ende.“
„Er sprach langsam und betont. Die Kugel hat das Sprachzentrum teilweise zerstört, du hast richtig geraten, er muss komplett neu anfangen. Nicht gut für Finanzmogule, solche Leute müssen sprechen können, das ist alles, was sie haben.“
„Hm. - Ich finde es immer noch seltsam, wie wir vier, du, Joao, Viktor und ich zusammen gefunden haben. Du hast versucht, uns auf deiner Party bekannt zu machen. Richtiggehend begeistert warst du von der Idee, doch es ist ziemlich schief gegangen“, lacht Lucy.
„Du hast Viktor als Salgers Söldner beschimpft.“
„Schlimmer, als seinen kriminellen Erfüllungsgehilfen.“ Lucy schmunzelt, als sie sich an den Abend in Verenas Wohnung erinnert. „Viktor und ich haben uns ein paar Tage später in einem Café am Kurfürstendamm getroffen und eigentlich ganz gut verstanden. Da wusste ich aber noch nicht, dass er Salgers Sohn ist.“
„Viktor wusste es damals auch noch nicht.“ Verena schlägt die Speisekarte auf, legt sie aber gleich wieder zurück. „Ich bestelle noch einen Tee. Für dich auch?“
„Nein, danke. Was ist, fahren wir gemeinsam?“
Verena atmet tief ein. „Ich weiß nicht. Eigentlich kenne ich Salger doch nur von euren Erzählungen.“ Verena schließt die Augen und schlägt die Hände vor’s Gesicht. „Gut, ich komme mit, aber nur wegen dir und Joao. Ich habe ihn lange nicht gesehen und mache mir Sorgen um ihn. Normalerweise würde ich mit einem Menschen wie Salger nichts zu tun haben wollen. Du bist sicher, dass Joao kommt?“
„Viktor meinte, Joao hätte viel zu tun, aber er würde sich frei machen, uns zuliebe. Er wäre im August in China und käme nach dem Rückflug für ein paar Tage auf die Farm. Wie steht es zwischen euch beiden?“
„Johannesburg und Berlin sind sehr weit entfernt. Er ist Politiker geworden und hat wahnsinnig viel zu tun. Wir skypen, aber danach ist es jedesmal schlimmer als zuvor.“
„Mir geht es ähnlich mit Mutter.“
Für eine Weile hören sie beide in sich hinein, die Stille nur unterbrochen vom Kreischen der Papageien und dem Rascheln der Zeitung des Mannes am Nebentisch.
„Da ist noch etwas, ich spüre es“, sagt Lucy schließlich. „Aber du willst nicht darüber reden.“
Verena zögert, bis ein verschämtes Lächeln um ihre Mundwinkel spielt. „Ich habe einen Mann kennengelernt, er ist Allgemeinarzt, wie ich. Er hat eine Praxis in Berlin, und arbeitet halbjährig in einem Camp in Kenia. Wir haben miteinander geschlafen, seither denke ich oft an ihn. Manchmal denke ich auch an dich, an deine verquere Beziehung zu Salger. Du hasst ihn, schläfst mit ihm, und jetzt besuchst du ihn. Ich verstehe das nicht.“
Lucy zuckt mit den Schultern, ein Geschäftsessen, denkt sie, mehr war es nicht. „Lass es, es ist zu kompliziert.“
„Tut mir Leid.“
„Braucht es nicht. Ich musste es tun, danach habe ich ihn zumindest respektiert und konnte ihm zuhören. Irgendwie kam er mir an dem Abend integer vor, nur sich selbst verantwortlich. Das gefiel mir, sonst würde ich ihn nicht auf der Farm besuchen. Sprichst du mit Viktor?“
„Ja, versprochen.“
„Hat sie gesagt, was sie von Salger will?“, fragt Viktor misstrauisch, als ihn Verena endlich erreicht.
„Nein, was sollte sie schon wollen? Die beiden sind sich in Berlin näher gekommen. Er hat sie schon damals eingeladen und die Einladung jetzt eben erneuert. Vielleicht spürt er, dass ihm die Zeit davon läuft und er will die Sache mit Kwame, was immer damals passiert ist, endlich abschließen. Reicht das nicht? Wir drängen uns nicht auf, falls du das meinst“, sagt Verena irritiert.
„Ich meine gar nichts, aber der Mann ist halbseitig gelähmt und glaubt wahrscheinlich immer noch, dass sie ihm an den Kragen will.“ Viktor klingt, als öde ihn das ewig gleiche Thema an.
„Wie kommst du darauf?“
„Auf die Lähmung? Ich hab ihn auf die Farm gebracht.“
„Nein, dass sie ihm an den Kragen will.“
„Er hat es mir erzählt, kurz bevor er versuchte sich umzubringen. Aber egal, das sollen die beiden untereinander ausmachen.“
„Die Idee: Wir vier auf der Farm und Salger schwebt über allem, gefällt dir nicht.“
„Ach Verena, ich bin am Absaufen, versuche verzweifelt einen Teil des Schutts abzutragen, den er mir hinterlassen hat. Ich fliege einmal im Monat nach Johannesburg, nehme den Zubringer nach Hoedspruit und tanke mich danach im Jeep durch eine staubtrockene Landschaft, alles, um meinen Vater zu treffen, der mir eigentlich fremd ist. Und der mir noch dazu mit keinem Wort erklärt hat, weshalb er sich unbedingt eine Kugel in den Kopf jagen musste. Er hat überlebt, aber er ist paralysiert, kaum zu verstehen, und denkt wahrscheinlich immer noch, er kann die Dinge lenken, wie es ihm passt.“
„Soviel Gejammer am Stück habe ich von dir schon lange nicht mehr gehört.“
„Du triggerst es eben, genau wie damals im Literaturhaus. Du hast mich zu Recht in den Senkel gestellt“, lacht er gequält. „Eigentlich gut, wenn ihr beide mitkommt, dann habe ich jemand, bei dem ich mich ausweinen kann. Aber bitte sag Lucy, sie soll ihn mit dem Tod ihres Vaters in Ruhe lassen, Salger hat nichts damit zu tun.“
„Bist du dir da sicher?“
„Ja. Auch wenn es anders wäre, bringt es nichts, einen todkranken Mann zu quälen.“
Verena atmet hörbar aus, was soll ich darauf antworten, denkt sie.
„Ich brauche seinen Rat, aber ich verstehe ihn kaum noch“, fährt Viktor fort. Es scheint ihm egal zu sein, ob Verena noch zuhört. „Manchmal kommt es mir vor, als säße ich deinem Onkel, Konrad, gegenüber. Damals im Endstadium, als er kaum noch sprechen konnte. Und jetzt willst du, dass ich mir Lucys Lustreise möglichst sinnvoll ausmale.“
„Nein, das will ich nicht. Ich werde Lucy absagen.“
„Jetzt sei nicht gleich beleidigt. Ich bin einfach nur überarbeitet.“
„Kann Salger denn überhaupt Besucher empfangen?“
„Er hat eine gute Haushälterin, Miriam macht das fantastisch. Er sagt, sie hilft ihm in seine Cessna zu steigen und zumindest auf dem Rollfeld hin und her zu fahren. Auch ein Erfolgserlebnis. - Wann würdet ihr beide denn fliegen wollen? Vielleicht lässt es sich mit einem meiner Routinetrips kombinieren. Im August zum Beispiel, da fliege ich sowieso nach Südafrika, es gibt eine Menge offener Baustellen, die ich mit Salger besprechen muss.“
Warum habe ich mich nur darauf eingelassen, denkt Verena. „Ich muss mit Lucy reden, bei mir ginge es im August. - Wohnst du in Zürich in dem Haus, wo er gefunden wurde?“
„Ja, seinem alten Palast, den ich lieber heute als morgen loswerden würde.“
„Glaubst du wirklich, wir können alle zusammen da hin?“ Verena hofft, dass Viktor verneint.
„Alle? Wer noch?“
„Joao natürlich.“
„Der ist für Salger mehr Sohn, als ich. Er strahlt schon, wenn er nur von ihm redet. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser gefällt mir die Idee, euch alle mal wieder zu sehen. Sprich mit Lucy wegen August und gib mir Bescheid. Ich kläre mit Salger, was er davon hält, dass wir in Bataillonsstärke anrücken.“
Am nächsten Tag ruft Viktor zurück: „Er hat’s ganz locker genommen. Dann wird das Haus endlich wieder einmal voll, hat er gesagt. Hatte ich eigentlich nicht erwartet.“
„Dann können wir ja anfangen zu planen. Kannst du die Flugbuchungen übernehmen, damit wir beide im selben Flieger sind. Für mich aber nur Economy.“
„Kommt nicht in Frage, wir fliegen Business.“
„Das kann ich mir nicht leisten.“
„Lass das mal meine Sorge sein, schließlich schulde ich dir etwas.“
„Was denn?“, fragt sie erstaunt.
„Dass du immer zu mir gehalten hast.“
„Ach Unsinn, du bist mein ältester Freund.“
Und du meine älteste Freundin, eher Schwester, denkt er. „Danke. Gib Lucy bitte Bescheid, sie hat schließlich alles angezettelt. Und wegen Joao höre ich von dir?“
„Ja, sobald ich ihn erreicht habe.“
„Mit was für einem Lumpensammler bist du denn geflogen?“ fragt Viktor gut gelaunt, als er Lucy im Ankunftsbereich des Flughafens in Johannesburg umarmt.
„Sei nicht so frech, Virgin Nigerian Airways ist nicht so übel. Wir sind absolut sicher gelandet und es war wesentlich bequemer als der KLM-Flug, mit dem ich vor kurzem nach Amsterdam geflogen bin. Schön dich zu sehen, wo ist Verena?“
„Sie wartet am Auto auf uns. Wir waren spät dran, sie hat mich nur schnell hier abgesetzt und ist weiter ins Parkhaus gefahren.“
„Und wie sollen wir sie finden?“
Viktor hält triumphierend sein Handy in die Luft: „Geht überall, kein Wunder, dass Salger hierher zurück wollte. Beim ersten Mal war ich ganz schön verblüfft. Fantastisches Wetter, Luxus wie in London, fröhliche Leute, einfach alles, was der Mensch braucht, um glücklich zu sein.“
Lucy wirft ihm einen schrägen Blick zu und zieht die Augenbrauen hoch. Eine Geste, die sie immer tut, wenn ihr etwas nicht gefällt.
„Was ist, was habe ich gesagt?“
„Nichts. Die Art, wie du über das Land sprichst ist mir zu oberflächlich. Klar, die Leute haben smart-phones, aber sie haben auch kein Wasser und der Müll vor ihrem Haus stinkt zum Himmel. Hier ist nicht alles Gold was glänzt.“
„Das weiß ich doch“, sagt er verärgert. „Ist das dein ganzes Gepäck?“, fragt er, und greift nach ihrem Rollkoffer.
„Ja, ich reise selten mit viel Gepäck, das macht es leichter sich aus dem Staub zu machen, wenn es eng wird. Außer dem Besuch auf der Farm haben wir ja nichts vor, oder? Da reichen ein paar T-Shirts. Sicherheitshalber habe ich aber doch ein Kleid mitgebracht, nur für den Fall, dass dir oder ihm etwas Überraschendes einfällt.“
„Wie ein rauschendes Fest zwischen wilden Tieren?“
„Was weiß ich. Ich hab’s auf jeden Fall dabei. - Wie hat er es aufgenommen, unser Kommen meine ich?“
„Er hat sich richtig gefreut. So habe ich ihn in der Schweiz nie erlebt. Er ist hier überhaupt ganz anders, keine Spur mehr der erfolgreiche Manager, Geldmagnat. Unnahbar, alle möglichst weit auf Distanz halten und so, du weißt schon, was ich meine.“
„Und was glaubt er, weshalb wir alle zusammen kommen?“
„Dass wir meine Partnerschaft feiern wollten, und dann hattest du die Idee mit der Farm, nachdem er dich dorthin eingeladen hatte. Er sei froh, dass wir uns so gut verstehen, hat er gemeint. Lass uns gehen, Verena wartet.“
„Gleich, ich muss noch Geld wechseln.“
„Brauchst du nicht, du bist unser Gast. Außer du willst auf deinem rauschenden Ball einen Prinzen verführen, der seinen Geldbeutel vergessen hat, dann brauchst du natürlich etwas.“
„Lass mich mal wechseln. So viele Prinzen wird es wohl kaum geben auf seiner Farm. Könnte ja sein, dass mir eure Gesellschaft auf den Geist geht, dann muss ich jemand bezahlen, dass er mich erlöst. Und wie geht’s weiter?“, fragt sie, mit der Andeutung eines Lächelns.
„In Melville habe ich für eine Nacht Zimmer gebucht. Morgen fliegen wir nach Hoedspruit, einem Regional-Flugplatz, hauptsächlich für Besucher des Krüger Parks. Wir nehmen ein Mietauto und fahren zur Farm. Wegen der Kosten brauchst du dir wirklich keine Sorgen machen, die übernimmt Salger, er hat sogar ausdrücklich darauf bestanden.“
„Wow, ist das wirklich in Ordnung?“
„Keine Sorge, er hat immer noch genug Geld. Wir sollen einen Jeep mieten, hat er gemeint.
„Ich weiß nicht“, zweifelt Lucy, als fände sie es unpassend ein Geschenk von Salger anzunehmen.
„Was soll er sonst mit seinem Geld anfangen? Alles mir vermachen? Würde ich auch nicht tun. - Verena steht im Parkhaus, zweiter Stock, Platz 235, diese SMS’s sind wirklich toll. Parkhaus, hier lang“, sagt er und schiebt den Gepäckwagen hinaus auf den Vorplatz des Terminals. Am Eingang des Parkhauses erwartet sie Verena.
„Kommt Joao auch dazu?“, fragt Lucy, als sie Verena nach einer langen Umarmung freigibt.
„Erst später, er musste für ein paar Tage mit einer Delegation nach China. Aber er schafft es am Samstag auf die Farm. Ich freue mich riesig, ihn wieder zu sehen“, sagt Verena.
„Was macht er in China, ich dachte, er hat langsam genug von dem Dreck in Zumas Umgebung“, sagt Lucy gehässig.