Okavango - Eckhard Polzer - E-Book

Okavango E-Book

Eckhard Polzer

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Beschreibung

Eine Familie versucht den Neuanfang. Ihr Propellerflugzeug bringt sie ins Okavango Delta. Der Flieger stürzt ab. Zurück bleiben Mutter und Tochter, die über dem Tod ihrer Männer zusammenfinden. Ein Mann, fasziniert von der Macht, steigt auf, bleibt aber immer auf der Suche nach sich selbst. Ein junges Paar reist durch das Indien der siebziger Jahre, fasziniert von der Vielfalt und Exotik des Landes. Eine Frau und ein Mann haben sich auseinandergelebt. Sie wählen die Trennung vor der Einsamkeit einer gescheiterten Beziehung. Ein Mann sieht in den Augen eines kleinen Mädchens die Sinnlosigkeit seines Tuns.

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Seitenzahl: 251

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Stories

Die Stories sind autofiktionale Geschichten, die ich über die Jahre gesammelt, weggeschlossen und jetzt, 2024, neu überarbeitet habe. Manche sind geprägt vom Ton der siebziger Jahre, in denen ich lange in Afrika und Indien war. Andere sind kleine Impressionen am Rande eines beruflichen Treffens.

Okavango ist angelehnt an eine missglückte Reise ins Delta, in einer kleinen viersitzigen Cessna, zusammen mit Susan und Tara. Geprägt vor allem durch die Nächte des Wartens auf den Arzt, in einem Krankenhaus in Viktoria Falls.

Rastlos ist Teil meiner beruflichen Vergangenheit, geprägt durch die Mühen der Globalisierung.

Abschied ist rein fiktiv, angestoßen durch die Erzählung einer Freundin in Atlanta, die tatsächlich von einer Schlange gebissen und danach schwanger wurde.

Gold ist das, was nach außen erfolgreichen Menschen womöglich durch den Kopf geht, wenn sie sich fragen, was sie wirklich im Leben erreicht haben.

Edna versucht die Stimmung des weißen Südafrika am Beginn der siebziger Jahre zu treffen.

Und Freiheit ist eine Reise durch Indien in 1973, die so nie stattgefunden hat.

Eckhard Polzer

Vom selben Autor:

Romane:

Die Weltverbesserer

Tod am Sambesi

The Village

Dunkle Wahrheiten

Das Kuvert

Suchende

Das Verhängnis

Sachthemen:

Aufzeichnungen I; 1965-1979

Aufzeichnungen II; 1980-1993

Aufzeichnungen III; 1994-2001

Aufzeichnungen IV; 2002-2014

Aufzeichnungen V; 2015-2019

Aufzeichnungen VI; 2020-2024

Stories

Okavango

Rastlos

Abschied

Gold

Edna

Freiheit

*********************

Eckhard Polzer

Verzeichnis

Okavango

Rastlos

Abschied

Gold

Edna

Freiheit

Okavango

„Willst du wirklich, dass ich den Flug arrangiere?“, fragt Cora ihren Vater, den sie seit Jahren nicht gesehen hat, und der für ein paar Tage nach Südafrika gekommen ist.

„Ja, damit ich dich wieder neu kennenlerne, Cora, du hast dich verändert“, sagt Jak. Er fragt sich, ob seine Tochter so einen Flug ins Delta überhaupt stemmen kann. „Du musst nur Marja klar machen, dass sie für alles bezahlt. - Hast du den Sturm gestern Abend erlebt? Fantastisch. Bei uns gibt es so etwas nicht mehr.“

Er knausert, denkt Cora. „Was gibt es bei euch nicht mehr?“

„Diese Gewalt. Unsere Gewitter sind nicht mehr das, was sie mal waren. Gestern hatte ich kurz den Eindruck als würde ich meinem eigenen Groll zuhören. Der Donner schien mir groß, männlich, eine Art rollende Wut, wie sie nur ein Wotan produzieren kann.“

„Was meinst du, Papa? Wenn deine Wut wirkliche Macht hätte, dass dein Leben anders verlaufen wäre? Mehr wie …? Wie das eines Schriftstellers vielleicht, einer der Millionen schaufelt mit seinen Büchern. Ist das die Macht, die du dir gewünscht hättest?“

„Nein, Cora, es ging nur um das Gewitter. Aber du scheinst etwas herausgehört zu haben, das nur in deinem Kopf existiert.“

Cora fragt sich, ob es lohnt weiter darauf herumzureiten und tut es dann doch. „Manchmal hatte ich den Eindruck von dir beherrscht zu werden. Dass du uns, Marja, mich, deine Schwester, sogar deinen Vater versucht hast zu manipulieren. Die Bewunderung des Großvaters, dem du eine Macht zugeschrieben hast, die er nie hatte. Fasziniert dich die Macht, Papa? Ich habe…“, sie schweigt abrupt, denkt, es ist der falsche Zeitpunkt.

„Es war nur ein Gewitter, Cora. Wann holst du mich ab?“

Dumm von mir, überhaupt damit anzufangen, denkt sie. „Gegen sieben. Wir fahren durch Hillbrow nach Melville, es ist der kürzeste Weg. Das Lucky Bean Restaurant gehört denselben Besitzern wie das Gästehaus, in dem Marja wohnt“, sagt Cora, versucht, ihre Tränen zu verbergen.

************************

Wie verabredet biegt sie um sieben Uhr in die Sackgasse des Garden View Hotels, wo Jak bereits in der Auffahrt steht. Er ist immer noch attraktiv, denkt sie. Wie kann es sein, dass er so schlank geblieben ist? Die Haare sind länger als früher, noch dunkel, nur das Kinn ist wabbeliger geworden. Chinos hat er schon immer gemocht, manchmal auch Cordhosen, dazu Lederjacken. Pünktlichkeit sei unter seiner Würde meinte er einmal, denkt sie, und jetzt wartet er vermutlich schon seit zehn Minuten auf mich.

„Ich dachte schon, es wäre etwas passiert“, sagt Jak, während er sich umständlich den Sicherheitsgurt anlegt.

„Ein Anruf, den ich nicht abwimmeln konnte“, lügt Cora. Bitte sag jetzt möglichst wenig, denkt sie. Über die Nacht, den Regen, die dunklen Gesichter auf den Straßen, die nicht zu erkennen sind. Er wird über die Schlaglöcher schimpfen, auf die Bettler an den Ampeln, denen er aus Prinzip nichts gibt, und dann wird er, kaum dass wir die Joe Slovo überquert haben, die Sammeltaxis und das Gewimmel in Hillbrow kommentieren und demonstrativ die Verriegelung betätigen. „Wir fahren durch einen der gefährlichsten Stadtteile Johannesburgs. Mir ist aber noch nie etwas passiert. Es ist der kürzeste Weg“, sagt sie.

„Du entscheidest“, sagt er zu ihrer Verblüffung.

Als sie in die Abelstreet einbiegen, meint er: „Johannesburg soll sich langsam in eine ‚African City’ verwandeln, habe ich gelesen. Stimmt das?“

„Schau selbst“, sagt Cora achselzuckend, während sie ein Sammeltaxi umkurvt, das mitten auf der Straße stehen bleibt, um weitere Passagiere aufzunehmen. „Was heißt ‚African City’, gibt es da einen Standard?“

„Woher wissen die Leute, wo es hinfährt?“, geht Jak nicht weiter darauf ein und deutet auf eines der Sammeltaxis.

„Handzeichen. Sie geben sich Handzeichen über die generelle Richtung, und dann handeln sie den Preis aus. Ich benütze sie selten, aber wenn, dann funktioniert es ganz gut.“

„Hast du in Sambia ein Auto?“

„Ja, ziemlich verbeult“, lacht sie. „Das war es schon, als ich es von meinem Vorgänger übernommen habe.“

„Solange es fährt“, meint Jak lapidar und weist auf eine Gruppe junger Leute neben der Straße. „Pass auf, die rennen gleich rüber.“

Cora lacht und lässt die beiden Mädchen und den Jungen, auf dessen Schultern eine Boom Box sitzt, mit einladender Geste passieren. „Freust du dich, Marja zu sehen?“, fragt sie.

„Es ist lange her, das letzte Mal sah ich sie, als du nach Afrika gegangen bist“, vermeidet er eine direkte Antwort. „Wir hatten uns nichts mehr zu sagen. Über das Wetter reden, oder in einem unbedeutenden Lokal das schlechte Essen bemäkeln, liegt mir nicht so, wie du weißt.“

Cora nickt. „Ab hier wird’s leichter, trotz der Baustelle“, sagt sie, und weist auf die rot-weißen Gatter am Rand der Straße. „Wir sind bald da, holen Mutter im Gästehaus ab und fahren gemeinsam weiter. Es sind nur ein paar hundert Meter von dort ins Restaurant. Ist dir das recht, oder soll ich dich lieber zuerst ins Restaurant bringen, bevor ich Marja abhole? Übrigens, ich habe meinen Freund dazu gebeten, den Buschpiloten, der uns ins Delta fliegt, wenn du und Marja einverstanden seid. Götz heißt er, und kommt aus einer deutschstämmigen Familie, die seit Generationen in Südafrika lebt.“

„Seit Generationen! Hört sich nach einer Familie an, die nach der 1848er Revolution verbannt wurde. Auch so eine deutsche Geschichte“, sinniert Jak. „Bring mich doch lieber gleich ins Restaurant, das gibt mir ein paar Minuten um nachzudenken. Dein Freund, ist er ein guter Geschichtenerzähler, falls uns der Gesprächsstoff ausgeht?“

„Bestimmt.“ Nachdenken, sagt er, dabei braucht er vermutlich einen Drink, bevor er Marja trifft, denkt sie.

Cora fährt die siebte Straße hinunter, hält direkt vor dem Lucky Bean, winkt dem Parkwächter ab, und lässt Jak aussteigen. Durch das offene Seitenfenster ruft sie ihm nach: „Ich habe reserviert, auf meinen Namen. Ein Tisch auf der Terrasse, aber du kannst ihn nach Innen verlegen, wenn es dir zu kühl ist. Vier Personen. Ich bin gleich zurück.“

********************

„Wie schön, dass ihr euch wieder vertragt“, sagt Cora, nachdem sich Marja und Jak ohne große Begeisterung begrüßt haben. Küsschen links, Küsschen rechts auf die Wangen, das war’s. „Also, worüber wollen wir reden, oder doch erstmal bestellen? Götz kommt später. Er sagte, er verzichtet auf die Vorspeise.“

„Wer ist dieser Götz?“, fragt Jak.

„Ein guter Freund. Er ist Buschpilot und kümmert sich gelegentlich in Johannesburg um Stadtentwicklung. Er brachte ein paar alternative Touristen in mein Dorf und spielte den Fremdenführer. Ich mochte ihn nicht besonders, doch dann kam er wieder, allein. Wir haben lange geredet …“ Cora sieht den Land Rover vor sich, eine riesige Staubfahne hinter sich herziehend. Götz, der Fahrer, mit zwei älteren Paaren aus Berlin im Schlepptau. Die Männer behängt mit Fotoapparaten, die Frauen versteckt unter breitkrempigen Hüten mit Netzen, die sie vor Mücken schützen sollten.

„Alternative Touristen, was heißt das?“, fragt Jak.

„Leute, die wissen wollen, was mit ihren Spenden passiert“, lacht Cora. „Am liebsten würden sie bestimmen wohin das Geld geht. Ich mag sie nicht besonders, denn am Ende ist der Schaden größer als der Nutzen. Die Leute im Dorf waren verärgert, als sie wieder in ihren Land Rover stiegen und davonbrausten. Ich fand den Besuch völlig absurd, und habe es Götz auch gesagt.“

„Er treibt sich allein in der Wildnis herum?“, fragt Marja ungläubig.

„Er ist Buschpilot und fliegt an Orte, wo die Leute hinwollen, um ihre Vorurteile zu bestätigen. Meist gibt es da keine Wildnis, eher Luxus. Die Lodges, die er in der Regel anfliegt, sind ziemlich komfortabel. Als er allein zurück in mein Dorf kam wollte er nur reden. Ohne, dass wir uns Wortfetzen an den Kopf werfen, wie beim ersten Mal, meinte er.“

„Hört sich zielstrebig an“, sagt Marja.

„Ja, dabei hatte er Glück, mich überhaupt anzutreffen. Einen Tag zuvor war ich noch in den umliegenden Dörfern unterwegs.“

„Hast du ein Verhältnis mit ihm?“, fragt Jak.

„Meinst du, ob wir miteinander schlafen? Ja“, lächelt Cora.

„Wenn du mehr wissen willst, kannst du ihn ja selbst fragen. Er ist aber nicht sonderlich gesprächig, schon gar nicht, wenn es um Gefühle geht.“

Marja schüttelt irritiert den Kopf, als gefalle ihr Jaks Ton nicht. „Was trinken wir? Nehmen wir eine Flasche Wein, zur Feier des Tages? Südafrika hat gute Weine“, sagt sie, um Jak auf andere Gedanken zu bringen.

„Darauf brauche ich etwas Stärkeres. Buschpilot! Meine Tochter!“ Er winkt dem Kellner und bestellt einen Whiskey.

„Und du Cora?“, fragt Marja.

„Wein ist gut. Nehmen wir einen Merlot?“

„Gern.“ Marja wendet sich an den Kellner, der Jaks Whiskey gebracht hat und unschlüssig am Tisch stehen blieb. „Was haben Sie aus der Kap Region?“

„Ich kann Ihnen einen Stellenbosch empfehlen.“

„Gut, einverstanden.“

„Du hättest uns sagen können, dass du einen Freund hast“, sagt Jak, als der Kellner gegangen ist.

„Um Erlaubnis bitten?“, Coras Stimme ist schärfer geworden.

„Nein…, natürlich nicht“, stottert Jak.

„Kein guter Anfang“, sagt Marja. „Lasst uns darauf trinken. Ich bin neugierig auf diesen Buschpiloten. Und ich bin froh hier zu sein, das habe ich mir lange gewünscht. Du siehst wunderbar aus, Cora, richtig glücklich.“

Wunderbar, kein Wort, das sie oft benützt, denkt Cora. Womöglich meint sie das Gegenteil von schön. Jak scheint echt betroffen, als wäre ich immer noch sein kleines Mädchen, das eine Dummheit begangen hat. „Schön, dass ihr gekommen seid. Es ist lange her, dass wir alle zusammen waren“, sagt sie, hebt ihr Weinglas und prostet den beiden zu. „Da ist Götz“, weist sie auf die Straße. „Früher als erwartet. Bitte kein Wort über unsere Beziehung“, sagt sie im Aufstehen.

Auf der anderen Straßenseite steigt ein großer, junger Mann aus einem alten, klapprigen Mercedes. Mit einer lockeren Bemerkung reicht er dem Parkwächter die Autoschlüssel und überquert die Straße. Er trägt Turnschuhe, eine verwaschene, ehemals olivgrüne Windjacke und abgetragene Jeans. Die braunen Haare quellen unter einer verbeulten Che Guevara Mütze hervor. Das Gesicht ist verbrannt, offen, und als er Cora sieht, strahlt er. „Und? Alles im Lot?“

Cora wiegt nur leicht den Kopf, nimmt ihn bei der Hand und stellt ihn vor: „Götz von Lahnstein, mein Vater Jakob Rudlow, der aber lieber Jak genannt wird. Meine Mutter, Marja Lindner.“

„Alter Adel?“, fragt Jak.

„Das zählt hier nichts“, sagt Götz und betrachtet Jak für einen Moment zu lang, bevor es unhöflich wird. Um seine Augen bilden sich kleine Lachfalten, als er Marja die Hand reicht. „Sagen Sie einfach Götz zu mir. Ich hoffe ich störe Ihre vertraute Runde nicht.“ Zu Jak sagt er. „Cora meinte, ich sollte Ihnen vom Okavango Delta erzählen, weil sie sich für die afrikanische Tierwelt interessieren. - Sind sie schon lange in Südafrika?“, fragt er, als er sich an den Tisch setzt.

„Nein, gerade erst angekommen.“

„Wie gefällt Ihnen das Guesthouse, Marja? Ich darf Sie doch so nennen?“

„Selbstverständlich. Sehr schön. Angenehme Menschen.“

„Samantha und Gordon sind prima. Sie haben sich schon während der Apartheid dafür eingesetzt, dass wenigstens ein Teil Sophia-Towns wiederbelebt wird. Kennen Sie die Geschichte Johannesburgs, Herr Rudlow?“

„Nein, ich war nur einmal in Südafrika, das ist lange her.“

Götz winkt dem Kellner und bedeutet ihm, dass er sich am Rotwein beteiligen möchte. „Sophia-Town hieß dieses Viertel früher, bevor es von den Buren platt gemacht wurde“, führt er den Gedanken von vorhin weiter. „Es war eine lebendige Kommune, Jazz-Zentrum, gemischte Bevölkerung, alles, was Südafrika heute sein will. Miriam Makeba ist hier aufgewachsen, und Soweto entstand nur, weil die Menschen von hier weggekarrt und einfach im Regen auf einer Wiese im Süden Johannesburgs abgeladen wurden.“

„Sind Sie ein Aktivist?“, fragt Jak, der Götz die ganze Zeit gespannt betrachtet hat.

„Was meinen Sie mit: Aktivist? Jemand, der einen Umsturz

plant und Bomben legt?“, lacht Götz.

„Jemand, der die Leute aufwiegelt“, sagt Jak ungerührt.

„Papa, bitte“, interveniert Cora, doch Götz nimmt es gelassen.

„Nein, aber ich hasse Unrecht.“

„Und heute?“, fragt Marja, besorgt, das Gespräch könnte entgleiten.

„Götz ist ein Kümmerer“, versucht Cora klarzustellen. „Er arbeitet an Projekten, die die Stadt verschönern, Kunstprojekte, Ausstellungen und so. Die Glaspaneele an den neuen Busbahnhöfen sind von ihm. Und er fliegt gern.“

„Kann man davon leben?“, fragt Jak unbeeindruckt.

„Vom Fliegen?“ fragt Götz. „Es geht so, reich wird man aber nicht dabei. Und die Projekte, die Cora erwähnt hat, sie kommen und gehen. Zurzeit arbeite ich mit einem Architektenteam zusammen, die eine Art alternatives Labor für Stadtentwicklung betreiben. Hans kommt auch aus Deutschland. Er versuchte wieder dort zu leben, hielt es aber nur ein Jahr lang aus. Er vermisste Johannesburg. Gelernt hat er bei Zaha Hadid, aber Wolkenkratzer interessierten ihn nicht. Und Sonja ist Schwedin, sie kommt von der Musik. Ihre Entwürfe müssen schwingen, erst dann sind sie gut, sagt sie.“ Götz klingt auf einmal begeistert und engagiert. Er kramt ein paar abgegriffene Blätter aus der Brusttasche seiner Jacke und legt sie auf den Tisch. „Ein Auszug aus dem Atlas der Apartheid,“ sagt er.

„Warum sind Sie nicht beleidigt?“, fragt Jak, ohne die Papiere auch nur anzusehen. „Ich habe Sie angegriffen.“

„Nichts neues. Johannesburg macht aggressiv, liegt wahrscheinlich am Klima, denn Rassismus geht ja nicht mehr“, grinst Götz, wie eine Katze, die jederzeit zubeißen kann.

„Lassen wir das, er wollte nur wissen wer Sie sind“, sagt Marja, wobei sie strafend auf Jak sieht. „Was ist das, ein Atlas der Apartheid?“, deutet sie auf die Karte vor Götz.

Der entfaltet, ohne Jak weiter zu beachten, farbige Bilder und Diagramme, die Johannesburg im Tortenformat zeigen. „Siebzig Prozent der Fläche war für Weiße eingeplant“, sagt er. „Die Filetstücke sorgsam getrennt vom Rest. Daran krankt die Stadt bis heute. Wir versuchen, den Flow zwischen den abgetrennten Stadtteilen zu vitalisieren. Die meisten Architekten streben ja nach dem großen Masterplan, aber das funktioniert hier nicht. Helfen können nur einzelne Projekte, eine Art urbane Akupunktur. Wir wollen die illegalen Siedlungen, die sich zwischen den Vierteln gebildet haben, besser einbinden. Die Trennungslinien aufweichen und von der Kreativität der Einwohner lernen. Soweto ist heute ein gigantisches Stadtlabor. – Aber eigentlich bin ich ja hier, um Sie für einen Flug ins Okavango Delta zu begeistern. Oder haben Sie sich längst entschieden?“

Marja zögert, als wäre ihr nicht klar auf was sie antworten soll, die Reise oder doch eher seinen Ausführungen zu Johannesburg: „Eigentlich mag ich diese kleinen Flieger nicht“, sagt sie schließlich. „Ich bin nur einmal in so etwas geflogen, da wurde mir speiübel. – Könnten wir das Delta mit einem Abstecher in dein Dorf verbinden, du kämst doch mit, Cora, oder?“

„Natürlich, ich kann euch doch nicht allein lassen, wie neugierige Touristen. Mein Dorf? Warum eigentlich nicht, ihr könntet auch meine Mitarbeiter kennenlernen. Erwartet nur nicht zu viel, es ist ein ganz normales afrikanisches Dorf. – Was denkst du, Götz, ginge das?“

„Ein Abstecher von der Lodge. Morgens hin, am selben Tag zurück. Das ginge schon.“

Cora nickt und strahlt. „Jetzt sollten wir aber wirklich bestellen, ich habe Hunger. Oder gehört wenig essen bereits zum Reiseplan, damit wir nicht zu schwer sind für die Cessna“, sagt sie gut gelaunt.

Marja, Cora und Götz entscheiden sich schnell, nur Jak blättert in der Speisekarte vor und zurück, bis er sagt: „Eigentlich möchte ich nur etwas Leichtes. Eine Suppe oder so, ja, bringen sie mir eine Suppe. Und noch einen Whiskey, denselben wie zuvor.“

Nachdem der Kellner gegangen ist, kommt Marja auf die Reise zurück. „Ein Tierreservat wäre auch schön, lässt sich das verbinden?“, fragt sie Götz.

„Selbstverständlich. Der Chobe-Park ist ein wahres Tierparadies. Er liegt ganz nahe an den Viktoriafällen. Wenn Sie wollen, kombinieren wir beides. Man kann in die Schlucht hinuntersteigen, fast in Tuchfühlung mit einer Wand aus röhrendem Wasser. Jetzt im Frühjahr führt der Sambesi Hochwasser, die Gischt steigt bis zu dreihundert Meter hoch. Aber keine Sorge, der Führer besorgt Ihnen Regencapes.“

„Wir brauchen einen Führer?“, fragt Cora.

„Ja, ohne ist nicht zu empfehlen. Der Abstieg ist stellenweise sehr glatt.“

„Und dann?“, fragt Jak.

„Fliegen wir von Livingstone zum Chobe-River, der ist nur einen Katzensprung entfernt. Wir könnten zwei Tage in der Isobeni Lodge bleiben, eine Nacht auf dem Hausboot, die andere im Zelt. Von Isobeni geht es dann nach Pom Pom, einer Lodge mitten im Okavango Delta. Von dort machen wir den Abstecher in Coras Dorf. Übernachten geht da nicht, also müssen wir an einem Tag hin und zurück. Es gibt im Dorf kein Hotel, oder sollte ich das übersehen haben, Cora?“

„Kein Hotel“, sagt Cora lächelnd.

„Hört sich ziemlich abgelegen an“, meint Marja. „Aber auch ein bisschen wie ein Abenteuer.“

„Nicht richtig“, sagt Götz. „Schon eher Luxus-Reise. Das Abenteuer beginnt frühestens in Coras Dorf, sollte uns der Medizinmann in die Krallen kriegen. Aber wir haben ja nicht vor, krank zu werden“, fügt er beschwichtigend hinzu. „Alles in allem könnten wir in fünf bis sechs Tagen zurück in Johannesburg sein.“

„Dann machen wir es doch, ich bin dabei“, sagt Jak. „Wie wär’s, Marja, wenn du uns dazu einlädst? Die wohlhabende Anwältin spendiert ihrer Familie einen Dschungeltrip. Lässt sich doch wunderbar vermarkten, und womöglich sogar von der Steuer absetzen.“

Marjas Gesicht gefriert zur Maske. Sie streicht sich die Haare aus der Stirn, und für einen Moment ist ihr anzusehen, wie verletzt sie sich fühlt. Doch gleich ist sie wieder die kühle, selbstbewusste Anwältin. „Ich sehe hier weit und breit keinen Dschungel. Und Götz hat von einem Luxustrip gesprochen.“

„Danke“, sagt Jak pikiert.

„Was müssten wir denn tun, falls wir uns für die Reise entscheiden?“, fragt Marja.

Götz, der das Geplänkel amüsiert verfolgt hat, nimmt einen Schluck Wein: „Nichts, nur sagen, dass Sie wollen, und wie lang Sie wollen. In zwei Tagen könnten wir fliegen. Ich spreche mit den Lodges und reserviere den Flieger. Eine Cessna 182, vier Sitze, viel mehr geht da nicht hinein. Wenig Gepäck, aber bei fünf bis sechs Tagen ist das kein Problem. Gutes Schuhwerk und ein paar T-Shirts brauchen Sie. - Ich kann Ihnen die Route zeigen, die Karte habe ich im Auto.“

„Vielleicht sollten wir zuerst essen“, meint Cora.

Nach dem Essen, sagt Jak, der nur einen Whiskey nach dem anderen getrunken hat: „Dann machen wir es doch. Marja soll darüber schlafen, und ich besorge mir ein paar Bücher über das Okavango Delta. Wenn es nichts wird, kann ich mir immerhin die Bilder ansehen. - Wie kommen wir jetzt ins Hotel, Cora, fährst du uns?“

„Ich dachte, Götz bringt dich ins Garden View, er wohnt ganz in der Nähe, und ich bringe Marja zurück.“

„Gute Idee“, sagt Götz schnell, als könne er kaum erwarten wegzukommen.

Im Rausgehen legt Cora den Arm um Jaks Schulter und fragt: „Willst du es wirklich, Papa? Wir können auch einfach in Johannesburg bleiben, die Stadt hat viel zu bieten. Früher oder später solltet ihr aber miteinander reden. Nicht nur anfauchen.“

„Reden, das tun wir doch schon den ganzen Abend“, sagt Jak, mit der Andeutung eines Lächelns. Er geht zu Götz‘ Auto und steigt ein. Kaum, dass er sich gesetzt hat, fragt er: „Mercedes, wie teuer ist der hier?“.

„Mit den Kilometern, die er draufhat, ziemlich billig. Das Alter hat auch Vorteile: Die jungen Kerle, die sich gerne Autos ausleihen, um ein paar schnelle Runden zu drehen, schauen ihn gar nicht erst an“, lacht Götz.

„Stehlen meinen Sie? Und dann fahren sie das Auto zu Schrott?“

„Nein, wenn der Tank leer ist, lassen sie es irgendwo zurück.

- Wie soll ich fahren, durch Hillbrow, oder ist Ihnen das zu gefährlich?“

„Ich habe es mit Cora überlebt, war eigentlich ganz spannend.“

In den Häuserschluchten Hillbrows verdichtet sich der Verkehr. Vierspurige Straßen werden zu Parkplatz und Haltestelle für unzählige Minibusse, vollgepfropft mit Menschen. Der Fahrer eines Kleinlasters entlädt seelenruhig ganze Rinderhälften, die er auf den Schultern in eines der angrenzenden Gebäude trägt. Die blockierten Autos ignoriert er einfach.

„Wo bringt er die hin mitten in der Nacht?“, fragt Jak.

„Keine Ahnung. Tag oder Nacht, ist ihm anscheinend egal, Hauptsache er kriegt die Ladung los.“

Als sie die Joe Slovo überqueren, liegt ein verkrümmter Körper auf der Kreuzung. Eine Gruppe aufgebrachter junger Männer debattiert über ihm: „Bitte verriegeln Sie die Tür, wer weiß, was passiert ist“, sagt Götz.

„Wollen Sie nicht anhalten.“

„Nein, auf keinen Fall, nicht um diese Zeit. Es ist besser, wir mischen uns nicht ein. Sie haben Handys, der Krankenwagen kommt gleich.“

„Das könnte auch in Berlin passieren, dass sich keiner mehr zuständig fühlt. Manche denken inzwischen, wir stünden am Beginn einer neuen Weltordnung, wo jeder nur für sich allein kämpft. Hier in Südafrika wissen sie wenigstens wofür sie kämpfen.“

„Was meinen Sie?“

„Die Regenbogennation, ein irres Projekt.“

Götz atmet tief ein und lässt die Schultern sacken.

**************

„Vertragt ihr euch wieder?“, fragt Cora im Auto. „Beim Essen hast du dich sehr zurück gehalten. Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“

„Jak sieht immer nur sich selbst“, sagt Marja. „Und er trinkt wieder, du hast es ja selbst gesehen. Ich bin nach Berlin gegangen, weil ich seine Selbstbezogenheit nicht mehr ertrug. Dabei ist das völlig normal für einen, der sein Leben lang in den Spiegel geschaut hat, um sein Abbild zu bewundern. Wie soll er auf einmal etwas anderes als sich selbst erkennen?“

Als ich klein war, denkt Cora, war sie eine Mutter, jetzt ist sie nur noch die erfolgreiche Anwältin. Sie hat gekocht und gebacken, hat es geliebt, wenn andere Kinder zu Besuch kamen. Sie hat mich in den Schlaf gesungen und gegen ungerechte Lehrer verteidigt. Ich habe es genossen krank zu sein, nicht die akute Phase, aber danach, wenn ich in ihr Bett durfte, und sie ihre Hand auf meine Stirn legte, um das Fieber zu testen. Später, nach dem Unfall, wurde alles anders. Es war nicht Jaks schuld, ich hätte schauen müssen, bevor ich auf die Straße rannte. „Ist das wirklich fair, Mutter? Du hast ihn geliebt, oder war das auch nur eine Illusion?“, fragt sie schließlich.

„Das war einmal. Ich glaube, wir beide haben deinen Vater immer mit unterschiedlichen Augen gesehen. Nicht verwunderlich, er hat dich vergöttert. Mich hat er am Ende wohl eher gehasst. – Vermutlich.“

„Das klingt nicht gut, bin ich von dir gar nicht gewöhnt.“

„Hm. Ist vielleicht die Lebenserfahrung. Vergiss nicht, ich habe dauernd mit Menschen zu tun, die lügen und verschleiern, nur um dich auf ihre Seite zu ziehen. Das schärft den Blick.“

„Warum hast du vermutlich gesagt?“

„Habe ich das?“

„Ja, hast du. Vermutlich sind wir noch nicht fertig miteinander, wolltest du das sagen?“

Marja schüttelt den Kopf. „Es ist spät, Cora, ich bin müde. - Willst du es wirklich wissen?“

„Ja, du hast nie darüber gesprochen, was zwischen euch beiden vorgefallen ist.“

„Es ist so lange her. - In meinen Augen ist Jak ein Mann ohne Überzeugungen. Als mir das klar wurde, konnte ich nicht mehr bei ihm bleiben. Als Teenager hat er eine Weile am rechten Rand gespielt, aber der war ihm zu dumpf. Wahrscheinlich schuldete er das seinem Großvater. Dann schwenkte er um 180 Grad und sympathisierte mit der RAF, aber auch das dauerte nicht lange. Und als er mich umwarb, wurde er zum überzeugten Protestler. Das einzige Ergebnis aus dieser Phase war deine kaputte Hüfte. Und dann, als es galt sich zu konzentrieren, etwas richtig gut zu machen, versagte er, und hüpfte weiter von einem Thema zum anderen.“

„Aber er war gut mit Finanzen, zumindest hat er viel Geld damit verdient, hast du einmal gesagt.“

„Er hat gezockt. Jak ist ein Spieler. Er hat gewonnen und alles wieder verspielt.“

„Hasst du ihn?“

„Hassen wäre zu viel gesagt. Nein, ich habe ihn wirklich geliebt. Jetzt weiß ich nicht mehr…. - Seine ewigen Frauengeschichten. Wenigstens hat er nie damit geprahlt“, sagt Marja bitter.

„Und jetzt verachtest du ihn?“

„Nein, ich mache mir eher Sorgen. Aber zurück zur Reise, du kannst dich auf mich verlassen, ich werde durchhalten. Sechs Tage sind schnell vorüber. Und wegen der Kosten mach dir keine Sorgen. Geh jetzt, ich will noch etwas nachdenken.“ Doch bevor sich Cora verabschieden kann, sagt Marja mit einem Anflug von Traurigkeit: „Ich hatte immer gedacht, dass du klarsiehst, und jetzt dieser Götz. Wie kannst du nur? Er bietet dir nichts, rein gar nichts. Er hängt sich an dich, und lässt dich fallen, sobald er eine andere gefunden hat.“ Sie hält die Hand vor den Mund, als hätte sie bereits zu viel gesagt.

„Du meinst, wegen meiner Hüfte?“, lacht Cora.

„Du bist immer noch schön“, sagt Marja irritiert.

Mit dem ‚immer noch schön’ meint sie wohl, dass mich Götz nicht verdient, denkt Cora. „Götz kommt aus einer guten Familie. Beide Eltern waren in der Anti-Apartheid Bewegung, die Mutter war im Black Sash. Es ist nicht Götz’ Schuld, dass die Jobs für junge weiße Männer rar geworden sind. - Du weißt, wie sehr ich all die Jahre gelitten habe. Kein Sport mit einer verschobenen Hüfte. Die ewigen Hänseleien in der Schule, weil ich nicht schnell genug hinterherkam. Götz hat es nie gestört, er wollte nur wissen, woher ich die Narbe habe. Er hat sie gestreichelt, als könne er all meine Verletzungen wegwischen.“

Marja geht nicht darauf ein, scheint in Gedanken weit weg zu sein. „Die Reise wird uns guttun“, sagt sie schließlich.

*******************

Als sie eine besonders drohende Wolkenwand durchstoßen, knallt es, als hätte jemand mit dem Hammer auf die Außenhaut geschlagen. Die Cessna schüttelt sich und schmiert ab: „Keine Sorge, war nur ein Blitzschlag“, beruhigt Götz. „Uns kann nichts passieren, wir sitzen in einem Faraday’schen Käfig.“

Immerhin fliegen wir noch, denkt Cora. „Dein Wotan ist nicht gut auf uns zu sprechen“, sagt sie zu Jak.

„Etwas Abstand wäre mir lieber“, presst Jak hervor.

„Wotan?“, fragt Götz.

„In Johannesburg, während eines Gewitters, hörte Jak den Götterkampf im Wechselspiel zwischen Blitz und Donner. Und jetzt sitzen wir mitten drin im Gerangel der Olympier“, meint Cora.

„Was für ein Unsinn! Ich mache mir fast in die Hose vor Angst, und ihr redet von Göttern“, schimpft Marja.

„Gleich sind wir durch“, sagt Götz. „Nur noch ein paar Minuten.“

Kurz darauf beruhigt sich das Wetter und die Maschine brummt gleichmäßig, als wäre nichts gewesen. Es knackt in den Kopfhörern und Götz’ Stimme klingt wie aus weiter Ferne: „Ihr seid ein prima Team, keiner hat durchgedreht, aber die Landebahn in Livingstone steht unter Wasser, sagt der Tower. An eine Landung ist dort nicht zu denken. Wir müssen umplanen.“

Er macht sich Sorgen, denkt Cora, ich kann es an seiner Stimme hören: „Ich glaube, Mama wäre lieber jetzt als später am Boden“, sagt sie.

„Ich halte durch“, meint Marja, „aber ein zweites Mal möchte ich das nicht erleben. Ich hatte mir den Flug eher wie eine Busreise vorgestellt, aber das war wohl dumm von mir.“

„Und du Papa, wie geht es dir?“, fragt Cora.

„Ok“, sagt Jak lapidar, als wolle er nicht darüber reden.

„Götz entscheidet, er kennt sich aus.“

Der Himmel reißt auf, und am Horizont sehen sie das glitzernde Band des Sambesi. Für eine Weile fliegt Götz entlang des Flusses auf eine riesige Rauchwolke zu, die wie eine Säule über dem Wasser steht. „Das sind die Fälle“, sagt Götz. „Der Wasserdampf steigt bis zu dreihundert Meter hoch. Die Einheimischen nennen das Phänomen Mosi-oa-Tunya, donnernder Rauch. - Wir sind durch das Gewitter etwas vom Kurs abgekommen, aber jetzt ist alles gut. So ein Fluss, bei guter Sicht, ist einfach eine wunderbare Markierung“, sagt er erleichtert.

Als die Rauchsäule näher rückt, zieht er den Flieger in eine lang gestreckte Kurve. „Um diese Jahreszeit führt der Sambesi Hochwasser. Tausende Kubikmeter Wasser stürzen in eine tiefe Schlucht, die sich der Fluss gegraben hat, und der Dampf wird wie in einem Kamin nach oben gepresst. An klaren Tagen ist der Sprühnebel noch aus dreißig Kilometern Entfernung zu sehen. Schade, dass wir nicht landen können, aber das, was jetzt kommt, ist auch nicht schlecht“, sagt er, und fliegt direkt auf die Dampfwolke zu.

Inseln aus losgerissenen Pflanzen schwimmen in dem breiten Strom, als würden sie von einem Magnet zur Abbruchkante gezogen. Sie stauen sich kurz an einzelnen Felsbrocken mitten im Fluss und werden erneut mitgerissen. Götz zieht die Maschine in weitem Bogen um die Fälle herum, vorbei an der Eisenbahnbrücke nach Zimbabwe, und steuert von unten her auf die Abbruchkante zu. Für einen Moment versinkt alles im Nebel, und dann hören sie es: Ein Donnern und Zischen, das trotz des Motorengeräuschs ins Innere der Kabine dringt. Auf breiter Front bricht das Wasser, verwirbelt sich und stürzt wie ein gigantischer Perlenvorhang in ein dampfendes Nichts. Sekunden später zieht Götz die Maschine hoch in den klaren Himmel.

„Wow“, sagt Jak. „Was hätte Livingstone dafür gegeben, fliegen zu können. Sie haben nicht zu viel versprochen, Götz.“

„Soll ich noch einmal?“, fragt der.

„Nein, besser nicht, zu gefährlich. Es war grandios, dagegen sind die Niagarafälle reinstes Hollywood“, sagt Jak.

„Du warst begeistert, als wir vor Jahren dort waren“, sagt Marja. „Fälle dieser Mächtigkeit scheinen Menschen wie ein Magnet anzuziehen, als wäre es Erlösung, von den Wassermassen erdrückt zu werden.“

„Erlösung, von was?“, fragt Jak. „Und jetzt, wo geht die Reise hin?“

„Wie gesagt, in Livingstone können wir nicht landen. Ich schlage vor, wir fliegen weiter zum Chobe River und landen in Namibia, direkt im Caprivi Streifen“, sagt Götz. „In einer halben Stunde sind wir dort.“

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„Was ist, Papa, du bist so ruhig, schon seit wir in Chobe angekommen sind. Gefällt es dir nicht?“

„Was?“

„Die Reise.“