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Martin Salger ist durch den Biafra-Krieg in Nigeria reich geworden. Sein afrikanischer Freund unterstützt ihn bei seinen Waffengeschäften und kommt dabei ums Leben. Jahre später versucht Lucy Fiawo, die Tochter des Freundes, herauszufinden, was tatsächlich passiert ist. Sie vermutet, dass ihr Vater ermordet wurde und hat Salger in Verdacht. Der ist inzwischen in Europa zum geachteten Investor aufgestiegen, doch seinen Waffenhandel hat er nie ganz aufgegeben. Lucy stellt Salger in Berlin und bringt sein Finanzimperium zum Einsturz. Es bleibt die Frage, ob Salger wirklich am Mord seines besten Freundes beteiligt war. Der Roman beginnt auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs und endet in den Niederungen der Finanzkrise von 2008. Das Buch ist eine Geschichte von Zerrissenheit, Freundschaft und Verantwortung, über die Zwänge der Mächtigen und die weltweite Vernetzung der modernen Welt.
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Seitenzahl: 563
Veröffentlichungsjahr: 2017
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“Ich ist ein anderer”
Arthur Rimbaud
Besonderer Dank gehört Susan Rae, Konrad Franke und Peter Rothammer, die mir halfen, das Buch zu verbessern.
MARTIN SALGER
Finanzjongleur
LUCY FIAWO
Journalistin
KWAME FIAWO
Lucys Vater, Idealist
HANNA PAUTZ
Lucys Mutter
LEONHARD RUETI
Schweizer Fahnder
CÉLIA
Salgers Geliebte
VIKTOR PAULSEN
Salgers Sohn
INKA PAULSEN
Viktors Mutter
KONRAD KRAMER
Arzt und Unternehmer
FROHMUT KRAMER
Konrads Bruder
SABETH KRAMER
Konrads Frau
VERENA KRAMER
Joao’s Freundin
HERNAN MWENZA
Salgers Verwalter
JOAO MWENZA
Sohn Hernans
JAMES GODDARD
CIA Agent
JOHN GOFFIN
Waffenschmuggler
ARRI SIDIQUE
Anwalt in Singapur
GARY JOHNSON
Fonds Manager
KAY RUGE
Deutsche Botschaft Lagos
FRANK ACHEBE
Salgers Partner in Nigeria
OBA ACHEBE
Franks Vater
GENERAL ABICHI
Kommandeur in Biafra
AARON
Joao’s Freund
GENERAL DIMITROV
Verkauft Waffen an Salger
Und weitere Zuarbeiter, Verhinderer und Menschen, die einfach nur über die Runden kommen wollen.
Lagos - 1987
Biafra
Mitten im Kalten Krieg
Entscheidung
Neuanfang
Südafrika, 1987
Löwenjagd
Abschied
Wahlen
Waffenhandel
Ahnung
Familienbande
Verdacht
Berlin
Va banque
Täuschung
Schattenboxen
Wiedersehen
Eine Transaktion
Viktors Aufstieg
Niedergang
Misstrauen
Geständnis
Abschied
Schwaden von Bier und Rauch hängen in der Luft. Lucy Fiawo setzt sich und betrachtet die ineinander verschlungenen Körper auf der Tanzfläche. Liegt mir jetzt nicht, denkt sie, zu heiß, zu gepackt. Als ihr die Bässe die Ohren zudröhnen, will sie wieder gehen. Sie ist groß und schlank, anders als die meisten Nigerianerinnen. Milchschokolade haben sie die Kinder in der Schule genannt. Seit ein paar Tagen hat sie die Haare auf Streichholzlänge gekürzt und die schweren Ohrringe betonen ihren langen Nacken. Die Bewegung, mit der sie sich die Schweißperlen von der Stirn tupft, hat sie von ihrer weißen Mutter geerbt, doch das kann sie nicht wissen.
Am Nebentisch sitzt eine Gruppe Schweizer. Botschaft oder Swiss Air, denkt Lucy. Beiläufig bekommt sie mit, wie sie über die ewigen Staus auf den Zufahrtsstraßen zur Innenstadt reden. Einer aus der Gruppe blickt, zufällig zuerst, dann immer häufiger zu ihr herüber. Schließlich steht er auf und stellt sich vor: „Leonhard Rueti. Möchtest du tanzen?“
Sie schüttelt den Kopf. „Lieber nicht, ich wollte gerade gehen.“
Doch er lässt nicht locker. „Was machst du? Ich habe dich noch nie gesehen. Ich kenne die meisten Mädchen hier.“ Er setzt sich ungefragt an ihren Tisch und taxiert sie ungeniert.
Zu aufdringlich, denkt sie. „Du kannst dich ja gleich auf meinen Schoß setzen.“
„Die Musik ist zu laut, ich verstehe dich nicht. Was treibst du, der Schuppen hier scheint nicht gerade deine Umgebung zu sein.“
„Bestimmt keine weißen Männer anmachen, falls du das meinst. Ich schreibe.“
Er lächelt und sieht sie etwas aufmerksamer an. „Journalistin? Bei deinem Aussehen könntest du alles machen.“
„Hört sich seltsam an, aber Journalistin trifft es ganz gut.“
Er steht auf und nimmt, ohne zu fragen, ihre Hand: „Komm, an der Bar ist es ruhiger.“
Mit einem Achselzucken folgt sie ihm. „Und was machst du?“
„Ich bin der Schweizer Botschafter“, lacht er und winkt dem Barkeeper. „Zwei Cognac, ok?“
„Ok, aber jetzt sag schon, was du machst.“
„Ich arbeite wirklich an der Schweizer Botschaft. Irgendwer muss sich ja um den Papierkram kümmern. Ob mich das zu etwas Höherem qualifiziert, kann ich noch nicht sagen. Meine Mutter meint, das Papier gehöre nun mal zum diplomatischen Dienst.“
„Was macht deine Mutter, ist sie auch Diplomatin?“
Er grinst. „Nein, sie lebt in der Schweiz, trifft regelmäßig ihre Bridge Freunde, und denkt, dass ich mitten in einem großen Abenteuer stecke.“
„Warum sagst du ihr nicht, wie es wirklich ist?“
„Und, wie ist das?“
„Dreckig, stickig, korrupt, das ist doch eure gängige Meinung, oder?“
„Hm, Journalistin! Sind die alle so? Wo hast du das Schild: Vorsicht, bissiger Hund.“
„Ich kann ja gehen.“
„So war es nicht gemeint. Du hast recht, einige denken so. Zuviel Verbrechen, zu viel Korruption, schnelles Geld, alles was wir Schweizer nicht mögen.“ Rueti zieht, wie zur Entschuldigung, die Schultern hoch. „Aber jetzt erzähl du mir, weshalb du hier bist. Tanzen scheint es nicht zu sein.“
Warum ich hier bin, denkt sie, weil mich der Artikel nervt und ich keinen Schritt voran komme, so einfach ist es. „Mein Chef hat mir eine Serie über den Alltag in Südafrika aufgetragen, weil er glaubt, dass dort die Karten neu gemischt werden. Aber das Apartheidregime kotzt mich an. Ich will nicht darüber schreiben, wie Schwarze andere Schwarze abschlachten und die Weißen tatenlos zusehen. Wahrscheinlich glaubt der Chef, dass es mir leicht fällt über dieses verwundete Land zu schreiben. In seinen Augen bin ich wohl ähnlich zerrissen, weil ich eine weiße Mutter habe.“
Journalistin, denkt Rueti. „Vor ein paar Tagen wurde auf der Straße nach Ikeja ein Schweizer Geschäftsmann überfahren. Keiner hat sich um ihn gekümmert, seine Leiche blieb einfach liegen, bis ihn ein Kollege eher zufällig fand. Das hat nicht geholfen unser Bild von Lagos aufzuhellen.“
„Ich hab davon gelesen. In dem Viertel, wo er überfahren wurde, werden jeden Tag ein bis zwei Menschen ermordet, davon steht nichts in der Zeitung. Was hatte er dort zu suchen? Was denkst du?“
„Du meinst, ich denke anders?“
„Vielleicht…?“ Sie nimmt ihr Glas und dreht es gedankenverloren zwischen Daumen und Zeigefinger, während ihr Blick über die Tanzfläche schweift. Für einen Moment scheint sie Rueti vergessen zu haben. „Meine Mutter lebt in der DDR“, sagt sie leise.
„Meine ist Deutschamerikanerin und lebt irgendwo, meist in teuren Hotels. Mein Vater war Schweizer, er ist tot“, fügt er hinzu, als müsse er sich dafür entschuldigen.
„Wie alt warst du, als er starb?“
„Fünf, außer Fotos kenne ich nichts von ihm.“
„Ich war sieben, als mein Vater starb. In Lagos, nicht weit von hier.“
„Was hat ihm gefehlt?“
„Er wurde ermordet.“ Ihr Ton verbietet jede Nachfrage. Gleichzeitig wundert sie sich, weshalb sie es überhaupt erwähnt hat. Es ist so lange her, denkt sie. „Du magst deine Mutter nicht besonders?“
„Ist wohl eher umgekehrt.“
„Bist du abgehauen?“
„So ähnlich. Der Job an der Botschaft ist eine Art Aufstieg in ihren Augen.“
„Anscheinend nicht für dich.“
Er zieht die Schultern hoch. „An welchem Punkt bist du gerade?“
„Südafrika?“
„Ja.“
Sie lächelt, nimmt ihr Glas und prostet ihm zu. „Ich muss gehen.“
„Schade, ich wollte dich nicht vertreiben.“
„Tust du nicht“, sie reicht ihm die Hand und gibt sich einen Ruck. „Du kannst mich erreichen, wenn du willst, beim ‚Chronicle’.“
„Ein Name würde helfen.“
„Lucy Fiawo, und deiner?“
„Wie gesagt, Leonhard Rueti, Schweizer Weltverbesserer. Wir könnten miteinander essen gehen.“
„Mal sehen.“
Nach ein paar Wochen ist er der erste Weiße mit dem sie schläft. Als sie es sich in seiner Achselhöhle bequem gemacht hat, erzählt sie vom Tod ihres Vaters Kwame. Sie erzählt von Cléo, ihrer Stiefmutter, die dachte, dass Kwame hingerichtet wurde. „Cléo meinte, dass Martin Salger, Vaters damaliger Geschäftspartner, seine Hand im Spiel gehabt hat. Wenn das stimmt, will ich mich an ihm rächen, falls er noch lebt.“
„Rächen“, sagt Rueti, „rächen ist ein großes Wort.“
Vielleicht bin ich über’s Ziel hinaus geschossen, denkt sie. Warum ziehe ich ihn in meine Angelegenheiten hinein, nur weil wir miteinander schlafen? „Du hast nie über dich gesprochen, Leonhard. Was zählt für dich?“
„Das kann ich nicht im Bett beantworten“, er küsst ihre nackte Schulter und steht auf. „Lass uns an den Strand fahren, ich kenne dort eine kleine Bar, sie ist nicht so laut und wir können etwas essen. Die Wellen schwappen bis an den Fuß der Terrasse, das Geräusch entspannt mich. Brauche ich, wenn du mich unbedingt in die Niederungen meiner traurigen Existenz begleiten willst.“
„Fährst du?“, fragt sie, während sie sich anzieht.
„Ja.“
In der Bar steuert Leonhard direkt auf einen freien Tisch auf der Terrasse zu. Per Handzeichen bestellt er zwei Bier. „Ist dir doch recht, oder?“, fragt er Lucy, die nur nickt. Er weist auf das Panorama der hell erleuchteten Schiffe in der Lagune. „Sie liegen schon seit Monaten dort, aber die Regierung schafft es nicht den Hafen auszubauen. Willst du immer noch, dass ich von mir erzähle?“
Sie nickt. „Natürlich, die Geschichte von da draußen kenne ich bereits. Ich habe über die Piraten berichtet, die Nacht für Nacht mit ihren Schnellbooten herumflitzen, um die Besatzungen der Schiffe auszunehmen. Bei der Recherche wurde ich mit dem Messer angegriffen, weil ich wohl zu beharrlich nach den Hintermännern gefragt hatte. Ohne meinen Kameramann wäre ich womöglich gar nicht hier. Ich weiß also eine Menge über Piraten, aber von dir weiß ich nichts.“
„Ich dachte du schreibst nur?“
„Nein, ich kann mir nicht aussuchen, wie ich mein Geld verdiene. Erzählst du jetzt?“ Misstrauen hat sich in ihre Stimme geschlichen.
Abwehrend hebt er die Hände. „Du denkst, ich will nicht, aber das stimmt nicht.“ Er drückt den Rücken durch und atmet tief ein. „Dass mein Vater starb, als ich ein kleiner Junge war, habe ich dir bereits erzählt…“
„Deine Mutter hat sich einen reichen Schweizer gesucht?“
„Fast getroffen. - Wollen wir nicht erst bestellen?“
„Na gut, aber du entkommst mir nicht“, lacht sie.
Er ruft den Kellner, bestellt zwei Teller Fisch und Chips und beginnt sofort zu reden: „Ihr zweiter Mann, mein Vater, hat ihr neben mir“, er lacht, „etwas Geld hinterlassen. Sie fand es völlig in Ordnung, meine Erziehung in verschiedene Privatschulen auszulagern. Die ich dann prompt immer wieder hingeschmissen habe.“ Er nimmt einen großen Schluck Bier und zündet sich eine Zigarette an. „Du auch?“, fragt er.
Lucy schüttelt nur den Kopf.
„Anfang der achtziger Jahre erschien mir dann das Leben eines Abenteurers durchaus angemessen. Zuerst landete ich in einer Hippiekommune Goas, das war an meinem einundzwanzigsten Geburtstag. Gefiel mir auf Dauer nicht, also kehrte ich etappenweise nach Europa zurück. Eine der Etappen bestand aus einem palästinensischen Trainingscamp. Zumindest habe ich dort Schießen gelernt, aber sonst nichts. Immerhin ließ mich die Erfahrung auf Dauer dem Terror abschwören, nur mit dem diplomatischen Dienst wollte es danach nicht mehr klappen.“
„Und das alles ohne Geld?“
„Nein, Geld hatte ich immer genug. Sie schickte es mir, egal wohin.“
„Es hört sich merkwürdig an. Noch dazu aus dem Mund eines Botschaftsangehörigen.“
„Du reagierst wie alle anderen auch. Die meisten glauben, ich haue auf den Putz, nur weil meine Mutter Geld hat.“
„Nein, nein, das ist es nicht“.
„Was ist es dann?“
„Ich verstehe es einfach nicht, kann mir so ein Leben nicht vorstellen. Und weiter?“
„Du bist so anders. Dein Vater? Milchschokolade?“, er klingt traurig. „An der Botschaft bin ich noch nicht lange. Als ich wieder in die Schweiz kam, haben sie meine Bewerbung für den Auslandsdienst erstmal abgelehnt.“
„Aber warum hast du dich überhaupt beworben?“
„Wegen Mutter natürlich. Durch ihre Vermittlung und die Fürsprache eines ihrer Bridgefreunde landete ich dann doch noch hier. Das ist alles, den Rest kennst du aus eigener Erfahrung.“
„Warum tust du es, wenn es dir nicht gefällt?“
„Irgendetwas muss der Mensch doch tun. Und manchmal ist es ja auch ganz spannend. Immerhin habe ich dich getroffen.“
„Dass du nur als Aktenkopierer hier bist, nehme ich dir nicht ab“, lacht sie und drückt seine Hand. „Wie wär’s mit Gelegenheitsspion.“
„Nicht schlecht, vielleicht ist sogar eine Gehaltserhöhung drin“, lacht er und küsst ihre Hand. „Aber jetzt essen wir erstmal, sonst erfinde ich noch mehr Märchen, die du mir sowieso nicht glaubst.“
Sie zuckt mit den Schultern, als wäre ihr das Essen egal. „Ich glaube dir. Fast“, fügt sie nach einigem Überlegen hinzu.
„Wie kommt es, dass du eine weiße Mutter hast und hier in Lagos sitzt?“
Sie lässt sich eine Zigarette geben. „Ich kann mich nicht an Mutter erinnern. Alles, was ich über sie weiß, habe ich von Vater. Er hat wenig von ihr erzählt, als wolle er, dass ich sie vergesse.
Nach seinem Tod fand ich ein Foto von ihr in seinen Unterlagen, das ist alles was ich habe. Sie waren nicht verheiratet und ich war fünf, als er mit mir aus der DDR wegging. Ich war sieben, als er starb.“ Ein Glitzern erscheint in ihren Augen.
„Du musst jetzt nichts sagen.“
„Doch ich will. Cléo, das war meine Stiefmutter, hat gesagt, dass Vater für Salger Waffen verkaufte. Aber er wäre für dieses Geschäft zu ehrlich gewesen. Vater habe gleichzeitig Medikamente nach Biafra geschmuggelt. Das hielten Salgers Partner für Verrat und brachten ihn um. Vielleicht gab es auch noch andere Gründe, ich werde es herausfinden.“
„Warte mal. Vor kurzem sprach ich mit jemandem, der Salger kannte. Der hat Salger einen Berlin-Trip verschafft, zu irgendeinem Kongress. Der Mensch hieß Ruge, Kay Ruge.“
„Hilfst du mir?“
„Ja, aber erwarte nicht zu viel.“
Im Sommer 1967, als Lucy Fiawo in Ostberlin geboren wurde, landet Martin Salger in Lagos. Er ist groß und athletisch und gilt bei den wenigen Freunden, die er hat, als guter Sportler. Sein Studium hat er abgeschlossen, er hat ein paar Reisen hinter sich, die nicht gut gelaufen sind.
Nigeria, seit einigen Jahren unabhängig, ist dabei die Führungsmacht Westafrikas zu werden. Bei der Landung in Lagos erlebt Salger seinen ersten Tropensturm. Als die Tür der Boeing geöffnet wird, schlägt ihm warmer Regen ins Gesicht. Er klemmt sich das Handgepäck unter den Arm und stolpert die Gangway hinunter. Im Nu klebt ihm das Hemd auf der Haut. Im Gebäude riecht es nach Schimmel, Kerosin und Schweiß.
Er streicht sich die nassen Haare aus der Stirn und findet unter einer nackten Neonlampe den Einreiseschalter. Dahinter ein Mann in verschwitzter Uniform. Als Salger ihm den Pass reicht, sucht er das Visum, stempelt es ab und winkt ihn durch. Seinen Alukoffer findet er unter einem triefenden Haufen Gepäck. Er gräbt ihn aus und geht zur Ankunftshalle.
Das Geschrei wild gestikulierender, schwarzer Menschen schlägt ihm entgegen. Er sucht das verabredete Schild mit seinem Namen. Nichts. Da spürt er eine Hand auf der Schulter. Hinter ihm steht ein Mann in dunklem Anzug, weißem Hemd und Krawatte. „Martin Salger?“, fragt er.
„Wie haben Sie mich erkannt?“, fragt Salger erleichtert.
„Sie sind der einzige junge, weiße Mann, der mit dem Flieger ankam“, strahlt der Mann und reicht Salger die Hand. „John Njoya. Ich soll Sie ins Hotel bringen.“ Sein Deutsch ist blütenrein. „Kommen Sie, das Auto steht vor der Tür.“
Der Sturm ist abgeflaut und der Regen einer bleichen Sonne gewichen, die durch Schwaden feuchtwarmer Luft scheint. Der Fahrer verstaut das Gepäck, gibt dem Parkwächter ein paar Münzen, und hält Salger die Tür eines nagelneuen Peugeot auf.
Salger klemmt seine langen Beine hinter den Beifahrersitz, streicht die schulterlangen Locken aus der Stirn und wartet ab. „Wohin geht es?“, fragt er schließlich.
„Nach Victoria Island, die Botschaft hat dort ein Hotel für Sie gebucht. Waren Sie schon einmal in Afrika?“
„Nein, noch nie.“
„Dann willkommen in Lagos. Es wird dauern, die Straße ist, wie jeden Tag, total verstopft.“
„Wie kommt es, dass Sie so gut deutsch sprechen?“
„Ich habe in der DDR studiert“, antwortet der Mann knapp, und reicht ihm einen Brief nach hinten.
Und jetzt Fahrer an der Botschaft der Bundesrepublik, denkt Salger, auch eine Form der Wiedervereinigung. Er öffnet den Brief und erfährt, dass ein Kay Ruge, Mitarbeiter der Botschaft, ihn am nächsten Tag im Hotel besuchen wird.
Als aus den Papphütten ärmliche, verwitterte Häuser werden, verdichtet sich der Verkehr: Taxis, Mamalaster, Frauen mit Bündeln auf den Köpfen, spielende Kinder mit rotbraun gepuderten Körpern, dazwischen räudige Hunde. Verbogene, platt gefahrene Ampeln haben aufgehört, den Verkehr zu regeln.
Salger hält den Kopf aus dem Fenster, er schwitzt. „Wie lange noch?“
„Schwer zu sagen, ein, vielleicht auch zwei Stunden.“
Nur jetzt nicht einschlafen. Salger wischt sich den Schweiß von Nacken und Stirn und betrachtet das Treiben auf der Straße. Müde ergibt er sich dem Lärm aus Hupen, Schreien und afrikanischem Reggae.
Endlich halten sie vor einem Hotel, dessen Fassade mit schwarzen Regenschlieren überzogen ist. Die Leuchtreklame blinkt, einzelne Buchstaben sind tot. Beim Aussteigen wäre er ums Haar in einen offenen, vermüllten Abwasser-Schacht getreten. Er stolpert über Betonplatten, aufgeworfen wie nach einem Erdbeben, und geht zur Rezeption.
Der Fahrer hat inzwischen den Koffer in der Empfangshalle abgestellt und wartet, bis Salger eingecheckt hat, um sich dann per Handschlag von ihm zu verabschieden. Träge rühren zwei große Deckenventilatoren in einem Gemisch aus Schweiß und abgestandenem Bier.
Im Zimmer, einer halbhoch mit Holz getäfelten, dunklen Höhle dringt die Nachmittagssonne durch Lamellenläden und zeichnet Zebrastreifen auf die Dielen. Es riecht nach Mottenkugeln. Salger reißt das Fenster auf, aber als ihm die Hitze, gepaart mit dem Lärm einer Autoreparaturwerkstatt entgegen schlägt, schließt er es und sucht den Schalter des Ventilators. Er zieht das Moskitonetz über dem Bett zur Seite und setzt sich auf die schaukelnde Matratze. Ergeben streicht er sich über die schmerzenden Augen. Das leise Wummern des Rotors und die Kühle des steten Luftstroms beruhigen ihn. Für einen Moment zweifelt er am Sinn der Reise, doch sofort reißt er sich wieder zusammen und geht nach draußen.
Nicht weit vom Hotel entfernt liegt die Werkstatt, deren Lärm bis in sein Zimmer gedrungen ist. Er betrachtet die ölverschmierten Gestalten, die mit nackten Oberkörpern in der prallen Sonne werkeln. Sie hämmern auf Blechverkleidungen, flicken Autoreifen, ersetzen Stoßdämpfer und Bremsbeläge. Mitten in dem Chaos steht ein Baum voller großer, schwarzer Früchte, die sich beim näheren Hinsehen als fliegende Hunde erweisen.
Ein weißer Affe in einem Urwald aus Rückständigkeit bin ich, denkt Salger auf dem Weg zurück ins Hotel. Er setzt sich auf die Terrasse, bestellt ein Bier und betrachtet den blauen Teppich aus Jakarandablüten zu seinen Füßen. Neben ihm sitzen zwei Engländer, die sich über das Chaos in einem der Ministerien auslassen.
„Seit sechs Jahren sind sie nun unabhängig, und was hat sich geändert?“
„Nichts, absolut nichts.“
Mit dem Röhren der Ochsenfrösche und dem geheimnisvollen Flügelschlag der Fledermäuse kommt die Tropennacht. Salger spürt, wie die Spannung langsam von ihm abfällt. Er bestellt ein weiteres Bier und freut sich über das Lachen des Kellners.
Am Mittag des nächsten Tages meldet sich der Mann von der Botschaft. Salger findet ihn am Empfang, lässig an der Theke gelehnt. „Herr Ruge, nehme ich an. Martin Salger“, stellt er sich vor.
Der Mann richtet sich auf und nickt. „Ja, Kay Ruge.“
Höchstens Ende zwanzig, denkt Salger, als er Ruges verschwitzte Hand drückt. „Ich war sehr erleichtert, als ich ihren Brief erhielt. Ein ziemliches Chaos am Flughafen und die Fahrt….“
„Willkommen in Lagos. Chaos gehört hier zum Alltag. - Ich soll Sie in Afrika einführen, als ob das so einfach wäre. Wie war die erste Nacht?“
„Es ging so.“
„Und? Gut gefrühstückt?“
„Ein paar vertrocknete Spiegeleier mit verschrumpelten Würstchen. Mir scheint, die Engländer haben ganze Arbeit geleistet“, lacht Salger.
„Manche mögen das. Kein Porridge, lauwarm?“ Ruge verzieht das Gesicht, als wäre es das Schlimmste, was er sich vorstellen kann.
„Nein.“
„Das kommt noch. Deutsches Brot, mit Kruste und so, können Sie vergessen. Ist die hohe Luftfeuchtigkeit, macht alles zum Waschlappen, einschließlich der Leute. - Was halten Sie von einem kleinen Fischlokal, direkt am Strand? Nichts besonderes, aber wir können in Ruhe reden.“
Vom Meer weht ein überraschend kühler Wind in die offene Halle des Lokals. Die Tische aus Blech, von der Salzluft zerfressen. Stühle aus Stahlrohr, verbogen und zerbeult. Die viereckigen Säulen zwischen Terrasse und Innenraum mit Schlieren aus Schmutz und Schimmel überzogen. Innen die Wände, teilweise abgeblättert, von einem undefinierbaren Grün und der Fußboden aus blankem Beton.
Als sich Salger neugierig umsieht, sagt Ruge: „Wir sind zu früh dran, aber ich dachte, ich zeige Ihnen gleich das wahre Nigeria. Das Ikoji Hotel auf der anderen Seite der Lagune probiert westlichen Standard. Aber im Norden, in Kano, wo Sie hingehen, ist es eher so wie hier, allerdings ohne die mörderische Luftfeuchtigkeit. Sie werden sehen, nach ein paar Wochen erscheint Ihnen alles ganz normal. Ich bin auch noch nicht lange hier, komme inzwischen aber ganz gut klar. Lagos ist meine erste Station.“
Ich mag ihn nicht, denkt Salger.
Übergangslos wechselt Ruge den Ton. „Wir haben uns gewundert, dass Sie überhaupt gekommen sind. Hier braut sich etwas zusammen“, dabei sieht er prüfend auf Salger, doch als der nicht reagiert, kehrt er zu seinem leichten Tonfall zurück, als gäbe es nichts Wichtigeres als ein gelungenes Essen. „Nehmen Sie die Garnelen, sie sind wirklich gut, und bleiben Sie beim Bier. In Afrika ist es das sicherste Getränk. Auf keinen Fall Wasser aus der Leitung, aber das kennen Sie ja bereits aus Indien. Wie lange waren Sie dort?“
„Nur ein paar Monate. Woher wissen Sie, dass ich in Indien war?“
„Steht in ihrem Dossier.“
Sie wollten wissen, wen sie bekommen, denkt Salger. „Das Land und ich haben uns nicht vertragen“, sagt er verunsichert. „Was meinen Sie mit zusammenbrauen?“
„Vor zwei Monaten haben die Igbos in der Region um Port Harcourt geputscht. Sie wollen ihren eigenen Staat. Jetzt ist erst einmal Ruhe, aber keiner glaubt, dass die Haussa, die Muslime im Norden, diese Sezession auf Dauer hinnehmen werden. Entscheidend wird jedoch sein, auf wessen Seite sich die Yoruba schlagen. Sie sind mehrheitlich Christen und im Moment denken sie noch nach. Aber keine Sorge, Kano bleibt ruhig, ganz bestimmt.“
Er will mich beruhigen, denkt Salger. „Hört sich nicht so toll an.“
„Nein, nein, keine Sorge, das renkt sich wieder ein. Spannungen zwischen den Volksgruppen gab es hier immer. Der Botschafter glaubt zwar, dass diesmal die Karten neu gemischt werden, aber ich finde, es wird noch dauern, bis etwas Gravierendes passiert. Wir werden ja sehen, wer recht behält. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich alles in eitel Sonnenschein auflöst. Schließlich wurde Nigeria erst vor ein paar Jahren in die Unabhängigkeit entlassen, da muss sich noch einiges zurechtrütteln.“
Kano, denkt Salger, ich musste im Atlas nachsehen, wo die Stadt überhaupt liegt.
„Und, sind es die Garnelen?“, hört er Ruge wie aus weiter Ferne.
„Habe ich lange nicht gegessen, das letzte Mal in Indien“, sagt Salger. „Aber wenn sie so gut sind, wie Sie meinen, gern.“
„Versprochen.“ Ruge hebt den Arm, doch als der Kellner nicht sofort kommt, steht er auf und staucht ihn zusammen.
Ein Rassist, denkt Salger, warum schicken sie solche Leute hierher. „Seit wann gibt es dieses Praktikum überhaupt?“, fragt er.
Nachdem sich Ruge beruhigt hat schüttelt er den Kopf, zieht eine Schulter hoch, als wäre ihm das Praktikum ziemlich egal. „Sie sind der Erste. Das verdanken Sie unserem Botschafter. Er will Nigeria nicht allein den Engländern überlassen und versucht auf allen Ebenen Brücken zu bauen. Eine davon sind Sie, gratuliere.“ Er erhebt sich, will erneut zu dem Kellner, lässt es aber und setzt sich wieder. „Ich sollte ihm richtig die Leviten lesen. Wir sind die einzigen Gäste im Lokal und er benimmt sich, als wären wir Luft.“
„Und der Deutsche Akademische Austauschdienst?“, versucht Salger abzulenken. „Die waren ja richtiggehend euphorisch, als ich zusagte.“
„Sie fühlten sich in der Pflicht. Wir hatten Druck gemacht, aber Sie waren der Einzige, der bereit war, nach Afrika zu gehen.“ Ruges Augenbrauen schnellen hoch, als hätte er gerade ein Staatsgeheimnis verraten. „Morgen früh holt Sie ein Fahrer der Firma ab und bringt Sie nach Kano. Es wird anstrengend, mindestens zwei Tage Fahrt über schlechte Straßen. Aber ein Jahr geht schnell vorbei.“
Salger nickt versonnen, als hätte er denselben Gedanken gehabt. „Warum hat die Firma ihren Sitz ausgerechnet in Kano? Warum nicht in Lagos?“
„Keine Ahnung, vielleicht weil die Flugzeuge in der Sahel weniger schnell rosten“, lacht er. „In letzter Zeit wurden von der Regierung einige sowjetische Typen beschafft, das passt den Amerikanern nicht besonders. Würde mich interessieren, was Sie davon halten, wenn Sie erstmal eine Weile in der Firma sind.“ Ein leichtes Lauern liegt in Ruges Stimme.
Salger betrachtet Ruges Ränder unter den Augen, das zerknitterte Hemd und das verbeulte Jacket. Er fragt sich, was ihn wohl nach Nigeria gebracht hat.
„Uns wurde gesagt, dass Sie mit einem schwarzen Kollegen das Gästehaus der Firma teilen werden. Ungewöhnlich, aber das gehört wohl auch zum Brückenschlag“, legt Ruge wieder los. „Wenn es nicht klappt zwischen Ihnen, melden Sie sich, vielleicht können wir etwas tun. Hier ist meine Karte. Aber erwarten Sie nicht zu viel, die Telefonverbindung ist miserabel. Die Fräulein vom Amt stöpseln noch, Uralttechnologie von Cable and Wireless. - Sie sind schon weit herum gekommen, ungewöhnlich für ihr Alter.“
„Sie meinen Indien?“
„Ja, nicht gerade der direkte Weg für einen angehenden Ingenieur.“
„Es hat sich so ergeben….“
„Und deshalb wollten Sie nach Afrika, weil Indien schief gegangen ist?“
„Nein, Afrika hat mich interessiert.“
„Interessiert!“
Frank Achebe, der Mitbewohner des Bungalows auf dem Firmencompound, macht kein Hehl aus seinem Ärger über den ungebetenen Gast. Er ist Mitte zwanzig, wie Salger, und Sohn eines Oba. Sein ausgedehntes Liebesleben bedarf komplizierter Vorkehrungen im muslimisch geprägten Norden Nigerias und Salger stört ihn dabei. Erst nach Wochen beginnt Frank aufzutauen.
„Es wird Krieg geben, nicht hier im Norden, aber in der Gegend um Port Harcourt“, sagt er während eines gemeinsamen Abendessens. Er knetet einen Ball aus klebrigem Maniokteig zurecht, tunkt ihn in die scharfe Soße aus Chilipfeffer und Tomaten und stopft ihn in den Mund. „Die Spannungen zwischen den Igbos und den Haussa verschärfen sich, sagt mein Vater. Es hat ein paar Tote gegeben, und jetzt ziehen die Igbos, die wenigen, die es im Norden überhaupt gibt, in den Süden.“
„Ich hab darüber gelesen, aber das ist doch nur Gerede.“
„Dachte ich auch, aber Vater ist besorgt, seit im Delta Öl gefunden wurde. Jetzt wollen die Igbos ihren eigenen Staat. Wenn wir das akzeptieren, fliegt Nigeria auseinander. Vater weiß mehr. Er will dich gerne kennen lernen. Warum kommst du nicht mit, wenn ich nächste Woche nach Hause fahre? Hier hängst du ja doch bloß rum und trinkst ein Bier nach dem anderen.“
„Wer ist wir?“, fragt Salger, plötzlich hellwach.
„Die Haussa, die Yoruba, wir haben das Sagen in Nigeria und so soll es auch bleiben. Sprich mit Vater, er ist Oba und weiß, was sich tut im Land.“
„Was ist ein Oba?“
Frank wirkt nur kurz irritiert: „Eine Art Richter.“
Salger nickt, greift nach einem Stück Fleisch und tunkt es in die Soße. „Was für Geschichten erzählst du über mich, dass dein Vater mich sehen will?“
Frank grinst unverschämt: „Dass du der Größte bist“, lacht er. „Quatsch, mir gefällt, wie du dich hineinkniest. Dabei bist du nur ein Praktikant. Ich wundere mich, weshalb du das Jahr nicht einfach vorbeirauschen lässt.“
„Vorbeirauschen ist nicht mein Ding.“
„Vater mag Leute wie dich.“
„Du auch?“
Frank kaut ruhig zu Ende, dann lächelt er: „Vater würde sich freuen.“
Salger sitzt schon eine Weile unter dem riesigen Banyanbaum am Rande Kanos und sieht dem Filmvorführer zu, wie er seinen Projektor aufbaut. Wie an jedem letzten Freitag im Monat ist auch diesmal Rufus Amokali mit seinem klapprigen Landrover erschienen, um ausgeblichene Schwarz-Weiß-Filme auf den abblätternden Kalk der Außenwand des Community Centers zu projizieren. Mit dem Lautsprecher hat er für den Abend Bilder von Schmerz und Leidenschaft angekündigt. Und jetzt schiebt er sich, gestoßen von den kräftigen Armen, auf seinem selbst gebastelten Rollbrett durch die sich füllenden Bankreihen. Die von Polio verkrüppelten Beine taugen zu nichts, doch das stört Rufus Amokali schon lange nicht mehr. Er liebt sein Publikum. Und wenn der Projektor das Gesicht eines Helden riesenhaft vergrößert, die Wand zum Fenster in Urwälder und Wüsten macht, dann sitzt der Krüppel geborgen in der Dunkelheit und betrachtet die Zuschauer im blauen Widerschein.
Salger mag Rufus, er bewundert, wie er mit seinem Handicap umgeht. Er liebt diese Abende unter freiem Himmel, die flackernden Bilder, die improvisierten Tanzeinlagen des Publikums, und die fliegenden Tomaten, wenn der Film nicht gefällt.
Kurz vor Beginn der Vorführung setzt sich ein junger Weißer mit zwei Flaschen in der Hand neben ihn. Salger hat ihn schon ein paarmal auf dem Markt gesehen, wo er immer nur Salz und Zucker einkaufte.
„John Goffin“, sagt der Mann und reicht ihm ganz selbstverständlich ein Bier. „Ich habe dich auf dem Markt gesehen, aber du bist kein Entwicklungshelfer, oder?“
„Nein, ich arbeite hier, Flugzeugwartung und so. Und du, Entwicklungshelfer?“
„Ja, Brunnen bauen, ganz in der Nähe. Ich bin Engländer, und du, Deutscher?“
„Hört man das nicht“, lacht Salger. „Den Engländer habe ich mir schon gedacht. Im Peace Corps?“
„Das sind die Amerikaner.“ Goffin scheint zu überlegen, ob es sich lohnt mit einem Ignoranten weiter zu sprechen. „Wie lange bleibst du in Nigeria?“, fragt er mehr aus Höflichkeit.
„Ein Jahr, vielleicht auch länger. Und du?“
„Ich bin schon eine Weile hier. Flugzeugwartung, ausgerechnet in Nigeria?“, zweifelt er.
„Es hat sich so ergeben“, weicht Salger aus.
Nach dem Film schlägt Goffin vor, in einer nahe gelegenen Bar noch ein Bier zu trinken. Salger ist es recht, er will nicht dem Gestöhn aus Franks Zimmer zuhören.
Es wird spät und es bleibt nicht bei einem Bier. Sie reden über den Kolonialismus, das Empire, die Sowjets und die Kuba-Krise. Goffin erzählt von Songhai, Mali, den alten afrikanischen Reichen des Sahel, von denen Salger noch nie gehört hat. Das Gespräch wird hitziger, wobei Goffin dazu neigt, die Rolle der Europäer zu verteidigen. „Du siehst doch, dass ohne uns nichts geht. Deine Wunschbilder, Martin, Selbstbestimmung und so, fliegen dir noch um die Ohren, darauf kannst du wetten.“
Gegen Mitternacht nimmt Goffin einen kleinen Lederbeutel aus der Tasche. Er kramt das Zigarettenbriefchen hervor, zieht ein Papier heraus und dreht sich einen Joint. „Du auch?“, fragt er, nachdem er den ersten Zug genommen hat. „Ist pur. Vor meinem Haus habe ich eine ganze Plantage davon.“
Salger greift nach der Zigarette und spürt schnell, wie sich seine Gedanken in einem diffusen Nebel auflösen. Undeutlich nimmt er Goffins Bemerkung wahr, dass er nicht nur Brunnen bohrt. „England hat Interessen in Afrika. Ein Land, so groß wie Nigeria, können wir nicht einfach den Kommunisten überlassen.“
Als sie aufbrechen, lädt ihn Goffin zu sich nach Hause ein. „Ich muss für eine Woche nach Lagos“, sagt er, „aber danach könnten wir bei mir essen. Keine Angst, ich bin ein leidlich guter Koch. Mir hat das Gespräch gefallen, dir auch?“
Eines Morgens, als sie noch schnell ihr Porridge in sich hineinschaufeln, sagt Frank eher beiläufig. „Wir feiern heute Abend Celias Schulabschluss, wie wär’s wenn du mitmachst.“
Anstelle einer Antwort schüttelt Salger nur den Kopf.
„Hast du Angst? Es sind Christinnen, keine Gefahr, dass am nächsten Morgen der Bruder vor der Tür steht, und dir die Hoden abschneiden will“, lacht Frank.
„Wer ist Celia?“
„Tochter eines hohen Tiers in der Regierung. Es heißt, er kümmert sich hier im Norden um die Kriegsvorbereitungen. Aber der Familie gefällt es nicht hier, zu staubig, zu muslimisch. Du kannst sie ja selbst fragen. Celia sagt, sie hätte dich bei einer von Titus’ Filmvorführungen gesehen und würde dich gerne kennenlernen. Du hättest so verloren gewirkt, wie sie sich auch fühlt. Keine Ahnung, was sie damit meint. Das ist deine Chance, Martin, sie sieht verflixt gut aus.“
Am Abend, Salger ist immer noch nicht nach Party zumute, stehen drei kichernde Mädchen vor der Tür. Zwei, füllig, mit ausladenden Brüsten, die Dritte, groß und schlank, tiefschwarz und höchstens achtzehn. „Das ist Celia“, sagt Frank, „die beiden anderen kennst du ja bereits. Celia, das ist Martin.“
Sie nickt und hebt nur kurz die Hand, dabei lässt sie Salger nicht aus den Augen.
Für eine Weile stehen sie in der Küche herum und trinken Bier. Celia trinkt wenig, spricht kaum und sieht nur immer wieder neugierig auf Salger. Irgendwann zieht sich Frank mit den beiden vollbusigen Mädchen ins Schlafzimmer zurück und lässt Salger mit Celia allein.
Salger hasst, wie ihn das Mädchen anstarrt. „Frank hat gemeint, deine Familie komme aus Lagos?“, fragt er, um überhaupt etwas zu sagen.
„Ja, aus Apapa.“
„Da war ich, als ich in Nigeria ankam. Hotel Exzelsior, ist aber nicht besonders exzellent.“
„Es hat eine gute Bar mit prima Musik.“
„Davon habe ich nichts bemerkt.“
„Was machst du, du wirkst so verschlossen.“
„Bin ich nicht, nur betrunken. - Hast du viele Geschwister?“, versucht er ein anderes Thema.
„Drei, ich bin die Älteste. Müssen wir hier in der Küche stehen bleiben?“
Er merkt wie verspannt sie ist. „Hier ist das Bier, aber du trinkst ja kaum etwas.“
„Ich mag kein Bier. Warum zeigst du mir nicht dein Zimmer?“
Ich hab kein Kondom, denkt er. Warum sage ich nicht, dass sie mir nicht gefällt? „Willst du das wirklich?“ Er hofft, dass sie nein sagt und geht. Doch sie nimmt seine Hand und zieht ihn in Richtung Tür.
„Zeig es mir. Ich war noch nie mit einem Weißen zusammen.“
Auch das noch, denkt er und merkt, wie betrunken er ist, als das Zimmer vor den Augen verschwimmt.
„Und jetzt?“, fragt sie unsicher, und bleibt stocksteif stehen.
„Weißt du was?“ Er setzt sich auf die Bettkante und wackelt mit dem Kopf. „Ich kann das nicht. Leg dich zu mir, und wenn ich einschlafen sollte, gehst du halt. Mehr kann ich nicht bieten.“
„Findest du mich hässlich?“, fragt sie den Tränen nahe.
„Nein, es ist einfach nicht unser Tag.“
„Und wenn ich wiederkomme?“
Er zuckt mit den Schultern und legt sich angezogen aufs Bett. Kurz darauf schläft er ein.
Am nächsten Morgen fragt Frank, wie es gewesen ist. Doch Salger will nicht über etwas reden, das gar nicht stattgefunden hat.
„Ich glaube, sie wollte nur wissen, wie es ein Weißer macht“, sagt er kurz angebunden.
„Und, hast du’s ihr gezeigt?“
„Sie sagte, sie kommt am Samstag wieder.“
„Geht nicht, da fahren wir zu Vater, er will dich sehen.“
Der Oba schiebt seinen mächtigen Körper durch den schmalen Eingang der mit Stroh gedeckten Hütte und bittet Salger, ihm zu folgen. „Setz dich, Martin. Hier finden sonst meine Audienzen statt.“ Mit ausladender Geste deutet er auf die geflochtene Matte vor seinem reich verzierten Stuhl.
Sein Thron, denkt Salger, lässt sich im Schneidersitz nieder und sieht zu, wie der Oba umständlich seine Galabia zurechtrückt. „Frank meint, ihr beide versteht euch gut. Das hat mich überrascht. Mein Sohn ist schwierig, wie du weißt.“
„Nein, wieso?“ Salger schüttelt den Kopf, als verstehe er nicht, was der Oba meint.
„Du brauchst ihn nicht zu verteidigen, ich kenne meinen Sohn. Er respektiert dich, was nicht häufig vorkommt.“
„Wir reden viel über Afrika.“
Der Oba zupft sein Gewand zurecht, stützt das Kinn auf die rechte Hand und betrachtet Salger mit spöttischem Lächeln. „Und auf was habt ihr euch geeinigt?“ Ein Schuss Ironie liegt in der Stimme.
„Dass Songhai, Mali, Benin, schon große Reiche waren, als sich Europa noch im tiefsten Mittelalter befand. Frank findet uns Europäer zu eingebildet. Er meint, wir sollten nicht so tun, als wäre die Zivilisation von uns nach Afrika gebracht worden. Er mag Franz Fanon, sagt er, aber ich weiß nicht, was er an ihm so toll findet.“
„Und was denkst du?“ Der Oba wirkt abwesend, als ginge ihm ein ganz anderer Gedanke durch den Kopf.
Das werde ich dir nicht auf die Nase binden, denkt Salger. Abwarten, lass ihn kommen, er will etwas, dann soll er es auch sagen.
„Frank hat erzählt, dass du dich im Studium mit den Auswirkungen von Militärprogrammen auf die Privatwirtschaft beschäftigt hast. Scheint mir ungewöhnlich in deinem Alter“, sagt der Oba endlich.
Salger verlagert das Gewicht. Das Gespräch irritiert ihn. Er versteht nicht, auf was es hinaus läuft. „Ich habe neben dem Hauptstudium ein paar Semester Wirtschaft gehört. Die Frage, wie sich Hochtechnologie in Massenproduktion überführen lässt, ist Thema meiner Diplomarbeit.“
„Und vor Nigeria warst du bereits in Indien?“
Was hat ihm Frank denn noch alles erzählt, denkt Salger. „Es hat sich so ergeben“, sagt er zögernd. „Einem indischen Gastprofessor gefiel meine Semesterarbeit über das Strömungsverhalten an neuen Flügelprofilen. Also lud er mich ein, für eine Weile bei ihm am Aeronautical Laboratory in Bangalore zu arbeiten. Ich habe mir ein Stipendium besorgt und bin hingeflogen. Nach ein paar Wochen merkte ich, dass mir Indien nicht lag.“
„Wie alt bist du, Martin?“
„Fünfundzwanzig.“
„Wie Frank, er hält dich für älter.“
Salger zuckt nur mit den Schultern. „Alle halten mich für älter.“
Achebe beginnt mit dem Oberkörper zu schwingen, als ginge ihm ein unfertiger Gedanke durch den Kopf. „Ich möchte, dass Frank ein Unternehmen gründet, das sich am Ausbau der Eisenbahn von Kaduna nach Lagos beteiligt. Er braucht Unterstützung, jemand wie dich, einen harten Arbeiter, wenn es gelingen soll. Könntest du dir vorstellen, mit ihm zu arbeiten? Du würdest gut bezahlt.“ Er sieht gespannt auf Salger, dabei streicht er sich über den wohlgenährten Bauch.
Nichts davon hat Salger erwartet. Er sieht verblüfft auf den Mann, der ihm gelassen gegenüber sitzt. „Ich hatte nicht vor, auf Dauer in Nigeria zu bleiben“, stottert er. „Darf ich mit Frank reden, bevor ich mich entscheide?“, versucht er Zeit zu gewinnen.
„Selbstverständlich. Ich glaube, ihr beide wärt ein gutes Team. Weißt du, bei uns kommen Zeiten großer Unsicherheit. Das ist gut für Leute mit Ideen, die bereit sind Chancen zu ergreifen, wenn sie sich bieten.“ Auf einmal bekommt seine Stimme einen harten, geschäftsmäßigen Ton. „Diese Eisenbahn-Trasse, von der ich sprach, muss dringend erneuert werden. Der Nachschub aus dem Norden dauert zu lange. Die Strecke geht mitten durch mein Land, und ich will, dass mein Stamm von den Bauarbeiten profitiert. Deshalb werden wir diese Firma gründen, damit ein Teil der Aufträge bei uns landet.“
Salger versteht nicht gleich, auf was der Oba hinaus will, aber langsam dämmert ihm: Krieg, Nachschub, Trasse, passt alles zusammen, denkt er und schweigt.
„Ohne meine Zustimmung kann die Regierung diese Trasse nicht bauen“, hört er den Oba weiter reden. „Und ich werde dafür sorgen, dass einige Aufträge an eure Firma gehen, damit ihr von Anfang an eine solide Geschäftsbasis habt. Alles andere findet sich dann von allein.“
Er spricht, als hätte er mich schon im Sack, denkt Salger. Seine Gedanken schweifen ab, er ahnt die Möglichkeiten, die vor ihm liegen. Dunkel spürt er aber auch die Risiken.
„Über die Politik braucht ihr euch keine Sorgen machen, das regle ich. Also sprich mit Frank“, sagt der Oba abschließend und sieht fordernd auf seinen Zuhörer, als dulde er keine Widerrede.
Salger nickt, der meint es wirklich ernst, denkt er. „Wann möchten Sie meine Antwort?“
„Sobald wie möglich.“
„Warum hast du mich nicht gewarnt?“, fragt Salger auf dem Weg zurück nach Kano.
„Warum sollte ich. Wenn er dich abgelehnt hätte, wäre es das gewesen. Aber er mag dich, hat er gesagt. Wir können also loslegen, wenn du willst.“
„Warum Ich?“
„Vielleicht weil er mir nicht traut.“ Frank lacht und wedelt mit der Hand in der Luft, als fände er es völlig unwichtig, ob ihm jemand vertraut oder nicht.
Die scheinen sich nicht ganz grün zu sein, denkt Salger, aber was kümmert’s mich. „Und du, traust du mir denn?“
„Wir kommen vermutlich ganz gut zurecht“, umgeht Frank eine klare Antwort.
Er drückt sich, die Firma hat ihm sein Vater aufgezwungen, denkt Salger. Frank wäre nie auf die Idee gekommen, sich von seinen wechselnden Bettgenossinnen zu trennen. Aber vielleicht lässt sich das auch kombinieren. Er kümmert sich ums Vergnügen und ich um die Arbeit. „Was sucht ihr, einen Handlanger? Ich habe weder Geld noch Kontakte“, versucht er sich herauszuwinden.
„Du bist Weiß, das hilft bei westlichen Lieferanten. Außerdem muss sich jemand um die Details kümmern. Ich kann und will das nicht. Vater weiß das, und vermutlich findet er deshalb, dass ich einen Partner brauche.“
„Partner! Du hörst dich an, als würdest du es lieber allein machen.“
„Nein, Vater hat recht, du kannst gut mit Zahlen umgehen und hast Mut. Ich habe dich beobachtet, wie du die Dinge anpackst, sehr methodisch. In unserer Firma hättest du freie Hand. Ich würde mich um die Regierung und das Militär kümmern, du könntest schalten und walten wie du willst. Also, was ist?“
Für eine Weile starrt Salger in die vorbeigleitende Savanne mit ihren roten Termitenhügeln. Wie kleine Kathedralen mitten in der Landschaft, denkt er. Wenn es gut geht, wäre ich unabhängig, aber wer weiß, ob sie halten, was sie versprechen. Mut hat er gesagt, den werde ich brauchen. „Ich versteh’s noch nicht ganz. Wie soll das gehen, ohne Geld, ohne Leute.“
Frank sieht ihn verwundert von der Seite an. „Das wird kein Konzern. Wir vermitteln, dafür bekommen wir Provision. Den Firmensitz legen wir nach Kaduna, da hat meine Familie das Sagen. Das nötige Geld für den Anfang schießt Vater vor. Ein Haus, in dem wir unser Büro unterbringen, gibt es bereits. Es gehört meiner Familie und liegt direkt am Fluss, du wirst es mögen.“
„Und warum macht dein Vater es nicht selbst?“, fragt Salger voller Zweifel.
Frank wirkt irritiert. „Interessenkonflikte vermeiden, ist doch klar.“
Salger nickt. „Dein Vater ist ein schlauer Mann.“
„Ja, aber was willst du damit sagen?“
„Nur so. Er hat gemeint, die Regierung sei unfähig Steuern einzutreiben, und habe kein Konzept für die Öleinnahmen, die bald fließen werden.“ Vermittler also, denkt Salger. Provisionen für Projekte, deren Geldflüsse so verschlungen sind, dass sie keiner mehr zurückverfolgen kann. Sie planen eine Durchlaufmaschine, und mich wollen sie als Aushängeschild. Vielleicht auch als Tarnung, damit das Ganze glaubwürdiger erscheint. Warum eigentlich nicht?
„Und, hat er dich überzeugt? Du siehst nicht gerade begeistert aus.“
„Ich weiß noch nicht, es kommt so schnell.“
Für eine Weile fahren sie schweigend weiter. Nur Frank flucht gelegentlich, wenn er in letzter Minute einem streunenden Hund ausweichen muss.
Ganz plötzlich, als hätte er seine Gedanken geordnet, sagt Salger. „Ich will weder ein Anhängsel von dir, noch von deinem Vater sein. Entweder ich bin ein gleichberechtigter Partner, mit Anteilen und so, oder ich lasse es bleiben.“
Frank wendet nur kurz den Kopf. „Sag ich doch, an etwas anderes hatten wir nie gedacht. An deiner Stelle würde ich zugreifen, Martin, du wärst unsere Brücke nach Europa.“
Schon wieder Brücke, denkt Salger. Schon Ruge hat von Brücken gefaselt, also wird wohl etwas dran sein.
Zurück in Kano erzählt Salger Goffin vom Angebot des Oba. Doch statt ihn zu beglückwünschen, bläst der die Backen auf und wiegt mit dem Kopf.
„Und was genau sollst du machen?“
„Die Verbindung zu europäischen Firmen herstellen. Zuerst geht es um die Ausschreibung für eine Eisenbahntrasse von Kaduna nach Lagos, und dann wird man sehen.“
„Hast du schon jemals mit Eisenbahnen zu tun gehabt?“
„Der Oba hat dafür gesorgt, dass wir auf der Liste der bevorzugten Lieferanten stehen. Er kennt die entscheidenden Leuten im Ministerium. Sobald wir die Tender-Dokumente haben, fangen wir an, mit den eigentlichen Lieferanten zu verhandeln. Wir sind die Einzigen, bei denen alles zusammenläuft.“ Salger klingt begeistert, als säße er bereits in einem gemachten Nest. „Die Lieferanten machen die eigentlich Arbeit, wir verteilen das Geld und passen auf, dass alles glatt läuft.“
„Versteh ich schon, aber was machst du konkret? Als Handlanger darfst du rackern und die Prügel einstecken, wenn es nicht so läuft, wie ihr es euch vorstellt“, sagt Goffin. „Das Geld schöpfen die Achebes ab, und dich lassen sie fallen, wann immer es ihnen passt. Hört sich stressig an.“ Er nickt und zieht die Mundwinkel nach unten. „Und Frank kümmert sich natürlich um die Minister-Gattinnen, nehme ich an. Kein schlechter Deal, fragt sich nur für wen.“
„Natürlich kann es auch schief gehen, da mache ich mir keine Illusionen.“
„Die Achebes gelten als Menschenschlächter. Sie gehen über Leichen, heißt es“, setzt Goffin noch eins drauf.
„Wer sagt das?“
„Ich habe meine Quellen. Frank wollte mich auch schon rekrutieren, lang bevor du kamst. Aber ich habe einen anderen Auftrag, und ich mag Frank nicht, zu viel Playboy in meinen Augen.“
„Auftrag? Ich dachte, du bohrst Brunnen.“
Ohne zu antworten steht Goffin auf und geht ins Nebenzimmer. Mit dem Lederbeutel kommt er zurück. Er dreht einen Joint und reicht ihn Salger, doch der lehnt dankend ab. „Wenn du unbedingt willst, mach’s. Passen aber auf, dass sie dich nicht übers Ohr hauen. Die beiden sind clever. Aber vielleicht kriegst du so eine Chance ja auch nie wieder“, sagt er mehr zu sich selbst.
Goffin hat recht, denkt Salger, ich sollte es tun. Wenn ich die Bücher führe, kann ich dafür sorgen, dass auch bei mir etwas hängen bleibt. Der Rest wird sich zeigen. Ich will nicht hinter dem Reißbrett eines unbedeutenden Konstruktionsbüros versauern, mit einem Käfer als Auto und einem Reihenhaus am Rand der Stadt mit fünf Quadratmeter Rasen vor der Tür. Ich werde es machen, egal wie es ausgeht. Kaduna also, Lagos wäre mir lieber gewesen.
Wochen später erscheint der Oba unangemeldet in Salgers Büro. Er lässt sich in einen der Sessel am Besprechungstisch fallen und fragt: „Wo ist Frank, ich habe ihn lange nicht gesehen?“
„Er ist viel unterwegs“, vermeidet Salger eine Antwort. Vermutlich fährt er in seinem Ford Mustang in der Gegend herum und gibt an, als wäre er bereits Millionär, denkt er.
„Frank hat sich seit Tagen nicht gemeldet. Die Eisenbahn kann warten, es gibt Dringenderes. Der Krieg verschärft sich und die Trasse käme jetzt sowieso zu spät. Die Regierung wird die Ausschreibung verschieben, und für uns gibt es Wichtigeres zu tun.“
„Wichtigeres?“, fragt Salger.
„Ja, die Armee braucht Waffen, und sie braucht sie jetzt. Über die eingefahrenen Regierungskanäle geht die Beschaffung nicht schnell genug. Zu viele Hände, die daran verdienen wollen. Und wir, die Yoruba, müssen aufpassen, dass wir nicht zwischen die Fronten geraten. Hey, da ist er ja.“
„Was machst du hier?“, fragt Frank erstaunt, als er seinen Vater an Salgers Tisch sitzen sieht.
„Mit Martin über unser zukünftiges Geschäft reden, es ist an der Zeit ihn einzuweihen.“
„Bist du dir sicher?“, fragt Frank, wobei er vermeidet, Salger anzusehen.
„Abichi wird nervös, er denkt, wir wollen uns nicht an die Absprachen halten. Es geht ihm alles viel zu langsam.“
Salger sieht verwundert von einem zum anderen. „Ich verstehe gar nichts. Könnte mir vielleicht jemand sagen, was los ist.“
Als Frank zu einer Antwort ansetzt, unterbricht ihn der Oba: „Es ist besser, wenn ich das mache.“ Er dreht sich zu Salger und beginnt mit ausladender Geste, als würde er ein großes Gemälde beschreiben, das nur er sehen kann. „Du hast dich sicher über die vielen Militärs gewundert, die in letzter Zeit hier ein und aus gingen, und wie häufig Frank unterwegs war.“
„Ja, ich dachte, es hat mit Landschaftspflege zu tun, wie es so schön heißt. Aber es geht wohl um etwas Anderes?“
„Genau. Der Krieg wird heftiger, das Land braucht Minen, Schützenpanzer, Flugzeuge und Panzerabwehrraketen, einfach alles. An die großen Sachen kommen wir nicht ran, zumindest nicht sofort. Das machen die Industrienationen unter sich aus, aber das Kleinzeug, Munition, Antipersonenminen oder was immer die Armee braucht, das könnten wir beschaffen. Gibt es hier auch etwas zu trinken?“, fragt er seinen Sohn.
„Eine Cola?“
„Ja, ohne Eis.“
„Wir?“, fragt Salger, nachdem Frank gegangen ist.
„Frank und du, über meine Kontakte zur Armee.“
„Aber ich verstehe nichts von Waffen“, sagt Salger. Unsicher reibt er sich die Nase.
„Du verstehst auch nichts von Eisenbahnen. Trotzdem gefällt mir, wie du dich anstellst. Dieser Krieg dauert nicht ewig, wir müssen jetzt oder nie einsteigen. Und du machst einfach dasselbe wie bisher, verhandelst mit den westlichen Lieferanten. Ist doch egal, ob es um Gleisanlagen oder Waffen geht. Ist sowieso alles Technik. Um die Details sollen sich andere kümmern, wir machen Türen auf und achten darauf, dass alle Beteiligten bei guter Laune bleiben. Das Produkt ist egal, wir müssen nur den Prozess beherrschen.“
Du wirst sehen, es bleibt nicht bei der Trasse, hat Goffin gesagt, denkt Salger. Aber warum hätte ich ihm glauben sollen, er selbst bohrt schon lange keine Brunnen mehr und ist öfter in Lagos, als in seinem Haus in Kano. Jetzt nur nichts Falsches sagen.
„Oberst Abichi ist ein entfernter Verwandter von uns“, sagt Frank, der mit der Cola-Flasche zurück ist. „Vermutlich erhält er das Kommando an der Südfront. Dort entscheidet sich der Krieg. Er will General werden und wir sollen ihm dabei helfen. Der Krieg ist das ultimative Karriere Sprungbrett für Militärs, meint Abichi.“
Und wir sind die Steigbügelhalter, denkt Salger. Der Oba ist die treibende Kraft und Frank nur sein Laufbursche. Stimmt vermutlich, dass sie ohne mich schwerer an die westlichen Lieferanten kommen. Goffin könnte mir helfen, einen Fuß in die Tür zu kriegen. Er machte so Andeutungen über den englischen Geheimdienst und spricht ganz offen über seine guten Kontakte zur britischen Elektronikindustrie. Aber das binde ich den beiden nicht schon jetzt auf die Nase. „Gut, wenn ihr wollt, bin ich bereit. Aber ich würde Oberst Abichi gerne persönlich kennen lernen.“
„Das lässt sich arrangieren“, sagt der Oba, ohne zu zögern.
Salger lernt schnell, und zu seiner Überraschung sind die meisten Firmen mehr als bereit, ihre Waffen in den boomenden Kriegsmarkt zu pumpen. Neue Sturmgewehre, gebrauchte Kalaschnikows aus sowjetischen Armeebeständen, von einem Mittelsmann an der russischen Botschaft eingefädelt, landen in der nigerianischen Armee. Salger erweist sich als berechenbar und verlässlich, seine Geschäftspartner lernen ihn schätzen.
Im zweiten Jahr nach Gründung der Nigerian Logistics erhält er die Einladung zu einem Empfang in der deutschen Botschaft. Der Generalstabschefs soll für seine Verdienste um die Deutsch-Nigerianische Zusammenarbeit geehrt werden. Unerwartet angenehm im Umgang, findet Salger den General.
Nach ein paar unverfänglichen Worten mit Ruge schlendert Salger zwischen den Gästen umher, ohne irgendwo anzudocken. Er schnappt Wortfetzen auf und lässt sich treiben. „Wenn Brandt an die Macht kommt, wandere ich aus.“
„Keine Gefahr, und wenn, es soll sich auch im Ausland gut leben lassen“, hört er zwei Männer, die er nie zuvor gesehen hat.
„Drei Tage?“, dringt eine Frauenstimme zu ihm, viel zu schrill für die Umgebung.
„Ja, einfach liegen gelassen“, sagt eine andere.
Es geht immer noch um den Weißen, den sie umgebracht haben, denkt Salger. Keiner kennt ihn, aber sie regen sich auf, als wäre er ein Verwandter. Jeden Tag finden sich die Leichen von Schwarzen auf den Straßen, das interessiert niemand. Der Mann wurde in keiner guten Gegend gefunden, was hatte er dort zu suchen. Ein Söldner vielleicht, der Krieg zieht sie an wie die Schmeißfliegen.
Er überlegt noch, wie er sich davonstehlen kann, ohne aufzufallen, da sieht er Celia, die bei einer Gruppe nigerianischer Frauen steht. Umwerfend sieht sie aus, groß und schlank, die anderen Frauen um einen Kopf überragend. Alles Eckige, das ihn in Kano noch an ihr gestört hat, ist verschwunden. Die Rastalocken umrahmen ihre schmalen Gesichtszüge, ein Nachhall der Nomadenstämme des Nordens, von denen ihre Familie abstammt. Die silbernen Ohrgehänge betonen ihren Nacken und ihr schlichtes, dunkelrotes Kleid könnte sie auch auf der Bühne eines JazzClubs tragen.
Sie musste ihn schon eine Weile beobachtet haben, denn sie lächelt, als sich ihre Blicke kreuzen. Er geht zu ihr und fragt, ob er ihr etwas zu trinken bringen darf. „Den Damen natürlich auch“, fügt er galant hinzu.
„Gerne, einen Gin-Tonic“, sagt Celia, während die anderen Frauen abwehrend auf ihre halbvollen Gläser weisen.
Als er Celia das Glas reicht, berührt er ihre Hand. „Darf ich dich bei Gelegenheit zum Essen einladen“, fragt er.
„Ja, warum nicht.“
Sie prostet ihm zu und wendet sich wieder den Damen zu, während er gelangweilt seine Runden dreht.
Endlich bittet die Dame des Hauses zu Tisch.
Neben seinem Namenskärtchen findet er Celias.
„Ich habe die Sitzkarten vertauscht“, flüstert sie, als sie sich zu ihm setzt. „Du bist der einzige Weiße, den ich kenne. Mit den anderen will ich nicht reden“, lacht sie verschämt. Dabei lässt sie den Generalstabschef nicht aus den Augen. „Wohnst du immer noch in Kano?“
„Nein, in Kaduna. Frank Achebe und ich betreiben eine gemeinsame Firma. Du erinnerst dich vielleicht an ihn, der Playboy, mit dem ich das Haus geteilt habe. Wir beschaffen Technologien aus dem Westen.“
„Waffen meinst du“, sagt sie ungerührt, als wüsste sie längst Bescheid. „Ich sollte dich mit meinem Förderer bekannt machen.“ Mit einem nur angedeuteten Kopfnicken weist sie in Richtung des Generalstabschefs.
„Ich wurde bereits vorgestellt“, sagt Salger, der plötzlich versteht. Sie gehört ihm, denkt er. „Wie geht es dir, immer noch die jungfräuliche Blume?“, fragt er süffisant.
Er merkt sofort, dass er zuweit gegangen ist. Abrupt wendet sie sich ihrem anderen Tischnachbarn zu, doch dann dreht sie sich zurück und zischt: „Dafür wirst du büssen.“
Es gibt einen Krabbencocktail, dann Jollof-Reis mit Bananen und Hühnchen, danach Obstsalat aus frischen Früchten oder Käse mit englischen Crackers. Als endlich alle Trinksprüche gesagt sind will Salger gehen, doch Celia stellt sich ihm in den Weg.
„Wir wollten doch etwas trinken, bitte fahr mich nach Hause. Ich habe ihm gesagt, dass ich einen alten Freund aus Kano getroffen habe, mit dem ich reden möchte. Er ist einverstanden.“
„Aber ich bin mit dem Taxi hier.“
„Umso besser. Ich sage ihm nur schnell Bescheid.“
Sie schlängelt sich durch die Menge der aufbruchbereiten Gäste, legt dem General die Hand auf den Arm und flüstert ihm etwas ins Ohr, dabei weist sie auf Salger.
Die Fahrt dauert nicht lange dann hält das Taxi vor einem mehrstöckigen Gebäude direkt an der Lagune.
„Schöne Lage“, sagt Salger.
„Das Appartment gehört ihm, ich darf es benützen.“
Und bereit sein, wann immer er es wünscht, denkt Salger.
„Komm“, sagt sie und nimmt ihn bei der Hand. „Ich zeig es dir.“
Vom Balkon aus liegt die Lagune vor ihnen. Einige Schiffe ankern in der Bucht, Positionslichter, aneinandergereiht wie eine Perlenkette. Zuweilen bewegt sich ein Licht und löst sich aus dem Verbund.
„Wie Glühwürmchen“, sagt Salger.
„Eher Piraten“, lacht Celia, als fände sie es normal, die Crews der Schiffe auszurauben. „Keiner da draußen kann davonlaufen.“
„Ich sollte gehen.“
„Warte noch, du hast mich schon einmal versetzt.“ Sie geht ins Bad, und als sie zurückkommt trägt sie einen Elfenbein farbenen Morgenmantel aus Seide. Darunter ist sie nackt.
Salger spürt, dass er sie begehrt. Du darfst das nicht, denkt er, sie ist die Geliebte des Generals. Wenn er davon erfährt, kannst du deinen Job an den Nagel hängen. Doch als sie den Mantel fallen lässt, seine Hand ergreift und auf ihre Brust legt, versinkt er in ihrem Körper.
Als er später neben ihr liegt, streicht sie ihm übers Haar. „Du hättest es auch früher schon haben können.“
„In Kano? Da war ich zu betrunken.“
„Und jetzt?“
„Ist es besser, wenn ich gehe. Du gehörst ihm.“
„Nein, ich gehöre niemand.“ Sie richtet sich auf und betrachtet ihn schweigend. Langsam kriecht ein verräterisches Glitzern in ihre Augen. „Er hilft mir vorübergehend. Er könnte auch uns beiden nützen, wenn du das willst, aber du müsstest mir vertrauen.“
Vertrauen, denkt Salger, als er sich anzieht. Sie redet wie die Achebes, dabei geht es immer nur um Geld. Wie viel Vertrauen kann ein Mensch geben? Ist es teilbar? „Celia, ich mag dich, sehr sogar. Nach dem verunglückten Abend in Kano habe ich versucht, dich zu finden, aber Frank wollte mir partout nicht sagen, wo du lebst. Und dann ging auf einmal alles drunter und drüber. Ich will dich wiedersehen, aber lass dich nicht in meine Geschäfte hineinziehen, sie sind zu gefährlich.“
„Das weiß ich, deshalb würde ich lieber mit dir, als mit einem Anderen arbeiten. Und der Krieg wird nicht ewig dauern.“
„Ich denke darüber nach, aber jetzt muss ich wirklich gehen.“
Als General Abichi das Kommando an der Südfront übernimmt, wird die Nigerian Logistics praktisch über Nacht zum anerkannten Waffenimporteur. Innerhalb der Armee spricht sich schnell herum, dass mit den Achebes, und Salger im Besonderen, lukrative Abschlüsse möglich sind. Allein die Anzahlung eines Raketenauftrags übersteigt alle ihre Erwartungen. Doch mit der ersten Lieferung der Panzerabwehrraketen beginnen auch die Schwierigkeiten. Die amerikanische Neuentwicklung, die Abichi gegen Salgers Rat unbedingt haben wollte, versagt reihenweise im feuchtwarmen Klima des Nigerdeltas. Für eine Weile kann sich Salger aus der Schusslinie halten, doch er weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie ihn als Sündenbock ausmachen werden. Also versucht er vorsichtig einen Kontakt zu neuen Partnern aufzubauen, um den Waffenhandel notfalls auch ohne die Achebes fortführen zu können. Mit Celias Hilfe und ihren Verbindungen zum Generalstab gelingt es ihm, einen ersten Kontakt zum Geheimdienst der Amerikaner herzustellen.
An der deutschen Botschaft gilt Salger als seriöser Geschäftsmann, der als verlängerter Arm der nigerianischen Regierung agiert. Als Ruge ihn bittet, auf einem Kongress in Berlin über die Hintergründe des Biafra-Kriegs zu referieren, sagt er sofort zu.
Salger steht am Fenster seines Hotels im Westen Berlins und sieht zu, wie die Straßenreinigung die letzten Reste der Demonstration vom Vorabend wegräumt. Sie wollen es den Pariser Studenten nachmachen, denkt er, während ihm die Bilder der Protestplakate und der prügelnden Polizisten in ihren Tschakos durch den Kopf gehen. Ein Gebrüll und Gerangel wie im Krieg, dabei weiß keiner von denen, was Krieg wirklich bedeutet. Nigeria hat Krieg, ein Massaker, und ich helfe mit, dass es immer weiter geht. Absurd, dass ich ausgerechnet in einer Studentenrevolte gelandet bin, um einen Agenten zu treffen.
Er beobachtet, wie ein Mann vor dem Hotel sein Auto in einen zu kleinen Parkplatz quetschen will. Er fährt auf Tuchfühlung, stößt gegen den vor ihm stehenden Wagen, dann zurück, und hat es geschafft. Genau wie in Nigeria, wo die Stoßstangen noch Stoßstangen sind, denkt Salger, als das Telefon klingelt.
„Hallo“, sagt er.
„Spreche ich mit Herrn Salger“, hört er einen englischen Akzent.
„Ja, Salger.“
„Was machst du in Berlin?“, fragt John Goffin.
„Wer hat dir gesagt, dass ich hier bin?“
„War nicht schwer. Frank meinte du hättest große Dinge vor.“
„Er schwätzt gern, sollte sich besser auf seine Weiber konzentrieren.“ Salger klingt gereizt. „Was willst du, John?“
„Nur hören, wie es dir geht. Warum ausgerechnet Berlin?“
„Warum ausgerechnet?“
„Jetzt hab dich nicht so.“
„Du bist zu neugierig.“ Salger denkt an den Abend in Kano, als Goffin ihn während einer Filmvorführung ansprach. Auch Kinonarr, hatte er gefragt, und ihm eine Flasche Bier in die Hand gedrückt. „Was willst du wirklich?“, fragt er etwas freundlicher.
„Du hast mir den Raketenauftrag weggeschnappt, jetzt passe ich besser auf, was du so machst. Nicht dass du erneut in meinem Hinterhof wilderst.“
„Keine Sorge, ich bin auf einem Kongress und rede über Nigeria.“
„Wie kommt das denn?“ Goffin hört sich ehrlich verblüfft an.
„Ruge von der deutschen Botschaft - du kennst ihn - hat mich gebeten über den Biafra Krieg zu sprechen. Anscheinend hat er keinen anderen gefunden. Er hält mich für einen seriösen Geschäftsmann.“
„Bist du doch auch.“ Goffin klingt gehässig, und als Salger nicht darauf eingeht, murmelt er eher zu sich selbst: „Was für ein Irrwitz. Sie erwarten von einem Waffenhändler, dass er über den Krieg spricht. Noch dazu in Berlin, dem Spionage-Zentrum der Welt. Wie absurd geht es denn noch?“ Auf einmal lacht er laut auf. „Aber warum eigentlich nicht? Du bist weit besser geeignet, als irgendein Eierkopf, der von nichts ne Ahnung hat und nur schlaue Sprüche von sich gibt. Und sonst? Was machst du sonst?“
„Nichts, ich sehe mir die Stadt an. Ich war noch nie in Berlin.“ Salger grinst, er kann es nicht sehen, denkt er.
„Frank meint, du hättest große Pläne.“
„Hast du schon gesagt. Er ist ein verdammtes Lügenmaul.“
„Ich dachte, ihr wärt Freunde.“ Jetzt trieft Goffins Stimme vor Hohn. „Aber wir beide sind es doch hoffentlich.“
Freunde, denkt Salger, ich muss ihm mehr geben, als ein paar dämliche Sprüche, ich brauche ihn noch. „Wir haben über den Generalstab bei den Amerikanern angefragt. Jetzt soll ich hier einen ihrer Leute treffen. Wenn es klappt, will ich versuchen, unser Geschäft auszuweiten. Möglicherweise wirst du noch einige Deals an mich verlieren.“
„Das werden wir ja sehen.“ Goffin hört sich ehrlich besorgt an. „Warum hast du unser Angebot abgelehnt, wenn du jetzt für die Amis arbeiten willst?“
„Ich will nicht für sie, ich will mit ihnen arbeiten. Ein ziemlicher Unterschied, findest du nicht?“
„Na dann viel Glück. So ein Treffen kann auch schief gehen.“
„Ich weiß“, sagt Salger und kappt die Verbindung, ohne sich besonders zu verabschieden.
Sein Vortrag über den Biafra-Krieg ist nicht gut angekommen. Keines seiner Argumente, weshalb der Krieg unvermeidlich war, wurde akzeptiert. Am schlimmsten spielte sich ein schwarzer Student im Plenum auf, als wüsste er alles besser. Es gelang ihm den Saal richtiggehend gegen Salger aufzuhetzen, bis sie ihn nur noch niederbrüllten.