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Eine Bar in Lagos Nigeria. Die Journalistin Christina Araba verliebt sich in einen Schweizer Spion. Sie will, dass er ihr hilft, den Mörder ihres Vaters zu finden. Jahre zuvor ist Thomas Sutter als Waffenhändler im Biafrakrieg reich geworden. Kofi Araba, Christinas Vater, Freund und Partner Sutters, scheitert an der Unvereinbarkeit seiner moralischen Grundsätze mit den brutalen Regeln des Waffenhandels. Kofi versucht auszubrechen und wird ermordet, Sutter gerät unter Verdacht. Christina konfrontiert Sutter mit seiner Vergangenheit und bringt dabei sein ganzes Finanzimperium ins Wanken. Ist Sutter wirklich der Mörder seines besten Freundes? Der Roman beginnt im Kalten Krieg und endet mit den Unwägbarkeiten der Finanzkrise in 2008. Er ist eine packende Geschichte und literarisches Gemälde von Zerrissenheit, Freundschaft und Lebenszwängen. Gleichzeitig ein Text über die Macht hinter den Mächtigen, Geldwäsche und die Vernetzung einer modernen globalen Welt.
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Seitenzahl: 710
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Not lässt sich ausgrenzen, die Gefahren des Atomzeitalters und des Terrors nicht mehr.
Nach Ulrich Beck
THOMAS SUTTER ..........Waffenhändler
CHRISTINA ARABA ..........Journalistin
KOFI ARABA..........Christinas Vater
HANNA PAUTZ..........Christinas Mutter
JEAN JUNI..........Christinas Geliebter
CÉLIA..........Sutters Geliebte
VIKTOR MENGE..........Sutters Sohn
INKA MENGE..........Viktors Mutter
KONRAD ARNOLD..........Arzt und Unternehmer
FROHMUT ARNOLD ..........Konrads Bruder
SABINE ARNOLD ..........Konrads junge Frau
VERENA ARNOLD..........Joao’s Freundin
NELIO MACHEL..........Flüchtling
JOAO MACHEL..........Sohn Nelio’s
KAY RUGE..........Botschaft Lagos
FRANK ACHEBE..........Sutters Partner
OBA ACHEBE..........Franks Vater
ABICHI..........General
AARON..........Joao’s Freund
Und Weitere, die nur über die Runden kommen wollen.
Lagos 1987 Wo Christina Araba Jean Juni kennenlernt
Biafra Krieg Wo Thomas Sutter zum Waffenhändler wird
Verlockung Wo Sutter ins Berlin des Kalten Kriegs kommt
Kalter Krieg Wo Kofi und Hanna vorgeladen werden
Ein Anfang Wo Sutter in Washington DC einkauft
Der Verdacht Wo Kofi verdächtigt wird
Südafrika Wo Nelio Machel und Joao auf die Farm kommen
Auf der Farm Wo Sutter über die freien Wahlen spekuliert
Löwenjagd Wo sich Joao bewährt
Limpopo Wo Sutter zurück nach Europa geht
Brüssel Wo Sutter Antonov Flugzeuge kauft
Jo-burg Wo die Straßenkämpfe eskalieren
Kosi Wo Joao und Verena ein Strandhaus besuchen
Abschied Wo Sutter General Schirkow in Odessa trifft
Zürich Wo Sutter seine Waffengeschäfte ausweitet
Ahnung Wo Sutter Viktor Menge kennenlernt
Familien Wo Viktor ein Unternehmen zu retten versucht
Verdacht Wo Sutter Jean Juni in Zürich trifft
Berlin Wo Joao Verena in Berlin trifft
Kontakt Wo Christina Joao in Johannesburg trifft
Vabanque Wo Sabine Konrads Vermächtnis erfährt
Täuschung Wo Viktor seine Anteile an Sutter verkauft
Schatten Wo Sutter Christina reinen Wein einschenkt
Finden Wo Christina ihre Mutter Hanna trifft
Transaktion Wo die Mikro System verkauft wird
Aufstieg Wo eine Fusion stattfindet
Niedergang Wo Sutter erpresst wird
Misstrauen Wo ein veritabler Streit ausbricht
Geständnis Wo Inka Menge ihre Beziehung zu Sutter gesteht
Dilemma Wo sich Christina und Hanna aussprechen
Abschied Wo Sutters Finanzimperium wankt
Schwaden von Bier und Rauch hängen in der Luft. Auf der Tanzfläche wabern Körper in einer dampfenden Menschenmasse. Christina Araba setzt sich in eine Ecke und beobachtet das Treiben. Liegt mir nicht, denkt sie, zu viel Schweiß, zu heiß, zu gepackt.
Als ihr die Bässe die Ohren zudröhnen und der Körper eher widerstrebend im Rhythmus zu schwingen beginnt, will sie wieder gehen, doch die Müdigkeit klebt wie Melasse an ihr. Sie ist groß und schlank, anders als die meisten Nigerianerinnen. Ihre Haut trägt die Farbe von Milchschokolade. Seit ein paar Tagen hat sie die Haare auf Streichholzlänge gekürzt und die schweren Ohrringe betonen ihren langen Nacken. Die Bewegung, mit der sie sich die Schweißperlen von der Stirn tupft, hat sie von ihrer weißen Mutter geerbt, doch das kann sie nicht wissen.
Am Nebentisch sitzt eine Gruppe Schweizer. Botschaft oder Swiss Air, denkt Christina. Mit halbem Ohr bekommt sie mit, wie sie sich über die ewigen Staus auf den Zufahrtsstraßen zur Innenstadt Lagos’ unterhalten. Einer aus der Gruppe blickt, zufällig zuerst, dann immer häufiger absichtlich zu ihr herüber. Schließlich steht er auf und fragt sie, ob sie tanzen möchte.
„Keine Lust“, sagt sie kurz angebunden.
Doch er lässt sich nicht abwimmeln. „Was machst du?“, fragt er beharrlich weiter. „Ich habe dich hier noch nie gesehen, obwohl ich die meisten Mädchen deines Alters, die hierher kommen, kenne. Man trifft sich und geht wieder auseinander.“ Er tut, als verrate er ein Geheimnis, setzt sich ungefragt an ihren Tisch und taxiert sie wie ein Wesen, das er neu entdeckt hat.
Zu nah, denkt sie, zu aufdringlich. „Du kannst dich ja gleich auf meinen Schoß setzen.“
„Ich wollte nicht brüllen müssen. Die Musik ist ziemlich laut. Du könntest mir trotzdem sagen, was dich umtreibt, der Schuppen hier scheint nicht gerade deine Umgebung zu sein.“
„Bestimmt keine weißen Männer anmachen, falls du das meinst. Ich bin Journalistin, meine Redaktion liegt gleich um die Ecke.“
Er sieht sie einen Tick aufmerksamer an und verzieht die Mundwinkel. „So jung. Journalistin? Bei deinem Aussehen könntest du alles machen.“
„Ein Kompliment? Hört sich eher vergiftet an.“
„Nein, warum? Komm, an der Bar ist es ruhiger. Ein Drink könnte uns gut tun.“ Ohne zu fragen nimmt er ihre Hand und zieht sie, bevor sie nein sagen kann, durch die Tanzenden an eine aus rohen Brettern gezimmerte Theke.
Mit einem Achselzucken folgt sie ihm. „Und was machst du?“, ruft sie hinter ihm her.
„Ich bin der Schweizer Botschafter“, sagt er, lacht fröhlich und winkt dem Barkeeper. „Was nimmst du?“
„Ist mir egal, das gleiche wie du.“
„Zwei Cognac dann, ok?“
„Ok, jetzt sag schon, was du machst.“
„Ich arbeite an der Schweizer Botschaft und schaufle Papier von einer Seite des Schreibtischs zur anderen. Ob mich das zu etwas Höherem qualifiziert, kann ich noch nicht sagen. Eigentlich finde ich es nur entsetzlich langweilig, aber meine Mutter meint, auch das gehöre zum diplomatischen Dienst.“
„Die Langeweile oder das Schaufeln von Papier?“ Sie versucht sarkastisch zu klingen, doch sie kann ihre Neugierde nicht ganz verbergen. „Was macht deine Mutter, ist sie auch Diplomatin?“
Er grinst, bevor er zu einer Antwort ansetzt. „Sie residiert in der Schweiz, trifft regelmäßig ihre Bridge Freunde, und denkt, dass ich mitten in einem großen Abenteuer stecke.“
„Warum sagst du ihr nicht, wie es wirklich ist?“
„Und, wie ist das?“
„Dreckig, stickig, korrupt, das ist doch eure gängige Meinung, oder?“
„Hm, Journalistin! Sind die alle so? Wo hast du das Schild: Vorsicht bissiger Hund.“
„Ich kann ja gehen, der Cognac geht auf Deine Rechnung.“
Schweigend betrachtet er sie für einen Moment, irgendetwas scheint in ihm geklickt zu haben. „So war es nicht gemeint. Du hast Recht, einige denken so. Zuviel Verbrechen, zu viel Korruption, schnelles Geld, alles was wir Schweizer nicht mögen.“ Juni zieht, wie zur Entschuldigung, die Schultern hoch. „Aber jetzt erzähl du mir, weshalb du hier bist. Tanzen scheint es nicht zu sein.“
Sie zögert, als wäge sie ab, ob es Sinn hat ernsthaft mit ihm zu reden. Warum bin ich überhaupt hier, fragt sie sich. Weil mich der Artikel nervt und ich keinen Schritt voran komme, denkt sie, so einfach ist es. „Mein Chef hat mir eine Serie über Südafrika aufgetragen, weil er glaubt, dass dort die Karten neu gemischt werden. Aber das Apartheidregime kotzt mich an. Ich will nicht darüber schreiben, wie Schwarze andere Schwarze abschlachten und die Weißen tatenlos zusehen.
Wahrscheinlich glaubt der Chef, dass es mir leicht fällt über dieses zerrissene Land zu schreiben. In seinen Augen bin ich wohl ähnlich zerrissen, weil ich weißes Blut in den Adern habe. Er täuscht sich.“
Journalistin, denkt Juni, und umschifft das heikle Thema Südafrika, indem er eine andere Geschichte erzählt. „Vor ein paar Tagen wurde hier ein Schweizer Geschäftsmann überfahren. Keiner hat sich um ihn gekümmert, seine Leiche blieb einfach auf der Straße liegen, bis ihn ein Kollege eher zufällig fand. Das hat nicht geholfen unser Bild von Lagos aufzuhellen.“
„Ich hab davon gelesen. In dem Viertel, wo er überfahren wurde, werden jeden Tag ein bis zwei Menschen ermordet, davon steht nichts in der Zeitung. Was hatte er dort zu suchen?“ Sie atmet tief durch, als hätte sie die ewig gleiche Litanei über Afrika, als Hort des Verbrechens und der Unberechenbarkeit, gestrichen satt. „Und was denkst du?“
„Du meinst ich bin anders?“
„Nur so ein Gefühl. Die Art wie du mich angesehen hast.
Vielleicht…?“ Sie nimmt ihr Glas und dreht es gedankenverloren zwischen Daumen und Zeigefinger, während ihr Blick über die Tanzfläche schweift. Für einen Moment scheint sie Juni vergessen zu haben. „Meine Mutter ist Deutsche, sie lebt in der DDR“, sagt sie leise.
„Dann haben wir ja etwas gemeinsam. Meine ist Deutsch-Amerikanerin und lebt irgendwo, meist in teuren Hotels. Mein Vater war Schweizer, das hat mir den Pass mit dem weißen Kreuz auf rotem Grund eingebracht. Aber er ist schon lange tot“, fügt er hinzu, als müsse er sich dafür entschuldigen.
„Wie alt warst du, als er starb?“
„Fünf, glaube ich. Es hat mich nie besonders interessiert. Außer Fotos kenne ich nichts von ihm.“
„Noch etwas gemeinsam. Ich war sieben, als mein Vater starb. In Lagos, nicht weit von hier.“
„Was hat ihm gefehlt?“
„Er wurde ermordet.“
Sie sagt es in einem Ton, der jede Nachfrage verbietet. Gleichzeitig fragt sie sich, weshalb sie es überhaupt erwähnt hat. Es ist so lange her, denkt sie. Aber irgendwie fühlt sie sich zu diesem Jean Juni hingezogen. „Du magst deine Mutter nicht besonders? Es klingt so komisch, wenn du von ihr sprichst.“
Er kippt sein halb volles Glas in einem Zug hinunter und bestellt eine neue Runde, ohne sie zu fragen. „Ist wohl eher umgekehrt. Sie konnte es nicht ertragen einen Versager als Sohn zu haben. Passt nicht in ihr Weltbild.“
„Bist du abgehauen?“
„So ähnlich. Ist aber schon besser geworden. Du siehst ja, ich gehöre zur Botschaft, eine Art Aufstieg, zumindest in ihren Augen“, meint er sarkastisch.
„Für dich anscheinend nicht. Zumindest hörst du dich nicht so an, als würde dir der Job gefallen.“
„Nur für die Ohren einer Journalistin. An was schreibst du gerade?“, versucht er das Gespräch, weg von sich, in eine andere Richtung zu lenken.
Sie trinkt ihr erstes Glas aus und schiebt es zum Barmann. Mit dem neuen Glas prostet sie Juni zu. „Wäre nicht nötig gewesen. Ich muss gehen“. Sie nimmt einen kleinen Schluck, stellt das Glas zurück auf den Tresen und schiebt es demonstrativ von sich.
„Schade“, sagt er, „ich wollte dich nicht vertreiben.“
„Tust du nicht“, sie reicht ihm die Hand, zögert einen Moment und gibt sich einen Ruck. „Du kannst mich erreichen, wenn du willst. Am Chronicle, frag dich durch.“
„Mach ich, ganz bestimmt. Ein Name würde helfen.“
„Christina Araba, und deiner?“
„Jean Juni, Schweizer Weltverbesserer, damit findest du mich immer. Wir könnten zusammen essen gehen.“
„Mal sehen“, aber das hört er nur noch verschwommen unter den Klängen der aufbrausenden Musik.
Mit der Zeit entwickelt sich zwischen den beiden eine stürmische Freundschaft, und nach ein paar Wochen ist er der erste Weiße mit dem sie schläft. Eigentlich tut sie es mehr aus Neugierde, aber dann gefällt ihr seine behutsame Art beim Sex. Am meisten aber gefallen ihr die offenen, manchmal stundenlangen Debatten mit ihm. Sie mag seine radikalen Ansichten zum Nahostkonflikt, zu Deutschland, wie es seine Kriegsverbrechen aufarbeitet, und zu einem Amerika unter Reagan, das sich, wenn es so weiter macht, wie er sagt, ins Abseits manövrieren wird.
Nach einer hitzigen Stunde im Bett, als sie es sich in seiner Achselhöhle bequem gemacht hat, erzählt sie vom Tod ihres Vaters Kofi. Sie weiß nicht, weshalb sie mit Jean überhaupt darüber spricht, vielleicht fange ich an ihm wirklich zu vertrauen, denkt sie. Zögernd beginnt sie von der Vermutung Cléos, ihrer Stiefmutter, zu erzählen, wie überzeugt sie ist, dass Kofi richtiggehend hingerichtet wurde. „Cléo denkt, dass Thomas Sutter, Vaters Geschäftspartner, seine Hand im Spiel gehabt hat.“ Und dann, als wäre es noch nicht genug Offenheit gewesen, verrät sie, dass sie ihren Vater rächen werde, egal was es sie kostet.
„Rächen“, sagt Juni gedehnt und atmet tief aus. „Rächen ist ein großes Wort. Ich kenne Einige, die nur an Rache dachten und darüber vergaßen zu leben. Nicht schön. Endet meist in einem Desaster.“
Er will nichts davon hören, denkt sie und fragt sich, ob sie vielleicht über’s Ziel hinaus geschossen ist. Wir kennen uns nicht lange genug. Warum ziehe ich ihn in meine Angelegenheiten hinein? „Wer bist du Jean?“, fragt sie schließlich, nachdem sie lange in sich hinein gehört hat. „Du hast nie über dich gesprochen. Was zählt für dich? Wir schlafen miteinander, aber ich weiß nicht wer du bist.“
Jean zögert eine Weile. „Das kann ich nicht im Bett beantworten“, sagt er und richtet sich auf. „Zu kompliziert. In deinen Armen fange ich womöglich an zu heulen. Für so ein schweres Thema brauche ich eine neutrale Umgebung und etwas zu trinken.“ Er küsst ihre nackte Brust und steigt aus dem Bett. „Komm, zieh dich an, wir fahren an den Strand, ich kenne dort eine kleine Bar, sie ist nicht so laut und wir können etwas essen. Die Wellen schwappen bis an den Fuß der Terrasse.
Da kannst du fragen was du willst. Ich mag das Geräusch von Wellen, es entspannt mich. Brauche ich unbedingt beim Abstieg in die Niederungen meiner traurigen Existenz.“
„Hey, ein verhinderter Poet. Fährst du?“
„Ja, wenn du nichts dagegen hast. Es ist deine Stadt.“
„In der du dich besser auskennst als ich“, sagt sie und strahlt während sie sich anzieht.
Nach langer Fahrt quer durch das nächtliche Lagos, vorbei an schummrigen Hütten und neu errichteten Finanzpalästen, erreichen sie das offene Meer. Draußen, weit vor der Hafeneinfahrt liegen ein paar hell erleuchtete Schiffe, die darauf warten gelöscht zu werden. In der Bar steuert Jean direkt auf einen freien Tisch auf der Terrasse zu. Er bewegt sich, als wäre er hier häufiger zu Gast. Per Handzeichen bestellt er beim Kellner zwei Bier. „Ist dir doch Recht, oder?“, fragt er Christina, die nur nickt. Noch im Stehen weist er auf das Panorama der hell erleuchteten Schiffe. „Sie liegen schon seit Monaten draußen und warten darauf anlegen zu dürfen. Aber die Regierung schafft es einfach nicht den Hafen auszubauen. Willst du immer noch, dass ich dir von mir erzähle? Vielleicht bist du danach enttäuscht und willst nichts mehr von mir wissen.“
Sie sieht auf die Schiffe und nickt. „Natürlich, deshalb sind wir doch hier. Oder wolltest du mir nur die Positionslichter zeigen, um mich abzulenken. Die kenne ich bereits, mehr als mir lieb ist. Ich habe einmal über die Piraten geschrieben, die Nacht für Nacht dort draußen mit ihren Schnellbooten herumflitzen, um die Besatzungen auszunehmen. Bei der Recherche griff mich einer der Piraten mit dem Messer an, weil ich wohl zu beharrlich nach den Hintermännern gefragt hatte. Ohne meinen Kameramann wäre ich womöglich gar nicht hier. Ich weiß also eine Menge über Piraten, aber von dir weiß ich nichts“, sagt sie traurig.
„Ich dachte du schreibst nur?“
„Nicht nur. Ich bin Freelancer, kann mir nicht aussuchen, wie ich mein Geld verdiene. Erzählst du jetzt, oder willst du mich noch länger ausfragen. Oder ist das bereits ein Verhör?“ Misstrauen hat sich in ihre Stimme geschlichen, das sie nur notdürftig zu verbergen versucht.
Abwehrend hebt er die Hände. „Deine Fantasie geht mit dir durch, aber gut, ganz wie du willst. Nur gib mir etwas von dir zurück, Vater tot, Mutter in der DDR, alles nur Andeutungen bisher.“
„Versprochen, aber fang du an, sonst büxt du aus, wenn ich erst einmal ins Reden gekommen bin.“ Mit einem kleinen Boxer in die Seite sieht sie ihn auffordernd an.
„Das kann ja heiter werden. Noch bevor ich das erste Wort gesagt habe, werde ich bereits gepeinigt“, zuckt er theatralisch zurück. Dann drückt er den Rücken durch und sieht sie voller Zuneigung an. „Dass mein Vater starb, als ich ein kleiner Junge war, habe ich dir bereits erzählt…“
„Ja, aber zu deiner Mutter nur ein paar belanglose Bemerkungen, als wäre sie eine verwöhnte Tussi, die sich einen reichen Mann geangelt hat.“
„Fast getroffen. Als Junge hatte ich immer das Gefühl keine richtige Mutter zu haben. Nur einen Drachen, der mich wie einen Bauern auf dem Schachbrett ihrer Ambitionen verschob. Sie ist Deutsch-Amerikanerin, ehrgeizig …. Zu blöd, ich wiederhole mich. Wollen wir nicht erst bestellen, ich kriege langsam Hunger.“
Sie verdreht vielsagend die Augen, als hätte sie damit gerechnet, dass er sich drücken will.
„Na gut, ich halte noch eine Weile durch.“ Er richtet sich auf und atmet tief durch, als wolle er es jetzt möglichst schnell hinter sich bringen. „Ihr zweiter Mann, mein Vater, hat ihr neben mir“, er lacht hämisch, „zu Reichtum verholfen. Sie fand es völlig in Ordnung meine Erziehung anderen zu überlassen. Immerhin hat mir das Einblick in verschiedene Privatschulen verschafft, die ich jedesmal kurz vor dem Abschluss hingeschmissen habe.“ Jean Juni nimmt einen großen Schluck Bier und zündet sich eine Zigarette an. „Du auch?“, fragt er.
Christina schüttelt nur den Kopf.
„Anfang der achtziger Jahre erschien mir dann das Leben eines Abenteurers durchaus angemessen. Zuerst landete ich in der Hippiekommune Goas, das war an meinem einundzwanzigsten Geburtstag. Und danach kehrte ich auf dem Landweg etappenweise nach Europa zurück. Eine der Etappen bestand aus einem palästinensischen Trainingscamp. Zumindest habe ich dort schießen gelernt, aber sonst nichts. Immerhin ließ mich die Erfahrung auf Dauer dem Terror abschwören, nur mit dem diplomatischen Dienst wollte es danach nicht mehr klappen“, sagt er schulterzuckend.
„Und das alles ohne Geld?“
„Nein, Geld hatte ich immer genug. Sie schickte es mir, egal wohin.“
„Es hört sich ungewöhnlich an. Vor allem für einen Botschaftsangehörigen.“ In Christinas Stimme schwingt leichter Zweifel mit.
„Siehst du, du reagierst wie alle anderen auch. Die meisten glauben ich haue auf den Putz, nur weil ich von reichen Eltern abstamme.“
„Nein, nein, das ist es nicht“.
„Was ist es dann?“
„Unverständnis vermutlich. Ich kann mir so ein Leben nicht vorstellen, mach weiter.“
Er sieht sie ungläubig an, bis ein Lächeln um seine Mundwinkel spielt. „Du bist anders, vielleicht weil dein Vater ermordet wurde“, sagt er traurig. „An der Botschaft bin ich noch nicht so lange. Als ich nach meiner Odyssee wieder in die Schweiz kam, haben sie meine Bewerbung für den Auslandsdienst mangels akademischer Qualifikation erst einmal abgelehnt.“
„Warum hast du dich überhaupt beworben“, unterbricht sie ihn.
„Wegen Mutter natürlich. Sie hasste es, dass ich nur zu Hause herumhing. Ich würde mein Leben vergeuden, sagte sie, doch mir gefiel es ganz gut.“ Er grinst unverschämt und hebt sein Glas in Richtung der Schiffe. „Ein Prost auf all die Besatzungen, die dort draußen herumhängen. Jungs, genießt den Tag, er vergeht schneller, als ihr denkt.“
„Aber jetzt bist du doch im Diplomatischen Dienst, oder etwa nicht?“, versucht sie ihn zum eigentlichen Thema zurückzuholen.
„Beharrlich, beharrlich das Fräulein. Warum musste ich ausgerechnet einer Journalistin über den Weg laufen“, stöhnt er. „Wieder meine Mutter, ihr verdanke ich anscheinend alles“, sagt er und stößt ein bitteres Lachen hervor. „Ihre Vermittlung und die Fürsprache eines ihrer Bridgefreunde machte mich zum inoffiziellen Mitarbeiter der Botschaft, zuerst in Beirut und jetzt hier. Das ist alles, den Rest kennst du aus eigener Erfahrung.“
„Warum tust du es, wenn es dir nicht gefällt? Zumindest hört es sich so an.“
„Irgendetwas muss der Mensch doch tun. Und manchmal ist es ja auch gar nicht so übel. Immerhin habe ich dich getroffen.“
„Wenn sie dir einen Job als Gelegenheitsspion anhängen, dann gefällt es dir?“, lacht sie und drückt seine Hand. „Oder was soll ich darunter verstehen? Dass du nur als Aktenkopierer hier bist, nehme ich dir nicht ab.“
„Gelegenheitsspion, nicht schlecht“, sagt er und küsst ihre Hand.
„Aber jetzt bestellen wir und danach erzählst du von dir, sonst fange ich noch an Märchen zu erfinden, die du mir sowieso nicht glaubst.“
Ohne eine Antwort abzuwarten winkt er dem Kellner und bestellt zwei Teller mit gegrilltem Fisch und Chips. „Ich dachte, das geht am schnellsten“, sagt er entschuldigend.
Sie zuckt nur mit den Schultern, als wäre ihr das Essen egal. „Ich glaube dir. - Fast“, fügt sie nach einigem Überlegen hinzu und sieht auf’s Meer hinaus.
„Wie kommt es, dass du eine weiße Mutter hast und trotzdem hier in Lagos sitzt?“, hört sie ihn leise, unsicher ob sie die Frage verletzt.
„Trotzdem?“, fragt sie scharf und dreht sich um. „Ist Weiß ein Qualitätsmerkmal, das mich zu Höherem befähigt? Die Farbe, die mir ein Ticket nach Europa ermöglicht, um dort mein Talent auszuleben? Habe ich das richtig verstanden?“
„So war es nicht gemeint.“
„Doch, doch, genau so hast du es gemeint. Bloß weil ihr in der Sonne zu roten Krebsen werdet, macht euch das nicht besser.“ Sie lacht gehässig und streicht ihm mit dem Zeigefinger über die Lippen. „Ich weiß, dass du nicht wirklich so denkst. - Im ersten Jahr beim Sender haben sie mich mit einem Team nach Europa geschickt. Mit meiner hellen Haut falle ich vielleicht weniger auf, haben sie wohl gedacht.“ Ihre Stimme klingt traurig. „Wir nahmen an einem Seminar über Agrarentwicklung in Afrika teil, weil wir eine Dokumentation darüber drehten. Warum das Seminar in Europa stattfand kann ich dir nicht sagen, aber ich fand es schon in Ordnung, denn so kam ich wenigstens hin. Doch meine Lust auf Europa war schnell verflogen, als ich die Fragen hörte, die sie, hinter vorgehaltener Hand natürlich, an mich stellten: Ist es wahr, dass ihr immer noch in den Bäumen wohnt, oder hast du auch als Kind mit Löwen und Tigern auf der Straße gespielt. Tut mir leid, ich bin eben eine überempfindliche Person.“
„Macht nichts, ist meine Schuld. Ich hatte mich für einen Moment vergessen. Ich dachte, ich wäre frei davon. Erzählst du mir trotzdem wer du bist?“
Sie lächelt traurig und lässt sich eine Zigarette geben. Jean reicht ihr Feuer, wobei er sie erwartungsvoll ansieht. „Ich kann mich nicht an Mutter erinnern“, sagt sie bedauernd. „Alles, was ich über sie weiß, habe ich von Vater. Aber er sprach wenig über sie, wollte wohl, dass ich sie vergesse. Nach seinem Tod habe ich ein Foto von ihr in seinen Unterlagen gefunden, das ist alles was ich habe. Ich war sehr klein und bringe bestimmt vieles durcheinander. Sie waren nicht verheiratet und ich war fünf, als Kofi mit mir die DDR verließ. Warum Mutter nicht mitkam kann ich dir nicht sagen. Vater starb als ich sieben war. Ich habe es ihm nie verziehen, als hätte er gewollt erschossen zu werden.“ Sie schweigt und ein verräterisches Glitzern kommt in ihre Augen.
„Du musst nicht weiter reden.“
„Doch ich will. Cléo, meine Stiefmutter, hat gesagt, dass Vater wegen Sutter zum Waffenhändler wurde, aber er wäre für dieses Geschäft zu ehrlich gewesen. Vater habe versucht Medikamente nach Biafra zu schmuggeln, das wurde ihm als Verrat ausgelegt, deshalb haben sie ihn liquidiert. Ich glaube Cléo nicht alles, Vater war zu klug, um sich von irgend jemand manipulieren zu lassen. Es muss noch andere Gründe geben, weshalb er sterben musste, und irgendwann werde ich die herausfinden.“
„Wer ist sie?“, fragt Juni.
„Ich weiß es nicht. Noch nicht.“
Jean schweigt. Etwas scheint ihm durch den Kopf zu gehen, während Christina ihren Gedanken nachhängt. Auf einmal sagt er. „Vielleicht kann ich dir helfen. - Auf einem Botschaftsempfang in Bonn, vor zwei Wochen, habe ich zufällig einen Kay Ruge kennen gelernt. Du erinnerst dich, ich war kurz in Europa. Dieser Ruge war völlig elektrisiert über das, was zur Zeit in der Sowjetunion passiert. Er meinte, wenn es einen Gorbatschow schon früher gegeben hätte wäre Nigeria der Biafra Krieg vermutlich erspart geblieben, und so kamen wir ins Gespräch. Eigentlich wollte ich dir nichts davon erzählen, um dir keine falschen Hoffnungen zu machen. Ich fragte Ruge, ob er einen Thomas Sutter kenne, noch aus seiner Zeit in Lagos und er sprang sofort darauf an. Er hat Sutter nach dessen Ankunft in Lagos kurz betreut und sie haben sich immer wieder auf verschiedenen Botschaftsempfängen getroffen. Kurz bevor Ruge versetzt wurde, hat er Sutter noch einen Trip nach Berlin verschafft, auf irgendeinen Kongress, an den er sich nicht mehr erinnern konnte. Von Waffenhandel hatte er nie etwas gehört, und deinen Vater kannte er auch nicht. Aber wer sagt in dem Umfeld schon die Wahrheit. Möglicherweise war Ruge ja auch ein Teil von Sutters verworrenem Spiel. Wäre nicht das erste mal, dass sich ein Botschaftsangehöriger ein kleines Zubrot verschafft. Ich traue Ruge nicht, er sagte, er hätte Lagos noch vor Ende des Biafra Kriegs verlassen, aber das stimmt nicht. Ich habe mich erkundigt, er hat Nigeria erst verlassen, als der Krieg längst zu Ende war. Das muss nicht viel bedeuten, ich frage mich nur, weshalb er lügt. Er wirkte nicht dement, obwohl der viele Alkohol, den wir gezwungenermaßen auf den Empfängen in uns hinein schütten, irgendwann tiefe Spuren hinterlässt.“ Juni hebt sein Glas und prostet ihr zu.
Doch sie geht nicht darauf ein. Sie sieht ihn nur lange schweigend an. Schließlich fragt sie ganz ruhig. „Hilfst du mir?“
„Ja, aber erwarte nicht zu viel. Ich habe noch keine Spur von diesem Thomas Sutter.“
Kurz nachdem Christina Araba, im Sommer des Jahres 1967, in Ostberlin geboren wurde, landete Thomas Sutter in Lagos. Er ist jung, groß und athletisch und gilt bei den wenigen Freunden die er hat, als guter Sportler. Sein Studium hat er abgeschlossen und ein paar Reisen hinter sich, die nicht gut gelaufen sind.
Nigeria, wo er ein Praktikum absolvieren soll, ist erst seit sieben Jahren unabhängig und befindet sich in einem prekären politischen Schwebezustand, in dem die koloniale Vergangenheit nicht überwunden, die neue Rolle als Führungsmacht Westafrikas aber noch nicht gefunden ist. Bei der Landung auf dem alten Flughafen in Lagos wütet ein Tropensturm in der Stadt.
Nachdem das Flugzeug ausgerollt und die Anschnallzeichen erloschen sind, zieht Sutter das Handgepäck unter dem Sitz hervor und drängt sich, vorbei an ein paar Passagieren, die auf ein Nachlassen des Regens warten, zum Ausgang. Sutter ist froh endlich aussteigen zu können. Die Zwischenlandungen in Las Palmas und Freetown waren mörderisch gewesen. Der Druckausgleich funktionierte nicht richtig und es hatte sich angefühlt, als bohre ihm jemand ein Messer in die Stirn.
In der offenen Tür der Boeing schlägt ihm warmer Regen ins Gesicht. Er überlegt ob er die Jacke auspacken soll, bevor er sich hinaus wagt. Nicht weit entfernt, schemenhaft durch Regenschwaden zu erkennen, sieht er das Flughafengebäude. Er schüttelt sich, klemmt die Tasche unter den Arm und hetzt die Gangway hinunter. Im Nu klebt ihm das Hemd auf der Haut. Am Gebäude reißt er die schief in den Angeln hängende Schwingtür auf und tritt in eine von Schimmel, Kerosin und Schweiß getränkte Luft.
Er streicht sich die nassen Haare aus der Stirn, trocknet die Brille ab und versucht sich zu orientieren. Im Licht einer nackten Neonlampe erkennt er den Einreiseschalter. Dahinter ein Mann in verschwitzter Uniform. Als Sutter ihm den Pass reicht, beginnt er gelangweilt darin zu blättern, bis er das Visum findet. Sutter möge die Brille abnehmen bedeutet er ihm. Während er das Foto mit dem Original vergleicht, fragt er lächelnd, weshalb er so lange in Nigeria bleiben will. Sutter versucht die Sache mit dem Praktikum zu erklären, doch der Mann zuckt nur verständnislos mit den Schultern, stempelt das Visum ab und winkt ihn durch.
Der Aluminiumkoffer, den er eigens für diese Reise beim Trödler erworben hat, liegt unter einem triefenden, achtlos hingeworfenen Haufen Gepäck. Er gräbt ihn aus und geht zur Ankunftshalle. Das Geschrei wild gestikulierender Menschen schlägt ihm entgegen.
Er sucht den Fahrer der Botschaft, ein Schild mit seinem Namen. Doch obwohl er die Menge um Haupteslänge überragt, kann er niemand erkennen. Verdammt, denkt Sutter, ich will hier nicht stranden. Was mache ich, wenn keiner kommt, um mich abzuholen? Er spürt die Angst, die Schweißtropfen, die ihm den Rücken hinunter in die Hose rinnen. Am besten mit der nächsten Maschine zurück fliegen, geht ihm noch durch den Kopf, als er eine Hand auf der Schulter spürt. Hinter ihm steht ein Mann in dunklem Anzug, weißem Hemd und Krawatte. Sein freundliches Grinsen lässt das schwarze Gesicht noch breiter erscheinen, als es sowieso schon ist. „Thomas Sutter?“, fragt er.
„Wie haben Sie mich erkannt?“ Sutter bemüht sich ruhig und abgeklärt zu erscheinen, dabei hätte er den Mann am liebsten umarmt.
„So viele junge, weiße Männer gibt es nicht in dieser Halle“, strahlt der Mann und reicht Sutter die Hand. „John Njoya. Ich soll Sie ins Hotel bringen.“ Sein Deutsch ist blütenrein, der Ton knapp, als würde er keinen Widerspruch erwarten. „Kommen Sie, das Auto steht draußen vor der Tür.“ Er nimmt das Gepäck und geht mit Sutter im Schlepptau zum Ausgang.
Der Sturm ist abgeflaut und der Regen einer bleichen Sonne gewichen, die durch Schwaden feuchtwarmer Luft scheint. Der Fahrer verstaut Sutters Gepäck in einem nagelneuen Peugeot, den er direkt an der Auffahrt unter der Obhut eines jungen Mannes geparkt hat. Er gibt dem Parkwächter ein paar Münzen, dann hält er Sutter die Wagentür auf.
Der klemmt seine langen Beine hinter den Beifahrersitz, streicht die schulterlangen Locken aus der Stirn und wartet ab. „Wohin geht es?“, fragt er, als der Fahrer nach kurzem Palaver mit einem der herumstehenden Gepäckträger ins Auto steigt.
„Nach Victoria Island, die Botschaft hat dort ein Hotel für Sie gebucht.“ Njoya strahlt immer noch, als wäre es sein Markenzeichen und reicht ihm einen Brief nach hinten. „Waren Sie schon einmal in Afrika?“
„Nein, noch nie.“
„Dann willkommen in Lagos. Die Fahrt wird dauern, die Straße ist, wie jeden Tag, total verstopft.“
„Wie kommt es, dass Sie so gut deutsch sprechen?“
„Ich habe in der DDR studiert“, antwortet der Mann knapp, als wolle er nicht weiter darauf eingehen.
Und jetzt Fahrer an der Botschaft der Bundesrepublik, auch eine Form der Wiedervereinigung, denkt Sutter und öffnet den Brief. Er erwähnt, dass ein Kay Ruge, Mitarbeiter der Botschaft, ihn am nächsten Tag im Hotel besuchen wird. Immerhin, denkt Sutter, und lehnt sich entspannt zurück.
Als sie sich der Stadt nähern, die Hütten aus Pappe und verrostetem Blech langsam in verwitterte Häuser übergehen, verdichtet sich der Verkehr. Ein stinkender Tross aus zerbeulten Taxis und vielfarbigen Mamalastern treibt im Schritttempo gen Zentrum. Frauen, mit Bündeln auf den Köpfen, irren zwischen den Autos herum. Kinder spielen am Rand der Fahrbahn, nackte, rotbraun gepuderte Körper, dazwischen räudige Hunde. Ampeln platt gefahren oder grotesk verbogen ragen in einen brütenden Himmel.
Sutter löst sich von der Rückwand seines mit Plastik überzogenen Autositzes und hält den Kopf aus dem Fenster. Das Hemd klebt ihm auf der Haut. Er setzt sich aufrecht an die Sitzkante und zieht sich das nasse Tuch vom Rücken. „Wie lange noch?“
„Schwer zu sagen, ein, vielleicht auch zwei Stunden.“
Nur jetzt nicht einschlafen, denkt Sutter, wischt sich den Schweiß von Nacken und Stirn und betrachtet das Tohuwabohu auf der Straße. Tomaten, aufgetürmt zu kleinen Haufen, Bananen und Pfefferschoten, liegen am Rand. Matronen, lose in farbige Tücher gewickelt, kreuzen, als gäbe es keinen Verkehr. Müde ergibt er sich der Kakofonie aus Hupen, Schreien und afrikanischem Reggae.
Endlich halten sie vor einem Hotel, dessen Fassade mit schwarzen Regenschlieren überzogen ist. Die Leuchtreklame blinkt, einzelne Buchstaben sind tot. Beim Aussteigen wäre er ums Haar in die offene, vermüllte Kanalisation getreten. Er stolpert über Betonplatten, aufgeworfen wie nach einem Erdbeben, und geht zur Rezeption.
Der Fahrer hat inzwischen den Aluminiumkoffer in der Empfangshalle abgestellt und wartet bis Sutter eingecheckt hat, um sich dann per Handschlag zu verabschieden. Träge rühren zwei große Deckenrotore in einem Gemisch aus Schweiß und abgestandenem Bier.
Im Zimmer, einer halbhoch mit Holz getäfelten, dunklen Höhle dringt die Nachmittagssonne durch Lamellenläden und zeichnet Zebrastreifen auf die Dielen. Es riecht nach Mottenkugeln. Sutter reißt das Fenster auf, aber als ihm die Hitze, gepaart mit dem Lärm einer Autoreparaturwerkstatt entgegen schlägt, schließt er es und sucht den Schalter des Deckenventilators. Er zieht das Moskitonetz über dem Bett zur Seite und setzt sich auf die schaukelnde Matratze. Ergeben streicht er sich über die schmerzenden Augen. Das leise Wummern des Rotors und die Kühle des steten Luftstroms beruhigen ihn schließlich. Für einen Moment hat er am Sinn der Reise gezweifelt, doch sofort reißt er sich wieder zusammen. Nur keine Unsicherheit aufkommen lassen, denkt er, als er nach draußen geht. Den Koffer lässt er unausgepackt in der Ecke stehen.
Nicht weit vom Hotel entfernt liegt die Werkstatt, deren Lärm bis in sein Zimmer gedrungen ist. Er betrachtet die ölverschmierten Gestalten, die mit nackten Oberkörpern in der prallen Sonne werkeln. Sie hämmern auf Blechverkleidungen, flicken Autoreifen, ersetzen Achsen und Bremsbeläge. Mitten in dem Chaos steht ein Baum voller großer, schwarzer Früchte, die sich beim näheren Hinsehen als fliegende Hunde erweisen.
Ein weißer Affe in einem Urwald aus Rückständigkeit bin ich, denkt Sutter und geht zurück ins Hotel. Er setzt sich auf die Terrasse, bestellt ein Bier und betrachtet den blauen Teppich aus Jakarandablüten zu seinen Füßen. Mit halbem Ohr überhört er das Gespräch zweier Engländer, die sich über das Chaos in einem der Ministerien auslassen.
„Seit sechs Jahren sind sie nun unabhängig, und was hat sich geändert?“
„Nichts, absolut gar nichts.“
Mit dem Röhren der Ochsenfrösche und dem geheimnisvollen Flügelschlag der Fledermäuse kommt die Tropennacht. Sutter spürt wie die Spannung langsam von ihm abfällt. Er ordert ein weiteres Bier und freut sich über das Lachen des Kellners, als er ihm die Flasche reicht.
Gegen Mittag des nächsten Tages meldet sich der Mann von der Botschaft. Er stehe am Empfang und warte auf ihn, lässt er Sutter per Bote ausrichten. Empfang? Nur ein versifftes Dreckloch, denkt Sutter, während er die Treppe hinunter steigt. Er geht direkt auf den einzigen Weißen in der Halle zu und reicht ihm die Hand. „Thomas Sutter“, stellt er sich vor. „Sind Sie Herr Ruge von der Deutschen Botschaft?“.
Der Mann, der zuvor lässig an der Theke aus Makoreeholz gelehnt hat, richtet sich auf und nickt. „Ja, Kay Ruge“, sagt er und reicht Sutter die Hand.
Höchstens Ende zwanzig, aber schon reichlich zerknittert der Typ, denkt Sutter, als er Ruges verschwitzte Hand drückt. „Danke für den Brief gestern. Ich war sehr erleichtert, als mich der Fahrer gefunden hatte. Ein ziemliches Chaos am Flughafen.“
„Willkommen in Lagos. An Chaos müssen Sie sich hier gewöhnen, es gehört zum täglichen Leben“, sagt Ruge und grinst. „Ich soll Sie in Afrika einführen, als ob das in ein paar Stunden möglich wäre.“ Er presst ein wieherndes Lachen hervor, wie ein hundert Meter Läufer, dem gerade eröffnet wurde, dass er zum Marathon eingeteilt ist. „Wie war die erste Nacht?“
„Es ging so.“ Heiß und stickig, denkt Sutter und verzieht das Gesicht zu einem schiefen Grinsen.
„Und? Gut gefrühstückt?“
„Ein paar vertrocknete Spiegeleier mit verschrumpelten Würstchen. Mir scheint, die Engländer haben ganze Arbeit geleistet“, lacht Sutter.
„Manche mögen das. Kein Porridge, lauwarm?“ Ruge verzieht das Gesicht, als wäre es das Schlimmste, was er sich vorstellen kann.
„Nein.“
„Das kommt noch. Deutsches Brot, mit Kruste und so, können Sie hier vergessen. Ist die hohe Luftfeuchtigkeit, macht alles zum Waschlappen, einschließlich der Leute.“ Ruge lacht erneut sein Wiehern, als gefalle ihm das Bild auseinander fließender Menschen. „Was halten Sie von einem kleinen Fischlokal, direkt am Strand, nichts besonderes, aber gutes Essen. Da können wir in Ruhe reden.“
Vom Meer weht ein überraschend kühler Wind in die offene Halle des Lokals. Die Tische aus Blech, von der Salzluft zerfressen. Stühle aus Stahlrohr, verbogen und zerbeult. Die viereckigen Säulen zwischen Terrasse und Innenraum mit Schlieren aus Schmutz und Schimmel überzogen. Innen die Wände, teilweise abgeblättert, von einem undefinierbaren Grün und der Fußboden aus blankem Beton.
Als sich Sutter neugierig umsieht, sagt Ruge: „Wir sind zu früh dran, aber ich dachte, ich zeige Ihnen gleich das wahre Nigeria. Das Ikoji Hotel auf der anderen Seite der Lagune ist nur eine Kopie des Westens.
Im Norden, in Kano, wo Sie hingehen, ist es eher so wie hier. Aber zumindest die mörderische Luftfeuchtigkeit ist dort weg. Sie werden sehen, nach ein paar Wochen erscheint Ihnen alles ganz normal. Ich bin auch noch nicht lange hier, komme inzwischen aber ganz gut klar. Lagos ist meine erste Station.“
Ich mag den Kerl nicht, denkt Sutter, verkneift sich aber jeden Kommentar.
Übergangslos wechselt Ruge den Ton. „Wir haben uns gewundert, dass Sie überhaupt gekommen sind. Hier braut sich etwas zusammen“, dabei sieht er prüfend auf Sutter, doch als der nicht reagiert, kehrt er zu dem leichten Tonfall zurück, den er zuvor gepflegt hat, als gäbe es nichts wichtigeres als ein gelungenes Essen. „Nehmen Sie die Garnelen, sie sind wirklich gut, und bleiben Sie beim Bier. In Afrika ist es das sicherste Getränk. Auf keinen Fall Wasser aus der Leitung, aber das kennen Sie ja bereits aus Indien. Wie lange waren Sie dort?“
„Nur ein paar Monate. Woher wissen Sie, dass ich in Indien war?“
„Steht in ihrem Dossier.“
Sie wollten wissen, wen sie bekommen, denkt Sutter. „Das Land und ich haben uns nicht vertragen“, sagt er für einen Moment verunsichert.
„Was meinen Sie mit zusammenbrauen?“
„Vor zwei Monaten haben die Igbos in der Region um Port Harcourt geputscht. Sie wollen ihren eigenen Staat. Jetzt ist erst einmal Ruhe,
aber keiner glaubt, dass die Haussa, die Muslime im Norden, diese Sezession auf Dauer hinnehmen werden. Entscheidend wird jedoch sein, auf wessen Seite sich die Yoruba schlagen. Sie sind mehrheitlich Christen und im Moment denken sie noch nach. Aber keine Sorge, Kano bleibt ruhig, ganz bestimmt.“
Er will mich beruhigen, denkt Sutter. „Hört sich nicht so toll an.“
„Nein, nein, keine Sorge, das renkt sich wieder ein. Spannungen zwischen den Volksgruppen gab es hier immer. Der Botschafter glaubt zwar, dass diesmal die Karten neu gemischt werden, aber ich finde es wird noch dauern, bis etwas Gravierendes passiert. Wir werden ja sehen, wer recht behält. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich alles in eitel Sonnenschein auflöst. Schließlich hat England Nigeria erst vor ein paar Jahren in die Unabhängigkeit entlassen, da muss sich noch einiges zurecht rütteln.“
England, denkt Sutter, die wurden am selben Tag Fußball Weltmeister, an dem ich die Zusage für das Praktikum erhielt. Ausgerechnet gegen Deutschland haben sie gewonnen, noch dazu durch ein irreguläres Tor. Für die Engländer war es wie Weihnachten im Sommer. Und Kano, ich musste im Atlas nachsehen, wo die Stadt überhaupt liegt.
„Und, sind es die Garnelen?“, hört er Ruge wie aus weiter Ferne.
„Habe ich lange nicht gegessen, das letzte Mal in Indien“, sagt Sutter.
„Aber wenn sie so gut sind, wie Sie meinen, gern.“
„Versprochen.“ Ruge hebt den Arm, um zu bestellen. Doch als der Kellner nicht sofort kommt, steht er auf und staucht ihn zusammen.
Ein Rassist, denkt Sutter, warum schicken sie solche Leute hierher.
„Seit wann gibt es dieses Praktikum überhaupt?“, fragt er, als sich Ruge wieder beruhigt hat.
Für einen Moment schüttelt Ruge noch irritiert den Kopf, dann zieht er eine Schulter hoch, als wäre ihm das Praktikum ziemlich egal. „Sie sind der Erste, verdanken es unserem Botschafter. Er will Nigeria nicht allein den Engländern überlassen und versucht auf allen Ebenen Brücken zu bauen. Eine davon sind Sie, gratuliere.“ Er erhebt sich, will erneut zu dem Kellner, lässt es dann aber und setzt sich wieder. „Ich sollte ihm richtig die Leviten lesen. Wir sind die einzigen Gäste im Lokal und er benimmt sich als wären wir Luft.“
„Und der Deutsche Akademische Austauschdienst?“, versucht Sutter abzulenken indem er das Thema wechselt. „Die waren ja richtiggehend euphorisch, als ich zusagte.“
„Sie fühlten sich in der Pflicht. Wir hatten Druck gemacht, aber Sie waren der Einzige, der bereit war nach Afrika zu gehen. Sie betreten Neuland, Herr Sutter.“ Ruges Augenbrauen schnellen hoch, als hätte er gerade ein Staatsgeheimnis verraten. „Morgen früh holt Sie ein Fahrer der Firma ab und bringt Sie nach Kano. Es wird anstrengend, dauert mindestens zwei Tage, über meist schlechte Straßen. Ein Jahr, Sie werden sehen, geht schnell vorbei.“
Sutter nickt versonnen, als hätte er denselben Gedanken gehabt.
„Warum hat die Firma eigentlich ihren Sitz in Kano und nicht hier in Lagos?“
„Keine Ahnung, Lagos war ihnen vielleicht zu teuer, oder die Flugzeuge rosten in der Sahel weniger. In letzter Zeit wurden von der Regierung einige sowjetische Typen beschafft, das passt den Amerikanern nicht besonders. Würde mich interessieren, was Sie davon halten, wenn Sie erst mal eine Weile in der Firma sind.“ Auf einmal schwingt ein leichtes Lauern in Ruges Stimme. „Ein Kollege hat die Firma besucht, er meint, für nigerianische Verhältnisse ganz passabel. Deutsches Management, darauf haben die Militärs Wert gelegt.“
Deutsches Management, ausgerechnet, denkt Sutter, und betrachtet Ruges Ränder unter den Augen, das zerknitterte Hemd und das verbeulte Jacket. Er fragt sich, was ihn wohl nach Nigeria gebracht hat. „Ja, ein Jahr ist nicht so lang“, sagt er und handelt sich einen schrägen Blick Ruges ein.
„Uns wurde gesagt, dass Sie mit einem schwarzen Kollegen das Gästehaus der Firma teilen werden. Ungewöhnlich, aber das gehört wohl auch zum Brückenschlag“, scheppert Ruge wieder los. „Wenn es nicht klappen sollte zwischen Ihnen, melden Sie sich, vielleicht können wir etwas tun. Hier ist meine Karte. Aber erwarten Sie nicht zu viel, die Telefonverbindung ist miserabel. So langsam, dass die meisten Probleme gelöst sind, wenn die Verbindung endlich zustande kommt. Die Fräulein vom Amt stöpseln und einiges geht dabei auch schief. Uralttechnologie von Cable and Wireless, stammt noch aus der Kolonialzeit. - Sie sind schon weit herum gekommen, ungewöhnlich für ihr Alter“, fügt er dann überraschend hinzu.
„Sie meinen Indien?“
„Ja, nicht gerade der direkte Weg für einen angehenden Ingenieur.“
„Es hat sich so ergeben….“
„Und deshalb wollten Sie nach Afrika, um sich hier zu beweisen. Ausgerechnet hier, weil Indien schief gegangen ist?“, unterbricht ihn Ruge.
„Nein, Afrika hat mich interessiert.“
„Interessiert!“, sagt Ruge mit der Andeutung eines Lächelns.
Frank Achebe, der Mitbewohner des gemeinsamen Bungalows auf dem Firmencompound in Kano, macht kein Hehl aus seinem Ärger über den ungebetenen Gast. Er ist Mitte zwanzig, so alt wie Sutter, und Sohn eines Oba. Sein ausgedehntes Liebesleben bedarf komplizierter Vorkehrungen im muslimisch geprägten Norden Nigerias und Sutter ist ihm im Weg. Erst nach einigen Wochen des ungewollten Zusammenlebens beginnt Frank aufzutauen. „Es wird vermutlich Krieg geben. Nicht hier im Norden, aber in der Gegend um Port Harcourt“, sagt er plötzlich während eines gemeinsamen Abendessens. Er knetet sich ein Bällchen aus klebrigem Maniokteig zurecht, tunkt es in die scharfe Soße aus Chilipfeffer und Tomaten und stopft es sich in den Mund. Er schiebt ein Stück Fleisch hinterher und redet mit vollem Mund weiter.
„Die Spannungen zwischen den Igbos und den Haussa verschärfen sich täglich, sagt mein Vater. Es hat ein paar Tote gegeben bevor du kamst.
Jetzt wandern die wenigen Igbos, die es hier im Norden überhaupt gibt, in den Süden ab.“
„Was für ein Krieg soll das werden? Die Igbos haben doch keine Chance gegen den Rest der Nation. In meinen Augen reden die nur.“
„Dachte ich auch, aber diesmal wird es wohl ernst. Seit im Nigerdelta Öl gefunden wurde, wollen sie ihre Unabhängigkeit, einen eigenen Staat. Das kann der Rest der Nation nicht akzeptieren, weil dann alles auseinander fliegt. Vater kann dir mehr erzählen, falls es dich interessiert. Er würde dich sowieso gerne kennen lernen. Warum kommst du nicht mit, wenn ich wieder nach Kaduna fahre? Hier hängst du an den Wochenenden ja doch bloß rum und trinkst ein Bier nach dem anderen.“
„Kay Ruge, der Typ von der Botschaft, von dem ich dir erzählt habe, hat auch von Krieg gefaselt. Noch dazu gleich bei meiner Ankunft, als wolle er mich wieder verscheuchen“, sagt Sutter und lacht kurz auf.
Frank reagiert nicht gleich, seine Mundwinkel umspielt ein feines Lächeln, als fände er die Ansichten eines Weißen über Nigerias innere Angelegenheiten vernachlässigbar. „Die Igbos wollen einen eigenen Staat“, wiederholt er sich. „Darauf läuft es hinaus, aber wir können das nicht zulassen.“
Sutter ist plötzlich hellwach. Der meint es ernst und vermutlich weiß er mehr, als er sagen will, denkt er. „Wer ist wir?“
„Der Norden, die Haussa, die Yoruba. Ich bin ein Yoruba, wir hatten schon immer das Sagen in Nigeria und so soll es auch bleiben. - Komm mit und sprich mit Vater. Er ist Oba in Kaduna und weiß genau was sich tut im Land.“
„Ich weiß nicht was ein Oba ist.“ Sutter zuckt bedauernd mit den Schultern und nimmt sich ein Maniokbällchen.
Frank wirkt für einen Moment pikiert, doch dann sagt er ganz ruhig: „Die Engländer nennen ihn Chief, aber das stimmt nicht. Er ist kein Häuptling, eher ein Richter.“
Sutter nickt, greift nach einem Stück Fleisch und tunkt es in die Soße. „Was für Geschichten erzählst du denn über mich, dass mich dein Vater sehen will?“
„Dass mir gefällt, wie du Hand anlegst. Du klebst nicht nur am Schreibtisch, wie die meisten hier. Die Art, wie du dich hinein kniest, dabei bist du nur ein Praktikant. Ich wundere mich sowieso weshalb du überhaupt hier bist und das Jahr nicht einfach vorbeirauschen lässt.“
„Liegt mir nicht. Vorbeirauschen ist mir zu langweilig.“
„Ja, weiß ich. Vater mag Leute wie dich.“
„Und du auch?“, fragt Sutter.
Frank kaut ruhig zu Ende, dabei sieht er Sutter lächelnd an. Nach einer Weile sagt er. „Vater würde sich freuen.“
Sutter sitzt schon eine Weile unter dem riesigen Banyanbaum und sieht dem Filmvorführer zu, wie er seinen Projektor aufbaut. Wie an jedem letzten Freitag im Monat ist auch diesmal Rufus Amokali mit seinem klapprigen Landrover erschienen, um ausgeblichene Schwarz-Weiß-Filme auf den abblätternden Kalk der Außenwand des Community Centers zu projizieren. Über einen improvisierten Lautsprecher hat er für den Abend Bilder von Schmerz und Leidenschaft angekündigt. Und jetzt schiebt er sich, gestoßen von den kräftigen Armen, auf seinem selbst gebastelten Rollbrett durch die sich füllenden Bankreihen. Die von Polio verkrüppelten Beine taugen zu nichts, doch das stört Rufus Amokali schon lange nicht mehr. Er liebt sein Publikum.
Und wenn der Projektor das Antlitz eines Helden riesenhaft vergrößert, die Wand zum Fenster in Urwälder und Wüsten macht, dann sitzt der Krüppel geborgen in der Dunkelheit und betrachtet die Gesichter der Zuschauer im blauen Widerschein.
Sutter mag Rufus, er bewundert, wie er sein Handicap in Kreativität verwandelt. Er liebt diese Abende unter freiem Himmel, die flackernden Bilder, die improvisierten Tanzeinlagen des Publikums, und die fliegenden Tomaten, wenn der Film nicht gefällt.
Kurz vor Beginn der Vorführung setzt sich ein junger Weißer mit zwei Flaschen in der Hand neben ihn. Sutter hat ihn schon ein paarmal auf dem Markt gesehen, wo er immer nur Salz und Zucker einkaufte.
„Peter Slate“, sagt der Mann und reicht ihm ganz selbstverständlich ein Bier. „Ich habe dich auf dem Markt gesehen, aber du bist kein Entwicklungshelfer, oder?“
„Nein, ich mache ein Praktikum. Flugzeugwartung und so. Und du, Entwicklungshelfer?“
„Ja, Brunnen bauen, hier in der Nähe. Ich bin Engländer, und du, Deutscher?“
„Hört man das nicht“, sagt Sutter und lacht. „Den Engländer habe ich mir schon gedacht. Im Peace Corps?“
„Das sind die Amerikaner, mit denen haben wir nichts zu tun.“ Slate scheint zu überlegen, ob es sich lohnt mit diesem Ignoranten weiter zu sprechen. „Wie lange bleibst du in Nigeria?“, fragt er schließlich mehr aus Höflichkeit.
„Ein Jahr vermutlich, vielleicht auch länger. Und du?“
„Auch so ungefähr, aber ich bin schon eine Weile hier. Ein Praktikum in Flugzeugwartung, ausgerechnet in Nigeria?“, zweifelt er.
„Es hat sich so ergeben“, weicht Sutter aus.
Nach dem Film schlägt Slate vor, in einer nahe gelegenen Bar noch ein Bier zu trinken. Sutter ist es recht, er will nicht nach Hause, um dem Gestöhn aus Franks Zimmer zuzuhören.
Es wird spät und es bleibt nicht bei einem Bier. Und mit der Trunkenheit wächst der Redeschwall. Themen gibt es zuhauf: Den Kolonialismus, das Empire, die Sowjets und die Kuba Krise. Vor allem spricht Slate über die alten afrikanischen Reiche im Sahel, Songhai, Mali, als wären sie sein Lieblingsthema. Sutter hat noch nie davon gehört. Das Gespräch fliegt hin und her und wird hitziger, wobei Slate fast immer dazu neigt, die Europäer zu verteidigen. „Du siehst doch, dass hier ohne uns nichts geht“, sagt er. „Deine Idealvorstellungen, Thomas, Selbstbestimmung und so, fliegen dir noch um die Ohren, darauf schließe ich Wetten ab.“
Gegen Mitternacht nimmt Slate einen kleinen Lederbeutel aus der Tasche. Er kramt das Zigarettenbriefchen hervor, zieht ein Papier heraus und dreht sich einen Joint. „Du auch?“, fragt er, nachdem er den ersten Zug genommen hat. „Ist pur, vor meinem Haus habe ich eine ganze Plantage davon.“
„Danke.“ Sutter greift nach der Zigarette und spürt schnell, wie sich seine Gedanken in einen diffusen Nebel auflösen. Undeutlich nimmt er Slates Bemerkung wahr, dass der nicht nur Brunnen bohrt. Verschwommen hört er seine Stimme an- und abschwellen, überlagert vom Kreischen der Zikaden. „England hat Interessen in seinen ehemaligen Kolonien. Ein Land, so groß wie Nigeria, können wir nicht einfach den Kommunisten überlassen. Und Philby ist einer unserer besten Leute gewesen, bevor er sich aus Moskau anheuern ließ.“
Philby? Wer verdammt ist Philby, denkt Sutter.
Als sie aufbrechen, lädt ihn Slate zu sich nach Hause ein. „Ich muss für eine Woche nach Lagos“, sagt er, „aber danach könnten wir bei mir essen. Keine Angst, ich bin ein leidlich guter Koch. Mir hat das Gespräch gefallen, wir sollten es fortsetzen.“
Am nächsten Morgen, als sie vor der Arbeit noch schnell ihr Porridge hineinschaufeln, sagt Frank eher beiläufig. „Ich habe für heute Abend ein paar Mädchen eingeladen. Wir feiern Celias Schulabschluss, wie wär’s wenn du mitmachst. Du bist zu ernsthaft, Thomas. Das Leben besteht nicht nur aus Pflichten.“
Anstelle einer Antwort schüttelt Sutter nur ablehnend den Kopf.
„Was? Hast du Angst? Es sind Christinnen, keine Gefahr also, dass am nächsten Morgen der muslimische Bruder vor der Tür steht, und dir die Hoden abschneiden will“, sagt Frank und lacht laut über den eigenen Witz.
„Wer ist Celia?“ Das erste Mal, dass er mich zu einer seiner Orgien einlädt, denkt Sutter.
„Eines der Mädchen, sie ist noch nicht lange in Kano. Ihr Vater ist ein hohes Tier in der Regierung. Es heißt er würde sich im Norden um die Kriegsvorbereitungen kümmern. Aber sie werden wohl nicht lange bleiben, der Familie gefällt es nicht im Norden. Zu staubig, zu muslimisch vermute ich mal. Du kannst sie ja selbst fragen. Celia sagt, sie hätte dich bei einer von Titus’ Filmvorführungen gesehen und würde dich gerne kennenlernen. Du hättest verloren gewirkt, so ähnlich, wie sie sich auch fühlt. Keine Ahnung was sie damit meint. Fehl am Platz vermutlich, aber das kann sie dir ja alles selbst erzählen. Das ist deine Chance, Thomas, sie sieht verflixt gut aus.“
Am Abend besorgt Frank eine Kiste Bier, doch Sutter ist nicht nach Party zumute. Als sich die Gäste verspäten, hofft er dass ihm die Fete erspart bleibt. Frank dagegen wird zunehmend nervös, bis endlich drei kichernde Mädchen vor der Tür stehen. Zwei davon füllig mit ausladenden Brüsten, wie sie Frank liebt. Die Dritte, groß und schlank, tiefschwarz und höchstens achtzehn. „Das ist Celia“, sagt Frank, „die beiden anderen kennst du ja bereits. Celia, das ist Thomas, er kommt aus Deutschland.“
Sie nickt und hebt nur kurz die Hand, dabei lässt sie Sutter nicht aus den Augen.
Für eine Weile stehen sie in der Küche herum und trinken Bier. Celia trinkt wenig, spricht kaum und sieht nur immer wieder neugierig auf Sutter. Der fühlt sich unwohl und trinkt mehr als er verträgt. Irgendwann zieht sich Frank mit den beiden vollbusigen Mädchen ins Schlafzimmer zurück und lässt Sutter mit Celia allein.
Sutter will weg, egal wohin, nur nicht länger mit diesem Mädchen zusammen sein, das ihn so penetrant anstarrt. „Woher bist du? Frank hat gesagt deine Familie kommt aus Lagos“, fragt er nur um überhaupt etwas zu sagen.
Sie antwortet nicht gleich, sieht ihn nur misstrauisch an. „Ja, aus Apapa“, antwortet sie in ihrer tiefen, gurrenden Stimme.
„Da habe ich gewohnt, in der ersten Nacht, als ich ankam in Nigeria. Hotel Exzelsior, ist aber nicht besonders exzellent.“
„Ich weiß, aber es hat eine gute Bar mit prima Musik.“
„Davon habe ich nichts bemerkt. Aber ich war nur eine Nacht dort und von der Reise zu kaputt um irgendetwas mitzubekommen.“
„Und warum bist du jetzt hier? Du wirkst so verschlossen.“
„Bin ich nicht, nur betrunken. Ich mache ein Praktikum als Flugzeug Ingenieur.“
„Ausgerechnet in Nigeria?“, fragt sie ungläubig.
„Warum nicht“, zuckt er mit den Schultern, als wäre ihm die Frage lästig. „Nigeria ist spannend, seit der Unabhängigkeit tut sich einiges. Und ich wollte weg aus Deutschland. - Hast du viele Geschwister?“, versucht er ein anderes Thema. Ihre Familie interessiert ihn nicht, er will nur ihrem bohrenden Blick entkommen.
„Drei, ich bin die Älteste. Müssen wir hier in der Küche stehen bleiben?“
Er merkt wie verspannt sie auf einmal wirkt. „Nein, hier ist nur das Bier, aber du trinkst ja kaum etwas.“
„Ich mag kein Bier. Warum zeigst du mir nicht dein Zimmer?“
Sutter sieht ihr an, wie schwer ihr die Frage gefallen ist. Ich hab kein Kondom, denkt er. Wenn ich ihr sage, dass sie mir nicht gefällt, ist sie wahrscheinlich enttäuscht. „Willst du das wirklich?“, fragt er hoffend, dass sie nein sagt und geht. Doch sie sieht ihn nur schweigend an.
Dann nimmt sie seine Hand. „Zeig es mir. Ich war noch nie mit einem Weißen zusammen.“
Auch das noch, denkt er und merkt erst, als er aufsteht, wie betrunken er ist. Er schwankt und die Tür seines Zimmers beginnt vor den Augen zu verschwimmen.
„Und jetzt?“, fragt sie unsicher, als sie vor seinem unaufgeräumten Bett steht.
„Zieh dich aus“, sagt er kalt.
Doch sie bleibt stocksteif stehen.
„Weißt du was“, sagt er und setzt sich auf die Bettkante. „Ich kann das nicht. Außerdem bin ich viel zu betrunken. Leg dich zu mir, und wenn ich einschlafen sollte, gehst du halt. Mehr kann ich dir leider nicht bieten.“
„Findest du mich hässlich?“, fragt sie den Tränen nahe.
„Nein, es hat nichts mit dir zu tun. Es ist einfach nicht unser Tag.“
„Und wenn ich wiederkomme?“
„Dann sehen wir weiter“, sagt er und legt sich angezogen aufs Bett, ohne sich weiter um sie zu kümmern. Kurz darauf schläft er ein.
Am nächsten Morgen fragt Frank wie es gewesen ist. Doch Sutter bleibt schmallippig. Er will nicht über etwas reden, das gar nicht stattgefunden hat.
„Ich glaube sie wollte nur wissen, wie es ein Weißer macht“, sagt er kurz angebunden.
Frank grinst spöttisch. „Und? Hast du’s verbockt?“
„Keine Ahnung. Sie sagt sie kommt wieder. Am nächsten Samstag.“
„Geht nicht, da fahren wir nach Kaduna. Vater will dich sehen.“
Der Oba schiebt seinen mächtigen Körper durch den schmalen Eingang der mit Stroh gedeckten Hütte und bittet Sutter ihm zu folgen.
„Setz dich, Thomas. Hier finden normalerweise meine Audienzen statt.“ Mit einer ausladenden Geste deutet er auf die geflochtene Matte vor seinem reich verzierten Stuhl.
Fast wie ein Thron, denkt Sutter und lässt sich im Schneidersitz nieder. Dann sieht er zu, wie der Oba umständlich seine Galabia zurechtrückt, bevor er sich auf den Stuhl setzt. „Frank meint, ihr beide versteht euch gut. Das hat mich überrascht, mein Sohn ist schwierig, wie du weißt.“
„Nein, wieso?“ Sutter schüttelt den Kopf, als verstehe er nicht was der Oba meint.
„Du brauchst ihn nicht zu verteidigen, ich kenne meinen Sohn. Er respektiert dich, was nicht häufig vorkommt.“
„Wir reden viel über Afrika.“
Der Oba zupft sein Gewand zurecht, stützt das Kinn auf die rechte Hand und betrachtet Sutter mit spöttischem Lächeln. „Und auf was habt ihr euch geeinigt?“ Ein Schuss Ironie klingt in der Stimme mit.
„Dass Songhai, Mali, Benin, bereits große Reiche waren, als sich Europa noch im tiefsten Mittelalter befand. Frank findet uns Europäer zu eingebildet. Er meint, wir sollten nicht so tun, als wäre die Zivilisation von uns nach Afrika gebracht worden. Er mag Franz Fanon, sagt er, aber ich weiß nicht, was er damit meint.“
„Und was denkst du?“ Der Oba wirkt abwesend, als ginge ein ganz anderer Gedanke durch seinen Kopf.
Das werde ich dir nicht auf die Nase binden, denkt Sutter, der merkt, wie wenig den Oba sein Verhältnis zu Frank interessiert. Abwarten, lass ihn kommen, denkt er und schweigt.
„Frank hat erzählt, dass du dich mit den Auswirkungen von Militärprogrammen auf die Privatwirtschaft beschäftigt hast. Ungewöhnlich in deinem Alter“, sagt der Oba endlich.
Sutter verlagert das Gewicht. Das Gespräch irritiert ihn, weil er nicht erkennen kann, auf was es hinaus läuft. „Ich habe neben dem Hauptstudium in Luft- und Raumfahrt ein paar Semester Wirtschaft gehört.
Die Frage, wie sich Hochtechnologie in Massenproduktion überführen lässt interessiert mich schon lange. Meine Diplomarbeit handelt davon.“
„Und vor Nigeria warst du bereits in Indien?“, fragt der Oba gleichbleibend freundlich.
Was hat ihm Frank denn noch alles erzählt, denkt Sutter. „Es hat sich so ergeben“, sagt er zögernd. „Einem indischen Gastprofessor gefiel meine Semesterarbeit über das Strömungsverhalten an neuen Flügelprofilen, mit denen wir am Institut experimentiert hatten. Also lud er mich ein für eine Weile bei ihm am Aeronautical Laboratory in Bangalore zu arbeiten. Ich habe mir ein Stipendium besorgt und bin hingeflogen, aber nach ein paar Wochen merkte ich, dass mir Indien nicht lag.“
„Wie alt bist du, Thomas?“
„Fünfundzwanzig.“
„Wie Frank, er hält dich für älter.“
Sutter zuckt nur mit den Schultern, als wäre ihm egal, was Frank denkt. „Alle halten mich für älter, das war schon immer so.“
„Spielt ja auch keine Rolle.“ Der alte Achebe beginnt mit dem Oberkörper zu schwingen, während er nickt, als ginge ihm ein noch unfertiger Gedanke durch den Kopf. „Ich möchte, dass Frank ein Unternehmen gründet, das sich am Ausbau der Eisenbahn von Kaduna nach Lagos beteiligt. Er braucht Unterstützung, wenn es gelingen soll. Frank wirft gerne hin, sollte ihm der Erfolg nicht schnell in den Schoß fallen.
Er braucht jemand wie dich, einen harten Arbeiter, als Partner. Könntest du dir vorstellen mit ihm zusammen so ein Unternehmen aufzubauen? Du würdest gut bezahlt.“ Er sieht gespannt auf Sutter, dabei streicht er sich über den wohlgenährten Bauch.
Sutter sieht verblüfft auf den Mann, der ihm gelassen gegenüber sitzt. Nichts davon hat er erwartet, nicht so schnell. „Es kommt sehr überraschend. Ich hatte nicht vor, auf Dauer in Nigeria zu bleiben. Darf ich mit Frank darüber reden, bevor ich mich entscheide?“, versucht er Zeit zu gewinnen.
„Selbstverständlich. Ich glaube, ihr beide wärt ein gutes Team. Und was ist schon von Dauer. Man muss die Chancen ergreifen, wenn sie sich bieten. Weißt du, bei uns kommen Zeiten großer Unsicherheit, das ist gut für Leute mit Ideen.“ Auf einmal bekommt seine Stimme einen harten, geschäftsmäßigen Ton. „Diese Eisenbahn Trasse, von der ich sprach, muss dringend erneuert werden. Der Nachschub aus dem Norden dauert zu lange. Die Strecke geht mitten durch mein Land, und ich will, dass mein Stamm von den Bauarbeiten profitiert. Deshalb werden wir diese Firma gründen, damit ein Teil der Aufträge bei uns landet.“
Sutter versteht nicht gleich auf was der Oba hinaus will, aber langsam dämmert ihm: Krieg, Nachschub, Trasse, passt alles zusammen, denkt er und schweigt.
„Ohne meine Zustimmung kann die Regierung diese Trasse nicht bauen“, hört er den Oba weiter reden. „Und ich werde dafür sorgen, dass einige Aufträge an eure Firma gehen. Das gibt euch von Anfang an eine solide Geschäftsbasis, alles andere findet sich dann von allein.“
Er spricht, als hätte er mich schon im Sack, denkt Sutter. Seine Gedanken schweifen ab, er ahnt die Möglichkeiten, die vor ihm liegen.
Dunkel spürt er aber auch die unkalkulierbaren Risiken. Nur mit halbem Ohr hört er den Oba über die politischen Verhältnisse reden, mit denen sie zu tun haben werden. Doch er solle sich darüber keine Sorgen machen, die gröbsten Steine werde er schon aus dem Weg räumen.
„Sprich mit Frank“, sagt der Oba abschließend und sieht seinen jungen Zuhörer auffordernd an, als erwarte er keine Widerrede.
Sutter nickt, fühlt sich benommen. Der meint es wirklich ernst, denkt er. „Wann möchten Sie eine Antwort haben?“
„Sobald wie möglich.“
„Warum hast du mich nicht gewarnt?“, fragt Sutter auf dem Weg zurück nach Kano. „Dein Vater hat mich völlig überwältigt mit dieser Firmenidee.“
„Warum sollte ich. Er hat sowieso immer das letzte Wort. Wenn er dich abgelehnt hätte, wäre es das gewesen. Aber er mag dich, hat er gesagt. Wir können also loslegen, wenn du willst. Warum Vater dich gerne dabei hätte sagt er nicht, vielleicht weil er mir nicht ganz traut“, sagt Frank, lacht kurz auf und wedelt mit der Hand in der Luft, als fände er es völlig unwichtig, ob ihm jemand vertraut oder nicht.
Wirkt falsch, denkt Sutter, Vater und Sohn scheinen sich nicht ganz grün zu sein. Aber was kümmert’s mich. „Und du, traust du mir denn?“
„Ich glaube, wir beide kämen gut zurecht“, umgeht Frank eine klare Antwort.
Er drückt sich, denkt Sutter. Die Idee mit der Firma hat ihm sein Vater aufgezwungen. Frank wäre nie von allein draufgekommen sich freiwillig von immer neuen Bettgenossinnen zu trennen. Aber vielleicht, denkt er, lässt sich das auch ganz gut kombinieren. Er kümmert sich ums Vergnügen und ich um die Arbeit. „Was sucht ihr, einen Handlanger? Ich habe weder Geld noch irgendwelche Kontakte. Und dann ist da noch das Praktikum, sie haben meine Reise bezahlt“, versucht er sich herauszuwinden.
„Du bist Weiß, das hilft bei westlichen Lieferanten. Außerdem muss sich jemand um die Details kümmern. Ich kann das nicht, will es auch nicht. Das weiß Vater. Vermutlich findet er deshalb, dass ich einen Partner brauche.“
„Partner! Aber du hörst dich an, als würdest du es lieber allein machen.“