Aufzeichnungen IV; 2002 - 2014 - Eckhard Polzer - E-Book

Aufzeichnungen IV; 2002 - 2014 E-Book

Eckhard Polzer

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Beschreibung

In den Aufzeichnungen IV verändert sich die Welt. Das Amerikanische Zeitalter scheint vorbei und geht über in eine multipolare Welt. Für uns als Familie, sind die privaten Veränderungen dramatisch. In 2014 annektiert Russland klammheimlich die Krim. Der Westen sieht der territorialen Ausdehnung des neuen Zarenreichs, die bereits in Tschetschenien, Armenien und Georgien begonnen hatte, klammheimlich zu. Weil Europa uneins, Amerika mit sich selbst beschäftigt ist, und Russland als verlässlicher Energielieferant unangreifbar erscheint. Nur Angela Merkel und Francois Holland versuchen mit dem Minsker Abkommen zu retten, was zu retten ist. Doch der Brexit zeichnet sich ab, und das Amerika des Donald Trump zeigt sich bereits als Wetterleuchten am Horizont. Derweil vertraut Deutschland, traumwandlerisch auf die Marktmechanismen des Welthandels, was es in immer größere Energieabhängigkeit von Russland bringt. In 2004 besucht unsere Familie erneut der Tod und raubt uns den Glauben an die Unverwundbarkeit. Kurt, Günther, Gerhard, Susans Eltern sterben, und hinterlassen Leerstellen, die mit vier wunderbaren Enkeln gefüllt werden.

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Seitenzahl: 498

Veröffentlichungsjahr: 2023

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If I have seen further, it is by standing on the shoulders of giants.

Isaac Newton

Wir suchen die Liebe, müssen sie nur einmal fühlen, damit wir wissen, dass wir leben.

Anonym

Die deutsche Kriegsreporterin und Fotografin, die 2014 in Afghanistan umkam, hat gesagt: ‚Angst? Nein, Angst nicht, Getriebenheit, ja’!

Frei nach Gerhard Richter aus dessen „Atlas“

Mooi River Sequenz: Ich möchte, dass du mich vergisst. Nein das will ich nicht. Was? Dass ich es will, oder du mich vergisst? Wie spitzfindig du bist. Wörter bedeuten dir anscheinend alles. Wenn es nicht gesagt wird, existiert es nicht? Warum ist das so? Weil ich dir zuhöre. Dir mehr als jeder anderen. Weil ich dir etwas bedeute? Ja, mehr als du denkst. Und warum soll ich dich dann vergessen? Weil... Ich kann es Dir nicht sagen.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

Schlussbemerkung

Vorwort:

In den Aufzeichnungen III habe ich auf ein Vorwort verzichtet. Zu sehr ist die Zeit der neunziger Jahre mit meiner beruflichen Entwicklung verknüpft.

Jetzt in den Aufzeichnungen IV scheint mir ein Vorwort, wie schon in den Aufzeichnungen II, erneut geboten.

Die gesamte Zeit, von 2002 bis 2014 ist geprägt von Krisen und Kriegen, die erst jetzt, im Nachhinein, als Fanal für eine Entwicklung verstanden werden, die die Menschheit, so sie nicht endlich das Ruder herumwirft, in den Abgrund stürzen kann.

2001 war der Anschlag auf das World Trade Center in New York ein erster Schock für all jene, die dachten, mit dem Ende der Sowjetunion wäre das Ende der Geschichte erreicht. Nie zuvor war Amerika auf seinem eigenen Territorium angegriffen worden. Die Schockstarre dauerte nicht lange, dann wurde Afghanistan bombardiert, um Al Quaida auszurotten, und schließlich besetzt. Alles unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung, zusammen mit den Verbündeten der Nato.

Damit begann ein 20-jähriger Partisanen-Krieg gegen die Taliban, der mit einer vernichtenden Niederlage des Westens in 2021 endete. All die gut gemeinten Absichten, das Nation Building, die Befreiung der Frauen aus ihrer Alltagsabhängigkeit, lösten sich in Rauch auf.

Ergänzend zu Afghanistan kam der unsäglich Irak-Krieg dazu. In 2003, wo große Teile des Westens Amerika die Gefolgschaft verweigerten, nicht zuletzt Frankreich und Deutschland. Chirac, der französische Präsident, hatte um zwei bis drei Wochen Aufschub gebeten, um selbst das Vorhandensein von ‚weapons of massdestruction‘ zu prüfen. (Frankreich unterhielt seit Jahrzehnten besondere Beziehungen zum Irak, Picot war nach dem ersten Weltkrieg einer der ‚Gestalter‘ der neuen Ordnung im Nahen Osten). Ein Aufschub wurde verwehrt, der Aufmarsch des amerikanischen Heeres an der Grenze zu Kuweit, 200 000 Mann stark, konnte nicht gebremst werden, hieß es. Und so begann ein Spektakel, das über Monate die Nachrichten beherrschte. Eine bis an die Zähne bewaffnete Supermacht zerquetschte ein Land der Dritten Welt, das sich seither nicht mehr erholt hat, und heute auf Gedeih und Verderb dem Iran ausgeliefert ist. Die Orientalisten an den renommierten Universitäten Amerikas, die zum ‚Nation-Building‘ nicht konsultiert wurden, raufen sich seither die Haare. Die Mächtigen in Washington DC wollten keine guten Ratschläge, sie träumten von Weltherrschaft. Was nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland funktionierte, geht im Irak allemal, tönten Leute wie Rumsfeld und Cheney.

Ein gigantischer Irrtum, der Amerikas Glaubwürdigkeit, die moralische Überlegenheit des Westens, ein für alle Mal zerstörte. Heute, 20 Jahre nach dem Einmarsch der Amerikaner im Irak, sagt Qasim Sabti, der wohl bekannteste Maler des Irak für moderne Kunst, mit Ausstellungen in New York, Berlin und Tokio: „Wenn Gebäude zerstört werden, dann kann man sie wieder errichten; wenn Ackerflächen abbrennen, kann man sie eines Tages wieder bepflanzen; aber wenn man das Gedächtnis einer Nation stiehlt, dann ist das unumkehrbar. Ich werde es den Amerikanern nie verziehen, dass sie das Nationalmuseum in Bagdad den Plünderern überließen, als sie die Stadt einnahmen. Sie kamen und wussten nichts über uns und unsere Geschichte.“ Der Mann sagt das im vollen Bewusstsein des Bewohners einer Stadt, die seit tausenden Jahren als Wiege der Menschheit gilt.

Die logische Konsequenz des Krieges im Irak war der Aufstieg eines Hasardeurs im Kreml, der seither von der Wiederkehr der Sowjetunion träumt, und der beschleunigte Aufstieg Chinas zur Weltmacht.

Damals wurde das Fundament für den heutigen Konflikt in der Ukraine gelegt. Tschetschenien, Georgien, Syrien, die Besetzung der Krim und von Teilen des Donbass, waren nur die Eröffnungszüge einer mörderischen Aggression durch die Russen, die seither, Zug um Zug, an der Wiederherstellung der Nachkriegsordnung des zweiten Weltkriegs arbeiten.

Es ist wohlfeil, den Deutschen allein die Schuld an dem verqueren Verhältnis zu Russland zu geben. Insbesondere Willi Brandts Ostpolitik als Appeasement darzustellen, und dabei zu verschweigen, dass in 1971 von der SPD nichts im Osten wegegeben wurde, das nicht längst verloren war. Nicht durch die damalige Regierung, sondern durch jene, die die unsäglichen Verbrechen im Osten, während des zweiten Weltkriegs, begangen hatten. Brandt und insbesondere Schmidt waren keine politischen Traumtänzer. Das Bild in der Süddeutschen Zeitung vom 19. März 2023 zeigt Breschnew und Brandt während einer Bootsfahrt vor der Krim. Beide Männer, gelassen, fast freundschaftlich, zwei Politiker, die sich einen entspannten Ausflug gönnen. Nichts daran könnte falscher sein, es herrschte der Kalte Krieg.

Europa hatte geglaubt, und viel dafür getan, dass eine Wiederholung der Kriegsgräuel des letzten Jahrhunderts unmöglich wäre. Die globalen Institutionen, die seither entstanden, würden es verhindern, hieß es. Was für eine naive Vorstellung, wenn das Gegenüber ein skrupelloser Machtpolitiker ist, der das Leben von Menschen als reine Verfügungsmasse betrachtet.

Susan und ich saßen gebannt vor dem Fernseher, als Colin Powell, immerhin der Außenminister der USA, am 5. 2. 2003, vor dem Security Council der Vereinten Nationen vortrug, warum ein Krieg gegen Saddam Hussein unvermeidlich sei. Weil er ‚weapons of mass-destruction‘ besäße. Seine Grafiken, die er triumphierend hochhielt, würden das beweisen. Dass er dabei auf die Lügen seiner Geheimdienste hereinfiel, hat er Jahre später als seine größte Niederlage bezeichnet. Ein schwarzer Viersterne-General wurde von den eigenen Leuten missbraucht, um ihre hirnrissigen Ziele zu erreichen. Nichts davon, was er vortrug, war wahr. Den Irakern, die nach dem Blitzsieg der Amerikaner in täglichen Gewaltakten zwischen Sunniten und Schiiten massakriert wurden, hat dann keiner geholfen.

In 2008 kam die globale Finanzkrise, sie drohte, das Fundament des Kapitalismus zum Einsturz zu bringen. Es wurde dann nicht ganz so schlimm, doch die Zweifel an der Verlässlichkeit des Westens wurden tiefer. Heute sagen viele Länder der ehemals Dritten Welt: Ihr habt die Probleme geschaffen, bringt sie auch gefälligst wieder in Ordnung. So ist das mit Eckpfeilern. Wenn sie einstürzen, fällt das ganze Gebäude in sich zusammen. Das gilt für den Pfusch am Bau in der Türkei, dem tausende Türken während des Erdbebens in diesem Jahr zum Opfer fielen. Und das gilt sogar für vergleichsweise läppische Ereignisse, wie der deutschen Wahlrechtsreform, die längst überfällig und vom Verfassungsgericht angemahnt, jetzt im Bundestag mit einer Mehrheit der Ampel beschlossen wurde. Jetzt jault die CSU wie ein getretener Hund, nachdem sie zuvor jede Initiative zur Reform hintergangen hatte. Das Urteil des Verfassungsgerichts, das die CSU jetzt einfordert, wird spannende Lektüre. Womöglich ein Meilenstein in der deutschen Demokratie-Geschichte.

Dieser Band endet mit dem Jahr 2014, dem Jahr an dem in Kiew die Orangene Revolution blutig niedergeschlagen wurde. Trotzdem war sie erfolgreich, denn es gelang, eine zerrissene Nation hinter dem Verlangen zu Europa zu gehören, zu einen. Gleichzeitig besetzte Russland, mit einem zum Historiker gewendeten Putin an der Spitze, die Krim. Es war der Beginn eines langen Kampfs, dessen Ende, während diese Zeilen entstehen, noch nicht abzusehen ist.

Ist alles vergebens? Nein, noch besteht Hoffnung. Bagdad wurde im Laufe seiner mehrtausendjährigen Geschichte wiederholt dem Erdboden gleichgemacht, und ist immer wieder auferstanden. In Afrika gibt es einen See, der ist so toxisch, dass keine Lebewesen im Wasser existieren. Und doch wächst darin eine giftige Alge, die die Flamingos verdauen können, weshalb sie das Gewässer zu ihrer bevorzugten Brutstätte aufsuchen. Ihre Schönheit, das Rosa ihres Gefieders, verdanken sie dieser Alge.

Warum schreibe ich das? Weil es immer weitergeht. Der Mensch hat heute die Macht, sich durch die Atombombe selbst zu vernichten, aber es wird ihm nicht gelingen alles Leben auf dem Planeten gleich mit auszurotten. Es wird nur ein anderer Planet sein, vielleicht viel schöner.

Eckhard Polzer

12. April 2023

2002

In Den Haag beginnt die Anklage gegen Slobodan Milosevic auf Völkermord.

Auf Bali wird der Paddys Club, in der Nähe des Kuta Beach Distrikts, von Terroristen in die Luft gejagt. 202 Besucher, hauptsächlich Australier kommen dabei um.

Ende Januar reiht G. W. Bush in seiner ‚Rede zur Lage der Nation’ mehrere Länder, darunter den Iran, in eine ‚Achse des Bösen’ ein, es ist der Eröffnungszug einer komplexen Vorbereitung des Irak-Kriegs in 2003.

Im April erfolgt der Anschlag auf die el-Ghriba-Synagoge in Djerba, Tunesien. Die Tat wird Abu Ayadh al-Tunisi angelastet.

Die Süddeutsche Zeitung druckt Auszüge der Rede von Jan Philipp Reemtsma an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München ab unter der Überschrift: ‚Die Sehnsucht nach der moralischen Unbedenklichkeitserklärung‘. Es geht um die Frage, was jeder Einzelne hätte tun können, um die Katastrophe der Nazi-Herrschaft abzuwenden.

27. Februar: Welch eine Illusion zu glauben, dass das Thema Dornier Medizintechnik zu Ende kommt. Noch dazu zu einem halbwegs Glücklichen.

Der erste Gerichtstermin war eine herbe Enttäuschung, die ich schwer verdaut habe. Eine jener Niederlagen, die man in ihrer Klarheit nicht kommen sieht, denn die Papiere und Diskussionen vorab hatten alle einen anderen Tenor. Und doch erinnert man sich plötzlich, nachdem alles schiefgelaufen ist, dass Theis ja auch darauf hingewiesen hatte, dass Formfehler nicht leicht zu nehmen sind. Trotzdem war die Ignoranz der Richterin frappierend. Sie hatte keines unserer Argumente gelesen. Und falls doch, ohne Begründung verworfen, denn die andere Seite hatte den Vorteil eines Formfehlers im Anstellungsvertrag geltend gemacht.

Ich mache mir keine großen Hoffnungen mehr, und rechne mit dem Schlimmsten.

10. März: Vor einer Woche ist Tara nach Südafrika ausgereist. Das Ende einer Zeit voller Spannung, voller Sorge, dass sich am Ende all ihre Pläne in Luft auflösen könnten.

Sie arbeitet jetzt im Nordosten Südafrikas, direkt am Krüger Nationalpark, und hilft mit, Flüchtlinge aus Mosambik zurückzuführen. Zurück in ein Land ohne Hoffnung, und doch gibt es keine Alternative. Gerade rechtzeitig gönnt sich ein Land die Illusion relativer Ruhe, bevor der Nachbar, jetzt Simbabwe, zunehmend ins Chaos gleitet. Schon lange ist es nicht mehr die koloniale Vergangenheit, die die Mugabes und Savimbis zündeln lässt. Ihre eigene, menschenverachtende Machtgier ist es heute. Sie können sich nicht mehr vorstellen, ohne Eskorte durch die Stadt zu fahren, ohne Blaulicht, ohne Achtung für all die anderen, denen der verrottende Gehsteig genügen muss, um ihr karges Leben zu fristen. Eine Farce ist es, dem Ganzen auch noch den Mantel einer Pseudo-Demokratie umzuhängen.

An diesem Wochenende wird in Simbabwe gewählt. Die Wahlbeteiligung ist extrem hoch. Nichts mit Apathie und Einschüchterung. Jetzt helfen nur noch brennende und verschwindende Wahlurnen. Doch warum überhaupt diese Trockenübung, deren wahrscheinlicher Ausgang nur ein weiterer Bürgerkrieg sein wird?

Und warum will Tara inmitten von alldem sein? Ich weiß es nicht. Abenteuerlust? Wohl eher das wirkliche Bedürfnis zu helfen. Uns bleibt nur, sie zu bewundern, und ihr beizustehen, wenn sie uns braucht.

Elena hat noch ein paar Jahre in Berlin. Sie kommt jetzt in die Endphase ihres Studiums und fragt sich wohl bereits, was danach kommt. Mit Sicherheit erst einmal eine Phase der Verunsicherung, des Ertastens und -fühlens der eigenen Möglichkeiten. Des Erkennens der eigenen Stärken und Schwächen. Am Ende ein selbstbestimmtes Leben, mit kleinen Siegen und einer Menge Enttäuschungen.

So ist das Leben. Eine kurze Strecke Zeit, kaum anders als das Verglühen einer Sternschnuppe, in der jeder seinem Ewigkeitswahn nachrennen darf. Einige schaffen es in die Geschichtsbücher. Na und. Savimbi schaffte es in die Geschichtsbücher, aber als was? Als Schlächter der Kinder Angolas, als Weltmeister im Verstümmeln von Gliedern und Seelen gleichermaßen. Als Freiheitskämpfer, doch was soll das heißen, mit Arafat als Mitbewerber um den Spitzenplatz dieses Wettbewerbs. Jetzt ist Savimbi tot, niedergemäht durch die Garbe einer Maschinenpistole irgendeines unbedeutenden Regierungssoldaten. Warum erst jetzt? Warum nicht schon vor 10 oder 20 Jahren, als es noch Sinn gemacht hätte, bevor das gnadenlose Schlachten hilfloser Menschen begann.

Che Guevara hat es geschafft in die Geschichtsbücher, vielleicht auch in manche Herzen einzudringen. Oder ist es doch nur die Fotografie, dieses Poster eines wagemutigen Mannes auf dem Gipfel seiner Kraft? Wer ist es, der da abgebildet ist? Irgendein Bild, entstanden im Kopf des Fotografen. Er hätte auch einen anderen Mann von der Straße hernehmen können. Oder ist es doch das Bewusstsein, das Verständnis für die Tat, eben dieses einen Mannes, der noch auf der Totenbahre, durchsiebt von den Kugeln einer kolumbianischen Squadron, Achtung einfordert.

Wir haben uns darauf verständigt, dass es die Tat ist, die wir ehren. Das, obwohl wir wissen, dass es Zufälle sind, die wir zu unseren Götzen machen. Aber zufällig klingt nicht gut, bedeutet nichts, also nennen wir es Schicksal. Schicksal klingt geheimnisvoll und entrückt, Schicksal rechtfertigt die Todesrituale, die großen Reden, die Mausoleen und die Verneigung anderer Großer.

Dabei ist es die Krankenschwester im afrikanischen Busch, die ihr Leben für die Leprakranken aufopfert, die geehrt gehört. Sie ist das wahre Rückgrat unseres Lebens.

19. April: Warten, nichts als warten. Wir warten auf einen Anruf, auf besseres Wetter, auf ein günstiges Gerichtsurteil, eine Finanzierungszusage. Dann warten wir auf den politischen Umschwung, ein Ende der Barbarei, vielleicht sogar darauf, dass die Menschheit aufhört zu wachsen. Am Ende warten wir nur noch auf den Tod.

Immer aber stand vor dem Warten ein Beginn. Eine Geburt, ein Studium, ein Buch, das uns eintauchen lässt, in die Welt eines Anderen. Wir bauen ein Haus, um zusehen zu können, wie es verfällt. Wir kaufen ein Auto, um zu beobachten, wie es alt und klapprig wird. Wir essen, um den Zelltod zu verzögern, und wissen doch, dass es vergeblich ist. Am Ende siegt das Warten.

‚Unter Führung der USA forciert die Allianz der reichen Länder die Globalisierung der Armut, der Umweltzerstörung, des Rassismus und der ethnischen Zwietracht. ’ Das schreibt Professor Chossudovsky exklusiv in Zweitausendeins. Ist das lesenswert? Möglicherweise. Ist es ein weiteres Vorurteil? Ziemlich sicher, ja. Besteht ein Kern der Wahrheit? Bestimmt. Gibt es eine Alternative? Wohl kaum.

Und trotzdem müssen wir etwas tun. Tun gegen den wachsenden Fatalismus. Gegen das Auseinanderdriften von Arm und Reich in tödlich verfeindete Lager. In das Zurückgleiten von Blöcken der Habenden und der Habenichtse. Es ist kein Naturgesetz, dass Wenige fast alles haben, und die Mehrheit schon ohne Hoffnung geboren wird. Natürlich ist teilen, und etwas abgeben, erforderlich. Aber an wen und für was. Doch sicher nicht zur Fütterung der Schweizer Konten irgendwelcher selbst ernannter Potentaten. Nein, nicht dafür, für fast alles andere aber schon. Vor allem aber, damit die Armen überhaupt beginnen können, sich selbst zu helfen.

Sind das alles Traumtänzereien? Ganz sicher, ja. Ohne Träume aber wird die Wirklichkeit unerträglich. Ohne Hoffnung bleibt nur noch die Resignation.

Wir brauchen Maos kleines rotes Buch, mit all seinen Plattitüden. Und doch hatten es viele im Westen in der Hand, bereit sich ein eigenes Leben zu formen. Wichtig ist ein Anfang, eine Tat, eine Handlung, die etwas bewegt. Kein Fluss fällt als fertiges Gebilde aus den Wolken. Es sind die Regentropfen, die den Strom entstehen lassen. Plattitüden? Ja, aber Fußball ist schlimmer.

Da sitze ich nun und warte auf das Urteil des Richters. Er war fair bei der Anhörung, schlug einen Vergleich vor, aber Singapur Technologies (ST) bewegte sich nicht. Seltsam und unverständlich, nur so ist es eben.

Dann warte ich auf die TBG-Entscheidung zur Finanzierung der EODS. Warte auf Air Cast’s Auftrag und Fischers Spezifikation. Auf die Mittel von EOS und die Antworten des CAP auf Combine. Ich warte, und meine Kraft schmilzt wie die Butter in der Sonne.

Auch wenn ich mich pensioniere wird es nicht besser. Dann warte ich auf das Frühstück, und die monatliche Rentenüberweisung. Also hab Geduld Kumpel, oft ist das Warten der Beginn großer Hektik. Mal sehen, und nur nichts übertreiben.

24. April: Entkommen aus der Endlosschleife der eigenen Vergangenheit? Nein, es geht nicht, wäre auch völlig sinnlos. Warum erst Leben, alles vollpacken mit Handlungen, Bildern, um dann so zu tun, als ginge mich das alles gar nichts an.

Seltsam ist es trotzdem, diese Sicht der Anderen von einem selbst, und den gemeinsam erlebten Dingen, die doch jeder anders empfand, je nachdem mit welchem Vorwissen oder Vorurteil er oder sie das Ding erlebt hat. Dabei ist es egal, ob es Augenblicke sind oder lang ausgezogene Handlungen. Jeder formt seine Meinung, seine Sicht, nach dem eigenen Blickwinkel. Was bleibt ihm auch anderes übrig. Das, was er selbst im Kopf hat, ist das einzige Bezugssystem, das ihm zur Verfügung steht. Und dann wundern wir uns über Fehlkommunikation, Missverständnisse und unlogische Handlungen. Wessen Logik bestimmt denn das Tun? Wessen Verständnis denn das ‚Miss’? Kaum dass es uns gelingt uns mit den eigenen Kindern zu verständigen, wie sollte es da gelingen mit einem Kanzler zu kommunizieren, der vier Mal verheiratet ist, aber selbst keine Kinder hat. Der sich trotzdem die Familienpolitik auf die Fahne schreibt, weil es seine Spin-Doktoren halt so fordern.

Wie soll das gehen - Afrika muss geholfen werden? Solange wir Freud’sche Theorien dazu benutzen ihre Traumata zu lösen, wird das nie etwas. Solange wir Papier dazu benutzen, um zu kommunizieren, anstelle zu reden, bleibt das ein Desaster. Solange wir Vertrauen nur dann entgegenbringen, wenn die Hautfarbe ein bestimmtes Maß an Helligkeit nicht unterschreitet, bleiben wir im Nichts, hängen im freien Raum, und wundern uns, hilflos baumelnd im Vakuum, weshalb die europäischen Juden, als Israelis gestylt, mit den Palästinensern nicht klarkommen. Obwohl es in ihrem besten Interesse wäre, gerade das zu tun.

Welch ein Kraut- und Rübensalat. Ja, schon wieder Mitteleuropa, sogar bei den belanglosen Sprüchen. Warum nicht Jam- und Cassavasalat? Weil alles belegt ist mit den Bildern der Kindheit, mit der ganzen virtuellen Welt, die wir, Termitenhäufen gleich, in unserem Hirn ansammeln, bis uns endlich das Ende des biologischen Zyklus von allen unseren Vorurteilen befreit.

26. April: Schrecklich dieser Tribut an das Alter. Diese Unentschlossenheit, die auch nicht im Entferntesten mit Erfahrung ausgeglichen werden kann. Diese Empfindlichkeit für alle möglichen äußeren Einflüsse, und dieses Nachhängen an Bilder, deren Bedeutung zunehmend verschwimmt.

Obwohl immer noch Teilnahme gefragt ist, wird diese doch mehr und mehr zum Voyeurismus. Zum Beobachten dessen, was die anderen tun, um dann darüber zu urteilen. Still und heimlich zu urteilen, und bereits zu wissen, dass das Ergebnis dieser inneren Abfrage völlig unbedeutend ist.

Dabei verkommt der ganze Prozess des Alterns, vor allem in der Politik, zunehmend zum absoluten Theater. Widerwärtig diese egoistischen Selbstinszenierungen auf sämtlichen Fernsehkanälen. Die Moderatoren halten sich für Stars, die Politiker denken sowieso, dass sie Politstars sind, und die Zuschauer ekeln sich, sind aber gleichzeitig fasziniert von der Belanglosigkeit des ganzen Schauspiels.

Eine banale Marke, wie die 18% der FDP, wird zum bedeutungsschweren Symbol, allein dadurch, dass der Kameramann und der Schnittmeister oder Bild-Regisseur, immer wieder auf den läppischen Aufstecker mit der Zahl 18 am Revers von Westerwelle zurückkommt.

Das Geifern eines grünen Ministers wird zur Peinlichkeit, und die Sachinhalte seiner Tirade, die möglicherweise richtig sind, gehen völlig unter. Entscheidend ist nur noch die Körpersprache, der Duktus, das Gefühl der beschämenden Rechthaberei eines ewigen Verlierers. Struck kommt rüber wie ein Fels in der Brandung, wohl auch, weil er immer und überall zugegen ist, aber kaum jemals etwas Sinnvolles sagt. Merkel wird besser, steckt aber noch zwischen dem Niemandsland des Weiblichen, und des politischen Neutrums, dessen Sexualität ein für allemal abhandengekommen ist. Für sie ist es noch ein weiter Weg, um die Statur einer Golda Meir zu erreichen. Aber sie macht Fortschritte.

Die Illner, die ich mag, hatte nur einen Sack voller Fehler vorzuweisen. Handwerklich miserabel, bloßgestellt von den Westerwelles und den Strucks, zu nassforsch, um seriös zu erscheinen. Ja, und schon sind wir wieder beim Alter. Das ist es wohl, was die 25- bis 30-jährigen wollen, damit sie überhaupt noch wählen. Das schnelle parieren mit dem Florett, der große Abgang und dann ein kühles Bier.

28. April: Die Realität wird brutaler, und die Fiktion immer menschlicher. Ein Widerspruch? Keinesfalls.

Da wird einer gedemütigt durch die Schule, durch seine Umgebung, durch sein eigenes mangelndes Selbstwertgefühl. Während des Abiturs haben sie den Amokläufer von Erfurt von der Schule verwiesen. Es war seine letzte Chance. In seinem Kopf hat er sie verspielt, und nun brauchte er Rache. Rache an all den Schönschwätzern und Nicht-Interessierten. An den Alles-Wissern und doch nichts Bewegern. Er hatte eine Waffe, also hat er sie benützt, zuerst gegen seine Feinde, dann gegen sich selbst.

In seinem krausen Kopf machte das alles Sinn, und doch ist es die Schwelle zur Auflösung der Gesellschaft. Wir stehen in Sichtweite eines brutalen Guerillakriegs. Jeder sein eigener Kriegsherr. Kaum zu fassen, aber jeder ist eine wandelnde, gut funktionierende Zeitbombe, bis das Fass überläuft. Gefüllt mit Hassgesängen, Hassvideos, Pornoschund, martialischem Brimborium. Die Kanäle sind voll, jeder Spitzenpolitiker pilgert nach Erfurt und stöhnt etwas Hilfloses aus sich heraus. Es ist schließlich Wahlkampf.

Endlich haben wir die Amerikaner überboten. Irgendwo, mit irgendetwas, und sei es nur der Welt-Titel bei Toten des Amoklaufs. Es sind nicht mehr die städtischen Moloche, die diese Gräuel gebären. Das Grauen wächst hinter den Fassaden der Biedermänner und Saubermacher. Warten wir auf den nächsten Nachahmer, damit wir Erfurt vergessen können. Freising, im Februar, hatte ich bereits abgelegt. Schöne traurige Welt.

18. August: Gleich neben mir liegt Mutter und stirbt. Sie stirbt langsam, in kleinen, unmerklichen Schritten verabschieden sich die Zellen, erdrücken in ihrer toten Masse das Herz, das sich immer noch aufbäumt. Sie leben lang und sterben schwer die Nathers. Alles, was sie in katastrophalen Zeiten am Leben hielt, stemmt sich jetzt gegen das Sterben. Dabei ist es ein Kampf, der nicht zu gewinnen ist. Der ultimative Kampf, vor dem es kein Entrinnen gibt.

Hilft es, daran zu glauben, dass es einen Gott gibt? Oder ist es nur die kindliche Schwäche des Alters, die nach ihm verlangt. Hilft es, daran zu glauben, dass es ein Leben nach dem Tod gibt? Ja, sonst hätten es wohl Jahrtausende alte Religionen nicht immer als das letzte Labsal der Seele verkauft. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ein abgedroschener Satz voller Wahrheit, ohne dessen Bedeutung wir nicht leben könnten, nicht funktionieren, irgendetwas Konstruktives gestalten. Wir hoffen immer, dass es schon noch einmal gut gehen wird, dass das Haus stehen bleibt in der Flut, dass das Benzin reicht im Tank, und dass sich am Ende doch noch genug Wähler finden, um eine längst verlorene Wahl zu drehen.

Wir hoffen, dass das Unwetter vorbeizieht, der Krieg zu Ende geht, die Kinder gesund bleiben, ja sogar glücklich sind, ja, wir hoffen sogar, dass am Morgen die Sonne scheint. Welch ein absurdes Klammern an die Zukunft. Dabei ist die einzige Kultur, die Jahrtausende ohne wesentliche Veränderungen überstand, die Ägyptische mit ihrem Totenkult. Aber auch hier war der Tod nicht das Ende, sondern nur Übergang. Übergang zu etwas Neuem, das der Fantasie der Lebenden entsprang.

In vier Wochen ist Wahl in Deutschland, und vermutlich hat Schröder sein Pulver bereits verschossen. Schade, denn seine Mannschaft hat nicht schlecht regiert. Er hat aber zu sehr auf seine Popularität gesetzt, und jetzt wird sie schal wie abgestandenes Bier. Was ihm noch helfen könnte ist die Flut im Osten, und die zunehmende Verbissenheit Stoibers. Bayern ist keine Insel der Seligen mehr, Kirch ist pleite, der Lack der New Economy ist ab, und jeder fragt sich, wie es weitergehen soll. So nicht, wie bisher, sagen die meisten. Es muss sich etwas ändern. Nur fangt mit dem Ändern erstmal bei den anderen an. Stimmt das noch, oder ist es nur das vorgeschobene Argument der Aussitzer?

Amerika plant den Krieg im Irak und kommt doch keinen Schritt voran. Immer weniger wollen diesen neuen Waffengang, auch wenn sich jeder Saddam zum Teufel wünscht. Es bedarf viel Mut und Skrupellosigkeit, die ganze Region ins Chaos zu stürzen, nur um eine alte Rechnung zu begleichen. Das Volk leidet, die Welt starrt auf den Irak, aber wir sind nicht bereit, wegen eines Diktators der übelsten Sorte, Selbstmord zu begehen.

Ist es trotzdem die Vorstufe zu einem großen Krieg? Mit wem eigentlich. Es gibt keine Faschisten und Nazis mehr. Der Kommunismus in seinem unsäglichen Anspruch auf Weltherrschaft ist gescheitert. Die Chinesen haben sich zum Staatskapitalismus bekehrt. So, wo ist der Feind? Die Terroristen, wohl kaum. Schon eher jene, die vorgeben, wegen des Terrors die Welt reformieren zu müssen. Schon Eisenhower hat vor seinem eigenen Militär-Industriellen Komplex gewarnt. Das ist der wahre Feind. Aber von was? Der Nation? Wohl kaum, die gilt es ja zu verteidigen, zu erhalten, in übersteigerter Form.

Es ist das Individuum, das auf der Strecke bleiben wird. Erdrückt durch Verordnungen, Sicherheitsvorkehrungen, Belastungen und unerträglicher Bevormundung.

11. September: Wits Rural, Acornhoek im Norden Südafrikas

Vor einem Jahr stürzten die Türme des World Trade Center, gefällt durch einen brillant geplanten Angriff militanter Islamisten. Die Waffen waren unsere eigenen, täglich millionenfach genutzten Geräte - vollgetankte Zivilflugzeuge. Seither sitzt der Schock tief. Nichts ist mehr sicher, wenn die alleinige Hypermacht auf ihrem eigenen Territorium von ein paar wild entschlossenen Fanatikern so tief verwundet werden kann.

Wir wissen, dass es nicht der letzte Anschlag dieser Art war. Es werden viele kommen, andere Gründe, andere Waffen, andere Orte. Die Ursachen bleiben die gleichen, Hass und Neid. Der Zusammenbruch jeglichen Konsenses über den Sinn menschlicher Kooperation, wenn dadurch die Starken gestärkt und die Schwachen, bis über das Existenzminimum hinaus, geschwächt werden.

Die amerikanische Reaktion auf den 11. September ist richtig und falsch zugleich. Das Aushebeln von Al-Qaida in Afghanistan war sicher richtig. Dem ganzen Land wurde eine neue Chance gegeben. Nur jetzt beginnt bereits das Fragezeichen. Chance zu was? Sich selbst zu bestimmen? Sich den alten Warlords auszuliefern? Die Frauen weiter zu versklaven? Sich zu verwestlichen, zu amerikanisieren? Braucht Afghanistan die Hilfe des Westens? Braucht sie der Sudan, Irak, Nordkorea, Somalia, Simbabwe? Wer braucht sie nicht? Braucht sie überhaupt jemand, oder wird nur immer alles schlimmer durch dieses halbherzige Intervenieren. Ist es eine falsch verstandene Humanitas, die an einem Patienten herumdoktert, der längst klinisch tot ist?

Steve Biko sah das Zusammenspiel von Schwarz und Weiß in Südafrika mit der Klarheit des kompromisslosen Endzwanzigers. Dabei war er ein Mann des Ausgleichs, der echten Integration. Aber natürlich lehnte er die herablassende Bevormundung der Weißen ab. Auch jener, der Liberalen, die auf eine Abschaffung der Apartheid und auf Rassen-Integration drängten. Als Biko brutal ermordet wurde, hatte sich das weiße Afrika erneut keinen Gefallen getan. Denn keiner weiß, ob das menschliche Potenzial hinter Mandela, und auch hinter Mbeki ausreicht, das Land zusammenzuhalten. Ob es die Größe hat dieses einmalige Experiment der Integration von zutiefst verfeindeten Lagern zu Ende zu bringen. Keiner weiß, wie dieses Ende aussieht. Ist es ein blutiger Bürgerkrieg, oder eine neue Gesellschaft, die die Sucht der westlichen Denker, die Dinge zu benennen, hinter sich lässt, und einen Zustand kreiert, in dem die Menschen, ungeachtet ihrer Hautfarbe, zusammenleben können. Vielleicht kann dann endlich der Begriff der Rassen in das Vergessen der Geschichte übergeben werden. Vielleicht gelingt es dann, das Verbrechen der Sklaverei aufzuarbeiten. Vielleicht gelingt es dann, ein neues Verständnis für die Fremdheit der Anderen, deren Aussehen, deren Bräuche, deren Denken zu finden. Und wir paaren dieses Interesse am Anderen nicht mit dem wohligen Schauer des Touristen, der weiß, dass er in seine kleine Stadtwohnung zurückkommt, wo das Licht brennt und das Wasser fließt. Wo die S-Bahn pünktlich kommt und die meisten Menschen seine Sprache sprechen. Vielleicht ist das dann der wahre Nutzen der Globalisierung, dieses Wissen über die Nöte und Bedürfnisse der Anderen, ungeachtet einer Flutkatastrophe oder Hungersnot, oder eines weiteren unverständlichen Genozids. Wir wären alle reicher dadurch.

Am 20. August ist Mutter gestorben. Sie war eine starke Frau. Sie trug dieses Bewusstsein des Kriegs und der Verlassenheit mit sich, das sich durch alle ihre Erzählungen zog. Bis zum Ende brauchte sie keinen Beistand, außer den ihrer Kinder. Sie hat nicht sehr lange leiden müssen, bevor sie losließ, um irgendwo anders zu sein, als in einem Körper, der sie zunehmend peinigte.

Ich hatte es nicht ausgehalten neben ihrem toten Körper. So als wäre es ihr zuwider, dass wir um etwas trauerten, das sie längst hinter sich gelassen hatte. Als ich in ihr Haus fuhr, und an ihrem geliebten Platz auf der Terrasse in der Sonne saß, eingebettet in den Winkel des Hauses, mit dem Blick auf ihr Grün, da ist sie wirklich erst gegangen. Und es war ungeheuer tröstlich zu wissen, dass das Leben zu Ende kommt, und doch unvergänglich ist. Ich konnte endlich um sie weinen.

14. September: Acornhoek

Welch ein Experiment, dieses Südafrika. Als sich Mandela mit de Klerk traf, um das Zusammenspiel von Schwarz und Weiß zu vereinbaren, da war wohl nur eines sicher, nämlich, dass es keine Alternative gab, außer dem Bürgerkrieg, mit der Konsequenz eines weiteren zerstörten Landes. Wie dieses Zusammenleben aussehen könnte, wie und ob die tiefen Narben der Apartheid verheilen könnten, das wusste keiner. Und jetzt ist das Experiment auf dem Weg.

Es lebt in einer Vielzahl von konkreten Projekten. Urban Development, Rural Development, Hausbau und Wasserversorgung, Verkehr und Kommunikation, Gesundheit, vor allem aber der Übung des gegenseitigen Respekts.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, und der Hoffnung gibt es viel in Südafrika. Der Hoffnung, dass die Weißen freiwillig auf ihre Privilegien verzichten könnten. Privilegien die nicht länger per Gesetz, sondern durch reale Lebensbedingungen begründet sind. Der Hoffnung, dass die Schwarzen sich schnell entwickeln werden, lernen in der Neuzeit zu leben. Aber ist das die Lösung, lauter Weiße, verkleidet in schwarzer Haut? Der Hoffnung, dass die Natur, in all ihrer fantastischen Vielfalt dem Druck standhält. Dem Druck, der aus dem Bedürfnis der erlebten Bilder wächst. So sein zu wollen, wie es die farbigen Wunschträume der westlichen Werbung vorgaukeln. Der Wunsch nach fließendem, reinem Wasser. Nach Elektrizität und Sicherheit in einem halbwegs gesunden Umfeld. Wer könnte all diese Wünsche verübeln, geschweige denn verwehren.

Und doch wird es nicht möglich sein, den gleichen Reichtum und Überschuss für alle zu erreichen, den die Weißen seit Jahren für sich allein beansprucht haben. Es wird nicht sinnvoll sein, die Werte einer christlich geprägten Gesellschaft eins zu eins auf ein schwarzes Wesen zu pfropfen, das erst seit knapp 100 Jahren begonnen hat zu schreiben, zu dokumentieren, sich in dem ganzen Prozess darüber klar zu werden, wer es ist. Die Bantus sind keine große Einheit, kein Volk, eine Sprachgemeinschaft. Was ist ein Volk? Eine gemeinsame Vergangenheit, belegt durch Geschichte, Mythen erzählt von wem. Für sie lohnt sich der Aufwand des Wegs in die Neuzeit. Für die Buschmänner ist der Weg schon heute eine Sackgasse, deren Ende bereits sichtbar ist. Deren Beginn die überlegene Kultur der Bantus, ihre physische Dominanz, ihre Verachtung für die Rückständigkeit der San war. Die San heißt soviel wie: Die Bedeutungslosen. Nicht die Weißen gaben diesen Namen, sondern die Schwarzen, die vor hunderten von Jahren vom Norden kommend in das leere Land strömten. Es sind nicht die Rassen, es sind nicht die Stämme, nicht die Völker, die unterdrücken. Nein, es ist immer der Einzelne, der seinen kleinen Vorteil zu Lasten des Nachbarn sucht.

21. September: Morgen wählt Deutschland eine neue Regierung. Trotz des dramatischen Geredes ist es keine Richtungswahl. Schröder, die bekannte Größe, etwas selbstverliebt, aber im großen Ganzen berechenbar, auf einem leicht links lastigen Mittelkurs. Stoiber, berechenbar, abgeschliffen und immer noch hörig gegenüber irgendwelchen Experten. Keiner von beiden ein Volkstribun, der mit mitreißender Rhetorik die Stimmung schafft, die alles Bestehende in Frage stellt, nur um seine eigene Macht zu stützen. Aber ist dem wirklich so? Es gibt keine Themen, die einen mitreißenden Politiker an die Macht katapultieren. Aber stimmt das auch? Was ist mit dem bevorstehenden Irakkrieg? Was mit der Umweltkatastrophe, die sich immer klarer abzeichnet? Was mit den wachsenden Ungleichheiten, nicht nur in der entwickelten Welt. Ja, es sind alles Themen höchster Dringlichkeit, nur wer soll sie anpacken. Der deutsche Bundeskanzler wohl kaum. Der Präsident der USA, gefangen in einem engen Netz nationaler Interessen, von Leuten, die bei jeder Abweichung vom Kurs ihrer primären Interessen mit Liebesentzug drohen, mit Wahlverweigerung? Nein auch von hier keine Hoffnung, denn es bedürfte schon eines Giganten, dieses klebrige Spinnennetz wenigstens teilweise zu zerreißen. Und Hilfe von der EU, einem gigantischen Gebilde wohlmeinender Technokraten? Wo sollen sie ansetzen ohne Auftrag? Wer gibt den Auftrag? Wer setzt ihn um? Wer sichert ihn ab? Alles offene Fragen, über denen sich die Handlungen verselbstständigen. Laufen sie gut, finden sich viele Väter, laufen sie schlecht, ist keiner erkennbar, der das ganze Vorhaben angezettelt hat.

Deshalb wird es morgen, am Wahlabend nach 18 Uhr, in Deutschland viele Gewinner geben, kaum Verlieren. Schröder wird wohl weiter regieren mit knapper Mehrheit. Fischer wird intelligente Reden halten und seine Visionen zu Papier bringen, die die Franzosen vorsichtig zerreißen. Blair wird mit Bush in den Krieg ziehen, und vielleicht explodiert der Nahe Osten auf ganzer Linie. Dem südafrikanischen Bauern, der auf seiner gemieteten Parzelle auf den Regen wartet, ist das egal. Er sieht die farbigen Bilder, wie sie ihm von der Fernsehkiste entgegen quellen, aber er versteht sie nicht. Er hört die Musik des Internetzeitalters, aber er mag sie nicht. Alles, was er weiß, ist, dass das Saatgut verdorrt, wenn es nicht bald regnet. Dass zwei Kilometer weiter ganze Landstriche bewässert werden, aber er keinen Zugang zum Wasser hat. Er kann nichts dagegen tun. Es sind seine eigenen Leute, schwarz wie er, die ihn von den Plantagen vertreiben, wenn er sich Wasser holen geht, einen Kanal kratzen will, mit seiner alten Kralle, die kaum die Oberfläche des harten Bodens ritzt. Wenn er noch genug Kraft hat, wird er zu irgendwelchen Sitzungen der Landverteilungskommittees gehen. Sie werden viel reden, danach wird er nach Hause gehen, in seine rohe Zementhütte, umgeben von staubiger Erde, und er wird weiter auf den Regen warten. So lebt der Mensch, sagte Malraux bereits vor 100 Jahren. Er meinte China, seine Not, seine Hilflosigkeit. Es hat sich viel geändert für Wenige, für Viele ist es hoffnungsloser denn je zuvor.

München 2. November: ‚Wenn seine Mutter stirbt, wird es Zeit für einen Mann sich Gedanken darüber zu machen, was er mit seinem Leben angefangen hat’. Das sagt Mandela in seinem ‚langen Weg zur Freiheit’. Er litt darunter, dass er nicht zum Begräbnis seiner Mutter durfte, denn noch saß er gefangen auf Robben Island, weit entfernt von dem internationalen Symbol der Versöhnung und der Hoffnung ‚der verdammten dieser Erde’.

Als ich gestern am Grab meiner Mutter stand, umgeben von Menschen deren restlicher Lebensabend darin zu bestehen scheint, die Gräber ihrer Verstorbenen zu pflegen, da ging mir Mandela durch den Kopf, dass es immer nur der einzelne Mensch ist, in seiner Beharrlichkeit ein Ziel zu verfolgen, dass sich etwas bewegt. Und dass es Zeit für mich ist, selbst etwas zu bewegen. Ohne Eile, doch mit dem klaren Bewusstsein, dass ich nicht mehr aus dem Füllhorn der Zeit schöpfen kann. Mir ging die Bemerkung eines Türkheimers durch den Kopf, derzufolge es einem Flüchtling verwehrt sein sollte, im alten Teil des Friedhofs begraben zu werden. Dabei hatten wir Mutters Grab nur wegen der Nähe zu der alten Rotbuche gewählt. Den Flüchtling hatte ich kurzzeitig über dem Schmerz vergessen. Aber es ist sofort wieder da, dieses Bewusstsein, sich beweisen zu müssen. Sich durchzusetzen gegen alle Widerstände. Diese Verachtung jener, die in ihrer Selbstgefälligkeit auf der Stelle treten, und im Grunde nur sich selbst beweihräuchern. Denen am Ende nur das Warten auf den Tod bleibt.

Und, ist das so schlecht? Ist das nicht die Wurzel unserer Kultur? Das Bedürfnis sich selbst ein Denkmal zu setzen, das über den Tod hinausreicht? Die Pyramiden von Sakkara mit all ihren benachbarten Gräbern, die Hügelgräber der Germanen, die Monumente der Römer und die Ton-Heere der chinesischen Kaiser zeugen von der Sucht nach ewigem Leben.

Es ist nicht schlecht, aber es ist nicht das Leben. Die Status Quo Menschen brauchen diese Bestätigung nach dem Tod. Die Mutter Theresa, die Albert Schweitzer, die vielen namenlosen Krankenschwestern, Minenarbeiter und Bauern, sie sind das Leben. Sie sind die Kämpfer, deren tägliche Überwindung des Schlendrians, diese riesige Maschine an gegenseitigen Abhängigkeiten, geschmiert durch gegenseitiges Vertrauen, am Laufen hält.

Das ist auch im Grunde das deutsche Dilemma. Wie finden wir im Weniger jene, die die Kraft aufbringen wollen, um in einer komplexen Gesellschaft, mit komplizierten Abhängigkeiten, mitzuwirken, dass sich die Räder weiter nahtlos drehen.

Nach dem Krieg gab es keine Alternativen, als anzupacken, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, damit jeder für sich, und damit auch für die Allgemeinheit, etwas aufbauen konnte. Heute geht das nicht mehr. Der alte, beamtete Akademiker fürchtet um sein soziales Anrecht. Der Arbeiter um seinen gerechten Lohn. Der junge Berufseinsteiger um eine faire Chance. Kaum einer sieht das Leben als solches, als die Chance per se. Die ihm die Möglichkeit gibt zum kreativen handeln, zum Wirtschaften im klassischen Sinn der Produktveredelung, im Lernen zur Mehrung von Wissen und Nutzen der Gesellschaft. Wir stöhnen über die Lasten, wir meckern über die Hürden des Lebens, wir neiden dem Nachbarn seine Fröhlichkeit, wir fürchten uns vor dem Neuen und Fremden, und rutschen dabei immer schneller in eine selbst induzierte Paralyse. Nachdem es genügend intelligente Analysen unseres Zustands gibt, hilft nur eines, irgendetwas Sinnvolles anpacken und konsequent weitermachen. Der Tod kommt dann von ganz allein, und der Grabstein ist eine belanglose Nebensache.

München 3. November: Wohin neigt sich Amerika? Zum Weltherrscher im Sinne eines erleuchteten Tyrannen, der mit Waffengewalt die Freiheit nicht mehr nur verteidigt, sondern aktiv durchsetzt? Oder doch eher zum traditionellen Despoten, der im Überfluss seiner Macht seine Ideale, so er denn welche hat, der Welt überstülpt. Egal, ob sie diese will oder nicht. Warum wehrt sich Amerika zunehmend gegen jede Kritik an seiner Politik, der rücksichtslosen Vergeltung für den Terror des 11. September? Ist es der schleichende Selbstzweifel, der sich breit macht im Land? Zweifel an der Legitimität der Regierung, ohne Mandat, aber umso größerem Sendungsbewusstsein einzelner Akteure zu handeln? Zweifel an den Beweggründen und Zielen eines ungebremsten Kapitalismus, getragen von zügelloser Gier vieler Spitzenmanager, gepaart mit vor Lügen triefendem Missionarsgeschwätz? Zweifel an den Wurzeln der eigenen Kultur, der unbegrenzten Freiheit, die wahllos Menschenleben auslöscht, um alsbald zur Tagesordnung überzugehen? Zweifel am Nutzen immer höherer Sicherheitsstufen, wenn damit hinter jeder Ecke der Überwachungsstaat hervorlugt? Zweifel an immer höheren Militärbudgets, wenn der einzig wirklich ernstzunehmende Feind im Inneren des Landes sitzt?

Wach auf Amerika und leuchte wieder. Die Welt braucht dich als Leuchtturm der Freiheit, nicht als Kriegsmaschine. Der Terror ist keine Verlängerung des Kalten Kriegs, mit Zerstörungs- und Abnutzungsszenarien. Wir haben eine andere Welt, wie noch vor 60 Jahren, ja sogar vor 15 Jahren, als die Sowjetunion begann auseinanderzufallen. Die Gefahr kommt heute aus dem lachenden Gesicht des Nachbarn, der es leid ist, ein Bürger zweiter Klasse zu sein, nur weil er dunkler Hautfarbe ist. Aus der Flinte eines Mannes, dem das Leben übel mitgespielt hat, egal ob selbst verschuldet oder nicht. Die Gesellschaft, direkt um ihn herum, ist schuld und soll dafür bezahlen. Aus dem Unterbewusstsein des jungen, gut ausgebildeten Ingenieurs, der keine Arbeit findet, weil es zu viele gut ausgebildete Ingenieure, aber zu wenig Projekte gibt. Projekte gäbe es schon, aber kein Geld, denn das geht in den Schuldendienst, oder die Beschaffung eines weiteren Stealth Bombers, den keiner mehr wirklich braucht, denn die Radaranlagen, die vermieden werden sollten, sind längst verkommen und abgeschaltet.

Amerika, du brauchst einen weisen alten Mann an der Spitze, und viele junge Minister, die sich trauen zu denken und zu widersprechen. Irak zu zerbombten ist keine Lösung, nur der Beginn einer unkontrollierten Kettenreaktion, die zur Explosion in der ganzen Region führen kann. Sharon hat keine Antworten, außer der Gewissheit, dass seine Handlungen den Terror nur noch mehr anheizen.

Ja, Saddam muss weg, aber der Preis eines Krieges ist zu hoch, außer es geht um die Übernahme der irakischen Ölfelder und die Sicherung Saudi-Arabiens. Nur dieser Preis kann sich am Ende als um Potenzen höher erweisen, als das geduldige Warten auf den Tod. Schließlich ist die Sowjetunion nicht im Bombenhagel untergegangen, sondern implodiert. Nur dafür gibt es keinen Platz in der Geschichte.

Amerika sollte einen der Bush Söhne in Florida abwählen, vielleicht wacht dann der Bruder im Weißen Haus auf. Gelegenheit dazu besteht am Dienstag, halten wir den Daumen.

2003

Am ersten Februar setzt das Space Shuttle Columbia zur Landung an. Um 8 Uhr 15, 282 Kilometer über dem Indischen Ozean, wird die Rückkehr aus dem Orbit eingeleitet. Das Shuttle taucht um 8 Uhr 44, 122 Kilometer über dem Pazifik, in die Atmosphäre ein, überquert Kalifornien auf dem Weg nach Cape Kennedy, und beginnt um 9 Uhr über Texas auseinanderzubrechen. Alle sieben Crew-Mitglieder werden getötet.

Am 5. Februar erklärt der US-Außenminister, Colin Powell, vor dem UN-Sicherheitsrat, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügt und Verbindungen zu Al-Qaida unterhält. Beides erweist sich in der Folge als unwahr. Trotzdem beginnt am 20. März die Invasion gegen das Regime Saddam Husseins.

Der zweite Golfkrieg kommt mit der Einnahme Bagdads zu Ende. Das Bild der vom Sockel gestürzten Statue Saddam Husseins auf dem Firdaus-Platz, die Beine getrennt vom Körper, nur verbunden mit zwei stabilisierenden Metallrohren, geht um die Welt. Der Sieg Amerikas trägt nicht zur Beruhigung, geschweige denn der Stabilisierung der Region bei. Im Gegenteil, der Irak stürzt ins Chaos und wird zur Brutstätte des Sunnitischen Aufstands, der letztlich in den Islamischen Staat mündet. Die Gefangennahme Saddam Husseins im Dezember trägt wenig zur Befriedung des Landes bei.

Am 10. April fällt Ajatollah al-Madschid al-Khoei in Nadschaf einem Mordanschlag zum Opfer. Am 12. Mai kehrt Ajatollah Baqir al-Hakim, Gründer des Obersten Rats für die Islamische Revolution im Irak und der Badr-Brigaden, aus dem Iran in den Irak zurück. Am 16. Mai gibt es Anschläge in Casablanca, Marokko. Am 7. August einen Anschlag auf die Jordanische Botschaft im Irak. Am 12. August einen Anschlag auf den Sitz der UNO in Bagdad. Am 29. August stirbt Ajatollah Muhammad Baqir al-Hakim durch einen Selbstmordanschlag, für den Abu Musab az-Zarqawi verantwortlich zeichnet. Die Strategie der Vereinigten Staaten zur Befriedung des Mittleren Ostens fällt in sich zusammen.

In einem Artikel in der International Herald Tribune vom 19. Juni, stellt der Autor, Barry Gewen, den Holocaust, obwohl das größte Verbrechen unserer Zeit, in eine Reihe mit dem Genozid an den Armeniern, dem stalinistischen Gulag und dem Völkermord in Kambodscha.

31. Januar: Welch ein grandioses und zutiefst beunruhigendes Welttheater, in dem die Regierungen wie in einer Schmierenkomödie aufeinander einprügeln. Amerika ein Heerlager mit ausgesperrter Opposition, die sich nicht traut den Mund zu öffnen, aus Furcht unpatriotisch zu erscheinen. Kaum mehr eine Stimme der Kritik, Erinnerung nur für ein paar Jahre. Die Politiker als Marionetten der Öl- und Waffenkonzerne. Die Bevölkerung gebeutelt von den Nachrichten über gefälschte Bilanzen, erschwindelte Wahlen, dem ängstlichen Blick auf die bodenlos fallenden Börsenkurse. Ja, es ist furchtbar, was Amerika in New York am 11. September angetan wurde. Aber wenn das Land glaubt, es könne nicht schlimmer werden, so täuscht es sich gewaltig.

Und Europa, eine einzige Kakofonie. Deutschland gesegnet mit einem Kanzler, der auf jeder Dorf-Wahlveranstaltung immer absurdere Sprüche klopft, um auch den letzten Stammtisch-Strategen von seiner Unfähigkeit als Staatsmann zu überzeugen. Talkmaster sollte Schröder werden, er würde bedeutend mehr verdienen, und könnte sich gelegentlich beim Bier entspannt mit Lafontaine über ihre Pausenhof-Streiche in der Politik unterhalten. Aber der Mann tut uns nicht den Gefallen abzudanken, noch nicht, weil er sich, wie jeder Machtpolitiker, für unersetzlich hält.

Dann Chirac, dessen Freundschaft mit Saddam Hussein auf allen Kanälen glänzt. Wie gekonnt er sich hinter den deutschen Diplomaten-Tölpeln verbergen, um sein eigenes Netz zu spinnen?

Derweil Blair in Englands Empire Robe schlüpft, um Europa, in altenglischer Manier zu spalten, und so leichter zu kontrollieren. Nur diesmal nicht zum Nutzen des eigenen Landes, sondern zur Stützung des großen atlantischen Bruders. Aber er muss aufpassen, dass ihm sein Spalt-Brief von gestern nicht um die Ohren fliegt.

Aznar im Ausscheiden, eine lahme Ente, nur in Konservativismus mit Amerika verbunden, mit einer Bevölkerung im Rücken, die keinen Irakkrieg will.

Berlusconi, auch er gegen sein Land. Wer will denn schon mit einem faschistoiden Lügenbold, wäre er auch noch so reich an zusammengeklauten Firmen-Imperien, arbeiten. Dann Polen, Tschechien (mit der Unterschrift Havels, drei Tage vor seinem Ausscheiden erschlichen), und Ungarn. Ein Treppenwitz der Geschichte. Amerika braucht den alten Ostblock, um das ‚alte Europa’ in die Pflicht nehmen zu können. In eine Pflicht, die bedingungslos und kritiklos ist. Die sich aus den Hypotheken des Kalten Krieges ableitet, und die Europa vor Augen hält, dass es nichts anders ist als ein quakender Krämerladen.

Wie deprimierend das alles ist. Wie schnell die Euphorie der 90er Jahre einem grenzenlosen Katzenjammer gewichen ist. Jetzt fehlt nur noch der Volkstribun, der Menschen-Verhetzer, getrieben von maßlosem persönlichem Ehrgeiz, und schon lauert die nächste große Katastrophe in den Kulissen.

Dänemark und Portugal sind auch noch bei den Europäern, die in devoter Kritiklosigkeit den Amerikanern huldigen, damit sie mit Hurra im Irak einmarschieren können. In ein paar Tagen wird die Lage noch verwirrender, dann sind die Landtagswahl in Hessen und Niedersachsen gelaufen, vermutlich mit einem gewaltigen Dämpfer für die SPD, deren Kanzler sich grandios verschätzt haben wird, und für die nächsten Monate erstmal genug haben dürfte von markigen Sprüchen. Denn so falsch ist seine Position ja gar nicht, nur dass er sie permanent mit Posaunen ins Land bläst ist dumm und ärgerlich.

Europa hat Schaden genommen, Schaden durch seine egomanischen Politiker. Für Jahrzehnte lastete die Bedrohung der Sowjetunion wie ein Klotz auf dem europäischen Handeln, und zwang sie in eine gemeinsame Richtung. Jetzt ist der Klotz weg, und es zeigt sich der alte, streitsüchtige, eingebildete, und sich selbst überschätzende Kontinent, der er immer war. Dabei sind die Partnerschaften völlig unberechenbar. Ein alter Franco Anhänger - Aznar- verbindet sich mit einem britischen Reformer - Blair - gegen Europa. Oder ist es gegen Schröder/Chirac, Deutschland/Frankreich. Dabei nehmen sie alle gern das Geld aus Brüssel, das nicht unwesentlich aus Nettozahlungen Deutschlands besteht. Der Frust sitzt tief und wird noch lange schwelen. Das Misstrauen gegenüber den Neuen aus dem Osten wächst erst einmal, die anscheinend Europa als den Hinterhof Amerikas betrachten. Sie wollen vor allem Brüssels Geld, und die Sicherheit der NATO, der Rest ist lästiges, mit Geschichte überfrachtetes Beiwerk. Na, ob das mal gut geht.

Solange sich nirgends auch nur ein halbwegs passabler Staatsmann abzeichnet, wird nichts besser werden. Wir haben jetzt die Früchte einer jahrzehntelangen Parteiendemokratie, die sich ihre Kader aus den eigenen Reihen nachzieht. Aber alles, was dabei herauskommt, sind Kurzzeit-Sprücheklopfer, um die nächste Wahl zu gewinnen. Schröder hat eine historische Chance, ob er sie nutzen kann, darf bezweifelt werden.

1. Februar: In ein paar Monaten bin ich 60 Jahre alt. Habe ich das begriffen? Nur unvollständig. Susan nimmt die Hürde in zwei Wochen. Sie staunt immer noch darüber, das überhaupt geschafft zu haben. Es gab einige Prognosen in ihrem Leben, die das nicht erwarten ließen.

Aber was bedeutet das? Ein Einschnitt, gravierende Veränderungen? Ich weiß es nicht. Das Einzige, was ich weiß, ist meine Sucht weiterzuarbeiten und zu kämpfen. Ich könnte aufhören und mich zur Ruhe setzen. Nur, was heißt zur Ruhe setzen, wenn das Innere alles andere als ruhig ist. Vieles hat sich in mir angesammelt über die Jahre an Erfahrung. Manches war verschüttet durch die letzte Zeit bei Dornier. Der große Vorsitzende hatte sich auf eine Lebensinsel zurückgezogen, und begann sich und seine Umgebung immer enger zu sehen. Das ist jetzt weg, aber ich bin müde geworden, und manchmal zweifle ich daran, ob ich managen noch in der ganzen Breite kann und will. Und doch lade ich mir die Sache in Berlin noch einmal auf, so uns denn die Finanzierung gelingt. Erneut, wie so oft zuvor, weiß ich nicht genau, warum ich das tue. Ist es das Geld? Wohl auch ein wenig. Es erleichtert den Blick auf das Finanzierungsmodell der nächsten Jahre, bis 63, und hilft den Mädchen über die Beteiligung, so ich das Unternehmen richtig in Schwung bringen kann. Das ist es wohl, das Gefühl noch einmal etwas in Schwung bringen zu wollen, und davon überzeugt zu sein, das auch zu können.

Susan hat gut reagiert, als ich ihr die Berlin Sache erklärte. Sie wird mitmachen, wie immer zuvor. Es ist gut einen verlässlichen Partner zu haben. Die Mädchen stützen das sowieso. Sie sind Arbeitstiere und voller Verständnis für das Bedürfnis etwas zu ‚machen’.

Die nächsten Monate werden zeigen, ob alles nur eine Illusion ist, die mit einem Anruf zerstiebt. Wenn die Finanzierung der MFH (Magnetic Fluid Hyperthermia) klappt, wird es eine spannende und anstrengende Sache. Ich hoffe nur, dass der Rücken und die Prostata noch eine Weile halten. Es reichen die nächsten drei bis vier Jahre. Dann ist wirklich Ruhe, vor der ich jetzt keine Sorge mehr haben muss. Ich habe immerhin 4 Jahre Zeit gehabt zu üben.

Und dann geht mir Gerhards Sterben an die Nieren. Noch glaubt er zwar an seine Ausnahme-Chancen, aber alle Statistiken sprechen gegen ihn. Das Glioblastom ist einer der aggressivsten Todbringer, und wenn in ein paar Monaten die Remission einsetzt, dann wird es auch Gerhard wissen. Hoffentlich hat er dann die Kraft in Würde zu sterben. Er wird dann auch 60 Jahre alt geworden sein. Vielleicht ein bisschen mehr. Wenn er weise ist, wird er sein ganzes Leben betrachten. Wenn nicht, wird er den hypothetischen Jahren nachtrauern, die möglicherweise noch vor ihm gelegen hätten. Dabei ist das Ganze nur ein einziges Vabanque-Spiel. Nur, wir glauben, wir stehen auf solidem Grund. Welch eine lächerliche Fehleinschätzung. Aber sie hält uns immerhin seit tausenden von Jahren am Leben, bis wir uns den eigenen Teppich unter den Füßen wegziehen. Aber bis dahin haben wir sicher eine neue Lebenslüge gefunden.

2. Februar: Seit heute ist es amtlich, wir sind ein Volk von Wechselwählern geworden. Voller Lust am Rauf und Runter mit den Parteien, am Abstrafen und Dampf ablassen, am verantwortlich machen für eigenes Versagen und Unbehagen.

Die Welt zittert vor dem Irak-Krieg und trauert um die Besatzung der Columbia Raumfähre. Wir beschäftigen uns mit Landtagswahlen, küren Provinz-Fürsten, meinen aber den selbstverliebten Schönredner und dem ‚Volk auf den Mundschauer‘ im Kanzleramt.

Vielleicht ist es aber auch so, dass die Mehrheit im Lande endlich genug hat von Partikularinteressen und Verzögerungstaktik. Es soll sich etwas ändern, und es soll schnell passieren. Hoffentlich hat jeder eingesehen, dass die Änderung bei ihm selbst beginnen muss, dass er Abstriche machen muss, um etwas zu erreichen. Aber was ist dieses ‚Etwas’? Es ist vor allem weniger Staat, weniger Gewerkschaftseinfluss, weniger Dirigismus. Jeder weiß es, aber es gibt kein schlüssiges Konzept, das kontinuierlich umzusetzen. Zu stark sind immer noch die Partikularinteressen. Und wenn wir nicht aufpassen, wird das Land an der Ost-West Grenze neu geteilt. Im Osten die unveränderten Nehmer und Forderer. Im Westen die zunehmend frustrierter werdenden Verweigerer, die es satt haben für alle Übel geradezustehen, und am Ende auch noch dafür gescholten zu werden.

Brüssel kassiert, damit auch Spanien, Portugal, in Zukunft Osteuropa und unsere eigenen Ost-Länder kassieren, und trotzdem mit dem Finger ungeniert auf den knausrigen Westen zeigen können. Klar sind das Biertischparolen, aber die Biertische wählen, und die anderen bleiben frustriert fern. Keine gute Formel für eine Demokratie. Es wird nicht lange dauern, bis der erste Volkstribun durchs Land tingelt. Wenn die SPD die Gewerkschaften nicht in den Griff kriegt, wird es nicht mehr lange dauern.

9. März: Rolling Prairie, Indiana.

Ein paar Tage nur wird es wohl dauern, bis der Krieg im Irak ausbricht. Amerika bereitet sich darauf vor, diesen Krieg, falls nötig, alleine zu führen. Wir gegen alle. Ich der Präsident, bin das Werkzeug der göttlichen Vorsehung, und muss meinen Auftrag bis ans bittere Ende vollbringen. Selten hat ein mittelmäßiger Mensch so viel Empfänglichkeit für den Magnetismus der Macht gezeigt. Selten eine Mannschaft von Beratern und Ministern eine Person so plakativ für ihre eigenen Ziele genutzt, die sie ansonsten in Zeiten der weltweiten Entspannung wohl eher im Verborgenen gehalten hätten. Es sind Visionen einer einzigen, unschlagbaren Weltmacht, bis an die Zähne gerüstet und ausgestattet mit dem unerschütterlichen Glauben des Missionars, der weiß, dass er in Gottes Namen handelt.

Als Schröder am Ende des Wahlkampfgetümmels seine Zunge nicht beherrschen wollte, um seinen Frust zu Gunsten der letzten Biertisch-Stimme freien Lauf zu lassen, da schien Deutschland international völlig isoliert. Schon damals fiel mir sein Hinweis auf den Mangel an Konsultationen auf, der sich eklatant in der Juli-Rede Cheneys zeigte. Amerika hatte offensichtlich weitergehende Ziele, als die direkte und zunehmend frustrierende Fahndung nach den Zellen des Terrors, und deren Zerstörung. Amerika wollte, ausgelöst durch den Zerfall der Sowjetunion, aber ungemein beschleunigt durch die Anschläge vom 11. September, eine neue Weltordnung. Schon Bush Senior sprach von dieser New World Order, und scheiterte beim ersten Versuch sie zu etablieren. Seine damaligen Berater sind dieselben, wie die heutigen seines Sohnes, Cheney, Rumsfeld, Rice, in Grenzen Powell, verstärkt durch Wiedergeborene Christen wie Ashcroft. Diesmal wollen sie ihr angefangenes Werk beenden. Die Hegemonie über die Welt.

Welch ein Wahnsinn, nur erklärbar aus der Arroganz des Provinziellen, und der Einsamkeit der Gedankenwelt einer Condoleeza Rice. Dass dabei die Welt in Stücke gehen könnte scheint sie nicht zu stören. Der Präsident glaubt an seine Mission des neugeborenen Kreuzritters. Und er hat viele Anhänger, Murdoch, mit Fox, lässt er auf Linie propagieren, Berlusconi findet Geschmack an der Rolle des kritiklosen Vasallen Amerikas. Aznar kann ungehindert seine Franco Vergangenheit und zugehörige Neigungen auspacken und polieren. Nur Blair ist ein Enigma, gefangen in der falschen Rolle. Ein Moralist, festgeklammert an der Macht, überzeugt von der Richtigkeit seines Tuns, verletzt durch die Ambivalenz seiner europäischen Partner.

Aber jetzt, ein paar Monate nach der deutschen Wahl, ist Schröder plötzlich nicht mehr allein. Er ist, zusammen mit Fischer, zur Stütze Frankreichs und Russlands geworden, die sich gegen diesen unverschleierten Machtanspruch der USA zur Wehr setzen. Sie tun es auf dem glatten und allseits sichtbaren Parkett der UNO, und laufen Gefahr, die gesamte Nachkriegsordnung in Stücke zu reißen. Denn wer glaubt denn noch, dass Amerika sich zurückpfeifen lässt durch ein „ungerechtfertigtes“ Veto Frankreichs.

Es gibt wenige Zweifel über den Verlauf des Krieges. Massives Bombardement bricht das Rückgrat der republikanischen Garden, kaum mehr Widerstand in der Bevölkerung, erwartet werden eher jubelnde Befreiungsorgien, und dann die Übergabe der westlich geprägten Demokratie an ein dankbares Volk. Ob es so einfach wird? Kaum anzunehmen in einem Land, das nie demokratisch regiert wurde, in einer Region, die in der monarchischen Vergangenheit ruht und sich über den verbalen und verdeckten Widerstand gegen die einzige implantierte Demokratie, Israel, definiert.

Warum sollten die Kurden, Schiiten und Sunniten plötzlich zusammenarbeiten wollen, wenn die eiserne Hand, die sie jetzt zusammenhält, von ihnen genommen ist. Es hat in Jugoslawien nicht funktioniert, warum also jetzt.

Das Spiel, um dass es jetzt geht, ist nicht mehr der Irak. Nein, es ist das Fundament des Westens, das zerstört wird. Nicht durch die unbedachten Bemerkungen Schröders, nicht durch das opportunistische Machtstreben Chiracs, oder das bedächtige Taktieren Putins. Nein, allein durch die nackte Fratze des Usurpators, dem man sich unterwirft, dem man aber nicht folgt. Amerika wird Europa erneut unterwerfen müssen, um es sich als Schoßhund zu halten. Ob seine Kraft, vor allem aber sein Verständnis von legitimem Handeln ausreicht das zu tun, darf noch bezweifelt werden. Es wäre eine Katastrophe für die Welt, wenn es denn dazu käme, dass all die mühevoll errichteten Gebäude, in Form von internationalen Organisationen, wegen ein paar wildgewordener Überzeugungstäter, geprägt durch Denkmuster des Kalten Krieges, in sich zusammenfielen. Noch ist es unfassbar, in ein paar Tagen vermutlich der Beginn einer neuen Realität

9. März: Wenn ich in 3 Wochen nach Hause komme finde ich vermutlich einen unterschriebenen Beratervertrag in der Post. Der Beginn einer langen Zusammenarbeit mit der MFH GmbH. Völlig offen, ob es ein Erfolg oder Misserfolg wird. Es wäre nicht das erste Mal, dass gute Tierversuche, beim Menschen trotzdem nichts bewirken. Es wäre nicht das erste Unternehmen, dem zum falschen Zeitpunkt das Geld ausgeht. Und es würde mich auch nicht wundern, wenn mir auf halber Strecke die Kraft ausginge, das Vorhaben zumindest soweit zu führen, dass es ein guter Nachfolger weiterführen kann.

Warum tue ich das überhaupt? Die finanzielle Sicherheit spielt eine Rolle, ja, mehr aber doch das Abenteuer, die Lust am Neuen in der Umgebung, sowohl, als in der Aufgabe. Einiges ist wie beim Aufbau der Lithotripsie, anderes, wie die klinische Anwendbarkeit, ist weitaus breiter, so die Methode des Zerkochens ganzer Hirnregionen, denn tatsächlich am Menschen funktioniert. Aber schon das ist keine schwarz-weiße Entscheidung, sondern ein geduldiges Optimieren der Technologie und der Methodik. Noch ist alles im grünen Bereich. Hoffen wir, dass es dabei bleibt.

Im März: Vor ein paar Monaten wurde Gerhard mit einem Glioblastom eingeliefert. Die Operation verlief gut. Der Befund ist tödlich. Statistisch hat er eine verbleibende Zeit von 9 bis 15 Monaten. Nach einer Phase des relativen Wohlbefindens übernehmen die restlichen Krebszellen verstärkt das Kommando und ihm bleibt nur noch die Sterbehilfe.

Ich denke an unsere langen Fahrten durch die Nächte Spaniens, Nordafrikas, durch den Balkan und durch Griechenland. Er ist einer meiner wenigen echten Freunde. Wir haben nie sehr viel zusammen gesprochen, aber es war gut, ihn als Freund zu haben. Jetzt wird es ein langer schmerzhafter Abschied.

12. März: Amerika bereitet sich auf den Krieg vor und tut das ohne Enthusiasmus. 60 % der Bevölkerung sind für den Krieg, 40 % dagegen. Fox News ist klar dafür, und hat keinerlei Scheu, auch dafür zu werben. Die Franzosen kriegen die volle Verachtung eines Herrn Reilly, LA-Newshour, ab. Welch ein Kotzbrocken, der die Gesprächspartner am Bildschirm verbal ‚exekutiert’, wenn sie nicht seiner Meinung sind. Jene aber, die ihn in seiner schwarz-weißen Sicht unterstützen, die umschmeichelt er bis zur Anbiederung. Fox gehört, so glaube ich, Rupert Murdoch. Glücklicherweise kommt auch dieser Meinungspapst ans Ende seines Lebenszyklus, und lässt Hoffnung zu, dass sich dieses Forum entsetzlich flacher Berichterstattung wandelt. Denn das, was von Fox heute geboten wird, ist unerträgliche Bauernfängerei.

Aber Amerika ist nicht Fox. Das Land wacht langsam auf und fragt sich, was da läuft. Nur ein Krieg gegen den Irak? Die Antwort auf die 9/11 Attacke? Das stimmt doch schon längst nicht mehr, sagen sich zunehmend mehr Menschen im Land. Die Schlüssel-Kommentare werden nachdenklicher und bitterer. Die Los Angeles Times, die New York Times und Washington Post, erinnern sich ihrer liberalen Stärke, und wohl auch daran, dass die Argumente der Verfechter einer friedlichen, geduldigen Option gar nicht so unvernünftig sind.

Klar wünscht sich jeder Saddam Hussein weg. Aber dafür einen Krieg anzetteln, der den ganzen Westen zerreißt, der den Nahen Osten ins Chaos stürzt, die gesamte Umwelt in eine kaum steuerbare Katastrophe treibt - denn wer will den Irak daran hindern seine Ölfelder in die Luft zu jagen - das erscheint zunehmend ein zu hoher Preis.

Da ist ein enger Kreis moralisierender Hardliner im Weißen Haus, die einen unsäglich schwachen Präsidenten vor sich herschieben. Sie wollen nicht nur den Irak auf den Knien, nein sie wollen die Welt als Vasall. Sie wollen die Früchte ihrer militärischen Überlegenheit ernten, bevor sie ihnen China streitig macht. Das Ganze riecht entsetzlich nach Vietnam, und die Kissingers, Haldemanns und Ehrlichmanns zupfen am Leichentuch Nixons, damit Bush nicht zu früh vom üblen Geruch eines gnadenlosen Vernichtungskriegs erschreckt wird. Aber es sind gerade die alten Vietnam-Demonstranten, Schröder, Fischer, überall auf der Welt, die aufwachen und sich daran erinnern, dass Amerika zwei Gesichter hat. Zu oft wird die Pax Amerikana mit Rom verglichen, wobei verschwiegen wird, dass Rom nicht nur aus Gerechtigkeit bestand, sondern aus totaler Machtausübung. Dass der ‚Overstretch’, ein immanenter Zwang jeder imperialen Großmacht ist. Am Ende steht fast immer ein Monster auf tönernen Füßen, was Jahrhunderte an Interregnum bedeutet.

Ist Amerika schon dort? Es wird Zeit, ernsthaft darüber nachzudenken.

Der 11. September hat die Welt hinter Amerika vereint. Kein denkender Mensch will diesen Terror, nicht in den USA, noch irgendwo sonst. Dann kam die Hybris der New Economy. Seifenblasen über Seifenblasen. Bereicherung einiger Weniger zu Lasten der Vielen. Jetzt das neue ‚Defizit spending’ der Bush-Regierung, zu wessen Lasten eigentlich.



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