Aufzeichnungen V; 2015-2019 - Eckhard Polzer - E-Book

Aufzeichnungen V; 2015-2019 E-Book

Eckhard Polzer

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Beschreibung

Die Jahre 2015 - 2019 sind geprägt durch den Brexit und die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten Americas. Beides hat den 'Westen', wie wir ihn seit dem Zweiten Weltkrieg kannten, nachhaltig verändert. Die Aufzeichnungen V spiegeln die Sorge des Autors wieder, wie stark sich diese Veränderung auf unser Demokratie-Verständnis und vor allem die Zukunft Europas auswirken. Damit verbunden ist das wachsende Bewusstsein, dass wir, die Menschheit, an der Schwelle dramatischer Veränderungen stehen, die das Ende des fossilen Zeitalters einläuten. Und die nicht mehr zu verleugnenden Klimaveränderungen uns vor ungeahnte neue Herausforderungen stellen werden.

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Seitenzahl: 664

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Haben Sie gemerkt, dass die wichtigsten Sachen des Lebens immer jene sind, über die man nicht spricht.

Yasmina Reza, zu James Brown trug Lockenwickler

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

2015

2016

2017

2018

2019

Schlussbemerkung

Vorwort

Die Welt wartet auf die Gegenoffensive der Ukraine im Osten des Landes, um die Russen zumindest bis auf die Ausgangsposition vom 22. Februar 2022 zurückzudrängen. Letzten Endes geht es um die Krim, das seit Jahrhunderten umstrittene Juwel im Schwarzen Meer.

Doch zunehmend wird die Welt auch müde, stuft den Krieg im Osten Europas als einen weiteren Regionalkonflikt ein, der sich wenig unterscheidet von den akuten und aktuellen Kämpfen im Sudan, im Jemen, in Äthiopien und wohl auch in Syrien und dem Irak. Nur Afghanistan scheint ruhiger geworden, eingefroren in eine unsägliche Herrschaft von Gotteskriegern, deren verqueres Verständnis über die Zusammenhänge der Welt, kaum über den Rand ihrer Koran-Auslegung hinausgeht.

Europa kämpft noch um die Deutungshoheit dessen, was ein wirklicher Krieg ist, oder doch nur ein Scharmützel am Rand seiner Grenzen. Es ist die Arroganz der Imperialisten, der Kolonisatoren und ehemaligen Sklavenhändler, die immer noch glauben, sie könnten über die von ihnen geschaffenen Institutionen, die Welt nach ihrem Gutdünken lenken. Aber die Zeit der Dünkel ist vorbei, jetzt geht es um blanke Interessen, und jene, außerhalb des ‚Westens‘ tun alles um gehört zu werden und mitbestimmen zu können.

Ein Umbruch ungeahnten Ausmaßes steht an, nicht nur politisch, mehr noch bedingt durch den beschleunigten Klimawandel. Die Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt bedrohlich an, die Artenvielfalt schrumpft, die Luft zum Atmen und das Wasser, Quelle allen Lebens, wird knapp. Die Zeichen an der Wand sind nicht mehr zu übersehen, trotzdem wird um jeden kleinen Vorteil gekämpft und verhandelt, als befänden wir uns auf einem Bazar, wo derjenige mit den besten Karten gewinnt. Nichts könnte trügerischer sein, als das. Kooperation ist gefragt, wenn wir nicht allesamt als Menschheit vor die Hunde gehen wollen.

Und ungeachtet aller Schwierigkeiten hofft der Mensch, dass ihm die Technologie, die eigene Ideenvielfalt, schon noch ein weiteres Mal aus der Patsche helfen werden. Und das Urteil ist tatsächlich noch nicht gefällt, aber wir müssen aufpassen. Denn seit Jahren munkeln einige helle Köpfe, dass uns in Zukunft die Künstliche Intelligenz den Rang als Schöpfer ablaufen könnte. Es wurde als Hirngespinst von ein paar Nerds am Rand der Gesellschaft abgetan. Aber jetzt, seit ein paar Monaten, scheint es tatsächlich so weit zu sein, dass sich die ‚Väter‘ dieser Technologie ernsthaft Gedanken machen, ob wir nicht bereits zu weit gegangen sind, der Geist bereits aus der Flasche ist, und nicht mehr eingefangen werden kann. Sie rufen nach Regulierung. Doch wer könnte das tun? Der US-Kongress? Die Europäische Union? Die Vereinten Nationen? Allein schon die vielen Fragezeichen zeigen die Verwirrung. Denn möglicherweise wartet der Kleinbauer in Malawi, dem die Mais-Ernte wegen des ausbleibenden Wassers im dritten Jahr in Folge ausbleibt, dass genau das, was die Welt verdammt, ihm weiterhelfen könnte. Ein Programm, mit Zugriff auf das gesamte Wissen der Welt, das ihm die ideale Pflanzmethode für sein geplagtes Land empfiehlt, und gleichzeitig die nötigen Hilfsmittel beschafft, um zu überleben.

2015

Am 7. Januar brechen die Brüder Kouachi in die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris ein und töten mehrere Menschen. Der Aufschrei geht um die Welt und die Auflage der Satire Zeitung schnellt kurzzeitig in die Höhe, mit dem Effekt, dass das notleidende Blatt für eine Weile saniert ist. Am 9. Januar ein Anschlag von Amedy Coulibaly auf den Supermarkt Hyper Cachet in Paris. In der ZEIT vom 5. Februar sinniert Thomas Assheuer über Hannah Arents Überlegungen zum Kolonialismus und kommt zum Schluss, dass ihre Sicht: In den Kolonien verwandelten sich enttäuschte junge Männer aus Europa zu mordenden Bestien, ein gültiger Kommentar zum IS-Terror sind. Derweil formt sich in Nigeria mit Boko-Haram unter ihrem Führer Abubakar Shekau eine weitere Bedrohung, die sich aus der Frustration über einen verrohten und verrotteten Staat nährt, dessen einziges Ziel zu sein scheint, die Erlöse aus der Erdölförderung im Nigerdelta an seine Günstlinge zu verteilen.

In Syrien verliert der IS durch US-Luftangriffe und den Kurdischen Widerstand die Stadt Kobane.

Libyen: Am 16. Februar verbreitet der IS ein Video, auf dem 21 koptischen Arbeitern aus Ägypten an einem Strand die Kehlen durchgeschnitten werden. Am 26. Juni ermordet der IS in Tunesien 38 Touristen am Strand eines Hotels in Sousse. In Frank reich enthauptet ein Angestellter den Chef seiner Firma und spießt dessen Kopf neben einer IS-Flagge auf.

In Wien wird am 14. Juli das Abkommen über das iranische Atomprogramm unterzeichnet. Fast gleichzeitig steuert die Krise um Griechenland, die eigentlich eine Krise des Euro ist, ihrem Höhepunkt zu. An den Küsten der griechischen Ägäis Inseln landen immer mehr Flüchtlinge in Schlauchbooten aus der Türkei kommend. Sie sind glücklich dem Schlachten in Syrien und dem Dauerkonflikt in Afghanistan entkommen zu sein. Nichts ist gelöst, als Bernd Ulrich in der ZEIT schreibt: Die Griechen haben genervt? Die Deutschen sind stark? Die Krise ist noch nicht zu Ende und Europas Integration geht nicht streng nach Plan? Na und? Dieser Kontinent lernt gerade zu streiten und zu improvisieren. Und hat Erfolg damit. Den Krieg zwischen einem saftlosen Liberalismus und dem religiösen Fundamentalismus kann nur einer beenden - eine radikale Linke, schreibt Slavoj Zizek. Wie er sich täuschen sollte. Und in der N.Y.Times schreibt Joe Nocera, als er über die Rolle Chinas in der Finanzkrise 2009 nachdenkt, die China weitgehend unbeschädigt überstand, weil sie einfach alles an Rohmaterialien aufkauften, die sie kriegen konnten. Wie recht er hatte.

Am 30. September beginnt Russland seine Intervention in Syrien mit Luftangriffen auf Homs.

Nach dem Start in Scharm el Schaich am 31. Oktober, wird eine russisch Zivilmaschine mit 224 Touristen an Bord in die Luft gesprengt. Monate zuvor hat ein psychisch kranker Pilot seine German Wings Maschine mit 150 Passagieren an Bord, frontal und mit voller Geschwindigkeit in eine Alpen-Felswand gesteuert.

Paris erlebt am 13. November die schlimmsten Anschläge der neueren Geschichte. Die Anschläge im Bataclan, einem beliebten Treffpunkt für Musikfans, und St. Denis, fordern 130 Tote. Der IS reklamiert die Anschläge für sich.

2. Januar: Ein erster offizieller Banktermin im neuen Jahr. Stressig, aber es müsste klappen, dass wir Elenas Häuser kaufen können. Gute Hinweise von der Bankberaterin, bis zum Ende vorsichtig zu sein.

Jetzt, im Literaturhaus, einen Nachmittags-Stammtisch älterer Männer aus dem Nahen Osten vor mir, merke ich, wie misstrauisch ich geworden bin. Weiß nicht, aus welchem Land sie kommen, aber sie machen mich nervös. Fremdenfeindlichkeit? Gut möglich. Ich will Elenas Haus von zwei Türken kaufen, die ihre Begründung, weshalb sie verkaufen wollen, nach Belieben variieren. Und schon wächst das Misstrauen, was sich wohl sonst noch unter der Oberfläche verbirgt.

Hoffentlich ist es nur das Schmuddelwetter und das proppenvolle Literaturhaus Café, das mich verstimmt hat. Nach dem Teller Risotto, und einem Glas Wein, geht es mir besser.

Der Hauskauf wird so oder so stressig, aber wenigstens musste ich mich dadurch entschließen, unsere Finanzen zu ordnen. Und es ist ein Einstieg ins Vererben. Es geht los, ungeachtet irgendwelcher Blütenträume, die das Schreiben gelegentlich auslöst.

Zwischen den Feiertagen kann man nicht hierherkommen. Zu frustrierend der Laden. Anscheinend sind heute alle, die etwas umtauschen wollen, in der Stadt und viele auch hier.

7. Januar: Postbank, computer screen, Darlehenskonditionen en masse. Wie soll sich da einer auskennen. Ich füttere sie halt mit meinen Daten, und dann sollen sie mal rechnen. Zumindest erfahre ich dadurch, ob mich die HypoVereinsbank auf sympathische Art zwar, aber vielleicht doch, über den Tisch ziehen will. Wichtig ist, dass wir alle am Ende entspannt bleiben, so ist Wettbewerb eben, und Vertrauen war früher. Es war zu teuer für den vertrauensvollen Kunden. Wenn schon Kapitalismus, dann eben richtig. Mal sehen, was dabei herauskommt.

Los geh nach Hause, kopiere den Kram, den die Banken brauchen, und lass die rechnen. Wäre schön, wenn ich nach dieser Finanzierung den Kopf, wie mit einem nassen Lappen, wieder frei bekäme, um mich auf das konzentrieren zu können, was mir wichtig ist. Aber Elena hat es verdient, dass wir das Projekt gut abschließen und sie planen kann. Das will sie, ich spüre seit langem, dass sie eine Perspektive braucht.

20. Januar: Die Finanzierung der Berliner Häuser Elenas scheint jetzt zu stehen. Noch der Kaufvertrag, dann müsste im Februar alles abgeschlossen sein. Aber dann geht es erst richtig los, zumindest für Elena und Jens.

Die GbR scheint eine gute Idee zu sein, auch wenn ich das Modell an sich nicht mag, aber als Eltern hat man so oder so eine Mithaftung für seine Kinder, also hoffen wir mal, dass alles gut geht.

Hoffen allein geht nicht, es fällt mir schwer den Schalter im Kopf einfach umzulegen. Das Schreiben kommt dabei viel zu kurz. Also nach Hause, U-Bahn, alte verbrauchte Gesichter, junge, müde, überall Furcht.

Seltsame Stimmung: Pegida, Charlie Hebdo, Syriza ante portas, die EZB-Entscheidung Staatsanleihen zu kaufen, Donezk bald unter Beschuss, die Tschetschenen auf dem Kreuzzug gegen den Westen, und keine der alten Krisen gelöst. Libyen, Syrien, Irak, Iran, Eritrea, Jemen, Nigeria, alles offen.

Lohnt es sich überhaupt noch daran zu denken, geschweige denn darüber zu schreiben? Am Ende bleibt doch nur Gelächter, hat einer geschrieben. Wie recht er hat.

Krugmann reibt sich auf in der International N. Y. Times, schimpft auf die Republikaner in ihrer ganzen unverbesserlichen Verbohrtheit. Dogmatiker nennt er sie. Das Land driftet auseinander und die Menschen wenden sich ab. Die Einkommensschere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander, aber wen kümmerts eigentlich. Den Reichen kann es nur recht sein, die Armen lesen wenig, kriegen es also auch kaum mit. Und ändern könnten sie sowieso nichts daran. Die Französische Revolution wurde auch vom Adel angezettelt. Der Umschwung muss von denen kommen, die am meisten davon profitieren, dass die Gesellschaft als solche noch intakt bleibt, Leuten wie Gates, dem Weisen aus Omaha (Buffett), aber auch von Institutionen wie dem IMF oder der Weltbank, die sich nicht mehr allein zum Büttel der westlichen Mächte machen. Utopie? Ja, aber so beginnen Revolutionen.

Langsam geht es mir besser. Ich hatte Hunger und machte mir Sorgen um die Welt, die Finanzierung der Berliner Häuser, die Ungleichheit, und die Unmöglichkeit irgendwelche Lösungen in einer ausufernden, superkomplexen Welt.

Scheiß Globalisierung, wie leicht es sich sagt. Risikogesellschaft, ein toller Begriff, er hat den Vater, Ulrich Beck, nicht vor dem Herzinfarkt gerettet.

Stimmengewirr, Fragmente von Rentner-Gewäsch, Bernd, der sich vor der Pensionierung fürchtet, Helmut, der nicht loslassen kann. Ich, bei Porsche, es hat sich gelohnt und tut es noch, was jammere ich überhaupt.

Ich möchte gelesen werden, aber ich tue nichts dafür. Möchte Reflexion, aber möglichst keine Kritik (woher weiß ich das überhaupt?).

Ich wollte mit der Dornier Medizintechnik an die Börse, das Verhalten eines Lemmings, weil alle nach Höherem strebten. Grow or die, hieß es. Schwachsinn, auch heute noch. Aber um das zu erkennen braucht es Distanz, braucht es das Fegefeuer, das einem die hochfliegenden Ideen aus den Knochen brennt.

So ist es. Du klingst rechthaberisch, aber du hast auch etwas von Anis sarkastischem Humor (bayerischer Krimi-Autor, Vater Syrer, Mutter Schlesierin, aufgewachsen im Voralpenland). Warum schreibe ich überhaupt darüber?

In der uferlosen, selbstverliebten Beweihräucherung der Alten, die glücklich sind, für einen Moment ihrer Einsamkeit und Furcht vor dem Tod entronnen zu sein.

Wladimir Putin, Präsident Russlands, einem Land von 150 Millionen Menschen, die Arsenale voller Atombomben, in der Lage, die Welt zu vernichten, sagt am 25. Januar 2015 vor laufender Kamera: „Die ukrainische Armee ist eine von ausländischen Mächten gesteuerte Söldnertruppe.“

Der KGB hat sich in den Köpfen festgesetzt. In solch einer Nachbarschaft ist Tara, in Südafrika, vielleicht noch am sichersten von uns allen. Die Welt im Aufruhr, wir spüren es nur noch nicht in unserer deutschen Wohlfühl-Oase.

28. Januar: Ein weiterer Gang zur Bank. Langsam frage ich mich, weshalb ich mir das antue, aber ich habe nun mal gesagt, dass ich Elena die Häuser kaufen werde, also werde ich es auch tun.

Es ist nur so mühsam, das Gerede, das Gerangel um Positionen, das Nachsatteln. Aber es ist ja hoffentlich bald vorbei. Anfang Februar, wenn alles glatt geht, ist der Termin beim Notar.

Dabei wollte ich mit Immobilien nichts mehr zu tun haben. Aber vielleicht ist in meinem Unterbewusstsein der alte Sohn einer Bauernfamilie aufgewacht, und hat sich noch einmal in den Ring geworfen. Scheint ja zurzeit in zu sein, dass sich die Alten noch einmal, ein letztes Hurra gewissermaßen, ins Zeug legen.

Na, wird schon gut gehen. Letztlich hängt es von Elena und Jens ab, wie sie sich engagieren. Bis jetzt machen sie das prima.

29. Januar: Ein fiktives Interview:

Frage: „Was qualifiziert Sie eigentlich über solch komplexe Themen zu schreiben?“

Lange Pause, Blick auf den Fragenden, abschätzend, ob er weiß was er fragt, oder ob es nur eine belanglose Aneinanderreihung von Wörtern ist.

„Sie meinen den Inhalt meiner Bücher, oder mein Schreiben?“

„Oh, Verzeihung, ihre Themen natürlich. Sie sind so real, als hätten sie alles selbst erlebt.“

Leichtes Kopfnicken, zurücklehnen, entspannen, der Griff nach dem Wasserglas.

„Ich war ziemlich unvorbereitet auf das, was auf mich zukam.“ Zögern, lohnt es sich überhaupt? „Fünf Jahre, in und out of Schwarzafrika, Ghana noch als Student, dann im Zaire unter Mobutu, zweimal pro Jahr ausgeraubt, damals Kinshasa noch eine Perle, Lubumbashi ein verschlafenes Nest. Dann Nigeria, ein Großvorhaben, ein Fernschreib-Netz mit Vermittlungen in Lagos, Kanu, Kaduna, Maiduguri, Port Harcourt. Das Öl lag Großteils noch unter Wasser. Dazwischen ein Kind, das das Klima nicht ertrug. Es war das Ende meiner Afrika-Träume (Albträume).“ Er lehnt sich zurück, denkt nach. „Und schließlich die Zeit mit den Militärs, Bonn einmal die Woche, Washington DC, Flugzeuge, MLRS, Drohnen, der ganze Mist, den der Militär-Industrielle Komplex zu bieten hat. Lockheed (Menlo Park), Grumman, Northrop und viel Elektronik (Lorad) und SDC, CDC, die großen Software-Schmieden, und immer das schlechte Gewissen.

Die Medizintechnik kam wie ein Geschenk. Aufbau in den USA, arbeiten bis zum Zusammenbruch, als Ergebnis ein substantielles Unternehmen, dann der schleichende Niedergang, mörderischer Wettbewerb in der Nische, die falschen Mitarbeiter, der Verkauf, die Asiaten, eine unbekannte Mentalität. Und irgendwann keine Lust mehr, aber auch kein richtiger Ausweg. Chef von allem, die Arroganz wächst, die Inkompetenz auch, und trotzdem immer weiter, bis zum bitteren Ende.“

Er atmet tief durch, schüttelt den Kopf, und will nicht mehr. Reißt sich zusammen, und fängt noch einmal an: „Personalberater, ein Mist, Unternehmensberater mit verschiedenen Führungspositionen. Das verhasste Geld, Molekularbiologie, Proteomics, künstliches Herz, Knorpelersatz bei co.don, Nanotechnologie für Gehirntumore, übersteigerte Egos von Wissenschaftlern, die kaum über den Rand ihres Labors hinausdenken können. New York Dental, Melanoma, der traurige Blick auf GE’s Sanktum im Rockefeller Center. Die Frage: Wie wäre es gelaufen, wenn ich nicht die Hand von Jack Welch geschüttelt hätte. Ein Machtmensch wie Schrempp. Privat Equity, und am Ende Laurent mit seiner AirInspace, Paris, USA, New Jersey, Pennsylvania, Alantown. Und bei Co.don das Schreiben und Chris.“

5. Februar: Die unsäglichen Pegida-Umzüge scheinen sich tot zu laufen. Doch es bleiben viele Fragen offen.

Warum fallen große Teile der Bevölkerung auf so krude Ausgrenzung herein?

Warum immer wieder auf Schönschwätzer mit krimineller Vergangenheit, (Bachmann, Hitler)? Man muss sie rechtzeitig bremsen.

Warum Dresden, die ehemalige DDR?

Gibt es Analogien zwischen der DDR und Griechenland? Verletzte Gefühle, Übermacht des Ökonomischen? Die Art, wie die Deutschen mit ihrer Vergangenheit umgehen?

Gelingt es Deutschland seine gewachsene Rolle in Europa anzunehmen, ohne die anderen Länder zu verstimmen? Wir können uns nicht länger hinter Brüssel und der EZB verstecken.

Was? Ich schreibe im Grenzbereich zweier Wertesysteme. Ich schreibe in den Grenzbereichen der menschlichen Seele.

8. Februar: Ich habe mir diesen Film bis zu Ende angesehen. Margin Call, was für ein hanebüchenes Gewäsch von Leuten, die nichts von der Finanzwelt verstehen. Die Amerikaner verstehen es, aus jedem Verbrechen noch ein Rührstück zu machen. Zumindest den Sex haben sie weggelassen.

Dabei sind diese ‚Masters of the Universe‘ zurzeit der Lehman-Pleite tatsächlich nah dran gewesen, die Welt in den Abgrund zu stoßen. Und im Nachhinein haben sich ein paar der neoliberalen Sprüche durchaus als wahr erwiesen. Und vermutlich geht es jetzt schon wieder so weiter wie zuvor, nur mit anderen Algorithmen, anderen Kunst-Produkten, nur mit noch mehr Gier, mit noch mehr Geheimnistuerei. Man muss diesen Leuten das Steuer aus der Hand nehmen, aber das wird seit Jahrhunderten versucht, und will/kann nicht gelingen.

Raja Joosepi, 10:30 abends, Edward Hopper, die Stadt nur noch gedämpft am Leben. Diner ohne Bar, Nighthawk, die Möbel vom Sperrmüll, heimelig, Berlin, der alte Osten, die neue Zukunft. Glitzer ist anderswo, hier ein Ort der Erinnerung. Morgen kaufen wir zwei Häuser, Elena und ich.

Ich will, dass die Kinder eigenverantwortlich aufwachsen können. Dass sie Sachen tun können, die ihnen eine Mietwohnung verwehrt. Nein nicht mein Leben, nicht das auf dem Bauernhof, oder jenes des ziellosen Studenten, der die Welt um ihn herum hasste. Nicht das des Jungingenieurs, der von seinen Vorgesetzten als Highflyer angesehen wurde (war es meine Arroganz?) Und auch nicht der des erfolgreichen Unternehmers, dessen Absturz fast unvermeidlich war. Alle schienen es gewusst zu haben, nur ich nicht. Der Rest war Geplänkel, das sich jetzt beim Schreiben als Goldgrube erweist. (Einblicke in ein anderes Leben, als das der chauffierten Limousinen und Wolkenkratzer.)

Das Schreiben ist eine Heimkehr zu mir selbst, mehr, als ich je erwarten konnte.

10. Februar: Es ist geschafft. Wir sind Besitzer zweier Häuser in Reinickendorf, Berlin. Noch in der Einflugschneise Tegel, aber das wird sich ja bald ändern. Bald? Nein, in zwei Jahren, wenn der BER fertig ist. Elena mit Familie zieht im Juni ein, falls alles glatt geht, und die jetzigen Besitzer rechtzeitig ausziehen, wovon ich noch nicht ganz überzeugt bin.

Kann hier nicht schreiben, der Tisch ist zu niedrig. Außerdem ist mein Kopf bei Chris und in the village. Was habe ich da nur für einen Mist geschrieben, bzw., was hat mir Cecilys Übersetzungsprogramm für einen Quark geliefert. Jetzt noch ein komplettes Umschreiben und dann zu Amazon-Selfpublishing. Über Berlin, die Einsamkeit, schreibe ich später. Der Kaffee tat gut.

Es wird Zeit, dass ich diese seltsame Beziehung, die gar keine ist, beende. Auf die wenigen Telefonate, meist über Allgemeinplätze, gespickt mit Sprachlosigkeit, kann ich verzichten. Ist das Frust, dass sie mich an der Nase herumführt? Aber tut sie das wirklich? Wir reden nicht darüber, können es nicht, als hätten wir einen Block im Kopf. Aber was erwarte ich denn? Ein Mann, 71 Jahre alt, der schlecht schreibt, was bildet er sich ein?

Tara’s Gerichtstermin ist am Freitag dieser Woche. Das Sorgerecht für Momo soll ihr endgültig zugesprochen werden. Gut, aber wie lange zieht sich der Albtraum im Umgang mit einem Versager als Vater der Kinder noch hin?

Zurück zu Berlin. Die Stadt macht mich nervös, das war nicht immer so, aber jetzt nimmt die Selbstbeweihräucherung Dimensionen an, wo sich der Verdacht aufdrängt, dass die Stadt ein kollektives Minderwertigkeitsgefühl unter den Teppich kehren will. Sollte ich alles nicht so sagen, vielleicht ist es auch nur die Oberflächlichkeit einer neuen Generation, die sich aufmacht, sie selbst zu sein. Die Fesseln der 68er sind längst ab. Die Unsicherheit der Wiedervereinigung ist Selbstbewusstsein gewichen, und jetzt? Die Stadt braucht harte Fakten, braucht etwas, was sich lohnt auf die Fahne zu schreiben, nicht nur oberflächliches Gewäsch von Mode- und Film-Leuten.

Das mit dem Glitzer scheint ganz gut zu klappen, aber wo ist das Gold?

Ich will nicht in der Wunde der Flughafen-Baustelle bohren, nicht über die drei Opern nörgeln, der Fixierung auf Immobilien Tycoons (nach unserem Hauskauf denken ja sowieso manche, ich wäre selbst einer davon). Nichts davon, vielleicht bin ich auch nur neidisch auf die Jugend. Nein, das gekünstelte Ach, Ja, stöhnen ohne Grund, geht mir auf den Geist. Hustle, Bustle, New York an der Spree, falsch und doch halb richtig. Als Münchner steht mir die Kritik nicht zu.

13. Februar: Gomolemo ist jetzt Tara’s legaler Sohn. Gut so, sie wollte es. Zwei Söhne, nahezu gleich alt, Zwillinge fast, ein Vater, der sich als Versager erwiesen hat, verbindet die Halbbrüder. Bin gespannt, die drei zu sehen, vor allem Ramaru.

Diese Musik, das Meer, die Sonne, alles verbirgt sich dahinter. Sagrantino, Montefalco, ein Sehnsuchtsort, der Platz im Inneren und doch nur ein kleines italienisches Nest in Umbrien.

Wir können den Süden Europas nicht einfach abdriften lassen. Aber erpressen lassen geht auch nicht. Und sie auf nordeuropäische Disziplin zu trimmen geht schon gar nicht. Wer wollte schon die Sonne verdunkeln.

19. Februar: Frustration, aber es ist die Frustration des Glücklichen, des Habenden, desjenigen, der im Trockenen sitzt, während um ihn herum alles zu wackeln scheint.

Die Ukraine wird weiter zerlegt. Der KGB-Kopf im Kreml spielt weiter sein Spiel mit dem Land, nicht anders als zuvor in Tschetschenien, in Georgien, in Abchasien. Was will er noch? Die EU destabilisieren, sie gefügig machen, auseinandertreiben wie eine Horde Schafe?

Und Griechenland? Es hat ein paar schlaue Köpfe gewählt, die sich nichts mehr bieten lassen, auch auf die Gefahr hin, dass sich der Euro in Luft auflöst, wie so manche Gemeinschaftswährung zuvor, der das solide Fundament fehlte. Und wenn der Euro geht, warum nicht die EU gleich mit.

Junker denkt, er kann den Kohl nachahmen, der alles mit Geld zuschüttete, wenn es mal geklemmt hat in Europa. Aber geht das heute noch? Wenn irgendetwas dran ist, was wir lesen, dann wohl nicht. Wer will auch schon Korruption und Vetternwirtschaft auf Dauer fortschreiben. Aber warum auch nicht, jeder bekommt sein Spielzeug dadurch, bezahlt wird der Schlamassel ja dann von den anderen, den Reichen. Dabei geht es den Slowaken weit schlechter als den Griechen, und der neueste Armutsbericht zu Deutschland ist auch nicht von Pappe. Zwölf Millionen Menschen unter der Armutsgrenze. Wer kann da noch von Gerechtigkeit schwadronieren. Die Mittelklasse bibbert, hat Angst abzurutschen. Die Akademiker gehen auf die Straße, treffen sich mit gescheiterten Handwerkern und Selbstständigen auf dem Weg nach unten. Pegida hat sich totgelaufen, aber die Stimmung ist nicht besser, eher schlimmer, nur jetzt in der stillen Kammer jederzeit bereit hochzukochen, und irgendeinen dahergelaufenen Aufwiegler zu wählen. So es denn in Zukunft überhaupt noch etwas zu wählen gibt. - Frust.

Die Terroristen, die Kopfabschneider bekommen die Frontseite der Süddeutschen Zeitung. Wer braucht die Vita eines al-Baghdadi? Damit wir uns noch mehr gruseln können, als reiche es noch nicht, was im ganzen Nahen Osten abläuft. - Frust.

In der Zwischenzeit betreibt der Staat eine eigene Airline, um der Wirtschaftsflüchtlinge Herr zu werden und die Abschiebung nahtlos organisieren zu können. Rein bei Nacht und Nebel, Asylantrag, Abschiebung zwei Wochen später. Der ganze Zirkus beginnt von Neuem.

Frankreich wackelt, Italien kriegt keine Luft, England wählt, und hat sich schon mehr oder weniger verabschiedet von einem Kontinentaleuropa, das auseinander zu fallen scheint. Die kleinen lachen sich ins Fäustchen, die Fördergelder sprudeln, Barroso genießt seine Pension, sie sei ihm nicht vergönnt. Und Juncker spielt den Saubermann, den Integrator, der alles zusammenhält. Aber viele Sprachen allein reichen nicht. Integrität, Ideen, Mut, wie wäre es damit. - Frust.

24. Februar: Wartezimmer, nur ich und zwei Männer, die sich in einer Sprache unterhalten, die ich nicht verstehe. Beklemmendes Gefühl. Wie muss es für Flüchtlinge sein, die es bis nach Deutschland geschafft haben, und an jeder Straßenecke, jeder Regung ihres Gegenübers merken, dass sie nicht willkommen sind. Dabei müssen wir lernen mit diesen Unsicherheiten umzugehen, denn es ist erst der Anfang. Der Nahe Osten kommt noch Jahre nicht zur Ruhe, so er es jemals schafft.

Mooi River: Christina und Verena in Nairobi

Verena: ‚Und das glaubst du, einfach so? Einem übergewichtigen, alten Mann. Viktor hat ihn einmal beschrieben, Fett und durchtrieben. Warum sollte ausgerechnet der die Wahrheit sagen?‘

‚Warum nicht? ’

‚Weil sie Viktor auch umgebracht hätten, aber sie führen wahrscheinlich etwas anderes im Schild. Und dich benützt dieser Slate, um Viktor noch mehr ins Schlamassel zu treiben. ’

‚Der Grund sind die Antonovs, sie wollen alle drei. ’

‚Das könnte sein, daran habe ich nicht gedacht. ’

‚Siehst du. ’

8. März: Der erste warme Tag. Ein Sonntag an dem alle den Winter satt zu haben scheinen. Die Straßen fließen über, die Lokale sind voll. Die Menschen verhalten sich wie die restliche Natur auch. Sie kommen aus ihren Löchern, als hätten sie einen Kalender unter der Haut implantiert.

Mooi River: 18. Kapitel: Fahrt ins Camp. Sie fahren durch, wechseln sich ab. Christina spürt Verenas Verspannung, sie sprechen kaum etwas. Es wird dunkel, aber sie fahren weiter. Einzelne Figuren am Wegrand, wie Wachposten auf einen langen Stock gestützt. Hunde, streunend, immer in Gefahr überfahren zu werden. Spät in der Nacht erreichen sie das Lager. Stockdunkel, aus einzelnen Zelten Kerzenlicht. Vom Überfall ist in der Dunkelheit nichts zu sehen. Nur die unwirkliche Stille deutet darauf hin, dass etwas Schreckliches vorgefallen sein muss.

‚Du fühlst dich verantwortlich’, sagt Christina.

‚Natürlich. ’

‚Du hättest es nicht verhindern können, wenn du hiergeblieben wärst. ’

‚Ich weiß, es ist trotzdem ein schreckliches Gefühl, nicht zu wissen, was wirklich passiert ist. Die paar dürren Wörter der SMS sind eher verwirrend. ’

Still Alice, ein Film der im Gedächtnis bleibt, auch wegen Juliane Moore, deren Spiel herausragt. Nicht umsonst hat sie den Oscar dafür bekommen.

Susan belastet das Thema Alzheimer, die Angst vor dem Kontrollverlust, die Unfähigkeit zu lesen, zu verstehen, zu handeln. In der Tat eine Horrorvorstellung, aber ich verdränge sie, schiebe sie in die Statistik, hoffend auf der Seite derer zu sein, die gebrechlich zwar, aber klar im Kopf im Sarg landen. So ist der Lauf der Dinge, so soll er sein. Lebe den Tag, höre das Geschwätz, ärgere dich, lache darüber und tue so als beträfe dich nichts davon.

Verdrängen? Ja, natürlich. Das Schreiben hilft. Die Figuren halten mich am Leben, sie haben alles, Vitalität, Sex, Träume, Verzweiflung. Aber es ist immer die Verzweiflung dessen, der eine zweite Chance bekommt. Die Realität in meinem Alter, sieht anders aus.

Jetzt freue ich mich auf Elenas Umzug, auf das Haus, wie es die Familie mit Leben füllt, und wie ihm die Kinder ihren Stempel aufdrücken. Der Hof wird laut und lebendig werden. Die Wände kreativ, Fantasie umgesetzt in Bilder und Handlungen, was kann es Besseres geben als Leben.

Bei Tara und den Jungen wird es ähnlich sein. Anfang Juni wird die Scheidung perfekt sein. Sie wird in einem neuen Haus in Joburg leben. Die Jungs werden wie der Teufel Fahrrad fahren. Wenn sie auf die Nase fallen, werden wir sie verarzten. So ist das Leben, und es ist gut so.

12. März: Plötzlich leuchtet die Erkenntnis aus diesem einen Satz, der in einer Kritik über das Buch der dunkle Fluss stand: ‚Es geht um den Menschen, seine Angst vor der Moderne’, oder: ‚Um die Angst des modernen Menschen zu versagen’. Oder: ‚Es geht um den Menschen, dem Übergang vom Heute in die Moderne. ’

Feilen, feilen, aber es beschreibt das, was Die im Schatten…, und Mooi River aussagt. Ein Buch, denn eigentlich ist es nur eines in zwei Epochen. Heraus aus dem Kalten Krieg, der alles an Sutter geprägt hat, hinein in die sich abzeichnende Digitalisierung, die alles durchdringt. Das, was die Einzelfiguren tun, ist eigentlich unwichtig. Es zählt nur, wie sie es tun, ihre Gedanken, ihre Handlungen.

Vieles kommt zusammen. Die Menschen in meinen Büchern beginnen zu leben. Sie haben die alte Stammtisch Sprache abgelegt, und tauchen ein, in eine klare, komplizierte, aber nachvollziehbare Welt.

Nichts zurzeit ist mehr einfach. Es ist eine Illusion, die Literatur auf das gute, einfache Leben zu reduzieren. So ist die Welt schon lange nicht mehr, und die Romantik ist kein Ausweg.

Ich rede nicht nur von der Ukraine, von den Griechenland-Tricksereien, vom IS, den Flüchtlingsströmen und individuellen Katastrophen. Ich rede über alles gemeinsam, raus aus dem Nachbarschaftskrimi, dem ortsansässigen Tatort mit der Currywurst am Rhein. Ich rede von einer Welt im Halbschatten, wo die Graubereiche ineinander übergehen, und nichts übrigbleibt als eine undefinierbare Suppe aus Frustration und gelegentlicher Euphorie, die gerade ausreicht, den nächsten Tag zu überleben.

Reden in der Kneipe: ‚Und dann waren wir in so einem deutschen Hotel, an der Wasserseite. Dort, wo ich die guten Schuhe gekauft habe.‘

‚Ja, in dem Ayurveda Club, die Leute dort haben richtig geschuftet. Aber ich habe kein solches Angebot mehr gefunden.‘

‚Hat Spaß gemacht, aber es kommt nichts mehr.‘

‚Ich hab’s geliebt. Sachen eingekauft, den Tee und so. Ach es war Wahnsinn.‘

‚Bin ich froh, dass ich hingefahren bin, und das gemacht habe. Es war im April 2010.‘

‚Und ich hab’s gemacht, weil ich wusste, dass ich meine Energie noch brauchen würde...‘

Gerede, unendlich mäanderndes Gerede: ‚Habe von Nepal gehört, auch sehr schön...‘

Kann man so etwas schreiben? Klar kann man, aber wer will es lesen?

‚Kambodscha da waren wir noch nicht. ’

‚Ist auch sehr schön. Nicht so wie Vietnam. Das ist mein Essen.‘

‚Kreolisch ist auch gut, kalorienarme Gerichte, sogar die Nachspeisen. ’

‚Na, ja, alles ist schön, aber hier ist es auch gut. ’

‚Ehrlich gesagt, hätten wir …Ich muss dahin, wo es nicht regnet’.

Mooi River: Muss aufpassen, dass mir Christina und Verena nicht zu pathetisch geraten. Sie reden, als ob sie die Welt retten müssten. Ist zwar mein gegenwärtiges Gefühl, dass das jemand übernehmen müsste, aber was sollte das schon sein? Also raus bei der Text Überarbeitung.

Christina: Die harte, kaltschnäuzig halten.

Verena: Die nachdenkliche, um den Ausgleich bemühte. Die nicht so richtig weiß, wo sie hingehört und es möglichst allen recht machen will, dabei aber ihr eigenes Kind übersieht.

Die Jelinek geht wieder vorbei. Karotten Haare. Der Lebenspartner schwarz gefärbt. Beide merklich älter geworden. Das ist der Lauf der Dinge. Nichts wird sich ändern, egal, ob ich einen Verlag finde oder nicht. Ich will nur dieses Schreib-Konvolut nicht wie eine Schutthalde zurücklassen., wenn ich mich verabschiede. Also überarbeiten und publizieren, dann ist es festgezurrt, schlecht oder gut, das sollen dann andere beurteilen, so sie denn Lust dazu haben.

Dimitri von Wodkaselig. Könnte passen für den Waffenhändler in der Ukraine.

14. März: Was bin ich als Schriftsteller? Ein Müllberg-Schürfer, der verwendbare Wortkaskaden wie Edelmetalle aus dem Jahrzehnte alten Schreib-Müll, der sich in seinem Kopf angesammelt hat, ausgräbt, und zu Smartphones (Zukunft) verwandelt? Vielleicht hat Susan deshalb gesagt, ich wäre ein ‚Vergangenheitsveredler’. Gefällt mir.

Die Jelinek ist in meinen Augen eine Architektin der Worte, während all die Abgänger der Literaturschmieden und Schreibschulen nicht viel mehr als Baumeister sind.

Leviathan - Russland: Welch ein Porträt einer Weltmacht im Niedergang. Beziehungen sprachlos, nur Andeutungen von Liebe, eher Verzweiflung. Verfall der Umgebung, Sowjetmacht dem Rost preisgegeben. Moral nirgends auch nur zu ahnen. Macht in brutalster Form geht über Leichen. Gesetz abwesend, vorgetäuscht, bar jeden Vertrauens. Auflösung, Gewalt, Trunkenheit, Besinnungslosigkeit. Trostlos nicht nur die grandiose aber unmenschliche Natur, nein alles.

Josef Haders Spruch: Ich stell mir ja für mein Leben immer ganz entsetzliche Entwicklungen vor, damit ich dann froh sein kann, dass es nicht ganz so gekommen ist. Ist wohl die österreichische (deutsche) Variante von Optimismus.

21. März: Die erste Lesung von Die im Schatten…: Peter und Michi, Konrad, Christian und Bärbel, Gabi und Gerd. Susan natürlich, sie hat sich wie immer übertroffen als Gastgeberin.

Eine gelungene Veranstaltung. Ich könnte lauter, akzentuierter lesen, aber das kann ja noch kommen.

Die Kritikpunkte:

Peter: Die Figuren sind leblos, er kann sie sich nicht vorstellen, die Stimmungen dagegen schön. Ein bisschen das Gefühl, dass er neidisch ist, warum sonst wiederholt er Hinweise auf seine tausende geschriebenen Seiten als Rundfunk-Journalist. Was habe ich damit zu tun, außer er spricht mir die grundsätzliche Fähigkeit, vielleicht sogar das Recht ab, überhaupt zu schreiben. Wie kann das sein, es darf nicht sein, dass ein abgehalfterter Manager, noch dazu Rentner, im Alter noch Romane schreibt.

Michi: Gefällt ihr nicht. Sie will, dass ich wie ein Karbacher schreibe, ruhig, gelassen, weitschweifig, kleinteilig. Okay, passt auf Karbacher. Doch ich kann es nicht, will es nicht. Nicht nur die Leser sind verschieden, auch die Autoren.

Konrad: Sehr konstruktiv. Die Hinweise auf die DDR, den Besuch Kofis und Hannas werde ich ergänzen. Wolfasept, der Geruch der DDR. Der Stasi Typ ist zu verständnisvoll, stimmt, ich wollte ihn so. Konrad sieht eher das militärische, keine Beamten, Roboter, Angst. Stimmt, nähert sich aber auch wieder dem Klischee an, das er verabscheut. Weniger Adjektive.

Christian: Wie immer freundlich unverbindlich. Sucht weniger Dialog, mehr das Schildern von Stimmungen. Denkt, da liegt meine Stärke. Eine unterschwellige Abneigung gegen alles Afrikanische?

Gabi: Sehr unterstützend, neugierig, wie manche Episode nun weitergeht.

Gerd: Sehr unterstützend. Ich glaube es hat ihm gefallen, ohne dass er es explizit gesagt hat. Nahm immer eine Gegenposition zu Peters Grummeln ein. Findet Adjektive kein No No, eher gut zur selektiven Situationsbeschreibung.

Am Ende fragt Konrad nach mehr, das schönste Kompliment.

In Summe fühle ich mich bestätigt auf meinem Weg. Plot okay, vielleicht noch verdichten, Thema ok. Menschen in ihrer Verlorenheit in einer globalen Welt, der Moderne. Allein die Disparität der Meinungen bestätigt das.

Weitermachen, der Hauskauf in Berlin, die Sorgen um Tara, die sich jetzt gut anhört, haben mich lange abgelenkt. Es wird noch eine Weile so bleiben. Schön ist, dass Susan sich auch bestätigt fühlt. Ich spüre so einen Wandel in ihrem Blick auf mein Schreiben.

Muss the village veröffentlichen und mit den sozialen Medien beschäftigen, sonst erfährt nie jemand, was in meinen Büchern steht.

14. April: M. Ciminos Heavens Gate wieder gesehen, diesmal bis zum Ende. Ein erschütterndes Spiegelbild der amerikanischen Gesellschaft, Wurzel vieler Übel, die das Land auch heute noch plagen. Bigotterie, Rechtsbeugung, schlimmer noch, das Recht an der Macht auszurichten. Siehe auch Bushs Einmarsch im Irak in 2003. Und dann doch wieder die Großzügigkeit der Menschen, der Zusammenhalt.

Thematisieren zwischen Viktor und Joao in Mooi River, moderne Adaption. Waffenhandel eine Form von: Das Recht in die eigene Hand nehmen (Viktor) Kampf für den Underdog (Joao).

5. April: Wim Wenders everything will be fine. Ein Schriftsteller, gefangen in den Verstrickungen eines tragischen, unverschuldeten Unfalls.

Ärgerlich ein junges Paar, das in den falschen Film geraten war und jetzt durch besonders lautes Rascheln ihres Popcorns und Nacho Containers auffallen wollte.

‚Irgendwie’, sagt die Tochter des Schriftstellers. Welch ein überstrapaziertes Wort finden beide. Ähnlich wie ‚eigentlich’, das sich in jedem zweiten deutschen Satz wiederfindet. Und dann die Erklärung des Schriftstellers, dass er mit jedem neuen Buch etwas besser würde. Dass er sich scheue den Einfluss des Unfalls auf sein Schreiben einzugestehen. Es ging mir nach, Okavango ähnlich.

13. April: Südafrika, noch in Phokeng, aber in Gedanken bereits in Johannesburg. Taras Zeit bei den Bafokeng geht diese Woche zu Ende, sie wechselt zu Social Surveys Afrika, eine Beratungsfirma mit Sitz in Joburg. Die Jungs sind prächtig geworden. Sie beschäftigen sich schon ganz gut selbst. Das ganze Hin und Her mit der Scheidung, dem Jobwechsel, dem Orts- und Schulwechsel, scheint sie nicht zu tief zu beunruhigen. Trotzdem fragen sie häufig nach ihrem Vater, den sie anscheinend vermissen, egal wie schäbig er sich verhält.

An mir merke ich nur, wie mich die dauernde Erinnerung an den Mann verstimmt. Und wenn ich nicht aufpasse, übertrage ich diese Missstimmung auf die Kinder. Es wird lange dauern, bis Tara diese Ehe, die sie mit riesigen Hoffnungen begann, hinter sich hat. Vermutlich bleibt ihr ein Schatten davon erhalten, solange sie lebt.

Plettenberg Bay im Süden Afrikas. Nicht am letzten Zipfel, wie Kapstadt, aber schon nah genug an der Antarktis, um die ersten Anzeichen von Spätherbst zu spüren. Nichts im Vergleich zu uns im Oktober, wo ein plötzlicher Wintereinbruch die Natur und die Menschen schlagartig auf sich selbst zurückwerfen kann. Die Sonne ist jetzt gnädig hier, doch immer noch stark genug, um einen veritablen Sonnenbrand zu verpassen.

10. Mai: ‚Ich schreibe, um zu erfahren, was ich denke’. Susan Sonntags Spruch am jüdischen Museum München.

Balagan, Doku, 1993 gefilmt, ein Theaterstück in Accon, Israel, mit palästinensischer Beteiligung. Die Wucht des Stücks ist überwältigend, Andres Veiel hat daraus einen zeitlosen, wichtigen Film gemacht, der einen ratlos zurücklässt. Es scheint für das Land zwischen Wüste und Meer, gefangen in mehrtausendjähriger Geschichte, gefangen in einem unentwirrbaren Bruderkampf, kein Entrinnen zu geben. Kain und Abel, immer noch, und immer wieder, wie in einer Endlosschleife aus Hass und Verzweiflung.

Marikana - Doku: miners shot down.

Cedric Ramaphosa, Chef der National Miners Union stellt sich hinter Lonmin, einer Mine im Besitzt der Engländer.

Minority Gewerkschaft, Joao unterstützt sie. Nelio spricht mit Verena über Joaos Tod bei der Demo.

-Die Arbeiter waren nicht gewalttätig.

-Es gab eine Untersuchung, aber die Regierung, der ANC, unterläuft bis heute jedes Ergebnis.

-Es sind immer noch einige Minenarbeiter unter Mordverdacht angeklagt.

- ‚Ich habe Joaos Leichnam geholt. Da steht heute ein Feld weißer Kreuze, wo die 34 Arbeiter und mein Junge gestorben sind.‘

- ‚Wir wollen kein Papier, wir können nicht lesen. Wenn wir lesen könnten bräuchten wir schließlich nicht mehr unter Tage für einen Hungerlohn schuften.‘ Ein Minenarbeiter zum Sicherheitschef der Lonmin, der ihn zur Aufgabe bewegen will.

-Anführer der Arbeiter, grüne Decke um die Schulter geschlungen.

-Ausschuss zur Wahrheitsfindung, eine Farce der Regierung zum Zweck der Verschleierung.

-Regionaler Polizeichef, eine schwarze Frau.

-Nationaler Polizeichef, eine schwarze Frau.

-Ramaphosa, 700 Millionen Dollar schwer, wie geht das, als Gewerkschaftsboss? Er sahnt ab, korrupt bis auf die Knochen.

-Aber stimmt das?

Verena bemerkt das Schild Marikana auf der Fahrt zu Joao in Phokeng. Das war noch vor dem Streik, und als sie von dem Massaker las, erinnerte sie sich an das Schild. Da wusste sie noch nicht, dass Joao darin verwickelt war.

-Die Arbeiter trugen nur Stöcke und selbst gebastelte Sperre.

-Ist die Gewalt in den Männern verwurzelt?

-Sie wollten nur mit dem Management von Lonmin ins Gespräch kommen. Sie wollten 12500 Rand Monatsgehalt, 1250 $ für eine elende Arbeit, Rock Drilling. Ohne sie ist Lonmin, keine der Minen, irgendetwas. Sie verstehen nicht, dass in den oberen Etagen das Geld abgeschöpft wird. Warum? Nur weil die Männer und Frauen dort lesen und schreiben können.

Greg Marinovich, Fotograf während der Township Unruhen in den Neunzigern. Er war mitten drin. Seine Bilder zeigen eine ruhige, aber entschlossene Gruppe, auf dem Kopie (Felsenhügel), auf dem sie sich niedergelassen haben, um nicht auf dem Gelände von Lonmin zu kämpfen, was gesetzeswidrig gewesen wäre.

Miners shot down, von Rehad Desai, Dokufilm

-Verstörend, sagt Susan,

-Aufwühlend finde ich, wegen Tara, den Jungs in Südafrika.

-Dem Land, das gerade dabei ist seine Zukunft zu verspielen, und in einem Sumpf aus Korruption und Nepotismus zu versinken.

-Ich sehe den Bürgerkrieg von mir, in 10 bis 15 Jahren, wenn es so weitergeht wie bisher. Und dann werden die Jungs, dann junge, möglicherweise verbitterte Männer, mittendrin sein.

26.Mai: Heute habe ich nach langem Zögern The Village bei Amazon Kindle ins Netz gestellt. Warum zögernd? So recht weiß ich es nicht, es ist nur das unbestimmte Gefühl etwas zu tun, das ich nicht ganz verstehe. Denn mir schwant, dass es erst der Anfang ist. Dass ich jetzt auch noch in eines, oder mehrere der sozialen Netzwerke muss, um das Buch, oder die Bücher, irgendwie zu betreuen, damit sie nicht einfach in einem Meer von Veröffentlichungen versinken.

Und dann endlich zurück zu Mooi River, die Figuren reißen seit Wochen bereits an der Leine und wollen, dass ich abschließe. Aber zumindest Marikana muss noch hinein. Das Treffen Nelios mit Verena nach Joaos Tod.

Und dann der Schluss. Hoffnung? Ja schon. Verena und Joao jr., die Freuden einer selbstbewussten, alleinerziehenden Mutter, die den Vater des Kindes - Joao - geliebt hat, aber nie den Mut besaß dazu zu stehen (das schwarz-weiß Thema).

Und Christina, die Lesbe, die manchmal noch trauert um Jean Juni, denn letztlich hat sie durch ihn den Frieden mit ihrer deutschen Mutter geschlossen.

Und wieder marschiert die Jelinek mit ihrem Partner vorbei. Sie geht wie ein Mann, nachlässig ihrem Äußeren gegenüber. Müssen Wort-Menschen so sein? Nein, jeder/jede nach der eigenen Fasson. Weiter, immer weiter, das Ende kommt früh genug.

29. Mai: Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht. The Village erscheint bei Amazon, aber es wirkt amateurhaft zusammengeschustert. Es ist vorerst nur als E-Book verfügbar. Wenn ich es drucken lasse, muss ich besser auf das Erscheinungsbild achten. Ist mir aber nicht so wichtig.

Wichtiger ist, wie ich mit die im Schatten umgehe. Vielleicht zurück zu Books on Demand, da werden zumindest die Formatierungsfehler vermieden.

Wichtig ist mir aber, dass ich wieder zum Schreiben komme. Aber irgendetwas hindert mich daran, ohne dass ich sagen könnte was es ist. Zuerst dachte ich es wäre die Südafrika Reise, die Erleichterung darüber, dass Tara, die Jungen, vielleicht doch ins Lot kommen. Aber jetzt ist der Mai vorbei, wir sind seit einem Monat zurück und ich habe nichts geschrieben, außer eine konzentrierte Vita und das Kurzexposé von die im Schatten, das ich an Kunstmann und Matthes und Seitz geschickt habe. Vermutlich warte ich, ohne zu wissen auf was. Geduld gehört aber nicht gerade zu meinen Stärken.

Geh nach Hause, setz dich an den Computer, ändere das Kapitel über Lagos und ergänze die Episode zu Joaos Tod in Mooi River. Tue es einfach, und hör auf zu jammern.

Warum habe ich nur jemals gedacht, dass all das, was anderen Schriftstellern zustößt, für mich nicht gilt? Weil ich zu alt bin, zu erfahren, zu skrupellos, um zu merken, dass es mir schlecht geht? Vermutlich von allem etwas. Vielleicht ist das Schlimmste, was mir im Weg steht: Meine Unfähigkeit zum Smalltalk.

Diese Wut über das banale Gerede um mich herum, die sich dann in meinen Texten in Schwere und Besserwisserei niederschlägt. Es lässt sich nicht mehr ändern. Will ich auch nicht. Also mach halt weiter und versuche nicht am Weltgeschehen zu zerbrechen.

Tara ist seit dem 4. Juni 2015 geschieden. Welch eine Erleichterung. Sie hört sich an, als wäre sie befreit von einer Last. Die Jungs, die bleiben ihr. Wenn sie reisen dürfen, vielleicht schon zu Weihnachten, wäre es schön sie hier zu haben.

8. Juni: Hey, es tut sich einiges zurzeit. Sieht aus, als würde manches besser. Besser? Aus welcher Sicht? Das Protokoll vom G7-Gipfel liegt noch nicht vor, also bleibt Hoffnung. Nur Bilder vor Alpenpanorama, ja geht es denn noch. Obama mit Gamsbart-Hut? Er hat es sich Gott sei Dank verkniffen. Irgendein Idiot in der CSU ist bestimmt auf die Idee verfallen.

Nur die Griechen bocken noch. Aber irgendwann geht auch das zu Ende, und dann werden sie sich soweit ins Abseits bewegt haben, dass sie keiner mehr haben will. Ein desolater Staat, eingezwängt zwischen Balkan und Türkei, was für ein unbequemer Platz, aber da befanden sie sich immerhin die letzten 1000 Jahre. Nur die Demokratie-Nostalgie der Europäer hat sie da rausgeholt. Mit verheerenden Folgen für alle. Jetzt wird es Zeit das Kapitel zu schließen. Die Drachme ist auch eine schöne Währung, und Putin ein verlässlicher Partner, wenn man nicht gerade in einem russischen Gefängnis landet. Zynismus? Ja! Tut gut, Bullis und Schlaumeiern auf die Zehen zu treten.

Und Anshu Jain ist weg. Ein raffinierter Investmentbanker weniger. Er wird woanders als bei der Deutschen Bank wieder aufschlagen. Reich genug ist er, und kann auch auf einer Insel darüber nachdenken, was er falsch gemacht hat.

Und Gysi ist auch weg. Kein charmantes Rechthaben über ‚Nichts’ mehr. Eigentlich schade, jetzt müssen wir uns das Gestammel eines Hofreiters anhören. Aber vielleicht nimmt er ja bei Gysi einen Rhetorikkurs, jetzt, da es bei dem um nichts mehr geht.

Und am besten: Erdogan hat es nicht geschafft zum gewählten Autokraten aufzusteigen. Hitler lässt grüßen, der hat es geschafft, ein zutiefst verstörtes Land hinter sich zu bringen. Aber es geht anscheinend nicht immer, Türkei und den Kurden sei Dank.

Die letzten beiden Tage nichts getan, als Edgar Reitz’ Heimat zu sehen. Remastered, toll, schmerzhaft, einsichtig. Mein Gott, wie viel Schutt unter der Haut liegt.

11. Juni: Ich schreibe immer häufiger mit verdrehten Buchstaben. Am Computer gleicht es das Korrekturprogramm häufig aus, ohne dass ich es merke, aber hier, bei Klarschrift, ist es lästig. Grund zur Sorge? Warum nicht, nur eine mehr. Es ist das Alter. Michi meint, das Altwerden sei nichts für Weicheier. Ein gängiges Klischee, das auch noch stimmt.

Am meisten nervt mich im Moment der ganze IT-Kram, weil ich dadurch nicht zum Schreiben komme. Ein Blitz zu viel, elektromagnetischer Puls, irgendeinen Sinn muss meine militärische Vergangenheit doch haben, und schon muss alles neu programmiert werden. Ich hasse das, weil ich es nicht kann, nicht will.

Lauter alte Weiber mit flachen Ärschen schleichen hier vorbei, dabei habe ich mich eigens nach Innen gesetzt, um ihnen zu entkommen. Einsiedelei, ein zunehmend attraktives Konzept. Aber noch wäre es zu egoistisch und später wohl auch zu beschwerlich.

Und dann ist da noch die Geschichte mit Griechenland. Aus meiner Sicht sind ein paar grandiose Amateure an die Macht gespült worden, deren Expertise bestenfalls aus dem Spielcasino stammt. Warum eigentlich nicht? Sie sind nicht die Einzigen, die mit dem Geld anderer spekulieren. Aber leider geht es um mehr, um den Zusammenhalt Europas, um ein Modell, das Bestand haben sollte für Generation, und jetzt wird es von den Russen und ein paar Dilettanten zertrümmert.

So hilflos habe ich einen Verbund von Demokratien nicht erlebt, seit ich denken kann. Jedem, der an dem Staatenbund zündelt, sollte ein Gang durchs Münchner- und Berliner NS-Doku-Zentrum aufgenötigt werden. Lang genug, damit wirklich einsinkt, was im 20. Jahrhundert passiert ist, weil man ein paar Ideologen und Schlaumeier mit kruden Ideen spielen ließ, bis es zu spät war den Flächenbrand zu stoppen.

30. Juni: Heute entscheidet sich das Schicksal Griechenlands, heißt es landauf landab. Was für ein Schwachsinn. Das Land lebt seit tausenden Jahren, und gilt als die Wiege der Demokratie. Es wird weitergehen, vielleicht nicht gerade im Party-Modus, wie nach der Einführung des Euro, wo Heerscharen unqualifizierter Menschen zu Staatsdienern gemacht wurden, weil sie unter wechselnden Regierungen das richtige Parteibuch besaßen. Es kostete ja nichts, es waren die Schulden ‚der Anderen’. Und jetzt, wo die Renten dieser Leute fällig werden, und kein Geld da ist, weil die ‚Anderen’ keine Lust mehr haben für die griechischen Eskapaden aufzukommen, ist das Geschrei groß. Aber es ist das Geschrei von Menschen, die schon den Römern, den Byzantinern und den Osmanen auf den Wecker gingen. Schluss mit historischen Vergleichen, für den Einzelnen stimmen sie nie. Der steht vor dem Bankautomaten, kriegt bestenfalls noch 60 € pro Tag ausgezahlt und beginnt zu begreifen, dass er eine Regierung von Zockern gewählt hat. Die zwar das restliche Europa unter Spannung setzt und die Welt prächtig unterhält, dabei aber nur ein Schauspiel, eine Tragödie, die Farce eines schlechten Mimen aufführt, der selbst nie dran geglaubt hatte, je in die Position eines Ministerpräsidenten gewählt zu werden. Tsipras, der sich für seinen Hof (Syriza) als Harlekin einen Motorradfahrenden Finanzminister gewählt hat, der ex Kathedra die Europäer zu seinen neostalinistischen Überzeugungen bekehren will. Was für ein absurdes Stück auf einer unbedeutenden, schlechten Bühne. Es wird Zeit für den Abgang.

Europa wartet auf das Referendum Griechenlands am Sonntag, falls es nicht doch noch abgesagt wird. Es wäre nicht verwunderlich bei den Purzelbäumen, die die Tsipras Regierung aufführt. Und Europas Ungeduld wächst, denn einerseits hat die Krise gezeigt wie reformbedürftig die Institutionen Europas sind, andererseits absorbiert das Gerangel fast alle verfügbaren Energien, um doch noch einen drohenden Kollaps zu vermeiden. Zu unwägbar sind die Auswirkungen. Aber dass etwas passieren muss, dass ein weiter so wie bisher, nicht mehr geht, dafür wird schon das Referendum in England sorgen. Das hoffentlich besser vorbereitet wird, und substanzielle Verbesserungen im Umgang der Staaten miteinander bringt.

Wer ist schuld an der Misere? Ist die Frage überhaupt sinnvoll? Tsipras, klar, der Mann ist ein ideologisch geprägter Amateur, den die seit Jahren verfahrene Lage Griechenlands nach oben gespült hat. Und jetzt weiß er nicht damit umzugehen.

Merkel, Schäuble wohl auch, weniger wegen deren Unnachgiebigkeit, wohl eher aus der Unfähigkeit oder Unmöglichkeit ihre Position zu erklären.

Junker hat in meinen Augen ein Gutteil dazu beigetragen, dass aus Griechenland permanent widersprüchliche Signale kommen. Das Schulterklopfen und Wangentatschen haben nicht geholfen eine klare Linie zu vertreten. Natürlich interpretieren die griechischen Politiker solche Gesten jedesmal als: Da geht noch mehr. Die brauchen uns mehr als wir sie. Europa ist erpressbar.

Und jetzt geht den griechischen Banken das Geld aus, und die Schlangen an den Bankautomaten werden länger. Die Renten sind sicher, heißt es vor dem Referendum, das die Regierung mit einem Nein bescheren will, ohne sagen zu können weshalb. Hat sie denn noch Geld in einer Geheimschatulle? Wenn nicht, ist so ein Handeln Grund für eine Amtsenthebung. Es bleibt spannend.

Und jetzt? Erst einmal die warnenden und besorgten Leitartikel, als könnten sie im Endspurt noch etwas bewegen. Dabei haben sich die Lager, wie in einem unversöhnlichen Bürgerkrieg, längst verfestigt. Eine Woche wie nie zuvor in Europa, schreibt einer, der vielleicht gerade 40 ist, und sich an etwas anderes als das friedfertige Europa nicht erinnern kann.

Die Woche wird vorüber gehen, die Kommentare, egal ob Ochi oder Nai, werden fließen, vielleicht überlaufen vor Rechthaberei. Und die griechische Rentnerin, der Obdachlose, wird keinen Deut besser oder schlechter dran sein als bisher.

Filmfest 2015:

La Tierra de la sombre, ein Film über Verantwortung und Starrsinn, über Hilflosigkeit und Gier, über das Unheil, das die Götter über die Menschen gebracht haben, weil sie der Hybris verfallen sind. Und die Götter sind ungerecht, sie bestrafen nur die Armen und Verlorenen. Die Reichen, die sich auf dem Rücken der Armen bereichert haben, lassen sie gewähren.

Die Menschen so fern sei über Brüderlichkeit, sagt der Regisseur. Ja auch, aber für mich ist der Film mehr über die Einsamkeit dessen, der zwischen alle Fronten gerät. Über die Einsamkeit dessen, der einen tödlichen Fehler beging, und jetzt bereit ist sein Leben zu opfern, um weiteres Unheil abzuwenden. Und er ist über die archaischen Gesetze einer Gesellschaft, die sich in einer Landschaft behaupten muss, in der keine Fehler vergeben werden. Überhaupt Fehler, es geht um Gegensätze vor dem Hintergrund des unbarmherzigen Algerienkriegs 1954, als Frankreich sein Kolonialreich und gemästetes Selbstwertgefühl verlor. Der Verlust der Kolonien fiel ihm viel schwerer, als England der Verlust des Empire. Vielleicht weil die Franzosen viel tiefer, physisch und mental in die anderen Kulturen eingedrungen waren. Indochina, Dien Bien Phu, Algerien-Franzosen, die seit Generationen in Nordafrika lebten, dort geboren wurden, Albert Camus’ Verlustreflex in seinen Büchern, liefern den schlagenden Beweis.

Trotz allem prägen die Kolonien und das Empire immer noch das Denken Frankreichs und Englands. Und auch das Handeln. Das ist die wahre Spannung, die im Untergrund der griechischen Woche liegt. Es ist die Zukunft eines Europas, das immer noch an den Fesseln seiner Vergangenheit hängt.

3. Juli: Griechenland, Europa, Referendum, das Volk, die Linke, die Konservativen, wer profitiert? Das ewige Lied über die Banken, Hass und Notwendigkeit. Das System, welches? Ungleichheit, Trickserei, Fakten, Verschwörungstheorien, Aufarbeitung des zweiten Weltkriegs, Wut, Vergeltung, Ehre, Demütigung, Balkanisierung, Demokratie, eine balkanische Theorie zum Schutz der Reichen?

Was für ein Gift-Gebräu, für jeden etwas, um sich aufzuregen.

Mohsen Makhmalkach, Regisseur von The President. Was für eine Parabel auf die Gier der Macht. Und auf den Menschen. Gestern hat Aziz, Regisseur von Nachtmahr, sich geweigert eine Menge in seinen Film zu packen und heute ist der Präsident übervoll davon. Er quillt über von der Arroganz der Macht, vom Leid eines geknechteten Volks. Gespielt in Georgien, lässt er die Geschehnisse in der Ukraine, in Russland, auf der Bühne erscheinen.

Das teuflische an so einem Filmfestival ist, dass es die Filme gegeneinander pitscht, gnadenlos, was eine Produktion, wie der Nachtmar als billig erscheinen lässt, drogengeschwängerte Albträume und Kinder, die sich weigern erwachsen zu werden.

Andererseits ist die Wucht mit der sich the president präsentiert fast unerträglich. Die Diktatur, ein einziger Albtraum, grotesk überzeichnet. Das Volk bettelarm, aber an sich gut. Demokratie in jedem Fall. Güte und Mitleid nicht ganz verschüttet. Die Gefahr, die entsteht, wenn legitime Macht, Gewalt, Herrschaft, durch Chaos und Willkürherrschaft von marodierenden Banden in Uniform ersetzt wird. Ägypten kommt in den Sinn, Syrien allemal, aber auch Tschetschenien, Grozny, aus dessen Erfahrung die Idee des Films wohl erwachsen ist.

3. Juli: Bin wieder in Mooi River eingestiegen. Es ist besser als ich dachte. Der Text fließt nicht zu aufdringlich. Genug Andeutungen einer potenziell spannenden Geschichte, um weiterzulesen. Bin gespannt was noch alles kommt. Muss auf die Folgerichtigkeit der Argumentation achten. Spannend, seinen eigenen Text lange nicht gelesen zu haben und jetzt überrascht zu werden.

Muss die im Schatten …auch noch einmal kritisch beäugen. Einstieg und Titel stimmen nicht. Gut, dass ich mir Zeit gelassen habe.

8. Juli: Das Drama um Griechenland geht weiter. Entweder hat Tsipras stählerne Nerven, oder er will den Ausstieg aus der EU. Soll er doch.

13. Juli-Europa: Der Druck wächst, Wut und Verzweiflung auch. Lauter große Worte schwirren durch die Luft. Am schlimmsten ist die Unsicherheit über das, was als nächstes kommt. Es ist als säße ein riesiges Ungeheuer im Hintergrund und warte nur darauf zuzuschnappen.

5. Juli: Referendum in Griechenland, 61% Neinstimmen gegen etwas, das schon gar nicht mehr existiert.

8. Juli: Tsipras wacht auf, als hätte er erstmals kapiert, dass es jetzt um alles geht, und das Pokern ein Ende hat. Varoufakis’ Gesäusel eines anderen Systems, gerechter, ausgleichender ist auch vorbei.

12. Juli: Treffen der 19 Ministerpräsidenten der Eurogruppe, es dauert, Ausgang ungewiss. Deutschland wird wohl der schwarze Peter zugeschoben, sollte es zum Austritt Griechenlands kommen.

Bis dahin bitte weniger große Worte, wie historisch, unbeschreiblich. Dabei geht es nur um Geld und verspieltes Vertrauen, das ist groß genug. Aber möglicherweise geht es doch längst um viel mehr. Um ein Europa, das zum Spielball politischer Spekulanten zu verkommen droht.

13. Juli: Das Wetter spielt mit, über Nacht ist es kühl und regnerisch geworden, als hätte jemand die Natur zur Kulisse in einem Theaterstück degradiert. Hybris ist ein griechisches Wort. Pyrrhussieg auch, vielleicht deshalb sucht Merkel verzweifelt den Ausgleich.

13. Juli: In der Seerose, seit langem wieder einmal. Gegenüber das Foto Thomas Manns mit Hut, das Gesicht vergrämt, ein alter Mann. Italienisch, die Bedienung, sie spricht über mangelnden Respekt, weil sie sich über ihren Chef ärgert, und ich frage sie, was sie von Griechenland hält. Es bricht sofort aus ihr heraus, der Frust, der sich auch in Italien angesammelt hat. Die Steuern auf Immobilien bringen die Menschen auf, weil da alles, was sie erspart haben drinsteckt, und jetzt sollen sie Steuern dafür bezahlen. Was sagt man da? Wir zahlen die Steuern brav, Grunderwerbsteuer, Grundsteuer, Zweitwohnungssteuer, was sonst noch alles, das mit Besitz zu tun hat. Was soll’s, Europa tickt unterschiedlich, ist auch gut so.

Und der Süden tickt auch ganz anders. Staat, Politiker, Steuern, alles Teufelszeug. Und jetzt auch noch Angst vor den Deutschen, die Europa ihre Regeln aufdrängen wollen. Dabei wollten sie doch alle nur an die Fleischtöpfe Europas, die sich jetzt als untragbare Schuldenberge herausstellen. Das Erwachen ist brutal.

Für manche verkraftbar, die Portugiesen, Spanier, sie alle besaßen ein Imperium, dass ihnen zwischen den Fingern zerrann. Die Iren, sie hatten England, dass sie wie Unterlinge behandelte. Nun die Griechen, sie hatten die Osmanen, aber alles, was sie, wie der gesamte Balkan, von denen geerbt haben, ist zu verstecken, und den Staat zu betrügen, der sowieso nichts anderes erwartet. Klischees? Ja, aber von irgendwoher müssen die Unterschiede doch kommen.

Thomas Mann ist umgeben von Gina Lollobrigida, von Spaghetti essenden Menschen, von der Loren, die immer noch unsere Träume beherrscht. Kein einziges Bild über Schnee, über Rentiere und windgepeitschte Seen, gegen den Sturm ankämpfende Wikinger Drachenboote. Es sollte uns zu denken geben.

23. Juli: Am Ende werden die Griechen etwa hundert Milliarden Euro zusätzlich erhalten, um über Wasser zu bleiben. Sie werden Gesetze erlassen, die all das beinhalten, was die Geldgeber von ihnen erwarten, und dann werden sie nichts davon umsetzen. Wie sollten sie auch, wenn die Regierung selbst sagt, dass sie an die von Europa aufgezwungenen ‚Reformen’ nicht glaubt.

Eigentlich bin ich gegen ein vom Geld diktiertes Protektorat, in das Griechenland gerade verwandelt wird. Es hat sich lange geweigert seine Realität anzuerkennen, dass es mehr verbraucht als es einnimmt. Aber tun das nicht die meisten Menschen, Staaten, die sich überschätzen?

Jetzt bin ich doch in den von Geld getriebenen Kriterien gelandet, Leistung, Ertrag, Veredelung, alles schön und gut, solange sich die Menschen dem System unterwerfen und damit in gewisser Weise versklaven. Das ist hinnehmbar, solange das System etwas zurückgibt, außer Mühsal und Verzicht. Jetzt in Europa, mehr noch in den USA, scheint aber ein Punkt erreicht, wo das System versagt. Jene, die schon viel haben, wollen mehr, jenseits jeder Vernunft. Das menschliche Streben nach mehr, scheint zu Hamsterkäufen zu führen, jenseits der eigentlichen Bedürfnisse. Die Ungleichheit wächst, und Begriffe wie Liberalismus, soziale Marktwirtschaft, reduzieren sich auf exorbitante Managementgehälter, und das Zocken der Investment Banker. Es ist höchste Zeit, die unheilige Allianz zwischen Management und Banken zum gegenseitigen Nutzen aufzubrechen. Durch wen? Durch die Politik, und damit den Wählern. Die Alternative ist eine Autokratie der Auserwählten, die meist durch nichts qualifiziert sind, außer ihrer Abstammung. Oder gleich einer Diktatur.

Der dicke Depardieu trifft sich mit Lukaschenko auf den Ländereien der Belarussischen Residenz, in der Nähe von Minsk. Beide mit Sensen auf den Schultern. Ja geht's noch? Zwei Sensenmänner!

Berlin 8. August: Endlich wieder einmal im Westen Berlins. Die beiden Hälften der Stadt sind immer noch merklich verschieden. Schwer zu definieren was das ist. Die laissez faire Attitüde der 68er, die den Westen geprägt hat, und immer noch durchschimmert? Im Osten dagegen die neue Selbstsicherheit des Hauptstadtmenschen, der immer in der Hauptstadt gelebt hat, und von einem Inseldasein nie etwas gemerkt hat? Außer man betrachtet die gesamte DDR als eine Insel in einem Meer aus Grau, Behinderung und parteiischem Nepotismus.

Der Osten erscheint aufbruchswillig, an manchen Orten zumindest, und hat sich doch längst schon wieder der touristisch geprägten Neuzeit unterworfen. Es sind die Zuzügler aus aller Welt, die sich willig einem Neu-Berlin unterworfen haben, das Speerspitze der Moderne sein will, gleichzeitig aber Anker in der Vergangenheit ist. Hier fand im letzten Jahrhundert zu viel statt, und zu viele haben willig ja geschrien, als dass man locker zur Tagesordnung übergehen könnte. Und das wird auch noch lange so bleiben.

Berlin wird Europas New York, viel spricht dafür, aber nicht alles. Vor allem, weil Deutschland und Europa nie und nimmer die USA sein werden. Und warum nicht wie London, wie Paris, wie Madrid? Rom ist sowieso eine Insel für sich. Die Frage ist unsinnig, sie stellt sich auch nicht. Was würden Athen, Warschau, Wien sagen, wenn sie ernst gemeint wäre. Was Städte wie München, Mailand, Prag, Dublin, nur weil sie kein Haupt vor ihrem Stadtsein tragen, (Prag und Dublin ausgenommen, aber Tschechen und Iren haben nie eine Hauptstadt Tradition gehabt, sie werden mir vergeben. Budapest und Stockholm, Helsinki und Lissabon hoffentlich auch). Sie sind alles Europa, föderal und selbstbewusst. Mit einer Geschichte länger als jede Stadt der USA. Das allein macht eine ineinander verwachsende Union, mit zentralen Institutionen, unmöglich, auch wenn es Junker und Schäuble noch so sehr wünschen. Es wird nicht stattfinden und das ist gut so.

Ein syrischer Journalist fliegt mit seiner Familie nach Deutschland und beantragt Asyl. Gut, dass er die schwere Reise über das Mittelmeer nicht brauchte. Er erhält eine ganze halbe Seite der Süddeutschen vom Wochenende und legt los. Nur dürftig verkleidet mit ein paar Höflichkeiten kommt die Kritik an dem Land, das ihn gerade aufgenommen hat. Unter dem Titel: Ein heißer Kuss am Straßenrand, schreibt er, wie fremd das Verhalten der Menschen ist für seine Tochter, für ihn, seine Frau. Was hat der Mann erwartet? ‚Der wichtigste Weg ist der zum Jobcenter’, sagt er. Es zahlt, weil es sonst kein Überleben, keinen Blick nach vorne gibt. Und dann beschwert er sich, dass die Mitarbeiter des Jobcenters nur Deutsch sprechen. Was hat er denn wirklich erwartet? Arabisch? Der Gipfel ist der Wunsch nach Familienzusammenführung. Zumindest ist er ehrlich, und sagt, dass sowohl er, als auch seine Frau, je acht Geschwister haben. Der ganze innere Clan umfasst 60 Personen. Mann, merkt er denn nicht, und auch der Redakteur der SZ nicht, wie solche Berichte jenen in die Hände spielen, die nur darauf warten einen Grund zu finden, die Grenzen dicht zu machen. Ärger ist kein guter Ratgeber. Ich bewundere die Menschen, die sich in unseren Aufnahmeeinrichtungen um die Flüchtlinge kümmern. Geduld, es gibt bestimmt noch andere, bescheidenere Ankömmlinge.

Bin ich ein Rassist, oder doch eher ein schlecht gelaunter Rentner, dem die Weltläufe auf den Geist gehen? Vielleicht, weil alles aus dem Ruder zu laufen scheint, und nirgends auch nur Anzeichen klarer Lösungen zu sehen sind. Energiewandel, Klimawandel, Griechenlands Selbstbestimmungsanspruch, Flüchtlinge, die Ansprüche stellen, Israel, der Feind im eigenen Land, der ganze Nahe Osten ein Flächenbrand, der sich nicht ersticken lässt, Iran, halb gebacken, Putin, der Menschenfresser und Lebensmittelvernichter aus Prinzip, die Ukraine, sie kommt nicht auf die Beine, wie könnte sie auch, Japan, das seine Atomkraftwerke wieder in Betrieb nimmt, ohne Not, ungeachtet der Proteste im eigenen Land.