Das Leben der Bürgerin Rolland - Jeanne-Marie Roland de La Platière - E-Book

Das Leben der Bürgerin Rolland E-Book

Jeanne-Marie Roland de La Platière

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Beschreibung

Tochter eines Künstlers, Gattin eines Gelehrten, der selbst als Staatsminister noch redlicher Mann blieb, jetzt im Kerker, vielleicht zu einem gewaltsamen plötzlichen Tode bestimmt, habe ich Glück und Widerwärtigkeit gekannt, habe Ruhm und Ungerechtigkeit in der Nähe gesehen. Ich ward in niederm Stande, aber von rechtlichen Eltern geboren; meine Jugend verfloß im Umgang mit den schönen Künsten, in dem Genuß, den die Erlernung der Wissenschaften gewährt; ich kannte keine Ueberlegenheit als die des Verdienstes, keine Größe als die der Tugend. In dem Alter, wo man sich nach einer Versorgung umsieht, scheiterte meine Hofnung auf ein Vermögen, das mir Mittel verschaft hätte, der erhaltnen Erziehung gemäß wählen zu können. Die Verbindung mit einem achtungswürdigen Manne schien diese Unfälle zu vergüten, und bereitete mir neue vor.
Ein sanftes Gemüth, eine starke Seele, ein ernster Verstand, ein gefühlvolles Herz, eine Gestalt, die alle diese Eigenschaften ausdrückte, machten mich allen meinen Bekannten theuer. Meine Lage hat mir Feinde zugezogen, meine eigne Persönlichkeit nie; die mich am meisten schmähen, haben mich nie gesehen.

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Das Leben

der Bürgerin Rolland,

von ihr selbst geschrieben.

von

L. F. Huber

1796.

© 2023 Librorium Editions

ISBN : 9782385742348

Inhaltsverzeichnis.

Erste Hälfte.

Erster Abschnitt.

Zweiter Abschnitt.

Zweite Hälfte.

Dritter Abschnitt.

Uebersicht dessen, was mir noch als lezter Beytrag zu meinen Memoiren nachzuholen übrig blieb.

Abgerißne Anmerkungen.

Briefe der Bürgerinn Roland an den Herausgeber ihres Nachlasses, damaligen Sekretair bey der Intendenz der Posten.

Anmerkungen.

Erste Hälfte.

 

Erster Abschnitt.

(Aus den Gefängnissen von Sainte Pelagie, den 9ten August 1793.)

 

Tochter eines Künstlers, Gattin eines Gelehrten, der selbst als Staatsminister noch redlicher Mann blieb, jetzt im Kerker, vielleicht zu einem gewaltsamen plötzlichen Tode bestimmt, habe ich Glück und Widerwärtigkeit gekannt, habe Ruhm und Ungerechtigkeit in der Nähe gesehen. Ich ward in niederm Stande, aber von rechtlichen Eltern geboren; meine Jugend verfloß im Umgang mit den schönen Künsten, in dem Genuß, den die Erlernung der Wissenschaften gewährt; ich kannte keine Ueberlegenheit als die des Verdienstes, keine Größe als die der Tugend. In dem Alter, wo man sich nach einer Versorgung umsieht, scheiterte meine Hofnung auf ein Vermögen, das mir Mittel verschaft hätte, der erhaltnen Erziehung gemäß wählen zu können. Die Verbindung mit einem achtungswürdigen Manne schien diese Unfälle zu vergüten, und bereitete mir neue vor.

Ein sanftes Gemüth, eine starke Seele, ein ernster Verstand, ein gefühlvolles Herz, eine Gestalt, die alle diese Eigenschaften ausdrückte, machten mich allen meinen Bekannten theuer. Meine Lage hat mir Feinde zugezogen, meine eigne Persönlichkeit nie; die mich am meisten schmähen, haben mich nie gesehen.

Die Dinge sind selten was sie scheinen; sowohl die Zeiten meines Lebens, in denen ich am glücklichsten gewesen bin, als diejenigen, wo ich am meisten gelitten habe, waren meistens gerade das Gegentheil von dem, was andre davon urtheilen durften: unser Glück hängt weit mehr an unsern Empfindungen, als an den Begebenheiten, die uns zustossen.

Ich habe mir vorgenommen, die müßigen Stunden meiner Gefangenschaft mit der Aufzeichnung meiner eignen Geschichte von zarter Kindheit an bis jetzt, zu beschäftigen. Man lebt sein Leben zum zweitenmal, indem man so jeden Schritt seiner zurückgelegten Laufbahn übersieht, und was kann man im Kerker besser thun, als in glücklichen Träumen oder theuern Erinnerungen herumschweifen?

Wenn uns das Nachdenken über das was wir sahen und thaten, mehr Erfahrung erwirbt, als das Handeln selbst, so kann sich die meine durch das Unternehmen, welches ich beginne, sehr bereichern. Die öffentlichen Angelegenheiten, und meine eignen Gedanken gaben mir in den zwei Monaten meiner Verhaftung so viel Stoff zum Nachdenken und Aufzeichnen, daß ich ihn nicht in einer fernen Vergangenheit zu suchen brauchte; ich hatte auch die ersten fünf Wochen dem Aufschreiben von historischen Nachrichten gewidmet, die vielleicht einiges Interessante hatten. Wie ich so eben höre, sind sie verloren1. Ich fühle die ganze Bitterkeit dieses Verlusts, den ich nicht ersetzen werde, aber ich würde mich selbst verachten, wenn mich irgend etwas muthlos machte. Bei allen Leiden, die mich treffen, ist der lebhafteste Schmerz fast sogleich mit dem Ehrgeitz begleitet, dem Uebel, welches mich befällt, meine Kräfte entgegen zu stellen, und es entweder durch das Gute, welches ich andern thue, oder durch meinen Muth zu besiegen. Das Unglück kann mich also verfolgen, aber nicht überwältigen, die Tyrannen können mich verfolgen, aber erniedrigen nie, nie! Meine Nachrichten sind verloren; ich will Memoiren aufsetzen, und indem ich, in einem Augenblick der mich so schmerzlich angreift, meiner Schwäche klug nachsehe, mich zu meiner Zerstreuung mit mir selbst unterhalten. Ich will gleich aufrichtig das Gute wie das Böse von mir bekennen; wer es nicht wagt, sich selbst ein gutes Zeugniß zu geben, ist sich fast immer des Bösen, das man von ihm sagen könnte, bewußt, und scheut sich davor; wer sich sein Unrecht nicht einzugestehen getraut, hat weder die Kraft es zu behaupten, noch Mittel es aufzuwiegen. Da ich so freimüthig mit mir selbst schalten will, werde ich mir aus Rücksicht auf andere keinen Zwang auflegen; Vater, Mutter, Freunde, Gatte, ich werde sie alle so schildern wie sie sind, oder wie ich sie sah.

So lange ich in einer friedlichen eingeschränkten Lage war, verschleierte die natürliche Lebhaftigkeit meines Gefühls alle meine andern Eigenschaften, so daß jene allein bemerkbar war, oder doch alle übrigen überwog. Mein erstes Verlangen war zu gefallen, und wohlzuthun; ich glich dem guten Herrn von Gourville, von welchem Frau von Sevigne sagt, daß ihm die Nächstenliebe die Worte alle halb durchgeschnitten habe; und ich verdiente was Sainte Lette von mir sagte, daß ich bei allem Verstand, feine Epigramme zuzuspitzen, nie eines an den Tag brächte. Seit die Umstände, seitdem politische und andere Stürme die Energie meines Karakters entwickelt haben, behauptet die Freimüthigkeit den ersten Platz in demselben, ohne daß ich es mit den kleinen Hieben, die nebenher vorfallen mögen, so genau nehme. Mit Epigrammen gebe ich mich darum nicht mehr ab als sonst, denn diese setzen voraus, daß man Vergnügen daran findet, durch Tadel zu reitzen, und ich vertreibe mir die Zeit eben nicht damit, Fliegen todzuschlagen; aber ich mag wohl Gerechtigkeit handhaben, indem ich die Wahrheit in das hellste Licht stelle, und sie am unbarmherzigsten denen vorhalte, die sich durch sie getroffen fühlen, ohne übrigens zu erstaunen, ohne bewegt, noch erzürnt zu seyn, was sie auch auf sie würken mag.

Mein Vater, Gatien Philipon, war Kupferstecher von Profeßion, er gab sich auch mit Malerei ab, und wollte, mehr des Erwerbes wegen, als aus Geschmack, sich auf Emailarbeit legen; da sich aber sein Gesicht und seine Gesundheit nicht mit dem Feuer vertrug, durch welches das Email gezogen wird, mußte er diese Beschäftigung aufgeben. Er schränkte sich also auf seine Kunst ein, in welcher er mittelmäßig war; indessen war er arbeitsam, der Zeitpunkt begünstigte ihn, und er beschäftigte einige Arbeiter. Der Trieb nach Vermögen bestimmte ihn jedoch, sich mit Handelsgeschäften abzugeben. Er kaufte Juwelen und andere Kostbarkeiten, oder nahm sie als Zahlung von den Kaufleuten, mit denen er zu thun hatte, um sie bei Gelegenheit wieder anzubringen. Ich erwähne dieser Kleinigkeit, weil ich bemerkt habe, daß der Ehrgeitz in jedem Stande gefährlich ist; macht er auch einige glücklich, so fallen dagegen tausend Opfer durch ihn. Meines Vaters Beispiel wird mir mehr wie eine Nutzanwendung darbieten; seine Kunst nährte ihn anständig, er wollte reich werden, und richtete sich zu grunde.

Stark und gesund, thätig und hochmüthig liebte er seine Frau und den Putz. Ob es ihm gleich an Bildung fehlte, so hatte er doch den Grad von Geschmack und Kenntnissen, den die schönen Künste, wenigstens oberflächlich, geben, auf welchen Zweig sich auch ihre Ausübung einschränkt. Bei aller seiner Achtung für den Reichthum, und für die Mittel, welchen zu erwerben, ließ er sich wohl mit Kaufleuten auf Unterhandlungen ein, aber Umgang hatte er nur mit Künstlern, Mahlern und Bildhauern. So lange er seinen Ehrgeitz in Schranken hielt, oder so lange er noch keine Unfälle erfuhr, lebte er regelmäßig; man konnte ihn keinen tugendhaften Mann nennen, aber er war in einem hohen Grade das, was man einen Mann von Ehre nennt; er hätte sich wohl eine Sache über ihren Werth bezahlen lassen, aber er hätte sich lieber das Leben nehmen lassen, als gekaufte Waaren nicht zu bezahlen.

Margaretha Bimont, seine Gattin, hatte ihm bei wenigem Vermögen, eine himmlische Seele, und eine reitzende Gestalt als Aussteuer zugebracht, die älteste von sechs Geschwistern, denen sie als zweite Mutter vorgestanden, hatte sie sich im sechs und zwanzigsten Jahre, blos um ihren Schwestern Platz zu machen, verheirathet. Ihr weiches Herz, ihr zierlicher Verstand, hätten sie zur Gefährtin eines aufgeklärten, fein fühlenden Mannes bestimmt; allein ihre Eltern stellten ihr einen rechtlichen Freyer vor, dessen Talent seinen Erwerb sicherte; und ihre Vernunft nahm ihn an. Statt einer Glückseligkeit, die sie sich nicht versprechen konnte, fühlte sie sich im Stande, die Art von Ruhe um sich herrschen zu lassen, die jene Glückseligkeit ersetzt. Genügsamkeit ist weise, Genuß ist immer weit seltner wie man glaubt; aber Tröstungen fehlen der Tugend nie.

Ich war ihr zweites Kind von sieben, welche meinen Eltern geboren wurden; alle andere sind bei den Ammen, oder in der Geburt durch verschiedne Zufälle gestorben, und meine Mutter sagte oft mit Wohlgefallen, ich allein habe ihr keine Schmerzen gemacht; denn ihre Entbindung war so glücklich wie ihre Schwangerschaft gewesen; ich schien ihre Gesundheit befestigt zu haben. Eine Tante meiner Mutter wählte mir in der Gegend von Arpajon, wo sie sich des Sommers oft hinbegab, eine Amme, welche Gesundheit und reine Sitten besaß, und die man in der Gegend um so mehr schätzte, als ihres Mannes Brutalität sie unglücklich machte, ohne ihre Gemüthsart noch gute Aufführung zu verändern. Madame Besnard, so hieß meine Großtante, hatte keine Kinder, ihr Mann hatte mich aus der Taufe gehoben, beide liebten mich wie ihr Kind. Ihre Vorsorge hat sich nie verläugnet, sie sind noch am Leben, und verschmachten schmerzlich den Abend ihrer Tage, sie bewainen das Schicksal ihrer Großnichte, auf welche sie alle ihre Hofnungen und ihren Stolz gebaut hatten. Tröstet Euch, ehrwürdige Alte; es wird wenigen vergönnt, ihre Bahn still und friedlich wie Ihr zu durchlaufen; das Unglück, welches mich umringt, ist mir nicht überlegen, und eure Tugend bleibt mir ewig ehrwürdig.

Die Wachsamkeit meiner Amme wurde durch die Aufmerksamkeit meiner guten Eltern belohnt und rege erhalten; ihr Eifer und ihre glückliche Pflege gewannen ihr die Neigung meiner Familie; so lange sie lebte, ließ sie nie zwei Jahre vergehen, ohne mich in Paris zu besuchen, sie eilte zu mir, wie sie erfuhr, auf welche grausame Art ich meine Mutter verloren hatte, ihre Erscheinung ist mir noch gegenwärtig: ich lag krank darnieder, ihre Gegenwart, die mir den vor kurzem erlittnen Verlust zu lebhaft zurückrief, verursachte mir Gichter, die sie so erschreckten, daß sie sich wegbegab; ich sah sie nicht wieder, sie starb bald nachher. Ich hatte sie zuweilen in der nämlichen Hütte besucht, wo ihre Brust mich genährt hatte; mit Rührung hatte ich die Geschichten angehört, die sie mir erzählte, und dabei mir meine Lieblingsplätzchen zeigte, und von den Streichen, die ich ihr gespielt hätte, schwatzte, und noch darüber lachte. Ich war zwei Jahre alt, wie ich in das väterliche Haus zurückkam; man hat mir oft von dem Erstaunen erzählt, das ich Abends beim Anblick der Laternen bezeigt hätte, die ich schöne Bouteillen nannte, und von einem Widerwillen mich eines .... kurz und gut, eines Nachttopfs zu bedienen, weil ich zu einem gewissen Gebrauch keinen andern Ort als ein Gartenwinkelchen kannte, und von der spöttischen Miene, mit der ich auf die Salat- und Suppenschalen gewiesen, und gefragt hätte, ob diese auch dazu da wären. Ich muß wohl diese schönen Dinge und andere von gleicher Wichtigkeit, die nur den Ammen interessant sind, und nur den Großeltern wieder erzählt werden, mit Stillschweigen übergehen; man wird eben so wenig erwarten, daß ich hier ein kleines brunettes zweijähriges Mädchen beschreibe, auf deren von schwarzen Haaren beschattetem Gesicht die lebhaftesten Farben gemischt waren, und die aller Glückseligkeit, aller Gesundheit ihres Alters genoß. Ich weiß zu Entwerfung meines Portraits einen günstigern Augenblick, dem ich mich wohl hüten will vorzugreifen.

Die Klugheit und Güte meiner Mutter erwarben ihr über meine sanfte und zärtliche Gemüthsart bald den größten Einfluß, den sie immer zu meinem Besten gebrauchte. Er war so entschieden, daß sie bei den kleinen Streitigkeiten, die zwischen der leitenden Vernunft, und der widerstrebenden Kindheit unvermeidlich vorfallen, nie einer andern Strafe gegen mich bedurfte, als mich kaltsinnig, und mit einem strengen Blick Mademoiselle zu nennen. Noch jetzt fühle ich, was dieser Blick, der sonst so liebkosend auf mir ruhte für eine Würkung hatte, ich höre noch mit Schaudern das Wort Mademoiselle, mit quälender Würde, dem sanften Namen: mein Kind, oder Manon unterschieben. Denn Manon nannte man mich; es thut mir zwar für die Romanliebhaber leid, der Name hat nichts edles, und paßt für keine Heldin der erhabnen Art; aber was ist zu thun? Man gab mir ihn, und ich schreibe meine wahre Geschichte; übrigens hätte sich der eckelste Geschmack mit dem Namen versöhnt, wenn man ihn aus dem Mund meiner Mutter gehöret, und die, welche ihn trug, gesehen hätte. Welches Wort war ohne Grazie, wenn meine Mutter es mit ihrem liebevollen Ton aussprach? Und lehrte sie mich nicht ihr gleichen, indem ihre rührende Stimme in mein Herz drang?

Lebhaft ohne lärmend zu seyn, und von Natur in mich gekehrt, verlangte ich nur nach Beschäftigung, und ich faßte eifrig alle Begriffe, die mir dargeboten wurden. Diese Stimmung ward so gut benutzt, daß ich mich nie erinnert habe, lesen gelernt zu haben; ich weiß nur, daß man mir gesagt hat, im vierten Jahre sey ich damit zu Stande gewesen, die Mühe, mich zu lehren, sei damals vorüber, und nichts mehr zu thun gewesen, als mir es nicht an Büchern fehlen zu lassen. Man mochte mir auch was man wollte zu lesen geben, oder es mochte mir was es sey in die Hände gerathen, so beschäftigte es mich so ausschliessend, daß nichts wie Blumen mich davon abziehen konnten. Der Anblick von Blumen erfreut meine Einbildungskraft, und schmeichelt meinen Sinnen auf eine ungläubliche Art, er erweckt in mir ein wollüstiges Gefühl meines Daseyns. Von Kindheit an bestand unter meines Vaters friedlichem Dache mein Glück in Blumen und Büchern; zwischen den engen Mauern eines Kerkers, in den Fesseln der empörendsten Tyrannei vergässe ich bei Büchern und Blumen die Ungerechtigkeit der Menschen, ihre Thorheit, ihre Leiden.

Die Gelegenheit war zu schön, um mich nicht das alte und neue Testament, den großen und kleinen Katechismus zu lehren; ich lernte alles, was man wollte, und hätte den Alkoran hergesagt, wenn man mir ihn zu lesen gegeben hätte. Ich erinnere mich eines Mahlers Namens Guibal, der sich seitdem in Stuttgard niederließ, und von dem ich vor wenig Jahren eine Lobschrift auf Poußin gesehen habe, welche von der Akademie in Rouen den Preis erhalten hat: es war ein drolliger Mensch, der oft zu meinem Vater kam, mir Ammenmärchen erzählte, die ich noch weiß, und mir die Zeit herrlich vertrieb, so wie er seinerseits nicht weniger Spaß daran fand, mich meine Weisheit auskramen zu lassen. Mir ist, als sähe ich ihn noch, mit seiner etwas grotesken Gestalt in einem Lehnstuhl sitzen, wie er mich zwischen seine Knie nimmt, auf die ich mich mit den Ellbogen stütze, mich das Bekenntniß des heiligen Athanasius wiederholen läßt, und nachher meine Geschicklichkeit mit der Geschichte Tangers belohnt, der eine so lange Nase hatte, daß er sie, wenn er gehen wollte, um seinen Arm wickeln mußte. Es lassen sich wohl noch ungereimtere Gegeneinanderstellungen denken, als diese war.

So bald ich sieben Jahr alt war, schickte man mich alle Sonntage zum Pfarrunterricht in den Katechismus, um mich zur Konfirmation zu bereiten. So wie die Sachen jetzt gehen, könnten mich meine Leser vielleicht fragen, was das für Dinge waren, und in diesem Falle mag folgendes zur Auskunft dienen2. Im ersten besten Winkel einer Kirche, Kapelle, oder sonst eines Gotteshauses wurden einige Reihen Stühle oder Bänke in eine bestimmte Länge einander gegenüber gesetzt; in der Mitte blieb ein gehöriger Raum, und oben an stund ein etwas höherer Sitz, dieses war der kurulische Stuhl des jungen Geistlichen, welcher die seiner Aufsicht übergebnen Kinder unterrichten mußte. Von da aus ließ er das Evangelium des Tages, die Epistel, das Vaterunser, und das Kapitel aus dem Katechismus, welches eben vor war, auswendig hersagen. War der Haufen ansehnlich, so hatte der Lehrer noch einen kleinen Scholaren neben sich, der sich die Sachen wiederholen ließ, und der Priester behielt sich die Fragen über den hauptsächlichen Gegenstand vor. In gewissen Pfarrkirchen versammelten sich Knaben und Mädchen zu derselben Kinderlehre, und waren nur durch ihre Plätze getrennt, in den meisten hatten sie nichts mit einander gemein. Die Mütter und alten Weiber, immer nach dem Worte Gottes lüstern, so geschmacklos es ihnen auch aufgetischt wird, wohnten diesem Unterricht bey, der nach dem Alter, und je nachdem es die Vorbereitung zur Konfirmation, oder zur Communion galt, abgetheilt war. Die eifrigern Pfarrer erschienen zuweilen mitten unter dieser jungen Heerde, die man dann ehrerbietig aufstehen hieß; sie thaten denen, welche am meisten in die Augen fielen, einige Fragen, um ihre Gelehrsamkeit zu beurtheilen, die Mütter der befragten warfen sich in’s Zeug, und der Seelenhirt begab sich, von ihren tiefen Knixen begleitet, hinweg. Herr Garat, Pfarrer zu St. Bartholomäus, in dem Theil von Paris, welchen man damals die Cité nannte, ein guter, für sehr gelehrt gehaltner Mann, wenn er gleich auf der Kanzel, die er zu besteigen die Wuth hatte, keine zwei Worte nacheinander vorbringen konnte (ungefähr wie es heut zu Tage dem Minister Garat geht, der sein Handwerk eben so wenig versteht)3. Dieser Pfarrer also, Herr Garat, kam eines Tags in meine Kinderlehre, und um durch einen Beweis seines eignen Scharfsinns meine Kenntnisse zu prüfen, fragte er mich: in wie viel Klassen die Geister der himmlischen Hierarchie getheilt würden? Sein boshaft siegreicher Blick bei der Frage, sagte mir schon, daß er mich in Verlegenheit zu setzen hofte; ich antwortete, ob deren gleich noch mehrere im Eingang der Messe angegeben wären, so hätte ich anderwärts doch gesehen, daß man neune zählte, und so rechnete ich ihm der Reihe nach die Engel, Erzengel, Thronen, Herrschaften u.s.w. auf. Nie in der Welt hat sich ein Pfarrer so über die Kenntnisse seines Neophyten verwundert, mein Ruf unter den frommen Mütterchen war hiermit so gut wie gemacht, auch ward ich, wie man in der Folge sehen wird, für eine kleine Auserwählte gehalten. Man wird vielleicht fragen, wie es möglich war, daß ich bei der Sorgfalt, und dem gesunden Verstand meiner Mutter in die Katechismuslehre geschickt wurde; aber ein jedes Ding hat seine Ursache. Meiner Mutter jüngerer Bruder war Geistlicher in ihrer Pfarrei, und hatte nach dem Kunstwort, den Konfirmations-Katechismus über sich. Die Gegenwart seiner Nichte bei diesem Unterricht war ein schönes Beispiel, das Personen, welche über die Klasse des Pöbels waren, bestimmen konnte, ihre Kinder auch dahin zu schicken, was denn dem Pfarrer sehr gemüthlich war; übrigens hatte ich ein Gedächtniß, das mir immer den ersten Gang zusicherte, und da alle andern zufälligen Umstände diese Art von Ueberlegenheit unterstützten, fand die Eitelkeit meiner Eltern ihre Rechnung dabei, indem sie zugleich die einfachste Wahl zu treffen schienen. Bei der Vertheilung der Preise, die am Ende des Jahres sehr feyerlich vor sich gieng, trug es sich zu, daß ich ohne alle Gunst den ersten erhielt; und die ganze Küsterschaft und Geistlichkeit des Sprengels pries meinen jungen Onkel darum glücklich; man ward dadurch auf ihn aufmerksam, und würklich brauchte man ihn nur zu bemerken, um ihm gut zu seyn. Eine schöne Gestalt, viel Güte, die weichste Gemüthsart, sanfte Sitten, die heiterste Laune, haben ihn bis zu seinem Ende begleitet; er starb als Kanonikus von Vincennes, in dem Augenblick wo die Revolution im Begrif war alle Stifter aufzuheben. Ich glaubte in ihm den letzten Verwandten mütterlicher Seite zu verlieren, und sein Andenken ist mir noch immer sehr rührend. Der Geschmack, den ich am Lernen fand, und die Leichtigkeit, mit welcher ich Fortschritte machte, brachten meinen Onkel auf den Einfall, mich Latein zu lehren, ich war höchst erfreut darüber, denn es war immer ein Fest für mich, etwas neues zu lernen. Zu Hause hatte ich Lehrer im Schreiben, in der Musik, im Tanzen, und in der Geographie, mein Vater hatte mich auch das Zeichnen anfangen lassen, und dennoch fand ich mich nicht überladen. Um fünf Uhr des Morgens, wenn noch alles schlief, schlürfte ich mit einem kleinen Wämschen angethan, ohne an Schuhe und Strümpfe zu denken, in einen kleinen Winkel von meiner Mutter Zimmer, an einen Tisch, wo meine Arbeit lag; dort schrieb ich ab, oder repetirte mit so vielem Eifer, daß mein Fortgang im Lernen sehr schnell war. Meine Lehrer wendeten dafür auch mehr Aufmerksamkeit auf mich, sie verlängerten die Lehrstunde, sie legten ein Interesse hinein, das mich immer mehr anzog. Ein jeder schien eben so geschmeichelt mich zu belehren, wie ich es war Unterricht zu empfangen; ein jeder erklärte nach Verlauf weniger Jahre, daß ich ihn nicht mehr brauchte, und daß er nicht mehr bezahlt seyn wollte, aber sich ausbäte, uns besuchen zu dürfen, um sich zuweilen mit mir zu unterhalten. Das Andenken des guten Herrn Marchand ist mir noch werth; er lehrte mich im fünften Jahre schreiben, dann Geographie, und ich studierte mit ihm Geschichte; er war sanft, geduldig, deutlich, methodisch; ich pflegte ihn Herr Sanftmuth zu nennen. Er verheirathete sich mit einer rechtlichen Frau, die dem Haus de Nesle zugethan war; ich besuchte ihn zuweilen in seiner letzten Krankheit, wo eine unzeitige Aderlaß das Podagra, wovon er einen Anfall hatte, nach der Brust zog, und ihn in seinem fünfzigsten Jahre aus der Welt nahm; ich war damals achtzehn Jahr alt.

Eben so wenig habe ich den Musikus Cajon vergessen, ein kleiner, munterer, schwatzhafter Mann, aus Macon, wo er Chorknabe gewesen war. Nachher ward er Soldat, Deserteur, Kapuziner, Commis, ward verabscheidet, und kam ohne einen Heller im Beutel mit Weib und Kind nach Paris; er sang aber den zweiten Diskant sehr angenehm, ein bei Männern, die nicht eine gewisse Operation ausgehalten haben, sehr seltnes Talent, das zum Unterricht junger Personen sehr tauglich ist; er wurde, ich weiß nicht mehr von wem, meinem Vater vorgestellt, ich war seine erste Schülerin, er gab sich viele Mühe mit mir, borgte meinen Eltern oft Geld ab, das er sehr schnell verthat, gab mir eine gewisse Sammlung der Lehrstunden Bordiers nie wieder, die er geschickt genug plünderte, um ein Buch daraus zu machen, das unter dem Titel Elemens de Musique, mit seinem Namen gedruckt worden ist. Er warf sich in Staat, ohne reich zu werden, und verließ endlich nach fünfzehn Jahren Paris, um nach Rußland zu gehen; was da aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Mozon, mein Tanzmeister, war ein ehrlicher, erzhäßlicher Savoyarde, den ich noch sehe, wie er sein stumpfnasiges pockennarbiges Gesicht, das auf der rechten Wange mit einem Gewächs verziert war, links auf seine Taschengeige lehnte; ich könnte etwas lustiges von ihm erzählen, so wie von dem armen Mignard, der mich die Zither lehrte; dieser, ein kolossalischer Spanier, hatte ein paar haarige Hände wie Esau, und war so gravitätisch, so höflich, so aufschneiderisch, wie irgend einer seiner Landsleute. Den furchtsamen Vatrin habe ich nicht lange gehabt, der bei seinen fünfzig Jahren, seiner Perücke, seiner Brille und seinem kupfernen Gesicht aus aller Faßung zu kommen schien, wenn er die Finger seiner Schülerin auf die Geige legte, oder ihr zeigte, wie der Bogen gehalten werden müßte; zum Ersatz aber schickte meiner Mutter Beichtvater, der ehrwürdige Pater Colomb, ein Barnabiter, der ehemals Mißionar gewesen, und jezt in seinem fünf und siebenzigsten Jahr Superior seines Klosters war, seine Bratsche in unser Haus, und accompagnirte mich, wie er mich bei seinen Besuchen bat, die Zither zu nehmen. Ich sezte ihn sehr in Verwunderung, wie ich seine Bratsche anpackte, und übel und bös einige Arien darauf spielte, die ich heimlich für mich gelernt hatte. Wäre mir eine grosse Baßgeige aufgestossen, so wäre ich eben so gut auf einen Stuhl gestiegen, um irgend etwas damit zu probieren. Daß ich aber keinen Anachronismus begehe, muß ich anmerken, daß ich hier meiner Geschichte vorgegriffen habe; ich war eben erst sieben Jahr alt, und kehre zu diesem Zeitpunkt zurück. Noch habe ich von meines Vaters Einfluß auf meine Erziehung nichts gesagt; auch ist wenig davon zu sagen, denn er gab sich mit diesem Geschäft nicht viel ab; was ihn aber auch besonders abhielt, sich darein zu mischen, darf ich nicht mit Stillschweigen übergehen. Ich war sehr hartnäckig; das heißt, ich that nicht leicht etwas, wovon ich den Grund nicht einsah, und so bald ich nur Gewalt fühlte, oder Laune wahrzunehmen glaubte, gab ich nicht mehr nach. Meine Mutter, die klug und vorsichtig war, urtheilte, daß man mich durch Vernunft beherrschen, oder durch das Gefühl gewinnen müßte; auch fand sie keinen Widerstand. Mein Vater befahl bei seinem raschen Wesen als Herr, ich gehorchte ihm nur langsam oder gar nicht; und wenn es ihm einmal einfiel, mich despotisch zu bestrafen, ward sein sanftes Töchterchen zu einer Löwin. Zwei oder dreimal gab er mir die Ruthe, ich biß ihn in das Bein, über welches er mich gelegt hate, und protestirte gegen seinen Willen. Einst war ich etwas unpaß, man sprach davon, mir Arzney zu geben: der bittre Trank ward herbei gebracht; ich führe ihn zu meinen Lippen, sein Geruch zwingt mich, ihn voll Widerwillen zurückzustossen; meine Mutter gab sich Mühe, meinen Abscheu zu überwinden, sie beredete mich, ich gieng treuherzig daran, aber so oft mir das abscheuliche Gebräu unter die Nase kam, wandte ich aus Eckel den Kopf weg. Meiner Mutter vergieng die Geduld, ich weinte über ihr und mein Leiden, aber das Einnehmen gieng darum nicht besser. Indeß trat mein Vater herein; er wird bös, und giebt mir die Ruthe, weil er meinen Widerwillen auf Rechnung des Eigensinns schreibt, urplötzlich verschwindet mein Wunsch zu gehorchen, und ich erkläre, daß ich die Arzney nicht nehmen will. Das war ein Aufhebens! man drohte, peitschte mich zum zweitenmal, ich schrie laut, hob die Augen gen Himmel, und machte mich bereit, das Getränk, wie man mir es wieder vorhalten wollte, auf die Erde zu werfen. Mein Vater ward wüthend, und drohte mir zum drittenmal die Ruthe zu geben. Noch heute, indem ich dieses schreibe, empfinde ich die Revolution, die Entwicklung meiner Kräfte die damals vorgieng; meine Thränen stockten auf einmal, ich schluchzte nicht mehr, eine plötzliche Stille vereinigte meine Kräfte zu einem einzigen Entschluß, ich setze mich in meinem Bette aufrecht, kehre mich gegen die Wand, stützte meinen Kopf gegen die Mauer, hebe mein Hemd auf, und biete mich schweigend den Streichen dar. Man hätte mich auf der Stelle todt peitschen können, ohne mir einen Seufzer auszupressen.

Meiner Mutter, der dieser Auftritt fast das Leben kostete, und die alle ihre Vernunft nöthig hatte, um die ausschweifende Heftigkeit ihres Mannes nicht zu vermehren, gelang es endlich, ihn aus dem Zimmer zu entfernen. Sie legte mich, ohne ein Wort zu sprechen, wieder in mein Bett, und nach zwei Stunden, die sie mich ausruhen ließ, beschwor sie mich mit Thränen, ihr nicht mehr weh zu thun, und die Arzney zu nehmen; ich sah sie steif an, nahm das Glas, und trank es in einem Zug aus. Allein nach einer Viertelstunde brach ich alles von mir, und hatte einen heftigen Fieberanfall, den man schon anders als mit widrigen Tränken und der Ruthe heilen mußte. Damals war ich etwas über sechs Jahr alt.

Alle Umstände dieses Auftritts sind mir so gegenwärtig, alles was ich dabey empfand so lebendig, als wäre es neuerdings vorgefallen. Eben diese Erstarrung habe ich seitdem in freyerlichen Augenblicken erfahren, und es würde mir jezt nicht mehr kosten, kühnen Schrittes auf das Blutgerüst zu steigen, wie es mir damals kostete, mich einer grausamen Behandlung zu unterwerfen, die mich tödten, aber nie besiegen konnte.

Von dem Augenblick an, legte mein Vater nie mehr Hand an mich; ja er gab sich nicht einmal damit ab, mir etwas zu verweisen, er liebkoste mich viel, lehrte mich zeichnen, führte mich spazieren, und behandelte mich mit einer Güte, die ihn in meinen Augen ehrwürdig machte, und ihm meinen unbedingten Gehorsam zusicherte, man ließ es sich angelegen seyn, meinen siebenten Geburtstag, als das Alter der Vernunft, als den Zeitpunkt, von dem an man alles was sie gebietet von mir erwarten könnte, zu feyern. Der Ausweg war klug genug, um die Art Achtung zu motiviren, mit welcher man mich behandeln mußte, und meinen Eifer zu unterhalten, ohne meiner Eitelkeit zu schmeicheln. Meine Zeit verfloß sanft in häuslichem Frieden und grosser Geistesthätigkeit; meine Mutter blieb immer zu Haus, und sah wenig Menschen; zweimal die Woche giengen wir aus, einmal um die Großeltern meines Vaters zu besuchen, und dann, Sontags nämlich, zu meiner Großmutter mütterlicher seits, zum Gottesdienst und auf den Spaziergang. Nach der Vesper begaben wir uns immer zuerst zu meiner guten Mama Bimont; es war eine schöne grosse Frau, die frühzeitig einen Anfall von Schlag gehabt, bei dem ihr Kopf gelitten hatte; sie war nach und nach kindisch geworden, und brachte ihre Zeit auf ihrem Lehnstuhl, nachdem die Jahrszeit war, an dem Fenster oder neben dem Feuer hin. Eine alte Magd pflegte sie, die länger als vierzig Jahr in der Familie gedient hatte. So wie ich hereintrat, gab mir Marie mein Vesperbrod; das war denn wohl gut, aber so bald es verzehrt war, hatte ich ungeheuer lange Weile; ich störte nach Büchern umher, da fand ich aber nichts wie die Psalmen, die ich in Ermanglung von etwas besserm zwanzigmal las und übersang: wenn ich lustig war, fieng meine Großmutter an zu weinen, stieß ich mich, oder fiel ich, so schlug sie ein Gelächter auf; das stand mir nicht an, man stellte mir umsonst vor, dieses sey die Folge ihrer Krankheit, ich fand mich darum nicht weniger betrübt, auslachen hätte ich mich endlich wohl von ihr lassen, aber ihre Thränen brachen immer mit einem schmerzlichen und zugleich blödsinnigen Geschrei aus, das mir fürchterlich durch die Seele schnitt. Die alte Marie salbaderte nach Herzenslust mit meiner Mutter, die sich eine heilige Pflicht daraus machte, zwei Stunden unter gefälligem Anhören dieses Geschwätzes bei ihrer armen Mama zuzubringen. Dieses war für mich wahrlich eine peinliche Geduldübung, ich mußte mich ihr aber dennoch unterziehen, denn wie ich eines Tages aus Langeweile zu weinen anfieng, und fort wollte, blieb meine Mutter den ganzen Abend. Weiterhin unterließ sie nicht, mir gelegentlich ihren Eifer bei diesen Besuchen, als eine rührendstrenge Pflicht vorzustellen, die es mir zur Ehre gereichte, theilen zu dürfen. Ich weiß nicht wie sie sich dabei nahm, allein mein Herz empfieng diese Erinnerung mit Rührung. Wann der Abbe Bimont zu seiner Mutter kommen konnte, war ich voller Freude, denn der liebe kleine Onkel ließ mich springen, tanzen und singen, aber das war nur selten möglich, denn er war damals Lehrer der Chorknaben, und dadurch an sein Haus gefesselt. Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit eines seiner Schüler, der ein günstiges Aeusseres hatte, und den er gern zu loben pflegte, weil er ihm unter allen seinen jungen Leuten am wenigsten zu schaffen machte; da der junge Mensch Anlagen verrieth, so erhielt er wenige Jahre darauf eine Anstellung, ich weiß nicht mehr in welchem Kollegium, und ward der nämliche Abbe Noel, der sich anfangs durch einige kleine litterarische Arbeiten bekannt gemacht hat, und der nochmals durch den Minister le Brün in die diplomatische Laufbahn berufen wurde; man schickte ihn voriges Jahr nach London, und jezt ist er in Italien.

Durch meine Beschäftigungen angefüllt, schienen mir die Tage sehr kurz, denn ich endigte nie alles, was ich anzufangen Lust hatte. Nächst den Lehrbüchern mit welchen man mich versah, hatte ich unsre kleine Hausbibliothek bald erschöpft. Ich erinnere mich noch zweyer Leben der Heiligen in Folio, einer altväterisch geschriebnen Bibel in eben dem Format, einer alten Uebersetzung der bürgerlichen Kriege von Appian, eines Theatrum der Türkey in sehr schlechtem Styl, die ich manch liebes Mal durchlesen habe. Ich fand auch Scarrons komischen Roman, und Sammlungen sogenannter Bonmots, die ich nicht zweimal las. Die Memoiren des tapfern de Pontis, die mich amüsirten, die der Demoiselle de Montpensier, deren Stolz ich wohl mochte, und einige andere alte Tröster, deren Gestalt, Innhalt und Schmutzflecken mir noch vor Augen schweben. Ich hatte eine solche Lernwuth, daß ich mich über ein Heraldisches Werk hermachte, das ich aufgefunden hatte, und es eifrig studirte; es enthielt kolorirte Kupferstiche, die mich ergötzten, ich fand Freude daran, die Namen aller der kleinen Figürchen zu wissen. Es währte nicht lange, so sezte ich meinen Vater durch meine Kenntniße in Verwunderung, indem ich ihn auf die Fehler eines Pettschafts aufmerksam machte, das gegen die Regeln der Kunst verstieß. Ich war über diesen Gegenstand sein untriegliches Orakel. So fiel mir auch eine kleine Abhandlung über die Verträge in die Hände, ich versuchte, auch diese zu studiren; denn ich las nichts, das ich nicht zu behalten den Ehrgeitz hatte; allein die Zeit ward mir dabei so lang, daß ich nicht über das vierte Kapitel kam.

Die Bibel zog mich an, und ich nahm sie oft wieder vor. In unsern alten Uebersetzungen spricht sie so von der Leber weg, wie die Doktores pflegen; einige naive Wendungen sind mir nie aus dem Sinne gekommen. Dieses brachte mich auf die Spur von Dingen, die man kleinen Mädchen sonst eben nicht an der Wiege vorsingt, aber sie zeigten sich nur von einer wenig verführerischen Seite, und ich hatte zu vielerlei zu denken, um mich bei blos materiellen, mir so wenig angenehm scheinenden Dingen aufzuhalten. Es machte mich nur lachen, wenn mir die Großmama von den kleinen Kindern erzählte, wie sie unter dem Kohl gefunden würden, und ich erwiederte, meine alte Maria lehrte mich, daß man sie anderswo herholte, ohne daß ich neugierig war, zu wissen, wie sie dahin kämen. Indem ich so im Hause umher störte, hatte ich eine andere Quelle von Lektüre entdeckt, mit der ich lange zu Rathe hielt. Mein Vater hatte seine sogenannte Werkstatt ganz nahe bei dem Ort, wo ich mich den Tag über aufhielt; es war ein angenehmes Zimmer das wohl ein Sallon hätte heissen können. Ohngeachtet meine bescheidne Mutter es schlechtweg den Saal nannte, zierlich meublirt, mit Spiegeln und einigen Gemälden verziert; hier empfieng ich meine Lehrmeister. Im Hintergrunde dieses Zimmers an der einen Seite des Kamins hatte man Mittel gefunden, einen kleinen Verschlag anzubringen der durch ein Fensterchen erhellt wurde, und wo ein Bett stand, so eng hinein gedrängt, daß ich am Fuß desselben in das Loch steigen mußte, nebst einem Stuhl, einem kleinen Tisch, und einigen Wandbrettern. Eine große Stube gegenüber, wo mein Vater seinen Werkbank und viele zur Bildhauerei und zu seiner eignen Kunst gehörige Sachen gestellt hatte, war die Werkstatt. Abends, oder in den Stunden des Tages, wo es da leer war, schlich ich mich herein, denn ich hatte einen Winkel entdeckt, wo einer der jungen Leute Bücher hinlegte. Ich nahm immer nur eines nach dem andern, und verschlang es in meinem Kämmerchen, indem ich große Sorge trug, es immer zur rechten Zeit wieder hinzustellen, ohne einem Menschen ein Wort davon zu sagen. Im Ganzen genommen waren es gute Schriften. Eines Tages bemerkte ich, daß meine Mutter die nämliche Entdeckung gemacht hatte, ich erblickte ein Buch in ihren Händen, das schon durch die meinigen gegangen war; von der Zeit an that ich mir weiter keinen Zwang an, und ohne zu lügen, doch ohne von dem Vergangenen zu reden, that ich, als folgte ich nur ihrer Spur. Der junge Mensch, der sich Courson nennte, sich nachmals ein von zulegte, und in Versailles anzukommen wußte, wo er Pagenlehrer ward, unterschied sich von seinen Kameraden, durch Höflichkeit, Gefühl fürs Schickliche, und Verlangen nach Unterricht. Er hatte über das augenblickliche Verschwinden einiger Bücher seinerseits auch nichts gesagt, und es schien ein stillschweigender Vertrag zwischen uns dreien zu walten. Da las ich viele Reisen, die ich leidenschaftlich liebte, unter andern die von Renard, welche meine erste Lektüre dieser Art waren, einige Schauspielsammlungen von Schriftstellern der zweiten Klasse, und Daciers Uebersetzung des Plutarch. Dieser lezte gefiel mir besser wie alles, was ich noch gelesen hatte, selbst die zärtlichen Geschichten nicht ausgenommen, wie die unglücklichen Ehegatten von Labedoyere, die ich noch gegenwärtig habe, ob sie mir gleich seitdem nie wieder zu Gesicht gekommen sind; allein Plutarch schien mein eigentliches Futter zu seyn. Die Fasten vom Jahre 1763 werde ich nie vergessen, ich war damals neun Jahr alt, ich nahm diesen Plutarch statt des Gebetbuchs mit in die Kirche. Von diesem Augenblick schreibe ich die Eindrücke und Begriffe her, die mich zur Republikanerin machten, ohne daß es mir einfiel, es zu werden.

Telemach, und das befreite Jerusalem verwischten diese feierlichen Spuren einigermaaßen; der zärtliche Fenelon rührte mein Herz, und Taßo entzündete meine Einbildungskraft. Auf meiner Mutter Befehl mußte ich zuweilen laut lesen, aber es war mir gar nicht damit gedient; ich kam dadurch aus der gesammelten Stimmung die mir so süß war, und konnte nicht so geschwind fortrücken; auch hätte ich mir lieber die Zunge abgebissen, als die Episode von der Insel der Calipso und viele Stellen des Taßo, auf diese Weise zu lesen. Mein Athem ward lauter, ein plötzliches Feuer bedeckte mein Gesicht, und meine wankende Stimme hätte meine Bewegung verrathen. Ich war in diesen Augenblicken Telemachs Eucharis, oder Tankredens Erminia; allein, so lebhaft ich mich in ihren Platz versezte, so fiel mir doch noch nicht ein, irgend etwas für sonst jemanden zu seyn; ich dachte nicht über mich selbst nach, ich suchte nichts ausser mir, ich war Eucharis und Erminia, ich sah nur die Gegenstände, welche diese Heldinnen umgaben, es war ein Traum ohne Erwachen, doch erinnere ich mich, einen jungen Maler, Namens Taboral, der zuweilen zu meinem Vater kam, mit vieler Bewegung gesehen zu haben. Er mochte zwanzig Jahr alt seyn, hatte eine sanfte Stimme, ein Gesicht, das viel Zärtlichkeit ausdrückte, und erröthete wie ein junges Mädchen. Wann ich ihn in der Werkstatt hörte, hatte ich immer einen Bleystift oder irgend etwas daher zu holen; da mir aber seine Gegenwart vielmehr Verlegenheit wie Freude machte, eilte ich auch immer weit schneller wieder hinaus, als ich herein getretten war, und mit einem Herzklopfen, einem Zittern, das ich schnell in meinem Kämmerchen verbarg. Jezt glaube ich gern, daß die Fantasie und jener junge Herr, wenn zu solchen Anlagen Müßiggang und schlechte Gesellschaft hinzugekommen wären, artige Fortschritte hätten machen können, allein die Bücher, welche ich eben nannte, machten andern Platz, und die Eindrücke verwischten sich; einige Schriften von Voltaire trugen dazu bei, mich zu zerstreuen. Wie ich eines Tags im Candide las, und meine Mutter von dem Tisch, wo sie eben Picket spielte, aufstand, rufte mich die Dame, deren Parthie sie machte, aus dem andern Winkel des Zimmers, wo ich saß, zu sich, und bat mich, ihr mein Buch zu zeigen. Wie meine Mutter ins Zimmer trat, wandte sie sich zu ihr, und bezeugte ihre Verwunderung über meine Lektüre. Meine Mutter befahl mir, ohne ihr zu antworten, kurz und einfach, das Buch wieder an seinen Platz zu stellen. Diese Frau, die sehr griesgrämig aussah, hochschwanger war und wichtige Gesichter schnitt, mißfiel mir gewaltig, und von der Zeit an konnte sich Madame Charbonne keines freundlichen Lächelns von mir rühmen. Meine gute Mutter wurde dadurch keineswegs in ihrem sonderbaren Verfahren irre gemacht; sie ließ mich lesen, was mir in die Hände kam, ohne darauf aufmerksam zu scheinen, ob sie gleich immer recht gut wußte, was es war. Uebrigens ist mir nie ein unsittliches Buch vorgekommen, selbst jezt kenne ich deren nur zwei oder drei dem Namen nach, und mein Geschmack ist zu gebildet worden, um sie je lesen zu mögen.4 Mein Vater machte sich ein Vergnügen daraus, mir von Zeit zu Zeit mit Büchern ein Geschenk zu machen, das ich jedem andern vorzog; da er sich aber das Ansehen geben wollte, meinen Geschmack für das Ernsthafte aufzumuntern, wählte er in Rücksicht der Umstände auf die drolligste Weise. So gab er mir zum Beispiel Fenelons Abhandlung über die Erziehung der Mädchen, und Lokes Schrift über die Erziehung der Kinder, so daß er einer Schülerin gab, was zur Anleitung der Lehrer bestimmt ist. Dennoch glaube ich, daß dieses sehr gut that, und das Ohngefähr sorgte vielleicht besser für mich, wie die gewöhnlichen Berechnungen gethan hätten. Ich war sehr reif, ich dachte gern nach, und wünschte ernstlich mich zu bilden, das heißt, ich studirte die Bewegungen meiner Seele, ich suchte mich selbst zu kennen, fieng an zu fühlen, daß ich eine Bestimmung hätte, die ich zu erreichen suchen müßte. Die religiösen Ideen fiengen jezt an, in meinem Kopfe zu gähren, und brachten bald einen heftigen Ausbruch hervor. Ehe ich davon spreche, muß ich doch erst sagen, was aus unserm Latein geworden ist. Die ersten grammatikalischen Begriffe hatten sich recht gut in meinem Kopfe geordnet, ich deklinirte, konjugirte, so betrübt mir das vorkam; die Hofnung, einst in dieser Sprache die schönen Sachen zu lesen, von denen ich reden hörte, oder durch meine damalige Lektüre Begriffe bekam, hielten meinen Muth gegen die Trockenheit und Müheseligkeit dieser Art zu lernen, aufrecht. Mit meinem kleinen Onkel (so nannte ich den Abbe Bimont) war es nicht derselbe Fall; jung, gutherzig, faul und guter Dinge, machte er keinem Menschen Last, mochte sich aber auch für niemand bemühen; sein Schulmeistershandwerk zwang ihn bei den Chorknaben zu so vieler Langeweile, daß er lieber spatzieren gieng, als mir Lektionen gab, und mich lieber lachen und springen, als meine Konjugationen hersagen ließ. Er hielt weder die Tage noch die Stunden, wo er zu seiner Schwester kommen sollte, und die Lektion wurde durch tausenderlei Umstände aufgeschoben. Ich wollte aber lernen, und ließ nicht gern von etwas ab, was ich einmal unternommen hatte. Man verabredete sich also, daß ich dreimal in der Woche früh Morgens zu ihm gehen sollte, aber er konnte sich dem Zwang, meinem Unterricht zu gefallen einige freye Augenblicke zu sparen, nicht unterziehen. Ich fand ihn in Pfarrgeschäften, durch seine Chorkinder zerstreut, oder mit einem Freund beym Frühstück. Ich verlor meine Zeit, der Winter kam dazwischen, und das Latein blieb liegen. Ich behielt von diesem Versuch nur eine Art Instinkt, oder aufdämmerndes Verständniß übrig, kraft dessen ich in meiner frommen Epoche bei dem Singen der Psalmen doch einigermaßen wußte was ich sagte, und dann im ganzen viel Leichtigkeit für Sprachen, besonders für das Italiänische, das ich einige Jahre darauf allein und ohne Mühe lernete.

Mein Vater hielt mich zum Zeichnen nicht sehr eifrig an; er vergnügte sich mehr an meiner Fähigkeit, als er sich Mühe gab viel Kunstgeschick in mir zu entwickeln. Einige Worte, die ich aus einem Gespräch zwischen ihm und meiner Mutter auffieng, belehrten mich sogar, daß diese gescheute Frau eben nicht wünschte, es mich in dieser Kunst sehr weit bringen zu sehen; »ich will keine Mahlerin aus ihr machen, man müßte sie die öffentlichen Lehrstunden besuchen lassen, und Verbindungen unterhalten, an denen uns wenig gelegen wäre.« Man lehrte mich Kupferstechen, ich war mit allem zufrieden; ich lernte den Grabstichel führen und überwand bald die ersten Schwierigkeiten. Wenn das Fest irgend eines meiner Großeltern einfiel, zu welchem man immer sehr gewissenhaft glückwünschte, brachte ich meinen Tribut dar, entweder einen artigen Kopf, den ich in dieser Absicht sorgsam gezeichnet hatte, oder eine kleine saubere Kupfertafel, auf welche ich einen Blumenstraus und mit zierlichen Buchstaben Verse, die mir denn Herr Sanftmuth drechselte, gestochen hatte. Dagegen erhielt ich einige Kalender, die mich sehr ergötzten, und sonst Geschenke von Dingen zu meinem Gebrauch, gewöhnlich Putzsachen, die ich recht gern hatte. Meine Mutter sah mich gern geputzt, sie selbst zog sich einfach, oft sogar nachläßig an; ihr Töchterchen war aber ihre Puppe, und ich war in meiner Kindheit zierlich, ja kostbar, und wie es schien über meinen Stand gekleidet. Die jungen Frauenzimmer trugen damals eine Kleidung die man corps-de-robe nannte: sie glich den Roben, die man bey Hof trug, lag knapp am Leib an, war unten sehr weit, hatte einen langen Schweif, und war mit Falbalas verziert, wie die Mode oder der Geschmack es gerade mit sich brachte. Man machte mir die meinigen aus schönen seidnen Zeugen, von leichten Mustern, sittsamen Farben, aber so theuer und von eben dem Stoff, wie meiner Mutter Staatskleider. Die Toilette machte mir wohl Kummer, denn man kräuselte mir oft das Haar, mit Papilloten, heissen Eisen, und allen abgeschmackten, barbarischen Zurüstungen der damaligen Zeit. Mein Kopf war äusserst empfindlich, und man rupfte mich so unbarmherzig, daß jeder schöne Haarputz mir Thränen kostete, die mir der Schmerz, jedoch ohne laute Klage, auspreßte.

Man fragt mich wahrscheinlich, wem zu gefallen bey meinem eingezognen Leben diese Putzerei getrieben wurde? Man erinnere sich aber, daß ich zweimal die Woche ausgieng, und wer die Sitten der Leute, die man zu meiner Zeit Pariserbürger nannte, gekannt hätte, dem würde es bekannt seyn, daß deren mehrere Tausende waren, die in keiner andern Absicht ansehnliche Summen auf ihren Putz wendeten, als um alle Sonntage einige Stunden in den Tuilerien zu paradieren; ihren Frauen blieb noch die Kirche übrig, und das Vergnügen, langsam durch das benachbarte Stadtviertel zu schlendern: dazu muß man die Familienbesuche an den Namenstagen, zu Neujahr, die Hochzeiten und Kindtaufen rechnen, und es kommen genug Gelegenheiten, seine Eitelkeit zu üben, heraus. Uebrigens wird man in meiner Erziehung mehr wie einen Kontrast bemerken. Das nämliche Persönchen, welches Sonntags in der Kirche und auf der Promenade in einem solchen Aufzug erschien, daß man sehr wohl hätte glauben können, sie stiege so eben aus einer Equipage, deren Betragen und Sprache dem auch gar nicht wiedersprach, gieng nichts desto weniger an Werktagen im kleinen leinenen Leibröckchen mit ihrer Mutter auf den Markt, ja sie gieng sogar allein über die Gasse, um Suppenkraut, oder Salat zu holen, wenn ihn die Köchin vergessen hatte. Aufrichtig gesagt, stand mir das nicht sehr an; ich ließ mir aber nichts davon merken, und wußte mir den Auftrag durch meine Art ihn auszurichten, angenehm zu machen. Ich war so höflich, und mischte dabey etwas Würde mit ein, daß die Gemüshökin, oder wer es eben war, sich eine Freude daraus machte, mich zuerst zu bedienen, ohne daß es die vor mir angelangten Käufer übel nahmen. Ich strich immer einige Schmeicheleien auf meinem Wege ein, und war nur desto höflicher dafür. Dasselbe Kind, welches ernsthafte Werke las, die Zirkel der Himmelssphäre sehr gut erklärte, Bleistift und Grabstichel zu führen wußte, und im achten Jahre bey einem Familienfest unter einer Gesellschaft von lauter erwachsenen jungen Leuten die beste Tänzerin war, ward oft in die Küche gerufen, um einen Eyerkuchen zu machen, Gemüs zu putzen, oder den Topf zu schäumen. Dieses Gemisch ernster Wissenschaften, angenehmer Beschäftigungen, und häuslicher Arbeiten, welche die Klugheit meiner Mutter zu ordnen und zu würzen wußte, hat mir ein Geschick zu allem gegeben; es schien meinem wankelmüthigen Schicksal vorzubauen, und hat mir geholfen es zu ertragen. Ich bin überall zu Haus, es wird mir eben so leicht meine Suppe zu kochen, als es Philopoemen ward, Holz zu hauen; aber wer mich sieht, dem fällt es nicht ein, daß dieses ein Geschäft sey, das man mir auftragen könnte.

Aus dem, was ich bis jetzt gesagt habe, wird man leicht urtheilen, daß meine Mutter das was man Religion nennt, nicht verabsäumte; sie war fromm, aber bey weitem keine Betschwester; sie war gläubig, oder bemühte sich wenigstens es zu seyn, und sie richtete ihr Betragen nach den Vorschriften der Kirche mit der Bescheidenheit, der Regelmäßigkeit einer Person, deren Herz die Hauptgrundsätze der Religion aufnahm, weil es deren bedurfte, und über Nebendinge nicht streiten mochte. Die ehrerbietige Art, mit welcher man mir die ersten Religionsbegriffe darbot, hatten meine Aufmerksamkeit gespannt, sie waren von einer Beschaffenheit, welche auf eine lebhafte Einbildungskraft mächtig würken mußte, und ungeachtet der verwirrenden Zweifel, welche meine aufkeimende Vernunft zuweilen bei der Verwandlung des Teufels in eine Schlange, erregte, indem sie mich’s für eine Grausamkeit von Gott halten ließ, dieß erlaubt zu haben, so endigte ich damit, zu glauben und anzubeten.

Ich hatte die Konfirmation mit der Sammlung eines Geistes empfangen, welcher über die Wichtigkeit der Handlung nachdenkt, und seine Pflichten berechnet. Man sprach davon, mich zu meiner ersten Kommunion vorzubereiten, und ich fühlte mich von heiligem Schrecken durchdrungen. Ich las Andachtsbücher, denn es war mir Bedürfniß, mich mit diesen großen Gegenständen von ewigem Heil oder Elend zu beschäftigen, und alle meine Gedanken nahmen nach und nach diese Richtung. Die religiösen Ideen fiengen bald an, mich ganz hinzureissen; der Zeitpunkt, wo die Empfindung das Uebergewicht bekömmt, welcher bei meinen Anlagen ohnehin schon vorzeitig war, wurde durch ihren Einfluß noch beschleunigt; er begann mit der Liebe zur Gottheit, und diese erhabne Schwärmerei verschönerte, verlängerte die ersten Jahre meiner Jugend, weihte die übrigen der Philosophie, und schien mich also vor dem Sturm der Leidenschaften auf immer verwahren zu müssen, vor welchem ich mit Athletenkraft das reifere Alter kaum rette.

Die Frömmigkeit, in welche ich verfiel, würkte sonderbar auf mich, sie brachte eine tiefe Demuth, eine unaussprechliche Scheue in mir hervor; ich sah die Männer mit einer Art von Schrecken an, besonders wenn mir einer oder der andere liebenswürdig vorkam. Meine Gedanken bewachte ich mit übermäßiger Strenge, das geringste Bild, das meinem Geiste, selbst undeutlich vorschweben mochte, schien mir ein Vergehen; ich gewöhnte mir dabei eine so große Ehrbarkeit an, daß ich im sechszehnten Jahre, wie ich Büffons Geschichte las, und nicht mehr fromm war, den Abschnitt vom Menschen ungelesen ließ, und die dahin gehörigen Kupferstiche so schnell und zitternd überschlug, als erblickte ich einen Abgrund; kurz, ich habe mich im fünf und zwanzigsten Jahre verheirathet: und mit einer Seele wie man sie sich vorstellen kann, mit sehr entzündbaren Sinnen, mit vieler Kenntniß mancher Gegenstände, war es mir so wohl gelungen, über manche andere ganz unwissend zu bleiben, daß mir die Geheimnisse der Ehe eben so überraschend als widrig vorkamen.

Obwohl mein Leben täglich eingezogner wurde, schien es mir doch bald in der Vorbereitungszeit zu meiner ersten Kommunion, noch zu weltlich. Diese große Handlung, welche so mächtig auf das ewige Heil würken soll, beschäftigte alle meine Gedanken. Ich gewann Geschmack an dem öffentlichen Gottesdienst, seine Feierlichkeit rührte mich, ich las voll Eifer die Erklärung der Kirchengebräuche, ich durchdrang mich mit ihrer mystischen Bedeutung, ich blätterte täglich in meinen Leben der Heiligen in folio, und seufzte nach der Zeit, wo die Wuth der Heiden den großmüthigen Christen zur Märtirerkrone verhalf. Nun fieng ich an, ernsthaft an einen neuen Lebenswandel zu denken, und nach tieferm Nachdenken, bestimmte ich meinen Plan. Bis dahin hatte mir der bloße Gedanke, meine Mutter zu verlassen, Ströme von Thränen gekostet, und wenn man sich den Spaß machen wollte, meine ausdrucksvolle Stirne plötzlich mit Wolken zu überziehen, wie sie mein inniges Gefühl so leicht erregte, so brauchte man nur von Klöstern zu sprechen, und von dem Nutzen, den es hätte, junge Personen eine Zeitlang dahin zu thun. Allein was muß man seinem Gott nicht opfern! Ich hatte mir von dem Kloster, seiner Einsamkeit und Stille, große oder romantische Begriffe gemacht, wie sie meiner thätigen Einbildungskraft angemessen waren. Je erhabner mir dieser Aufenthalt schien, je besser schickte er sich zu meiner Stimmung. Als ich eines Abends nach Tische mit meinen Eltern allein war, warf ich mich zu ihren Füßen, und brach in Thränen aus, daß mir die Stimme versagte; erstaunt, betroffen, fragt man mich um die Ursache dieser befremdlichen Bewegung! – Ich bitte Sie, sagte ich schluchzend, um etwas das mich zerreißt, das meine Pflicht aber fordert, thun Sie mich in ein Kloster! Meine Eltern hoben mich auf, meine gute Mutter war gerührt, sie hätte gezittert, wenn sie, da ich ihr seit langer Zeit nicht von der Seite kam, das geringste hätte besorgen können. Man befragte mich um die Ursache dieser Stimmung, indem man mir vorstellte, daß ich bei vernünftigen Wünschen nie eine abschlägige Antwort erhalten hätte. Ich wünsche dieß, antwortete ich, um meine erste Kommunion mit aller erforderlichen Andacht zu begehen. Mein Vater lobte meinen Eifer, und fügte hinzu, daß er ihn begünstigen würde. Man überlegte die Wahl des Hauses, meine Familie stand mit keinem in Verbindung, endlich erinnerte man sich, daß mein Musikmeister oft ein Kloster erwähnt hatte, wo er jungen Frauenzimmern Unterricht gab; und es wurde beschlossen, Erkundigungen einzuziehen. Man erfuhr, das Kloster habe einen guten Ruf, und die Regel sey nicht streng; die Nonnen wurden also der Thorheiten und Mummereien nicht beschuldigt, durch welche diese frommen Jungfrauen sich so oft auszeichnen; sie machten übrigens aus dem Unterricht der Jugend ihre Hauptbeschäftigung, und hielten ausser den Ringmauern des Klosters Lehrstunden für arme Kinder, die sie ihrem Gelübde gemäß ohnentgeldlich unterrichteten; ausserdem hatten sie aber auch noch eine Pensionsanstalt für junge Mädchen, die man ihrer Sorgfalt anvertraute. Meine Mutter that die nöthigen Schritte, und nachdem wir alle meine Großeltern besucht hatten, um ihnen meinen Entschluß, der ihren völligen Beifall erhielt, anzukündigen, brachte sie mich zu den Dames de la Congregation, auf der neuen Straße St. Etienne in der Vorstadt St. Marcel, sehr nahe an dem Orte, wo ich jetzt eingesperrt bin. O wie schloß ich diese theure Mutter, von der ich mich jetzt zum erstenmal trennte, so fest in meine Arme! Der Athem gebrach mir, ich war durchdrungen! Aber ich gehorchte der Stimme Gottes, und wie ich die Schwelle der Clausur betrat, brachte ich mit unzähligen Thränen das große Opfer dar. Dieses geschah den siebenten Mai 1765, ich war damals eilf Jahr und zwei Monate alt.

Wie soll ich jezt aus der Tiefe eines Gefängnisses, unter der politischen Zerrüttung meines Vaterlandes, die alles was mir theuer ist, mit dahin reißt, wie soll ich jene Zeit des Friedens und der Freude zurückrufen und darstellen? In welche Farben soll ich meinen Pinsel tauchen, um die sanfte Rührung eines jungen zärtlichen Herzens zu schildern, das nach Glück sich sehnend, die Natur zu ahnden beginnt, und allenthalben nur die Gottheit gewahr wird! Die erste Nacht die ich im Kloster zubrachte, war unruhig; ich war nicht mehr unter meinem väterlichen Dache, ich fühlte mich fern von der guten Mutter, die meiner gewiß mit Rührung gedachte. Ein schwacher Schimmer erhellte das Zimmer, wohin man mich mit vier andern Kindern meines Alters gebettet hatte; leise stahl ich mich von meinem Bett, und schlich an das Fenster; der Mond ließ mich den Garten unterscheiden, auf welchen die Aussicht gieng. Tiefe Stille ruhte um mich her, ehrerbietig horchte ich, wenn ich so sagen darf, dieser Stille zu; grosse Bäume warfen hie und da ihren Riesenschatten, und versprachen dem tiefen Nachdenken sichern Schutz. Ich hob meine Augen zum Himmel, er war rein und heiter, ich glaubte die Gegenwart der Gottheit zu empfinden; sie nahm mein Opfer lächelnd auf, und lohnte mir schon mit dem trostreichen Frieden der Heiligen. Köstliche Thränen entflossen langsam meinem Auge, ich wiederholte meine Gelübde mit heiligem Entzücken, und genoß darauf des Schlummers der Auserwählten.