Das Mädchen da oben auf der Treppe ... - Harry Robson - E-Book

Das Mädchen da oben auf der Treppe ... E-Book

Harry Robson

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Beschreibung

Gibt es ein Leben vor dem Tod? Aber gewiss doch. Harry Robson, Baujahr 1950, schreibt von Liebe, Erotik, Sex, Crime, Betrug, Auf- und Abstieg. Dieses Buch, spannend und informativ zugleich, zieht den Leser von der ersten Zeile an in seinen Bann. Lassen Sie sich mitnehmen auf eine Lebensreise die 70 Jahre andauert. Nur die Wenigsten würden diese Reise lebend überstehen und wären am Ende noch in der Lage, ein Buch darüber zu schreiben. Lesen sie dieses Buch und Sie werden wissen, ob Sie es auch geschafft hätten. [email protected]

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Für Norbert

Harry Robson

Das Mädchen da oben auf der Treppe….werde ich heiraten!

Biografischer Roman

Impressum

© 2019 Harry Robson

1. Auflage Umschlaggestaltung, Illustration: Harry Robson Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-347-17871-7

ISBN Hardcover: 978-3-347-17872-4

ISBN e-Book: 978-3—347-17873-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Kapitel

Claus starrte mich verständnislos an. „Kennst Du die etwa?“ „Nein, leider nicht, aber ich werde sie auf jeden Fall heiraten.“ Darauf lachte er nur und meinte, dass mit mir irgendetwas nicht in Ordnung sei.

Wir beide standen auf dem Schulhof der Berufsschule in Bergheim. Es war August 1967, unser erster Schultag. Etwa 150 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren standen dort. Wir beide hatten eine Lehre als Großhandelskaufmann begonnen. Allerdings bei unterschiedlichen Lehrherren. Von der Realschule her kannten wir uns, hatten die „mittlere Reife“ mit Ach und Krach geschafft.

Eigentlich wollte ich Reisebürokaufmann werden. Leider war nur in Köln eine entsprechende Lehrstelle zu finden und das hätte bedeutet: Morgens um 06: 45 h mit dem Zug nach Köln, abends gegen 20: 30 h wieder zu Hause. Nun bekam ich kein Taschengeld und von meiner Lehrlingsvergütung durfte ich nur den Fahrtkostenanteil behalten. Der Rest musste abgeliefert werden. Also hatte ich mir mit 14 einen lukrativen Nebenjob verschafft: Kegeljunge. Während meiner Schulzeit hatte ich bis zu 5 Kegelvereine unter Vertrag, die teilweise auch nachmittags zu Gange waren. Außerdem fanden sonntags oft Kegelwettbewerbe statt, bei denen ich gerne den Kegeljungen machte. Damit kam ich auf bis zu 200 DM im Monat und wenn ich in Köln arbeiten wollte, kam ich nie und nimmer so zu Hause an, dass ich um 20: 00 h auf der Kegelbahn war. Die Abendvereine waren die finanziell attraktivsten. Schließlich musste ich wegen der Lehre schon meine Nachmittagsvereine opfern. Reisebürokaufmann ging also gar nicht.

„Sie“, die unbekannte Schöne, stand mutterseelenalleine direkt vor dem Schuleingang. Frech schaute sie von der Treppe auf die Schulanfänger herab, mit einem Gesichtsausdruck: Macht endlich auf, ich will hier rein! Sie trug eine Collegemappe unter dem Arm, einen kamelhaarfarbenen Mantel und eine Kurzhaarfrisur, die man damals wohl als „Rattenkopf“ bezeichnete.

Sie gefiel mir ungemein. Ich war 17 und hatte bisher nie eine Freundin gehabt. Ich war zwar schon mal mit einem Mädchen Eis essen oder spazieren, aber mehr war da noch nie. Naja, das stimmt nicht ganz: Mit Dagmar war ich einmal im Wald spazieren und wir hatten uns zum Ausruhen auf eine Wiese gelegt. Plötzlich küsste sie mich und erklärte mir anschließend: Nun bekomme ich ein Kind von dir! Noch nie hatte mich ein Mädchen geküsst und mir war die Sache sehr unangenehm. Die feuchten Lippen auf meinem Mund und ihr Versuch, die Zunge in meinen Mund hineinzuschieben, waren mir mehr als peinlich.

Am Abend befragte ich meinen besten Freund Hans, was er davon hielt. Hans war ein Jahr älter als ich und hatte eine Schwester, war also mit dem anderen Geschlecht besser vertraut als ich. Nein, meinte er, vom Küssen wird man nicht schwanger. Ich habe meine Schwester schon oft beobachtet und da müsste sie jetzt schon einige Kinder haben, mach dir keine Sorgen. Sein Rat war Gesetz. Ich beschloss in Zukunft einen Bogen um Dagmar zu machen, so ganz geheuer war mir bei der Kussgeschichte nicht.

Endlich erschien der Schulleiter auf der Treppe und verlas die Namen der Schüler mit den dazugehörigen Klassennummern. Ich hielt es für eine schicksalhafte Fügung, dass die Unbekannte mit mir in eine Klasse kam. Schnell wusste ich, dass sie Romika hieß und bei einem Notar lernte. Da es in Bergheim nur einen Notar mit Lehrling gab, wurde sie bei den Kaufleuten eingeschult.

Nach den einleitenden Worten des Direktors wurde uns der Klassenlehrer vorgestellt und die üblichen Anweisungen, was Bücher, Stundenplan, Schulzeiten etc. betraf, verlesen. Dann durften wir den Klassenraum wieder verlassen. Aber auf dem Schulhof konnte ich sie nicht finden, obwohl ich überall nach ihr suchte. Ich ging dann zu meiner Lehrstelle, wissend, dass ich sie beim Schulbeginn wiedersehen würde.

Genau das passierte auch und sie erschien mir noch begehrenswerter als am ersten Schultag. In den Pausen hielt sie sich immer bei den anderen Mädels auf, da war also kein herankommen. Außerdem war ich sehr schüchtern und hätte bei einer Ansprache in Anwesenheit von anderen wahrscheinlich kein Wort herausbekommen. Immerhin hatte ich herausgefunden, wo der Notar sein Büro hatte und auch, wie die Arbeitszeiten waren. Um 17: 30 h hatte ich Feierabend, der Notar schloss um 18: 00 h. Es waren ca. 20 Minuten zu laufen und so hielt ich mich dann eines Tages gegen 18: 00 h vor dem Notar auf und als sie herauskam, wollte ich sie dann endlich ansprechen. So nach dem Motto: Hallo, das ist ja ein Zufall, dass ich ausgerechnet jetzt hier vorbeikomme. Leider stieg sie sofort in einen schwarzen Mercedes ein und der verschwand mit ihr.

Es war ein Mercedes, Baujahr 1953, das hatte ich sofort erkannt. Und noch etwas war mir aufgefallen, was ich kaum glauben konnte. Mein Vater war neben seinen verschiedenen Tätigkeiten als Busfahrer auch Chef-Fahrer bei einem Direktor, dem ein schwarzer Mercedes gehörte. Dieser Mercedes hatte die Nummer SU-D 450. Etwa um 1960 wurde der Wagen dann verkauft. Der tauchte nun hier direkt hier vor mir auf und fuhr mit meiner Angebetenen davon. Wenn das keine Fügung des Schicksals war.

Beim nächsten „Date“ kam ich mit dem Fahrrad und fuhr dann dem Mercedes hinterher. Offensichtlich saß die Mutter am Steuer, was mich total beruhigte. Hätte ja auch irgendein Typ sein können. So fand ich heraus, wo sie wohnte. Aber viel weiter war ich damit auch nicht.

Das Schicksal half mir erneut: Ich hatte auf der Realschule Schreibmaschine und Steno gehabt, es darin aber nie zu meisterlichen Fähigkeiten gebracht. Mein Lehrherr fand das ganz schnell heraus und meldete mich auf seine Kosten in einer privaten Handelsschule an. Als ich den Klassenraum betrat, sah ich zu meiner Überraschung, dass Romika ebenfalls dort angemeldet war, um Schreibmaschine und Steno zu lernen.

Nun war es für mich von Vorteil, dass wir beide uns ja von der Berufsschule her kannten, von den anderen Schülern kannten wir niemanden. So nach und nach kamen wir ins Gespräch und verabredeten uns für einen Sonntagnachmittag, 15: 00 h, an der Straßenbahnhaltestelle. Sie erklärte mir direkt, dass sie einen sehr strengen Vater habe und auf jeden Fall um 18: 00 h wieder zu Hause sein müsse. Außerdem dürften wir uns nicht in Bergheim bewegen, denn ihr Vater würde das halbe Dorf kennen und wenn irgendjemand sie mit einem Jungen sah, würde das riesigen Ärger geben.

Der Sonntagnachmittag kam, und sie war pünktlich zur Stelle. Sie trug ein blaues Etuikleid mit weißem Kragen und ließ auch einiges vom Bein sehen. 1967 war die Zeit des Minirocks. Sie hatte ein sehr hübsches Gesicht, wundervolle Beine und auch eine ansprechende Oberweite. Ich war hin und weg. Wir dackelten also den Rhein entlang dann über die Felder, an der Siegmündung vorbei bis Mondorf und wieder zurück. Letztendlich landeten wir dann rechtzeitig an der Straßenbahn, von wo sie mit dem Bus nach Hause fuhr.

Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich mich verliebt!

Wir sahen und nun mehrmals die Woche: 2-mal Berufsschule und 2-mal Steno. Wir freundeten uns an.

2. Kapitel

Leider war ihr Vater sehr restriktiv, was Romikas Freizeit anging. Richtige Treffen außerhalb der Schulzeiten gab es leider nicht und Romika war klar, dass ihr Vater uns und vor allem mich, „kaputt“ machen würde, wenn das herauskäme. Es war wohl in dieser Zeit die größte Angst aller Eltern, dass die Töchter frühzeitig Spaß am Sex haben würden um dann, vor allem ungewollt, schwanger zu werden.

Ich verfiel auf eine kleine List: Aus den Gesprächen wusste ich, dass Samstagnachmittag immer der Zeitungsjunge kam, um die Fernsehzeitung zu bringen. Wo sie wohnte wusste ich ja und so lauerte ich in der Nähe von Romikas Zuhause dem Zeitungsjungen auf und überredete ihn, mir für eine Weile sein Rad mit den Zeitungen zu überlassen. Dafür bekam er mein Rad als Pfand und 5,00 DM, was damals dem Gegenwert von 10 Kölsch entsprach.

Dann fuhr ich als Zeitungsjunge zu Romika, klingelte und wartete ab. Romika, die natürlich von allem nix wusste, öffnete die Tür, wurde puterrot und stammelte: Was willst du denn hier? Zwischenzeitlich war auch die Mutter an der Türe erschienen und fragte: Haben wir einen neuen Zeitungsjungen? Ich erklärte, dass ich nur Vertretung machen würde und völlig von den Socken sei, dass Romika hier wohnt. Wir würden uns aus der Berufsschule kennen und das sei hier ein wirklicher Zufall, das könne man ja kaum glauben!

Romikas Mutter war ganz angetan und lud mich zu einem Glas Limonade ein. So war ich das erste Mal bei ihr Zuhause und lernte alle Familienmitglieder kennen, soweit sie anwesend waren. Insgesamt gab es 7 Geschwister. Der Vater grummelte nur was vor sich hin und sofort war ich für ihn schon wieder vergessen.

Die Mutter hingegen ahnte wohl, dass dieser Zufall nicht so ganz zufällig war und unterzog mich einem Verhör, betreffend Familie, Berufsaussichten und so weiter. Letztendlich erklärte sie, dass sie nichts dagegen habe, wenn sich Romika mit mir treffen würde. Das Eis war gebrochen! Ich verabschiedete mich, dankte für die Limo und brachte dem Zeitungsjungen sein Fahrrad zurück.

Ich war einfach nur glücklich und wieder zu Hause, erzählte ich meiner Mutter davon. Nachdem ich meine Schilderung der Ereignisse beendet hatte, machte sie ein nachdenkliches Gesicht und sagte mir, dass sei gar nicht gut. Ich erwiderte: „Du musst sie erst mal kennenlernen, dann wirst Du schon sehen!“ Aber meine Mutter meinte, das Problem hing mit dem Ort zusammen, in dem Romika wohnte.

Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Meine Mutter war Kölnerin und hatte 2 Geschwister. Ihr Vater hatte eine große Fleischerei in Köln, die im Krieg ausgebombt worden war. Leider war der Vater in den letzten Kriegstagen eingezogen worden und wurde sofort vom Feind erschossen. Die Restfamilie, Mutter und 3 Kinder, zogen dann nach Müllekoven, einem Nachbarort von Bergheim.

Mein Vater hingegen stammte aus Schlesien. Seine Familie, 12 Kinder und die Eltern, gehörten zu den Flüchtlingen/Vertriebenen des 2. Weltkrieges. Das Deutsche Rote Kreuz führte die Familie in Bergheim zusammen. Nach und nach kamen auch die Söhne aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Mein Vater war bei den Amerikanern inhaftiert.

Bei den Bergheimern waren die „Neubürger“ nicht sehr willkommen. Damals nannte man sie „Polacken“, da für den Rheinländer Polen und Schlesien dasselbe war. Die „Polacken“ wurden in der Regel irgendwo zwangseinquartiert, einfach da, wo gerade Platz war. Das führte natürlich zu Reibereien. Niemand wollte seinen Wohnraum mit den Polacken teilen. Außerdem, und das war wohl das Hauptproblem, drängten die jungen Männer auf den Heiratsmarkt und buhlten um die jungen Mädels. Diese wiederum waren an den fremdländisch anmutenden, jungen Männern sehr interessiert, hatten genug von den örtlichen Bauerntölpeln und das führte, gerade am Wochenende beim Tanzvergnügen, zu massiven Schlägereien, bei denen wohl oft ein Messer gezückt wurde. Romikas Vater gehörte wohl zu den ganz schlimmen Fingern, genauso wie mein Vater.

Es waren also Schwierigkeiten zu erwarten und als meine Mutter dem Vater über meine Eroberung berichtete, war auch gleich der Teufel los. „Dreckige Messerstecher“ war noch das Harmloseste, was da geschrien wurde. Nie im Leben würde ein Mädel aus dieser Sippe einen Fuß über seine Schwelle setzen.

Romikas Vater war wohl zwischenzeitlich aus seiner Lethargie erwacht und verlangte Auskunft über den neuen Zeitungsjungen, den man mit „seiner Limonade“ bewirtet hatte. Die Mutter übernahm die „Moderation“ und das Ganze endete mit „lebenslangem Stubenarrest“ für Romika. Nie wieder wolle er den Sohn des schlimmsten Messerstechers aller Zeiten wiedersehen. Im Gegenteil: Sobald er wisse, wo die Familie wohnt, würde er höchstpersönlich dort auflaufen und alle platt machen.

Damals wusste ich noch nicht, dass Romikas Vater, besonders am Wochenende, durchgängig alkoholisiert war und meist schon am nächsten Tag nicht mehr wusste, was Sache war.

Unsere weiteren Zusammenkünfte gestalteten sich also schwierig und forderten jede Menge Erfindungsreichtum, was Ausreden für häusliche Abwesenheit betraf. Wir ließen uns davon aber nicht den Wind aus den Segeln nehmen, trafen uns heimlich nach der Arbeit auf dem Friedhof, der ganz in der Nähe von Romikas Elternhaus lag und gingen auch mal in die Nachmittagsvorstellung ins Kino. Irgendeine von Romikas Freundinnen gab dann das passende Alibi ab. Irgendwann durfte ich Romika auch mal mit nach Hause nehmen, als der Vater nicht da war. Mutter war ganz angetan von dem Mädel und versprach, uns zu helfen, wo immer möglich.

Nach einiger Zeit wurde ich dann offiziell sonntags zum Mittagessen bei Romika eingeladen. Natürlich hatte ich mich chic gemacht und Blumen dabei. Der Vater hingegen war auf dem Frühschoppen und tauchte statt um 13: 00 h um 14: 30 h auf, sternhagelvoll. Der Braten war zermatscht, die Kartoffeln ungenießbar und die Stimmung im Keller. Einzig positiv war, dass ich Romikas Mutter beim Kochen zusehen durfte. Mir fiel auf, dass alle Messer stumpf waren und so gut wie nichts mehr schnitten. Beim nächsten Besuch brachte ich einen vernünftigen Schleifstein mit und schärfte alle Messer. Das hinterließ einen bleibenden Eindruck!

Nach dem 1. Lehrjahr musste Romika ganztags nach Köln auf die Berufsschule, da es dort eine Klasse für Rechtsanwalts- und Notargehilfen gab. Da der Stenokurs genau auf den Berufsschultag fiel, wurde der abgesagt und dadurch sahen wir uns gar nicht mehr. Telefonieren war schwierig. Wir hatten kein Telefon, ich musste also immer zum Telefonhäuschen laufen. Ich konnte aber auch nicht so ohne weiteres bei Romika anrufen, denn ihr Vater war fest davon überzeugt, dass das Telefon durch das Telefonieren ganz schnell kaputt gehen würde. Wenn er also zu Hause war, ging immer er ans Telefon und legte sofort auf, wenn es nicht für ihn war. Tagsüber von der Firma aus telefonieren war gar nicht möglich. Es war streng untersagt, das Firmentelefon für private Gespräche zu benutzen. Völlig egal, ob aktiv oder passiv.

Deshalb musste irgendwie mein Vater weichgekocht werden. Ich erklärte einfach, dass mein Mädchen zwar aus Müllekoven käme, aber mit dem „Messerstecher“ aus Nachkriegszeiten nichts zu tun habe. Das sei nämlich der jüngere Bruder gewesen. Romikas Vater war 1947 schon deutlich über 30 und friedlich gewesen. Mein Vater hat es geglaubt und Romika durfte zum Grillen kommen. Sie gefiel ihm unheimlich gut und das Thema Bergheimer Messerstecher war vergessen. Wir durften uns also nun auch offiziell treffen.

3. Kapitel

Unser Verhältnis war nach wie vor freundschaftlich. Händchenhalten, bisschen herumfummeln, erzählen, mehr war nicht. Küssen war nach dem Erlebnis mit Dagmar nun auch nichts, wohin mein Streben ging. Aber generell wollte ich schon mehr über die Weiblichkeit, das Geheimnis zwischen Mann und Frau, erfahren. Wir sprachen beide darüber und kamen zu dem Ergebnis: „Es zu tun“. Eine Ahnung, was wirklich zu tun war, hatte ich nicht.

Im Universallexikon zu Hause suchte ich alles ab, was mir weiterhelfen konnte und tatsächlich fand ich eine kleine Zeichnung der Vagina. Diese, so wurde erklärt, sei im Startbereich mit einer Klitoris, auch Kitzler genannt, ausgestattet. Wenn nun der Mann seine Eichel in die Nähe davon brachte, so würde der Kitzler den Penis so lange kitzeln, bis es ihm kam. Das Ganze machte Sinn, denn bei der Selbstbefriedigung ging es ja schließlich auch darum, die Eichel so zu reizen, bis es kam. Also hatte ich mit Logik ein schwieriges Problem gelöst. Dass das nicht ganz richtig war, erfuhr ich dann später. Sehr zufrieden mit meinen Forschungsergebnissen machte ich mich daran, das „Event“ zu planen.

Wir hatten uns schon einige Male im Wald getroffen und eine versteckte Bank gefunden, auf der wir händchenhaltend über „Gott und die Welt“ sprachen. Hier sollte „Es“ stattfinden. Wir trafen uns in der Mittagspause. Ich setzte mich auf die Bank, zog meine Hose inklusive Unterhose herunter, Romika zog ihren Slip aus und den Rock hoch und setzte sich auf meinen Penis. Prima dachte ich, jetzt geht’s los. Leider passierte gar nichts!

Der Kitzler kitzelte nicht. Ich erklärte Romika, sie war übrigens 15, was ich erwartete und sie meinte, einen Kitzler habe sie schon, aber warum der jetzt nichts machte, sei ihr nicht klar. Wir zogen uns also wieder an und gingen zurück ins Büro.

Der Vorfall ließ mich jedoch nicht ruhen und bei nächster Gelegenheit setzte ich mich wieder mit dem Lexikon auseinander, konnte aber nichts Neues entdecken. Hier fehlte mein Freund Hans, der solche Dinge sicherlich bis ins Detail erklären konnte. Leider war Hans inzwischen bei der Bundesmarine, Wehrdienst leisten. Also musste des Rätsels Lösung warten, bis er wieder Heimaturlaub hatte.

Irgendwann war er wieder im Lande und ich fragte, ob er mir erklären könne, warum der Kitzler bei Romika nicht richtig arbeitete. Er konnte sich vor Lachen kaum noch halten und nachdem er sich wieder beruhigt hatte, erklärte er mir in allen Einzelheiten, was genau zu tun war. Was soll ich sagen: Beim 2. Versuch hielt ich mich genau an seine Anweisungen und der Erfolg war nicht zu übersehen. Auch Romika schien begeistert und von da an machten wir es, so oft es ging.

Ab und an trafen wir uns sonntags in einer Diskothek. Das war damals nicht so ein Glitzertempel, in der die Lightshow einen zum Erblinden brachte, sondern eine ehemalige Kneipe. Hier hatte man den Raum, in dem normalerweise Hochzeiten und Beerdigungen stattfanden, komplett schwarz gestrichen und einige, winzige Lämpchen aufgehängt. An der Stirnseite thronte der Diskjockey, mit zwei Plattenspielern bewaffnet. Die Lautstärke war durchaus vertretbar, aber wenn die Bude voll war, und das ging ganz schnell, herrschte Saunatemperatur, die einem den Schweiß aus den Poren trieb. Da das Publikum aus Teenies bestand, öffnete man schon um 15: 00 h. Ab 19: 00 h war schon das Meiste gelaufen. Die herrschende Dunkelheit verführte natürlich dazu, an den Mädels herumzugrabschen und sich auf diverse Kussabenteuer einzulassen. Musik: Bee Gees, Beatles, Cliff Richard, Stones, Spencer Davies, Kinks usw. Es war einfach richtig schön.

4. Kapitel

Irgendwann im Frühjahr 1969 meinte Hans, dass er gerne im Sommer in Österreich den Urlaub verbringen möchte. Seine Schwester und ihr Freund würden mitfahren und wenn ich auch mitkäme, wäre das eine feine Sache. Ziel war der kleine Ort Ledenitzen am Faaker See. Dort sei er als Kind mit den Eltern gewesen, es sei wunderschön und auch sehr preiswert.

Gerne wollte ich mitfahren, sehr gerne sogar. Ich war noch nie irgendwo im Urlaub gewesen und an mir lag es bestimmt nicht. Die Klippe, die es zu umschiffen galt, war mein Vater. Obwohl ich 19 war, behandelte er mich immer noch wie seinen Leibeigenen. Ich sprach mit meiner Mutter darüber und sie meinte, frage einfach, mal sehen was passiert. Was passieren würde, wusste ich schon vorher. „Was, Du willst in Urlaub fahren? Du bist 19 Jahre alt, hast im Leben noch nichts geleistet, liegst uns nur auf der Tasche und Du willst in Urlaub fahren? In Deinem Alter hatte ich den Krieg und die Kriegsgefangenhaft hinter mich gebracht, geheiratet und gearbeitet. Hatten Deine Mutter und ich jemals Urlaub?“

Es war sinnlos. Einige Zeit später sagte Mutter, „Du kannst fahren, aber sprich bloß nicht mit ihm darüber.“ OK, mir fiel der berühmte Stein vom Herzen. Als Hans das nächste Mal kam, sagte ich zu. Sofort begann das Pläne schmieden. Was uns fehlte, war ein Zelt und Luftmatratzen. Romika hatte ein Zelt, das wusste ich. Bei nächster Gelegenheit fragte ich nach, ob ich das Zelt leihen könne. Naja, das Zelt stand den ganzen Sommer im Garten und die kleineren Geschwister spielten den ganzen Tag im und um das Zelt herum. Eigentlich war es ziemlich ramponiert. Außerdem ließ es sich vorn am Eingang nicht verschließen. Aber ein neues Zelt zu kaufen, war uns finanziell nicht möglich. Damals kosteten die Dinger ein kleines Vermögen. Ich musste also bei Romikas Mutter Überzeugungsarbeit leisten, damit wir das Zelt bekamen. Eine Luftmatratze bekam ich auch und Hans konnte eine bei einem Kameraden leihen.

Der Tag der Abreise rückte näher und als Hans mit dem Auto bei uns vorfuhr, mich und meine Habseligkeiten einzuladen, stockte mir der Atem. Es war der Mercedes SU-D 450, den ich noch vor einem Jahr bei Romikas Eltern gesehen hatte. Die hatten den Wagen gegen ein anderes Modell in Zahlung gegeben und Hans hatte ihn dann in Köln, bei einem anderen Händler, entdeckt und gekauft. Gut, dass Vater nicht zu Hause war. „Sein Mercedes“ als Urlaubsgefährt für ein paar Halbstarke. Ein Tobsuchtsanfall wäre das Mindeste gewesen.

Die Schwester, Heidi, und ihr Freund hatten es sich auf der Rücksitzbank gemütlich gemacht, ich war der Beifahrer. Noch nie hatte ich eine größere Strecke auf diesem Platz zurückgelegt. Waren Familienfahrten angesagt, musste ich immer hinten sitzen. Bei einem FIAT 500 war es dann das Problem, dass ich meine Beine so zusammenfaltete, dass man die Türe schließen konnte.

Natürlich war ich aufgeregt. Es sind rund 1.000 Kilometer bis Kärnten und Hans rechnete mit 14 – 16 Stunden Fahrzeit. Die musste er alleine leisten, denn Heidi und ich besaßen keinen Führerschein. Der Freund hatte seinen Führerschein erst ganz kurz und wollte nicht mit dem dicken Wagen fahren. Am Frankfurter Kreuz: Stau. Wenn ich heute über die A3 Richtung Süden fahre, Frankfurter Kreuz: Stau. Es gibt Dinge, die ändern sich nie.

Alles in Allem kamen wir gut voran, der nächste Knackpunkt war München. Man musste quer durch die Innenstadt fahren, um auf die Autobahn München-Salzburg zu kommen. Eine direkte Verbindung gab es noch nicht. Das war nicht nur nerven-, sondern auch zeitraubend. Aber irgendwie gelang das auch und nun sah ich zum ersten Mal in meinem Leben Berge, die größer waren als Drachenfels und Ölberg. Viel grösser. Sehr viel grösser. Später sogar mit Schnee obenauf und das im August.

Wir fuhren Richtung Hohe Tauern, wir wollten über die Katschbergverladung nach Kärnten. Den Tauerntunnel gab es damals noch nicht. Die Autos mussten auf einen Eisenbahnanhänger fahren, ähnlich denen wie bei einem Autoreisezug. Allerdings blieben die Reisenden im Auto sitzen. Nachdem die Anhänger voll beladen waren, fuhr der Zug durch den stockdunklen Katschbergtunnel und kam dann im Süden, im strahlenden Sonnenschein, wieder aus dem Berg hinaus. Ich war fasziniert. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, und als wir den Verladebahnhof verlassen hatten, fuhren wir Richtung Spittal/Drau.

Eine so steile Abfahrt hatte ich im Leben noch nicht gesehen. Mir war angst und bange. Das Gefälle betrug bis zu 15 %, und wir verloren fast 1.000 Höhenmeter. Der Wagen, Leergewicht über eine Tonne, knarrte und knackte, ich erwartete jeden Moment, dass die Bremsen versagten und wir mit Karacho, die ganzen Serpentinen abschneidend, den Berg herunterkrachten. Glücklicherweise geschah nichts davon. Hans hatte auch keine Höhenangst und fand das Ganze völlig normal. Er blieb völlig cool, würde man heute sagen. Irgendwann waren wir im Drautal angekommen und Hans fand zielsicher Ledenitzen, unseren Urlaubsort.

5. Kapitel

Wir waren auf einem Bauernhof zu Gast, auf dem Hans Eltern schon etliche Male Urlaub gemacht hatten. Sie hatten jeweils zwei Zimmer gemietet, eins für die Eltern, eins für die Kinder. Es gab eine zentrale Toilette, und man konnte die Küche fürs Frühstück mitbenutzen. Wir bekamen einen Platz auf der Hofwiese, Toilette und Küche durften wir mitbenutzen. Der Preis für den Zeltplatz lag bei 50 Pfennig pro Tag. Wir taten uns schwer mit dem Aufbau des Zeltes. Heringe fehlten, Befestigungsschlaufen waren ausgerissen, es war ein trauriger Anblick. Meine Luftmatratze verlor genauso schnell die Luft, wie ich sie reinpustete. Einen Blasebalg besaßen wir nicht. Keiner von uns hatte je auf einer Luftmatratze geschlafen. In den nächsten Tagen gelang es uns dann, die Matratze zu flicken und einen Blasebalg trieben wir auch auf.

Weniger schön war die Tatsache, dass wir das Zelt nicht verschließen konnten. Mit ein paar Wäscheklammern, so dachte ich, wäre das Problem gelöst, aber es gab Millionen von Insekten, die auf der Wiese lebten, die sich nicht um die Klammern kümmerten. Offensichtich war man auf Insektenseite der Meinung, dass es sich bei uns um ein Geschenk des Bauern handelte, denn wir wurden von Besuchern überschüttet. Ameisen, Ohrwürmer, Mücken, Spinnen und allerlei Getier, das ich nicht kannte, strebte in unser Zelt. Jeden Morgen mussten wir es komplett ausräumen und mit einem Besen alles rauskehren. Eine der ganz wichtigen Tatsachen, die ich auf diesem Urlaub gelernt habe: Fahre nie in Urlaub, wenn du dir kein vernünftiges Bett leisten kannst. Daran habe ich mich mein ganzes Leben lang gehalten.

Aber das war auch der einzige Wermutstropfen. Direkt neben dem Bauernhof lag der Dorfgasthof, der auch Gäste beherbergte. Man konnte dort Kleinigkeiten essen und Bier trinken. Hans war mit den Wirtsleuten gut bekannt. Wenn Bedarf bestand, wurden wir mit Eimern und Schütten ausgestattet. Wir gingen dann in den Wald, Blaubeeren sammeln. Es war unvorstellbar, wieviel Blaubeeren es in unmittelbarer Nähe des Gasthofes gab. Mit der Schütte, eine Art riesiger Kamm, ging man durch die Büsche, die Früchte sammelten sich obenauf und wurden dann in den Eimer geschüttet. Nach etwa einer Stunde waren die zwei Eimer voll. Zum Lohn gab es Blaubeerpfannkuchen und ein Bier. Wichtig war, dass man den Blaubeerpfannkuchen nach dem Bier genoss. Die umgekehrte Reihenfolge sorgte dann in den Gedärmen von Hans für ein ungeahntes Chaos.

Des Weiteren gab es einen SPAR-Laden und ein Restaurant, in dem wir meist essen gingen. Hier konnte man preiswert essen und das Tagesmenü lag mit einem großen Bier um die 1,50 DM.

Highlight des Ganzen war natürlich der Faaker See, ca. 3 - 4 km entfernt. Wenn wir morgens gefrühstückt hatten, ich holte immer vier paar Wiener und vier Semmeln im SPAR-Laden, fuhren wir mit dem Mercedes zum Strand. Jetzt waren wir keine Halbstarken mehr, sondern zwei gut aussehende, junge Männer, die Mercedes fuhren. () Ausschließlich Deutsche bevölkerten den Strand, die meisten aus NRW. Einige Campingplätze existieren in der näheren Umgebung, sowie Hotels, Pensionen und Privatzimmer.

Wir schwammen meist auf die kleine, mitten im See gelegene Insel, fuhren Tretboot, spielten Tischtennis, lagen in der Sonne und tranken auch schon mal ein Villacher. Ich genoss das freie, völlig unbeaufsichtigte Leben. Kein Vater, der einem das Leben schwermachte, kein Chef, keine besoffenen Kegelbrüder. Ich war endlich frei.

Heidi und ihr Freund sind dann per Anhalter nach Venedig weitergefahren. Wir waren nun alleine und freundeten uns mit ein paar Hamburger Jungs an, die im Gasthof wohnten. Hans meinte, wir sollten mal einen Ausflug nach Italien unternehmen, ans Meer. Da war ich leider auch noch nie und es handelte sich natürlich um einen Freundschaftsdienst von Hans, der mir das mal zeigen wollte. In meinem genau kalkulierten Spritanteil 2 X 1000 km /4 Personen war da kein Platz mehr, aber Hans meinte: Passt schon.

Grado an der Adria war rund 150 km entfernt und die Fahrt ging ausschließlich über Landstraßen, auf denen Eselkarren, dreirädrige Vespas, überladene LKW’s und auch wir unterwegs waren. Es wurde unerträglich heiß im Auto. Der schwarze Lack zog die Sonnenstrahlen magisch an, wir hatten Durst, aber kein Geld. In Österreich wurde mit Schilling bezahlt, in Italien aber mit Lire, die wir aber nicht besaßen. In Grado angekommen, erst mal ans Meer! Toll! Kein Meer mehr da. Es war Ebbe. Alle Bötchen lagen auf dem Trockenen, schwimmen war unmöglich. Die Enttäuschung war groß, der Durst und der Hunger noch viel grösser. Wir setzten uns in ein Lokal und verhandelten mit dem Kellner, wieviel Schilling er für vier Pizzen und vier große Wasser haben wolle. Natürlich war das viel zu teuer, der Mann wollte uns ausrauben. Es begann ein endloses Geschacher, und letztendlich bestellten wir vier Wasser und zwei Pizzen, die wir uns teilten. Bis dahin hatte ich noch nicht mal gewusst, was eine Pizza überhaupt ist. Es war eben das Billigste auf der Karte, was wir uns leisten konnten. Wir waren schon überrascht, als dann die belegten Teigscheiben serviert wurden. Es hat keinem von uns richtig geschmeckt. Die Vorsehung hatte Gutes getan, uns nur zwei bestellen zu lassen. Erst Jahre später hielt die Pizza dann auch Einzug nach Deutschland.

Noch immer hungrig und durstig fuhren wir zu unserem Zelt zurück und aßen dann richtig zu Abend.

Ein anderes Mal fuhren wir nach Udine. Dort gab es einen riesigen Markt, auf dem in Italien hergestellte Kleidung verramscht wurde. Außerdem die typischen Touristendevotionalien. Die Qualität war nicht besonders, aber die Preise waren eben auch sehr niedrig. Heute würde man sagen „Chinakram“. Heidi nebst Freund waren mit von der Partie, und das Riesenangebot an Textilien beeindruckte sie sehr. Wir wollten jedoch mit der Sesselbahn auf den Hausberg fahren. Soweit ich weiß, existiert die nicht mehr. Meine Höhenangst überwindend fuhren wir bergan und auch wieder bergab. Wir trafen uns am Wagen, der schräg nach hinten, auf einem nach hinten abfallenden Parkplatz stand.

Hans bemerkte, dass hinten rechts, genau unter dem Benzintank, Benzin herauslief. Offensichtlich war die Benzinleitung beim Einparken beschädigt worden. Das konnte mächtig Ärger geben, denn ADAC-Mitglied war er nicht, und ob die Italiener solch einen Wagen reparieren konnten? Und was das kosten würde? Hans packte sofort sein Werkzeug aus, um der Sache auf den Grund zu gehen. Er schob sich mit Zange, Hammer und anderem Gerät unter den Wagen, um der undichten Stelle auf die Spur zu kommen. Ich konnte dabei nicht helfen, hatte keine Ahnung. Aber mir fiel auf, dass ein Autofahrer, etwas weiter weg, das gleiche Problem hatte. Nun sah ich mir die Bordsteinkante genauer an und sah eine Vielzahl von großen und kleinen eingetrockneten Benzinflecken, die ganze Kante entlang.

Des Rätsels Lösung: In Italien war der Sprit damals billiger als in Österreich und jeder fuhr mit fast leerem Tank nach Italien und tankte erst Mal voll. Wenn das Auto dann nach hinten, schräg abfallend geparkt war und die knallige Sonne schien auf den Wagen, dehnte sich das Benzin aus und floss dann über einen Sicherheitsüberlauf nach draußen. Es war also alles in Ordnung. Hans verstaute das Werkzeug, und wir fuhren zurück.

Es gab jeden Tag Programm. Feuerwehrfeste, der Mittagskogel, der Villacher Kirchtag, Wörther See und vieles mehr. Natürlich wurde auch der „Hexenkeller“ in Drobollach besucht. Das war eine kleine Disco im Keller eines Hotels, das ausschließlich von Deutschen bewohnt wurde. Saßen die Erwachsenen abends beim Bier zusammen, durften die Teenies in die Disco. Das war strategisch sehr günstig, denn wollten die Teenies aus irgendeinem Grund die Disco verlassen, mussten sie durch den Gastraum, wo sie garantiert von den Eltern erspäht wurden. Wir beide waren jedoch nicht an den Teenies interessiert, wir wollten nur Musik hören.

Nach dem Besuch irgendeines Feuerwehrfestes hatte Hans Probleme, die Autotür aufzuschließen. Kurzentschlossen gab er mir die Autoschlüssel und meinte: „Fahr lieber Du, es ist billiger, beim Fahren ohne Führerschein erwischt zu werden, als beim Fahren mit Alkohol.“ Ende der 60er Jahre lag die Promillegrenze noch bei 1,2 o/oo. Polizei, die kontrollierte, haben wir nie gesehen. Immerhin durfte ich nun auch Mercedes fahren, oft genug hatte ich ja zugesehen.

Einmal gab es nachts ein riesiges Gewitter. In den Alpen knallt es wegen der echobildenden Berge besonders laut. Wir verpissten uns bei wolkenbruchartigem Regen in die Scheune. Dort schliefen wir tatsächlich ein, und am nächsten Morgen lag unser Zelt, schlaff wie ein kaputter Luftballon, darnieder. Der ganze Inhalt war komplett eingeweicht. Wir mussten alles zum Trocknen aufhängen. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Bäuerin sogar noch einen Teil der Wäsche waschen musste.

Leider war nach 3 Wochen alles vorbei und wir fuhren wieder nach Hause. Es war ein wirklich schöner Urlaub. Er wäre bestimmt noch schöner gewesen, wäre Romika dabei gewesen.

6. Kapitel

Bei meinem Lehrherrn lief leider nicht alles so glatt. Mein Boss war ein steinreicher Mann mit einer riesigen Villa hoch am Berg, Haushälterin, Köchin, Gärtner, Fahrer und immer den dicksten, neuesten Mercedes. Das imponierte mir alles mächtig. Ich kam aus der Welt der armen Schlucker und Habenichtse. Vater jeden Freitag beim Lohntütenball und anschließend kein Geld mehr für Lebensmittel. Anschreiben im Lebensmittelladen war normal, und es wurde hauptsächlich mit viel Mehl und Kartoffeln gekocht. Hier, bei meiner Lehrstelle, konnte ich zum ersten Mal sehen, was Mann mit Geld alles bewerkstelligen konnte. Ich fing an, für die Schule zu pauken und lernte fleißig alles, was es zu lernen gab. Ich wollte unbedingt auch so ein Boss werden. Im 2. Lehrjahr wurde ich Klassenbester und blieb es bis zum Ende der Lehrzeit.

Seinen Reichtum hatte er wohl illegalen Geschäften zu verdanken. Insbesondere im Interzonenhandel mit der damaligen „DDR“ ließ sich viel Geld verdienen, wenn man an den richtigen Fäden zog und die entsprechenden Papiere vorlegen konnte. Ich lernte, wie man aus allerlei Vorlagen Fotokopien so bastelte, dass es „Originale“ wurden. Ich lernte auch, wie man Telexe so modifizierte, dass sie „echt“ waren, wie man Zollstempel von einem Formular auf das andere übertrug und so weiter. Mir war überhaupt nicht bewusst, dass das Ganze irgendwie verboten und nicht rechtmäßig war. Ich war der Lehrling und machte, was man mir auftrug.

Eine Episode mit meinem Boss ist mir noch in Erinnerung. Als ich mit der Ausbildung begann, wurde, taggleich mit mir, ein kaufmännischer Angestellter eingestellt, der gerade seine Lehrzeit beendet hatte. Herr Hoppbock. Er war ein eingebildeter Schnösel, der sich für ein gottähnliches Wesen hielt. Seine Lieblingsbeschäftigung bestand darin, mir die Namen von Firmen und Personen zuzurufen, mit denen ich ihn am Telefon verbinden sollte. Meist musste ich die Telefonnummern erst mal im Telefonbuch suchen oder über die Auskunft ermitteln. In dieser „Wartezeit“ schaute er aus dem Fenster und klapperte unentwegt mit seinem Autoschlüssel. Dauerte ihm das zu lange, scheute er sich nicht, mich zu beschimpfen. „Lahmarschiger Trottel“ ging ihm ganz leicht über die Lippen. Natürlich gefiel mir das gar nicht, aber ich hatte keine Ahnung, was da zu tun sei.

Eines Tages, der Boss saß an seinem Schreibtisch, ging Hoppbock zu ihm und fragte, ob er einen Moment Zeit habe. Ja gerne, was ist denn? Nun, stammelte Hoppbock, es wäre so, er wollte gerne, also es hätte sich so ergeben, dass seine Freundin schwanger wäre. „Herzlichen Glückwunsch“, gratulierte der Boss jovial. Nun, stammelte Hoppbock weiter, es sei ja so, dass sein Gehalt nicht reichen würde, eine Familie zu versorgen und da hätte er, Hoppbock, sich gedacht, dass eine Gehaltserhöhung die Sache erleichtern würde.

Der Boss lief rot an, sein Blutdruck stieg in atmosphärische Höhen. „Sie bumsen so eine blöde Kuh an und ich soll dafür bezahlen? Haben Sie noch alle Tassen im Schrank? Halten Sie ihren Schwanz doch unter Kontrolle! Ich bezahle für Leistung im Büro und nicht Ihre Rumfickerei! Sie können ja noch nicht mal selber telefonieren, dass muss der Lehrling für Sie machen! Das ist ja auch kein Wunder, wenn sie immer nur ans Bumsen denken!“ Es folgten noch eine Menge Schimpfworte, die ich noch gar nicht alle kannte und die Sekretärin schritt ein: „Was Sie da sagen, sagt kein feiner Mann“. Die Antwort wird mir unvergessen bleiben. Er schlug mit dem Locher immer wieder fest auf den Schreibtisch und brüllte dabei im Takt: „ICH WILL KEIN FEINER MANN SEIN!!!“

Es gab für Hoppbock keine Gehaltserhöhung, aber ich musste nun auch nicht mehr Hoppbocks Privattelefonisten spielen.

Eines Morgens, ich wollte gerade die Bürotür aufschließen, trat ein Mann aus dem Schatten hervor und zeigte mir seinen Ausweis. Er sei vom BKA und was ich da vorhabe. Ich bin der Lehrling und will ins Büro, arbeiten. Das, so der Unbekannte, sei nicht möglich. Die Firma sei geschlossen. Er nahm mir den Schlüssel ab und schickte mich nach Hause; dort solle ich auf weitere Nachricht warten.

Anrufe beim Boss blieben unbeantwortet, die Sekretärin ging ebenfalls nicht ans Telefon und der Prokurist auch nicht. Was tun? Die Polizei wusste nichts, die IHK nicht, der Firmenanwalt erklärte mir nur, ich würde mein Geld weiter bekommen, alles andere würde sich finden.

Nach drei Wochen fuhr ich zur IHK und fragte nach, was zu tun sei. Mittlerweile war dort ein Antrag meines Arbeitgebers eingetroffen, das Lehrverhältnis solle aufgelöst werden, da ich seit Wochen nicht mehr zur Arbeit erschienen war. Ich konnte jedoch alles ausräumen und die IHK sagte mir zu, eine Firma zu finden, bei der ich meine Lehrzeit beenden konnte. Der Vertrag wurde aufgelöst, und schon 2 Tage später war ich bei meinem neuen Lehrherrn. Dazu muss man sagen, dass es zwischenzeitlich überall rum war, dass gegen meinen Boss wegen Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung und anderen glanzvollen Tätigkeiten ein Strafverfahren eingeleitet worden war. Einige Zeit später ist er dann in der DDR bei einem Autounfall mit Totalschaden tödlich verunglückt. Komisch.

7. Kapitel

Meine neue Lehrstelle lag in Bonn, aber die Berufsschule für mich war weiterhin Siegburg. Mit meinem neuen Arbeitgeber konnte ich mich auf eine Verkürzung des Lehrvertrages auf 2,5 Jahre einigen, so dass ich zum 31.3.1970 mit der Ausbildung fertig war. Kurz vor dem Ende der Lehrzeit sprach mich mein Berufsschullehrer an. Es gäbe für mich die Möglichkeit, Berufsschullehrer zu werden, ganz ohne Abitur. Mittlere Reife, abgeschlossene Lehre und ein Zeugnis mit lauter Einsen würden dafür genügen. Ich müsse zwei Jahre lang einen speziellen Kurs besuchen und danach sei ich Lehrer, mit den Vollakademikern gleichgestellt. Das war natürlich verlockend, hätte ich doch wenige Jahre später Beamter werden können. Andererseits hatte ich keine Lust, die nächsten 40 Jahre immer wieder den gleichen Kram zu unterrichten. Also lehnte ich dankend ab.

Mir war klar, dass ich nach dem Ende der Lehrzeit unbedingt zu Hause raus musste. Ich war dann 20 Jahre alt und mit 21 Jahren wurde man erst volljährig. Ich hätte also noch ein Jahr zu Hause verbringen müssen, denn mein Vater ließ keine Zweifel aufkommen, dass ich nach der Lehre mein verdientes Geld zu Hause abliefern müsse. Er habe jahrelang in mich investiert und wolle nun Kasse machen. Ach ja: Die Lehre hab ich mit der Note „gut“ beendet. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass die Durchfallquote bei 45 % lag.

In meiner Lehrzeit hatte ich ja festgestellt: Wissen ist Macht! Ich wollte mein Wissen also unbedingt erweitern und begann, nach Lösungen zu suchen. Nach einigen, vielen Recherchen kam ich dann auf folgende Lösung: Wenn man sich auf 2 Jahre bei der Bundeswehr verpflichtete, wurden 1,5 Jahre so gestellt, als ob man im erlernten Beruf gearbeitet habe. Wenn man nun direkt nach der BW die Ausbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt startete, musste man keine 2 Jahre Berufstätigkeit nachweisen, sondern nur 1,5 Jahre. Also ging ich als Freiwilliger zu Marine, denn nur dort funktionierte mein Ausbildungsmodell so, wie ich es geplant hatte.

Romika war Feuer und Flamme, versprach, mich in allem zu unterstützen. Zwischenzeitlich waren wir so eng miteinander, dass wir ganz offen von Hochzeit sprachen. Sobald wir genug Geld verdienten, wollten wir heiraten und Kinder haben. Am 31. März 1970 hob ich zum letzten Mal Kegel auf und am 01. April 1970 saß ich im Zug nach Glückstadt, um dort die Grundausbildung zu beginnen.

8. Kapitel

Das Schlimmste war die Trennung von Romika. Wir schrieben uns fast jeden Tag einen Brief. Natürlich gab es bei der Marine viel zu berichten. Alles war neu, anders und völlig unbekannt. Das Zusammensein mit 12 fremden Männern in einer Stube war gewöhnungsbedürftig. Gemeinsames Duschen, gemeinsames Essen, gemeinsame Freizeit. Es gab wirklich nichts, wo man hätte mal für sich alleine sein können.

Glücklicherweise hatte ich den „DLRG Leistungsschein“ und wurde bei schönem Wetter zur Schwimmbadwache eingeteilt. Dadurch blieb mir manch unangenehmer Dienst erspart. Bei der Grunduntersuchung, zu Beginn der Wehrzeit, wurde festgestellt, dass ich schlechte Zähne habe. Also besorgte ich mir so schnell es ging einen Termin beim Anstaltsarzt. Das war ein fertiger Zahnarzt aus Köln, der in jeweils 3-monatigen Abschnitten seinen Wehrdienst absolvierte. Daheim in Köln besaß er eine gutgehende Praxis, die er jedes Jahr für 3 Monate schließen musste, bis sein 18-monatiger Grundwehrdienst abgeleistet war.

Nachdem wir festgestellt hatten, dass wir quasi Nachbarn waren, machte er mir ein erstaunliches Angebot: Er würde mir in den kommenden 3 Monaten meine Zähne komplett überarbeiten und alle Plomben entfernen. Dafür dann überall Goldinlays oder entsprechende Kronen anfertigen. Das würde mich ca. 50 - 80 DM für das Gold kosten. Natürlich war ich einverstanden, zumal er mir versicherte, dass ich die Termine nach Wunsch haben konnte, müsse nur rechtzeitig Bescheid sagen.

Beim Grundwehrdienst lernten wir so allerlei. Besonders verhasst war mir das Rudern. Es handelte sich nicht um Ruderboote, wie man sie vom Rhein oder Bötchensee her kennt, wo man sonntags mit seiner Freundin ein bisschen umherruderte. Es waren Ungetüme, die für eine Atlantiküberquerung gedacht schienen. Die Ruder waren so lang und schwer, dass man sie mit zwei Mann tragen musste. Außerdem lernte man neben dem Rudern das Arbeiten mit Seilen und Tauen. Die waren steinalt und ließen sich kaum bewegen. Schnell hatte man die Finger von kleinen Taustückchen gespickt, die wie kleine Nägel in die Finger stachen, um dort wochenlang herauszueitern. Meine Zähne und der Zahnarzt ließen das jedoch nicht zu, so dass ich nur einmal an dieser Veranstaltung teilnehmen musste. Danach wurde immer ohne mich gerudert.

Ebenfalls zu meinen ungeliebten Übungen zählte das Schießen. Jeder Soldat bekam zu Beginn des Wehrdienstes eine „Braut“. Das war ein Gewehr, Typ G3, für das der Soldat voll verantwortlich war. Geschossen wurde bis auf wenige Ausnahmen mit Übungsmunition. Die machte ordentlich Krach und verbreitete einen fürchterlichen Gestank. Abends, wenn wir vom Kriegsspielen zurück waren, mussten die Dinger zerlegt und gereinigt werden. Anschließend sah man aus wie ein Automechaniker nach dem Ölwechsel. Um diesen unangenehmen Praktiken aus dem Weg zu gehen, verschenkte ich meine Übungsmunition immer an Otto. Er verehrte den Krieg und war immer der Erste, dem die Munition ausging. Otto liebte mich dafür, und mir war es egal. Nach der Reinigungsstunde kam dann immer der UFZ (Unteroffizier vom Dienst) um zu prüfen, ob die Bräute auch schön sauber waren. Zu diesem Zweck schaute er in den Lauf, den er auf Rückstände prüfte, die nun nicht mehr vorhanden sein sollten. Außerdem besaß er noch einen Zahnarztspiegel, den er auch für den Lauf benutzte.