Das Schwein - Edward Lee - E-Book

Das Schwein E-Book

Edward Lee

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Beschreibung

Man nehme: - einen skrupellosen Pornoproduzenten - ein auf Perversitäten spezialisiertes Studio mitten in der Einöde - zwei abgefuckte, drogenabhängige Prostituierte - dumme, aber liebenswerte Hinterwäldler - einen naiven Filmstudenten aus der Großstadt - eine sexsüchtige Sektenbraut - einen allzeit willigen Schäferhund - ein Hausschwein mit besonderen Talenten Und fertig ist die größte literarische Sauerei des Jahrhunderts. Richard Laymon: 'Edward Lee – das ist literarische Körperverletzung!' Der Verlag warnt ausdrücklich: Edward Lee ist der führende Autor des Extreme Horror. Seine Werke enthalten überzogene Darstellungen von sexueller Gewalt. Wer so etwas nicht mag, sollte die Finger davon lassen. Für Fans dagegen ist Edward Lee ein literarisches Genie. Er schreibt originell, verstörend und gewagt – seine Bücher sind ein echtes, aber schmutziges Erlebnis.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 178

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Aus dem Amerikanischen von Markus Mäurer

Impressum

Die amerikanische Erstveröffentlichung von The Pig erschien erstmals in der limitierten Zusammenstellung Inside the Works, Necro Publications, November 1997.

Copyright © 1997 by Edward Lee

2. Auflage Mai 2014

Copyright © dieser Ausgabe 2013 by Festa Verlag, Leipzig

Titelbild: Francesco Sambo – www.francescosambo.com

Lektorat: Alexander Rösch

Alle Rechte vorbehalten

www.Festa-Verlag.de

Sissy schaute auf das Schnapsglas voller Schweinesperma und kippte es auf ex. Ohne zu zögern, in einem einzigen reibungslosen Zug, schluckte sie alles runter, lächelte in die Kamera und leckte sich über die Lippen, als hätte sie gerade haute cuisine gekostet, und dann …

»Sissy? Was ist … Nein!«

… wurde sie leichenblass und kotzte alles auf den Boden.

»Scheiße, Leonard! Das ist krank!«, fauchte sie, während noch mehr aus ihrem Mund tropfte. »Dieses Zeug schmeckt wie …eiiiiiße!« Dann …

RRRRRRRALF!

… übergab sie sich erneut.

Leonard war angewidert. Sissy war angewidert …

Sogar das Schwein war angewidert.

Jetzt wäre es an der Zeit, kurz innezuhalten und sich die Frage zu stellen, wie – und noch entscheidender: warum – das zuvor erwähnte Schweinesperma seinen Weg ins Schnapsglas gefunden hat.

Um diese Überlegung geht es in dieser Geschichte. Und sie ist wahr.

Sie heißt Das Schwein.

Es taumelte und quäkte, gluckste und spie, sein rundlicher Körper zuckte jedes Mal zusammen, wenn eines der Mädchen versuchte nach … tja, seinem Schwanz zu greifen.

»Auuuuu!«, schrie Snowdrop kurz auf. »Dieser Wichser hat mich gebissen! Er hat mich in den Rücken gebissen!«

Es war kein großes Schwein, wohlgemerkt, nicht wie die 500 Kilo schweren Berkshires, bei deren Aufzucht Leonard seinem Dad geholfen hatte, damals vor vielen Jahrzehnten auf dessen Farm in Davidsonville, Maryland. Tatsächlich hatte Leonard seine Jungfräulichkeit, wenn man es genau nahm, an ein 200-Kilo-Duroc namens Lacie verloren. So sind Jungs eben.

Leonard würde sich immer an diesen Tag erinnern, genau wie Millionen andere – der Tag, an dem John Fitzgerald Kennedy im texanischen Dallas einem Mordanschlag zum Opfer fiel, erschossen durch eine handelsübliche mit Quecksilberfulminat gefüllte Patrone vom Kaliber 221. Aber entgegen der gängigen Annahme nicht aus einer vollgeschäfteten Repetierbüchse abgefeuert, sondern aus einem Schlagbolzenrevolver der Marke Remington. Die Tatwaffe gehörte einem Mann namens Jimmy Sutton, der wiederum für einen Kerl namens Charles Nicoletti arbeitete. Aber lassen wir das mal einen Moment lang beiseite. Leonard jedenfalls war zu dieser Zeit 14 und ging in die achte Klasse der Sligo Junior High. »Jemand hat den Präsidenten erschossen!«, brüllte sich Leonard die Seele aus dem Leib, nachdem er von der Bushaltestelle nach Hause gehetzt war.

Aber Daddy war nicht im Haus.

»Daddy?«

Leonard hatte ihn schließlich hinten in der ersten Scheune gefunden. Er kniete direkt hinter der stets kooperativen Lacie. Es dauerte nicht lange, bis Daddy sein merkwürdiges Geschäft erledigt hatte, den Blaumann wieder hochkrempelte und zurück an die Arbeit ging. »Gutes Mädchen, das ist ein gutes Mädchen. Hast ’ne bessere Muschi als meine Frau, das’s sicher. Ich war es schon vor 20 Jahren leid, meine Latte in das Loch zu stecken, aber – Jesus, Lacie!«

JFK war längst vergessen, als Leonard in der Vorstellung, dass ein Junge dem eigenen Vater stets nacheifern sollte, seinem Beispiel folgte.

So viel zu männlicher Jungfräulichkeit und sexueller Unschuld.

Aber das war vor über 20 Jahren geschehen, nicht hier und heute. Hier war einer von Vinchettis geheimen Unterschlüpfen, 190 Kilometer vor den Toren von Trenton, New Jersey, und Heute war der Sommer von 1977. Es war ein nettes Plätzchen – sah aus, als wäre es selbst ursprünglich mal eine Farm gewesen. Sanft geschwungene Hügel, so weit das Auge reichte, und einige runtergekommene Scheunen, die als adäquate Kulissen dienten für die klassischen … hmm … Themen der meisten von Leonards, äh, Werken. Sehen Sie, Leonard produzierte kinematografische Kunstwerke für die Mafia. Filme, die die Fügsamkeit einer ganz bestimmten Art von Darstellerin erforderten.

»Komm schon, Snowdrop«, beharrte Leonard, die Canon Scoptic auf seiner Schulter balancierend. »Versuch dir die notwendige Präsenz zu vergegenwärtigen.«

Snowdrop seufzte, während ihre Sonnenbrille herunterhing. Eine Tätowierung auf ihrer rechten Pobacke verriet: LEICHT ABGENUTZT. Ihre schlaffen Brüste baumelten, als sie ein weiteres Mal unter sich griff, und dann …

»Auuuuu!«

… biss ihr das Schwein erneut in den Rücken.

Die Mädchen – Verzeihung, die Schauspielerinnen – hielten in der Regel nicht lange durch. Die meisten von ihnen hatte man aus dem Umfeld von Vinchettis Prostitutionsnetzwerken an der Ostküste zusammengetrommelt, und die überwältigende Mehrheit, wenn nicht sogar alle waren seit einer beachtlichen Zeitspanne chronisch heroinabhängig: zehn Jahre oder mehr.

Lange Rede, kurzer Sinn, Paul Monstroni Vinchetti alias Vinchetti »Das Auge« war der Bezirksboss dessen, was das Justizministerium als die Lonna/Stello/Marconi-Dynastie bezeichnete. Es handelte sich um einen Eckpfeiler dieser geheimnisvollen menschlichen Maschinerie, die man gemeinhin als Mafia bezeichnet und die 1977 um einiges mächtiger war als, sagen wir, 1997, als ihre Ressourcen beträchtlich schwanden. Das lag vor allem an den »Ratten«, die sich in den sicheren Hafen des staatlichen Zeugenschutzprogramms und neuer Identitäten flüchteten.

Damals hatte der sogenannte Mob seine gesellschaftsferne und strikt angebotsorientierte Wirtschaftspolitik noch mit Leichtigkeit unter die Kontrolle seines seit rund 100 Jahren anhaltenden Würgegriffs gebracht. Aber schon zwei Jahrzehnte später sah die Geschichte ganz anders aus. Nun neutralisierten steuerbefreite Kasinos der Indianerreservate die Kontrolle des Mobs auf Glückspielprofite weitgehend und jamaikanische Zwischenhändler drängten die Italiener nahezu komplett aus dem lukrativen Crack-Handel heraus. Dazu gesellten sich kleinere Hilfestellungen wie verdeckte CIA-Einheiten und ein gewisser Flughafen namens Mena in einem gewissen US-Bundesstaat namens Arkansas, der als Umschlagplatz für Dutzende von Tonnen Kokain in einem eigenartigen Arrangement mit gewissen Nicaraguanern und Mexikanern diente.

Dafür wechselten jährlich mehrere Hundert Millionen Dollar an Schmiergeld den Besitzer, die auf noch eigenartigere Weise militärische Unterstützung für gewisse wohlbekannte Feinde der Mexikaner und Nicaraguaner gewährleisteten. Deren Sicherheit für mehr als zwei Jahrzehnte wiederum gewährleistete im Gegenzug für einen Anteil von zehn Prozent netto ein gewisser Gouverneur, der später Präsident der …

Nun ja, kein Grund ins Plaudern zu geraten. Im Wesentlichen, und aus einer ganzen Reihe von Gründen, hat der Mob seine Kontrolle über die gewinnbringenden Geschäftsmodelle verloren, für die er einst berühmt und berüchtigt war. Alles, was übrig blieb, war die Hälfte des nationalen Heroinhandels (die andere Hälfte teilten die Chinesen in den Städten unter sich auf), der Straßenstrich in den Heroin-Hochburgen und – Pornografie.

Abhängig davon, wie man diese definiert. Den größten Rückschlag in diesem Bereich musste die Mafia in den frühen 80er-Jahren mit dem Siegeszug des Videorekorders hinnehmen.

Im Handumdrehen waren die körnigen Super-8-Streifen ebenso passé wie die klassischen Guckloch-Kinos um die Ecke und ihre anonymen »Stars« dieser Ära. Die Massenvermarktung und wachsende Popularität der Videorekorder ließen den Bedarf nach den legendären alten Streifen gen Null tendieren. Wenn du jetzt irgendwelchen Schweinkram glotzen wolltest, musstest du nur eine Spritztour zur Videothek in der Nachbarschaft machen und konntest dir für knapp drei Piepen die neuen Könige und Königinnen der sexuellen Filmkunst mit nach Hause nehmen.

Jetzt, wo sie nicht mehr als Schweinkram bezeichnet wurden, nicht länger als Rammelstreifen oder Fickfilme bekannt waren, brach eine neue Zukunft für das Konzept, vor einer Kamera Geschlechtsverkehr zu haben, an. Es war jetzt eine Industrie – die Adult Video Industry – und sie nahm die Wohnungen Amerikas so schnell in Beschlag, dass die Mafia ihre feste Kontrolle über die Pornografie im Massenmarkt beinahe vollständig einbüßte. Jetzt regierte Hollywood die Branche – mit Stars, Fachblättern und sogar Preisverleihungen!

Ein kleiner Rest blieb. So ähnlich wie ein Brotkrümel, der von einem riesigen Esstisch fällt. Ihn beschriftete man von diesem Zeitpunkt an mit Underground.

Für die übrig gebliebenen kranken Schweine, die sich nicht vom eher zahmen Angebot des Establishments mit ewig gleichen Namen wie Marc Wallice, Peter North, Chaisy Lane und Debby Diamond befriedigen ließen – oder von Blockbustern abgekupferten Titeln wie Mr. Hollands Po-Tuss, Zurück in die Wollust und Susan verzweifelt gefickt – blieb eine Nachfrage bestehen. Das Unaussprechliche. Das Zeug, das entweder absichtlich oder nach Intervention aufgrund von Artikel 18 des United States Code nicht in den örtlichen Videotheken ausgeliehen werden konnte.

Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es sich bei »Underground« um eine Bezeichnung handelte, die im Jargon von Vertretern der staatlichen Strafverfolgungsbehörden benutzt wurde – und dieses Vokabular wurde von exakt denselben Vertretern benutzt, um jährliche Bruttoeinnahmen in Höhe von mehreren Hundert Millionen Dollar zusammenzufassen.

Gut die Hälfte davon wird durch Kinderpornografie eingenommen – absolut verachtenswürdig und deshalb auch von allen Instanzen des US-Rechtssystems konsequent bekämpft.

Aber damals, 77?

Da war Underground wirklich noch ein wildes Sammelsurium und unsere Freunde aus Sizilien kontrollierten alles, was auf den Markt kam! Abarten, von denen die Provinzbewohner in den Vereinigten Staaten meist nicht einmal wussten, dass sie existieren.

Kaviar.

Nekrophilie.

Snuff.

Pornos mit Freaks.

Natursekt-Streifen.

Und …

Der Schäferhund kopulierte mit der Frau auf eine Art und Weise, die wohl noch am ehesten die Bezeichnung frenetisch verdiente. Großartig, großartig!, dachte Leonard, während er die 16-Millimeter-Scoptic für eine Nahaufnahme von hinten heranzoomte. Rocco wird begeistert sein! Der Penis des Hundes schoss wie ein glitzernder rosa Knochen im Schnellfeuertempo in Sissys Vagina hinein und anschließend wieder heraus. »Schnitt!«, verkündete Leonard laut.

Snowdrop, die eigentlich die Eier des Hundes von hinten reiben sollte, war außer Gefecht gesetzt. Das Viertelgramm Schnee hatte sie umgehauen. Sie würde bestimmt gut vier Stunden bewusstlos sein. Das Zeug von der Straße, das Rocco und sein Soldat ungefähr einmal pro Woche vorbeibrachten, war manchmal unerwartet heftig. Ab und zu warf es die Mädchen einen ganzen Tag lang aus der Bahn.

Nicht dass Bewusstlosigkeit Aufnahmen verhindert hätte – Hunde kopulieren auch mit weggetretenen Mädchen, genauso wie Männer es tun – aber die dieswöchige Lieferung war zu viel des Guten. Dies war die letzte Szene, bevor Leonard mit dem Schneiden begann, damit daraus ein kleines niedliches Filmchen namens Nachmittags vor die Hunde gegangen entstand. Ihr könnt euch sicher sein, dass Namen wie Al Pacino und Lance Henriksen garantiert nicht im Abspann auftauchen.

Sissy zuckte in grenzwertigem Widerwillen zusammen, während Snowdrop sich besinnungslos im Vordergrund schlängelte.

»Sissy, du sollst aussehen, als hättest du Spaß, und nicht als wärst du auf der Beerdigung deiner Großmutter«, betonte Leonard während einer kurzen Unterbrechung. Der Hund nahm die Anweisungen des Regisseurs hingegen gar nicht wahr und rammelte unverdrossen weiter, während Sissy sich ängstlich unruhig unter ihm wand.

»Gottverdammt, Leonard!«, warf die Schulabbrecherin aus Crofton, Maryland, ein. Sie war 26, sah aber aus wie 46, nachdem das Zudröhnen mit Heroin ihr in den letzten zehn Jahren das Leben aus dem Körper gewrungen hatte wie Wasser aus einem Abwaschlappen. Als die meisten kleinen Mädchen noch mit Barbiepuppen spielten, war die arme Sissy gezwungen gewesen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, während ihr Vater sie zwei- bis dreimal täglich anal missbrauchte, schlug, verbrannte und fast bis zur Pubertät in einer ungenutzten Speisekammer einsperrte. Nach ihrer Flucht hatte der dunkle Teufel des Schicksals sie in Vinchettis Arme getrieben und in die Glückseligkeit der Eigenbehandlung mit Heroin. Mit 19 wurde sie Abschaum und hatte sich die nächsten fünf oder sechs Jahre in der ganz harten Drogenszene rumgetrieben. Hier war sie nun also angeschwemmt worden. Nur noch 45 Kilo schwer und mit kaputten Venen. Endstation.

»Stoß ihn runter!«, rief Leonard. »Bevor er in dir …«

Aber, ach, es war zu spät. Die Kopulationsbewegungen des Schäferhundes verlangsamten sich und erschlafften dann ganz. Der Hund stieg befriedigt von ihr herunter, beschnüffelte den Boden und ließ seine menschliche sexuelle Erfüllungsgehilfin mit einem Vaginalkanal voll Hundesperma zurück …

Leonard schaltete die Kamera ab.

»Komm schon, Sissy.« Er wischte sich frustriert den Schweiß von den Augenbrauen, während die Scheinwerfer ihn brieten. Er konnte nicht anders, als die Warnung auszusprechen: »Rocco wird morgen Abend hier sein. Wir brauchen noch einen weiteren Cumshot für diesen Film, und ich muss mich immer noch um die Nachbearbeitung und den Schnitt kümmern!«

»Scheiß auf die Abspritzaufnahme, scheiß auf Rocco und scheiß auf dich!«, schrie sie zurück und bot dabei einen höchst bizarren Anblick. Sie lag vornübergebeugt und bewegungslos auf dem Boden, während sie ihren Protest vortrug und Hundesperma aus ihrem Geschlechtsteil tropfte, wirkte sie wie eine schreiende Leiche. »Ich brauch einen Schuss, Leonard! Ich halt es nicht mehr aus! Ich-Ich-Ich wünschte, ich wäre tot.«

Das wirst du auch sein, wenn dieser Film nicht rechtzeitig für Rocco fertig wird.

»Das Heroin ist alle, Sissy. Du und Snowdrop, ihr habt alles verbraucht. Von jetzt an müssen wir es rationieren. So was darf nicht passieren. Du weißt, wie Rocco ist, wenn ihn etwas auf die Palme bringt«. Mit flehenden Augen drehte sie ihren Kopf zu ihm. »Leonard, ich würde alles für dich tun, wenn du … wenn du Rocco umbringst.«

Leonard hätte beinahe losgeheult. »Sag so was nicht!« Leonard war froh, selbst noch am Leben zu sein, wenn er an seine Schulden dachte, die in rund einem Monat abbezahlt sein würden, wie sie mündlich vereinbart hatten. Es ging das Gerücht um, dass Leonards Vorgänger versucht hatte, sich aus dem Staub zu machen. Rocco hatte ihn in einem Burger-Restaurant von White Castle in New York aufgelesen, in den Unterschlupf mitgenommen und dann »den Job« an ihm ausgeführt. Ein Teil des Jobs beinhaltete, ihm Teile des Gesichts wegzuschneiden und per Fed-Ex zu seiner Mutter nach San Bernardino zu schicken. Außerdem gehörte noch dazu … na ja, mehr davon später.

»So was darfst du nicht mal denken, Sissy! Nimm, was du kriegen kannst! Jesses, ihr Mädchen seid echt unmöglich!«

Dann stapfte Leonard raus zum Stall …

»Brav! Guter Junge!«

… um einen weiteren Hund zu holen.

Er nannte den Film »Der Beichtvater«, eine Mischung aus Bergmann und Polanski, aufgepeppt mit einem Schuss Hitchcock und Fulci. Der namenlose Verfasser, gebrochen in Geist und Liebe, wird in ein kleines Tal außerhalb unserer Welt versetzt, wo er … der Wahrheit ins Angesicht blickt …

Als Ausgangspunkt diente eine Kurzgeschichte, die Leonard noch während seiner Collegezeit an ein Literaturmagazin verkauft hatte.

DER BEICHTVATER

Von Leonard D’Arava

Das Weihrauchfass schwingt hin und her. Der schwarz gekleidete Beichtvater blickt vom rauchenden Sockel herab.

Der Autor steht in der Asche.

»Warum bist du hier?«, erklingt die Stimme, aber es ist keine menschliche Stimme. Sie sprudelt wie reißendes Wasser, wie tote Blätter im Wind. Die Stimme ist unberechenbar.

»Erteilt mir die Absolution«, erwidert der Autor. Bleib standhaft, denkt er. Sei tapfer und du wirst obsiegen. »Vergebt mir meinen schändlichen Zustand.«

Das Schweigen heulte in seinen Ohren nach. Dann: »Aber ich bin nicht dein Beichtvater.«

Diese Worte, schwarz wie die Kleidung des Beichtvaters, bescherten dem Autor ein Gefühl, als wäre er nicht existent. Ist Männlichkeit – nein, Seligkeit – denn nichts anderes als Mut und Glaube? Er ist nicht allein der Absolution wegen hier. Er ist für die Wahrheit gekommen. Er hat den ganzen Weg zu diesem schrecklichen Tal zurückgelegt, um diese Frage zu stellen: Was ist Wahrheit? Was ist wirklich Wahrheit? Aber jetzt, wo ihm sein Moment des Bittgesuchs gewährt wird, verlässt ihn seine Entschlossenheit. Sein Mut und sein Glaube verlassen ihn ebenfalls. Plötzlich fühlt er sich wertlos vor dieser unbeweglichen Gestalt in Schwarz.

»Du bist also gekommen, um eine Frage zu stellen«, meldet sie sich zu Wort.

Durch die dunklen Gräben des kleinen Tales sickert hauchdünner Nebel, wie durch Poren.

Der Autor denkt an Grabstätten und Gebärmütter, an Sargtücher und Brautkleider, an die Vulven von Neugeborenen, an Autopsiesägen und Graberde; er denkt an die Unzucht von Gegensätzen.

Er ist sich nicht ganz sicher, worum genau es sich bei dem Tal handelt. Um einen Zwischenraum womöglich. Eine Spalte oder eine Schwelle. Wie auch immer, es scheint weit, weit entfernt von der Welt. Er spürt, dass hier höhere Mächte am Werk sind. Mächte, die jegliche Unvollkommenheit ausschließen, aber nicht den Himmel. Der Himmel ist ein anderer Ort. Der Autor denkt an Leben und Tod, und doch weiß er, dass er nicht tot ist. Vielleicht ist er einfach noch mit Lernen beschäftigt.

Oder ist dies das Ende aller Dinge? Vielleicht hat er alles gelernt, was er jemals lernen wird.

»Ich sehe zu viel«, beichtet er. »Ich fühle zu viel.«

»Du machst deine Befindlichkeiten für deinen Verlust verantwortlich?«

Es klingt, als sei die Vorstellung absurd. »Ich …«, setzt der Autor an und verstummt. Es ist nicht Vergebung für seine Sünden, wonach es ihn verlangt – das ist eine andere Domäne. Er hat den Wunsch, Absolution für all seine Fehldeutungen zu erhalten, für seine Unfähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, die absolute Wahrheit und wohin sie führt. Er fühlt sich wie ein Seher, der genau die falschen Dinge gesehen hat.

»Erzähl mir, was du gesehen hast«, sagt der Beichtvater.

Das Geheiß entfaltet sich wie eine schwarze Blume in seinem Verstand. Was hat er gesehen, das ihn so auf die falsche Fährte geführt hat? Traurigkeit? Verfall?

»Verzweiflung«, antwortet er schließlich. »Zu viele Leben und zu viele Herzen, die über den Punkt des Kollapses hinausgetrieben wurden.«

»Ah, Verzweiflung.« Der Beichtvater hebt einen Finger. »Und was ist mit deinem eigenen Leben? Deinem eigenen Herzen?«

»Ich weiß es nicht. Ich empfinde Bedauern, glaube ich.«

»Aber dir wurde so viel gegeben.«

»Ich weiß! Vergib mir!«

Das Tal erstrahlt in seinem glänzenden Nebel. Der Beichtvater wiederholt: »Aber ich bin nicht dein Beichtvater.«

Auch die Finsternis erscheint unermesslich. Es ist jetzt Mitternacht, wo immer sich dieser Ort tatsächlich befindet. Es ist der Moment absoluter Berechnung, die heilige Stunde der Druiden. Das strahlende Licht des Vollmonds reduziert die Züge des Autors auf die Krassheit seiner Knochen. Der wohlriechende Rauch, der aus dem Weihrauchgefäß gewirbelt wird, ruft ihm den Duft ihres Haars ins Gedächtnis zurück.

»Du verdienst nichts«, stellt der Beichtvater fest, »weil du alles verloren hast. Hörst du mir zu?«

Ja, ich höre zu. Diese Tatsache, dieser Aphorismus, droht den Autoren zu zerquetschen. So fühlt er sich. Aufgerieben. Ich bin ein zerquetschter Mann, grübelt er. Der Gedanke erscheint ihm beinahe komisch.

»Du musst einfach nur tapfer sein, Seher, dann wirst du obsiegen.«

Werde ich das?, fragt er sich. Aber so sollte es offensichtlich sein. Seine Liebe war verschwunden, war ihm genommen worden, oder er hatte sie verloren – der genaue Grund ist nicht von Bedeutung –, von den Verordnungen, die diese Welt kontrollierten und ruinierten. Manchmal betrachtet er die Welt einzig als Ansammlung von Regieren und Versagen. Ja, er hatte seine Liebe eingebüßt; das war es, was ihn zu seiner letzten Frage motiviert hatte. Er fühlte das unbändige Verlangen, die Wahrheit zu suchen, weil er selbst an ihr zweifelte.

»Ich habe meine Liebe verloren«, gesteht er schließlich.

»Ja«, sagt der Beichtvater. »Das hast du.«

Das Weihrauchfass schwingt näher heran, seine arkane blaue Glut gewährt zum ersten Mal flüchtige Blicke auf das Gesicht seines Trägers. Der Autor schaudert. Es ist eine schreckliche Visage. Ein Mund wie der Schnitt eines Messers durch Fleisch und kantige Schlitze als Augen. Mein Gott, denkt der Autor. Das blaue Starren entreißt ihm alles noch Verbliebene. Wenn er jemals so etwas wie Mut besessen hatte, irgendeine Art von Mut, dann war er jetzt verschwunden. Wenn er jemals so etwas wie Glauben …

Verschwunden. Alles verschwunden.

Der Beichtvater deutet mit einem Finger auf den schwarzen Stein. Hohn macht sich in seiner unirdischen Stimme breit. »Es ist an der Zeit, Seher. Blicke ganz tief in dich selbst hinein.«

Mein Gott, er gerät in Panik. Was ist Wahrheit? Was ist wirklich Wahrheit?

Ihre Worte drängen sich in sein Gedächtnis zurück, als würden die Finger einer Leiche aus dem Totenreich nach ihm greifen. Das ist das Traurigste an der ganzen Sache. Ihre Worte sind Geister. Ihre Worte sind nichts weiter als winzige Gespenster.

-ich bin stolz auf dich-

-gibst du mir einen kuss?-

-ich würde alles für dich tun-

-ich auch-

-ach wirklich? also ich habe dich viel mehr lieb-

Danach: Visionen. Erinnerungen, die sich zurück ins Licht drängen.

Sie sieht so wunderschön aus unter seinem Körper, dass es ihn erstaunt. Sie drängt sich hinter seinen Augen in seinen Verstand: ihre raue, nackte, unbesiegbare Schönheit. Sogar ihr Schweiß ist schön, der Schweiß auf ihren Brüsten und Beinen, auf ihrem Engelsgesicht, die Perlen von Schweiß, die sich wie Juwelen im lieblichen kleinen Beet ihres Pelzes einnisten. Sie strahlt, glüht, in dieser atavistischen Schönheit, feucht in Fleisch und wahrem Blut, wahrer Liebe. Vielleicht der einzige Moment aufrichtiger Wahrheit in seinem Leben trifft jetzt auf sein Bewusstsein wie ein Hammer gegen einen Amboss. Auch wenn es nur der Bruchteil eines Momentes ist, scheint er immer noch vollkommen zu sein. Ihre Stimme ist ein leises Flehen, geboren aus dem verzweifelten Verlangen zu kommunizieren, das Worte zu völliger Bedeutungslosigkeit reduziert; bei Weitem über alles hinausgeht, was durch primitive menschliche Äußerungen vermittelbar wäre. Ihr Plädoyer lautet: »Ich liebe dich.«

Der Autor fällt in der Asche auf die Knie.

»Genug gesehen, Seher?«

»Ich habe den Glauben an mich selbst verloren«, krächzt der Autor. »All meinen Mut, meine Werte, meine Einsichten, all meine Wahrheiten. Vergib mir.«

»Ich bin nicht dein Beichtvater«, wiederholt der Beichtvater. »Du kannst dir nur selbst vergeben.«

Die Finger des Autors schlängeln sich durch die Asche. Sie ist noch warm. Er senkt sein Gesicht und küsst die fahlen Bruchstücke, während er an seine Liebe denkt und wie sie seine Welt zum Strahlen gebracht hat.

»Du kannst für immer hierbleiben, wenn du das möchtest. Aber wirst du dann jemals die Wahrheit erkennen?«

Die Augen des Autors weiten sich. Das war eine gute Frage. Der Verlust hat sein Gesicht in eine feuchte, von Asche bedeckte Maske verwandelt, und ganz oben auf dem Sockel lehnt sich der Beichtvater langsam zurück und fängt an zu lachen. Es platzt wie ein Schwarm schwarzer Vögel aus ihm heraus.

Das also war das Wesen der Selbsterkenntnis? Ausgelacht zu werden? Er hatte mit unanfechtbarer Weisheit gerechnet, nicht mit Spott und Demütigung. War von Segnungen ausgegangen.

Und er hatte Antworten auf seine ultimative Frage erwartet und wurde nun innerlich zerquetscht, weil er auch nur mit dem Gedanken gespielt hatte, er dürfe es wagen, danach zu fragen.

»Es ist deine eigene Überheblichkeit, die dich zerquetscht«, bemerkt der Beichtvater.

»Ich weiß«, sagt der Autor.