Das Uhrwerk des Lebens - Ulrich Bahnsen - E-Book

Das Uhrwerk des Lebens E-Book

Ulrich Bahnsen

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Beschreibung

Nie war der Traum vom ewigen Leben so aktuell wie heute. Jung, aktiv, gesund und attraktiv wollen wir sein, und das auch im hohen Alter. Nun haben Wissenschaftler das große Rätsel unserer Vergänglichkeit entschlüsselt. Und sie haben erste Techniken entwickelt, die den Alterungsprozess kontrollieren. Der Wissenschaftsjournalist Ulrich Bahnsen nimmt uns mit auf eine spannende Reise zu den weltweit führenden Altersforscher:innen und entdeckt epigenetische Therapien, mit deren Hilfe wir unseren Körper um Jahrzehnte verjüngen können. Können wir Das Uhrwerk des Lebens zurückdrehen? Die Menschheit probt den Aufstand gegen den Tod.

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Inhalt

CoverÜber das BuchÜber die AutorinTitelImpressumDas Ende der VergänglichkeitI. Das neue Bild des AlternsKapitel 1 | Mehr Leben!Kapitel 2 | AnfängeII. Die Mechanik des Lebens und SterbensKapitel 3 | Ein Zählwerk in unseren GenenKapitel 4 | Von der Zeugung zum Tod – das Programm der LebenszeitKapitel 5 | Jung macht jungIII. Der AufstandKapitel 6 | Stoppt die Uhr!Kapitel 7 | Heilbar alt?Kapitel 8 | Der Aufstieg der Anti-Aging-IndustrieKapitel 9 | Das neue Leben des MenschenZum Schluss

Über das Buch

Nie war der Traum vom ewigen Leben so aktuell wie heute. Jung, aktiv, gesund und attraktiv wollen wir sein, und das auch im hohen Alter. Nun haben Wissenschaftler das große Rätsel unserer Vergänglichkeit entschlüsselt. Und sie haben erste Techniken entwickelt, die den Alterungsprozess kontrollieren. Der Wissenschaftsjournalist Ulrich Bahnsen nimmt uns mit auf eine spannende Reise zu den weltweit führenden Altersforscher:innen und entdeckt epigenetische Therapien, mit deren Hilfe wir unseren Körper um Jahrzehnte verjüngen können. Können wir das Uhrwerk des Lebens zurückdrehen? Die Menschheit probt den Aufstand gegen den Tod.

Über den Autor

Dr. Ulrich Bahnsen promovierte in Neurogenetik am Hamburger Uniklinikum. Seit 1994 ist er als Wissenschaftsjournalist tätig, seit 2001 im Ressort Wissen der Wochenzeitung DIE ZEIT. Seine Beiträge über Themen aus der Genetik, Evolution, Altersforschung und Medizin werden viel gelesen und kommentiert. Ulrich Bahnsen wurde für seine journalistische Arbeit mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Best Cancer Reporter Award (2008) und dem Medienpreis Deutsche Gesellschaft für Neurologie (2016).

DR. ULRICH BAHNSEN

Das Uhrwerkdes Lebens

Wie die Medizin den Codedes Alterns entschlüsselt

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

 

Originalausgabe

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

 

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining

bleiben vorbehalten.

 

Textredaktion: Iris Rinser, München

Umschlaggestaltung: © Stefanie Naumann, Lübbeke Naumann Thoben

Umschlagmotiv: © plainpicture/Stephen Shepherd

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

  

ISBN 978-3-7517-4845-2

quadriga-verlag.de

lesejury.de

 

Ich danke besonders Edda Grabar für Kommentare,

Kritik und Anregungen

Das Ende der Vergänglichkeit

Sie haben eine mutige Entscheidung getroffen: Dieses Buch wird Ihnen vielleicht ein wenig Unerschrockenheit abverlangen. Wenn Sie es gelesen haben, könnte Ihnen eine Grundüberzeugung verloren gegangen sein – eine Gewissheit, die bis vor kurzer Zeit noch die allermeisten Menschen teilten: Das Alter ist unausweichlich. Was immer wir tun oder unterlassen, nichts kann verhindern, dass wir in der zweiten Lebenshälfte alt werden, schwächer und schließlich gebrechlich, bis wir irgendwann einmal sterben.

Doch fassen Sie Mut! Und wagen Sie mit mir ein Abenteuer: Begleiten Sie mich auf einer Expedition in die fortgeschrittensten Labore, zu den ambitioniertesten Unternehmen dieser Welt von heute. Dort wird gerade eine Revolution ohnegleichen angefeuert, ein Umsturz, wie es ihn in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat. Der Mensch ist dabei, seine Alterung unter Kontrolle zu bringen, ja, sie rückwärts laufen zu lassen. Damit endet eine Menschheitsepoche. Denn seit es unsere Spezies gibt, ist Altern ein normaler, unvermeidlicher Teil des Lebens. Das ist nun vorbei. In der neuen Ära der Menschheit können wir alt werden, wenn wir es wollen. Aber wir müssen nicht mehr.

Das wird eine Zäsur von unerhörter Bedeutung werden. Menschen, und das unterscheidet sie vermutlich von allen anderen Lebewesen, wussten schon immer von ihrer Vergänglichkeit. Dieses Wissen hat Religionen gestiftet, Kulturen geschaffen. Aber es ist auch die ewige, unverzeihliche Kränkung des Menschen. Wir sind ersetzlich, unser Niedergang scheint einer Art Naturgesetz zu folgen. Wir finden uns irgendwie damit ab, widerstrebend, verzweifelt oder resigniert. Doch der Tod bleibt letztlich unbegreiflich und inakzeptabel. Der britische Philosoph Stephen Cave schreibt in seinem Buch über die Sehnsucht nach Unsterblichkeit, das menschliche Gehirn sei nicht fähig, sich eine Welt vorzustellen, in der es nicht wenigstens als unsichtbarer Beobachter teilhabe.

So ist es offenbar schon den Menschen in der Steinzeit gegangen. Wir wissen fast nichts über ihre Gedankenwelt. Doch sie beerdigten ihre Toten sicherlich in ritualisierter Form, in bestimmten Körperstellungen, anstatt sie einfach zu verscharren. All das, und erst recht die regelrechten Totenkulte, die in der Jungsteinzeit ab 10000 Jahren vor Christus entstanden, zeugt doch von der Sehnsucht, dem Glauben der frühen Menschen an ein Weiterleben. Schon sie konnten ihrer Vergänglichkeit wohl wenig Positives abgewinnen. Der Kampf gegen das Altern, die Suche nach der magischen Formel für einen Jungbrunnen zieht sich seither durch die gesamte Geschichte der Menschheit. Die Ergebnisse aller Versuche, dem Alter Zügel anzulegen, waren bekanntlich von frustrierender Erfolglosigkeit.

Und doch hat unsere Spezies den Kampf gegen Krankheit und die Endlichkeit des Lebens nie aufgegeben. Denn was ist die Heilkunst, erst recht die moderne naturwissenschaftliche Medizin, anderes als der hartnäckige Versuch, Leiden zu stoppen und unserer Vergänglichkeit so gut wie eben möglich Einhalt zu gebieten?

Dennoch war ich lange vollständig überzeugt, dass alle unsere medizinischen Errungenschaften zwar Krankheiten lindern und im besten Falle heilen können. Dass sie aber die Grundbedingung unseres Lebens – dass wir Tag für Tag, Jahr für Jahr altern – aushebeln könnten, hielt ich für Fantasterei. Oder zumindest für eine Musik, die erst in ferner Zukunft ertönen könnte.

Doch in den Jahren 2014 und 2015 begann sich alles zu ändern. Plötzlich sah ich Forschungsergebnisse, die mir sagten: Womöglich wird nun aus einer Utopie Realität. Es war auch für mich ein befremdliches Gefühl, eines, das auch Sie beim Lesen dieses Buchs ab und an beschleichen könnte. Doch es ist inzwischen eine Tatsache: Wissenschaftler haben den Mechanismus unserer Alterung weitgehend enträtselt. Sie folgt einem biologischen, epigenetischen Programm, das unser Leben von der Zeugung bis zum Tod steuert. Es gibt offene Fragen, aber unser Wissen reicht längst aus, um dieses Programm – und damit unsere Alterung – nach unserem Belieben zu steuern. Wenn Sie dieses Buch lesen, werden Sie feststellen, es handelt nicht von Unsterblichkeit, aber es hilft Ihnen, einen Blick in eine Zukunft zu werfen, in der wir selbst bestimmen, wann und wie wir sterben.

Im Jahr 2016 habe ich mit den Recherchen dafür begonnen. Und genau in diesem Jahr gelang es Wissenschaftlern zum ersten Mal, die Alterung lebender Tiere umzudrehen, sie jünger zu machen. Seither wächst die Flut neuer Veröffentlichungen unaufhaltsam. »Unsere Zivilisation«, sagt der Altersforscher Steve Horvath, »wird die erste sein, die menschliche Alterung kontrollieren kann«. Sie werden diesen Mann auf den folgenden Seiten noch genau kennenlernen. Seine Geschichte, und die der neuen Alterswissenschaft, illustrieren das bekannte Zitat: »Wer weit voraus denkt, wird kurzfristig kritisiert. Wer kurzfristig denkt, wird von der Zukunft zermalmt.«

| I.Das neue Bild des Alterns

Kapitel 1  |  Mehr Leben!

Die Krux mit dem Alter

»Bis vierzig gibt dir dein Körper Kredit«, sagt ein Sprichwort, »danach zahlst du zurück.« Und so ist es auch; alle Menschen erleben diesen Moment, in dem sie intuitiv erkennen: Der Höhepunkt ist überschritten. Die Zuversicht der Jugend, alle Belastungen einstecken zu können, schwindet. Und plötzlich ist die eigene Vergänglichkeit nicht mehr bloß ein theoretischer Gedanke, sondern wird realer. Nach und nach spürt man es auch ganz konkret: Nach dem Joggen schmerzen die Knie, und das wird nicht besser. Dann sitzt man im Restaurant, und im schummrigen Licht ist die Schrift der Speisekarte nicht mehr zu erkennen. Eine Lesebrille muss her, nicht selten kommt irgendwann auch noch ein Hörgerät dazu. Auch das Gesicht verändert sich, die Wangen hängen auf einmal, vor dem Spiegel sieht man, wie die Falten immer mehr werden. Männern fallen die Kopfhaare aus, dafür wachsen welche an Stellen, wo sie nicht hingehören – an den Ohrläppchen, in der Nase. Die Vierzig, die Fünfzig, schon sie fordern ihren Tribut.

Das alles gilt uns als unvermeidlich, als der normale Zyklus des Lebens: Wir werden geboren, wachsen auf, erreichen den Gipfel unserer Leistungsfähigkeit, und dann beginnt allmählich der Niedergang. Und schließlich, in den letzten zwanzig Jahren des Lebens, begleiten und quälen uns die typischen Alterskrankheiten: Arthrose, Diabetes, Übergewicht, Grüner Star – irgendwelche Leiden bekommt dann praktisch jeder Mensch zu spüren, und viele gleich mehrere, etwa Herzinfarkte oder Schlaganfälle, nach denen man oft nicht mehr wiederhergestellt werden kann. Es gibt Hunderte dieser Krankheiten, die mit dem hohen Lebensalter einhergehen. Viele sind kaum behandelbar.

Müssen wir uns also mit dem allmählichen Schwinden unserer Lebenskraft, dem Verlust an Gesundheit und Lebensqualität abfinden?

Die kurze Antwort ist: Das können wir uns volkswirtschaftlich gar nicht erlauben. In den vergangenen 180 Jahren hat sich unsere Lebenserwartung ungemein verlängert. Im antiken Rom blieben den Menschen im Durchschnitt gerade mal 35 Jahre Dasein auf dieser Welt, noch Anfang des 18. Jahrhunderts währte das Leben im Mittel etwa 40 Jahre. Heute haben die Menschen in den entwickelten Industriestaaten fast doppelt so viele Jahre zur Verfügung. Natürlich gab es auch in der Antike bereits 80-Jährige. Aber es waren eben sehr wenige. Die anderen starben oft schon im Kindesalter, meist an Infektionskrankheiten, deren Erreger zu dieser Zeit niemand kannte. Oder sie verloren ihr Leben in jungen Jahren in Kriegen oder durch andere Gewaltereignisse. Doch seit Beginn der Industrialisierung hat sich die Lebenserwartung in Europa in jeder Dekade nahezu linear erhöht (wenn man von dem fürchterlichen Sterben im ersten und zweiten Weltkrieg absieht): Der Aufstieg der modernen, naturwissenschaftlichen Medizin, die Entdeckung der Antibiotika, die Einführung von Hygieneregeln, Kanalisation und sauberem Trinkwasser und natürlich immer mehr wirkungsvolle Impfungen gegen zuvor verbreitete Krankheitserreger haben das Leben unvergleichlich verlängert. Diese Entwicklung hatte tiefgreifende Folgen: Große Seuchen wie die Cholera oder die Pest wurden seltener, die Kindersterblichkeit sank drastisch, Infektionen können wirkungsvoller behandelt werden. Und dank verbesserter Hygiene in den Geburtsstationen starben immer weniger junge Frauen im Kindbett. Es ist kaum noch vorstellbar, dass eine Geburt früher für die Frauen akute Lebensgefahr bedeutete.

Aber der Fortschritt hat auch einen Preis. Die Kehrseite dieser Erfolge können wir regelmäßig in den Nachrichten verfolgen: Die Weltbevölkerung wächst stetig. In den zehntausend Jahren vor Christus nahm die Zahl der Menschen nur um etwa 0,04 Prozent jährlich zu und erreichte im Jahr 1700 geschätzte 600 Millionen weltweit. Hundert Jahre später lebten eine Milliarde Menschen auf der Erde. Danach aber nahm die Zahl der Erdenbürger immer schneller zu. Der Höhepunkt wurde 1968 erreicht, damals stieg die Kopfzahl um 2,1 Prozent. Seither geht das jährliche Wachstum zwar zurück, doch die Menschheit ist inzwischen auf über 8 Milliarden angewachsen. Projektionen zeigen, dass trotz sinkender Geburtenraten erst zwischen 2050 und 2100 ein Gipfelpunkt erreicht sein wird: Träfe das zu, würden dann bis zu 11 Milliarden Menschen auf der Erde leben.

Nicht nur die Frage, wie so viele Leute ordentlich ernährt werden, wie sie alle Zugang zu sauberem Wasser bekommen können, ist ein ungelöstes Problem. All diese Menschen werden auch lange leben, sehr wahrscheinlich länger als wir heute. James Vaupel, Direktor am Max-Planck-Institut für Demografie in Rostock sagt, die Lebenserwartung sei bisher pro Dekade um zweieinhalb Jahre angewachsen. Und er sehe keine Anzeichen dafür, dass dieser Trend ein Ende finden werde.1

Gibt es also kein Limit für die Dauer des menschlichen Lebens? Muss nicht doch eine biologische Grenze existieren, die unsere Körper nicht mehr durchbrechen können? Bislang ist sie nicht zu erkennen. Werden wir Menschen also irgendwann alle 100, 110, 120 Jahre alt? Als Rekordhalterin galt bis heute die Französin Jeanne Calment. Sie starb 1997 mit unfassbaren 122 Jahren und 156 Tagen. Doch im Frühjahr 2023 berichten Medien über den Tod einer 128 Jahre alten Südafrikanerin. In Vaupels Fachgebiet herrscht seit Jahren ein erbitterter Streit darüber, ob es ein natürliches Limit für die menschliche Lebensspanne gibt, die niemand überwinden kann.2 Intuitiv würden viele wohl sagen: Es muss eines geben, es kann nicht für immer so weitergehen. Unser Körper muss doch ein natürliches Ende kennen, wenn wir bereits mit vierzig oder fünfzig den Verschleiß bemerken? Es mag sein, dass die Natur uns hier Grenzen zugedacht hat. Doch inzwischen hat die Medizin ihre Regeln längst ausgehebelt. Die Wissenschaftler, die sich damit beschäftigt haben, behaupten: Wir haben der Natur tatsächlich bereits das Doppelte dessen abgeluchst, was uns eigentlich zusteht.

Und das ist nicht ganz so großartig, wie es zunächst klingen mag. Denn die Zunahme unserer Lebensjahre ist weniger ein Anwachsen der gesunden Lebenszeit, es ist vor allem eine Verlängerung der »morbiden« Phase, des letzten Lebensabschnitts, in dem wir von Altersleiden aller Art geplagt werden.3 Es gilt wohl immer noch: »Alle wollen lange leben, alt werden will keiner«, wie zu Beginn des 18. Jahrhunderts der englische Schriftsteller Jonathan Swift spottete. Sollten wir also wirklich alle auf ein mehr als hundertjähriges Leben hoffen, wenn der Preis dafür 35 oder 40 Jahre Krankheit sind?

Und wer soll das eigentlich alles bezahlen? Nach den demografischen Modellen wird bereits 2030 jeder sechste und 2050 jeder vierte Mensch auf dem Planeten älter als 60 Jahre sein – und vermutlich auf die eine oder andere Art auch krank.4 Hinzu kommt noch eine weitere Entwicklung, die tatsächlich eine Menschheitskrise heraufbeschwören könnte: Irgendwann nach dem Jahr 2050 wird die Menschheit wieder schrumpfen – in vielen Ländern ist das heute schon der Fall. Selbst China erlebt jetzt bereits einen Rückgang seiner Bevölkerung, Indien wird bald folgen. Das geschieht nicht etwa, weil die alten Generationen sterben, sondern weil weniger Junge nachkommen. »Das Tapsen kleiner Füße«, schrieb der britische Economist im Juni 2023, werde ersetzt durch das Tocken der Gehstöcke. Schon 2012 hat die UN die Zahl der lebenden Menschen, die mindestens hundert Jahre alt sind, auf über 316000 taxiert – fast achtmal so viele wie 1950. Inzwischen dürften es mehr als eine halbe Million sein.5 Diese Entwicklung aber wird teuer: All die vielen alten Menschen wollen Rente erhalten und zugleich medizinisch versorgt werden. Ihre Krebserkrankungen, Herzkreislaufleiden, Diabetesprobleme samt Folgeerkrankungen sind kostspielig. Ganz zu schweigen von der Betreuung dementer Menschen.

Um sich das noch leisten zu können, empfahl die Bundesbank im Sommer 2022, das Rentenalter künftig an die durchschnittliche Lebenserwartung zu koppeln, damit ein Kollaps der Rentenversicherung vermieden werden könne. Gesundheits- und Sozialversicherungsexperten sind sich in ihrer Prognose einig, dass diese Belastungen unsere Gesellschaften in den kommenden Jahrzehnten finanziell strangulieren werden. Unser über Jahrzehnte antrainierter Wohlstand steht auf dem Spiel.

Das Medizinsystem der Vereinigten Staaten verschlingt bereits jetzt 17 Prozent des Bruttosozialprodukts, rund 3,6 Billionen Dollar im Jahr, in Deutschland sind es knapp 300 Milliarden Euro.6 In einem Whitepaper warnen führende europäische Altersforscher 2023, dass schon jetzt etwa die Hälfte der Kosten in den europäischen Gesundheitssystemen für die Versorgung von alten Menschen und ihren Erkrankungen aufgewendet werde. Im Jahr 2050 aber werde die Alterung glatte 46 Prozent des Bruttosozialprodukts in den EU-Staaten verschlingen – was nicht geleistet werden kann.7 Sie fordern daher den zügigen Ausbau der Altersforschung in Europa, um alte Menschen mit neuen Verfahren gesund zu erhalten.

In welcher Dimension sich die Kosten der alternden Gesellschaften bewegen, haben Wissenschaftler der London Business School, der Oxford University und der Harvard Medical School 2021 ermittelt – mit einem beeindruckenden Ergebnis: Eine Behandlung, welche die gesunde Lebenszeit von Menschen um nur drei Jahre verlängern würde, hätte allein für die Vereinigten Staaten bereits heute einen gesellschaftlichen Wert von mehr als 110 Billionen Euro pro Jahr; das Resultat von längerer Arbeitsfähigkeit, vermiedenen medizinischen und pflegerischen Kosten, Wegfall von Krankheitsausfällen im Job und längeren Beitragszahlungen in die Sozialversicherungen.8 Stünden diese riesigen Finanzmittel zur Verfügung, ließen sich eine Menge anderer Probleme lösen, etwa der klimaschädliche Ausstoß von Treibhausgasen. Nach Berechnungen der Internationalen Energie-Agentur wären Investitionen von 5 Billionen Dollar pro Jahr nötig, um bis 2050 das Ziel von Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Im amerikanischen Onlinemagazin Stat wurde daher 2021 bereits die Forderung nach einem »Longevity Moonshot« der US-Regierung bei der Suche nach Therapien gegen das Altern laut.9 Das Ziel ist weniger, eine Lebenserwartung von 200 Jahren zu erreichen, sondern Verfahren zu finden für »healthy aging«, Behandlungen, die uns ein Alter in Gesundheit ermöglichen und an Jahren betagte in biologisch jüngere Menschen verwandelt. Wenn das nicht gelingt, werden wir auf dem ganzen Globus nicht mehr für die Versorgung der ständig wachsenden Zahl alter Menschen sorgen können.

Das also ist unsere heutige Situation und die Herausforderung der kommenden Jahre. Wenn wir sie nicht erkennen und meistern, steuern wir direkt in eine Menschheitskrise, die gravierender sein dürfte als die Erderwärmung.

Doch kann es überhaupt eine Behandlung geben, die uns wenigstens drei Jahre länger gesund hält, selbst wenn sich unsere gesamte Lebensspanne nicht verlängert? Nun, das ist keine Utopie mehr. In den vergangenen zehn Jahren haben Wissenschaftler unerhörte Erkenntnisse über das Altern gewonnen. Sie sagen: Das biologische Alter kann kontrolliert werden. Man werde es bremsen und sogar zurückdrehen können.

Bereits innerhalb der kommenden zehn Jahre werde diese unvergleichliche Revolution beginnen, prophezeien Wissenschaftler, die in der Altersforschung an vorderster Front arbeiten. Das aber bedeutet: Es steht uns ein Umbruch bevor, wie es ihn in der Geschichte der Menschheit wohl erst einmal, vor gut 10000 Jahren, gegeben hat – während der neolithischen Revolution, als die Landwirtschaft und mit ihr der Aufbau von Zivilisation und Königreichen ihren Anfang nahmen.

Viele Experten betrachten das Altern inzwischen als eine Grunderkrankung, die typischen Altersleiden hingegen nur noch als die Symptome dieses Übels. Gelingt es also, das Altern zu kontrollieren, wäre auch das Problem der vielen altersabhängigen Krankheiten lösbar.

Was hat es auf sich mit der Jugendpille?

Die allermeisten Menschen wollen möglichst lange leben. Und keiner wünscht sich, die letzten Jahrzehnte seines Daseins unter Krankheiten zu leiden. Bevor wir also aufbrechen in die Welt der neuen Altersmedizin, sollten wir noch einen kurzen Blick auf die Gegenwart werfen. Was können wir heute schon tun, um das Alter zu bremsen – jeder Einzelne für sich?

Es werden unzählige Mittel angeboten, die mehr Jugendlichkeit versprechen für Haut und Haare, Herz oder Hirn – Mineralpräparate, Vitamine und sonstige Nahrungsergänzungsmittel. Vergessen Sie das. Die allermeisten dieser Produkte machen niemanden jünger, verzögern die Alterung nicht, sie füllen lediglich die Kassen der Hersteller. Eine Ausnahme kann Vitamin D3 sein – aber nur, wenn der Arzt einen Mangel festgestellt hat. Ab wann aber Vitamin-D3-Mangel beginnt, darüber streiten die Gelehrten.

Etwas anders sieht es bei einzelnen Stoffen aus, die von manchen Altersforschern propagiert werden. Die wichtigen darunter sind sogenannte NAD+-Booster10, Resveratrol-Präparate und das rezeptpflichtige Steroid DHEA, die tatsächlich positiv in den Zellstoffwechsel eingreifen können. Die Studien mit menschlichen Probanden kommen bei diesen Mitteln zu recht unterschiedlichen Ergebnissen, besonders bei DHEA. Es ist aber durchaus möglich, dass sie einen gewissen altersverzögernden Effekt erzeugen. Es gibt aber einzelne Stoffe, denen Wissenschaftler tatsächlich eine lebensverlängernde Wirkung zuschreiben: Das Transplantationsmedikament Rapamycin und die Diabetespille Metformin, die allerdings auch ihre Nebenwirkungen haben können. Deshalb wird kein seriöser Arzt diese Wirkstoffe verschreiben, wenn es dafür nicht einen medizinischen Grund gibt – also eine Zuckerkrankheit oder etwa eine Organtransplantation. Das könnte sich erst ändern, wenn Studien die Wirkung dieser Stoffe auf Alter und Alterserkrankungen geprüft haben. Was es mit diesen beiden Wirkstoffen auf sich hat und wie sie in unsere Alterung eingreifen können, werden wir noch ausführlicher betrachten.

Was wirklich hilft: Sport und gesundes Leben

Doch tatsächlich kann man sofort einiges tun, um die Alterung seines Körpers zu mildern. Und wir alle kennen diese Empfehlungen. Leider ist das etwas langweilig. Es sind die Ratschläge der Hausärzte, Kardiologen, der Krebsärzte, der Stoffwechselmediziner: Rauchen ist nicht nur ein Risikofaktor für das Herz, eine Krebserkrankung oder Diabetes, es beschleunigt tatsächlich die biologische Altersuhr unserer Zellen. Auch Marihuana-Konsumenten altern übrigens schneller.11 Das Gleiche gilt für Übergewicht – zu viele Kilos auf den Hüften lassen den Altersmechanismus schneller ticken, und im Durchschnitt sind stark Übergewichtige biologisch fünf Jahre älter, als ihre Geburtsurkunde bezeugt. Und noch ein bislang nur verdächtiger Altersturbo kann nun als überführt gelten: Chronischer Stress, also eine dauerhafte Überlastung im Beruf oder in der Beziehung, beschleunigt tatsächlich die biologische Alterung unserer Zellen.12

Gebremst wird die Uhr unserer Lebenszeit dagegen durch regelmäßige Bewegung, am besten scheint dabei eine Kombination aus Kraft- und Ausdauertraining zu wirken.13 Tatsächlich fanden Wissenschaftler 2022 heraus, dass körperliches Training die Stammzellen im Körper aktiviert, die unsere Organe regenerieren.14 Dass Sport die Alterung bremst, ist keine so neue Erkenntnis: »Nur der sportive Mensch kann im hohen Alter jung und fröhlich sterben«, verkündete Wildor Hollmann, der legendäre ehemalige Präsident des Weltverbandes für Sportmedizin schon in den 1990er Jahren.15 Er selbst starb übrigens mit 96 – ob fröhlich, ist nicht bekannt.

Iss dich jung! Ist da etwas dran?

Auch bei der Ernährung lässt sich einiges bewirken. Zumindest zeigen epidemiologische Studien, dass Schweine-, Lamm- und auch Rindfleisch das Risiko für Alterserkrankungen und eines vorzeitigen Todes erhöhen, Huhn und Fisch es dagegen senken, ebenso wie Blattgemüse und Hülsenfrüchte. Oben auf der Liste der Altersbremsen stehen Pilze, Mangos und Chilis. Etwas unklar ist die Lage bei Alkohol: Lange ging man davon aus, dass sehr moderater Konsum das Sterberisiko im Vergleich zu Abstinenz senkt. Im Jahr 2021 haben Gesundheitsforscher die Hoffnungen auf lebensverlängerndes Genusstrinken jedoch durch eine neue Studie deutlich gedämpft: Auch ganz geringe Mengen Alkohol sind demnach schädlich. Fisch, Huhn, Blattgemüse, Hülsenfrüchte, auch Olivenöl und Gewürze – im Prinzip liegt man also mit mediterraner Diät oder auch japanischer Küche genau richtig.16

Wer jedoch bereit ist, deutlich rabiater zur Sache zu gehen, kann es auch mit Hungern versuchen. Dabei reduziert man die normale Kalorienaufnahme auf etwa 75 Prozent – und das dauerhaft. In Experimenten mit verschiedenen Versuchstieren veränderte diese sogenannte kalorische Restriktion die Aktivität von Genen und erzeugte tatsächlich einen klaren lebensverlängernden Effekt.17 Und tatsächlich konnten Wissenschaftler die Wirkung auf das biologische Alter auch direkt in den Körperzellen dieser Tiere messen. Wie das möglich ist, werden wir in Kapitel 3 und 4 genau unter die Lupe nehmen. Bei Studien mit menschlichen Enthusiasten, die sich der Hungerkur seit Jahren unterziehen, fanden Mediziner verbesserte Immunfunktionen und Stoffwechselwerte sowie geringere Mengen an Entzündungsfaktoren im Blut.18 Eine Variante ist das sogenannte Intervallfasten – etwa, indem man entweder an zwei Tagen der Woche nichts isst oder täglich eine Esspause von 16 Stunden einhält. Glaubt man den Resultaten von Tierversuchen, muss die Hungerphase mindestens 12 Stunden betragen. Ob kalorische Restriktion jedoch auch Menschen länger leben lässt, ist bislang Gegenstand von Spekulationen. Eine neue Untersuchung an 220 Probanden ergab zwar deutlich gesundheitsfördernde Effekte kalorischer Restriktion, der Einfluss auf das biologische Alter war jedoch minimal.19 Und selbst wenn, bliebe da noch die Frage, ob man wirklich 100 Jahre alt werden möchte, nur um 100 Jahre zu hungern. Es gibt allerdings erste Hinweise, dass auch pharmakologische Wirkstoffe den Effekt der Minderernährung in Zukunft womöglich kopieren könnten.

Das Fazit besteht also aus denselben, ständig wiederholten Appellen unserer Gesundheitsexperten: Mit viel Bewegung, gesunder Ernährung, ohne Zigarette und überflüssige Kilos kann man durchaus zumindest das maximale Alter erreichen, welches einem die eigene Biologie zugesteht.

Aber – muss uns das eigentlich reichen? Bis vor Kurzem hätten die meisten Menschen und auch die weit überwiegende Zahl der Altersforscher zur Bescheidenheit gemahnt. Auch wenn sie aus vielen Richtungen erforscht haben, was in einem alternden Organismus, seien es Tiere oder Menschen, vor sich geht – kaum etwas von ihren Resultaten gab lange Zeit zu der Hoffnung Anlass, irgendwann in diesen Prozess grundsätzlich eingreifen zu können. Alles altert – das schien immer so etwas wie ein Grundgesetz der Biologie zu sein. Ein Leben, das nicht altert, ist kein Leben, wie wir es kennen. Doch die entscheidende und fundamentale Frage hat die herkömmliche Altersforschung nie beantworten können: Was ist eigentlich Altern, wie genau funktioniert dieser in jedem Lebewesen fundamentale Prozess? Das blieb bis vor Kurzem eine Blackbox.

Die Erforschung des Alterns aber ist in Bewegung geraten, angetrieben von einer Flut wirklich grundstürzender Erkenntnisse. Am wichtigsten ist die Entdeckung der sogenannten Lebensuhr. Sie tickt in allen unseren Zellen, in ganz besonderen Eigenschaften unserer DNA. Seit etwa zehn Jahren können Wissenschaftler ihr Zifferblatt lesen und feststellen, wie alt ein Mensch biologisch wirklich ist. Seither entschlüsseln die Fachleute auch das Uhrwerk unseres Lebens – wie tickt diese Uhr? Und, das größte Mysterium – was genau treibt sie eigentlich an? Und kann man diese Uhr sogar beeinflussen?

Es vollzieht sich gerade ein gewaltiger Umbruch, ausgelöst durch die typischen Mechanismen der exakten Wissenschaften. Sydney Brenner, einer der Heroen der jungen Molekularbiologie in den 1950er und 1960er Jahren, hat es so formuliert: »Fortschritt in der Wissenschaft hängt ab von neuen Technologien, neuen Entdeckungen, neuen Ideen – vermutlich in dieser Reihenfolge.«

Und tatsächlich beginnt gerade ein grundlegender Umbruch in der Geschichte der Menschheit, unbemerkt von der Politik, den Medien, der Öffentlichkeit. Das ist keine neue Erfahrung: Wenn der Wissenschaft Erkenntnisse von historischer Tragweite gelingen, geschieht häufig etwas Seltsames – es geschieht erst einmal nichts.

Die enorme Vielfalt des Lebens auf der Erde wurde über Jahrhunderte nicht einmal als eines der zentralen Rätsel des Lebens erkannt; sie galt einfach als das Resultat der göttlichen Schöpferkraft. Dabei war Mitte des 19. Jahrhunderts die Idee von der Evolution des Lebens durch Veränderung und Auslese längst in den Köpfen so mancher Wissenschaftler, etwa des britischen Naturforschers Alfred Russel Wallace. Doch es war Charles Darwin, der auf seiner großen Entdeckungsreise mit der Beagle die entscheidenden Daten sammelte, Tiere und Pflanzen, mit denen er die allmähliche Veränderung und Anpassung durch Selektion belegen konnte. Als er dann am 24. November 1859 sein berühmtes Werk On the Origin of Species (vollständig: On the Origin of Species by Means of Natural Selection, or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life) veröffentlichte, in dem er die Entstehung der Arten erklärt, blieb seine Erkenntnis zunächst ein Stoff für Gelehrtenzirkel. Die allgemeine Öffentlichkeit nahm kaum Notiz – dabei war in diesem Moment ein erstes Refugium der göttlichen Allmacht geschleift worden. Nur der schmalen gebildeten Oberschicht im britischen Königreich und anderen europäischen Ländern war das durchaus klar. Überliefert ist der Stoßseufzer der Frau des Bischofs von Worcester: »Lasst uns hoffen, dass es nicht wahr ist, aber falls doch, lasst uns beten, dass es nicht allgemein bekannt wird.«

Und heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, werden wir offenbar zu Zeitzeugen der Erkenntnis, warum unser Leben endlich ist. Wie wir altern und mit welchen Mitteln wir das Altern stoppen und sogar zurückdrehen könnten.

Fast geräuschlos hat sich ein neues Forschungsgebiet formiert: die Gero-Sciences. In vielen bekannten Instituten, aber auch in einer bereits kaum noch übersehbaren Zahl neuer Unternehmen haben Wissenschaftler entscheidende Durchbrüche errungen.

Das Altern gerät nun in die Macht des Menschen. Mit Milliarden an Risikokapital ausgestattete neue Unternehmen machen sich die neuen Erkenntnisse der Gero-Sciences zunutze, um bislang utopische Behandlungen gegen Altersleiden zu entwerfen. Und Interventionen gegen das Altern selbst. Therapien für eine zumindest sehr lange Jugend werden wir vielleicht noch nicht in diesem Jahrzehnt zur Verfügung haben. Aber sie werden Realität werden. Nennen wir es Projekt Gilgamesch.

 

 

1  Oeppen J, Vaupel JW. Demography. Broken limits to life expectancy. Science. 2002 May 10;296(5570):1029–31. doi: 10.1126/science. 1069675. PMID: 12004104.

2  Brown NJL, Albers CJ, Ritchie SJ. Contesting the evidence for limited human lifespan. Nature. 2017 Jun 28;546(7660): E6-E7. doi: 10.1038/nature22784. PMID: 28658214.

3  Beard JR, Officer A, de Carvalho IA, et al. The World report on ageing and health: a policy framework for healthy ageing. Lancet. 2016;387(10033):2145–2154. doi: 10.1016/S0140–6736(15)00516–4.

4  Beard JR, Officer A, de Carvalho IA, Sadana R, Pot AM, Michel JP, Lloyd-Sherlock P, Epping-Jordan JE, Peeters GMEEG, Mahanani WR, Thiyagarajan JA, Chatterji S. The World report on ageing and health: a policy framework for healthy ageing. Lancet. 2016 May 21;387(10033):2145-2154. doi: 10.1016/S0140-6736(15)00516-4. Epub 2015 Oct 29. PMID: 26520231; PMCID: PMC4848186.

5  Statista: https://de.statista.com/infografik/24461/zahl-der-menschen-weltweit-ueber-100/

6  https://www.economist.com/business/2022/06/20/alphabet-is-spending-billions-to-become-a-force-in-health-care?utm_content=ed-picks-article-link-3&etear=nl_weekly_3&utm_campaign=a.the-economist-this-week&utm_medium=email.internal-newsletter.np& utm_source=salesforce-marketing-cloud&utm_term=6/24/2022& utm_id=1212479

7  https://www.alternsforschung.org/fileadmin/alternsforschung.org/img/WhitePaperAgeingSociety20230117_2.pdf

8  Scott, A. J., Ellison, M. & Sinclair, D. A. The economic value of targeting aging. Nat Aging 1, 616–623 (2021). https://doi.org/10.1038/s43587-021-00080-0.

9  https://lincolnpolicy.org/2021/the-case-for-a-longevity-moonshot/

10  Janssens GE, Houtkooper RH, Hoeks J. NAD+to assess health in aging humans. Aging (Albany NY). 2022 Aug 6;14(15):5962–5963. doi: 10.18632/aging.204220. Epub 2022 Aug 6. PMID: 35939337; PMCID: PMC9417223.

11  Nannini, D. R., Zheng, Y., Joyce, B. T. et al. Marijuana use and DNA methylation-based biological age in young adults. Clin Epigenet 14, 134 (2022). https://doi.org/10.1186/s13148-022-01359-8.

12  Polsky LR, Rentscher KE, Carroll JE. Stress-induced biological aging: A review and guide for research priorities. Brain Behav Immun. 2022 May 31;104:97–109. doi: 10.1016/j.bbi.2022.05.016. Epub ahead of print. PMID: 35661679.

13  https://www.nytimes.com/2017/03/23/well/move/the-best-exercise-for-aging-muscles.html

14  bioRxiv preprint doi: https://doi.org/10.1101/2022.01.12.475145

15  https://www.spiegel.de/wissenschaft/froehlichsterben-a-912c1d2f-0002-0001-0000-000009184926

16  Leitão C, Mignano A, Estrela M, Fardilha M, Figueiras A, Roque F, Herdeiro MT. The Effect of Nutrition on Aging-A Systematic Review Focusing on Aging-Related Biomarkers. Nutrients. 2022 Jan 27;14(3):554. doi: 10.3390/nu14030554. PMID: 35276919; PMCID: PMC8838212.

17  Ma S, Sun S, Geng L, Song M, Wang W, Ye Y, Ji Q, Zou Z, Wang S, He X, Li W, Esteban CR, Long X, Guo G, Chan P, Zhou Q, Belmonte JCI, Zhang W, Qu J, Liu GH. Caloric Restriction Reprograms the Single-Cell Transcriptional Landscape of Rattus Norvegicus Aging. Cell. 2020 Mar 5;180(5):984-1001.e22. doi: 10.1016/j.cell.2020.02.008. Epub 2020 Feb 27. PMID: 32109414.

18  Rhoads TW, Anderson RM. Caloric restriction has a new player. Science. 2022 Feb 11;375(6581):620–621. doi: 10.1126/science.abn 6576. Epub 2022 Feb 10. PMID: 35143311.

19  Waziry, R., Ryan, C. P., Corcoran, D. L. et al. Effect of long-term caloric restriction on DNA methylation measures of biological aging in healthy adults from the CALERIE trial. Nat Aging 3, 248–257 (2023). Doi.org/10.1038/s43587–022–00357-y.

Kapitel 2  |  Anfänge

Der Herr der Fliegen

Die Erkenntnisse dieser Gero-Sciences erscheinen so neu, überraschend und vollständig unerwartet, dass man meinen könnte, all diese Einsichten in das tiefste Geheimnis des Lebens wären erst in der jüngsten Vergangenheit erarbeitet worden. Tatsächlich aber sind die revolutionären Befunde keineswegs erst im Jetzt entstanden, es gibt eine Geschichte davor. Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass Wissenschaftler heute von der Kontrolle über das Alter sprechen – und bereits eine ganze Reihe Unternehmen daran arbeiten, dieses Versprechen zu verwirklichen –, müssen wir einen Schritt zurücktreten. Es gibt das Sprichwort: »Wer auf den Schultern von Riesen steht, blickt weiter als der Riese selbst.« Und so ist es auch hier: Dieser Schritt führt zurück ins England der 1960er Jahre und zu einem der sprichwörtlichen Riesen.

Die University of Sussex war 1961 die erste von zahlreichen neu gegründeten Hochschulen in Großbritannien, gelegen in der Nähe des Ortes Balmer. Sie befindet sich auf einem idyllischen Campus mitten in einem Naturschutzgebiet. Heute studieren hier mehr als 17000 angehende Akademiker. Aber als Michael Rose 1976 mit seiner Doktorarbeit begann, dürfte es bedeutend weniger quirlig zugegangen sein. Der junge Biologe sollte eine etwas abseitig anmutende Frage beantworten: Warum hat die Natur das Altern erfunden? Die Universität Sussex war zu dieser Zeit genau der richtige Ort, um zu diesem Thema zu forschen. Dort, an der School of Life Sciences, lehrten damals die berühmten Evolutionsbiologen Brian Charlesworth und John Maynard Smith. Viele Jahre später erzählte Rose, dass er für evolutionäre Studien die Wahl zwischen Sussex und der Harvard University gehabt habe. Harvard habe er wegen der dort in den 1960er und 1970er Jahren besonders toxischen Grabenkämpfe um Nature versus Nurture vermeiden wollen – also den Glaubenskrieg um die Frage, ob uns die Umwelt oder die Gene prägen. Im Kern war es damals – nicht nur in Harvard – ein Streit zwischen Anhängern der These, dass wir gleichsam als leeres Blatt zur Welt kommen und unsere Eigenschaften dann von der Umwelt darauf geschrieben werden, und Vertretern der Auffassung, dass unsere Gene einen formenden Einfluss ausüben. Damals konnte man mit unerwünschten diesbezüglichen Ansichten schnell ausgegrenzt werden. Cancel Culture ist keine so neue Erscheinung.

In Sussex war es Maynard Smith, der Rose vorschlug, in seiner Doktorarbeit dem Altern nachzugehen. Er glaubte, dass die Lebenszeit von Tieren in einem Evolutionsexperiment verändert werden könne. »Ich hielt seine Hypothese zuerst für die verrückteste Idee, von der ich jemals gehört hatte«, erzählt Rose vierzig Jahre später. »Er hat ein ganzes Jahr geredet, um mich dazu zu bringen, das überhaupt ernst zu nehmen.« Doch dann war Rose fasziniert von den Ideen, mit denen die theoretische Evolutionsforscher erklären, warum Lebewesen altern: Sie gehen unter anderem auf den großen britischen Biologen und Nobelpreisträger Peter Medawar und den Evolutionsforscher George C. Williams zurück. Eine These besagte, dass sich genetische Defekte in unseren Zellen anhäufen, und zwar solche, die erst im Alter eine schädliche Wirkung entfalten, weil viele, wenn nicht alle unserer Erbanlagen an mehr als nur einer Funktion im Körper beteiligt sind. Ein Beispiel ist das Insulin-Gen. Es dirigiert die Herstellung des Hormons Insulin und dient dabei der Kontrolle des Blutzuckers. Zugleich ist Insulin aber auch ein wichtiger Botenstoff, der etwa das Zellwachstum stimuliert, auch das von Krebszellen.

Eine zweite Hypothese, die damals en vogue war, besagte, dass es zur Alterung kommt, weil genau die Gene, die uns in der Jugend fit halten, damit wir vor allem viele Nachkommen zeugen können, später im Leben eine schädliche Wirkung haben und zum Niedergang beitragen. Die Evolution wirkt dem nicht entgegen, denn für die Weitergabe unserer Gene, das Überleben der Spezies, spielt es keine Rolle, ob wir weiterleben, nachdem wir unsere Kinder aufgezogen haben.

Den jungen Biologen Rose reizte nun doch die Idee von Maynard Smith, diese theoretischen Gedankenspiele in einem Experiment zu überprüfen. Er begann ein Experiment, das sein Forscherleben über vierzig Jahre hinweg bestimmen sollte – und zwar mit Fruchtfliegen.

Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) gehören zu den wichtigsten Versuchstieren in den Lebenswissenschaften: Die Insekten sind klein und anspruchslos, einfach zu halten und zeugen innerhalb von Stunden ihre Nachkommen – das macht sie ideal für ein Züchtungsexperiment. Michael Rose begann mit 200 befruchteten Fliegenweibchen, er hielt sie in Milchflaschen mit einem Nährboden auf dem Grund.

So behütet im Labor, lebten die Insekten fünfzig bis sechzig Tage. In der gefährlichen freien Natur erreichen sie dieses Alter nur selten, weil Frösche, Vögel, Spinnen auf sie warten. Daher ist es wichtig für ihren Fortbestand, dass sie sich schnell und früh fortpflanzen. Fliegenweibchen haben deshalb eine schier unglaubliche Fruchtbarkeit entwickelt: Jedes von ihnen legt innerhalb ihrer ersten Lebenswochen etwa tausend Eier.