Dein Herz, mein Herz - Tamara Schwab - E-Book
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Dein Herz, mein Herz E-Book

Tamara Schwab

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Beschreibung

Dein Herz hat mein Leben gerettet – der emotionale SPIEGEL-Bestseller

Tamara Schwab steht mitten im Leben, als sie zwei plötzliche Herztode herausreißen. Es beginnt eine Odyssee der Arztbesuche, Operationen, Rückschläge und vor allem der Ungewissheit, bis sie erst fünf Jahre später erfährt, was die Ursache für ihre Herzstillstände war. Tamara Schwab hat einen Gendefekt, der ihr Herz immer schwächer werden lässt. Der einzige Ausweg ist eine Transplantation und das Warten auf ein Spenderherz. Als die passende Spende möglich wird, beginnt ein zweites Leben für Tamara Schwab. Sie kämpft sich Stück für Stück zurück, erlebt Dankbarkeit und Lebensfreude und teilt diese nun in ihrem Buch.

Wie fassen wir neuen Mut in scheinbar ausweglosen Situationen? Wie gehe ich mit sichtbaren und unsichtbaren Narben um? Lässt sich Resilienz wirklich erlernen?

Diese und viele weitere Fragen beantwortet Tamara Schwab, eingewoben in ihre ganz persönliche Geschichte mit ihrem Spenderherz.

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Seitenzahl: 318

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TAMARA SCHWAB

DEIN HERZ, MEIN HERZ

Wie mir eine Organspende ein zweites Leben schenkte

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

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Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe März 2024 

Copyright © 2024: Mosaik Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Cover: Sabine Kwauka

Covermotiv: privat

Redaktion: Antje Steinhäuser

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

AR · IH

ISBN 978-3-641-31226-8V002

www.mosaik-verlag.de

Für meinen Heldenmenschen,

der mir mit seinem Herz ein zweites Leben schenkte.

Inhalt

VORWORT

1. KAPITELNEUES SPIEL – NEUES GLÜCKNEUER KARDIOLOGE – NEUES PECH!

2. KAPITELARRHYTHMOGENE WHAT THE FUCK?

3. KAPITELNOT MACHT ERFINDERISCH

4. KAPITELWENN ZUFALL SCHICKSAL WIRD

5. KAPITELSCHOCKIERENDE NEUIGKEITEN

6. KAPITELZEIT, ZÄHNE ZU ZEIGEN

7. KAPITELIM SPRINT STATT STEP BY STEP ZUR TRANSPLANTATION

8. KAPITELDAS BESTE KOMMT ZUM SCHLUSS

9. KAPITELDIE ENTSCHEIDUNG

10. KAPITELBUSHALTESTELLE DES LEBENS

11. KAPITELTOP TEN TO-DOS BEIM DÄUMCHEN DREHEN

12. KAPITELDER KREISLAUF DES LEBENS

13. KAPITELAUF LOS GEHT’S LOS

14. KAPITELMUTMACH-SONGS FÜR BESONDERS HARTE ZEITEN

15. KAPITELMACH’S GUT, MEIN HERZ!

16. KAPITELHEY, FREMDES HERZ IN MEINER BRUST!

17. KAPITELLAUF, FORREST, LAUF!

18. KAPITELSTRAFVOLLZUG MIT AUSGANG

19. KAPITELSURVIVAL KIT FÜRS KRANKENHAUS

20. KAPITELFREIFAHRT MIT DER ACHTERBAHN LEBEN

21. KAPITELLET’S TALK ABOUT … ORGANSPENDE!

22. KAPITELDU SCHON WIEDER?

23. KAPITELEIN LEBEN LANG MIT DIR IN MIR

24. KAPITELDAS ENDE EINER LANGEN REISE

25. KAPITELWILLI WILL’S WISSEN! (UND LISELOTTE AUCH)

26. KAPITELGEZEICHNET VOM LEBEN

27. KAPITELKOMMST DU MIT MIR MIT?

NACHWORT

DANKE

ÜBER DEN ARVC-SELBSTHILFE E. V.

GLOSSAR

QUELLENVERZEICHNIS

VORWORT

Ist das Leben nicht wie eine riesengroße Wundertüte? Nie wissen wir, welches Geschenk als Nächstes rausfällt oder was wir als Nächstes zu fassen kriegen. Manchmal ist es etwas, worüber wir uns wahnsinnig freuen und großes Glück empfinden. Und manchmal sind es Momente und Erfahrungen, die uns wütend machen oder uns die Tränen in die Augen treiben. Doch was es auch sein mag, ob Positives oder Negatives – letztlich schenkt uns das Leben damit immer eine Erfahrung, eine Erkenntnis oder eine Emotion.

So wie auch diese Erkenntnis, die meine Quintessenz aus fünf Jahren Lebenskampf ist. Aus fünf Jahren Wundertüte mit viel zu vielen negativen Erlebnissen und Momenten. Und doch entpuppten sich diese Wundertütengeschenke als die wertvollsten in meinem gesamten Leben …

Meine Geschichte begann im Jahr 2016. Als frische Uniabgängerin erhielt ich im Alter von 23 Jahren meine allererste Festanstellung. Doch bereits als ich den Vertrag unterschrieb, spürte ich, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte. Seit einigen Wochen kam ich einfach nicht mehr zur Ruhe und hatte schon länger einen seltsamen Druck auf der Brust, der es mir schwer machte zu atmen. Viel zu lange ignorierte ich diese Gefühle. »Ist ja sicher nur etwas zu viel Stress, das legt sich wieder«, redete ich mir ein. Bis ich doch irgendwann mal den Hausarzt besuchte. Und sechs Wochen später, am 24. Mai 2016, heulend die Praxis eines Kardiologen verließ. Mit einem Rezept für mehrere Medikamente, einem vorläufigen Sportverbot und einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die nächsten zweieinhalb Monate in der Hand. Mitten in der Probezeit meiner Festanstellung. Weil der Arzt eine Herzmuskelentzündung diagnostiziert hatte. »Sie haben wohl in letzter Zeit krank Sport gemacht.«

Es war der Startschuss für einen jahrelangen Kampf ums Leben mit unzählig vielen Runden. Der jedoch erst eineinhalb Jahre später so richtig begann. Als ich am 28. Januar 2018 mit einem plötzlichen Herztod im Fitnessstudio vom Ergometer-Rad fiel. Ohne Ankündigung. Einfach so. Obwohl ich als wieder geheilt und damit als gesund galt. Trotz einer Wahrscheinlichkeit von weniger als zehn Prozent überlebte ich. Ohne bleibende kognitive Schäden, welche bei bis zu 55 Prozent der Überlebenden festgestellt werden.1 Ich erwischte somit die wenigen fünf Prozent Wahrscheinlichkeit, ein Leben danach noch halbwegs normal zu führen. Jedoch nur weil fünf fremde Männer mich 45 Minuten lang im Fitnessstudio reanimierten. Einen Tag nach dem Vorfall wachte ich aus dem künstlichen Koma auf und fünf Tage später erhielt ich einen implantierbaren Defibrillator (ICD) in meine Brust. »Damit so was nicht noch mal passieren kann«, wie mir der Arzt versprach. Doch genau sechs Monate später entpuppte sich die Aussage des Mediziners als schwerer Irrtum. Ich flog nach Ibiza. Wollte einfach nur einen erholsamen Urlaub verbringen. Doch statt Erholung überraschten mich bereits am zweiten Tag im Frühstücksraum des Hotels fünf Elektroschocks meines Defibrillators bei vollem Bewusstsein. Die jedoch erfolglos gegen meine Herzrhythmusstörungen ankämpften. Ich wurde ohnmächtig und musste erneut reanimiert werden. Weil ich meinen zweiten plötzlichen Herztod hatte. Doch auch bei diesem kämpfte ich mich zurück ins Leben. Ohne bleibende Schäden. Acht Tage nach dem Vorfall wurde ich mit einem Ambulanzflug zurück nach Deutschland geflogen. Traumatisiert von den Elektroschocks und mit panischer Angst im Gepäck. Doch die Ärzte hatten nach meiner Ankunft nur drei Sätze für mich übrig: »Was stellen Sie sich denn so an? Der Defibrillator hat eben die Welle nicht gefunden. Aber Sie sind ja trotzdem geschützt.« Ich war sprachlos. Und wurde nach 13 Tagen Herumliegen und Nichtstun wieder entlassen. Für ganze drei Wochen. Denn bei einem Besuch meines Freundes in Kempten bekam ich erneut gefährliche Rhythmusstörungen. Ohne Defibrillatorschocks, aber mit Notarzteinsatz und anschließendem Krankenhausaufenthalt. Neue Ärzte nahmen sich meiner an und verödeten die Stellen im Herz, die für die Herzrhythmusstörungen verantwortlich waren. Zunächst erfolgreich. Doch ein halbes Jahr später traf mich der nächste Vorfall, der mich erneut mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus brachte. So ging es die darauffolgenden Jahre immer weiter. Ins Krankenhaus rein, aus dem Krankenhaus raus, wenige Monate später dasselbe Spiel. Und währenddessen wurden die Ärzte immer ratloser. Bis 2021 plötzlich die große Wendung meiner Geschichte kam. Die große Wendung, die der Beginn meines zweiten Buches Dein Herz, mein Herz ist.

Es ist ein Buch mit einer Geschichte, die das Leben schrieb. Vollgepackt mit Emotionen, Herausforderungen, Überraschungen und Rückschlägen. Mit so vielen Wundern, dass sie es glatt mit Alice im Wunderland aufnehmen kann. Es ist eine Geschichte, die dir wahrlich unter die Haut gehen wird, die dich zum Lachen, zum Weinen und zum Staunen bringt. Und eine Geschichte, die dich mitten ins Herz trifft. Die dir bewusst macht, was im Leben wirklich zählt und wie man es schafft, auch in den schlimmsten Fluten den Kopf über Wasser zu halten. Deshalb lass dich mitreißen und verzaubern. Von der Wundertüte des Lebens, die manchmal unseren Alltag auf den Kopf stellt, uns herausfordert und uns damit gleichzeitig zeigt, wie wertvoll unsere Zeit auf Erden ist. Dein Herz, mein Herz ist mehr als eine Autobiografie – es ist ein Tauchgang in das wahre Leben, eine Reise zu dir selbst. Und eine Erinnerung daran, dass es sich immer lohnt, nach vorne zu schauen, unermüdlich an das Happy End zu glauben und niemals aufzugeben im Kampf um das Leben …

1. KAPITELNEUES SPIEL – NEUES GLÜCKNEUER KARDIOLOGE – NEUES PECH!

19. Januar 2021 

Das ist ein schlechter Scherz, oder? Ich saß in meinem Zimmer auf meinem Schreibtischstuhl und starrte gefühlte 15 Minuten auf mein iPhone, während ich versuchte, meine Gedanken in halbwegs gerade Bahnen zu bringen. Doch ich blieb fassungslos. Fassungslos, welche Botschaft mir mein neuer Kardiologe da gerade, am 19. Januar 2021, am Telefon verkündet hatte. Eine Nachricht, die von einer Sekunde auf die nächste mein gesamtes Leben auf den Kopf stellte. Mal wieder – nachdem schon so viel geschehen war.

5 Jahre Stammgast bei insgesamt 10 Kardiologen.

14 Krankenhausaufenthalte in 7 verschiedenen Krankenhäusern.

6 Biopsien des Herzmuskels.

3 Verödungen am Herz.

8 Monate Immunsuppression.

5 Schocks meines implantierten Defibrillators.

2 Defibrillator-Operationen.

2 plötzliche Herztode mit Reanimationen.

4 Mal dem Tod von der Schippe gesprungen.

Meine Krankenhauskarriere sah inzwischen eindrucksvoller aus als jeder Lebenslauf eines erfolgreichen Managers. Der Unterschied war nur, dass ich mir meine besondere Art von Karriere nicht ausgesucht hatte und erst recht nicht stolz drauf war. Ein weiterer Unterschied war wohl, dass sich Manager meistens die besten Berater schnappen können. Berater, die ihnen mit Rat und Tat dabei helfen, den Karren nicht an die Wand zu fahren. Ich konnte mir zumindest nicht vorwerfen, dass ich nicht alles dafür getan hatte, die besten Berater für meine besondere Karriere an meiner Seite zu haben. Zwischenzeitlich hatte das auch ganz gut geklappt. Zumindest hatte ich für einige Zeit den Eindruck. Jedoch musste ich dann feststellen, dass es nur kurzfristig gute Berater waren, die meist am Ende mindestens genauso hilflos dastanden wie ich und nicht mehr wussten, wie man den Karren aus dem Dreck zieht. Nur blöd, wenn der Karren der eigene Körper ist …

Das Wort Aufgeben habe ich in den vergangenen Jahren fein säuberlich aus meinem Wortschatz gestrichen. Aufgeben ist keine Option! Aufgeben bedeutet für mich Scheitern, Resignieren, eine Situation zu akzeptieren, die unerträglich ist. Aufgeben bedeutet für mich, das Leben aufzugeben. Seine Selbstbestimmung zu verlieren. Opfer der Umstände zu werden. Sich selbst in ein Gefängnis zu stecken und zwar auf lebenslang. Hui, wenn ich aber etwas brauche, um mich lebendig zu fühlen, dann ist es Freiheit und Selbstbestimmung. Diese Selbstbestimmung hat mir jedoch mein Herz bereits 2016 genommen. Indem es seitdem selbst entscheidet, wann es aus dem Takt gerät und wann mein implantierter Defibrillator mir eine reinhaut, obwohl ich ihm nichts getan habe. Als bräuchte es eine Bestrafung für meinen Körper und meinen Kopf, weil sie mein Herz nicht im Griff haben. Ich musste lernen zu akzeptieren, dass ich eben nicht mehr alles unter Kontrolle habe. Und dass verbissen stark zu bleiben und nicht scheitern zu wollen, irgendwann einfach zu viel ist.

Es war einfach zu viel, dass ich bereits jeden Morgen Panik davor hatte, abends in meine Wohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses gehen zu müssen. Blanke Angst zu haben, dass währenddessen mein Herz aus dem Takt gerät und ich am Ende vielleicht tot in meiner Wohnung liege. Weil keiner mitbekommen hat, was passiert ist, mich keiner reanimiert hat und mich mein Defibrillator mal wieder nicht retten konnte.

Deshalb entschied ich mich 2020, im Alter von 27 Jahren, zurück in mein Kinderzimmer zu meinem Vater zu ziehen. Holla die Waldfee, das war kein leichtes Spiel für mein Ego – eher ein Scheitern auf ganzer Linie.

Aber mein Akku war nach vier Jahren Lebenskampf und Ungewissheit einfach kurz vor dem Zusammenbrechen. Ich brauchte Papas Sicherheit, um im Stromsparmodus noch ein wenig länger über die Runden zu kommen.

Timing scheint meine Stärke zu sein. Denn während wir meine gepackten Koffer von meiner Wohnung zu unserem Haus schleppten, brach Corona in Deutschland aus. Womit auch mein eineinhalb Jahre andauernder Hausarrest begann, weil ich mit meinem angeschlagenen Herzchen zur Hochrisikogruppe zählte. Doch weil das Schicksal mich scheinbar richtig gerne mag, zeigte es mir in dieser Situation trotzdem noch galant den Mittelfinger und ließ mich nicht mal mehr mein neues Bett kaufen. Lockdown – nichts ging mehr. Somit schlief ich zwei Monate im vollgestellten Gästezimmer, während mein altes neues Zimmer darauf wartete, mit Möbelstücken befüllt zu werden. Ich scharrte mit den Füßen, weil ich endlich ankommen und mich zu Hause fühlen wollte. Und doch versuchte ich, das Positive zu sehen: Dank meines grandiosen Timings für den Umzug bin ich gekonnt und um Haaresbreite an der vollkommenen Selbstisolation und damit an der endgültigen Depression vorbeigeschrappt. Hätte also alles viel schlimmer sein können …

Wäre da nicht noch dieser Krankenhausaufenthalt geplant gewesen. Ein Krankenhausaufenthalt, in dem mir innerhalb von fünf Tagen mein gesamtes Immunsystem aus dem Blut gewaschen werden sollte. Zwei Wochen nachdem Corona ausgebrochen war. Das nenn ich eine 1A-Vorbereitung für Coronalife. Das Schicksal packt bei mir wirklich die schlechtesten Scherze aus …

Aber gut, mir blieb wie so oft nichts anderes übrig, als erneut fest zu hoffen, dass alles gut geht. Absagen kam für mich nicht in Frage, weil ich schon seit drei Monaten sehnsüchtig auf diese Therapie gewartet hatte und es meine letzte Alternative war, um meine Herzleistung wieder in den Griff zu bekommen. Die Therapie sollte meine chronische Herzmuskelentzündung, mit der ich mittlerweile seit vier Jahren rumrannte, ein für alle Mal beseitigen und damit auch meine Herzleistung steigern. Ich baute fest auf das Können meiner Schutzengel, während meine Mutter panisch alle Register zog, um mich davon abzuhalten, in einer beginnenden Pandemie meinem Immunsystem »Tschüss« zu sagen. Nur blöd, dass ich meine Sturheit von ihr geerbt hatte. 1:0 für mich! Ich packte meine Sachen und fuhr nach Berlin, um mich dort der sogenannten Immunadsorption zu unterziehen.

Für die Therapie mietete ich mich fünf Tage in die Intensivstation der Klinik ein. Bevor das dazugehörige Gerät, das wie ein Dialysegerät aussah, ins Zimmer geschoben wurde, legte man mir erst noch bei Bewusstsein zwei dicke Schläuche in den Hals. Den einen fürs Abzapfen, den anderen fürs Zurückpumpen des Blutes in meinen Körper. Der Nervenzusammenbruch war inklusive. Angeschlossen an das Hightech-Gerät, sollte innerhalb von vier Stunden mein gesamtes Blut im Schonwaschgang durchgewaschen werden. Und damit aber auch wirklich jedes Antikörperchen, das ein potenzieller Feind für mein Herz sein könnte, beseitigt würde, wiederholte man die ganze Prozedur täglich über fünf Tage hinweg. Tatsächlich ist das eine relativ entspannte Nummer! Innerhalb der gesamten Zeit liegt man mit Zimmerarrest tagein, tagaus im Bett, unterhält sich mit dem Pfleger, schläft oder schaut Netflix. Wenn man Besuch bekam, musste sich dieser von Kopf bis Fuß in sterile Krankenhauskleidung – ich nannte sie liebevoll Ganzkörperkondom – schmeißen, damit man sich während der Therapie auch ja nichts einfing. Aber immerhin, man durfte Besuch bekommen. Also absolut aushaltbar.

Das einzige halbwegs Unangenehme war, dass ich mich während der täglichen Prozedur wie ein Nacktmull in der Arktis fühlte. Bereit für den Winterschlaf. Denn obwohl ich bereits zwei Decken hatte und diese bis zur Nasenspitze hochzog, war mir bitterlich kalt. Und gleichzeitig war ich wahnsinnig müde. Was vermutlich kein Wunder war. Ganz so easy peasy war die Nummer für den Körper ja nicht. Auch wenn es sich gar nicht so tragisch anfühlte. Spannend an der ganzen Aktion waren eigentlich nur der Anfang und das Ende: Das Setzen der Schläuche am Hals und die krönende Abschlussspritze. Denn natürlich schickten mich die Ärzte nicht ohne ein vorhandenes Immunsystem in die coronaverseuchte Außenwelt zurück. Nein, es gab ein kleines Abschluss-Belohnungsgeschenk, wie der Lolli für die Kinder, wenn sie ohne Heulen den Besuch beim Kinderarzt überstanden hatten. Ja okay, eine Spritze ist nicht ganz so attraktiv wie ein Lolli. Aber dafür der Inhalt der Spritze! Der bestand nämlich – für Laien erklärt – aus den Immunsystemen einer ganzen Menge europäischer Menschen. Schön zusammengemixt, damit ich nicht wie ein Baby von vorne beginnen musste, mir alle möglichen Viren einzufangen, um ein Immunsystem aufzubauen. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich ein neues, das aber eben nicht die Antikörper enthielt, die mein Herzchen angreifen können. Definitiv eine nette Sache! Solche Spritzen könnte man öfter gebrauchen. Besonders wenn man mit einer Erkältung oder einer Grippe kämpft.

Nach fünf Tagen Intensivstation mit Ganzkörperkondomen und weiteren zwei Tagen auf der Normalstation mit neuem sauberem Immunsystem wurde ich nach Hause entlassen – in der Hoffnung, dass der Spaß nun endlich was gebracht hat.

Aber natürlich hatte ich mich wie üblich zu früh gefreut … Die Monate vergingen, Ikea hatte inzwischen wieder geöffnet, meine neue Einrichtung stand endlich in meinem alten Zimmer und ich fühlte mich langsam angekommen und sicher. Sicher jedoch nur, weil ich mit meinem Vater, einem Ex-Feuerwehrmann mit Erste-Hilfe-Erfahrungen, zusammenwohnte – nicht etwa, weil sich mein Herz verbessert hatte. Im Gegenteil, es tat sich nada, niente, null komma null. Ein halbes Jahr nach der Therapie war meine Herzleistung noch genauso mies. Das Einzige, was sich in meinem Körper veränderte, war die Entwicklung einer Schilddrüsenüberfunktion dank meines Lieblingsmedikaments Amiodaron, das ich daraufhin absetzen musste. Bisher half es mir sehr verlässlich dabei, meinen Herzrhythmus im Griff zu halten. Doch darauf musste ich nun verzichten. Und weil das alles noch nicht reichte, fiel neun Monate nach der Immunadsorption dank Corona und Lockdown Nummer zwei auch noch mein Kontrolltermin in unserer Hauptstadt aus – bis auf Weiteres ohne Ersatztermin. Ich war somit an meinem absoluten Stimmungstiefpunkt angelangt. Verdonnert zum Abwarten und Zittern, mit einem schlechten Gefühl im Bauch, während man in der eigenen Bude eingesperrt war und zu allem Überfluss ohne das Medikament auskommen musste, das einem in der Vergangenheit so viel Sicherheit gegeben hatte. Viel gab es zu diesem Zeitpunkt also nicht mehr, woran ich mich festhalten konnte und was mir dabei half, meinen Kopf auf die Optimismusschiene zu lenken, statt ihn endgültig in den Sand zu stecken. Einzig der Fakt, wieder zu Hause bei Papa und in der Nähe meiner restlichen Familie zu sein, sorgte für Geborgenheit und etwas Trost. Meine Substanz war auf ein Minimum geschrumpft. Und ich klammerte mich mit aller Kraft daran, um nicht kaputt zu gehen. Wie lange würde das noch gut gehen?

In meiner Heimatstadt bin ich dank meines ersten Buches und der Berichterstattung in der Kleinstadtzeitung inzwischen bekannt wie ein bunter Hund. Meine Geschichte erzähle ich seitdem im Dauerakkord wie ein auswendig gelerntes Gedicht auf. Ob bei der Bäckereifachverkäuferin, der Buchhändlerin oder dem Apotheker. Bestimmt war ich bei Letzterem inzwischen eine bessere Stammkundin als jede Achtzigjährige. Wodurch wir uns auch langsam anfreundeten und der Apotheker plötzlich mein neuer wertvoller Tippgeber wurde.

Es war inzwischen Herbst. Und während ich wie so oft meine LKW-Ladung Tablettenschachteln für die nächsten 14 Tage abholte, schnackten mein Apotheker und ich eine Runde über kompetente und weniger kompetente Ärzte. Dabei berichtete er mir, dass ein neuer Kardiologe direkt neben der Apotheke seine Praxis eröffnet hatte. Und weil dieser für eine lange Zeit in England in einer großen Klinik gearbeitet und wohl einiges an Ahnung hätte, könnte ich mich ja dort mal vorstellen.

Hm, eigentlich keine schlechte Idee! Ich war eh wahnsinnig genervt davon, für jedes Rezept und jede Bescheinigung eine Stunde durch die Gegend zu fahren, um zu meinem alten Kardiologen in der Nähe meiner alten Wohnung zu fahren. Also machte ich direkt Nägel mit Köpfen. Zack, raus aus der Apotheke, rein in den Nebenbau und direkt einen Termin vereinbart. Was du heute kannst besorgen und so …

Zwei Wochen später fand ich mich mit meinem inzwischen gut gefüllten Ordner voll mit Arztberichten unter dem Arm in der Praxis ein. Ohne große Erwartungen, schließlich gab es für einen Kleinstadtkardiologen gerade nichts Akutes zu klären und eigentlich wollte ich ja nur einen Mediziner in meiner Nähe, der mir meine Rezepte verschreiben konnte. Während ich vor dem Arzt meine Geschichte runterratterte und mein Anliegen klarzumachen versuchte, sah er verstohlen auf meinen großen blauen Ordner.

»Puh, Frau Schwab, haben Sie was dagegen, wenn ich Ihren Ordner mal behalte und mir Ihre Geschichte in der nächsten Woche als Abendlektüre zu Gemüte führe?«

Ach Quatsch, kein Problem! Für Kardiologen ist meine Arztbriefsammlung sicher wie für normale Menschen ein guter Krimi … Gerne sorge ich für ihr abendliches Entertainmentprogramm. Hat der ganze Mist wieder einen positiven Aspekt mehr. Vielleicht findet Sherlock Kleinstadtkardiologe ja sogar noch den entscheidenden Hinweis zwischen all den Indizien, die zwar zu einem Verdächtigen, aber nach wie vor zu keiner Festnahme geführt haben. Dachte ich mir natürlich nur und überreichte ihm grinsend meinen Ordner. »Viel Spaß! Bin gespannt, was Sie dazu sagen.«

Wie versprochen, erhielt ich eine Woche später einen Anruf mit der Bitte um ein kurzes Gespräch und der Aufforderung, meinen Ordner abzuholen. Ohne die Erwartung, dass ein Kleinstadtkardiologe mit der großen Erkenntnis aufwarten würde, setzte ich mich bereits zwei Tage später auf meine vier Buchstaben vor meinen neuen Kardiologen.

Und es fing wie immer an: »Mensch, Frau Schwab, da haben Sie in den letzten Jahren eine ganz schöne Karriere hingelegt!«

Ja … da wären wir wieder bei meinem Lebenslauf, der jede beeindruckende Karriere eines Managers in den Schatten stellt.

»Als ich mir aber Ihre ganzen Unterlagen durchgelesen habe, ist mir aufgefallen, dass bei Ihnen nie eine genetische Diagnostik gemacht wurde. Kann das sein?«

»Hm … ich kann mich daran erinnern, dass das Thema mal bei einem meiner Krankenhausaufenthalte angesprochen wurde. Scheinbar ist das damals unter den Tisch gerutscht.«

»Das wundert mich. Besonders wenn man bedenkt, in welchen Krankenhäusern Sie schon in Behandlung waren. Das war ja im Prinzip die Crème de la Crème. Aber in Anbetracht dessen, dass Ihr Problem ja immer noch nicht wirklich gelöst ist und Sie in so jungen Jahren einen so extremen Krankheitsverlauf haben, würde ich den Test gerne nachholen. Hätten Sie etwas dagegen? Es geht um eine reine Blutabnahme. Aus der Probe können dann potenziell genetische Erkrankungen analysiert werden.«

Moment mal. Diese Aussage ließ meine Ohren spitzen. Hatte mir doch schon vor eineinhalb Jahren meine Mutter einen Zeitungsartikel unter die Nase gehalten, in dem es um die genetische Erkrankung ARVC (Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie) ging. Damals war ich sogar so weit, dass ich Kontakt mit einer Selbsthilfegruppe aufgenommen hatte und ohne meine Kardiologen die Detektivarbeit starten wollte. Damals kam jedoch das Bahnhofsdate mit meinem Defibrillator dazwischen und das Thema fiel für mich erst mal unter den Tisch. Hatte meine Mutter vielleicht vor eineinhalb Jahren schon den richtigen Riecher? Die beschriebenen Symptome der Erkrankung passten verdächtig gut …

»Gebongt! Zapfen Sie mich an. Bin gespannt, ob dabei was rauskommt.« Ich krempelte meinen Ärmel hoch und nachdem ich meinen Shot Blut abgegeben hatte, war ich gespannt wie ein Flitzebogen, wie das Ergebnis ausfallen würde.

Nur ein Gedanke ließ mich nicht los, nachdem ich die Praxis mit meinem Pflasterchen am und dem Ordner unterm Arm verließ. Konnte es wirklich sein, dass insgesamt zehn Kardiologen in sieben namhaften Krankenhäusern nie auf die simple Idee gekommen waren, einen Gentest zu machen?

Die Tage und Wochen vergingen. Mir war schon angekündigt worden, dass die Auswertung eines so speziellen Gentests bis zu zwei Monate dauern kann. Es wurde Winter. Ich brachte mein nach wie vor verhasstes Weihnachten und Silvester hinter mich und das neue Jahr begann – 2021. Ein Jahr, von dem ich nicht mal im Traum erwartet hätte, dass es das einschneidendste meines Lebens werden wird. Ja, 2018 mit seinen zwei plötzlichen Herztoden war tatsächlich noch zu toppen.

Die erste Bombe des Jahres explodierte bereits an diesem 19. Januar 2021. »Das ist ein schlechter Scherz, oder?« Ich saß fassungslos in meinem Zimmer auf meinem Schreibtischstuhl und starrte auf mein iPhone. Fassungslos, welche Botschaft mir mein Kardiologe gerade eben am Telefon verkündet hatte.

Das Ergebnis des Gentests war endlich da! Und es sprach eine ganz eindeutige Sprache:

[…] Der Befund bestätigt wahrscheinlich das Vorliegen einer DSP-bedingten Kardiomyopathie bei der Patientin. [Diese Variante] konnte […] bei Patienten mit ARVC oder DCM (Dilatative Kardiomyopathie) detektiert werden […]

Ich war sprachlos! Sherlock Kleinstadtkardiologe hatte tatsächlich nach fünf Jahren und unzählig vielen Krankenhaus- und Kardiologenbesuchen DAS entscheidende Indiz ausfindig gemacht, das bisher niemand beachtet hatte und von einem Moment auf den anderen meine gesamte Krankenhauskarriere in Frage stellte …

2. KAPITELARRHYTHMOGENE WHAT THE FUCK?

In meinem Kopf sah es wie in meinem früheren Kinderzimmer aus. Als hätte eine Bombe eingeschlagen. Jedes Gedankenschloss, was ich mir in den vergangenen Jahren aufgebaut hatte, lag zertrümmert und in seinen Einzelteilen in meinem Kopf verstreut. Jeder Glauben an meine bisherigen Ärzte war von jetzt auf gleich kaputt wie mein altes Tamagotchi. Alle Hoffnungstürme auf Besserung, die ich so fleißig gestapelt hatte, stürzten ein. Und mindestens genauso fassungslos wie bei der Aufdeckung der Lügen über die Zahnfee und den Nikolaus, saß ich nun auch vor meiner neuen Herzwahrheit. Meine Welt war von einer Sekunde auf die nächste ein komplettes Chaos.

Denn Fakt war: Ich bin jahrelang einem Irrglauben hinterhergelaufen. Bin überzeugt davon gewesen, dass ich eine Herzmuskelentzündung habe, die ich mir mit meinem zu ehrgeizigen Verhalten selbst eingehandelt hatte, und unter der ich nun leiden musste. Und jetzt sollte plötzlich alles anders sein? Ich hatte keine Schuld daran, dass ich krank bin? Aber mir musste bewusst sein, dass das eine unheilbare Krankheit ist, weil sie genbedingt ist?

Gar nicht so einfach. Doch was blieb mir in solch einer Situation? Mich aufregen, rumheulen, Panik kriegen oder ins Depriloch fallen, weil ich eine genetische Erkrankung hatte? Machte es das erträglicher? Wohl kaum … Also versuchte ich stattdessen, die neue Situation zu akzeptieren und den Fokus erst mal darauf zu legen, dass ich plötzlich nicht mehr selbst schuld war an meinem miesen Schicksal. Adieu liebes schlechtes Gewissen, zum Abschied würde ich dir gerne eine ordentliche Backpfeife verpassen, dafür dass du mich umsonst jahrelang gequält hast. Ja, dieser Abschied war eine große Erleichterung.

Und nachdem ich das schlechte Gewissen nach Timbuktu geschickt hatte, versuchte ich als Erstes, in meinem Kopf aufzuräumen und für Ordnung zu sorgen. Doch wie macht man das, wenn gerade kein Arzt greifbar ist, um einem bis ins Detail zu erklären, was da eigentlich im Körper falsch läuft? Genau, man wirft seine guten Vorsätze ganz schnell über Bord und zieht den Ratgeber in der Not namens Google zu Rate. Ich weiß, eigentlich bin ich ja immer die Erste, die allen predigt, dass das absolut bescheuert ist und man das eben nicht tun sollte. Weil man spätestens angesichts der möglichen Diagnosen und deren Folgen instinktiv den nächsten Brückenpfeiler sucht. Aber ich denke, wenn man schon eine eindeutige Diagnose und nicht nur Symptome hat, dann könnte der digitale Freund und Helfer auch die ein oder andere hilfreiche Erkenntnis parat haben.

Also, Dr. Google, was können Sie mir zu diesem verkorksten DSP-Gen und der Krankheit ARVC alles verraten?

Was ist ARVC?

ARVC heißt ausgeschrieben Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie und ist eine genetische Erkrankung. Wer diese Genveränderung hat, vererbt sie unabhängig vom Geschlecht mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an seine Nachkommen.

Ich klatschte meinem Schicksal innerlich Beifall. Ich hatte es geschafft, Murphys Gesetz zu bestätigen und damit mal wieder den schwarzen Peter zu ziehen. Nach einer Weile las ich weiter.

In gesunden Herzen werden Muskelzellen durch Proteine zusammengehalten. Bei ARVC-Patienten werden letztere durch den genetischen Defekt aber nicht richtig entwickelt. Die Verbindungen zwischen den Muskelzellen lockern sich, besonders wenn das Herz unter verstärkter mechanischer Beanspruchung steht. Dies ist beispielsweise bei ausgeprägten sportlichen Aktivitäten der Fall. Neben dem Lockern von Verbindungen können auch Herzmuskelzellen beschädigt werden oder absterben.

An dieser Stelle macht der Körper dann den großen Fehler! Er kommt auf die grandiose Idee, die kaputten Herzmuskelzellen in Bindegewebe umzuwandeln, wodurch Narben entstehen. Und um das noch lebende aber beschädigte Gewebe zu reparieren, bildet der Körper Fett.

Super, dachte ich mir. Ich hatte zwar kein Fett an den Hüften, dafür im Herz …

Doch warum ist das alles eine ziemlich dumme Aktion, die da der Körper startet? Durch das eingelagerte Bindegewebe und Fett verliert das Herz an Pumpleistung und es wird schwächer und schwächer. Richtig mies wird es besonders, wenn die Defekte an den Stellen liegen, die für die elektrische Erregungsleitung des Herzens zuständig sind. Denn dann sind die Erregungsleitungen für einen geregelten Herzschlag verändert oder unterbrochen. Die Folge können plötzliche lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen und sogar der plötzliche Herztod sein. In Italien wird diese Kardiomyopathie sogar als häufigste Ursache für den plötzlichen Herztod bei jungen Sportlerinnen und Sportlern vermutet. Meist tritt die Erkrankung erstmalig im Kindes- oder jungen Erwachsenenalter auf. Männer erkranken dabei häufiger als Frauen.

ARVC ist jedoch nur eine von mehreren Erscheinungsformen der übergeordneten Krankheit ACM (Arrhythmogene Kardiomyopathie). Denn mittlerweile weiß man, dass diese Erkrankung nicht nur rechtsventrikulär auftritt, also besonders den rechten Ventrikel des Herzens belastet. Seltene Genveränderungen können auch eine linksventrikuläre arrhythmogene Kardiomyopathie hervorrufen (ALVC). Zu diesen Bösewichten zählt unter anderem das DSP-Gen.2

Ich lehnte mich zurück und schüttelte den Kopf. Fünfzig Prozent Wahrscheinlichkeit einer Vererbung, Frauen erkranken seltener als Männer und die deutlich seltenere Form dieser Erkrankung verursacht das DSP-Gen.

Wow, da hatte ich wirklich wieder alle Wahrscheinlichkeiten gebrochen und den Sechser mit Superzahl im Lebenslotto gezogen. Langsam hatte ich das Gefühl, dass Stochastik sich durch mein gesamtes Leben zieht und ich in Bezug auf meine Gesundheit wirklich jede Wahrscheinlichkeit breche. Dieses Phänomen sollte mir mal mein ehemaliger Mathelehrer erklären.

Also gut, diese ganzen Beschreibungen passten tatsächlich faszinierend gut zu meinem Krankheitsbild. Aber trafen die Symptome ebenfalls den Nagel auf den Kopf? Ich recherchierte weiter …

Welche Symptome können auftreten?

Viele Patienten haben zunächst gar keine Symptome oder bemerken sie nicht, weil sie sehr unspezifisch sind und nicht richtig eingeordnet werden können. Sie können schleichend entstehen, aber auch akut. Wobei sie häufig durch körperliche Anstrengung oder psychische Belastungen ausgelöst werden. Die ersten Symptome zeigen sich meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr. Zu diesen zählen unter anderem:

Tachykardien (Herzrasen)Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen)Palpitationen (Herzklopfen, bewusste und subjektive Wahrnehmung des Herzschlags)Extrasystolen (Herzstolpern, Extraschläge)Atypische Thoraxschmerzen (Brustschmerzen, Druckgefühl auf der Brust)Präsynkope (Schwindel, Benommenheit) und Synkope (vorübergehende Bewusstlosigkeit)Fatigue (Erschöpfung, Müdigkeit, abnehmende Belastbarkeit)Ödeme (Wasseransammlungen in Beinen, Knöcheln oder Bauch)3

Während ich mir die Liste durchlas, setzte ich gedanklich einen Haken nach dem anderen. Sieben von acht Symptomen zählten zu meinen. Und das schon seit 2016. Faszinierend. Besonders in Kombination mit der Tatsache, dass trotz so vieler Übereinstimmungen kein Arzt bisher auf diese Krankheit kam. Nur Ödeme waren mir erspart geblieben. Was lernten eigentlich Ärzte im Kardiologie-Facharztstudium, wenn sogar Google besser über Symptome und Krankheitsbilder Bescheid wusste als sie? Ich schüttelte resigniert den Kopf und las weiter. Gab es vielleicht noch etwas, was mir das Orakel Dr. Google bereits vor Jahren vorhersagen hätte können?

Was sind mögliche Folgen im Extremfall?

Eine Folge der Erkrankung kann der (überlebte) plötzliche Herztod sein, ausgelöst durch

Kammerflimmern (unkontrollierter, extrem schneller Herzschlag) oderAsystolie (Herzstillstand)

Der plötzliche Herztod wird häufig durch körperliche Anstrengung ausgelöst und kann nur durch eine erfolgreiche Reanimation überlebt werden. Das Risiko besteht auch, wenn bisher noch keine Symptome aufgetreten sind.4

Langsam, aber sicher bekam ich ein Schleudertrauma vom ständigen Kopfschütteln. Im Prinzip las ich hier gerade meine Vita der vergangenen drei Jahre. Und warum zum Geier ist kein Arzt in all den Jahren auf die Idee gekommen, sich diese Erkrankung mal als potenziellen Störenfried näher anzusehen? Mein Ärger wuchs. Besonders nachdem ich weiterlas und erfuhr, was man hätte tun können, um all den Mist zu verhindern oder zumindest zu verzögern.

Gibt es allgemeine Verhaltensempfehlungen?

Die Diagnose der Erkrankung bedeutet nicht automatisch ein hohes Risiko für einen plötzlichen Herztod. Viele PatientInnen führen ein langes und weitgehend normales Leben ohne bedrohliche Ereignisse. Um das zu gewährleisten, sollte jedoch das Risiko mithilfe einer sorgfältigen Risikoeinschätzung, fundiert ausgewählter Therapien und einer Änderung des Lebensstils (besonders im Hinblick auf Sport) minimiert werden. Grundsätzlich sollte unbedingt auf Wettkampf- und Leistungssport verzichtet, starke körperliche Anstrengung und psychischer Stress vermieden werden. Und von einem übermäßigen Konsum an Alkohol, Kaffee und Energydrinks ist ebenfalls abzuraten. Außerdem empfiehlt es sich, jegliche andere herzschädigende Faktoren zu vermeiden, wie Nikotin, Übergewicht, Bluthochdruck, hohe Blutfettwerte und Diabetes.

Super, das klang ja wunderbar. Gut, dass ich mein Leben lang ziemlich viel Sport gemacht habe, ein kleiner Workaholic bin, psychischer Stress in meinem Leben eine Dauerrolle spielt und das mit dem Alkohol hätte mir mal jemand in meiner Studentenzeit erzählen sollen. Immerhin gab es auch ein paar Punkte, die bei mir nicht zutreffen, wie Diabetes, Nikotin oder Bluthochdruck. Aber am Ende hat mir das trotzdem nichts gebracht.

Doch wie wird die Diagnose überhaupt gestellt? Aha, mit genau den Dingen, die ich schon seit Jahren regelmäßig über mich ergehen lasse: (Langzeit-)EKG, Röntgen des Brustkorbs, MRT und Herzkatheteruntersuchung mit potenzieller Gewebeentnahme, die sich Myokardbiopsie nennt. Und natürlich gibt es noch den besagten Gentest. Last but not least sollte immer das familiäre Umfeld einbezogen werden. Nicht selten treten oder traten in der Familie ähnliche Beschwerden oder Folgen auf. Aber nicht nur bei der Diagnose ist die Familie wichtig. Festigt sich der Krankheitsverdacht durch einen Gentest, sollten sofort auch alle weiteren Familienmitglieder getestet werden, um Folgen wie gefährliche Herzrhythmusstörungen oder sogar Herzstillstände zu vermeiden.5

Halt! Mein kaputtes Detektivherz setzte kurz aus und ich las die letzten Zeilen ein zweites Mal durch. Bedeutete das vielleicht, dass meine Familienmitglieder ebenfalls von der Krankheit betroffen waren und sie, ohne es zu ahnen, in Lebensgefahr schwebten?

3. KAPITELNOT MACHT ERFINDERISCH

Wer hätte es nach zwei plötzlichen Herztoden, zahlreichen OPs, Defibrillatorschocks, wochenlangen Krankenhausaufenthalten, einer klaren Diagnose und unzählig vielen Kilometern Autofahrt zu Arztbesuchen in ganz Deutschland tatsächlich vermutet, dass das absolute Highlight der Geschichte erst nach ganzen fünf Jahren zu Tage kommt? Sozusagen die Kirsche auf dem Sahnehäubchen oder die alles entscheidende Wendung im Hollywoodstreifen.

Vermutlich keiner – und ich am allerwenigsten.

Mein mühevoll aufgebautes schlechtes Gewissen, das mir jahrelang schwer auf den Schultern lag, war verschwunden. Doch letztlich wurde es nur durch eine neue schwere Last ausgetauscht. Eine, die noch viel schwerer war: die blanke Angst um meine Familie.

Denn nun war ich nicht mehr die Einzige, um die man sich Sorgen machte. Nein, plötzlich war ich diejenige, die sich um ihre Familie sorgte. Schwebte womöglich in all den Jahren noch ein weiteres Familienmitglied in Lebensgefahr und keiner hat es geahnt? Der Gedanke ließ mir keine Ruhe und so schleppte ich in den darauffolgenden Wochen trotz Genörgel jedes einzelne Familienmitglied am Kragen zum Kardiologen, um einen Gentest zu machen. Auch wenn meine Familie entspannt war. Ich war es nicht. Ich musste wissen, was Sache ist. Niemals hätte ich es mit meinem Gewissen vereinen können, wenn plötzlich einem meiner Familienmitglieder etwas geschehen wäre, obwohl man es hätte vermeiden können. Nicht noch mal so ein großer Fehler. Nicht noch mal ein schlechtes Gewissen für lange, lange Zeit.

Es kam, wie es kommen musste: Die Ergebnisse, die wir wenige Monate später erhielten, ließen uns fassungslos auf die eng bedruckten Blätter Papier blicken. Ich war tatsächlich nicht die Einzige mit einem lebensgefährlichen Gendefekt. Wir waren mehrere, unter ihnen auch mein Vater, die eine tickende Zeitbombe in sich trugen, von der sie jahrzehntelang nichts wussten. Eine Zeitbombe, die hochgehen kann, aber nicht muss. Da unser Gendefekt sich statistisch gesehen häufiger bei Frauen als bei Männern bemerkbar macht. Es war wohl das große Glück meines Vaters, welches gleichzeitig mein großes Unglück war …

Doch was sollten wir nun mit der Erkenntnis tun? Mit dem Wissen, dass theoretisch mehrere von uns plötzlich gefährliche Herzrhythmusstörungen erleiden und daran sterben könnten? Die traurige Antwort lautet: so gut wie nichts. Weil die Krankheit nicht heilbar ist. Sondern nur aufhaltbar. Wie wir wussten, sollte Sport auf Lebzeiten vermieden werden. Ein Kardiologe sollte mindestens ein Mal im Jahr besucht werden. Und wenn bereits Veränderungen am Herz erkennbar sind, ist es ratsam, einen Event Recorder oder einen Defibrillator zu implantieren. Ersteres ist ein Gerät so groß wie ein USB-Stick, das wie ein Defibrillator unter die Haut gepflanzt wird und rund um die Uhr den Herzrhythmus aufzeichnet, um die Daten im Anschluss regelmäßig an das betreuende Klinikum zu senden. Sobald auffällige Herzrhythmusstörungen erkennbar sind, können die Ärzte in der Klinik eingreifen und rechtzeitig einen Defibrillator implantieren. Ein Event Recorder ist sozusagen die Vorstufe zum Defibrillator, der weitaus größere Einschränkungen mit sich ziehen würde. Doch mehr doppelten Boden gibt es nicht … keine Therapie, keine Medikamente können die Krankheit aufhalten oder groß verbessern. Es bleibt nur zu hoffen, dass es so lang wie möglich gut gehen wird.

Hoffen. Eine Disziplin, die wohl zu den Besttrainiertesten in meinem Leben gehört. Und die nach wie vor im Zusammenhang mit meiner Gesundheit gefragt war. Denn auch für mich war nun klar: Meine Krankheit ist da. Und so gut wie jede Therapie, die ich bisher ausprobiert hatte, war für die Katz. Unzählige Krankenhausaufenthalte, Spritzen, Medikamente und Therapien waren umsonst. Ob es die Blutwäsche war oder die immunsuppressive Therapie, die extreme Anfälligkeit für Sonnenbrand, die dicken Backen oder die innere Unruhe als Nebenwirkungen meiner Medikamente. Alle Mühen, Schmerzen und Unannehmlichkeiten der vergangenen Jahre waren umsonst gewesen. Nichts dergleichen hätte meine Krankheit verbessern können.

Nur ein einziger Eingriff könnte mich je von meiner Krankheit und meinem Schicksal befreien. Eine OP, für die sich kein Arzt leichtfertig entscheidet. Weil sie mein restliches Leben prägen würde. Ein Eingriff, dessen Name bereits nach meinem zweiten plötzlichen Herztod das erste Mal von einem Arzt in den Mund genommen wurde. Damals noch unwissend, welche Krankheit in Wahrheit hinter meinem Schicksal steckt. Und nichts ahnend, wie schnell es tatsächlich für mich relevant werden könnte: die Transplantation eines neuen Herzens.

Doch so weit war es noch nicht. Schließlich war meine Herzleistung bisher halbwegs akzeptabel und der Defibrillator bekam meine Rhythmusstörungen noch in den Griff (wenn wir den zweiten plötzlichen Herztod mal ausklammerten). Mein Schicksal war deshalb erst einmal besiegelt. Ich musste mich damit abfinden, dass die inzwischen seit Jahren bestehenden Herzrhythmusstörungen, Ängste und lebensgefährlichen Momente vorerst Alltag für mich bleiben würden. Dass ich weiterhin hoffen musste in Akutsituationen von meinem Defibrillator oder von externer Hilfe gerettet zu werden. Und ich musste endgültig akzeptieren, dass ich für lange Zeit, vielleicht sogar nie mehr, mein normales Leben und vieles, was dazugehörte, wie Fernreisen, Sport, Unabhängigkeit und Unbeschwertheit, zurückbekommen werde.