Delia, die weiße Indianerin - Marie Louise Fischer - E-Book

Delia, die weiße Indianerin E-Book

Marie Louise Fischer

4,8

Beschreibung

Deutschland im Jahr 1850. Das Schicksal meint es nicht gut mit der neunjährigen Delia: Ihr unschuldiger Vater muss seine Familie verlassen und nach Amerika fliehen, die Mutter ist mit der Erziehung der Kinder überfordert. Da nimmt Delia ihr Leben selbst in die Hand. Gemeinsam mit ihrem treuen Hund „Professor“, einem Mops, macht sie sich unerschrocken auf die gefahrvolle Suche nach ihrem verschollenen Vater. Schon unterwegs nach Amerika muss sie zahlreiche spannende Abenteuer bestehen, in der Neuen Welt angekommen erwartet sie bald die erste dramatische Begegnung mit feindlichen Indianern …Mit Delia entwarf die Erfolgsautorin Marie Louise Fischer schon in den 1960er-Jahren eine Mädchenfigur, die im völligen Gegensatz zu den damals gängigen Geschlechterrollen-Klischees den Widrigkeiten des Lebens mit großer Selbstsicherheit und Eigeninitiative begegnet. Ausgestattet mit einer ordentlichen Portion Geschick, Mut und Selbstvertrauen und mithilfe neuer Freunde, die das aufgeschlossene und neugierige Mädchen überall schnell findet, löst sie die schwierigsten Aufgaben und wird so eine Protagonistin moderner Mädchenheldinnen wie Cornelia Funkes 'Meggie' oder Maria Parrs 'Tonje'.Auch die beiden anderen Titel dieser Reihe, „Delia und der Sohn des Häuptlings“ sowie „Delia im Wilden Westen“, erscheinen in Kürze als E-Books im red.sign media-Verlag.

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Ein Klavier ist ein schönes und klangvolles Instrument, und es macht Freude, darauf zu spielen, jedenfalls wenn man es kann. Aber es erst zu lernen, ist nicht ganz so angenehm, besonders dann nicht, wenn die Klavierstunde auf den ersten schönen Frühlingstag des Jahres fällt und der Sonnenschein verlockend durch die zugezogene Gardine blinzelt. Das ist heutzutage so und war nicht anders vor weit mehr als hundert Jahren, ganz genau gesagt: im Jahr 1850.

Denn im Jahr 1850, am 28. März, beginnt die Geschichte, die ich euch berichten will. Es ist die Geschichte meiner Urururgroßmutter. Nun braucht ihr aber nicht zu fürchten, dass ich euch etwas über eine urururalte Dame erzählen werde, nein, bestimmt nicht. Im Jahr 1850 war meine Urururgroßmutter – sie war auf den schönen Namen Delia getauft, Körner hieß sie mit Nachnamen – ein Mädchen von neun Jahren, und sie war nicht braver und nicht schlimmer als neunjährige Mädchen heute.

Ihre glänzenden, dunklen Augen blickten manchmal nachdenklich und verträumt, meist aber sehr unternehmungslustig in die Welt. Ihr Näschen, das auf dem Rücken von ein paar winzigen Sommersprossen gesprenkelt war, hatte einen leichten Schwung nach oben. Ihr Mund war voll und rot, und wenn sie lachte, reichte er fast von einem Ohr bis zum anderen; dann wurden ihre spitzen, frechen Eckzähne sichtbar, und in ihren runden Wangen bildeten sich Grübchen. Kurzum, Delia sah so aus, wie wohl die meisten von euch sich eine Freundin wünschen, eine Kameradin, die zu jedem Spaß aufgelegt ist und mit der man Pferde stehlen kann.

Aber sie war ganz anders angezogen als die Mädchen heutzutage. Sie trug ein buntgeblümtes Seidenkleid mit Puffärmeln, dessen Oberteil ganz eng war und dessen weiter, abstehender Rock bis zu den Waden reichte. Darunter guckten noch ein langes, mit Spitzen verziertes Höschen, weiße Zwirnstrümpfe und schwarze Schnallenschuhe hervor. Delias lockiges, dichtes Haar war in der Mitte gescheitelt und zu zwei festen Zöpfen gebändigt, die über den Ohren zu Schnecken gerollt waren.

Lustlos saß Delia an diesem schönen Frühlingsnachmittag am Klavier und hämmerte ihre Etüden herunter, während ihr Blick immer wieder von dem Notenbuch weg und zum Fenster glitt. Ida Müller, eine hagere ältere Frau – sie war nie aus dem Städtchen Schönau herausgekommen, aber sie legte Wert darauf, „Mademoiselle“ genannt zu werden, denn damals galt alles, was Französisch klang, als schick , schlug mit einem Stöckchen den Takt dazu.

„Delia“, sagte sie vorwurfsvoll, „du hast schon wieder gepatzt! Noch einmal von vorn!“

„Entschuldigen Sie, Mademoiselle!“ sagte Delia gut erzogen, aber mit einem tiefen Seufzer.

„Wo hast du nur heute deine Gedanken?“

Delia zog es vor, diese Frage nicht zu beantworten, denn sie war sicher, dass Mademoiselle Müller sie doch nicht verstehen würde. So blätterte sie wortlos das Notenblatt zurück und wollte gerade von vorn beginnen, als in die Stille hinein ein seltsames Geräusch von der Wohnungstür her zu vernehmen war.

Hastig drosch Delia wieder auf die Tasten ein, aber diesmal dachte Mademoiselle Müller nicht daran, den Takt zu schlagen.

„Was war denn das?“ fragte sie aufgebracht.

„Ich weiß nicht“, sagte Delia, nicht ganz wahrheitsgemäß, ohne sich in ihrem Spiel unterbrechen zu lassen.

„Hör sofort auf! Sei einmal ganz still!“ verlangte Mademoiselle Müller.

Delia musste wohl oder übel dieser Aufforderung folgen und ließ die Hände sinken.

Diesmal war das Geräusch noch deutlicher – ein ungeduldiges Scharren und Kratzen, dann plötzlich ein forderndes, helles Bellen.

„Dieser Hund!“ sagte Mademoiselle Müller empört. „Du hast wieder den grässlichen Mops mitgebracht!“

„Das ist nicht wahr!“ rief Delia. „Bestimmt nicht! Er muss mir einfach nachgelaufen sein!“

Aber Mademoiselle Müller hörte gar nicht auf sie. „Er wird noch meine schöne Tür ruinieren!“ rief sie aufgebracht und rannte auf den Flur hinaus.

Delia blieb auf dem Klavierstuhl sitzen und presste die Lippen aufeinander, um das aufsteigende Lachen zu unterdrücken. Sie wusste, dass es unklug gewesen wäre, Mademoiselle Müller noch mehr zu reizen. Sie hörte, wie die Klavierlehrerin die Wohnungstür öffnete, und da schoss auch schon der kleine graue Mops ins Zimmer und sprang wedelnd an ihr hoch.

Nun müsst ihr wissen, dass ein Mops nicht wie andere Hunde mit dem Schwanz wedelt. Das Schwänzchen trägt er, besonders, wenn er vergnügt ist, hoch aufgeringelt, und er wackelt mit dem ganzen kleinen Körper. Dieser Anblick war für Delia immer wieder so vergnüglich, dass sie es einfach nicht über sich brachte, dem kleinen Kerl böse zu sein.

„O Professor!“ rief sie. „Was machst du nur für Geschichten? Du weißt doch genau, dass Mademoiselle dich nicht leiden kann!“

Aber der Mops namens Professor entnahm diesen Worten nur, dass seine Herrin ihm verziehen hatte. Mit einem Satz war er auf ihrem Schoß, und Delia brauchte beide Hände, um ihn davon abzuhalten, ihr Gesicht abzulecken. So fand das entrüstete Fräulein Müller die beiden vor, als sie wieder ins Zimmer zurücckam. „Aus! Schluss!“ sagte sie und ließ sich auf das zierliche Sofa sinken. „Das ist zuviel! Geh nach Hause, Delia. Ich erwarte dich nächste Woche um die gleiche Zeit!“

„Aber ... es ist doch noch nicht vier!“

„Willst du mir vielleicht erklären, wie wir den Unterricht in Anwesenheit dieses ...“ Sie war nahe daran, ein böses Wort zu gebrauchen, besann sich dann aber auf ihre gute Erziehung und sagte: „ ... dieses Mopses fortsetzen sollen?“

„Er wird bestimmt ganz brav sein!“ versprach Delia ein wenig atemlos und versuchte, den Mops wieder auf den Boden zu setzen. „Platz, Professor! Ja, so ist’s recht!“

Der Mops hatte Platz gemacht und sah mit seinen runden, leicht vorstehenden Augen aufmerksam von seiner Herrin auf Mademoiselle Müller, wie wenn er bemüht wäre, alles genau zu begreifen.

„Da sehen Siel“ rief Delia triumphierend. „Wie brav er ist! Soll ich noch einmal spielen?“

Mademoiselle Müller wehrte entsetzt ab. „Nur nicht! Ich kenne deinen Professor! Er fängt an zu heulen, sobald du auch nur eine Taste berührst!“

„Er ist eben musikalisch“, murmelte Delia.

Mademoiselle Müller öffnete ihren kleinen, hübsch bestickten Beutel, einen sogenannten Pompadour, zog ein Riechfläschchen daraus hervor und hielt es sich unter die Nase.

„Bitte“, sagte sie und schloss erschöpft die Augen, „bitte geh jetzt! Lass mich allein!“

Delia stand auf, packte ihre Noten in die flache Mappe, knickste artig. „Auf Wiedersehen, Mademoiselle!“

„Au revoir, mein Kind!“ sagte Mademoiselle Müller, ohne die Augen zu öffnen.

Delia setzte sich ihren Schutenhut mit den langen Bändern auf, schlich sich auf Zehenspitzen, den Mops dicht hinter sich, zur Tür. Dann drehte sie sich, einer plötzlichen Eingebung folgend, noch einmal um.

„Sie werden doch meiner Mama nichts erzählen, Mademoiselle?“

„Eigentlich wäre es ja meine Pflicht“, sagte Mademoiselle Müller müde. „Aber – mon Dieu – die Ärmste hat auch ohnedies genug Sorgen!“

Delia knickste erleichtert noch einmal. „Vielen Dank, Mademoiselle! Und den Professor werde ich das nächste Mal zu Hause einsperren, darauf können Sie sich verlassen!“

Delia lief aus der Wohnung, hüpfte die Treppe hinunter und auf die Straße. Der kleine Mops umsprang sie sehr vergnügt.

Im Schatten des Haustores blieb Delia mit erhobenem Zeigefinger vor ihrem Hund stehen. „Platz!“ sagte sie streng. „Ich muss mit dir reden, Professor!“

Der Mops ließ sich auf die Hinterpfoten nieder und richtete sein graues Gesichtchen treuherzig nach oben.

„Du bist wohl jetzt stolz auf dich, wie? Weil du mich aus der Klavierstunde herausgeholt hast?“

Der Mops begann mit dem Hinterteil zu wackeln.

„Aber das war nicht recht von dir“, sagte Delia ernsthaft. „Das war ein böser, böser Streich! So etwas tut ein braver Hund nicht, hörst du? Eigentlich müsste ich dich jetzt verhauen, aber ... na, du kennst mich ja, du weißt, dass ich das nicht übers Herz bringe! Doch du musst mir versprechen, dass du so etwas nie wieder tust!“ Delia ging in die Knie und streckte ihre Hand aus.

Der Mops legte sein Pfötchen hinein. „Ehrenwort also“, sagte Delia befriedigt. „Wir dürfen der Mama keinen Kummer machen! Sie wird schon von Tag zu Tag blasser und trauriger!“

Sehr zufrieden mit sich und ihrer kleinen Strafpredigt erhob sich Delia und wandelte würdevoll durch die Straßen der kleinen Stadt. Sie kannte hier jeden Menschen, und sie musste mindestens alle fünf Schritte jemanden grüßen.

Auch der Mops kannte jeden Einwohner der kleinen Stadt, und auch er grüßte auf seine Weise – die einen schwanzwedelnd, die anderen mit bösem Gekläff, und aus seinem Verhalten hätte man leicht schließen können, wen seine kleine Herrin wirklich mochte und wen sie ablehnte, denn der Mops teilte ihre Zuneigung und Abneigung uneingeschränkt.

Den Wachtmeister Schmittke kannten beide, aber sie streckten die Nasen in die Luft und sahen an ihm vorbei, als wäre er gar nicht vorhanden.

Doch der Wachtmeister war dickfellig. „Guten Tag, Mademoiselle Delia!“ grüßte er.

„Guten Tag, Herr Wachtmeister“, sagte Delia sehr von oben herab, was allerdings nicht ganz einfach war, denn sie selbst war ein kleines Persönchen und der Wachtmeister ein baumlanger Mann.

„Nachricht vom Herrn Papa, Mademoiselle?“

„Nein!“ antwortete Delia abweisend.

„Hätte ich mir denken können“, sagte Wachtmeister Schmittke grinsend.

Delia blieb stehen. „Was soll das heißen?“ fragte sie böse. „Wieso hätten Sie sich das denken können?“

„Na, die Sorte kenne ich doch! Wer kein Verantwortungsgefühl dem Staat gegenüber hat, kennt auch keine Verpflichtungen gegenüber seiner Familie!“

Delia ballte die Fäuste. „Ich lasse meinen Vater nicht von Ihnen beleidigen!“ rief sie. „Wenn er nicht schreibt, dann hat er bestimmt Gründe dafür!“

„Ja, die hat er ganz bestimmt! Wahrscheinlich hat er jetzt drüben in Amerika die Freiheit, die er immer haben wollte, und da wird er sie auch ausnutzen wollen!“

„O Sie ... Sie böser und gemeiner Mensch!“ Delia war außer sich vor Wut und Verzweiflung und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt, weil sie nicht verhindern konnte, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.

„Na, na, na, Mademoiselle“, sagte Wachtmeister Schmittke, jetzt doch einigermaßen bestürzt über die Wirkung seiner Worte – vielleicht empfand er selbst, wie wenig anständig es war, als erwachsener Mensch ein kleines Mädchen zu quälen.

Er machte eine Bewegung auf Delia zu, um sie zu beruhigen. Aber der Mops, der sich während des ganzen Gesprächs nicht von Delias Seite gerührt hatte, verstand diese Bewegung offensichtlich falsch, oder er hielt auch den Zeitpunkt zum Eingreifen für gekommen , kurzum, er schnappte zu.

Wachtmeister Schmittke stieß einen Wehlaut aus. Der Mops hatte ihn mitten in die stramme Wade gebissen.

„Lass los, Professor!“ rief Delia entsetzt.

„Dir und deinem verdammten Köter werde ich es noch geben!“ brüllte der Wachtmeister.

Aber da waren Delia und ihr Hund schon davongestoben. Der Mops hielt triumphierend einen Fetzen von der schönen roten Hose des Wachtmeisters zwischen den Zähnen. Sie rannten beide blindlings drauflos. Es war ein Glück, dass es damals weder Autos noch Motorräder, nicht einmal Straßenbahnen oder Fahrräder gab; sonst hätten sie bestimmt nicht heil ihr Ziel erreicht.

Erst als sie das Stadttor passiert hatten und freies Feld vor ihnen lag, wagten sie, ihren Schritt zu verlangsamen.

„Eigentlich müsste ich ja mit dir schimpfen, Professor“, sagte Delia. „Aber ich verstehe schon, wie du es gemeint hast. Du hast ganz recht gehabt! Wir lassen unseren Vater nicht beleidigen, von niemandem, und schon gar nicht von diesem widerlichen Wachtmeister Schmittke!“

Sie warf den Kopf mit den dunkel glänzenden Flechten in den Nacken und schritt mit großen Schritten weiter; ihr Mops, die Siegestrophäe im Maul, lief vor ihr her.

Nach etwa tausend Metern tauchten in der Ferne die Gebäude eines Gutshofs auf. Delia bückte sich und wollte dem Hund den roten Uniformfetzen aus dem Maul nehmen. Aber sie musste erst sehr energisch werden, bevor er ihn freigab. Sie ließ das feuchte Stück Stoff in der Tasche ihres weiten Rockes verschwinden.

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