Flucht aus dem Harem - Liebesroman - Marie Louise Fischer - E-Book

Flucht aus dem Harem - Liebesroman E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Kann die Liebe wirklich alle Widerstände überwinden? Es ist Liebe auf den ersten Blick, die Irene, das deutsche Mädchen, und Hassan, den Studenten arabischer Herkunft, verbindet. Doch Hassan ist kein normaler Student - er ist ein arabischer Prinz. Die Liebe überbrückt alle Gegensätze, solange Hassan in Deutschland studiert. Doch eines Tages muss er zurück nach Saudi-Arabien. Und Irene geht mit ihm. Unter der glühenden arabischen Sonne drohen die beiden Liebenden im Wirbelsturm ihrer Gefühle zu zerbrechen. Ist das das Ende ihrer Liebe, oder können sie dem goldenen Käfig entfliehen?-

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Marie Louise Fischer

Flucht aus dem Harem - Liebesroman

Saga

Flucht aus dem Harem - LiebesromanFlucht aus dem Harem Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de) Originally published 1981 by Heyne Verlag, Germany Copyright © 1981, 2019 Marie Louise Fischer und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726355147

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

»Übrigens«, sagte Irene Heinzel, »du brauchst morgen mittag mit mir nicht zu rechnen, Mutti! Ich werde zum Essen nicht da sein!«

Sie hatte diese Bemerkung so beiläufig wie möglich hingeworfen, aber wer sie genau beobachtet hätte, dem wäre es nicht entgangen, daß sie mühsam eine starke innere Spannung zu verbergen versuchte.

Sie hatte lange darauf gewartet, diese Mitteilung in das Familiengespräch einfließen zu lassen. Ihre schmalen Wangen hatten sich gerötet, und sie vermied es bewußt, ihre Eltern anzusehen.

»Aber wieso denn?« rief Frau Heinzel. »Höchstens einmal im Monat kommst du übers Wochenende nach Hannover herüber, und ausgerechnet dann mußt du...«

»Ach, laß sie doch!« fiel ihr Klaus, der fünfzehnjährige Sohn des Hauses, ins Wort. »Dann essen wir eben das Kaßler alleine... wer nicht will, hat schon gehabt!«

»Würdest du uns vielleicht auch verraten, Irene, was du morgen mittag so Wichtiges vorhast?« fragte Landgerichtsrat Dr. Heinzel. »Oder hältst du das für eine indiskrete Einmischung in deine Privatangelegenheiten?«

»Aber gar nicht«, sagte Irene. »Ich möchte nach Herrenhausen fahren. Mit einem Freund!«

Irene zwang sich, den Blick zu ihrem Vater zu erheben, sah ihn aus ihren klaren Augen offen, fast herausfordernd an.

»Mit einem Freund!« schrie Klaus. »Nachtigall, ich hör’ dir trapsen!«

Die Eltern tauschten einen Blick.

»Mit einem Studienkollegen?« fragte die Mutter.

»Nicht direkt«, erwiderte Irene, »er studiert Maschinenbau. In Clausthal-Zellerfeld.«

»Und woher kennst du ihn?«

»Von einem Studienball in Göttingen. Sag mal, Mutti, soll das eigentlich ein Verhör sein?« Sie warf sich mit einer Kopfbewegung das blonde schimmernde Haar in den Nacken.

»Durchaus nicht, Irene«, sagte Landgerichtsrat Dr. Heinzel ruhig. »Deine Mutter wundert sich nur... genau wie ich... daß du uns bisher nie ein Wort von dieser Bekanntschaft erzählt hast!«

»Wenn ich euch von jedem Boy berichten wollte, den ich kennenlerne...«

»Nur von denen, die dich zum Sonntagmittagessen ausführen!« warf Klaus dazwischen.

»Ach, halt doch du den Mund!« parierte seine Schwester nervös. »Im übrigen, damit ihr alle auf eure Kosten kommt... er wird mich morgen früh hier abholen. Dann könnt ihr ihn in Augenschein nehmen und ihn selber alles fragen, was ihr wissen wollt!«

»Oh, fab!« rief Klaus. »Das wird die reinste Volksbelustigung!«

»Still, Klaus«, sagte die Mutter, »ärgere deine Schwester nicht! Du hast es gerade nötig... mit deinem Fünfer in Mathematik!«

Klaus seufzte theatralisch. »Herrje, wie oft werde ich das noch zu hören bekommen?!«

»Bis du eine bessere Note mit nach Hause bringst«, sagte der Vater.

Irene bemerkte mit Erleichterung, daß das Interesse der Eltern sich von ihr abwendete. Sie stand auf, wollte die Gelegenheit benutzen, sich zurückzuziehen. »Seid mir nicht böse«, sagte sie, »aber ich muß noch ein bißchen büffeln!«

»Immer noch?!« schrie Klaus. »Ich dachte, jetzt, wo du das Physikum geschafft hast...«

»Das ist ja erst der Anfang«, erklärte Landgerichtsrat Dr. Heinzel, »bis Irene fertige Ärztin ist, wird sie noch eine Menge lernen müssen. Hast du dir schon überlegt, auf was du dich später spezialisieren willst, Irene?«

Irene zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich auf Ophthamologie...«

»Was ist denn das nun schon wieder?« fragte Klaus.

»Augenheilkunde. Aber ich bin mir noch nicht ganz sicher.«

»Laß dir ruhig Zeit damit. Bis du so weit bist, dauert es ja noch ein paar Jährchen...«

»Falls sie nicht überhaupt vorher heiratet«, warf Klaus vorlaut ein.

»Quatschkopf«, sagte Irene.

Sie wollte ihrem Bruder einen Puff in den Rücken geben. Aber Klaus bückte sich rechtzeitig.

Irene beugte sich über ihre Mutter, die mit einer Kreuzstichdecke beschäftigt war. »Gute Nacht, Mutti... also, ich verzieh’ mich. Darf ich das Telefon nach oben stellen?«

»Erwartest du denn noch einen Anruf?«

»Vielleicht!«

»Von dem jungen Mann, mit dem du morgen verabredet bist?« fragte Klaus.

Irene hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten. Sie küßte auch ihren Vater, strich ihm zärtlich über das dichte, kurzgeschnittene braune Haar, in das sich schon die ersten grauen Fäden mischten. »Schlaf gut, Papa...«

Im Vorbeigehen gelang es ihr, Klaus beim Ohr zu zupfen. »Und du auch, Flegel!«

»Aua!«

Irene lachte und ging zur Tür.

»Wie heißt er!« rief Klaus hinter ihr her.

Irene drehte sich noch einmal um. Sie wußte nicht, warum ihr das Herz weh tat, als sie ihre kleine Familie so friedlich im goldenen Licht der Stehlampe zusammensitzen sah – den Vater mit dem strengen und doch gütigen Gelehrtengesicht, ihre junge fröhliche Mutter und Klaus, den trotz allem geliebten Frechdachs mit dem ständig verstrubbelten blonden Schopf.

»Wer?« fragte sie.

»Na, du weißt schon... der junge Mann, der dich morgen abholen kommt. Wie heißt er?«

»Hassan!« sagte Irene, und dann hatte sie es plötzlich sehr eilig. Sie war schon in der Diele, ehe ihr irgend jemand eine weitere Frage stellen konnte.

Landgerichtsdirektor Dr. Heinzel ließ seine Zeitung sinken und starrte mit gerunzelter Stirn seine Frau an. »Hassan?« wiederholte er. »Ein merkwürdiger Name, findest du nicht?«

Seine Frau lächelte ihm beruhigend zu. »Ach, das wird nur so ein Spitzname sein! Die Boys... entschuldige, die jungen Burschen meine ich... nennen sich doch alle so komisch! Pit und Mecki und Pfeife... das sind so ihre üblichen Späße!«

»Ich weiß nicht recht...« Landgerichtsrat Dr. Heinzel betrachtete angestrengt die weiße Asche seiner Zigarette.

»Du glaubst doch nicht etwa, daß es ein Neger ist, Paps?« schrie Klaus. »Mensch, das wäre was... Irene und ein Neger!«

»Red doch nicht so dummes Zeug«, sagte seine Mutter ärgerlich.

»Wieso ist das so dumm? Lest ihr denn keine Zeitungen? Das gibt’s doch unbedingt, daß ein weißes Mädchen sich in einen Neger verliebt. Und warum denn nicht! Auf dem Fußballplatz ist einer, kohlschwarz wie ein Schornsteinfeger, aber ein Klassespieler und ein feiner Kerl... einfach fab!«

»Klaus«, sagte Landgerichtsdirektor Dr. Heinzel, »ich glaube, es ist Zeit für dich ins Bett zu gehen.«

»Jetzt schon? Es ist ja noch keine neun... und außerdem Samstagabend!«

»Stimmt! Aber du scheinst übermüdet zu sein. Du weißt nicht mehr, was du redest.«

Klaus begriff, daß er zu weit gegangen war. Er sah die Sportübertragung im Fernsehen, auf die er sich seit Tagen gefreut hatte, ins Wasser fallen. »Entschuldige schon«, sagte er kleinlaut, »ich hab’s nicht so gemeint!«

»Das will ich auch hoffen, mein Sohn!«

»Auf jeden Fall«, sagte Frau Heinzel, »scheint es sich bei diesem Hassan oder wie immer er auch wirklich heißt, um mehr als eine oberflächliche Bekanntschaft zu handeln!« Sie hob die Decke nahe ans Licht und wählte sorgfältig einen Faden von einer anderen Farbe.

»Wie kommst du darauf?« fragte ihr Mann beunruhigt.

»Nun, Irene war sichtlich verlegen, als sie über ihn sprach... und du kennst sie, das kommt selten bei ihr vor. Es ist überhaupt das erstemal, seit sie aus der Tanzstundenzeit heraus ist, daß sie das Bedürfnis hat, uns einen jungen Mann vorzustellen.«

»Du glaubst, das soll eine offizielle Vorstellung werden?«

»Ja«, sagte Frau Heinzel ruhig, »diese gemeinsame Ausfahrt nach Herrenhausen ist nur ein Vorwand. Hast du das denn nicht durchschaut? Sie möchte uns diesen jungen Mann vorzeigen... oder auch uns diesem jungen Mann, was am Ende auf dasselbe herauskommt.«

»Vielleicht will sie testen, ob er in unsere Familie paßt ?« fragte Klaus; es gelang ihm selten, länger als eine Minute den Mund zu halten.

Seine Mutter nickte ihm zu. »Kann schon sein, Klaus. Also, ich hoffe, du weißt, was das für dich bedeutet... anständiges Benehmen morgen früh, keine deiner dummen Bemerkungen...«

»Aber wenn er euch nicht gefällt, dann darf ich ihn doch hinausgraulen?«

»Das wird absolut nicht nötig sein«, sagte der Landgerichtsdirektor, »wenn er mir nicht paßt, so werde ich ihm das klipp und klar zu verstehen geben.«

»Irene ist großjährig, Heinrich«, mahnte seine Frau, »sie hat das Recht...«

»Bitte, Magdalene, versuch du jetzt nicht, mich über die Rechte meiner Kinder aufzuklären! Wenn du mich fragst... Irene hat die verdammte Pflicht weiterzustudieren und ihre Examen abzulegen, nachdem wir jetzt schon so viel Geld in ihre Ausbildung gesteckt haben! Ein begabtes Mädchen wie sie! Es wäre doch ein wahrer Jammer.«

»Wer sagt dir denn, daß sie etwas anderes vorhat?« gab seine Frau zurück. »Die jungen Leute von heute denken sehr realistisch. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Irene ihr Studium an den Nagel hängen wird... aber, wenn es so wäre, Heinrich, dann mußt du dich damit abfinden!«

»Das sind ja sehr erfreuliche Aussichten«, erklärte ihr Mann erbittert.

Frau Heinzel lächelte. »Ich finde schon. Ich war zwar immer sehr stolz auf meine studierende Tochter, aber sie glücklich verheiratet zu wissen, Enkelkinder zu haben... entschuldige schon, ich weiß, ich bin sehr altmodisch... aber das würde mir mindestens ebensoviel Freude machen!«

»Auch wenn sie gescheckt sind?« fragte Klaus; er duckte sich gleichzeitig, als erwartete er eine Ohrfeige.

Aber Landgerichtsdirektor Heinzel blieb bemerkenswert ruhig. »Über solche Dinge, Klaus«, sagte er, »sollte man wirklich keine Späße machen. Zum Glück kenne ich meine Tochter. Sie ist nicht nur intelligent, sondern ein hochanständiges Mädchen und, da bin ich sicher, sie hat ein sehr ausgeprägtes Gefühl für Rasse. Und damit, denke ich, ist dieses Thema erledigt. Ich möchte kein Wort mehr darüber hören, verstanden?«

»Du bist also ein richtiger Prinz, Omar?« fragte Lizzi; sie legte ihren Kopf an die Schulter des saudi-arabischen Studenten und himmelte ihn aus ihren großen blauen Augen schwärmerisch an.

Omar Sidi warf ihr einen lächelnden Seitenblick zu, sah dann aber rasch wieder auf die Straße. Sie fuhren in dem roten Mercedes Sportcoupé, das ihm und seinem Bruder Hassan gehörte, durch die schöne Umgebung von Clausthal-Zellerfeld in den lauen Sommerabend hinein.

»Zweifelst du etwa daran?« Er sprach ein sehr klares Deutsch, nur sein Akzent verriet den Ausländer.

»Ach wo denn! Gleich, als ich dich vor vierzehn Tagen in den Tanzschuppen habe kommen sehen, habe ich zu meiner Freundin gesagt: ›Du, der sieht wie ein richtiger Prinz aus!‹«

»Gratuliere zu deiner Menschenkenntnis!«

»Dein Vater ist also Ibn Saud?«

»Ja«, behauptete Omar Sidi unverfroren, »König Sa’ud ibn Abdul-Aziz ibn Abdul Rahman. So heißt er richtig.«

»Das ist mir zu kompliziert. Ich werde ihn weiter Ibn Saud nennen. Du, warum fährst du eigentlich nicht zu ihm nach Baden-Baden?«

Omar trat auf die Bremse. Der Wagen tat einen Ruck, daß die beiden nach vorne flogen.

»Was sagst du da?« fragte er.

Omar Sidis hübsches braunes Gesicht wirkte eine Sekunde lang ganz verzerrt vor unbeherrschtem Ärger. Unwillkürlich wich Lizzi erschrocken bis an die rechte Tür des Vordersitzes zurück.

»Ich dachte doch nur«, stotterte sie, »weil... heute morgen stand in der Zeitung, daß... dein Vater ist doch augenblicklich in Baden-Baden, wußtest du das denn nicht?«

Omar Sidi hatte sich schon wieder gefaßt. »Natürlich«, log er, »klar, daß ich das weiß!«

»Und warum fährst du dann nicht hin? Stell dir vor, er hat eine ganze Etage im besten Hotel gemietet, fünfzehn von seinen Frauen reisen in seiner Begleitung... ach, Omar, das muß ein richtiges Märchen aus Tausendundeiner Nacht sein!«

Der Motor war abgestorben, Omar bemühte sich fluchend, ihn wieder in Gang zu setzen. Endlich hatte er es geschafft. Er gab so viel Gas, daß er aufheulte und der Wagen mit einem Satz vorwärts schoß. Er war ein schlechter Autofahrer, ungeduldig und rücksichtslos.

Aber Lizzi achtete nicht darauf. Sie war völlig zufrieden damit, in einem solch tollen Auto durch die Gegend zu fahren, wie, das war ihr Nebensache. »Es muß herrlich sein, so zu leben«, schwärmte sie.

Omar Sidi zuckte wegwerfend die Achseln. »Wenn man es gewohnt ist, weißt du, dann macht man sich gar nicht mehr viel daraus!«

»Er ißt mit goldenen Löffeln von goldenen Tellern... ach, Omar, warum fährst du nicht mit mir zu ihm nach Baden-Baden? Wir könnten eine herrliche Zeit haben!«

»Und dein Vater... was würde der dazu sagen?«

»Och, der braucht es ja gar nicht zu erfahren! Irgendeine Ausrede wird mir bestimmt einfallen! Bitte, Omar, bitte, tu mir die Liebe! Meine Freundinnen würden platzen vor Neid und Eifersucht!«

»Kommt nicht in Frage, schönes Kind... oder glaubst du, ich möchte, daß du meine Stiefmutter wirst?«

Lizzi riß die großen blauen Augen auf. »Das ist doch nicht dein Ernst?«

»Aber ja. Du kennst die orientalischen Sitten schlecht, Kleines! König Sa’ud ibn Abdul-Aziz ibn Abdul Rahman heiratet jedes Mädchen, das ihm gefällt. Er darf das. Dafür ist er ja König.«

»Und du?« fragte Lizzi gespannt. »Darfst du auch so viele Frauen heiraten?«

Er lächelte über ihre Naivität. »Nur vier«, sagte er, »leider.«

»Das ist ja schrecklich«, sagte Lizzi; ihr milchweißes Gesichtchen war um noch eine Spur blasser geworden.

»Warum denn?« neckte er sie.

»Ich könnte es nicht ertragen, dich mit drei anderen Frauen zu teilen!«

»Aber, Schäfchen! Das sollst du doch auch nicht!«

»Eben hast du noch gesagt...«

»Daß ich darf! Aber deshalb brauche ich es doch nicht zu tun! Sobald ich meine Prüfungen hinter mir habe, werden wir heiraten... und dann kommt keine andere Frau mehr für mich in Frage!«

»Schwörst du mir das?«

Er legte lächelnd eine Hand aufs Herz. »Bei Allah!«

»Du bist süß!« rief Lizzi hingerissen.

Omar Sidi fuhr in einen Waldweg hinein und bremste.

»Bitte nicht«, sagte Lizzi sofort, »bitte nicht hier! Mir ist... unheimlich! Wenn uns jemand beobachtet!« Sie suchte ängstlich das schattige Grün des Unterholzes mit den Augen zu durchdringen; hier unter den Bäumen war es schon sehr dunkel.

»Du weißt ja nicht, was ich vorhabe!« Omar legte den Arm um ihre Schultern, versuchte, sie an sich zu ziehen. Sein braunes Gesicht mit den breiten dunklen Augen bekam einen faunischen Ausdruck.

Sie stieß ihn heftig zurück. »Oh doch! Und ob ich das weiß! Ich bin ja nicht von gestern!«

»Sieh mal an! Schon Erfahrungen?«

»Schließlich bin ich siebzehn Jahre, alt genug, um zu wissen, was ein Mann von einem Mädchen will, wenn er sie in eine einsame Gegend bringt!« Sie öffnete die Wagentür und wollte hinausspringen.

»Laß das«, sagte er, »du brauchst keine Angst zu haben!«

»Hab ich aber doch!« Lizzi riß sich los und stieg aus.

Er zog eine Taschenflasche aus dem Handschuhfach, drehte den silbernen Verschluß ab und reichte sie ihr. »Da, nimm einen Schluck! Dann wird dir gleich besser!«

Sie schnupperte mißtrauisch. »Whisky!« sagte sie.

»Echter schottischer!«

»Kann schon sein. Aber der ist doch bestimmt lauwarm. Nein, Whisky mag ich überhaupt nur mit Eis und Wasser. Sonst wird mir bombensicher schlecht.«

»Dann eben nicht!«

Omar Sidi nahm ihr die Flasche aus der Hand und nahm selber einen kräftigen Schluck. »Donnerwetter«, sagte er, »das hat gut getan! Mohammed war doch ein alter Esel!« Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

»Wieso?« fragte sie verständnislos.

»Weißt du denn nicht, daß er uns verboten hat, Alkohol zu trinken?«

»Hat er denn das Recht dazu? Dir irgend etwas zu verbieten, meine ich.«

Omar Sidi lachte auf. »Mir scheint, du weißt nicht mal, wer Mohammed ist! Ein großer Prophet, der Gründer unserer Religion und glücklicherweise schon seit fünfzehnhundert Jahren tot.«

Lizzi sah ihn ernsthaft an. »Dann darfst du ihn aber doch nicht Esel nennen!«

»Es hat ja niemand gehört... außer dir! Willst du jetzt nicht doch wieder ins Auto kommen?«

Sie schüttelte sehr entschieden die braunen Locken. »Nein. Erst wenn du wieder auf die Straße zurückgefahren bist.«

»Sei nicht albern, Lizz!«

Sie bemühte sich, eine überlegene Miene aufzusetzen, was ihrem stupsnäsigen Gesichtchen einen sehr drolligen Ausdruck gab. »Du sprichst mit deiner zukünftigen Frau!«

»Stimmt. Das hätte ich beinahe vergessen!«

Er ließ den Motor an, schaltete den Rückwärtsgang ein und fuhr so scharf an, daß Lizzi beinahe unter die Räder gekommen wäre. Sie schrie auf und sprang beiseite.

Er lachte, raste weiter rücklings der Straße zu, während sie ihm auf ihren hochhackigen Sandaletten nachstolperte. Mit Ensetzen sah sie, wie er das Steuer am Rande des Waldes scharf herumriß und in Richtung der Stadt davonbrauste.

Als sie die Hauptstraße erreichte, war weit und breit keine Spur mehr von Omar Sidi und dem roten Sportcoupé zu sehen. Sie biß sich auf die Lippen und kämpfte mit den Tränen – bis zum Ort waren es gute sechs Kilometer zu laufen, und ihre Füße in den unbequemen Schuhen taten ihr jetzt schon weh.

Aber es blieb ihr nichts übrig, als sich humpelnd auf den Weg zu machen.

Sie war noch keine zwanzig Schritte gegangen, als das rote Sportcoupé wieder in der Ferne auftauchte, an ihr vorbeiflitzte, wendete und scharf neben ihr bremste.

Omar Sidi grinste sie an. »Na so etwas!« sagte er. »Hätte ich dich doch beinahe vergessen!«

Sie hatte es eilig, bei ihm einzusteigen. »Das war richtig gemein von dir!« schmollte sie.

»Nur eine kleine Lehre für ungezogene Mädchen!« Er legte seinen Arm um sie, zog sie an sich. »Nicht mehr böse sein«, bettelte er.

Sie sah in seine breiten dunklen Augen, sah auf seinen lächelnden roten Mund, und ihr Zorn verflog.

»Wohin fahren wir?« fragte sie.

»Du wirst schon sehen!«

Irene Heinzel gelang es an diesem Abend nicht, sich wirklich auf das Kollegheft, das sie sich durchzuarbeiten vorgenommen hatte, zu konzentrieren. Immer wieder schaute sie nervös auf ihre Armbanduhr. Gewöhnlich rauchte sie wenig, aber jetzt zündete sie sich schon die fünfte Zigarette an, seit sie sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hatte. Dabei schmeckte es ihr gar nicht. Ihr Mund war ausgetrocknet.

Sie drückte die Zigarette nach wenigen Zügen wieder aus, ging ins Badezimmer hinüber und trank ein Glas Wasser.

In diesem Augenblick klingelte das Telefon.

Irene wußte nicht, wie sie das Glas schnell genug aus der Hand stellen sollte und hätte es beinahe fallen lassen. Sie verschluckte sich, mußte husten, rannte ins Schlafzimmer der Eltern hinüber, wo der Zweitapparat stand.

Sie nahm den Hörer ab, meldete sich, heiser vor Erregung.

Dann hörte sie die warme melodische Stimme Hassan Sidis, und im gleichen Augenblick fühlte sie sich besser. Sie glaubte ihn vor sich zu sehen, schlank und schmalhüftig, mit dem braunen, gut geschnittenen Gesicht, den breiten glänzenden Augen, dem blauschwarzen dichten Haar.

»Hassan!« rief sie. »Endlich!«

»Entschuldige, Liebling, daß ich dich so spät erst anrufe...«

»Das macht nichts... macht gar nichts!«

»Alles in Ordnung bei dir?«

»Ja, Hassan... ja!«

»Hast du mit deinen Eltern gesprochen?«

»Ja. Sie erwarten dich!«

»Hast du ihnen wirklich alles gesagt?«

»Hassan, ich... ich glaube, es geht leichter, wenn sie dich erst sehen!«

Einen Augenblick blieb es ganz still in der Leistung.

»Hassan!« rief Irene. »Was ist! Bist du noch da?«

»Ja, Irene...«

»Warum sagst du denn nichts?«

»Ich überlege nur...«

»Es ging nicht, Hassan, es ging wirklich nicht! Ich hatte es ja vor, aber...«

»Ich mache dir doch keinen Vorwurf, Liebling, ich weiß, wie schwer es für dich ist, nur... wäre es nicht dann besser, ich würde meinen Antrittsbesuch noch aufschieben?«

»Das würde komisch aussehen! Ich habe ihnen doch nun schon gesagt...«

»Bei dieser Gelegenheit könntest du ihnen doch alles erklären!«

Jetzt war es Irene, die schwieg. Er wartete geduldig.

»Ich habe Angst«, gestand sie ehrlich, und ihre Stimme klang plötzlich ganz klein.

»Wir müssen es durchstehen!«

»Ja, aber zusammen, Hassan! Wenn du bei mir bist, dann fühle ich mich stark, dann traue ich mich zu allem!«

»Und ich dachte immer, ihr deutschen Frauen wärt so selbstbewußt, so überlegen! Ihr hättet keine Vorurteile, dürftet euch den Mann, den ihr heiraten wollt, selbst aussuchen...«

»Lach mich nur aus«, sagte sie, »du hast ganz recht. Ich bin wirklich ein jämmerlicher Feigling.«

»Nein, das bist du nicht. Ich merke nur... auch eine europäische Frau ist nur eine Frau!«

»Würdest du mich lieben, wenn ich keine wäre?«

Jetzt lachten sie beide, und Irene fühlte sich wie von einem Alpdruck befreit, obwohl sich an ihrem Problem nichts geändert hatte.

»Also, es bleibt dabei! Ich komme morgen und hole dich ab! Und wenn deine Familie mich hinauswirft...«

»Ich werde dich nicht aufgeben, Hassan, nie! Das weißt du doch!«

»Ich liebe dich sehr, Irene!«

Sie hörte Geräusche aus dem Hintergrund seiner Wohnung.

»Ich muß Schluß machen, mein Liebling«, sagte er hastig, »ich glaube, Omar kommt!«

»Dann also... bis morgen!«

Aber es kam keine Antwort mehr; er hatte schon aufgelegt.

Die beiden Brüder Hassan und Omar Sidi bewohnten gemeinsam ein elegant möbliertes Apartment am Stadtrand von Clausthal-Zellerfeld. Omar, dem es gelungen war, Lizzi zum Mitkommen zu überreden, verbarg seine Enttäuschung nicht, als er sich Hassan gegenübersah.

»Du bist zu Hause?« fragte er. »Ich dachte, du wolltest...«

»Ich bin auch noch da!« sagte Lizzi keck. Sie schlüpfte an Omar vorbei, stellte sich vor Hassan auf. »Möchtest du mich nicht vorstellen, Omar?«

»Das ist mein Bruder Hassan«, sagte Omar mürrisch, »und das ist Lizzi...«

Sie reichte Hassan lächelnd die Hand. »Lizzi Müller, von Beruf Handelsschülerin! Sie sind also auch ein Prinz?«

Hassan warf seinem Bruder einen zornigen Blick zu. »Nein«, sagte er ruhig.

Lizzi riß die Augen auf. »Aber... das verstehe ich nicht! Wenn Sie Omars Bruder sind...«

»Laß, Lizzi«, sagte Omar hastig, »das verstehst du nicht! Die orientalischen Familienverhältnisse sind sehr kompliziert. Ich werde es dir später erklären...«

Lizzi sah bewundernd zu Hassan auf; er war einen Kopf größer als sein Bruder und besaß eine gelassene Würde, die Omar völlig fehlte. »Komisch«, sagte sie, »dabei sieht er noch viel prinzlicher aus als du!«

»Das hast du davon«, sagte Hassan auf arabisch, »warum mußt du auch immer wieder solche dummen Geschichten erzählen!«

»Es kostet nichts und macht den Mädchen Spaß«, erwiderte Omar, jetzt auch in seiner Heimatsprache.

Lizzi verstand natürlich kein Wort, aber sie schaute fasziniert von einem der beiden Männer zum anderen.

»Du schadest damit dem Ansehen unseres Volkes«, sagte Hassan scharf.

Omar lachte auf. »Bei einem Mädchen wie Lizzi?«

»Ja. Auch bei solchen Mädchen. Du hast keine Achtung vor den Frauen.«

»Vor solchen bestimmt nicht.«

»Warum läßt du dich dann erst mit ihnen ein?«

»Soll ich dir das etwa erklären?«

»Nein, danke«, sagte Hassan.

»Na also. Dann frag auch nicht so dumm. Sieh lieber zu, daß du so schnell wie möglich hier verschwindest. Oder merkst du etwa nicht, daß du störst?«

Hassan trat einen Schritt näher auf den jüngeren Bruder zu. »Omar, ich muß ein ernstes Wort mit dir reden!«

»Schon wieder? Kannst du dir das nicht bis morgen sparen?«

Hassan roch den Alkoholdunst aus dem Munde seines Bruders. »Du hast getrunken«, sagte er angewidert.

»Ist das etwa ein Verbrechen?« gab Omar frech zurück.

»Der Koran verbietet es!«

»Na, wenn schon. Wir sind in Deutschland. Hier gilt der Koran nicht als Gesetz.«

»Wo du auch bist, du bleibst Mohammedaner.«

»Du hast es gerade nötig, mir Vorschriften zu machen!« rief Omar gehässig. »Immerhin würde ich mich nie so weit von dem Glauben meiner Väter lösen, um eine ernsthafte Verbindung mit einer Christin auch nur in Erwägung zu ziehen. Was glaubst du, was unser Vater sagen würde, wenn er von dieser Geschichte mit Irene erführe?«

»Ich werde es ihn rechtzeitig wissen lassen.«

»Von mir aus. Aber dann mach dich auf was gefaßt! Willst du jetzt nicht endlich gehen?«

»Schick das Mädchen fort!«

»Ich denke ja nicht daran!«

Eine Sekunde lang sahen sich die beiden Brüder fast haßerfüllt in die Augen.

Dann senkte Omar den Blick. »Du könntest wirklich mehr Verständnis für mich aufbringen«, sagte er, »in ein paar Monaten kehren wir nach Hause zurück, dann ist sowieso alles vorbei. Keine Mädchen mehr, kein Alkohol... warum läßt du mich nicht wenigstens jetzt noch meine Jugend genießen?«

Hassan beantwortete diese rhetorische Frage nicht. Statt dessen sagte er: »Weißt du, warum ich zu Hause geblieben bin? Ich habe zufällig einen Blick in deine Diplomarbeit geworfen...«

»Zufällig?« warf Omar ein. »Du solltest dich lieber um deine eigenen Angelegenheiten kümmern!«

»Sei froh, daß ich mich für dich verantwortlich fühle. Du hast ein paar ganz grobe Fehler in deinen Berechnungen gemacht... soll ich sie dir zeigen?« Hassan machte einen Schritt auf den Schreibtisch zu.

Aber Omar dachte nicht daran, ihm zu folgen. »Bist du sicher?« fragte er. Seine Stimme klang jetzt doch ein wenig kleinlaut.

»Du kannst es nachrechnen«, sagte Hassan kühl, »und ich würde dir dringend raten, das zu tun. Wenn du die Arbeit so einreichst, wirst du nie ein Diplom bekommen, ganz davon abgesehen, daß du ja immer noch nicht über das erste Drittel hinausgekommen bist.«

Omar machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn ich mich erst einmal richtig dahinterklemme...«

»Dazu wird es höchste Zeit. Schick das Mädchen fort. Ich werde dir dann helfen.«

»Das ist sehr nett von dir«, sagte Omar zögernd, »aber so einfach fortschicken kann ich Lizzi doch nicht. Das wäre ja beleidigend. Darf ich sie nicht wenigstens nach Hause bringen?«

»Von mir aus. Aber fahre vorsichtig. Ich brauche den Wagen morgen.«

»Selbstverständlich«, sagte Omar erleichtert und wandte sich Lizzi zu. »Komm, Kleines«, sagte er, jetzt in deutscher Sprache, »hier können wir nicht bleiben. Mein Bruder muß noch studieren. Er hat ein paar schwere Fehler in seiner Diplomarbeit gefunden.«

Er lächelte bei dieser faustdicken Lüge seinem Bruder entschuldigend zu, und Hassan lächelte zurück. Er konnte Omar niemals auf die Dauer böse sein.

»Ja«, sagte er, »und Omar hat mir versprochen, mir zu helfen. Deshalb wird er Sie jetzt rasch nach Hause bringen, Lizzi!« Er sah den Bruder mahnend an. »Ich warte auf dich, Omar!«

Omar nahm Lizzi bei der Hand und zog sie rasch zur Türe. »Nicht böse sein, Kleines!«

Draußen, im Treppenhaus, blieb Lizzi stehen, zog einen Spiegel aus ihrem weißen Täschchen, begutachtete ihr Make-up, und strich sich ein paar Löckchen zurecht. »Wenn ich das gewußt hätte«, sagte sie schmollend, »ausgerechnet heute, wo ich länger ausbleiben darf!«

»Pech«, sagte Omar.

»Mußt du deinem Bruder denn unbedingt helfen?«

Er sah sie nachdenklich an. »Eigentlich nicht!«

»Na, siehst du, dann laß ihn doch seine alberne Diplomarbeit alleine machen! Wir könnten doch noch tanzen gehen!«

Er gab ihr einen raschen Kuß auf die Nase. »Recht hast du«, sagte er vergnügt, »du bist doch gar nicht so dumm, wie du aussiehst! Schließlich... Hassan ist ja nicht mein Vormund!«

Sie liefen nebeneinander die Treppe hinunter.

»Aber er scheint sehr streng mit dir zu sein«, sagte Lizzi, »ich habe zwar kein Wort verstanden... aber der Ton, in dem er mit dir redete, sprach Bände!«

»Er ist ein alter... wie sagt man doch in deutsch? ein alter...«

»Muffel«, ergänzte Lizzi.

Omar lachte unbekümmert. »Ja, Muffel ist das richtige Wort! Hassan, der Muffel!«

»Aber er sieht fantastisch aus!«

»Verguck dich bloß nicht in ihn!«

»Hat er etwa schon vier Frauen in seinem Harem?«

»Das wäre nicht weiter schlimm. Er könnte ja eine davon wieder nach Hause schicken. Nein, es ist etwas anderes... er ist so gut wie verlobt. Mit einer Medizinstudentin, und die duldet keine anderen Frauen neben sich.«

»Ob er sich auch danach richtet?«

»Das tut er. Seit er Irene kennt, schaut er kein anderes Mädchen auch nur an.«

»Das muß schön für das Mädchen sein!« sagte Lizzi träumerisch. »Wie heißt sie?«

»Irene.«

Omar schwang sich in den offenen Sportwagen. »Aber jetzt Schluß damit. Was gehen uns Hassan und Irene an? Sollen sie doch selber zusehen, wie sie glücklich werden! Kümmere dich lieber um mich, Kleines...«

Sie setzte sich neben ihn, hauchte ihm einen Kuß aufs Ohr. »Das werde ich, mein Prinz«, sagte sie verheißungsvoll.

Am nächsten Morgen stand Irene Heinzel am Fenster ihres Zimmers und blickte angestrengt auf die Straße ›Im goldenen Winkel‹ hinunter, um nur ja nicht Hassans Ankunft zu verpassen. Als sie das rote Sportcoupé vorfahren sah, rannte sie zur Treppe.

Aber sie konnte nicht darauf verzichten, noch einen letzten Blick in den Spiegel zu werfen – sie hatte für diese Gelegenheit ein neues Kleid angezogen, ärmellos, aus grasgrünem Leinen mit einem großen weißen Pikeekragen, das ihre schlanken braunen Arme vorteilhaft zur Geltung brachte und den anmutigen Zauber ihrer Jugend betonte.

In diesem Augenblick klingelte es auch schon, und so sehr sich Irene bemühte, die verlorenen Sekunden aufzuholen, ihr Bruder Klaus war schneller. Er hatte die Wohnungstür schon aufgerissen, ehe Irene die Diele erreichte.

Sekundenlang stand der Junge fassungslos und starrte den eleganten jungen Herrn mit den breiten glänzenden Augen, der braunen Haut und dem blauschwarzen Haar entgeistert an.

Hassan Sidi hielt seinem Blick mit einem leichten Lächeln stand. »Guten Morgen«, sagte er höflich, »Fräulein Heinzel erwartet mich.«

»Sie sind... Hassan?«

»Hassan Sidi, ja. Und Sie sind Irenes Bruder Klaus?«

Klaus hatte sich schon wieder gefaßt; er grinste. »Stimmt auffallend«, bestätigte er, »aber Sie können ruhig du zu mir sagen, ich bin erst fünfzehn.«

Hassan Sidis Augen suchten Irene, die hinter dem Bruder erschienen war. »Hallo, Irene!«

»Guten Tag, Hassan!« Es gelang ihr nicht, ihre Verlegenheit zu bekämpfen; es war zu ungewohnt, Hassan in der elterlichen Wohnung zu begrüßen.

»Mein Freund ist gekommen, Klaus«, sagte sie.

»Das habe ich gemerkt.«

»Grins nicht so albern! Sag lieber den Eltern Bescheid.«

Klaus ließ sich das nicht zweimal sagen. Er sauste in die Küche, wo die Mutter mit den Vorbereitungen für das sonntägliche Essen beschäftigt war.

»Ich hab’s doch gewußt!« trompetete er. »Hassan ist ein Auswärtiger! Nicht gerade ein Neger, aber immerhin... dunkel genug sieht er aus. Wie ein Prinz aus Tausendundeiner Nacht!«

Frau Heinzel packte ihn bei den Schultern. »Was sagst du da?«

»Aua! Du tust mir ja weh!«

Du sollst wiederholen, was du eben gesagt hast!«

»Hassan ist gekommen«, sagte Klaus kleinlaut, »und er sieht wie... wie ’n Orientale aus.«

»Wenn das ein Witz sein soll...«

»Aber, Mutti, ganz bestimmt nicht! Sieh ihn dir doch selber an! Er ist übrigens sonst ganz nett. Nur eben... sehr anders.«

Frau Heinzel biß sich nachdenklich auf die Unterlippe, trocknete sich die Hände ab, zog die Schürze aus und strich sich über das immer noch schöne blonde Haar.

Dann trat sie auf die Diele hinaus.

»Mutti, das ist Hassan Sidi«, sagte Irene schüchtern.

Frau Heinzel zeigte mit keiner Miene, daß sie in irgendeiner Weise überrascht war; sie reichte dem Freund ihrer Tochter die Hand. »Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, Herr Sidi!«

Hassan verbeugte sich. »Es ist mir eine große Ehre, gnädige Frau!«

Frau Heinzel wandte sich an ihre Tochter. »Bist du fertig, Irene? Fein. Dann fahrt ihr am besten gleich los.«

»Aber, Mutti!«

»Tu, was ich dir sage. Glaub mir, es ist besser so.«

Irene warf Hassan einen bestürzten Blick zu.

»Ganz wie Sie wünschen, gnädige Frau«, sagte der junge Orientale gelassen. »Komm, Irene!«

»Ein andermal«, sagte Frau Heinzel, »werden wir Sie bestimmt gerne begrüßen, aber gerade heute...«

»Warum denn heute nicht?« rief Irene. »Heute ist ein Tag wie jeder andere!«

»Sei nicht unvernünftig, Kind. Herr Sidi versteht sehr gut, wie ich es meine. Sie sind mir nicht böse, nicht wahr?«

Ehe Hassan noch auf diese Frage antworten konnte, öffnete sich die Tür des Wohnzimmers und Landgerichtsdirektor Heinzel trat heraus.

»Ich habe so eine Ahnung«, sagte er leutselig, »daß meine Tochter Besuch bekommen...« Er stockte mitten im Satz, als er Hassan Sidi sah; sein schmales kluges Gesicht erstarrte zu einer Maske der Abwehr.

Irene Heinzel empfand die Beleidigung, die in der Reaktion ihres Vaters gegen Hassan Sidi lag, wie einen Peitschenhieb. Aber es gelang ihr, die Situation zu meistern.

»Vater«, sagte sie sehr beherrscht, »darf ich dir Hassan Sidi vorstellen? Hassan... das ist mein Vater!«

In Hassan Sidis orientalischem Gesicht zuckte kein Muskel; er verbeugte sich mit großer Höflichkeit.

Landgerichtsdirektor Heinzel reichte dem Freund seiner Tochter nicht die Hand. »Sie wollen Irene also zu einer Ausfahrt abholen?«

»Mit Ihrer Erlaubnis, bitte!«

»Er hat ein tolles Auto, Paps!« rief Klaus dazwischen.

»Tatsächlich?« fragte der Landgerichtsdirektor. »Erlaubt Ihnen Ihr Stipendium denn solche Ausgaben?«

Hassan Sidi begriff sofort, worauf diese Bemerkung abzielte. »Niemand zweifelt daran«, entgegnete er mit Würde, »daß die großzügige Hilfe, die die deutsche Bundesrepublik den Entwicklungsländern und vor allem ihren Studenten gewährt, sehr schätzenswert ist. Aber mein Land ist reich. Meine Landsleute und ich brauchen keine finanzielle Unterstützung Ihres Staates anzunehmen.«

»Na siehst du«, sagte Frau Heinzel versöhnlich, »Herr Sidi hat sein Auto nicht mit deinen Steuergeldern bezahlt, du brauchst dich also nicht...«

Landgerichtsdirektor Dr. Heinzel fiel ihr scharf ins Wort. »Das habe ich durchaus nicht andeuten wollen!«

»Warum stehen wir eigentlich hier herum? Gehen wir doch ins Wohnzimmer!« schlug Irene vor. »Dort kannst du dich in Ruhe mit Hassan über alles unterhalten, was dich interessiert.«

Landgerichtsdirektor Dr. Heinzel wehrte ab. »Ich will euch keineswegs aufhalten...«

»Aber wieso denn? Wir haben es gar nicht so eilig. Hassan hat sich schon seit langem gewünscht, dich einmal kennenzulernen, Papa... ich habe ihm soviel Gutes über dich erzählt!«

Irenes Vater sah keine Möglichkeit mehr, dem unerwünschten Zusammensein auszuweichen, wenn er nicht grob werden wollte, und ein solches Verhalten lag nicht in seiner Art. Allerdings konnte er sich auch nicht überwinden, ein paar einladende Worte auszusprechen. Sein gequältes Gesicht drückte die Ablehnung aus, die er sich auszusprechen verbot.

»Ja, kommen Sie doch herein«, sagte Frau Heinzel an seiner Stelle, »machen Sie es sich bequem, Herr Sidi!«

Sie ging voraus, und die anderen folgten ihr, zuletzt Hassan und Irene, die endlich Gelegenheit hatten, einen Blick der Ermutigung und des Einverständnisses miteinander auszutauschen.

Frau Heinzel wies auf einen der hübschen Sessel mit den fröhlichen bunten Überzügen. »Nehmen Sie bitte Platz, Herr Sidi... vielleicht hier? Und dürfen wir Ihnen etwas anbieten? Einen Sherry? Oder einen Portwein?«

»Danke«, sagte Hassan Sidi, »sehr liebenswürdig, gnädige Frau. Ich trinke nicht.«

»Überhaupt nicht?« fragte Klaus ungläubig. »Oder nur, weil Sie nachher noch Auto fahren müssen?«

»Ich bin Mohammedaner«, erklärte Herr Sidi freundlich, »der Koran verbietet uns jeden Genuß von Alkohol!«

Er hatte abgewartet, bis die beiden Frauen sich gesetzt hatten, nahm jetzt ebenfalls Platz.

»Nehmen Sie’s mir nicht übel«, sagte Landgerichtsdirektor Heinzel, »aber nach allem, was man so in den Zeitungen liest, habe ich nicht den Eindruck, daß alle Mohammedaner sich noch an diese überholten Vorschriften halten. Im Gegenteil, wenn sie im Ausland leben, lassen die meisten sich wirklich nichts von den Genüssen dieser Welt abgehen.«

»Das mag sein«, erwiderte Hassan Sidi ruhig, »aber gibt es nicht auch Christen, die sich nicht an die Gebote ihrer Religion halten?«

In Landgerichtsdirektor Heinzels Gesicht zuckte es. »Ich habe nicht die geringste Lust, mich mit Ihnen über Fragen der Religion zu unterhalten«, sagte er scharf.

»Entschuldigen Sie, bitte«, sagte Hassan Sidi höflich, »es lag nicht in meiner Absicht, dieses Thema anzuschneiden.«

»Das hast du ja auch gar nicht getan«, stellte Irene richtig, »du hast nur erklärt, daß du keinen Alkohol trinkst. Das ist doch schließlich kein Verbrechen!« Sie war voller Verteidigungsbereitschaft, ihre hellen Augen funkelten.

Ein peinliches Schweigen entstand.

Frau Heinzel versuchte, eine Brücke zu schlagen. »Wie gefällt es Ihnen bei uns in Deutschland, Herr Sidi?« fragte sie.

»Sehr gut, gnädige Frau«, erwiderte Hassan Sidi ohne zu zögern, »Deutschland ist ein schönes und ein glückliches Land...«

»Glücklich?« fiel ihm Landgerichtsdirektor Heinzel ins Wort. »Sie sagten wirklich... glücklich? Darf ich Sie daran erinnern, daß wir zwei Kriege verloren, eine Diktatur hinter uns gebracht und einen furchtbaren Zusammenbruch erlitten haben? Daß es eine Teilung Deutschlands und eine Berliner Mauer gibt?«

»Dennoch glücklich!« erklärte Hassan Sidi gelassen. »Sie haben ein wunderbares Klima, Regen und Sonne, Felder, Wiesen und grüne Wälder, eine hochentwickelte Industrie. Jeder kann Arbeit finden, jeder kann verdienen. Es herrscht nicht Unbildung und Unwissen. Jeder Junge und jedes Mädchen darf in die Schule gehen...«

»Ob das nun gerade ein Vorteil ist?« warf Klaus dazwischen. »Ich kenne ’ne Menge Knaben, die würden darauf pfeifen!«

»Lernen ist schwer«, sagte Hassan Sidi, »ich weiß... aber viel schlimmer ist es, nicht lernen zu dürfen.«

»Gibt’s in Saudi-Arabien etwa keine Schulpflicht?« fragte Klaus.

»Leider noch nicht«, erklärte Hassan Sidi, »nicht Schulen, wie man sie hierzulande kennt. Jeder Junge wird natürlich im Koran unterrichtet...«

»Aber Lesen und Schreiben«, rief Frau Heinzel, »lernen das die Kinder nicht?«

»Nicht alle, gnädige Frau.«

»Wie ist denn so etwas möglich? Heute? Im Jahre neunzehnhundertsechzig? Und Sie sagten doch vorhin, daß Ihr Land reich ist!«

»Noch nicht lange, gnädige Frau. Wir haben viel, viel nachzuholen. Aber wir werden es schaffen. Mit Allahs Hilfe.«

»Sie werden also, wenn Sie Ihr Studium beendet haben, nach Hause zurückkehren? Obwohl es Ihnen in Deutschland so gut gefällt?«

»›Die Heimat ist teuer, auch wenn sie Wüste wäre‹, so sagt ein arabisches Sprichwort.«

»Wie lange waren Sie in Deutschland?« fragte Frau Heinzel.

»Sechs Jahre.«

»Und Sie glauben, daß Sie sich zu Hause wieder einleben können?«

Hassan Sidi lächelte. »Da habe ich keine Befürchtungen, gnädige Frau. Wir Araber sind anders als die Europäer. Wir kennen keine Unzufriedenheit und keine schweifende Sehnsucht. Wir nehmen unser Schicksal aus Allahs Hand und finden uns mit ihm ab.«

»Dann wundere ich mich nur«, sagte Landgerichtsdirektor Dr. Heinzel, »warum Sie nicht von allem Anfang an in Ihrem Lande geblieben sind!«

»Mein Los war es, in die Ferne zu ziehen und zu lernen. Aber wenn meine Zeit um ist, werde ich in die Heimat zurückkehren, um mit meinem Wissen meinem Volk zu helfen.«

»Das sind große Worte, Herr Sidi!« sagte Dr. Heinzel ärgerlich.

»Und Sie werden sich einen Harem zulegen, nicht wahr?« fragte Klaus; er grinste über das ganze runde Jungengesicht.

»Nein, Klaus«, sagte Hassan Sidi, »das werde ich nicht. Ich habe gelernt, daß eine Frau mehr wert ist als viele.«

»Wenn Sie zu Hause sind, werden Sie Ihre Meinung bestimmt wieder ändern!«

»Nein, denn eine Lehre, die man mit dem Herzen begriffen hat, vergißt man nicht wieder.«

»Im übrigen«, sagte Irene rasch, »heißt Harem nichts anderes als Frauenhaus! Du stellst dir bestimmt etwas ganz Falsches darunter vor, Klaus!«

Das Thema beunruhigte sie, und sie hoffte, daß ihr Bruder sich durch ihre Erklärung davon ablenken lassen würde. Aber sie hatte sich getäuscht.

»Es stimmt aber doch«, sagte der Junge hartnäckig, »daß ein Mohammedaner mehrere Frauen haben darf?«

»Der Koran verbietet es nicht.«

»Und wieviel Frauen hat Ihr Vater, Herr Sidi?«

»Klaus«, tadelte die Mutter, »das geht aber nun doch zu weit! Solche Fragen stellt man nicht, und schon gar nicht, wenn man, wie du, noch nicht trocken hinter den Ohren ist!«

Hassan Sidi lächelte. »Lassen Sie ihn nur, gnädige Frau! Das sind die üblichen Fragen, die man immer wieder hierzulande zu hören bekommt. Mein Vater hat vier Frauen, Klaus... vier ist die Zahl, die der Koran erlaubt.«

»Also doch!« rief Klaus.

»Mein Vater ist ein reicher Mann«, sagte Hassan Sidi, »und er ist ein Mohammedaner von der alten Art. Wir Jungen, besonders diejenigen, die im Westen studiert haben, denken anders über die Ehe.«

»Also halten Sie sich doch nicht so streng an die Gebote Mohammeds, wie Sie uns anfangs glauben machen wollten«, sagte Landgerichtsdirektor Dr. Heinzel.

»Die Vielehe, Herr Doktor«, erwiderte Hassan Sidi höflich, »ist kein Gebot... ist niemals ein Gebot gewesen.«

»Mohammed hat sie nur eingeführt«, erklärte Irene, »weil damals, zu seiner Zeit, viele Männer in den schrecklichen Kriegen gefallen waren. Er wollte den überschüssigen Frauen zu einem Mann verhelfen, wollte verhindern, daß die arabischen Völker aussterben, nicht wahr, Hassan?«

»Du scheinst ja sehr gut orientiert zu sein«, sagte ihr Vater erbittert.

Irene warf den Kopf mit dem schimmernden blonden Haar in den Nacken. »Ich habe mir alles von Hassan erklären lassen.«

»Wozu?«

»Einfach deshalb, weil es mich interessiert. Ich hasse Menschen, die sich einbilden, daß ihre eigene Kultur und Lebensform das A und O aller Dinge darstellt, die sich weigern, auch nur über ihre Nasenspitze hinauszusehen.«

»Danke«, sagte ihr Vater, »ich nehme an, das Kompliment galt mir!«

»So habe ich es wirklich nicht gemeint, Paps...«

»Schon gut. Ich habe dich sehr wohl verstanden. Aber ganz so unwissend, wie du glaubst, bin ich auch nicht. Es stimmt doch, Herr Hassan, daß in Saudi-Arabien ein Mann nur heiraten kann, wenn er imstande ist, einen Kaufpreis für die Braut zu zahlen?«

Hassan Sidi wollte antworten, aber er kam nicht dazu.

»Das hat Mohammed auch nur deshalb angeordnet«, rief Irene, »um den Frauen wieder einen Wert zu geben! Nicht wahr, Hassan? So ist es doch?«

»Ja«, sagte Hassan Sidi.

»Uns«, sagte der Landgerichtsdirektor, »bedeutet eine Frau so viel, daß wir ihren Wert nicht mit Geld ausdrücken können. Nur eine Ware hat einen Preis. Wir handeln nicht mit Menschen.«

»Wie kannst du nur so reden, Vater!« rief Irene empört.

»Ich hoffe, es ist mir immer noch erlaubt, in meinen eigenen vier Wänden meine eigene Meinung zu vertreten!«

»Natürlich, Heinrich«, sagte Frau Heinzel, »warum auch nicht? Ich bin sicher, Herr Sidi versteht dich gut, er wird nicht beleidigt sein.« Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Aber ich glaube, wir haben euch schon zu lange aufgehalten, Kinder! Ihr solltet hinaus, an die frische Luft und den schönen Tag genießen!«

Irene sprang auf. »Komm, Hassan, Mutti hat wieder einmal recht...« Sie lief zu ihrer Mutter hin, umarmte sie herzlich. »Du bist doch die Liebste«, flüsterte sie, »die Allerliebste! Ich danke dir!«

Zehn Minuten später, als Irene Heinzel und Hassan Sidi nebeneinander im offenen Sportwagen saßen und in Richtung Herrenhausen die Stadt durchquerten, legte sie ihre Hand auf seinen Arm. »Hassan«, sagte sie, »es tut mir so leid! Ich schäme mich für meinen Vater!«

»Er lehnt mich ab!« sagte Hassan Sidi ruhig. »Haben wir etwas anderes erwartet?«

»Er kennt dich ja gar nicht! Er ist gegen dich eingestellt, weil du kein Deutscher, kein Europäer bist. Gerade das ärgert mich so... das ist doch einfach verbohrt!«

»Auch bei uns zulande haben die Leute Vorurteile.«

»Überall! Als wenn ich das nicht wüßte! Aber mein Vater, er ist doch ein kluger Mann, berühmt wegen seiner Gerechtigkeit als Richter. Wie konnte er sich dir gegenüber nur so benehmen!«

»Kränk dich nicht, Irene...«

»Ich tu’s aber doch!« Irene nahm ein Seidentuch aus ihrer Handtasche, band es sich um das blonde Haar, in dem der Fahrtwind brauste. »Ganz ehrlich«, sagte sie, »du hast dich auch nicht gerade geschickt angestellt!«

»Habe ich dich enttäuscht? Einen schlechten Eindruck gemacht?«

»Das kannst du ja gar nicht, Hassan! Aber du hättest dich nicht auf dieses Gespräch über Religion und Sitten und all das einlassen sollen. Es wäre besser gewesen, du hättest mehr von dir erzählt... von deinem Studium, deinem glänzenden Examen, deinen Zukunftsaussichten...«

»Du meinst, ich hätte mich selber loben sollen? Nein, Irene, das wäre ganz falsch gewesen. Dein Vater hätte mich für einen orientalischen Märchenerzähler und Prahlhans gehalten.«

»Aber immerhin war es nicht nötig, ihm auf die Nase zu binden, daß es bei euch noch keine allgemeine Schulpflicht gibt. Nach dem, was du ihm erzählt hast, muß er sich Saudi-Arabien als ein ganz düsteres mittelalterliches Land vorstellen.«

»Hätte ich lügen sollen?«

»Nur nicht die ganze Wahrheit erzählen. Auch das mit den vier Frauen deines Vaters war überflüssig. Klaus hätte sich auch mit einer ausweichenden Antwort begnügt.«

Hassan Sidi trat auf die Bremse und wandte sich Irene zu. »Ich liebe dich«, sagte er sehr ernst, »ich liebe dich aufrichtig, und ich will dich nicht unter falschen Vorspiegelungen gewinnen...«

Sie sah ihn mit einem liebevollen Lächeln an. »Manchmal kommt es mir so vor«, sagte sie, »als wenn du gar kein echter Orientale wärest...«

Er küßte sie zärtlich auf die Nasenspitze. »Ich weiß«, sagte er, »meine Landsleute fabulieren gerne. Sie merken es nicht einmal selber. Sie übertreiben ihren Reichtum und ihr Elend, schmücken ihre Liebe aus und ihren Haß... aber ich habe gelernt, daß die Wahrheit etwas Gutes ist. Eine starke Waffe, Irene!«

Sie legte ihren Arm um seinen Hals. »Wie du willst«, sagte sie, »also... kämpfen wir mit offenem Visier und ehrlichen Mitteln. Aber es wird ein harter Kampf werden, Hassan. Du kennst meinen Vater nicht. Er kann eisern sein.«

»Die Flammen unserer Liebe werden seinen Panzer zerschmelzen!«

»Hoffen wir’s«, sagte Irene seufzend, »aber wenn nicht..«

»... werde ich dich rauben und in meinen Harem entführen müssen!«

Sie lachten beide und küßten sich zärtlich.

Dann gab Hassan Sidi Gas, ordnete seinen Wagen wieder in den Verkehr ein.

»Immerhin«, sagte sie, »jetzt weiß mein Vater wenigstens, wem mein Herz gehört. Auch wenn eure erste Begegnung nicht gerade unter einem günstigen Stern stand, wir sind doch einen Schritt weitergekommen... einen ganzen Schritt weiter als gestern. Jetzt kommt es nur darauf an, die Nerven nicht zu verlieren.«

»Daß du dich nicht gegen mich einnehmen läßt, Irene!«

»Nur keine Sorge! Das wird Vater nie und nimmer glücken! Auch wenn er Himmel und Hölle in Bewegung setzt.«

Frau Heinzel hatte gewartet, bis Klaus zu seinen Freunden auf die Straße hinuntergegangen war. Dann nahm sie die Gelegenheit wahr, mit ihrem Mann zu sprechen.

Landgerichtsdirektor Heinzel saß im Wohnzimmer, scheinbar in ein gutes Buch vertieft. Aber seine Frau, die sich still mit einem Stickzeug zu ihm gesetzt hatte und ihn verstohlen beobachtete, merkte, daß er nur selten eine Seite umschlug.

»Heinrich«, sagte sie vorsichtig.

»Ja?« erwiderte er, ohne aufzusehen.

»Auf mich hat dieser junge Mann eigentlich einen sehr guten Eindruck gemacht.«

»Wer?«

»Du weißt doch genau, von wem ich spreche! Hassan Sidi!«

»Ich möchte nicht, daß dieser Name noch einmal in unserer Familie erwähnt wird!«

»Aber er ist doch Irenes Freund!«

Landgerichtsdirektor Heinzel hob mit einem Ruck den Kopf. »Freund!? Das möchte ich doch bei Gott nicht hoffen!«

»Du bist voreingenommen, Heinrich. Jedenfalls ist er ein junger Mann mit sehr guten Manieren...«

»Tünche. Besagt nichts über den Wert eines Menschen.«

Frau Heinzel zog mit Bedacht die Nadel durch ihre Decke. »Ist dir nicht aufgefallen, wie erstaunlich ehrlich er war? Andere Ausländer... nicht nur Orientalen... neigen dazu, die Heimat und die häuslichen Verhältnisse in den glühendsten Farben zu schildern, aber er...«

»Wahrscheinlich hat Irene ihn vorher entsprechend präpariert!«

»Heinrich! Jetzt muß ich aber doch sagen... du bist wirklich zu mißtrauisch!«

»Es geht um unsere Tochter, Magdalene! Du erwartest doch nicht etwa von mir, daß ich sie dem ersten besten Dunkelmann, der daherkommt, an den Hals werfe?«

»Davon spricht doch niemand, Heinrich.«

»Na also. Dann laß mich mit diesem Hassan Sidi in Ruhe. Ich hoffe, ich habe ihn heute zum ersten und zum letzten Mal gesehen.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Frau Heinzel ruhig. »Sieh mich nicht an, als wenn du mich gleich fressen wolltest! Ich bin nicht schuld, daß Irene sich ausgerechnet in einen Araber verliebt hat! Aber es hat doch keinen Zweck, den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als wäre gar nichts geschehen.«

»Und was sollen wir deiner Meinung nach unternehmen?« Landgerichtsdirektor Heinzel zündete sich mit nervösen Fingern eine Zigarette an.

»Freundlich und verständnisvoll sein. Irene gegenüber kein böses Wort über ihren Freund verlauten lassen. Ihn zu uns einladen.«

Ihr Mann sah sie aus zornigen Augen an. »Das hätte gerade noch gefehlt! Also... jetzt verstehe ich dich wirklich nicht mehr, Magdalene! Willst du dich etwa zur Kupplerin machen?!«

»Ach, Heinrich, warum seid ihr Männer bloß so... so uneinsichtig! Gib mir auch eine Zigarette, ja? Das Ganze ist doch eine einfache Rechenaufgabe. Je stärker unser Widerstand ist, je tiefer wird Irene sich in diese Liebe verrennen. Je gelassener wir die Sache aufnehmen, desto eher wird sie vorüber sein.«

»Du weißt nicht, was du redest!«

»Doch, Heinrich! Ich habe mir alles gut überlegt. Wenn wir nett zu Hassan Sidi sind, uns nicht ihm gegenüber ins Unrecht setzen... wenn wir ihn möglichst oft zu uns einladen, so daß sie Vergleiche zwischen ihm und uns ziehen kann, dann wird sie bestimmt bald von selber merken, daß er nicht zu ihr paßt.«

»Dieses Spiel mache ich nicht mit, Magdalene!«

»Es ist dir also lieber, wenn sie sich heimlich treffen?«

»Ich werde Irene verbieten, ihn wiederzusehen.«

»Und wenn sie sich weigert?«

»Sie ist meine Tochter und wird mir gehorchen, wie sie mir immer gehorcht hat. Es wird Tränen geben und Szenen, darauf bin ich gefaßt. Aber ich werde meinen Willen durchsetzen, verlaß dich darauf, und es wird zu ihrem Besten sein.«