Der Allround-Service - Hanns Kneifel - E-Book

Der Allround-Service E-Book

Hanns Kneifel

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Beschreibung

Zwei elegante Problemlöser im 58. Jahrhundert. Ein Büro auf den Bahamas. Und jede Menge Aufträge, die niemand sonst übernehmen will. Thirard Reenal und Asger Riveyra regeln das. Mit Stil. Mit Sprüchen. Und mit gelegentlichem Waffeneinsatz. In den sechs Romanen dieser kultigen SF-Reihe von Hanns Kneifel fliegen sie durch halbsatirische Zukunftswelten, treffen auf rätselhafte Aliens, retten Zivilisationen – und lassen sich dafür fürstlich bezahlen. Was damals wie ein cooler Zukunftstraum wirkte, ist heute ein Retro-Trip der Extraklasse: zu männlich, zu selbstzufrieden, zu dominant? Vielleicht. Aber vor allem unterhaltsam, temporeich – und mit einem Augenzwinkern erzählt. Science-Fiction, wie sie in den 1970ern gedacht wurde: wild, stilbewusst, und garantiert nicht langweilig.

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Seitenzahl: 759

Veröffentlichungsjahr: 2025

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HANNS KNEIFEL

Der Allround-Service

 

Die komplette Serie in einem Band

 

 

Impressum

 

© Copyright Rechteinhaber Hanns Kneifel

© Copyright 2025 der E-Book-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Kuhlenstraße 1A, 32427 Minden

 

www.verlag-peter-hopf.com

 

ISBN 978-3-86305-149-5

 

Korrektorat: Andrea Velten, Factor 7

Cover und Umschlaggestaltung: Leonardo | Thomas Knip

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

Vorwort

 

Willkommen in einer Zukunft, die heute längst Vergangenheit ist!

Sie sind hier beim ›Allround-Service‹. Hier wird nicht geflüstert. Hier wird nicht zerredet. Hier wird geschossen, geflirtet, geflunkert – und dann elegant davongeflogen. Wenn Sie das ertragen, oder besser: genießen können, dann seien Sie willkommen. Denn der ›Allround-Service‹ ist zurück. Und Sie können den sechs vorliegenden Romanen vieles vorwerfen. Aber eines nicht – dass sie langweilig sind.

Der ›Allround-Service‹ ist keine Agentur. Er ist ein Statement. Zwei Typen, die alles erledigen – außer Mord, natürlich, man hat ja Prinzipien – fliegen mit Stil durch ein halbsatirisches 58. Jahrhundert, retten Planeten, plaudern mit Alien-Damen, tragen gepflegte Sakkos und leben ihren teuren Lebensstil auf den Bahamas. Manchmal mit mehr Technik als Substanz, manchmal mit mehr Arroganz als Handlung. Aber immer mit Haltung. Und mit Tempo.

Heute wäre das alles nicht mehr zeitgemäß. Zu männlich, zu selbstzufrieden, zu dominant. Mag sein. Aber damals – in den bunten und turbulenten Jahren der späten 1960er und 1970er – war es futuristisch. Und vor allem eines: unterhaltsam. Hanns Kneifel schrieb diese sechs Romane 1970 in der Reihe TERRA NOVA mit der Leichtigkeit eines Autors, der wusste, dass Science-Fiction auch mal ein Cocktailglas in der Hand und ein Augenzwinkern auf den Lippen haben darf. Und genauso wild fabuliert sein darf wie der Satz, den Sie gerade gelesen haben.

Tauchen wir also ein in die allzu irdischen und doch so fernen Welten. Auf denen die beiden Männer des ›Allround-Service‹, Asger Riveyra und Thirard Reenal, ihre Abenteuer zu bestehen haben. Gut bezahlte Abenteuer.

Spesen werden selbstverständlich extra abgerechnet …

 

Thomas Knip,

im Juni 2025

 

 

Die Romane

 

Shindana – Welt aus Eisen

Gast aus der Unendlichkeit

Der Clan der blauen Schlangen

Invasion der Echsen

Ritter des Gesetzes

Die Welt der weißen Stürme

Inhaltsverzeichnis
Der Allround-Service
Impressum
Vorwort
Die Romane
Shindana – Welt aus Eisen
1.
2.
3.
4.
5.
Gast aus der Unendlichkeit
1.
2.
3.
4.
5.
Der Clan der blauen Schlangen
1.
2.
3.
4.
Invasion der Echsen
1.
2.
3.
4.
Ritter des Gesetzes
1.
2.
3.
4.
Die Welt der weißen Stürme
1.
2.
3.
4.

 

 

Shindana – Welt aus Eisen

Der 1. Auftrag des Allround-Service

 

»Es ist für den Chronisten und Kommentator immer wieder faszinierend, zu sehen, wie trotz einer galaxisweit gültigen einzigen Währung, einer ebenso bindenden Gesetzgebung und dem Einsatz von Raumpolizei, Kustoden oder Agenten von Sicherheitsgruppen suprastellarer Art das Verbrechen unausrottbar bleibt. Nicht nur unausrottbar ‒ die Kriminalität steigt an. Dazu kommt, dass die Behörden nachweisbar langsamer arbeiten als die Verbrecher. Erschwerend ist dabei jedenfalls die Tatsache, dass alle neuen Entdeckungen ‒ naturwissenschaftlicher und technischer, ebenso aber auch derjenigen Art, die sich nicht mit einem Begriff festlegen lässt ‒ eher und weitaus schneller dem Verbrechen dienen als den Exekutivorganen. Zwangsläufig ist die Kolonisation von Planeten auch eine Geschichte fremdartiger Gifte, Techniken und Maschinen. Eine andere, ebenfalls sehr delikate Überlegung ist die Frage, ob sich Exekutivorgane der gleichen moralischen (besser: amoralischen) Überlegungen bedienen dürfen, wie sie die Verbrecher anstellen. Niemand aus der Gruppe der Kriminellen wird sich scheuen, einen Polizisten niederzuschießen, wenn er entdeckt wird. Wie schnell darf sich die Polizei, ohne dass ihre Beamten zu einer Horde rücksichtsloser Vandalen werden, dieser Methoden bedienen? Wer nützt dem Gesetz mehr: ein toter Polizist, der sich treu an den Buchstaben des Gesetzes hält oder ein lebender Beamter, der erst schießt und dann rückfragt ‒ das ist ein Problem, das die Menschheit auf ihrem langen Weg bis an die Grenzen der Galaxis mit sich schleppen wird. Eine Lösung ist nicht in Sicht; diese Frage ist bis zum heutigen Tag offengeblieben.

Im Sog der schnellen, oftmals hektischen und ungenauen Kolonisationsbestrebungen wurde vieles mitgezogen. Der Chronist weiß nicht, wie die meisten Erscheinungen zu beurteilen sind. Wem dient es, wenn ein gigantischer Austausch der Kulturen erfolgt? Wir erfreuen uns an der Musik anderer Welten, wir sind entzückt von den Blumen, die sich auf der Erde ausbreiten, die Hunderte oder Tausende von Lichtjahren durch den Raum transportiert worden sind. Ist die Vermischung von etwa zweieinhalbtausend verschiedenen Kulturen immerhin noch eine Angelegenheit von Stilkundlern und Historikern, dann sind die Unternehmungen von Großindustrien jedenfalls nichts mehr, das sich wohlwollend übersehen ließe. Dem Gesetz nach gehört der Planet ‒ sofern er unbewohnt war ‒, der entdeckt und kolonisiert wurde, demjenigen, der diese Kolonisation finanziert. Ich fürchte, dass die Summen, die dafür aufgewendet werden und die Erträge, die vielfach so hoch sind wie diese Summen, nicht unbedingt geeignet sind, die Galaxis von all den angedeuteten Ungesetzlichkeiten zu befreien, um eine milde Formulierung zu gebrauchen. Keiner von uns ist sicher davor, im entscheidenden Augenblick die Beherrschung zu verlieren und ungesetzlich im weitesten Sinn zu handeln, wenn Reichtum in der Größenklasse eines Planeten auf dem Spiel stellt.

Die einzige Möglichkeit ist meines Erachtens, »Principiis obsta!« ‒ den Anfängen dieser Entwicklung verstärktes Augenmerk zu widmen. Bisher haben sich private Gruppen und Agenten sehr bewährt; diese schnellen, harten Männer, die teuer sind und, abgesehen von ihrem verständlichen Wunsch nach finanzieller Befriedigung, das Gesetz achten. Dem Chronisten schwebt als vermutlich unerfüllbarer Wunsch die Vorstellung vor Augen, ein Netz solcher Kleinagenturen möge die Galaxis überziehen. In den Maschen würden sich viele Elemente fangen lassen, auf deren Wirken die Menschheit und die assoziierten Rassen getrost verzichten.«

Aus: »ABRISS DER SOZIOLOGISCHEN STRUKTUREN DER NEUEN SONNENSYSTEME von Sir Callinder Viracocha. Herausgegeben anlässlich des 8000. von der Erde kolonisierten Planeten. Entropie-Verlag San Francisco (Erde) und Naggia-Port (Delta Kanopus). Juli/August 5738 n. Chr.

 

 

1.

 

»Barockgärten!«, sagte er leise. »Jetzt weiß ich es endlich.«

Das Mädchen auf dem Barhocker drehte sich, als sie seine dunkle Stimme hörte, betont langsam um. Ihr hellgrünes Haar war spiralig um ihren Hinterkopf frisiert. Sie sah ihn aus grauen Augen unter langen Wimpern ruhig an.

»Ist Ihnen das in der letzten halben Stunde eingefallen?«, fragte sie mit leichter Ironie.

Er nickte. »Ich habe lange gebraucht, aber der grüne Schnörkel über Ihrem Nacken hat mich darauf gebracht. Barockgärten. Das ist es«, sagte er und deutete auf den leeren Hocker neben ihr. »Darf ich mich neben Sie setzen?«

Sie lächelte vorsichtig. »Was ist mit diesen verdammten Barockgärten los?«, fragte sie dann. Sie hatte eine dunkle, sehr beherrschte Stimme.

Asger setzte sich, hob den Arm und wartete, bis der Mann hinter der Bar auf ihn aufmerksam wurde. Dann sagte er halblaut: »Wir haben diese Gärten noch, in Europa, auf der Erde. Und man hat einen von ihnen nachgestaltet, weitaus prächtiger, aber in einer etwas barbarisierenden Art. Auf Omikron Zodiak. Sie sind genau der Typ, mit dem man in einem solchen Garten spazieren gehen möchte.«

Der Barmann stellte den Sekt, abgefüllt in einen Silberbecher, vor Asger hin.

»Soll das ein Kompliment sein?«, fragte sie.

»Ja. Ein beachtliches. Omikron Zodiak kann ich Ihnen nicht mehr bieten, aber Sie bleiben sicher eine Zeit lang auf der Erde?«

Sie zwinkerte zustimmend, als er den Silberkelch hob. »Vermutlich. Das hängt davon ab, wie lange Ihr Doppelgänger aufgehalten wird. Er hat bei Kartograph-Center zu tun.«

Asger steckte den Schlag mit unbewegtem Gesicht ein; es war indes riskant, nur zwanzig Lichtjahre von Dagny Tamayo entfernt eine neue Bekanntschaft zu machen, und überdies konnte nicht einmal er erwarten, das Glück seines Lebens in der Bar eines Sternenschiffes kennenzulernen. Was hatte sie gesagt? Doppelgänger. Er beschloss, hier einzuhaken.

»Sie sprachen von einem Doppelgänger. Wenn dieser Herr so viel Format hat wie ich, und das sollte er als Doppelgänger haben, dann wird er nicht versäumen, Ihnen einen Barockgarten zu zeigen. Wo ein solcher Garten zu finden ist, können Sie von mir erfahren. Ich liebe Barockgärten. Sie sind so schön manipuliert.«

Sie betrachtete einen Kondenswassertropfen, der an seinem Sektkelch herunterlief und in dem synthetischen Samt der Theke versickerte.

»Wie erstaunlich«, sagte sie leise. »Je weniger Zähne ein Mann hat, desto bissiger wird er.«

Asger lachte. Er griff in das versteckte Fach seiner Anzugjacke und legte eine Visitenkarte auf den Samt. »Mein Doppelgänger soll mich anrufen, wenn er einen Garten sucht«, sagte er ruhig. Er war gespannt auf diesen Mann. Das Mädchen neben ihm nahm die Karte auf und las; die haarfeine Lumineszenzschicht auf den Buchstaben prägte einen Gedächtniseindruck, der acht Jahre anhalten würde.

 

Asger Riveyra * Thirard Reenal

Allround-Service.

 

Darunter die Adresse; eine Insel in der Karibischen See.

»Soll ich mir darunter etwas vorstellen können?«, fragte das Mädchen. »Und außerdem … sind Sie Riveyra oder Reenal?«

»Ersterer«, sagte Asger. »Allround-Service ist eine kleine, leistungsfähige und sehr teure Agentur. Wir machen alles, gegen Bezahlung. Fast alles, Mord ausgeschlossen. Unser Slogan ist: Sie denken ‒ wir handeln.«

Das Mädchen lachte jetzt und drehte suchend den Kopf, dann hob sie leicht den Arm und winkte. Asger Riveyra erstarrte, als er den Mann sah, der durch die Bar auf ihn zukam: er war ihm wirklich so sehr ähnlich, dass man von mehr als einem Zufall sprechen musste. Etwa dreiunddreißig Jahre alt, wie Asger, ebenfalls nicht über fünfundachtzig Kilogramm schwer und größer als einen Meter neunzig. Kurzes, an den Schläfen heruntergezogenes Haar, das von wenigen silbernen Fäden durchzogen war. Der Mann stutzte, als ihn der Blick Asgers traf, dann ging er langsam weiter. Er blieb zwischen Asger und dem Mädchen stehen, beugte sich langsam herunter und küsste das Mädchen auf die Wange.

Sie sagte: »Erstaunlich ‒ hier sitzt dein Doppelgänger, Heward Yaghan!«

Asger streckte die Hand aus. »Riveyra«, sagte er leise. »Asger Riveyra. Ich stimme Ihrer Begleiterin zu: Die Ähnlichkeit ist wirklich frappierend. Wir werden doch hoffentlich nicht miteinander verwandt sein?«

»Kaum«, sagte Yaghan. »Ist es ein Zufall?«

Er blickte Asger mit unverhohlenem Misstrauen an. Asger registrierte, dass der Mann sich zu fürchten schien. Nicht vor ihm, sondern vor einer Sache, die nicht greifbar war. Er wirkte wie jemand, der unbewusst Angst vor einem Attentat hatte.

Asger zuckte mit den Mundwinkeln und sagte brutal: »Wenn Sie glauben sollten, ich habe mich an Ihre Begleiterin herangemacht, um Sie niederzuschlagen und Ihre wertvollen Dokumente zu stehlen, dann irren Sie ziemlich; Ihre Begleiterin hat meine Karte. Kidnapping oder Mord sind Dinge, die unser Service nicht einschließt. Das wollte ich in aller Freundschaft und zur Klärung der Sachlage gesagt haben. Übrigens: Lieben Sie Barockgärten?«

Heward Yaghan grinste leicht, nahm dem Mädchen die Karte aus der Hand und betrachtete sie sorgfältig. Er bemerkte die Sendeintervalle der Lumineszenzschicht und brummte: »Eine Agentur erkennt man daran, wie sie für sich selbst wirkt. Haben Sie diesen Gedächtnistrick nötig?«

Asger nickte kurz und sagte: »Wir müssen von dem Geld, das wir unter Lebensgefahr einnehmen, eine teure Sekretärin bezahlen und ein teures Büro. Brauchen Sie etwas von AS?«

»Sie könnten mir verraten, was Sie in diesem Prunkbecher haben.«

»Sekt«, erwiderte Asger. »Simpler Sekt. Sündteuer, aber kalt. Sternenschiffpreise.«

Yaghan setzte sich neben das Mädchen und bestellte das Gleiche wie Asger. Die beiden Männer unterhielten sich leise am Gesicht des Mädchens vorbei, und Asger hatte Gelegenheit, das Profil ausgiebig zu studieren. Sie war ein Typ für Barockgärten, aber auch bei ihr spürte er, dass sie sich vor etwas fürchtete. Da er und seine beiden Partner von den Problemen anderer Menschen lebten ‒ ziemlich gut lebten ‒, sah er jetzt, auf dem Rückflug von einem zur vollen Zufriedenheit erledigten Auftrag, eine Gelegenheit.

»Barock hin oder her«, sagte er nach einer Weile, »ich stelle fest, dass Sie beide schwere Probleme haben. Ob die Tatsache, dass Sie Ihren Namen nicht genannt haben, Mädchen, damit zusammenhängt?«

»Constanze Arrigo«, sagte sie.

Ein langer, nachdenklicher Blick traf Asger. Dasselbe Maß an Unsicherheit hatte er bemerkt, als er Yaghans wertvolle Dokumente angesprochen hatte. Konnte es so sein: Ein Mann in Begleitung seiner Freundin, die natürlich eine Agentin sein konnte, reiste vom Raumhafen Sigma Andoyer zur Erde, im Gepäck oder im Schiffssafe wertvolle Dokumente. Yaghan war jung und schien, seiner präzisen Ausdrucksweise nach zu urteilen, Akademiker zu sein. Ingenieur? Wenn ja, dann schleppte er die Pläne einer wichtigen Erfindung mit sich. An diesem Punkt seiner Überlegungen wurde Asger unterbrochen.

Yaghan fragte mit leiser, aber sehr eindringlicher Stimme: »Sie sind diskret, Riveyra?«

Sofort gab Asger zur Antwort: »Wäre ich nicht diskret, säße ich nicht lebend hier. Allround-Service lebt und stirbt mit der Diskretion. Sie haben Angst, nicht wahr?«

Yaghan nickte langsam, schwieg aber.

»Ja«, sagte er dann.

Asger hielt nicht viel von zeitraubenden Umwegen und fragte direkt: »Der schwache Punkt bei Ihrer Reise ist der Moment, wenn Sie Ihre Dokumente aus dem Schiffssafe holen, aussteigen und quer durch die Stadt zu Kartograph-Center fahren. Ist diese Erfindung sehr wichtig?«

Asger sah mit einer gewissen Genugtuung, wie der silberne Sektkelch, den Yaghan in den Fingern hielt, unkontrolliert zu zittern begann. Der Mann von der Agentur sah weiter, gegen das Licht eines verdeckten Beleuchtungskörpers, dass der winzige Sprühregen des kohlensäurehaltigen Getränks stärker wurde. Yaghan war blass geworden, stellte den Kelch ab und zündete sich mit fahrigen Bewegungen eine Zigarette an. Dann wandte er Asger das Gesicht zu und fragte flüsternd: »Woher wissen Sie das alles?«

Asger blickte an den winzigen Schweißperlen auf der Oberlippe des Mädchens vorbei und in die grauen Augen seines Doppelgängers.

»Hören Sie, Yaghan, wir von Allround-Service sind keine Idioten. Wir leben davon, dass wir Einzelheiten kombinieren und versuchen, sie in Schemata einzugliedern, die seit Jahrtausenden gültig sind. Ist es so, wie ich sagte?«

»Ja. So ist es.«

»Constanze ist eine Agentin, oder nur die Freundin?«

Constanze fuhr herum und sagte scharf: »Nur die Freundin, Mister Riveyra. Nicht mehr.«

»Lassen Sie nur«, erwiderte Asger. »Das ist doch auch etwas Schönes, nicht wahr? Manche Männer haben es lieber, wenn die Mädchen mit dem Konservendosenöffner besser hantieren können als mit dem Nadelwerfer. Bleiben Sie so.« Er sah auf die Uhr. »Bekomme ich einen offiziellen Auftrag?«, fragte er ruhig. Noch zwanzig Stunden dauerte es, bis das Schiff, aus dem Hyperraum kommend, abgebremst hatte und in New York Spaceport niederging.

»Mein letztes Geld steckt in den Karten für die Passage«, erklärte Heward Yaghan. »Ich kann …«

»Schon gut«, sagte Asger und winkte ab. »Taugt das Zeug in Ihren Plänen etwas?«

Yaghan drehte die Visitenkarte um und schrieb einige Worte darauf. Dann schob er Asger die Karte verdeckt zu, und der Mann von der Agentur hielt die Hand darüber, und als er las, vergewisserte er sich, dass ihm niemand über die Schulter sehen konnte. Ferroxyd wird in großem Rahmen mit wenig Energie in Luftsauerstoff verwandelt. Wichtig für ca. 300 Planeten.

Asger schob den Daumennagel in den feinen Schlitz zwischen den dünnen, aufeinandergelegten Kunststoffblättchen, riss die Visitenkarte auseinander und legte beide Hälften mit den Druckbuchstaben gegeneinander. Dann warf er die Karte in den Aschenbecher. Zwei Sekunden später hatte sie sich in weiße Asche verwandelt und fiel auseinander, als Yaghan seine Zigarette ausdrückte.

»Gut. Es kostet Sie genau zehntausend Quintar«, sagte Yaghan. »Nur dann, wenn Sie Erfolg haben. Dafür bringe ich Sie und die Papiere zu Kartograph-Center. Einverstanden?«

Constanze sagte zögernd: »Sie sind sehr teuer … und bis Heward gut verdient, kann es ein Jahr dauern.«

Ungerührt erwiderte Asger: »Ich werde Sie nach einem Jahr finden. Die Summe … Es ist ein Angebot. Sie können ablehnen oder annehmen.«

Das Mädchen öffnete die Lippen, um zu antworten, aber Yaghan kam ihr zuvor und sagte leise: »Gilt auch ein mündlicher Vertrag, Riveyra?«

Riveyra nickte leicht und erwiderte lächelnd: »Unter Gentlemen ist es üblich, ein Gentleman’s Agreement abzuschließen. Ich kann es Ihnen gern übersetzen.«

Dreißig Sekunden später sagte Heward Yaghan fast flüsternd: »Ich nehme Ihre Forderung an.«

Asger Riveyra schob die lange Manschette seines Hemdes zurück und blickte auf die große, rechteckige Digitaluhr, deren verschiedenfarbige, verschieden geformte Zahlen sich ständig änderten. Er drehte an einem Knopf, der ein goldenes Wappen trug, nahm ihn vom Ärmel der Jacke ab und gab ihn verdeckt dem anderen Mann.

»Sie gehen jetzt sofort, aber nur auf Korridoren und Treppen, auf denen viele Menschen sind, zum Zahlmeister. Dort lassen Sie sich die Dokumente aushändigen. Wie sind sie verpackt?«

»Eine dünne Ledermappe.«

»Wie groß?«

Yaghan zeigte es mit den Händen; etwa dreißig zu zwanzig Zentimetern. Mikrofilm oder Submikrofilm wäre besser gewesen.

»Sie stecken diese Mappe in Ihren Gürtel, hinten am Rücken. Dann kommen Sie sofort wieder hierher. Das Ganze dauert nicht länger als zwanzig Minuten. Halten Sie den Knopf zwischen den Fingern, immer! Wenn Sie ihn zusammendrücken, empfange ich ein Signal. Kümmern Sie sich auf keinen Fall um das, was ich tue … Es geht Sie nichts an. Und jetzt ‒ los!«

Yaghan, sichtlich nervös und etwas überfordert, weil dieses Vorgehen ihm fremd zu sein schien, stand auf und machte Anstalten, seinen Sekt zu bezahlen.

Asger deutete blitzschnell mit dem Daumen zum Eingang der Bank und sagte zum Barmann: »Was hier getrunken wurde plus zwanzig Prozent ‒ setzen Sie es bitte auf meine Rechnung.«

Der Mann dankte und zog sich wieder zurück.

»Welche Kabinennummer hat Ihr Freund?«, fragte Asger leise.

»Hundertdreißig.«

»Und Sie, Constanze?«

Sie blieb ernst und erwiderte: »Hundertdreißig.«

»Sollte etwas passieren«, sagte Asger. »Ich habe Kabine Nulldrei.« Dann drückte er kurz ihren Arm und ließ sich vom Sessel gleiten. Er kannte die Gänge, Korridore und Liftschächte der BETA CRUCIS sehr genau; heute flog er zum fünften Mal mit diesem Schiff, jedes Mal in der Luxuskabine. Er verließ die Bar, kam am Aussichtsraum vorbei, an der Bibliothek und der zweiten Bar, deren eine Wand aus durchsichtigem Stahl bestand und den Sternenthusiasten als teure Delikatesse diente. Ein deutliches Gefühl sagte ihm, dass ein Mordversuch in der Luft lag, denn dreihundert Planeten wogen für manchen Menschen wesentlich schwerer als ein Menschenleben. Yaghan hatte genau neunzehn Sekunden Vorsprung. Noch achtzehn Stunden bis zur Landung. Riveyra war schon zu lange in diesem Gewerbe tätig ‒ und vorher in einem Dutzend anderer, nicht viel weniger harten Berufen ‒, als dass er nicht wusste, dass Yaghan schon vom Start an ein toter Mann gewesen war, ohne es zu ahnen. Ein Ingenieur ist kein Allround-Service-Agent, dachte er und nahm eine breite Treppe mit langen Sätzen.

Jetzt sah er Yaghan vor der Tür des Zahlmeisterbüros; sah, wie er den Summer betätigte und eintrat. Die Tür schloss sich. Zehn Sekunden vergingen. Asger stand offen im Korridor und sah den Mädchen nach, die hin und her gingen, mit den Stewards und den Stewardessen sprachen. Eines machte ihn stutzig ‒ hier oben befand sich niemand, der ohne die Uniform der Ursa-Major-Company war. Er berührte schnell nacheinander die drei Knöpfe seines Abendanzugs, und die pseudomagnetische Haftung hob sich auf. Die Jacke war offen. Dreiundfünfzig Sekunden. Die Spannung hielt an. Nach ihm war niemand mehr auf das A-Deck des Sternenschiffes gekommen; er war mit ungefähr dreißig Personen allein, denn die Privatleute waren in den Refraktortaum eingelassen worden, um die Projektion der sich nähernden Erde oder anderer Planeten zu sehen.

Ruhig zündete sich Asger Riveyra eine Zigarette an.

Er stand direkt vor einer großen Wand, die mit einem transparenten Belag versehen war. Dahinter, in zwanzig kleinen Feldern, liefen unaufhörlich die Projektionen der Hauptanlegehäfen der Ursa-Major-Company ab. Zwei Minuten. In der gedanklichen Rekonstruktion Asgers musste jetzt Yaghan die Ledertasche hinter den Gürtel schieben und den erstaunten Blick des Zahlmeisters erdulden, ehe er zur Tür ging, den Knopf drückte, dankte und …

Yaghan kam zurück in den Gang.

Er bewegte sich wie ein Mensch mit offenkundig schlechtem Gewissen. Fast unauffällig langsam ging er in die Richtung, in der Asger stand. Er sah geradeaus, blieb kurz stehen, um nicht mit einem Mädchen zusammenzustoßen, das ein Tablett trug. Dann ging er weiter, der breiten Treppe zum B-Deck zu. Als er fünfzehn oder achtzehn Stufen abwärts gegangen war, öffnete sich zwei Meter von Asger entfernt, neben der Reklameprojektion, die Toilettentür. Ein Steward ohne Mütze kam heraus und schob einen Ring auf seinen Finger. Asger lächelte entschuldigend und ging auf den Mann zu.

»Verzeihen Sie«, sagte er. »Können Sie mir sagen, ob wir pünktlich landen? Sie können sich denken, dass meine Freundin und meine Mutter …«

Der Steward sah ihn amüsiert an und erwiderte: »Ich habe vor elf Minuten die Datenanzeige im Kontrollraum gesehen. Wir landen pünktlich!«

Er ging schnell neben Asger die Treppe hinunter, als habe er es eilig.

Asger hielt ihn am Ärmel fest. »Wissen Sie«, sagte er beunruhigt, »man hört heute so viel über die Raumpiraten, und meine Mutter hatte schon Angst, die BETA CRUCIS könnte überfallen werden. Und ich bin Ingenieur, müssen Sie wissen.«

»Ich kann Sie beruhigen, Mister …«, begann der Steward. Asger war seiner Sache ziemlich sicher, aber er bluffte trotzdem.

»Yaghan«, sagte er. »Heward Yaghan, Kabine hundertdreißig. Wissen Sie, ich habe nämlich ganz wichtige Unterlagen bei mir, und meine Mutter schrieb mir, ich solle vorsichtig sein … leider kann ich nicht schießen …«

Der Steward blieb stehen, sah Asger aus zusammengekniffenen Augen an und murmelte überrascht: »Das sind Sie …?«

Asger reagierte sehr schnell. Sein Arm fuhr hoch, und die brennende Zigarette schrammte über die Wange des Mannes. Ein Funkenregen blendete ihn, die Verbrennung war wie ein Stich. Gleichzeitig schlug Asger zu. Der Steward schrie leise auf, taumelte und brach zusammen. Asger raste die Treppe hinunter, ein paar Passagiere blieben stehen und sahen ihn mit aufgerissenen Augen und versteinerten Gesichtern an. Von links und rechts näherten sich zwei andere Männer dem Ingenieur. Asger streckte die Arme aus und hechtete nach vorn. Er riss einen der Männer um, sah einen Sekundenbruchteil lang das Gesicht seines Doppelgängers und hatte, noch während der Mann unter ihm in die Knie ging, die Waffe in der Hand. Er drehte sich blitzschnell um, balancierte sich aus und sah, dass der andere Angreifer unter die Achsel griff.

»Heward! Zurück!«

Heward Yaghan reagierte eine halbe Sekunde zu spät.

Mit einem Arm herumwirbelnd, um auf der Treppe das Gleichgewicht nicht zu verlieren, schoss Riveyra dem Angreifer eine Nadel in die Schulter. Der Schmerz bewirkte zweierlei: Der Unbekannte zuckte zusammen und drehte sich um hundertachtzig Grad, gleichzeitig drückte er auf den Auslöser seiner Waffe, die noch unter der Achsel steckte. Zwischen seinem Arm und den Rippen flammte eine breite Feuerbahn auf, fraß sich durch den Stoff und hüllte Yaghan sekundenlang ein. Hinter Riveyra schrie eine Frau auf. Als der Mann, den Riveyra umgerissen hatte, am Fuß der Treppe ankam, richtete er sich blitzschnell auf, und Asger feuerte.

Er traf genau in den Hals des Mannes, und das Lähmungsgift wirkte sofort.

Zusammengekrümmt und verkrampft lag der Schütze auf der Treppe, und seine Waffe sprühte noch immer Feuer. Inzwischen brannte seine Jacke, und ein Steward, der von oben heruntergerannt kam, riss einen Feuerlöscher aus der Wandhalterung. Die Menschen drängten sich eng an die Seitenwände.

Am Fuß der Treppe stand ein Mann, der alles mitangesehen hatte. Jetzt zuckte er mit den Schultern und drehte sich um, und Riveyra schoss ihm in den Rücken.

Dann steckte er die Waffe ein und lief die neun Stufen hinauf, bis er neben Heward Yaghan kniete. Er sah, dass der Mann noch lebte; Haar und Augenbrauen waren versengt, eine Wange verbrannt, und der Anzug aus synthetischen Fasern lag wie eine zweite, verschmorte Haut auf dem Körper. Riveyra öffnete sein Zigarettenetui und zerbrach die Zigarette mit dem dunklen Mundstück, setzte dieses Mundstück an die Halsschlagader des Ingenieurs und drückte zu. Eine mikroskopisch feine Sprengladung jagte einen Kubikzentimeter Betäubungsmittel in den Kreislauf Yaghans. Hinter sich hörte Riveyra jetzt eine laute, dunkle Stimme.

»Was ist hier los? Wer hat geschossen?«

Immer die gleichen Fragen, dachte Riveyra achselzuckend. Keine Spur davon, sich etwas Neues auszudenken. Er stand auf, drehte sich um und richtete die Waffe auf den Zweiten Offizier des Schiffes.

»Bringen Sie bitte diesen Mann hier sofort in das Schiffslazarett.«

Der Zweite musterte Asger, während sich dieser die Manschetten zurechtzupfte und das Zigarettenetui mit der Linken wieder einsteckte.

»Wer sind Sie, dass Sie mir Befehle geben können?«

Asger erwiderte kalt: »Das werde ich Ihnen in Anwesenheit des Kapitäns erklären. Diese vier Männer hier sperren Sie bitte ein, falls sie noch leben. Und beeilen Sie sich ‒ sonst stirbt dieser Ingenieur hier. Sie werden in diesem Fall eine Menge Ärger bekommen.«

Drei Stewards schleppten Yaghan fort, legten ihn auf eine Bahre und verschwanden damit in einem der kleinen Lifts, die nur der Mannschaft vorbehalten waren. Asger machte ein paar Sätze und blieb im Lift neben der Bahre stehen.

»Abwärts«, sagte er ungerührt. »Schiffslazarett!«

»Sieh mal«, knurrte einer der Männer giftig. »Wir haben einen neuen Kapitän. Haben Sie noch alle Ihre Zähne, Mister?«

Asger holte tief Luft und murmelte: »Schade ‒ Sie wollen es nicht anders. Hier. Vielleicht kann Sie das überzeugen.«

Er stand in der Ecke des Liftes und richtete die Mündung der Waffe abwechselnd auf die drei Männer. Der Lift hielt. Die Bahre wurde zehn Meter weit getragen, dann öffneten sich die weißen Türen des kleinen Schiffslazaretts. Aus einem zweiten Lift stürzten die beiden Ärzte, die weißen Mäntel noch offen. Sieben Männer, darunter ein Bewusstloser, verschwanden hinter den Türen, die automatisch zufuhren. Asger blieb fünf Meter neben der Bahre stehen, wechselte die Waffe in die linke Hand, zog aus seiner Brieftasche eine Fünfhundert-Quintar-Note mit dem Abbild des Planeten Erde auf der Vorderseite ‒ auf der Rückseite war Jupiter mit seinen zwölf Monden abgebildet ‒ und gab sie dem ältesten der drei Stewards, die die Bahre geschleppt hatten.

»Ich bitte Sie um Entschuldigung«, sagte er kalt und beobachtete, wie die Ärzte vorsichtig die Reste der verschmorten Kleidung zu entfernen begannen. »Aber es ist eine sehr fatale Sache. Bitte sorgen Sie dafür, dass der Kapitän und Miss Arrigo aus Kabine Hundertdreißig hierhergebracht werden. Vielleicht finden Sie Miss Arrigo auch in der Bar auf dem D-Deck. Und jetzt … Ich habe es sehr eilig!«

Er nahm die Waffe in die rechte Hand und wartete, bis die drei Männer den Raum verlassen hatten.

Einer der Ärzte sagte zu Asger: »Ich hoffe, Sie setzen Ihre Nadelwerferschau nicht gerade während unserer Tätigkeit fort, Mister!«

Asger grinste etwas und entgegnete gelassen: »Schade! Genau das hatte ich vor. Wenn Sie den Patienten, der dank meiner Umsicht bewusstlos ist und nichts spürt, auf den Bauch drehen, um das verbrannte Zeug abzulösen, werden Sie eine Ledertasche finden. Ich bitte nachdrücklich, sie mir aushändigen zu wollen.«

Zwei Minuten später, gerade als die Türen aufflogen und der Kapitän an der Spitze vor zwei bewaffneten Offizieren hereinstürmte, steckte Asger die Dokumente ein. Er atmete erleichtert auf und bezwang sich, keine Zigarette anzuzünden.

Der Kapitän rannte auf ihn zu und sagte leise, aber mit Schärfe: »Ihre Waffe, Ihre Ausweise ‒ und verlassen Sie sofort das Schiffslazarett!«

Asger sicherte die Waffe und gab sie dem Ersten Offizier, der ihn aus bernsteinfarbenen Augen nachdenklich und schweigend musterte. Dann nahm er seine Brieftasche heraus, zog an einem pseudomagnetischen Verschluss und hielt die schwarze, wie Leder wirkende Fläche dem Kapitän entgegen.

Das Leder verwandelte sich in ein helles Grau, und auf dem Grau erschienen Buchstaben und mehrere große, deutlich sichtbare Siegel. Langsam las der Kapitän den Text, seine Stirn legte sich in nachdenkliche Falten, und nachdem die Schrift wieder verblasst, die Farbe des Leders wieder erschienen war, sagte der große, wuchtige Mann: »Ich habe verstanden, Mister Riveyra. Die vier Männer, die diesen Mann auf der Treppe angegriffen haben, sind tot.«

Asger nickte. »Merkwürdig«, sagte er dann. »Ich habe nur ganz normale Gorgonadeln im Magazin.«

»Prendiss«, sagte der Kapitän, »geben Sie bitte Mister Riveyra die Waffe wieder zurück. Die Männer sind nicht an Ihren Nadeln gestorben, Riveyra, sondern an einem Herzgift, das zu wirken begann, als das Gorgo im Kreislauf war. Man hat die Männer präpariert.«

Asger nickte. »Fünfundsiebzig Planeten für ein Menschenleben; ein vernünftiger Kurs, nicht wahr, meine Herren? Dieser Mann hier hat etwas, das Leben für dreihundert Planeten bedeutet. Wo ist das Mädchen?«

Kapitän Huntington erwiderte leise: »Sie bestand darauf, in Ihrer Kabine zu warten, Mister Riveyra. Wie steht es, Rowaan?«

Einer der Mediziner hob den Kopf und erwiderte: »Er wird durchkommen. Die Verbrennungen sind ziemlich schwer, aber nicht tödlich. Für die Wange wird sich ein guter Schönheitschirurg finden lassen, aber zwei Drittel der Brust, die Innenseite des rechten und die Außenseite des linken Armes sind schwer mitgenommen. In einem halben Jahr, wenn eine sehr teure und aufwendige Behandlung vorgenommen wird, ist der Patient wieder voll bewegungsfähig.«

»Gehen wir«, sagte Asger zu Kapitän Huntington. »Gehen wir in meine Kabine. Sie haben doch noch eine Stunde Zeit?«

»Ja. Übernehmen Sie das Schiff bitte, Prendiss.«

Prendiss nickte, und die Männer verließen ruhig das Schiffslazarett. Sie nahmen einen Personallift und fuhren hinauf auf das Passagierdeck, in dem die Luxuskabinen lagen.

 

Asger Riveyra ließ Kapitän Huntington vorausgehen, schloss die Tür sorgfältig ab und drückte dann die Taste, mit der er einen Sichtschirm zum Decksteward schalten konnte. Das Gesicht des Mannes erschien auf der rotglühenden Fläche.

»Bitte drei Portionen Mokka und drei vierfache Cognac in Kabine Nulldrei.«

»Selbstverständlich. Eine Minute, Sir.«

Die Scheibe wurde dunkel, und Asger blieb an der Tür stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und die feuchten Handflächen am Stahl abkühlend. Er musste sich erst beruhigen. Sein Blick fiel auf das Mädchen, das bewegungslos, in einer Art hoffnungsloser Erstarrung, in einem schweren, angeschraubten Sessel kauerte und die Beine hochgezogen hatte.

Dann sagte Asger leise, nachdem er sich geräuspert hatte: »Sie brauchen keine Angst zu haben, Constanze. Die Pläne sind in Sicherheit, und in einem halben Jahr haben Sie Heward wieder ‒ voll funktionsfähig.«

Der Kapitän musterte ihn, als sähe er ihn zum ersten Mal. Es schien ihm aufzufallen, dass sich Asger bemühte, nur das Wichtigste zu sagen, und das in direkter Deutlichkeit.

»Können Sie mir vielleicht erklären«, sagte er abwägend, »was in der letzten Stunde vorgefallen ist?«

Asger sagte: »Yaghan ahnte, dass man ihn überfallen würde. Er ahnte es. Ich versuchte ihm zu helfen, aber ich wusste nicht, dass es vier Männer waren und dass sie tödliche Waffen bei sich hatten. Es ist sinnlos, nach weiteren Mitwissern auf dem Schiff zu suchen; sie sind gewarnt. Interessant wäre noch, zu erfahren, woher sie die Uniformen hatten.«

Der Kapitän zuckte die Schultern. »Ich habe nachprüfen lassen. Die Uniformen sind mitgebracht worden. Sie stammen nicht aus dem Schiffsinventar.«

»Schwierige Lagen schärfen den Verstand«, antwortete Asger. »Darf ich Sie um Ihre Mithilfe bitten, Kapitän?«

Sie wurden unterbrochen, als der Kaffee kam. Asger sah schweigend zu, wie der Steward, der zu Reiseantritt ein kolossales Trinkgeld bekommen hatte, die Kännchen, Tassen und Gläser servierte. Als er gegangen war, zog Asger seine Jacke aus, löste die Riemen, die die Waffentasche hielten, und hing beides in den Wandschrank. Dann meinte er: »Ich bin überfallen und schwer verletzt worden, Kapitän. Haben Sie den Trick durchschaut?«

Huntington nickte. »Ich werde es in den letzten Schiffsnachrichten durchsagen lassen. Wir holen Sie am Raumhafen mit einem Krankenwagen ab. Wohin wollen Sie gebracht werden?«

Asger gab ihm seine Geschäftskarte. »Dorthin.«

»Gut. Das Gerücht wird Ihnen vorauseilen. Was haben Sie vor?«

»Bedaure«, antwortete Riveyra. »Das darf ich Ihnen nicht sagen. Zu viel steht auf dem Spiel. Dreihundert Planeten und der Drahtzieher hinter dem Überfall. Ich habe von Yaghan den Auftrag übernommen, und ich führe ihn durch, so, wie ich es denke. Es wird höllisch schwer werden. Was sagen wir der Presse ‒ wegen der vier Leichen?«

Kapitän Huntington schwenkte sein Glas, roch daran und nahm einen beachtlichen Schluck. Asger sah die BETA CRUCIS schon im Medoc-Rhythmus landen, schlingernd und schaukelnd.

»Die frisierte Wahrheit«, meinte Huntington versonnen. »Sie haben wild um sich geschossen, das Gorgo im Kreislauf hat sich mit der zweiten Gift-Komponente verbunden, und Sie sind bei dem Gefecht schwer verletzt worden.«

»Einverstanden. Alle anderen Probleme sind auf andere Art zu lösen. Sie können mir leider nicht mehr helfen, Kapitän.«

Bisher hatte das Mädchen geschwiegen und war starr der Unterhaltung zwischen den beiden Männern gefolgt. Jetzt, unter dem Einfluss von Ruhe, Kaffee und Alkohol, hatte Constanze Arrigo den Schock überwunden. Sie setzte die Füße auf den goldfarbenen Teppich, stieg in die zierlichen Abendschuhe und ging auf Huntington zu. Der schwere, massige Mann mit dem faltenreichen Gesicht sah sie aufmerksam an und bemerkte die Spuren der Tränen.

»Miss?«, fragte er murmelnd.

»Ich danke Ihnen für alles, Kapitän«, sagte sie. »Bitte, haben Sie Verständnis dafür, dass ich hier saß, statt im Lazarett zu sitzen. Aber für Heward und mich ist die Lage derartig katastrophal geworden, ich kann es Ihnen nicht sagen.«

Huntington stürzte den teuren Cognac hinunter und murmelte: »Sie verstehen, dass ich mich wieder um das Schiff kümmere. Sie können sich auf uns verlassen, Riveyra.«

Die beiden Männer schüttelten sich kurz die Hände, dann schloss Asger die Kabinentür auf. Er sicherte sie wieder und ging dann zögernd auf das Mädchen zu. Er sagte: »Was ist, abgesehen von den Dingen, die ich weiß, Ihr Problem?«

»Hören Sie zu«, sagte sie und trank hastig. »Heward sollte in zwei Tagen bei den Herren von Kartograph-Center vorsprechen. Es geht darum, dass er dort einen Test leiten soll. Auf einem Planeten dieser … Firma. Es ist seine große Chance. Und wenn er übermorgen nicht in der Lage ist, anzufangen … und zuerst einmal die Herren zu überzeugen, dann sind wir restlos am Ende. Das heißt, soweit sind wir bereits ‒ Heward kann ja ein halbes Jahr lang sich nicht einmal richtig bewegen. Was sollen wir tun? Wir haben noch genau dreieinhalbtausend Quintar. Damit kann ich nicht einmal eine gute Klinik zahlen.«

Asger setzte sich in seinen Sessel, kippte ihn nach hinten und starrte schweigend den Alkohol an. Die Lage für Constanze und Heward war tatsächlich niederschmetternd. Die Kurve für Yaghan war vermutlich ziemlich steil angestiegen und riss jetzt ab. Wenn sein Verfahren so gut war, dass im Laufe von Jahrzehnten dreihundert Planeten kolonisierbar gemacht werden konnten …

Asger setzte sich gerade auf und bohrte seine Augen in die des Mädchens. Sein Gesicht wurde plötzlich hart. Asger sah sehr alt und erfahren aus, und diese Erfahrung schien nicht auf den Wolken der Glückseligkeit gemacht worden zu sein. Constanze konnte diesen Blick nicht mehr lange ertragen. Der Mann vor ihr wurde ihr unheimlich. Asger fragte leise, fast heiser: »Constanze Arrigo ‒ eine Frage! Beantworten Sie sie ehrlich. Und zwar so ehrlich, als ob Sie dieser Antwort Ihr Leben verdanken würden. Es steht für Sie jetzt alles auf dem Spiel. Alles.«

Sie sagte tonlos: »Fragen Sie, Asger.«

»Ist es hundertprozentig sicher, dass die Erfindung Ihres Freundes funktioniert? Und zwar nicht im Kolben oder der Anordnung im Versuchslabor, sondern im industriellen Großversuch?«

»Ja«, sagte sie. »Es funktioniert. Sie können ganz sicher sein.«

»Was hat Heward an Ausbildung aufzuweisen?«

»Volksschule«, sagte sie. »Oberschule, fünf Jahre Studium, drei Jahre praktische Arbeit in verschiedenen Werken, einige Zusatzkurse und eine Menge persönlicher Forschungen. Sehr zeitraubende Forschungen.«

Asger sagte ruhig: »Trauen Sie sich zu, mir zu zeigen, wie Heward ist? Wie er redet, auftritt und so weiter?«

Sie starrte ihn fassungslos an. Sie schien nicht glauben zu können, was sie hörte. Die Situation war hart und ungewöhnlich, und Asger blickte das Mädchen über den doppelt geschwungenen Rand des bauchigen Glases an. Er wusste sehr genau, in was er sich einließ, und er hatte keineswegs vor, es für zehntausend Quintar zu tun.

»Sie wollen es tatsächlich wagen?«, fragte sie.

»Ja«, antwortete er. »Um einen fantastisch hohen Preis, um keine Illusionen aufkommen zu lassen. Wenn nämlich, wie Sie sagen, die Erfindung hundertprozentig ist, dann wird Heward ein steinreicher Mann, der in einem halben Jahr die Summe aus der Westentasche zahlen kann.«

»Ich kann es nicht glauben«, sagte Constanze.

»Glauben Sie es ruhig«, versicherte er ihr. »Für eine halbe Million glaube selbst ich eine ganze Menge Dinge, die ziemlich unglaublich klingen.«

Sie schüttelte ungläubig den Kopf und fragte heiser: »Woher, Asger Riveyra, beziehen Sie diese unglaubliche Menge von Selbstsicherheit?«

Er holte tief Atem und antwortete: »Sehen Sie, Constanze ‒ mit meinem Selbstbewusstsein ist es gar nicht so weit her. Seit Jahren haben mein Partner Thirard und ich diese Agentur. Wir kommen von ziemlich weit unten, und was wir an Begabung nicht hatten, mussten wir durch Fleiß ersetzen. Auf diese Weise sind wir im Laufe der Zeit rücksichtslos, schnell und ziemlich gerissen geworden. Wir bilden uns ein, alles zu können. Und weil sich uns ständig Arbeiten stellen, und Aufgaben, die alles erfordern, strengen wir uns so lange an, bis wir die Aufgaben wirklich auch lösen. Und zwar fantastisch gut. Das hat uns viel Geld eingebracht und die entsprechende Menge an Sicherheit. Eines schaukelt das andere auf. Wechselseitige Eskalation nennt man das. Was mich betrifft …« Er machte eine kleine Pause und schloss: »… Ich werde einen sehr überzeugenden Heward Yaghan abgeben. Vorausgesetzt, Sie helfen mir. Es wird höllisch schwer werden, ihn innerhalb von eineinhalb Tagen zu studieren, aber wir schaffen es.«

Sie lächelte skeptisch, aber seine Worte schienen sie angesteckt zu haben. »Alles, was Sie brauchen, sind zehn Semester Ingenieurstudium und Hewards Charakter.«

Er stand auf und stellte das leere Glas hart ab. »Frauen lieben die Verlierer«, stellte er fest. »Hoffentlich betrügen Sie ihn nicht mit dem Sieger.«

Sie sah ihn sehr überrascht an; in seinen grauen Augen erkannte sie, dass er in der Lage war, über das Maß des Doppelgängers hinaus genau das zu tun, was Heward Yaghan vorhatte.

Und noch einiges mehr.

 

 

2.

 

Fünfzehn Stunden später wurden die hydraulischen Landebrücken ausgefahren, und die Passagiere des Sternenschiffes verließen die Kabinen. Eine flüchtige Zollabfertigung schloss sich an. Die Reporter waren bereits am Sonderausgang, als die halb automatische Bahre herangerollt kam, flankiert von einigen Stewardessen und dem Zweiten Offizier. Niemand beachtete die außergewöhnlich gut aussende junge Frau, die hinter einem der schweren Sessel des Raumhafengebäudes stand und versuchte, einen Blick auf das Gesicht des Bewusstlosen zu werfen.

Dagny Tamayo war einen Meter fünfundsiebzig groß, sechsundzwanzig Jahre alt und sah jeden Tag anders aus, was mithilfe von Kontaktlinsen verschiedener Farbe, eines meisterhaften Make-ups und verschiedener Perücken mühelos gelang. Sie war die Sekretärin von Riveyra und Reenal, und als sie gehört hatte, was an Bord des Schiffes während der langen Abbremszeit geschehen war, musste sie das Schlimmste ahnen.

Sie wollte gerade der Bahre nachlaufen, als ein Steward der Ursa-Major-Company ihren Arm ergriff.

»Verzeihung. Sie sind Miss Tamayo?«, fragte er etwas zu höflich.

Sie sah der Bahre nach und erwiderte zerstreut: »Ja. Was haben Sie?«

»Die Gesellschaft bittet Sie, zum Informationsschalter zu kommen. Eine Dame und ein Herr warten auf Sie.«

»Aber … ich muss darauf achten, dass Mister Riveyra …«

»Es ist Mister Riveyra, der Sie bitten lässt, sich an den Schalter zu bemühen. Die Männer vom Krankentransport sind instruiert. Mister Riveyra hat verlangt, für die Dauer des Transports bewusstlos bleiben zu wollen.«

Sie zuckte die Schultern und folgte dem Angestellten.

Neben dem Schalter standen ein unbekanntes Mädchen und Asger Riveyra. Eine halbe Sekunde lang fühlte Dagny, wie ihre Knie schwach wurden, dann zwinkerte sie überrascht mit den Augen. Das war Asger … war er es wirklich? Irgendwie bewegte sich der Mann vor ihr anders.

»Miss Tamayo?«, fragte der Mann mit einer anderen Stimme.

»Ja«, sagte sie. »Sicher haben Sie sich einen Scherz erlaubt. Ich glaube nicht, dass die Anwälte von Allround-Service Ihren Sinn für Humor teilen werden.«

Jetzt sagte der Mann, unverkennbar mit der Stimme Asgers: »Sie scheinen mich mit Ihrem Chef zu verwechseln, Miss Tamayo. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie ein wenig verwirre, aber ich bin nicht Riveyra. Ich bin Heward Yaghan! Mister Riveyra indes würde es begrüßen, wenn wir mit ihm zusammen im Büro der Agentur einige Kleinigkeiten besprechen würden. Ist heute Abend, achtzehn Uhr, vielleicht eine passende Zeit?«

»Sicher«, sagte sie. »Vorausgesetzt, Sie lassen sich etwas reichlich Originelles einfallen.«

Der Mann lachte genau das Lachen von Asger; sie kannte es lange genug, schließlich liebte sie ihn.

»Ich bin überzeugt, Miss Tamayo. Bitte, verständigen Sie auch Thirard Reenal. Ich bin sicher, dass seine Gegenwart für uns alle ein echter Gewinn sein wird.«

Der falsche Riveyra wischte sich mit der charakteristischen Bewegung ein imaginäres Staubkörnchen aus dem rechten Augenwinkel, strich in der alten, vertrauten Geste über den Haaransatz und nickte freundlich.

»Bis heute Abend, Miss Tamayo«, sagte er und wandte sich an seine Begleiterin, ein gut aussehendes Mädchen mit grünem Haar.

»Gehen wir, Constanze«, sagte er. »Wir wollten doch in New York Kaffee trinken und einige Kleinigkeiten einkaufen.«

Nicht ohne Verblüffung sah Dagny Tamayo ihnen nach. Sie sah auch den Mann, der vor dem Spiegel einer Reklamewand stand und mit seinen Blicken die beiden verfolgte. Dann, als der Mann in dem hocheleganten Anzug und den schmutzigen, leicht abgetretenen Schuhen seinen Arm um die Schultern des grünhaarigen Mädchens legte, wandte er sich uninteressiert ab.

 

Von New York Spaceport, der durch eine Röhrenbahn mit der Stadt verbunden war, bis nach Andros, der Insel in der Karibischen See, waren es mit dem Düsenhubschrauber vier Stunden. Asger Riveyra, neben sich die Freundin Yaghans, betrat die Riesenstadt mit einem genau überlegten Plan. Er hatte drei Anrufe zu tätigen und einige Käufe abzuschließen. Zwei Stunden später hatte er, was er brauchte: einige Bücher über den Zweig der Wissenschaft, den Heward vertrat, einige breite Kassetten mit Lehrfilmen, die neuesten Informationen über neu entdeckte und katalogisierte Planeten ‒ Kartograph-Center vertrieb diese Blätter, die sehr teuer, aber ungewöhnlich informativ waren.

Constanze und er duzten sich; und das Mädchen korrigierte pausenlos seine Bewegungen und seine Sprechweise. Sie brachte ihm bei, wann und bei welcher Gelegenheit Heward zögerte, wann er lauter und bestimmter wurde, wo erschrak, und wovor er Angst hatte.

Asger, nicht gerade darauf trainiert, aber seit der Unterhaltung in seiner Kabine fest entschlossen, seine Rolle perfekt zu spielen, fragte ebenso pausenlos. Er kannte nach einigen Stunden die Freunde und Probleme, die Lieblingsspeisen und Fachausdrücke Hewards. Langsam schlüpfte er in die Rolle des Mannes, langsam erkannte er, dass er einen fast entgegengesetzt angelegten Charakter verkörpern sollte. Allerdings behielt er sich vor, Heward Yaghan auf seine Weise zu interpretieren.

Als sie das letzte Geschäft verließen, sagte Constanze leise: »Ich glaube nicht, dass ich dir noch viel sagen kann. Hin und wieder vergesse ich direkt, dass du Asger bist und nicht Heward.«

Er verzog sein Gesicht zu einem Yaghan-Lächeln. »Vergiss es nie. Besonders nicht in der Nähe unserer Sekretärin. Sie ist auf jede Dame eifersüchtig, die sich in der Nähe Reenals oder in meiner Nähe sehen lässt. Aber glaube nicht, dass sie es zeigt. Sie ist ein außergewöhnlich kluges, tüchtiges Mädchen, und wir zahlen ihr ein Gehalt, das höher ist als unseres.«

Constanze maß ihn mit einem eigentümlichen Blick.

»Ich bin sicher, du übertreibst maßlos, obwohl es nicht deine Art ist, aus einer Sache mehr zu machen.«

Asger entgegnete kalt: »Wenn Menschen so viel Vernunft hätten wie Verstand, wäre alles einfacher. Du bist auf deine Weise anders als sie. Aber ich bin sicher, dass dich Dagny mehrmals spielend schlägt.«

Während des Fluges nach Andros City sprachen sie kein einziges Wort miteinander, das auch nur andeutungsweise persönlich gefärbt war.

 

Thirard Reenal hatte einen Kinnbart und ein herzliches, offenes Lächeln, das in siebzig von hundert Fällen so falsch war wie das eines Wolfes. Er war sechsunddreißig Jahre alt, also knapp drei Jahre älter als Asger. Während Asger schneller handelte und etwas weniger dachte, dachte Thirard länger und handelte nur dann, wenn es unumgänglich war. Er liebte die Natur. Das äußerte sich dergestalt, dass er in einem runden Steinturm irgendwo im kultivierten Bergland der Insel wohnte, sportliche Kleidung schätzte und von jeder kulturellen Strömung nur das akzeptierte, das älter war als drei Jahrhunderte. Jetzt stand er in dem Büro, das einen ganzen Stock des Wolkenkratzers ausfüllte, also zwanzig zu zwanzig Meter groß war. Ein einziger Raum, weitläufig, günstig in der Miete und mit einer der teuersten Einrichtungen ausgerüstet, über die je ein Büro verfügen konnte. Reenal stand neben der Bahre, auf der Yaghan lag, inzwischen wach geworden.

In der letzten Stunde hatte Yaghan Dagny und Thirard genau geschildert, was vorgefallen war.

»Soso«, sagte Thirard. »Mein Freund liebt, wie wir alle wissen, das Abenteuer. Dieses Abenteuer, Partner Yaghan, wird Sie ein unheimliches Geld kosten.«

»Auch das«, sagte Heward, »ist bereits alles abgesprochen. Aber mein Problem ist jetzt zweiteilig: Schafft es Asger, und wer hat mich überfallen lassen?«

Dagny sagte verständnisvoll: »Den ersten Teil überlassen Sie ruhig Asger; er wird es schaffen. Und den zweiten Teil werden wir von hier aus einer eingehenden Betrachtung unterziehen. Ich bin da recht optimistisch.«

Wie ein künstlicher Berg aus Stahl, Kunststoff und Glas überragte das Cuvart-Building die Insel. Im einhundertfünfundsiebzigsten Stockwerk lag das Büro; zu der Helikopterplattform waren es nur noch zehn Etagen. Schweigend erwarteten die drei Menschen in dem Großraumbüro die Ankunft ihrer Partner. Der Helikopter landete, Asger zahlte, und dann hielt der Lift, der außerhalb des Gebäudes in einer der durchsichtigen Röhren untergebracht war. Durch einen schmalen Verbindungsgang, in Wirklichkeit eine raffinierte Falle oder eine Anordnung von Tests, je nach Zweck, betraten Asger und Constanze das Büro.

Asger umarmte Dagny, schüttelte fünf Minuten lang die Hand Thirards und sagte dann wahrheitsgetreu: »Es tut so verdammt gut, nach einem Vierteljahr wieder dieses Büro zu betreten und in eure lieben, misstrauischen Gesichter zu sehen. Meine Stimmung könnte nicht besser sein.«

Sie hoben Heward von der Bahre und setzten ihn in einen Sessel. Minuten später saßen sie um einen mächtigen runden Tisch, der aus einem alten, aus Europa importierten Mühlrad bestand, tranken Kaffee und Alkohol und rauchten. Fünf Personen, die durch eine Zufälligkeit zusammengeführt worden waren, diskutierten die Probleme. Für sie alle stand sehr viel auf dem Spiel: Zufriedenheit, wissenschaftliche Anerkennung, die Verfolgung eines Verbrechens, sehr viel Geld und das zukünftige Leben von dreihundert oder mehr Planeten.

Sie waren sich einig. Und Asger brauchte nur noch zu begreifen, was Yaghan eigentlich den Männern von Kartograph-Center vorschlagen wollte.

 

Aus: Kinich Ahau Khian: »Beobachtungen eines alternden Planetenreisenden über die zweifelhaften Vorteile irdischer Kolonisationsmethoden.« Anonymer Handdruck, vermutlich gegen 5000 n. Chr. auf Zeta Zentauris.

»Kaum jemand hätte etwas dagegen einzuwenden gehabt, wenn die Kommandos der Erde in kleinen Raumschiffen gelandet wären und versucht hätten, die Eingeborenen von den philanthropischen Segnungen ihrer Zivilisation und ihrer bei näherem Zusehen sehr mehrdeutigen Kultur zu überzeugen. Aber ‒ wer beschreibt den Schrecken und die tiefgehende Besorgnis, als wir erkannten, wie die Erde wirklich vorging: Sie überflutete die neu entdeckten Planeten in der Art, wie ein Wolkenbruch das Gras des Sommers niederschlägt. Die Menschen selbst waren nicht so schlimm; viele von ihnen wurden von Schlangen gebissen, traten in Schlammlöcher und wurden von den Muränen gefressen, vergriffen sich an den giftigen Früchten der Bäume oder paarten sich mit den Eingeborenenfrauen, was, von uns mit einiger Freude beobachtet, eigentümliche Ergebnisse erbrachte. Nein. Es waren der geformte Stahl und der tiefgezogene Kunststoff, die wie eine Lawine die Planeten überfluteten. Helikopter, geländegängige Fahrzeuge, Planierraupen von scheußlicher gelber Farbe, Fertighäuser und Raumhäfen aus Einzelteilen. Und dann der Funkverkehr. Er zog ein Netz und überbrückte Entfernungen, die noch vor Jahrzehnten mit dem Ausdruck Weltreise nur schwer zu umschreiben gewesen wären.

Es kam noch kurioser. Sogar die Welten, die nicht einmal einem kargen, anspruchsvollen Moos Nahrung und Leben boten, gänzlich luftleere Planeten, die nutzlos um ihre Sonne drehten, blieben von den Kolonisatoren nicht verschont. Man blies riesige Kuppeln auf, wie die Blasen, die mittags aus einem Sumpf aufsteigen. Innen lebten die Menschen, bohrten und richteten sich ein, als hätten sie die Ewigkeit gepachtet. Es war für uns alle sehr bezeichnend, als wir erfuhren, dass eine einzige Gesellschaft bestrebt war, das Monopol zu erhalten. Sie nannte sich Kartograph-Center, war ehemals nur die koordinierende Abteilung, die sämtliche Beobachtungen aller Entdecker sammelte, zusammenfasste und auswertete. Nach und nach wurde sie mächtiger und begann in eigener Regie, Unternehmungen aufzuziehen. Sie maßte sich an, laut zu sagen, sie könne das Unmögliche schaffen ‒ nur Wunder würden ihr einige Schwierigkeiten bereiten.

Man kann über diese Spezies, die sich, wie wir hörten, seit drei Jahrtausenden über die unselige Galaxis ausbreitet wie ein Virus, durchaus geteilter Meinung sein. Ich selbst habe drei (3) menschliche Freunde. Aber über eine Sache gibt es keinen Zweifel: Was Kartograph-Center angefasst hat, führt es auch durch. Selbst wenn es gilt, einen wurmstichigen, kalten und völlig leblosen Planeten zu besiedeln … die Schiffe, Maschinen und zuletzt die Menschen reißen auch die abenteuerlichsten Welten für die Ewigkeit aus der Stille und Beschaulichkeit des dunklen Alls. Sagt Kartograph-Center.«

 

»Wenn ein Tyrannosaurus Rex einen Maschinisten frisst, so ist dies auch eine Form der Integration.«

Spruch auf dem Kommandopult von Käpten Anahau Block, Entdecker des Planeten Epsilon Zentauris.

 

 

3.

 

Dagny Tamayo löste sich aus der Umarmung Asgers und stützte den Arm auf. Ihr langes schwarzes Haar fiel über ihre Schultern; Schwarz war die natürliche Farbe ihres Haares. Sie zündete zwei Zigaretten an und schob eine zwischen seine Lippen.

»Du hast dich wirklich verändert, Asger«, sagte sie leise. »Es ist erstaunlich, wie tief du in die Persönlichkeit Hewards eingedrungen bist.«

Er sagte ohne Begeisterung: »Ich hoffe, nach einem halben Jahr auf Shindana wieder der alte Asger Riveyra zu sein. Wie ist es euch ergangen, als ich, die Krönung dieses Büros, nicht anwesend war?«

Sie lächelte und berührte mit den Fingern die weiße Strähne an seinem Hinterkopf. Es war eine lang zurückliegende, vernarbte Kopfverletzung. Die Haarwurzeln hatten an dieser Stelle keine Farbe mehr entwickelt.

»So gut, wie es gehen kann, wenn niemand Unfrieden stiftet. Wann bist du morgen bei Kartograph-Center bestellt?«

»Fünfzehn Uhr nachmittags«, sagte er.

In einem anderen Wolkenkratzer am Stadtrand bewohnte Riveyra ein großes Einraum-Apartment im zweihundertneunundachtzigsten Stockwerk. Die Karibische See war ein Paradies für Menschen, die Sonne liebten, und nur sehr selten hingen Wolken vor den Fenstern des Zimmers. Der Boden war mit einem acht Zentimeter hohen lindgrünen Spezialteppich ausgelegt, und nur die nötigsten Möbel standen darin. Es waren Kostbarkeiten, von vielen Planeten zusammengetragen. Die Sterne und die Scheibe des Mondes schienen jetzt direkt vor den Fenstern zu hängen, und von dem offenen Südbalkon kam ein milder Windhauch herein und wirbelte den Rauch der Zigaretten durcheinander.

»Du weißt alles?«, fragte Dagny. Sie hatte Augen von dem intensivsten Blau, das Asger je gesehen hatte.

»Ich hoffe«, sagte er.

»Wie ist Heward eigentlich zu seiner Erfindung gekommen?«

Schlagartig fiel er zurück in die Rolle, die er zu verkörpern hatte.

»Vor drei Jahren«, sagte Asger mit Hewards Stimme, »kam ich auf eine namenlose Welt, auf einen Planeten einer Sonne in der 70-Ophiuchi-Gruppe. Ich fröstle noch heute, wenn ich an die Landung denke … etwas Trostloseres habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Es war ein Moloch aus Rauch, Ruß und grauem Staub. Die Verhüttungsanlagen befanden sich in einem fast kreisrunden Tal, und eine Inversionslage ließ den Dreck wie einen Deckel über einem Topf über dem Werk schweben. Meine Firma hatte das Werk gekauft, und ich sollte seine Kapazität erweitern und die Leistung wieder auf den alten Stand bringen. Es war eine Arbeit, die ein Herkules nicht geschafft hätte.«

Dagny ging auf das Spiel ein und fragte leise: »Aber du hast es geschafft, Heward?«

Er grinste. »Natürlich, Constanze«, sagte er. »Du weißt doch, das schaffe ich alles. Ich ließ mich einen Tag lang herumführen, sprach mit den verwahrlosten Männern, den Arbeitern und den Ingenieuren ‒ und das Ausmaß an Fehlwirtschaft machte mich wütend. Ich brachte zuerst die Schmelzbetriebe auf höhere Leistung. Einige Umbauten und vier neue Schmelzkonverter mit je vierzig Tonnen Leistung pro Stunde genügten. In der Endfertigung aber sah es besonders schlimm aus. Der Gießerei angegliedert war eine Galvanisierstraße, in der die Werkstücke mit einem schwarzen Oxydüberzug versehen wurden. Es waren Schaltnocken aus nickellegiertem Stahl für die Relaisschalter in Raumschiffs-Triebwerkseinheiten. Die hintereinander geschalteten Tanks mit der Tauchflüssigkeit waren in erschreckendem Maß verunreinigt. Die Flachdächer über den Tanks waren zusammengebrochen unter dem Gewicht des Metallstaubes, der zu Ferroxyd verrostet war. Zusammengebrochen und in die Flüssigkeit gestürzt.«

Bis zu diesem Punkt schien Dagny ihm gefolgt zu sein. Jetzt fragte sie unsicher: »Was war da zu tun?«

»Ich überlegte mir, ob ich alle Tanks leerpumpen und die Flüssigkeit durch eine Batterie von Filtern pressen sollte ‒ es wäre zu teuer und zu zeitraubend gewesen. Ich setzte mich einen Tag lang hin und entwickelte aus einem schon vorhandenen Gerät ein wesentlich besseres Ultraschallreinigungsgerät, das mit magnetostriktiven Schwingungen und neuartig angeordneten Lamellen arbeitet. Die Arbeitsweise des Gerätes beruhte auf magnetischen Schwingungen, die in dem ferromagnetischen Nickel durch ein außen liegendes magnetisches Wechselfeld erzeugt wurden. Ich betrieb die Erregerspule mit einem relativ primitiven Halbleiter-Stromerzeuger und mit zweiundvierzig Kilohertz.«

»Ich verstehe zwar, was du meinst, aber wie es funktioniert … das übersteigt meine Vorstellung«, sagte Dagny.

»Beruhige dich ‒ es funktioniert. Ich habe jetzt sechs Stunden Studium in meinen Plänen hinter mir. Es funktioniert hervorragend.«

»Wie ging es weiter?«

»In der Tauchflüssigkeit wurden maximal hohe Ultraschallschwingungen erzeugt. Die Verunreinigungen wurden zu klumpenden Brocken gepresst, und diese konnten wir sehr einfach entfernen. Während dieses Vorganges verzeichneten die Detektoren über den Tanks einen ungewöhnlich hohen Anteil an reinem Sauerstoff. Ich untersuchte dieses Phänomen.«

»Was fandest du heraus?«, fragte Dagny gespannt.

»Ich wusste am Ende der Untersuchungen, dass die Sauerstoffkonzentration aus den Ferroxydniederschlägen, also dem Rost, herrührte, von dem die Tanks verschmutzt worden waren. Aber ich wusste noch nicht, was ich da wirklich in der Hand hielt. Ein Jahr später sah ich zufällig eine Reportage über die ›Eisenwelten‹ und die großen Schwierigkeiten von Karthograph-Center, diese so gut wie sauerstofflosen Planeten zu besiedeln. Sofort fiel mir meine Entdeckung ein.

Das Oxydieren von Eisen ist im übertragenen Sinn ein elektromagnetischer und elektrochemischer Vorgang. Die Möglichkeit musste bestehen, das Verfahren in beiden Richtungen ablaufen zu lassen. Das rückläufige Verfahren bestand darin, den gebundenen Sauerstoff wieder der Atmosphäre zuzuführen. Das funktioniert natürlich nur bei Planeten, die eine entsprechende Fluchtgeschwindigkeit haben, die also ihre Lufthülle bei sich behalten können. Ich überarbeitete meine Pläne, machte einen Versuch in der freien Natur, der mich meine gesamten Ersparnisse kostete, und schickte dann an die Behörde eine Vorlage.«

»Und morgen soll darüber verhandelt werden?«

»Ja«, sagte er. »Ich werde mit Cockrell sprechen, dem Direktor, und mit Reegan, dem Leiter des Entwicklungsteams. Er dürfte, da mein Verfahren mit seiner Arbeit konkurriert, nicht gerade vor Freude in die Luft springen, wenn er mich sieht.«

Dagny lächelte ironisch. »Vielleicht erschrickt er nur, weil das Opfer seines Überfalls noch heil und unverletzt vor ihm steht. Vielleicht aber hat er auch das Spiel mit den Doppelgängern durchschaut?«

Heward, beziehungsweise Asger, deutete auf die Waffe, die auf dem niedrigen Tisch vor ihnen lag.

»Das wird sich feststellen lassen«, murmelte er.

Dagny beherrschte nicht nur sämtliche Tricks des Bürolebens geradezu souverän und mit nachtwandlerischer Sicherheit, sondern schien ‒ verblüffend für den Skeptiker Riveyra ‒ auch gut kochen zu können, war trinkfest wie jemand von Kanopus Delta, schuf Kontakte und ging mit Waffen und Büromaschinen gleichermaßen gut um. Eines aber wurmte Asger: Er wusste selbst heute, nach drei Jahren, die er mit Dagny zusammen war, noch immer nicht, wo sie wohnte. Alle seine Versuche, dies herauszufinden, waren gescheitert.

»Ich habe für elf Uhr den Helikopter bestellt und sämtliche Karten gebucht«, sagte sie. »Wir hatten genau einen Tag für uns ‒ und ein halbes Jahr bist du jetzt wieder nicht auf der Insel.«

Asger zuckte die Schultern; es war nicht anders möglich.

»Die Automation ist wirklich eine fabelhafte Sache«, bemerkte er, »jetzt haben Sekretärin und Chef viel mehr Zeit füreinander übrig.«

Sie warf ihm einen Blick zu, der einen anderen Mann als Asger hätte erbleichen lassen.

 

Am Ende des Raumes stand ein Tisch, dessen kunststoffbeschichtete Platte bis auf den roten Videowürfel und einen dünnen Aktenordner leer war. Der Raum war weder besonders groß, noch bezauberte seine Inneneinrichtung. Nur an einigen Kleinigkeiten erkannte Asger, dass er sich in der Zentrale dieser mächtigen Institution befand. Zum Beispiel an dem silbergrauen Teppich, der sich von Wand zu Wand spannte. Das Zimmer war spärlich möbliert; einige Sessel und hinter dem Tisch ein hochlehniger Armsessel. Einige Borde an den Längsseiten.

Der Mann, der hinter dem Tisch stand und Asger entgegenblickte, war klein und schmalschultrig. Ein dünnes Lächeln stand in seinem Gesicht. Er sagte: »Guten Tag. Sie müssen Heward Yaghan sein.«

»Richtig«, sagte Asger und schüttelte die Hand. Der Händedruck des anderen war überraschend hart und energisch. »Und das Vergnügen habe ich mit Charles Cockrell?«

Cockrell nickte. »Nehmen Sie bitte Platz, Mister Yaghan. Unsere Unterhaltung wird ein wenig länger werden.«

Heward setzte sich und musterte den Raum. Die Wand hinter dem Tisch bedeckte das Zeichen des Centers. Die rechte Wand trug eine Reihe gestochen scharfer Ausschnittvergrößerungen von Bildern exotischer Planeten. Die gegenüberliegende Wand war ein einziges Fenster. Man konnte bei gutem Wetter über Mirage hinweg bis zum Raumhafen sehen. Jetzt allerdings fiel in endlosen Ketten der graue Regen vom bleifarbenen Himmel. Wetterleuchtend zuckte der Feuerschein eines startenden Sternenschiffes durch das Grau, später kam der Donner.

»Hatten Sie eine angenehme Reise, Heward?«, fragte Cockrell.

»Es ging. Auf dem Schiff wurde ein Mann, der mir ähnlich sah, beinahe umgebracht. Die langen Flüge sind sonst auch zu langweilig.«

Cockrell zog überrascht die Brauen hoch. »Sie haben uns vor einiger Zeit die Pläne geschickt, die das Reduktionsverfahren von Ferroxyden möglich machen. Richtig?«

»Richtig«, sagte Asger, schlug die Beine übereinander und zündete sich eine Zigarette an. Heward an seiner Stelle hätte wesentlich weniger Selbstbewusstsein gezeigt. Cockrell sah verwundert die teuren weichen Stiefel und die mikroskopisch genaue Falte der modernen Hose.

»Vorausgesetzt, dieses Verfahren ließe sich realisieren, dann würden die meisten von dreihundert entdeckten Planeten kolonisiert werden können. Sie sprachen von einer Zeit von zweieinhalb Jahrzehnten.«

Asger nickte und erwiderte trocken: »Es ist nicht nur so, dass die Planeten kolonisiert werden könnten, sondern Kartograph-Center könnte auch die Bodenschätze abbauen. Das sind, wenn ich Shindana als Modell betrachte, pro Planet eine jährliche Einnahme allein an Buntmetallen, Uranen und anderen seltenen Mineralen, Elementen oder Kohlenstoffen von mindestens zehn Milliarden Quintar. Das dürfte, meines Erachtens, der Hauptgrund für das Center sein, die dreihundert Planeten zu kolonisieren. Dreitausend Milliarden ‒ damit lässt sich ein fröhlicher Abend bezahlen.«

Cockrell sagte indigniert: »Normalerweise sind Wissenschaftler etwas weniger in wirtschaftlichen Dingen beschlagen.«

Asger bestätigte: »Normalerweise ja. Ich möchte Ihnen die Enttäuschung ersparen, Sir … aber versuchen Sie bitte nicht, mich in das Schema eines weltfremden Wissenschaftlers einzugliedern. Es würde bitter für Sie werden.«

Cockrells Gesicht zeigte keine Regung, aber in seinen Augen erkannte Asger mehr als Verwunderung. Er nickte kurz und beschloss, Cockrell zu einer heftigen Reaktion zu zwingen.

»Sie glauben, dass Sie Grund zur Skepsis haben, Mister Cockrell? Sicher ‒ Erstens arbeitet Ihr Forschungsstab schon seit einer Weile an diesem Problem, und zweitens bin ich realistisch genug, um zu wissen, dass nicht nur Kartograph-Center das Problem der Kolonisation hat. Ich muss allerdings sagen, dass ich lieber für Sie arbeiten würde als für eine andere Gesellschaft.«

Die steile Falte auf Cockrells Stirn erschien wieder. Er presste die Lippen ärgerlich zusammen und sagte: »Entgegen Ihrer Annahme sind im Forschungsstab die besten und fähigsten Köpfe, die wir finden konnten. Sie haben bisher alles versucht, aber die Lösung nicht gefunden.«

Asger sagte kühl: »Das spricht nicht unbedingt für die Qualität des Forschungsstabes. Aber auch nicht unbedingt für mich, denn ich habe durch einen Zufall erreicht, was Sie suchten.«

»Richtig«, sagte Cockrell. »Sie sind ja Gießereiingenieur.«

Asger drückte die Zigarette aus, stand auf und blieb vor dem Tisch stehen.

»Ich bin hier, Mister Cockrell, um Ihnen eine Erfindung anzubieten, nicht um mich beleidigen zu lassen. Werfen Sie doch über Ihren dreihundert Planeten einige Sauerstoffflaschen ab, Mister Cockrell!«

Er drehte sich um und ging genau zehn Meter auf die Tür zu, bis ihn Cockrell anrief.

»Wollen Sie verhandeln, Heward, oder ziehen Sie es vor, eingeschnappt zu bleiben?«

Asger sagte schneidend: »Versuchen Sie das auf keinen Fall ein zweites Mal, Mister Cockrell. Es könnte sein, dass ich Ihr Spielchen nicht mehr mitspielen möchte. Was also ist mit Shindana los?«

»Shindana ist ein Planet von zwölfen, die die Sonne Yabrudd umkreisen. Fünf der Planeten sind Methanwelten, für uns uninteressant. Die anderen sieben sind Sauerstoffwelten, etwa erdgleich, jedenfalls weichen die Werte nicht besonders stark nach oben und unten ab. Sechs der Welten haben in einem sehr langen Oxydationsprozess ihre Atmosphäre an sich gebunden. Die Reste der vorhandenen Atmosphäre reichen bei Weitem nicht aus, die Planeten so zu besiedeln, dass sie auch nur annähernd für unsere Zwecke zu gebrauchen sind.«

»Die siebente Welt?«, fragte Asger.

»Grantery. Eine riesige Niederlassung der Raumpolizei. Ein Planet voller Verwaltungsbauten, Magazinen, Ausbildungszentren und Raumhäfen. Wir haben die Schutzmacht sozusagen im gleichen System. Unsere Aufgabe ist es, die anderen sechs Planeten besiedelbar zu machen. Sie, Mister Yaghan, haben uns das Werkzeug dazu in die Hände gegeben. Kartograph-Center hat vor, dieses Werkzeug zu benutzen. Was verlangen Sie dafür?«

Asger hob unmerklich den Kopf und musterte mit seinen grauen Augen den kleinen Mann vor ihm, dem Milliardenwerte unterstanden. Er sagte beiläufig im Gesprächston: »Sie haben Vollmachten?«

»Alle!«, bestätigte Cockrell.

»Ich brauche den Posten des verantwortlichen Projektleiters mit absoluter Verfügungsgewalt über den gesamten Etat dieses Projekts. Ein Gehalt von zwanzigtausend Quintar im Monat, eine Prämie von zwei Millionen Quintar bei erfolgreichem Abschluss der Arbeiten. Und elf Komma fünf Prozent sämtlicher Erträge nach erfolgter Kolonisation. Vertragskontrolle bei der Raumpolizei. Dafür garantiere ich Ihnen, dass Ihr Projekt ein hundertprozentiger Erfolg wird.«

Das Schweigen dauerte lange.

Kein Laut von außen drang in den Raum. Nur der Regen, der an die Scheiben hämmerte, rief ein Geräusch hervor, das einem fernen Brummen entsprach. Die beiden Männer starrten sich an, und Asger wusste genau, dass Cockrell der Überzeugung war, noch immer das bessere Geschäft gemacht zu haben.

Endlich sagte Cockrell in geschäftsmäßigem Ton: »Akzeptiert. Namens meiner Gesellschaft bestätige ich Sie als Projektleiter. Die entsprechenden Verträge und Vollmachten werden Ihnen noch heute zugestellt. Darf ich Ihre Adresse haben?«

Asger lächelte nicht einmal, als er seine eigene Privatadresse nannte. Heward Yaghan bei Asger Riveyra.

»Allround-Service?«, fragte Cockrell zuhöchst erstaunt.

»Thirard Reenal ist einer meiner Studienkollegen«, erklärte Asger. »Wann beginnt die Konferenz mit Ihnen, den leitenden Direktoren und den Wissenschaftlern?«

Cockrell stand auf und schüttelte Asgers Hand. »In dreißig Minuten. Ein Vertrag dieser Größenklasse sollte gefeiert werden. Was darf ich Ihnen bringen lassen?«

Asger lächelte zum ersten Mal, nachdem er diesen Raum betreten hatte, mit einer Spur von Herzlichkeit. »In einen eiskalten Silberkelch ein Finger hoch Calvados, darauf bis zum Rand Pommery A. D. 5729. Sofern Ihre Bar darauf eingerichtet ist.«

Cockrell lächelte und erwiderte: »Kartograph-Center sagt und schreibt, dass nur Wunder der Gesellschaft einige Schwierigkeiten bereiten. Soviel über unsere Bar.«

»Es freut mich«, sagte Asger, »mit Männern zusammenzuarbeiten, die über Stil, Geschmack und Allüre verfügen. Immerhin besteht der Verdacht, dass irgendwo in diesem Gebäude ein Mann steckt, der mich an Bord der BETA CRUCIS überfallen und meine Pläne stehlen wollte. Ich freue mich darauf, mit potenziellen Mördern zusammenzuarbeiten.«

Cockrells Lächeln machte innerhalb einer viertel Sekunde einem Ausdruck Platz, als sei er in einen rostigen Nagel mit Widerhaken getreten.

 

Der schwierigste Teil dieses Gespräches lag noch vor ihm. Asger entspannte sich und versuchte, seine Position zu überdenken und sich auf die Männer zu konzentrieren, die er nur aus Zeitungsberichten kannte, wenn überhaupt, und durch die Gespräche mit dem schwerverletzten Heward. Reegan … es schien unwahrscheinlich, dass er sich in einer derart exponierten Stellung ein Team von Verbrechern anheuerte, um die Pläne seines Konkurrenten zu bekommen. Es wäre zu durchsichtig gewesen. Asger trank den Sekt in kleinen Schlucken, lockerte seine Muskeln und schloss die Augen. Würde er halten können, was die Pläne Yaghans versprachen?

Nach etwa zwanzig Minuten sagte der kleine Mann mit dem hageren Gesicht und der sanften Stimme leise: »Hören Sie gut zu, Mister Yaghan. Was auch immer Sie erwartet ‒ Sie sind der Projektleiter. Sie haben alles in der Hand. Zeigen Sie keine Angst vor Reegan. Er ist natürlich sauer auf Sie, denn sein Team hat nicht geschafft, was Sie uns sozusagen in den Schoß geworfen haben. Sie sind der Chef!«

Asgers Lächeln war grimmig. »Ich glaube, ich kann mich meiner Haut wehren. Verlassen Sie sich darauf, Mister Cockrell.«

Sie gingen langsam eine breite, geschwungene Treppe hinauf. Hinter der Wand mit den Planetenbildern hatte sich geräuschlos eine Tür zur Seite geschoben. Sie blieben am Eingang des kleinen, niedrigen Konferenzsaales stehen. Ein ovaler Tisch und vierundzwanzig weiße Stühle bildeten den Mittelpunkt. Auf einigen kleineren Beistelltischen standen Erfrischungen, Getränke, Tassen und Kaffeekannen. Die Anwesenden sahen den beiden Männern entgegen. Ein massig gebauter Mann, sehr groß und mit wirrem, weißem Haar, kam in einem zerknitterten braunen Cordanzug auf sie zu.

»Reegan!«, flüsterte Cockrell, ohne die Lippen zu bewegen.

»Hey«, rief Reegan leise und kam mit ausgestreckter Rechten auf Asger zu. »Sie sind sicher Heward Yaghan. Der Mann, auf den wir alle sehr gespannt warten.«

»Ganz recht. Doktor Heward Yaghan. Mit wem habe ich das Vergnügen?«

Reegan sagte mit der gleichen Betonung wie Asger: »Bertrand Reegan.«

Asger zuckte nachlässig mit den Schultern. Ließ sich Reegan, dessen übertriebene Herzlichkeit ihn stutzig gemacht hatte, provozieren?

»Ihr Name sagt mir nicht viel«, bemerkte er. »Welche Funktion haben Sie hier?«

Für Sekunden flackerte ein gefährliches Licht in Reegans Augen auf. Dann senkten sich schwere Lider darüber, und er sagte träge: »Leiter des Forschungsstabes, der sich mit der Ferroxyd-Reduktion befasste ‒ und jetzt überflüssig.«

»Niemand ist überflüssig, der sich nicht selbst dafür hält«, sagte Asger. »Würden Sie mich bitte mit den anderen Herren bekannt machen, Mister Cockrell?«

Die Vorstellung war kurz.

Nach kurzer Zeit wusste Heward, dass sich der Forschungsstab tatsächlich aus Wissenschaftlern ersten Ranges zusammensetzte. Umso verständlicher war die Reaktion Reegans. Die Gebrüder Latham, planetenweit bekannte Astrogeologen; Willyam Floid, Spezialist für elektromagnetische Wellenmechanik. Georg Skott, der Vorsitzende des Direktoriums, kam auf die Sekunde genau durch die Tür. Ein derbknochiger Mann mit eisgrauer Löwenmähne und farblosen, blassen Augen.

Er schüttelte Asgers Hand. »Sie sind also der Mann, der meinen Leuten schlaflose Nächte bereitet«, sagte er. »Setzen wir uns doch.«

Langsam nahmen die Männer Platz.

Skott wartete etwas, dann sagte er: »Dieser junge Mann hat uns, meine Herren, eine klassische Lehre erteilt. Vielleicht hat auch der Zufall mitgeholfen, aber als konsequenter Gedanke blieb nur, dass wir ihm die Leitung des Projektes auf Shindana als Startversuch übertragen. Sie haben uns geschildert, Mister Yaghan, wie Sie auf dieses Phänomen gestoßen sind. Wie aber stellen Sie sich die praktische Anwendung vor?«

Asger sah nacheinander die achtzehn Gesichter der Männer rund um den Tisch an und sagte: »Der Schwingungsfeld-Erreger, den Sie kennen, ist nicht mehr der gleiche wie jenes einfache Ultraschallreinigungsgerät, aber die Prinzipien sind in etwa beibehalten worden. Zuerst eine Frage: Wie tief, Mister Latham, reichen die Ferroxydschichten auf Shindana?«

»Es handelt sich nur um eine dünne Schicht von zwei bis acht Metern. Die Spurenelemente treten sowohl in den Felsschichten als auch im Sand auf.«